Einsichten - Ludwig-Maximilians-Universität München
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Die digitale Gesellschaft: Welt am Netz<br />
Brosius: Das ist ein richtiger Generationenbruch:<br />
Die Jungen googeln nicht, sondern<br />
fragen bei Facebook …<br />
Fischer: … und bekommen es über die<br />
Peers heraus.<br />
Brosius: Das ist eine interessante Art und<br />
Weise, zukünftig zu kooperieren. Es kommt<br />
ja oft vor, dass man eine Frage nicht präzise<br />
stellen kann. „Wie hieß noch mal der Hauptdarsteller<br />
in dem Film, wo am Ende die Frau<br />
diesen Kuchen über den Kopf kriegt?“:<br />
Wenn Sie das bei Google abfragen, da finden<br />
Sie nie was! Wenn sie das bei Facebook<br />
eingeben, haben Sie in fünf Sekunden die<br />
Das Prinzip:<br />
Irgendjemand<br />
weiß das schon<br />
Antwort – irgendjemand in eigenen Netzwerk<br />
weiß das.<br />
Entsteht also durch das Netz doch eine neue<br />
Form der Sozialität?<br />
Brosius: Eine neue Art Kollaboration...<br />
Fischer: … wird damit möglich. Ich möchte<br />
aber zwei Arten von Informationsverarbeitung<br />
unterscheiden: eine schnelle und eine<br />
langsame. Die langsame findet statt, wenn<br />
ich mir etwas neu erschließen muss. Dann<br />
gebe ich etwas in Google ein und weiß nicht<br />
genau, ob dabei eine sinnvolle Information<br />
herumkommt. Die langsame Informationsverarbeitung<br />
trifft auf Schüler und jüngere<br />
Leute zu – und auch auf uns immer dann,<br />
wenn wir unser Fachgebiet verlassen. Die<br />
Konsequenzen für die Wissenschaft: Für<br />
das langsame Denken mitsamt dem Aufstellen<br />
und Überdenken von Hypothesen sind<br />
die Konsequenzen schon sichtbar. Was das<br />
schnelle Denken und die Expertise angeht,<br />
sind die Effekte der Medien und des schnellen<br />
Zugriffs auf Information noch unklar.<br />
Was im Online-Journalismus gut funktioniert,<br />
sind Wissenshäppchen in Quizform ,<br />
anders oft als aufwendig recherchierte Dossiers<br />
etwa. Verschwindet die Präsentation<br />
komplexer Zusammenhänge langsam?<br />
Brosius: Im Fernsehen gab es immer schon<br />
Quizsendungen und Spezialisten, die eingeladen<br />
wurden, weil sie zum Beispiel absolute<br />
Rilke-Kenner waren. Das fasziniert einfach,<br />
wenn jemand so ein Detailwissen hat. Das<br />
ist eher Unterhaltung, nicht Wissenskultur.<br />
Butz: Ich tippe, dass Youtube-Videos, in<br />
denen Wissenschaft verständlich kurz<br />
erklärt wird, besser ankommen als ausführliche<br />
Artikel. Da gibt es so eine berühmte<br />
Serie mit einem Physiker, der zum Beispiel<br />
erklärt, ob man ein Laserschwert bauen<br />
kann oder nicht.<br />
Das setzt aber eine Selektion voraus: Verwendbar<br />
wären nur Dinge, die sich in einem<br />
kurzen Videospot auch erklären lassen.<br />
Fischer: Menschen lernen, indem sie neue<br />
Informationen an etwas anknüpfen, das<br />
schon vorhanden ist, im Gedächtnis aktiviert<br />
ist. Bei Youtube-Videos oder anderen<br />
neuen Lehrformen sollten wir uns nicht<br />
mehr fragen, welchen Vorteil sie eigentlich<br />
haben, sondern welchen Mehrwert die <strong>Universität</strong><br />
mit ihrer Präsenzlehre gegenüber<br />
diesen Medien hat. Vielleicht können sie<br />
einem sogar vieles von dem abnehmen, was<br />
man nun einmal vermitteln muss an der<br />
<strong>Universität</strong>. Dann bleibt die Frage: Was<br />
macht man, um die eigentliche Kernkompetenz<br />
– wissenschaftliches Denken und<br />
Argumentieren – zu fördern?<br />
Und was macht man?<br />
Butz: Diskutieren.<br />
Brosius: Seminare. Keine Vorlesungen.<br />
Butz: Ich diskutiere auch in Vorlesungen.<br />
Ich habe spätestens alle halbe Stunde eine<br />
Diskussionsrunde eingebaut. Dann lässt<br />
ohnehin die Aufmerksamkeit nach.<br />
Fischer: Interessensentwicklung hat viel mit<br />
Emotionen zu tun, die hängt immer noch<br />
stark an der Face-to-Face-Kommunikation.<br />
Wir setzen zum Beispiel in Vorlesungen<br />
auch mal Online-Diskussionen ein. Anfangs<br />
war das frustrierend. Wir wollten gemeinsam<br />
mit 500 Leuten eine Frage online diskutieren.<br />
Alle Teilnehmer sollten mindestens<br />
drei Beiträge dazu schreiben. Tatsächlich<br />
beteiligt hat sich nur ein Fünftel von ihnen.<br />
80 Prozent der Studenten, die später ja mal<br />
Lehrer werden wollen, machen nicht mit.<br />
Butz: Es gibt an der LMU die Unterrichtsmitschau,<br />
die Vorlesungen aufnimmt. Daran<br />
angeschlossen ist eine Software-Plattform,<br />
auf der man danach beim Schauen Diskussionen<br />
führen, Beiträge und einzelne Folien<br />
kommentieren und mit anderen Studenten<br />
diskutieren kann. So gewinnt man einen<br />
kleinen Teil der Interaktion wieder zurück.<br />
Brosius: Auf Facebook kommentieren die<br />
Studenten die Vorlesung oft selbstorganisiert.<br />
Hier gibt es Plattformen, auf denen<br />
die Studenten Dinge aus unseren Vorträgen<br />
diskutieren und infrage stellen. Sie geben<br />
sich auch Tipps, wo man weitere Informationen<br />
herbekommen kann.<br />
Aber noch sind Sie ein wenig unzufrieden<br />
mit der Wirkung der neuen Tools, oder?<br />
Butz: Ich unterrichte am liebsten von Angesicht<br />
zu Angesicht. Im persönlichen Kontakt<br />
kann ich am besten meine Gedanken<br />
vermitteln. Da bin ich als Medieninformatiker<br />
sehr, sehr altmodisch.<br />
Brosius: Die Frage ist doch auch, wie viele<br />
sich wirklich beteiligen werden. 100 Prozent<br />
werden es nie sein. Ich bin mit 20 Prozent<br />
Beteiligung schon zufrieden. Es sind<br />
ja auch nur ganz wenige, die aktiv Beiträge<br />
auf Wikipedia veröffentlichen oder selbst<br />
auf Youtube Videos einstellen.<br />
Was ist das entscheidende Kriterium für<br />
einen sinnvollen Einsatz neuer Medien?<br />
Brosius: Da müssen Sie Humboldt fragen.<br />
Lernerfolg allein ist es sicher nicht. Es geht<br />
auch um Erziehung und Bildung. Aber wie<br />
soll man hier den Erfolg messen?<br />
Butz: Man sollte auf jeden Fall das Medium,<br />
das man einsetzt, kritisch hinterfragen.<br />
26 <strong>Einsichten</strong> – Das Forschungsmagazin Nummer 2 / 2013