Einsichten - Ludwig-Maximilians-Universität München
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Die digitale Gesellschaft: Schneller, als die Zeitung erlaubt<br />
nischen Entwicklungen oft hinterher: Erst<br />
waren es Blogs, später soziale Netzwerke<br />
wie Facebook und der Kurznachrichtendienst<br />
Twitter. Mittlerweile nutzt die Mehrheit<br />
der Redaktionen diese Social-Media-<br />
Angebote. „Die Herausforderung besteht<br />
darin, die Vielzahl der unterschiedlichen<br />
Kanäle im Internet richtig einzuschätzen,<br />
ihre Stärken und Schwächen zu kennen“,<br />
sagt Neuberger. Nur dann lassen sie sich<br />
sinnvoll nutzen, zum Beispiel indem über<br />
Twitter Hinweise auf neue Artikel auf der<br />
Website gegeben werden.<br />
Diese Möglichkeit nutzte der Donaukurier<br />
am Tag der Geiselnahme, wie Ausschnitte<br />
der „Tweets“, wie die Beiträge bei Twitter<br />
genannt werden, zeigen:<br />
Chris @Superbatterie 19 Aug<br />
@sekor Der @donaukurier munkelt über eine<br />
Geiselnahme<br />
donaukurier.de @donaukurier 19 Aug<br />
@Superbatterie @sekor Wir munkeln nicht mehr.<br />
Die Geiselnahme ist bestätigt:<br />
http://www.donaukurier.de/2749876<br />
Chris @Superbatterie 19 Aug<br />
@donaukurier Vielen Dank @sekor<br />
donaukurier.de @donaukurier 19 Aug<br />
@Superbatterie @sekor Dafür samma da ;-)<br />
In den 1990er-Jahren kam erstmals die<br />
These der digitalen Spaltung auf. Demnach<br />
sind Menschen, die das Internet nutzen, im<br />
Vorteil gegenüber den Nichtnutzern. „Es<br />
lässt sich nicht eindeutig sagen, dass die<br />
Menschen durch das Internet etwa besser<br />
politisch informiert sind“, sagt Neuberger.<br />
Es hängt auch davon ab, wofür das Internet<br />
genutzt wird und mit welcher Kompetenz.<br />
„Ein Problem ist die Informationsflut – und<br />
auch der Infomüll.“ Wer sich im Internet<br />
bewegt, stößt auf zu viele Informationen auf<br />
einmal, und nicht alle sind relevant. „Es fehlen<br />
Navigatoren, die durch diese Unmenge<br />
an Informationen lotsen“, sagt Neuberger.<br />
Genau darin könnte eine wichtige Aufgabe<br />
für den Journalismus liegen: aufzuzeigen,<br />
wo die spannenden und interessanten<br />
Sachen im Internet zu finden sind. „Wir<br />
brauchen auch im Netz Gatekeeper, die<br />
Informationen überprüfen und eine Auswahl<br />
treffen“, sagt Neuberger. „Doch solange das<br />
Geschäftsmodell dafür fehlt, wird es schwierig<br />
sein, solche Dienste anzubieten.“<br />
„Den Redaktionen fehlt ein Innovationsmanagement,<br />
wie es in anderen Branchen<br />
schon lange üblich ist“, sagt Neuberger.<br />
Eigene Entwicklungsabteilungen könnten<br />
neue Anwendungen und Produkte kreieren.<br />
„Auch hat es der Journalismus weitgehend<br />
versäumt, den Beruf zu professionalisieren<br />
und an die Wissenschaft anzubinden.“<br />
Heute stehen Verlage und Journalisten vor<br />
dem Problem, dass die wenigsten Internetnutzer<br />
in Deutschland bereit sind, für<br />
redaktionelle Inhalte zu zahlen. Wie die<br />
jährliche Computer- und Technik-Analyse<br />
des Instituts für Demoskopie Allensbach<br />
zeigt, nutzten 2013 nur fünf Prozent der<br />
befragten Internetnutzer in Deutschland<br />
kostenpflichtige Angebote. Für lediglich<br />
weitere sechs Prozent käme das infrage.<br />
Diese Gratismentalität ist zum einen erlernt.<br />
Verlage haben von Beginn an redaktionelle<br />
Inhalte kostenfrei angeboten. „Man hat das<br />
Internet lange Zeit nicht ernst genommen<br />
und versäumt, tragfähige Geschäftsmodelle<br />
zu entwickeln.“ Neuberger nennt das den<br />
„Geburtsfehler des Journalismus im Internet“.<br />
Zum anderen gibt es für Leser heute<br />
keinen Grund, für austauschbare Nachrichten<br />
zu zahlen, die sie überall bekommen<br />
können. Erste Verlage führen zwar nun<br />
Bezahlmodelle ein, doch Neuberger ist skeptisch,<br />
ob sie sich bei General-Interest-Angeboten<br />
durchsetzen können.<br />
Die Tageszeitungen leiden unter der Gratiskonkurrenz<br />
im Internet auch aus dem<br />
eigenen Hause, die Leser und Werbekunden<br />
abzieht, aber kein Geld bringt. Allein im Jahr<br />
2012 sind die Werbeumsätze der Zeitungen<br />
um neun Prozent gesunken. Mit den verkauften<br />
Auflagen einzelner Zeitungen ist es<br />
in den vergangenen Jahren rapide bergab<br />
gegangen: zwischen 1998 und 2012 minus<br />
42 Prozent bei der Berliner Zeitung, minus<br />
45 Prozent bei der Frankfurter Rundschau,<br />
die im November 2012 schließlich insolvent<br />
war und vom Konkurrenten FAZ übernommen<br />
wurde. 2012 wurde die Financial Times<br />
Deutschland eingestellt mit zuletzt 42.000<br />
Abonnenten. Der Schock für die Branche im<br />
Jahr 2013 war der Verkauf der Regionalzeitungen<br />
durch den Springer-Verlag.<br />
„Die Finanzierungsgrundlagen des professionellen<br />
Journalismus werden durch das<br />
Internet ein Stück weit untergraben“, sagt<br />
Neuberger. Jeff Bezos, der Gründer des<br />
Online-Händlers Amazon, gibt den Zeitungen<br />
noch 20 Jahre. Bill Gates war sich schon<br />
im Jahr 2005 sicher, dass die Online-Medien<br />
42 <strong>Einsichten</strong> – Das Forschungsmagazin Nummer 2 / 2013