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Kompendium der Familienforschung in Österreich, Schriftenreihe Nr. 7

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und <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>em Maße von Liebesbeziehungen. Sexualverhalten kann daher als<br />

Verkörperung von Liebe, als Mimik und Gestik <strong>der</strong> Beziehung, als ihre körpersprachliche<br />

Verleiblichung erlebt werden. Dies kann bewußt geschehen, weil man<br />

sich diese Dimension erschlossen hat und sie auch leben will. Es kann aber auch<br />

nur geahnt o<strong>der</strong> vorbewußt empfunden werden, weil physisches und psychisches<br />

Geschehen im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> psychosomatischen E<strong>in</strong>heit und Ganzheit des Menschen<br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verbunden s<strong>in</strong>d (wie z.B. die Gleichzeitigkeit von Körperreaktionen<br />

und Gefühlsempf<strong>in</strong>dungen illustriert). In beiden Fällen, bewußt und vorbewußt,<br />

besteht die Hoffnung, daß die sexuelle Körpersprache nicht „lügt“. Je<strong>der</strong> ist darauf<br />

angewiesen, daß tatsächlich die ersehnten und über-lebenswichtigen<br />

Grundbedürfnisse erfüllt werden. In diesem S<strong>in</strong>n ist die sexuelle Beziehung auch<br />

e<strong>in</strong> gegenseitiges Versprechen auf E<strong>in</strong>lösung <strong>der</strong> körpersprachlich vermittelten<br />

Inhalte. Frustrierung dieses „Versprechens“ kann als krankmachen<strong>der</strong> Stress zu<br />

sexuellen Funktionsstörungen führen, z.B. zu Libidoverlust o<strong>der</strong> sexueller Aversion,<br />

Potenz- o<strong>der</strong> Orgasmusproblemen. Die Libido kann vergehen, wenn sie ke<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Antwort erhält und ke<strong>in</strong>e umfassende genitale und die Beziehung<br />

betreffende Lust se<strong>in</strong> kann. Die Abneigung kann sich gegen e<strong>in</strong>e nicht als stimmig<br />

empfundene Sexualität richten und zwar auch dort, wo Sexualität nie bewußt unter<br />

diesem kommunikativen Aspekt gesehen wurde. Das belegt die sexualtherapeutische<br />

Praxis sehr deutlich. Natürlich gibt es auch an<strong>der</strong>e Störfel<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> jeweils<br />

eigenen Lebensgeschichte und körperlich-seelischen Verfassung, die das Erleben<br />

von Sexualität beh<strong>in</strong><strong>der</strong>n bis verunmöglichen können, sie stehen aber hier nicht zur<br />

Debatte.<br />

Diese Deutung von Sexualität kann im Falle positiver S<strong>in</strong>ngebung vielen e<strong>in</strong>e<br />

neue Sichtweise und zusätzliche Dimension eröffnen. Daraus können neue<br />

Qualitäten partnerschaftlichen Erlebens, neue Freiheit von Tabu und falscher<br />

Scham, neue Spiel-Räume <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es stimmigen kommunikativen Rahmens<br />

erwachsen. An<strong>der</strong>erseits wird verständlich, warum soviele Kämpfe <strong>in</strong> Beziehungen<br />

auf dem Feld <strong>der</strong> Sexualität ausgetragen werden. Gerade weil Sexualität<br />

Versprechen und Verkörperung von Liebe se<strong>in</strong> kann (und von den eigenen<br />

Sehnsüchten her se<strong>in</strong> soll), ist sie umgekehrt das naheliegendste Mittel des<br />

Liebesentzuges. „Liebe“ ist von allem Anfang an pr<strong>in</strong>zipiell unverzichtbar, auch<br />

wenn sie sich je nach Persönlichkeitsstruktur verschieden konkretisiert (vgl.<br />

Riemann 1977). Der Säugl<strong>in</strong>g erfährt sie als vorwiegend „affektive Zufuhr“ (Spitz<br />

1985), später wird sie als zunehmend gegenseitige Fürsorge um die ausreichende<br />

Erfüllung <strong>der</strong> Grundbedürfnisse erlebt. Im „ausreichend“ kommen die <strong>in</strong>dividuellen<br />

Unterschiede <strong>in</strong> psychischen Strukturen, Bedürftigkeit, Belastbarkeit,<br />

Wi<strong>der</strong>standskraft, kompensierenden Alternativen etc. zum Tragen, wie sie <strong>in</strong> und<br />

aus <strong>der</strong> jeweiligen Lebensgeschichte erwachsen s<strong>in</strong>d. Zu Beg<strong>in</strong>n ist jedenfalls die<br />

Bedürftigkeit größer als die Belastbarkeit. Von daher stammt wohl die Ur-Angst<br />

vor dem Verlust des Beziehungspartners o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er Liebe, also vor dem<br />

Liebesentzug. Aus späterer Zeit wird dieser den meisten <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form<br />

bekannt bis vertraut se<strong>in</strong>, wohl alle werden ihn fürchten! Dabei kann die alte Angst<br />

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