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UNTERRICHTSPRAXIS
240
Unterrichts-Modell
folgende Kriterien für die Anerkennung
als Märtyrer vor:
a. Die Tatsache des gewaltsamen
Todes (martyrium materialiter)
b. Der Glaubens- und Kirchenhass
bei den Verfolgern (martyrium formaliter
ex parte tyranni)
c. Das Zeugnis des Glaubens auf Seiten
der Opfer (martyrium formaliter
ex parte victimae)
INFO IV
Islamisches Verständnis
des Märtyrers
Um das spezifisch islamische Verständnis
des Märtyrers aus heutiger
Zeit besser zu verstehen, muss man
seine rechtssprachliche Herkunft berücksichtigen,
bei der von jeher militärische
Aspekte eine größere Rolle
spielten. In der Hadith Literatur ist
Märtyrer der, der im Dschihad für Allah
in sicherer Erwartung eines unmittelbar
bevorstehenden paradiesischen
Lebens den Opfertod erlitten hat –
und das ist zuerst der muslimische
Soldat. Sein Tod hat sühnende Wirkung,
ihm wird das Reinigungsfeuer
erlassen und der Tag des Gerichts
bleibt ihm erspart. Er darf die höchste
Stufe im Paradies einnehmen und neben
Gottes Thron stehen.
Die heutigen Selbstmordattentäter
greifen von daher alte Glaubensüberlieferungen
auf und radikalisieren sie.
Obwohl die direkte Suche nach dem
Tod für jeden gläubigen Muslim ein
Tabu ist, kommt sie doch dem in allen
drei Religionen verbotenen Selbstmord
nahe, und auch die Mitnahme
unschuldiger Opfer keinesfalls erlaubt
ist, werden die extremistischen Selbstmordattentäter
von der überwiegenden
Zahl der islamischen Rechtsgelehrten,
Schulen und Theologen in
entsprechenden fatwas wie Soldaten
und Widerstandskämpfer zu den Märtyrern
gezählt, sofern sie in einem ´gerechten´
Verteidigungskrieg gegen
´Feinde des Islam´ zu Tode gekommen
sind. Von daher werden Selbst-
mordattentäter in den arabischen bzw.
islamischen Medien durchweg als
Märtyrer benannt und so die zugespitzte
Selbstbezeichnung militanter
islamischer Gruppen unkritisch übernommen.
Maier, Hans: Religion und Gewalt, in: Internationale
Zeitschrift Communio (32) 2003. S.259-
272. Hier bes. S.268ff.
Aufgaben:
1. Mohammed Atta sah seinem Testament
zufolge seine Tat als Auftrag
Gottes und als Chance, sich ihm endlich
ganz hinzugeben. Kann er hinsichtlich
des „gemeinsamen“ Verständnisses
(INFO II) als Märtyrer
bezeichnet werden?
2. Beurteile: Ließen sich die Kriterien
der katholischen Kirche (INFO III)
auch auf islamistische „Märtyrer“
wie M. Atta anwenden? Reichen
Sie aus, um den anerkannten Märtyrer
M. Kolbe von dem fragwürdigen
„Märtyrer“ M. Atta zu unterscheiden?
3. Was sagt das Koranzitat über die
möglichen Motive muslimischer
Märtyrer aus? Denkt dabei z.B. an
die Lebensbedingungen in palästinensischen
Flüchtlingslagern.
Abschließende Aufgaben:
1. Wenn das Töten unschuldiger Opfer
keineswegs zum Selbstverständnis
des Islam gehört und zudem der
Selbstmord Tabu ist, warum werden
dennoch Selbstmordattentäter
von vielen muslimischen Gläubigen
und Geistlichen als „Märtyrer“
bezeichnet und verehrt?
2. Erörtert: Was bedeutet die Erweiterung
und Radikalisierung des Märtyrerbegriffs
für das christlich – islamische
Gespräch?
M 3a/b Brennpunkt: Scharia
Didaktischer Hinweis:
Das Phänomen der Scharia entspringt
der engen Verquickung zwischen
Religion und Staat im Islam und
ist im Westen vor allem aufgrund der
öffentlich gewordenen z.T. drakonischen
Strafmaßnahmen bekannt. Der
Informationstext verdeutlicht bereits
die Schwierigkeiten, gültige Regeln allein
aus Koran und Sunna abzuleiten,
sind diese doch nicht auf alle Bedürfnisse
des modernen Staates übertragbar.
Die Prinzipien des Analogieschlusses
und der Übereinstimmung
lassen Spielraum für regional unterschiedliche
Interpretationen – die als
Beispiele aufgeführten in der Scharia
festgelegten Strafen kommen also
nicht überall im Islam zur Anwendung.
M 3b Eine sichtbare Spannung besteht
zwischen Scharia und Menschenrechten
– das Beispiel der Kairoer „Erklärung
der Menschenrechte im Islam“
verdeutlicht dies. Zwar werden die
grundlegenden Rechte und Freiheiten
des Menschen als integraler Bestandteil
der islamischen Religion betrachtet
und ihre Einhaltung als ein Akt der
Verehrung Gottes gesehen, doch werden
diese Menschenrechte in der Scharia
begründet und von dieser auch begrenzt.
Mit der westlichen Auffassung
vom Schutz der Menschenrechte – ungeachtet
ihrer de facto zahlreichen Verletzungen
– kollidiert eine solche Auffassung.
M 3a Die Scharia – Gesetz und Pflicht
für jeden Muslim
Scharia ist arabisch und bedeutet
„Gesetz“. Die Scharia wird im Westen
vor allem dann wahrgenommen, wenn
in einem moslemischen Land drakonische
Strafen gegen Leib und Leben
verhängt werden. Dabei ist sie weit
mehr als ein Strafgesetz.
Sie wird auf Allah als obersten Gesetzgeber
aller Muslime zurückgeführt.
Da der Islam keinen Unterschied zwischen
der Umma, der Gemeinschaft aller
Muslime, und dem Staat macht, ist
INFO 33 · 4/2004