Einsichten - Ludwig-Maximilians-Universität München
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Die digitale Gesellschaft: Impulse für das Wachstum<br />
Man kann das Computerzeitalter<br />
überall sehen, nur nicht in Produktivitäts-Statistiken.“<br />
Mit diesen<br />
Worten formulierte der amerikanische<br />
Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Solow<br />
1987 eine Einschätzung, die als „Solow-<br />
Paradox“ zum feststehenden Begriff in der<br />
Ökonomie geworden ist. Die Digitalisierung<br />
der Wirtschaft mache die Gesellschaft<br />
nicht reicher – vor gut 25 Jahren haben<br />
die nackten volkswirtschaftlichen Daten zu<br />
diesem überraschenden Ergebnis geführt.<br />
Heute zeigen neue Untersuchungen ganz<br />
andere Ergebnisse.<br />
Professor Tobias Kretschmer, der das Institut<br />
für Strategie, Technologie und Organisation<br />
an der BWL-Fakultät der LMU leitet, will<br />
möglichst genau ergründen, welchen Einfluss<br />
die Digitalisierung auf den Wohlstand<br />
hat. Eine Studie etwa zur Frage, welche Folgen<br />
eine höhere Verbreitung von Breitband-<br />
Internetanschlüssen für das Wachstum hat,<br />
bestätigte einen solchen unerwartet deutlichen<br />
Zusammenhang. „Wir waren selbst<br />
einigermaßen erstaunt, wie hoch der Effekt<br />
ist“, sagt der Münchner Ökonom.<br />
Kretschmer, der auch den Bereich Industrieökonomik<br />
und Neue Technologien am<br />
ifo Institut leitet, will Solow aber nicht vorwerfen,<br />
er hätte sich geirrt. „Es gab damals<br />
einfach sehr große Messprobleme“, stellt<br />
Kretschmer fest. In den Statistiken einzelner<br />
Unternehmen wie auch der gesamten Volkswirtschaft<br />
wurden die Investitionen in Informations-<br />
und Kommunikationstechnik (IKT)<br />
lange Zeit meist nicht im Einzelnen aufgelistet.<br />
Wenn ein Autokonzern beispielsweise<br />
durch Einsatz von Computern die Beschaffung<br />
und die Verarbeitung von Stahlblechen<br />
effizienter gestaltete, zeigten die Daten zwar<br />
eine höhere Produktivität – nämlich einen<br />
geringeren Einsatz von Material, während<br />
mindestens genauso viele oder sogar mehr<br />
Autos vom Band rollten. In früheren Jahrzehnten<br />
war es allerdings schwierig herauszufiltern,<br />
durch welche einzelnen Faktoren<br />
sich diese höhere Produktivität erklären<br />
lässt.<br />
Inzwischen können Ökonomen detailliert<br />
aufschlüsseln, welche unternehmerischen<br />
Maßnahmen welchen Einfluss auf die Produktivität<br />
haben. Spezielle Formeln erlauben<br />
es, die Unterschiede zwischen den Vorgehensweisen<br />
verschiedener Firmen herauszurechnen,<br />
sodass am Ende die Frage im<br />
Mittelpunkt steht, wie sich unterschiedlich<br />
hohe Investitionen in Informations- und<br />
Kommunikationstechnologie auf die Produktivität<br />
des jeweiligen Unternehmens auswirken.<br />
Diese Studien zeigen eindeutige<br />
Ergebnisse. Nach Berechnungen, die Tobias<br />
Kretschmers Team gemacht hat, haben in<br />
den 1980er- und 1990er-Jahren um zehn<br />
Prozent höhere IKT-Investitionen den Output<br />
der entsprechenden Firma um 0,5 Prozent<br />
gesteigert. Später hat sich diese Maßzahl<br />
auf ein Prozent verdoppelt. „Das ist<br />
wirklich ein ordentlicher Wert“, meint<br />
Kretschmer. Wenn etwa ein Autokonzern mit<br />
dem gleichen Einsatz von Arbeitsstunden<br />
und Material 1010 Autos bauen kann statt<br />
1000, dann verbessere er seine Position zu<br />
den Wettbewerbern nicht unwesentlich.<br />
Für die gesamte Volkswirtschaft beobachtet<br />
der Institutsleiter sogar einen noch stärkeren<br />
Einfluss neuer technologischer Entwicklungen<br />
auf die Produktivität und das Wirtschaftswachstum.<br />
Allein eine Steigerung<br />
Kollegen haben<br />
zuerst den Kopf<br />
geschüttelt<br />
der Verbreitung von Breitband-Internetanschlüssen<br />
um zehn Prozent erhöht die<br />
Wirtschaftsleistung um 0,9 bis 1,5 Prozent,<br />
daran hat Kretschmer nach verschiedenen<br />
Berechnungen seines Instituts keinen Zweifel.<br />
Von anderer Seite gab es solche Zweifel<br />
durchaus. Unter Kollegen habe er mit seinen<br />
Daten immer wieder Kopfschütteln aus-<br />
gelöst, erzählt Kretschmer: „Der Hauptkritikpunkt<br />
an den Zahlen war: Die sind zu gut,<br />
das kann gar nicht sein.“<br />
Er habe mit seinem Team deshalb diese Kritik<br />
aufgegriffen. „Wir haben alles versucht,<br />
die Ergebnisse zu zerstören.“ Am Ende ergaben<br />
die Kalkulationen jedoch immer wieder<br />
den gleichen Schluss: Eine möglichst weite<br />
Verbreitung leistungsfähiger Digitalanschlüsse<br />
steigert den Wohlstand der Gesellschaft<br />
spürbar. Die Glasfasern, die in den<br />
Datenkabeln stecken, sind gleichsam Dünger<br />
für das Wirtschaftswachstum, ebenso<br />
wie das Silizium der Computerchips.<br />
Breitbandnetze beflügelten die Konjunktur<br />
auf unterschiedliche Weise, erklärt Kretschmer.<br />
Je einfacher der Datenaustausch ist,<br />
desto leichter falle es beispielsweise Firmen,<br />
innovativ zu sein. Wenn eine Firma Entwickler<br />
und Beschäftigte der Produktion an verschiedenen<br />
Standorten hat – was von einer<br />
gewissen Unternehmensgröße an fast zwingend<br />
ist –, dann können sich die Fachleute<br />
der verschiedenen Abteilungen via Breitband<br />
mit einer Leichtigkeit austauschen, die<br />
früher nicht denkbar war: „Die Entwickler<br />
überlegen sich etwas, sie übermitteln das<br />
an die Kollegen in der Produktion, die spielen<br />
das bei sich durch und geben bald schon<br />
die Rückmeldung: Ja, das geht. So etwas<br />
wird erst möglich, wenn man schnell große<br />
Datenmengen übermitteln kann.“<br />
Aber auch in ganz anderen Bereichen beflügelt<br />
Highspeed-Internet die Wirtschaft, ist<br />
sich Kretschmer sicher. Wer heute einen<br />
Arbeitsplatz sucht, der wirklich zu ihm passt,<br />
muss nicht mehr Hunderte Stellenanzeigen<br />
in Zeitungen durchforsten. „Job-Matching“<br />
sei wesentlich einfacher geworden. Und<br />
wenn Bewerber und Stelle wie füreinander<br />
gemacht sind, ist die Wahrscheinlichkeit<br />
größer, dass der neu eingestellte Mitarbeiter<br />
gewinnbringend eingesetzt werden kann.<br />
Wenn Kretschmer Ratschläge an Unternehmenschefs<br />
oder Politiker geben soll, dann<br />
fällt ihm daher eine Grundbotschaft leicht:<br />
Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnik<br />
lohnen sich. Sofern sie mit<br />
20 <strong>Einsichten</strong> – Das Forschungsmagazin Nummer 2 / 2013