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Einsichten - Ludwig-Maximilians-Universität München

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Büchertisch<br />

„Nationalsozialist des Herzens“, Dr. Oetker durch die Kriegsjahre.<br />

Er kooperierte mit der SS und profitierte von Arisierungen. An<br />

Menschenversuchen der SS für neuartige Trockennahrung aus<br />

Abfallprodukten war Dr. Oetker unter Kaselowsky aber wohl nicht<br />

beteiligt, haben die Forscher herausgefunden. Spät haben sich die<br />

Erben des Wirtschaftswunder-Imperiums der eigenen Geschichte<br />

gestellt. Verhindert hatte dies vor allem Rudolf-August, der noch<br />

nach dem Krieg alte SS-Kameraden unterstützte und seinem 1944<br />

verstorbenen Nazi-Stiefvater Kaselowsky treu ergeben blieb. (mbu)<br />

Brauner Pudding<br />

Jürgen Finger, Sven Keller, Andreas Wirsching: Dr. Oetker und der<br />

Nationalsozialismus. Geschichte eines Familienunternehmens 1933 –<br />

1945, Verlag C.H. Beck, <strong>München</strong> 2013, 624 Seiten, 29,95 Euro<br />

„Kinder, lasst mich damit in Ruhe. Das war eine schlimme Zeit.“<br />

Wenn es um die eigene Rolle im Dritten Reich ging, wurde der sonst<br />

sehr traditionsbewusste Rudolf-August Oetker einsilbig. Als begeisterter<br />

Reiter sei er mehr oder weniger in die Reiter-SS hineingeschlittert,<br />

erzählte er den Kindern. Tatsächlich wurde sein Reitverein<br />

in die Reiter-SA überführt; zur Waffen-SS meldete er sich später<br />

freiwillig und absolvierte Teile seiner Ausbildung im KZ Dachau. Im<br />

Wirtschafts- und Verwaltungsdienst wollte er der Front entgehen –<br />

um den Familienkonzern Dr. Oetker nicht durch den Tod des einzig<br />

männlichen Erben in eine weitere existenzielle Krise zu stürzen wie<br />

anno 1916, als Rudolf-August Oetkers Vater Rudolf bei Verdun fiel.<br />

Es sind die Kriegszeiten, in denen die Geschichte der Unternehmensgruppe<br />

Dr. Oetker kulminiert, die nun erstmals umfassend<br />

wissenschaftlich aufgearbeitet wurde. Beauftragt mit der Studie<br />

hat die Firma eine Forschergruppe um Andreas Wirsching, Direktor<br />

des Instituts für Zeitgeschichte und Ordinarius für Neuere und<br />

Neueste Geschichte an der LMU.<br />

Ein typischer Gründerzeitpatriarch war Dr. August Oetker, der 1891<br />

mit Backhefe in Kleinstpackungen den Grundstock für ein Familienimperium<br />

legte, wertkonservativ und mit ausgeprägter sozialer<br />

Ader für die unmündigen Untergebenen. Umso schwerer wog der<br />

Schock durch den Tod des auserkorenen Nachfolgers Rudolf – noch<br />

vor der Geburt dessen leiblichen Sohnes Rudolf-August.<br />

An die Vaterstelle trat Richard Kaselowsky, ein Jugendfreund<br />

Rudolfs, der als Treuhänder bis zu Rudolf-Augusts 27. Geburtstag<br />

die Firmengruppe führen sollte. Unternehmerisch weitsichtig, war<br />

der gelernte Kaufmann Kaselowsky zunächst nationalliberal<br />

gesinnt und patriarchalisch. Anknüpfungspunkte zu den Nazis gab<br />

es genug, auch wenn Kaselowsky kein Rassenantisemit war. Und<br />

so wurde der Leiter des schon 1937 zum „NS-Musterbetrieb“ erhobenen<br />

Unternehmens als einziger Lebensmittelfabrikant bald auch<br />

Mitglied des „Freundeskreises Reichsführer SS“. Immer den Vorteil<br />

der Bielefelder Firma im Blick manövrierte Kaselowsky, der<br />

Werbung für Dr. Oetker 1936. Foto: Thorsten Sitz/ddp images<br />

72 <strong>Einsichten</strong> – Das Forschungsmagazin Nummer 2 / 2013

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