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Das Wissen um theologische Tatbestände muß einer existentiellen Erfahrung<br />
weichen, <strong>der</strong>, daß Christi Leben, Sterben und Auferstehen »auch in mir geschehe«<br />
(10,34). Böhmes Landsmann und spirituellem Schüler Angelus Silesius<br />
(Johannes Scheffler) verdanken wir in seinem berühmten »Cherubinischen<br />
Wan<strong>der</strong>smann« die Verse:<br />
Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren,<br />
Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.<br />
Das Kreuz zu Golgatha kann dich nicht von dem Bösen,<br />
Wo es nicht auch in dir wird aufgericht‘, erlösen.<br />
Und um den Realitätsgrad dessen, was »essentialiter« statt gefunden haben muß,<br />
anzuzeigen, greift Böhme gelegentlich auf alchymistische Termini zurück, etwa<br />
auf den <strong>der</strong> »Transmutation« (10,38), die eine bis in die Wesenstiefen des<br />
Menschen hineinreichende Wandlung meint. Bloßes »Mund-bekennen«, das<br />
sich mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>holung von frommen Formeln begnügt, trägt das Stigma des<br />
Antichrists (10,43). Umgekehrt läßt Böhme dort einen inneren Zugang zu Christus<br />
gelten, wo eine äußere Begegnung mit <strong>der</strong> Christusbotschaft nicht möglich<br />
war (10,44 ff; 11,3).<br />
Böhme ist sich seiner Situation in und am Rande <strong>der</strong> verfaßten Kirche längst<br />
bewußt. Denn seitdem er in <strong>der</strong> »Aurora« sein Schauen mitgeteilt hat und dafür<br />
als ein gefährlicher Irrlehrer öffentlich verleumdet worden ist, gilt er auf <strong>der</strong><br />
Seite seiner lutherischen Kirche als »Schwärmer«, <strong>der</strong> das »Amt« verachte<br />
(11,14). Somit besteht gerade hier ein Gegensatz zwischen ihm als dem geisterfahrenen<br />
Charismatiker und dem auf Bekenntnisformeln schwörenden Amtsträger,<br />
dessen spirituelle Unerfahrenheit offenkundig wird. Gotteserkennt-nis<br />
gründet nicht allein auf »Buchstaben«, son<strong>der</strong>n auf dem »lebendigen Wort, das<br />
den Buchstaben hat ausgesprochen« (11,34). So ist spirituelle Eigenerfahrung<br />
die Legitimation für den Umgang mit Lehre und Verkündigung (11,38). Skepsis<br />
gegenüber spirituellen Möglichkeiten verrät Unerfahrenheit (11,41).<br />
12. Kapitel: Kurzer Bericht etlicher Fragen<br />
Wie immer die Art <strong>der</strong> äußeren Anrede und Verkündigung erfolgen mag,<br />
wesentlich ist, daß »die Stunde des inwendigen Hörens« (12,11) schlägt. Der Ort<br />
dieses Hörens liegt nirgends an<strong>der</strong>s als im »Abgrund« <strong>der</strong> Seele (12,16), wo<br />
Gott selbst von Ewigkeit her Wohnung genommen hat. Das ist auch die von <strong>der</strong><br />
Tiefenpsychologie zu bestätigende Beobachtung, wonach Selbsterfahrung und<br />
Gotteserfahrung aufs engste zusammengehören. <strong>Von</strong> einer nur psychologischen<br />
Sicht unterscheidet sich Böhme dadurch, daß er die Notwendigkeit einer spirituellen<br />
Aktivität hervorhebt: Nur dort tritt <strong>der</strong> anklopfende Christus ins Seeleninnere<br />
ein, wo <strong>der</strong> Mensch ihn einläßt. Das sagt einer, <strong>der</strong> sich selbst als »ein Bote<br />
aus Gottes Gerechtigkeit« versteht (12,27), wodurch <strong>der</strong> Ernst <strong>der</strong> Stunde<br />
eindringlich hervorgehoben wird.<br />
Das Mysterium des Bösen, das im gesamten Werk Böhmes eine große Rolle<br />
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