Kompendium der Familienforschung in Ãsterreich, Schriftenreihe Nr. 7
Kompendium der Familienforschung in Ãsterreich, Schriftenreihe Nr. 7
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Zugang zu e<strong>in</strong>er Genossenschaftswohnung zu bekommen, <strong>in</strong> die sie viel Zeit,<br />
Interesse und E<strong>in</strong>künfte <strong>in</strong>vestierten. Frau Milidić äußerte ihre Zukunftsperspektiven<br />
wie folgt:<br />
F: Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> langfristiger Mensch. (Lachen) [...] Ja, ich plane nicht, aber die<br />
Tatsache ist: Me<strong>in</strong>e Tochter ist e<strong>in</strong>e gute Schüler<strong>in</strong>, sie verdient e<strong>in</strong>e Möglichkeit,<br />
weiter zu machen – sie ist jetzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> 5. Klasse. D. h. wir bleiben sicher noch<br />
drei Jahre hier. Ich würde gerne versuchen, sie nach England zu schicken, um<br />
dort zu studieren, o<strong>der</strong> vielleicht zwei Jahre <strong>in</strong> Österreich, zwei Jahre <strong>in</strong><br />
Großbritannien [...] Dann werden wir sicher nicht 70 Jahre bleiben, [...]<br />
Vielleicht gibt es Sachen, die wir <strong>in</strong> Serbien motivieren können. Wir haben hier<br />
gelernt z. B. – was ich auch bewun<strong>der</strong>e – Bürger<strong>in</strong>itiativen. [...] Vielleicht können<br />
wir dort etwas machen, vielleicht können wir die Erfahrungen, die wir hier<br />
gesammelt haben, irgendwie transplantieren o<strong>der</strong> versuchen wenigstens. [...]<br />
Und wir s<strong>in</strong>d doch so die Leute, die mehr Natur mögen, ja, und ... hier gibt es<br />
freilich wun<strong>der</strong>schöne Landschaft, aber ich muß mich <strong>in</strong>s Auto setzen, um <strong>in</strong> die<br />
Natur zu fahren. Und dort haben wir Natur im Dorf, wo die Eltern leben. [...]<br />
Na ja! Vielleicht bleiben wir noch e<strong>in</strong> paar Jahre – das kann man nicht sagen.<br />
Ich liebe es, <strong>in</strong> Wien zu leben [...] Me<strong>in</strong>e Tochter ist immer sicher. Ich habe ke<strong>in</strong>e<br />
Angst, wenn sie um elf nach Hause kommt. Das ist sehr wichtig. Nicht zu sprechen<br />
vom Theater, von den Kulturangeboten, kulturellen Angeboten usw. D. h.<br />
es gibt sehr viele Vorteile; freilich gibt es Schwierigkeiten, aber ich habe da unten<br />
auch Schwierigkeiten gehabt. E<strong>in</strong>en idealen Ort gibt es nicht, glaube ich.<br />
[Familie Milidić I Z 1118-11135]<br />
In dieser Erzählung ersche<strong>in</strong>en die Zukunftsabsichten offen. Interessanterweise<br />
s<strong>in</strong>d die Arbeitschancen ke<strong>in</strong> Thema, vielmehr s<strong>in</strong>d die Zukunftsperspektiven <strong>der</strong><br />
Tochter ausschlaggebend für die Wahl des Wohnortes. Allerd<strong>in</strong>gs plant Familie<br />
Milidić, früher o<strong>der</strong> später <strong>in</strong> ihre Heimat zurückzukehren.<br />
Die Vermutung liegt nahe, daß diese Offenheit auf das Zusammenspiel unterschiedlicher<br />
Faktoren zurückzuführen ist: Sie s<strong>in</strong>d jung, haben weitgestreute<br />
Interessen und verfügen über materielle Wahlmöglichkeiten, die ihnen ähnlich wie<br />
Familie Sahoreviće<strong>in</strong>e Rückkehr <strong>in</strong> die Heimat pr<strong>in</strong>zipiell ermöglicht.<br />
Rückkehr als Utopie<br />
In an<strong>der</strong>en Fällen wird e<strong>in</strong>e Rückkehr zwar jahrelang herbeigesehnt, erweist sich<br />
allerd<strong>in</strong>gs mit <strong>der</strong> Zeit als unrealisierbar. So erzählt e<strong>in</strong> Sozialarbeiter von e<strong>in</strong>er<br />
Familie, die er jahrelang kannte:<br />
Wenn man sich den Verdienst anschaut, <strong>in</strong>klusive <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>beihilfe, wäre er<br />
gar nicht so schlecht gewesen, also wär eigentlich ziemlich viel Geld zur<br />
Verfügung gestanden. Dieses Geld wurde aber zu e<strong>in</strong>em großen Teil <strong>in</strong> die<br />
Türkei geschickt, erstens um Verwandte zu versorgen, zweitens um e<strong>in</strong> Haus dort<br />
zu bauen, weil die Eltern immer im Kopf hatten, wir gehen e<strong>in</strong>mal zurück.<br />
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ÖIF SCHRIFTENREIHE