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Bei den Menschen sein - Diözese Rottenburg-Stuttgart

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unterbreitete, eine kirchliche Basisgemeinde<br />

zu formen. Ich wagte dieses<br />

Thema anzuschnei<strong>den</strong>, weil die Gruppe<br />

sich und auch mich schon gut<br />

kannte. Es war eine „zähe“ Angelegenheit,<br />

zu einem Gespräch in dieser<br />

Runde zu kommen, noch dazu zum<br />

Thema „Kirche“. Dann geschah so etwas<br />

wie ein kleines „Pfingstwunder“:<br />

einer fing an in „<strong>sein</strong>er Sprache“ zu re<strong>den</strong>;<br />

und er redete von sich, von <strong>sein</strong>er<br />

Vergangenheit, als gemeiner Dieb<br />

und Drogenabhängiger. Und alle fingen<br />

an, zu re<strong>den</strong>, ohne Hemmungen,<br />

ohne Angst. Alle redeten davon, was<br />

sie schon lange bedrückte, was sie los<br />

wer<strong>den</strong> wollten, was sie befreite. Das<br />

Wort „Kirche“ war nicht gefallen, doch<br />

was sich hier ereignete und jeder spürte,<br />

war „erlebte Kirche“, war die Gegenwart<br />

des Geistes Jesu Christi, der<br />

befreite, der Vertrauen weckte, der uns<br />

menschlich näher brachte.<br />

Neben dem Sich-Kennenlernen<br />

sind es zunächst vor allem die gemeinsamen<br />

sozialen Probleme, die eine Basisgemeinde<br />

zusammenführen und zusammen-„schweißen“:<br />

Als vor sechs<br />

Jahren diese Villa entstand, versprach<br />

die Stadtverwaltung von Quilmes (eine<br />

„Vorstadt“ mit 700.000 Einwohnern),<br />

daraus eine „or<strong>den</strong>tliche“ Siedlung mit<br />

entsprechender Infrastruktur zu machen.<br />

Der Geist Jesu verändert<br />

Es gab verschie<strong>den</strong>ste Kommissionen,<br />

die sich bildeten und wieder auflösten,<br />

hunderte von Versammlungen, dutzende<br />

von Petitionen an die Stadt, an<br />

das Land und an die Nation gerichtet,<br />

letztlich gab es - außer leeren Versprechungen<br />

- nichts. Es gab jedoch inzwischen<br />

eine kirchliche Basisgemeinde,<br />

die sich der sozialen Problemen federführend,<br />

intelligent und mit Courage<br />

annahm. Es gelang ihr, die Medien auf<br />

die prekäre Situation in spektakulärer<br />

Weise aufmerksam zu machen. Ein erstes<br />

Ergebnis dieses Bemühens: die<br />

Villa hat endlich genügend Trinkwasser.<br />

Neben <strong>den</strong> sozialen Herausforderungen,<br />

<strong>den</strong>en sich die Basisgemeinde<br />

gestellt hat und die von ihr viel abverlangen,<br />

versammelt sie sich regelmäßig<br />

alle 14 Tage zum Bibel-Gespräch<br />

und Gebet.<br />

Ich konnte mit Erstaunen und<br />

Freude, ja hautnah erfahren, wie der<br />

Geist Jesu die <strong>Menschen</strong> mit der Zeit<br />

wirklich verändern kann.<br />

Wie anders könnte es <strong>den</strong>n <strong>sein</strong>,<br />

dass María Avila in einer Versammlung<br />

Federico Freybler mit Kindern der Gemeinde in „<strong>sein</strong>er“ Villa.<br />

von einer aufgebrachten Nachbarín<br />

eine Ohrfeige einstecken musste, und<br />

darauf ruhig antwortete: „Jesus hat<br />

gesagt, wenn dich einer auf die linke<br />

Wange schlägt, dann halte ihm auch<br />

die rechte hin“. Es ist völlig un<strong>den</strong>kbar,<br />

dass María noch vor drei Jahren<br />

so geantwortet und gehandelt hätte.<br />

Erstens hätte sie <strong>den</strong> Namen „Jesus“<br />

nie in <strong>den</strong> Mund genommen und zweitens<br />

hätte sie die Angreiferin „krankenhausreif“<br />

geprügelt.<br />

<strong>Bei</strong>m letzten großen Regen wurde<br />

die Hütte einer Nachbarin von Carina<br />

kniehoch unter Wasser gesetzt. Das<br />

ist schlimm, <strong>den</strong>n die Fäkaliengruben<br />

sind nicht tief genug. Das Regenwasser<br />

überschwemmt die Gruben und<br />

befördert <strong>den</strong> ganzen Unrat auch in<br />

die Hütte! Carina nahm die ganze betroffene<br />

Familie wie selbstverständlich<br />

in ihre Behausung auf. Insgesamt waren<br />

es zwölf Personen, die in unvorstellbarer<br />

Enge drei Wochen zusammenlebten.<br />

Der Staat hilft nicht<br />

Veronica mit drei Kindern war in einer<br />

ähnlichen Lage, das Hochwasser war<br />

auch in ihre Hütte eingedrungen: „Ich<br />

glaube, meine Nachbarin ist schlimmer<br />

dran als ich, könntet ihr nicht zunächst<br />

einmal ihre Hütte in Ordnung bringen!“<br />

Welch noble solidarische Geste!<br />

Ein brutaler Vater züchtigte <strong>sein</strong>en<br />

zweijährigen Sohn, indem er das<br />

Kind mehrmals in einer Wassertonne<br />

untertauchte und es wahrscheinlich<br />

ertränkt hätte, wäre nicht María dazugekommen,<br />

die dem Vater eine kräftige<br />

Ohrfeige verpasste, das Kind aus<br />

der Wassertonne zog und die Polizei<br />

verständigte. <strong>Bei</strong><strong>den</strong> Eltern wurde das<br />

Sorgerecht nicht nur für dieses, sondern<br />

auch für die bei<strong>den</strong> Geschwister<br />

von vier und fünf Jahren entzogen.<br />

María hat sich der Kinder angenommen,<br />

mit ihren eigenen vier hat sie nun<br />

sieben Kinder im Alter von zwei bis<br />

neun Jahren zu versorgen. Der Staat<br />

hilft ihr nicht. Soziale Unterstützung für<br />

kinderreiche Familien gibt es erst ab<br />

dem achten Kind… María arbeitet in<br />

der Küche unseres Sozial-Zentrums.<br />

Wenigstens ist das Essen für die Kinder<br />

gesichert.<br />

So ganz nebenbei: Die Zeitungen<br />

veröffentlichten in diesen Tagen, dass<br />

sich das erklärte Vermögen des Präsi<strong>den</strong>ten-Paares<br />

Kirchner im Jahr 2008<br />

um 158%, von 17 auf 46 Millionen Pesos<br />

erhöht habe…<br />

Ganz ohne Zweifel: Die kirchliche<br />

Basisgemeinde „Ceferino Namuncurá“<br />

ist zur führen<strong>den</strong> Gruppe in dieser Villa<br />

Miseria herangewachsen. Der Samen<br />

des Wortes Gottes fiel nicht nur unter<br />

Dornen oder auf steinigen Weg, sondern<br />

auch auf fruchtbaren Bo<strong>den</strong>: der<br />

Geist Jesu Christi lebt unter <strong>den</strong> Armen<br />

und manifestiert sich in <strong>den</strong> Worten<br />

und Taten dieser <strong>Menschen</strong>.<br />

Federico Freybler, zum Diözesanpriester<br />

geweiht am 4. Juli 1971, sieben<br />

Jahre als Priester in der <strong>Diözese</strong> <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />

tätig, dann fast 30<br />

Jahre Aufenthalt als Priester in Argentinien,<br />

12 Jahre Priester in der Provinz<br />

Santiago del Estero, danach im Großraum<br />

Buenos Aires. Seit Juli 2003<br />

Pfarrer in der Gemeinde „San Juan<br />

Bautista.“<br />

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