Uns geht's ums Ganze – Mädchen auf Identitätssuche
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Lesung aus „Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus“<br />
Lesung aus „Deutschland<br />
Schwarz Weiß: Der alltägliche<br />
Rassismus“<br />
Noah Sow, Autorin<br />
• Neue Muster schaffen:<br />
Die Politik des persönlichen Verhaltens<br />
Neue Muster zu schaffen ist schwer. Momentan wird noch<br />
jeder Einzelne von uns dafür belohnt, wenn wir die alten<br />
Muster und Stereotypen bedienen. Wer mit plakativen<br />
Exotismen arbeitet, bekommt mehr Aufmerksamkeit, mehr<br />
Publikum, mehr Geld.<br />
Wir sollten es trotzdem wagen.<br />
Deshalb möchte ich im Folgenden <strong>auf</strong>rufen zu mehr Intoleranz.<br />
Ja, Sie lesen richtig.<br />
»Toleranz« beschreibt nämlich die Fähigkeit, etwas zu<br />
ertragen. In der Tat: Ertragen muss man Beleidigungen,<br />
Schläge, ein System, in dem man unterdrückt wird,<br />
lachende Gaffer bei einer öffentlichen Demütigung oder<br />
Gleichgültigkeit. Wenn Nachbarn einziehen, die nicht den<br />
ganzen Tag schreien und den Zaun ruinieren, gibt es nichts<br />
zu ertragen. Wenn in der U-Bahn außer mir noch weitere<br />
Leute sind, gibt es nichts zu ertragen. Wenn mir Ihre Haare<br />
nicht gefallen, gibt es nichts zu ertragen.<br />
Zeigen Sie also Intoleranz gegen Rassismus, Intoleranz<br />
gegen Übergriffe und auch Intoleranz gegenüber dem<br />
Betragen von Leuten, die sich als naturgegeben Überlegene<br />
<strong>auf</strong>spielen, denn ihr persönliches Verhalten ist keine<br />
bloße Privatangelegenheit.<br />
• Handeln Sie.<br />
Sich mit etwas nur theoretisch auseinanderzusetzen genügt<br />
nicht. Schwarze Menschen arbeiten andauernd gegen Rassismus<br />
und müssen viel Energie <strong>auf</strong>wenden, um zu erklären,<br />
zu verhandeln, zu vereinfachen, zu verdeutlichen. Mein<br />
Buch ist also nicht das erste und wird vermutlich auch nicht<br />
das letzte zu diesem Thema sein.<br />
Rassismus ist kein schwarzes, sondern ein weißes Problem.<br />
Sie müssen begreifen, dass Sie den Schuh, den Sie sich<br />
nicht anziehen wollen, bereits tragen. Erst dann können Sie<br />
ihn wieder loswerden.<br />
Rassismus verletzt unsere ganze Gesellschaft, und bei<br />
genauem Hinsehen sind in jedem rassistischen System alle<br />
Menschen <strong>auf</strong> unterschiedliche Art betroffen. Weiße Menschen<br />
verlieren ihre Würde, wenn sie Rassismus ausüben<br />
oder geschehen lassen. Sie verlieren die Möglichkeit zu<br />
unvorbelasteter Interaktion. Und sie verlieren die Option,<br />
als selbstbestimmte Personen zu handeln, wenn sie sich<br />
ihrer Privilegien in einer rassistischen Gesellschaft nicht<br />
bewusst sind.<br />
Tun Sie also nicht so, als sei das nicht Ihr Problem, und<br />
schieben Sie Rassismus nicht <strong>auf</strong> ein Machtspielchen zwischen<br />
Medien, Nazis und Schwarzen, denn das ist er nicht.<br />
Und denken Sie bitte auch nicht: »Das wird schon«. In die<br />
Aufrechterhaltung eines rassistischen Status quo ist schon<br />
so viel Energie gesteckt worden, dass große Anstrengungen<br />
erforderlich sind, um ihn zu durchbrechen.<br />
Eines ist klar: Als weiße Person profitieren Sie automatisch<br />
von Rassismus. Bis Sie selbst etwas dagegen tun.<br />
• Fangen Sie bei Ihrem Alltag an.<br />
Übernehmen Sie Verantwortung. Fragen Sie sich, inwiefern<br />
Sie selbst von der Fortführung von Rassismus profitieren.<br />
Werden Sie sich Ihrer Privilegien bewusst, die Sie <strong>auf</strong><br />
Kosten anderer Menschen genießen, und geben Sie sie <strong>auf</strong>.<br />
Treten Sie aus der schützenden Anonymität heraus und<br />
stellen Sie sich Rassismus entgegen, wann immer er Ihnen<br />
begegnet. Erklären Sie. Verhandeln Sie.<br />
Betrachten Sie Deutschland nicht als weiß. Sagen Sie das<br />
Aussehen bei jedem Menschen dazu oder lassen Sie es<br />
ganz weg. Hören Sie hin. Wenn es heißt: »Eine Gruppe<br />
dicker Menschen wurde in Deutschland neulich doch auch<br />
verfolgt«, fragen Sie nach, ob die Dicken schwarz oder<br />
weiß waren. Achten Sie <strong>auf</strong> Ihren Sprachgebrauch. Sagen<br />
Sie »ohne Ticket fahren« statt »schwarzfahren«, und definieren<br />
Sie Sven und Grace nicht als »Ausländer«, sondern<br />
als »Maler und Münzensammler« beziehungsweise »Nachbarin<br />
und Mutter von zwei Kindern«.<br />
Ja, Sie müssen eventuell Ihr Vokabular <strong>ums</strong>tricken, und<br />
das mag vielleicht anstrengend sein (positive Menschen<br />
nennen das »spannend« oder »eine Herausforderung«). Sie<br />
können das aber Schritt für Schritt angehen.<br />
Wenn Sie im Mediengeschäft arbeiten: Widerstehen Sie<br />
dem Impuls, Ihr Gehirn und Gewissen abzuschalten (das<br />
ist schwer in den Medien, ich weiß) und giftige Klischees<br />
zu bedienen. Fragen Sie sich im Zweifelsfall politischer