(1935), S. 4.
(1935), S. 4.
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einer Detektivschwarte indirekt aufzudecken, die sichmit äußerer Spannung begnügt<br />
und den Leser mit der sechsmal falsch beantworteten Frage " Wer ist der Mörder? "<br />
bloß an der Nase herumführt. Die Jungen auf diese Art zu überzeugen (und es<br />
geht!), ist besser, als bloß ihre Groschenhefte zu konfiszieren. -<br />
Münchhausen hat einmal geulkt:<br />
Ihr lieben Jungens, euch ist ja gelehrt,<br />
warum die Dichter was dichten:<br />
Ihr wißt, der Zweck ist stets die Moral<br />
bei allen solchen Geschichten<br />
Moral in der Schule ist besonders scheußlich, wenn sie an den Haaren herbeigezogen<br />
wird. Das soll schon vorgekommen sein. Also Vorsicht! Aber bisweilen<br />
ergeben sich ethische Fragen ganz von selbst. So in der " Judenbuche" Friedrich<br />
Mergel ist schuldig geworden durch sein maßloses Geltungsbedürfnis, das er auf<br />
ehrliche Weise nicht befriedigen konnte, und der Spott der Kameraden hat ihn eine<br />
peinliche Lage so auskosten lassen, daß er in aufflammender Wut zum Totschläger<br />
wird. Das stellen wir heraus - die " Moral" zu ziehen, überlasse ich den Jungen<br />
selbst,denn eine lehrhafte Verallgemeinerung würde die Wirkung abschwächen.<br />
Dagegen ist zum Beispiel bei Hebbels " Agnes Bernauer" alles auf die zentrale<br />
Frage anzulegen! Durfte die Unschuldige geopfert werden? Die Betrachtung der<br />
Charaktere muß ins Licht dieses Problems gerückt, es muß den jungen Menschen<br />
das Ungeheuerliche dieser Tragik offenbar werden. Diesmal kann ich es den dialektisch<br />
ungeschulten Geistern nicht überlassen, das ethischeUrteil selbstzu finden. Zwar sie<br />
verstehen schnell Hebbels Idee: die Staatsräson fordert das Haupt der Unschuldigen;<br />
Gemeinnutz geht vor Eigenrecht. Aber die Formel ist, scheintes, so einleuchtend für<br />
den Verstand, daß der jugendliche Geist - selbst ehrlich zum Opfer bereit - die Sache<br />
zu leicht nimmt, etwa so: es ist ja ein schweres Geschick,aber das Vaterland fordert<br />
es eben. Leichter fiele dem jungen Menschen,<br />
theoretisch wenigstens, der Urteilsspruch<br />
als dem alten Herzog, der ihn sichin schwerer Prüfung abringen muß, weil er weiß:<br />
man spielt nicht mit Menschenleben, man spielt noch weniger mit einem Justizmord.<br />
Warum hat Hebbel die Agnes mit solch rührendem Liebreiz ausgezeichnet? Warum<br />
hat er ihre Anspruchslosigkeit, ihren Verzicht auf jede äußere Würde bei aller Hoheit<br />
der Gesinnung so eindringlich betont? Warum die Grausamkeit dieses Todes so<br />
unerbittlich vor Augen gestellt? Um die ganze Schwere der Verantwortung aufzuzeigen<br />
die Herzog Ernst auf sich lädt, wenn er in diesem einen grauenvollen<br />
Sonderfall zu dem Schluß kommt: ohne diese Rechtsbeugung wankt der Staat, es<br />
muß sein: " Agnes Bernauer, fahr hin!" Je schwerer der Entschluß und je reiner das<br />
Opfer, desto gewaltiger erscheint die Idee, die es fordert: der Staat. -<br />
Über solchen Betrachtungen vergessen wir nicht, daß Dichtung Sprachkunstwerk<br />
ist. Bei der Lyrik versteht sich das von selbst. Freilich gehört die Erschließung eines<br />
lyrischen Gedichts zu den schwerstenAufgaben des Deutschunterrichts. Man muß<br />
behutsam vorgehen, muß spüren, wenn die Teilnahme nachläßt, und dann sofort<br />
aufhören. Denn hier läßt sichnichts erzwingen. Aber wenn alle Umstände günstig<br />
sind Klasse, Gegenstand, Stimmung - , dann kann man wohl einmal zwei kurze<br />
Frühlingsgedichte so eingehend vergleichen, daß eine genußreiche halbe Stunde