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Das Regionale Patientenmagazin - Pieks 05/2014

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DAS REGIONALE PATIENTENMAGAZIN | TAGESTOUR Seite 6<br />

Reise in die Vergangenheit<br />

Ein verlassenes Eifeldorf – und eine Begegnung mit einem ehemaligen Bewohner<br />

Diese alte Postkarte zeigt das Dorf Wollseifen, bevor die Bewohner es verlassen mussten.<br />

Foto: Archiv Sistig<br />

Eigentlich wollte ich darüber<br />

nicht mehr reden“,<br />

sagt Franz-Josef<br />

Sistig und schüttelt langsam<br />

den Kopf. Er sitzt in seiner<br />

Wohnung in Schleiden-Gemünd<br />

in der Nordeifel und<br />

nimmt einen Schluck Kaffee.<br />

Nach einer kurzen Pause redet<br />

er doch. Über Wollseifen,<br />

sein Heimatdorf, das er als<br />

17-Jähriger gemeinsam mit<br />

den 550 anderen Einwohnern<br />

verlassen musste. Über<br />

ein Dorf, das es im Jahr 1946<br />

plötzlich nicht mehr geben<br />

durfte.<br />

„Fünfzehn Monate nach<br />

Kriegsende kamen sie und<br />

schmissen uns raus“, sagt<br />

Sistig. Nach dem Ende des<br />

Krieges fordert die britische<br />

Militärregierung die Bewohner<br />

von Wollseifen auf, innerhalb<br />

von drei Wochen ihre<br />

Häuser zu verlassen.<br />

Auf dem Gelände rund um<br />

die ehemalige NS-Ordensburg<br />

Vogelsang soll ein Truppenübungsplatz<br />

entstehen.<br />

Wollseifen liegt mitten in der<br />

sanften Hügellandschaft –<br />

und ist deshalb im Weg.<br />

„Meine Eltern haben damals<br />

gedacht, dass wir wieder zurückkommen“,<br />

erzählt Sistig.<br />

Ihm, dem 17-Jährigen, sei<br />

schnell klar gewesen, dass<br />

das nicht der Fall sein würde.<br />

„Wir waren jung und haben<br />

das damals lockerer genommen<br />

als unsere Eltern“, erzählt<br />

er.<br />

Was auf die Vertreibung<br />

aus dem Dorf folgt, darauf ist<br />

Sistig, der mit seiner Familie<br />

zunächst im Nachbardorf<br />

Herhahn unterkommt, dann<br />

allerdings nicht vorbereitet.<br />

Die Häuser verfallen, werden<br />

zerschossen, brennen durch<br />

Übungen mit Phosphorgranaten<br />

oft bis auf die Grundmauern<br />

nieder. „Spätestens<br />

als 1947 die Kirche brannte,<br />

wussten wir, dass wir nicht<br />

zurück können“, sagt Sistig.<br />

„Die Hoffnung war weg.“ Es<br />

fällt ihm auch heute noch<br />

Die Dorfkirche wurde restauriert.<br />

schwer, über diesen Moment<br />

zu sprechen.<br />

Am Anfang fahren die<br />

Männer noch zum Löschen<br />

der vielen Brände, die durch<br />

die Übungen entstehen, nach<br />

Wollseifen – und, um zu retten,<br />

was zu retten ist.<br />

Ein Gottesdienst pro Jahr<br />

Doch die Besuche sind<br />

nicht nur verboten, sondern<br />

bald auch sinnlos – es gibt<br />

nichts mehr zu retten. Offiziell<br />

dürfen die Dorfbewohner<br />

nur einmal im Jahr nach<br />

Wollseifen, um einen Gottesdienst<br />

zu feiern. Bei jedem<br />

Besuch ist weniger vom Dorf<br />

zu erkennen. „Es war ganz<br />

Foto: Maren Meißner<br />

schlimm. Man kann es sich<br />

nicht vorstellen“, sagt Franz-<br />

Josef Sistig.<br />

Auf die englischen Soldaten<br />

folgen 1950 die belgischen.<br />

Zweimal wöchentlich<br />

wird das Dorf ab 1954 vom<br />

belgischen Truppenübungsplatz<br />

Elsenborn aus mit Artillerie<br />

beschossen. Bis 20<strong>05</strong><br />

nutzen die Belgier den Ort –<br />

oder das, was von ihm übrig<br />

geblieben ist. Für den Einsatz<br />

der Soldaten im Kosovo<br />

werden mehrere „Kulissenhäuser“<br />

gebaut, um den Häuserkampf<br />

zu trainieren.<br />

Erst seit dem 1. Januar<br />

2006 ist Wollseifen wieder<br />

zugänglich. 68 Jahre nach<br />

der Vertreibung seiner Bewohner<br />

ist von dem Dorf mit<br />

Schule, Kneipen und Kaufhaus<br />

nur wenig übrig geblieben.<br />

Mehrere Wanderwege<br />

führen heute nach Wollseifen,<br />

das im Nationalpark Eifel<br />

liegt und deshalb nicht<br />

mit dem Auto erreichbar ist.<br />

Hans-Georg Stump ist die<br />

Wanderwege schon hunderte<br />

Male gegangen. „30- bis 40-<br />

mal im Jahr“, schätzt er,<br />

kommt er jedes Jahr nach<br />

Wollseifen. Und das, obwohl<br />

er mit dem Dorf eigentlich<br />

gar nichts zu tun hat. Vor<br />

Jahren sah er einen Fernseh-

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