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Von der Gnadenwahl

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und alle Dinge. So ist, wie wir bereits gesehen haben, das ganze Werk <strong>der</strong><br />

Schöpfung »das geformte Wort Gottes«. In <strong>der</strong> Natur spricht sich Gott selbst<br />

aus, wiewohl er — entgegen <strong>der</strong> pantheistischen Deutung — nicht einfach mit<br />

<strong>der</strong> Natur identisch ist o<strong>der</strong> in ihr aufgeht (5,16). Jedem Element wohnt die<br />

zugehörige archetypische Geistgestalt inne (5,17). Böhme entfaltet eine Entsprechungslehre,<br />

die an die hermetische Tabula Smaradina erinnert: »Wie Oben, so<br />

Unten«. Doch er meint nicht nur ein Analogieverhältnis, son<strong>der</strong>n lebendige,<br />

lebenzeugende Wechselbeziehung (5,19 f.). Göttliche Kraft durchwirkt die<br />

Natur im Geist <strong>der</strong> Liebe, während sein Zorn im »Zentrum <strong>der</strong> Finsternis«<br />

waltet (5,23).<br />

Wenngleich Böhme die stoffliche Leiblichkeit <strong>der</strong> Schöpfung wie auch des<br />

Menschen bejaht, liegt ihm doch sehr daran, die Wortstruktur des göttlichen<br />

»Fiat« zu betonen. Als ein Kenner <strong>der</strong> Natursprache, in <strong>der</strong> Vokale und Konsonanten<br />

jeweils bestimmten Form- und Wirkkräften entsprechen, mag er geahnt<br />

haben, daß die Schöpfungsworte <strong>der</strong> Genesis den Charakter von Mantras<br />

haben.1 Böhme weiß um die Kraft des »Fiat«.<br />

1) Hermann Beckh: Neue Wege zur Ursprache (dort beson<strong>der</strong>s: Es werde Licht, Schöpfungsworte<br />

<strong>der</strong> Bibel). Verlag Urachhaus, Stuttgart 1954.<br />

An<strong>der</strong>erseits wäre es ihm zu wenig gewesen, wenn man die spirituellen Gehalte<br />

des Genesis-Buches auf die gedanklichen Abstraktionen einiger theologischer<br />

daß-Sätze verkürzt hätte. Nicht umsonst unterscheidet er (z.B. 11,34) deutlich<br />

zwischen dem »geschriebenen Wort« <strong>der</strong> bloßen Buchstaben und dem »lebendigen<br />

Wort«, das erst die Voraussetzung allen Sprechens ist. (Bezüglich bloßer<br />

daß-Sätze hat sich Böhme ebenfalls geäußert, z.B. Kap. 10,34).<br />

In einem geistesgeschichtlichen Augenblick, in dem sich eine einseitige naturwissenschaftlich-materialistische<br />

Betrachtung des Menschen ankündigt, tritt<br />

Böhme als Anwalt eines Menschenbildes auf, in dem wohl die äußere physische<br />

Wesensseite voll respektiert wird. Als leibfeindlicher Spiritualist aber ist gerade<br />

Böhme nicht zu verdächtigen. Doch liegt ihm daran, die Einzigartig-keit <strong>der</strong><br />

physischen Leiblichkeit des Menschen beson<strong>der</strong>s herauszustellen. Denn »<strong>der</strong><br />

Mensch ist ein Bild <strong>der</strong> ganzen Creation aller drei Prinzipien, nicht allein im<br />

Ente <strong>der</strong> äußern Natur ...« (5,29). Die an<strong>der</strong>e Beson<strong>der</strong>heit des Menschen ist die,<br />

daß sein Urbild Adam nackt und doch »mit <strong>der</strong> großen Herrlichkeit bekleidet«<br />

war als »eine männliche Jungfrau«, als eine androgyne Ganzheit. Zusammen mit<br />

an<strong>der</strong>en Stellen im Werk Böhmes stellen die letzten Abschnitte des 5. Kapitels<br />

einen wesentlichen Beitrag zu einer spirituellen Menschenkunde und Erotik<br />

dar. 1<br />

1) Ernst Benz: Adam, <strong>der</strong> Mythus vom Urmenschen. O. W. Barth Verlag, München-Planegg<br />

1956. / Gerhard Wehr: Der Urmensch und <strong>der</strong> Mensch <strong>der</strong> Zukunft. Das Androgyn-Problem<br />

männlich-weiblicher Ganzheit im Lichte <strong>der</strong> Anthroposophie Rudolf Steiners. Verlag Die<br />

Kommenden, Freiburg 1977; <strong>der</strong>s: Heilige Hochzeit. Kösel Verlag München 1986, 91 ff.<br />

Böhme blickt nicht zurück auf das verlorene androgyne Menschenbild; er blickt<br />

auch prophetisch nach vorne auf den »Heiland und Wie<strong>der</strong>gebärer«, <strong>der</strong> das<br />

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