Erst das Foto machen und dann mal eben an alle Freunde verschicken – vom Hardwell-Konzert in London: Foto: Ollie Millington/Kontributor/Getty Nummer 2 / 2013 <strong>Einsichten</strong> – Das Forschungsmagazin 23
Die digitale Gesellschaft: Welt am Netz Ihre Studenten sind in ein völlig neues Zeitalter geboren. Man spricht bei der jetzt jungen Generation von digital natives. In was für einer Welt leben die eigentlich? Butz: Nur meine Studenten? Komisch. Ich habe mich eigentlich auch immer als digital native gesehen. Ich hatte meinen ersten Computer mit 12 oder 14 Jahren. Brosius: Einige ziehen die Trennlinie mit dem Geburtsjahr 1990, andere bei 1985. Letztendlich aber ist wohl entscheidend, ob man mit diesen Technologien aufgewachsen ist. In gewisser Weise würde ich mich selbst auch als digital native sehen, weil ich immer nah an diesen Entwicklungen dran war. Auf der anderen Seite sehe ich bei den jungen Leuten, dass sie ganz anders mit diesen Geräten umgehen, was ich mir einfach so nicht mehr beibringen kann. Ich kann mit meinen beiden Daumen nicht so schnell eine SMS schreiben, wie das meine Kinder können. Fischer: Irgendwann war es tatsächlich so, dass man die Studenten nicht mehr überzeugen musste, den Computer als Werkzeug zu betrachten. Sie kommen jetzt von sich aus auf die Idee, ein Diskussionsforum zu machen oder einen Blog zu verfassen. In meinen ersten Lehrjahren war das noch anders. Jetzt sind eher manche Kollegen zurückhaltend. Ist dieser qualitative Sprung tatsächlich technischer Art? Auf Facebook werden mittlerweile Accounts erstellt für Kinder, die noch gar nicht geboren sind. Gibt es also nach der physischen Geburt und der sozialen Geburt, wie man sie in der Psychologie kennt, nun auch noch eine dritte, eine digitale Geburt? Butz: Das gibt es nicht erst seit Facebook. Ich habe meine eigene Domain, und meine Kinder haben mit der Geburt eine eigene E-Mail-Adresse gehabt. Solange sie sie noch nicht selbst bedienen, ist sie mit einem Autoresponder ausgestattet und ich bekomme die Mails – seit fast zehn Jahren schon. Brosius: Leute haben schon immer Sportwetten abgeschlossen, haben immer schon gespielt. Entscheidend ist eher, dass diese Phänomene jetzt sichtbarer und präsenter sind. Deshalb müssen wir aufpassen mit Begriffen wie „Revolution“ oder „anderen Welten“. So anders ist das nicht. Das Prinzip von Facebook ist: Die eigene Welt ist auch für die anderen erkennbar. Was sind Sie für ein Facebook-Typ? Brosius: Ich bin ein Beobachter und ein virtueller Spieler. Butz: Ich bin nicht bei Facebook, aus Überzeugung. Fischer: Ich bin ein seltener Nutzer und verfolge das Geschehen eher beobachtend. Jede Generation hat ihre eigenen Technologien. Meine ältere Tochter nutzt Facebook, die jüngere Instagram. Sichtbarkeit ist zentral. Man präsentiert sich auf einer virtuellen Plattform und stellt alles von sich aus. Ist mein digitales Ich irgendwann echter als mein psychisches Ich? Verschieben sich im Netz tatsächlich Identitätsbildungen? Brosius: Nein, die Sozialisation findet meist noch in engen primären Netzwerken, meist in der eigenen Schulklasse, statt. Freunde, die die Jugendlichen offline haben, haben sie auch online. Die Identitätsbildung läuft im Netz also nicht so anders ab. In sekundären Netzwerken – StudiVZ war dafür ein Beispiel – ist das Geflecht nicht so eng, die Freunde stammen aus unterschiedlichen Bereichen. Und schließlich lassen sich tertiäre weitverzweigte Netzwerke wie Xing abgrenzen. Fischer: Facebook ist natürlich auch ein Selbstdarstellermedium, aber dass sich jemand in sozialen Netzwerken total verstellt und etwas ganz anderes ausprobiert, kommt weit seltener vor als vermutet. Meist ist das Bild relativ nah an dem, das man in Face-to-Face-Kontexten nach außen trägt. Ich glaube jedoch, man hat die Feedback- Komponente unterschätzt. Ich habe eine neue Frisur und ich weiß innerhalb von Sekunden, was die Peers davon denken. Das ist gerade Jugendlichen wichtig, wenn es um Identitätsentwicklung geht. Und es wird immer wichtiger, weil soziale Medien eine unglaubliche Schnelligkeit erreicht haben, eine Synchronizität sozusagen. Ist der Generationenumbruch nicht doch an der Stelle, wo die Älteren der Technisierung sehr skeptisch gegenüberstehen – aus Angst davor, dass beispielsweise die NSA alles mitliest –, während für die Jüngeren gerade die leichte technische Bedienbarkeit das entscheidende Kriterium ist? Brosius: Wollte die NSA wirklich sinnvoll mitlesen, was wir produzieren, müsste sie alle US-Bürger einstellen. Das funktioniert also nicht. Insofern reagieren viele einigermaßen gelassen, sie sagen, sollen die doch. Fischer: Ich habe an dieser Stelle eine andere Position. Schon wir können in den Lernkontexten, in denen wir forschen, mit relativ bescheidenen Mitteln Diskussionen in Online-Foren analysieren. Wer es darauf anlegt, ersäuft nicht in den Daten, sondern 24 <strong>Einsichten</strong> – Das Forschungsmagazin Nummer 2 / 2013