Klicken Sie hier, um sich die Ausgabe Nummer - Generation plus
Klicken Sie hier, um sich die Ausgabe Nummer - Generation plus
Klicken Sie hier, um sich die Ausgabe Nummer - Generation plus
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Arbeitsplatz-Zuwachs bezieht <strong>sich</strong> vor allem<br />
auf befristete Beschäftigung, Teilzeit- und<br />
Leiharbeit. 2010 wuchs <strong>die</strong> Zeitarbeits-<br />
Branche in Deutschland <strong>um</strong> 32,5 Prozent<br />
und trug mit 57 Prozent z<strong>um</strong> Beschäf -<br />
tigungs-Wachst<strong>um</strong> bei. Von 2000 bis 2010<br />
sanken im Extremfall <strong>die</strong> Nettolöhne inflationsbereinigt<br />
<strong>um</strong> bis zu 21,9 Prozent, besonders<br />
stark in den unteren, aber ka<strong>um</strong> in den<br />
höheren Einkommensklassen.<br />
11 Prozent aller Beschäftigten mussten 2009<br />
in Deutschland Brutto für weniger als sieben<br />
Euro pro Stunde arbeiten, mehr als 1,2<br />
Millionen sogar für weniger als 5 Euro. 5,8<br />
Millionen blieben unter dem von Gewerk -<br />
schaften geforderten Mindestlohn von 8,50<br />
Euro. Aktuell ist jeder Vierte, der arbeitslos<br />
wird, sofort Hartz-IV-ler. Damit verringert<br />
<strong>sich</strong> das ohnehin zu niedrige Einkommen<br />
noch weiter.<br />
Stiefkind Leiharbeit<br />
Der Mindestlohn in einigen Leiharbeits-<br />
Branchen unterschreitet das Arbeitseinkom -<br />
men derer, <strong>die</strong> im selben Bereich sozialver<strong>sich</strong>ert<br />
sind, <strong>um</strong> bis zu 40 Prozent. Übernahme<br />
in feste Stellen gibt es ka<strong>um</strong>. Da<br />
helfen auch keine mit<br />
Parteileuten besetzte<br />
Experten grup -<br />
pen, <strong>die</strong> monatelangmiteinander<br />
ringen<br />
und nur minimale<br />
Resultate<br />
erreichen . . .<br />
Nur gleicher<br />
Lohn für gleiche<br />
Arbeit würde Ab -<br />
hilfe schaffen. Doch der<br />
Lohn für Zeitarbeiter soll nur<br />
in Stufen an den der Stamm belegschaft<br />
angeglichen werden.<br />
Ein Leiharbeiter in einer E-Mail: „Es brodelt<br />
unter dem Kessel. Man che Festangestellte<br />
werden heute von Leiharbeitern ausgebildet.<br />
Obwohl ich den Job gut mache, fallen<br />
meine Referenzen unter den Tisch. Wenn<br />
Zeitarbeiter Billig lohn-Risiken allein tragen<br />
müssen und in Existenzangst gestürzt werden,<br />
wird das Fass bald überlaufen.“<br />
In Leserbriefen wird auf Disponenten hingewiesen,<br />
<strong>die</strong> freundlich sind, aber aggressiv<br />
werden, wenn ein Auftrag abgelehnt wird.<br />
Berufsbezeichnungen in Verträgen sind<br />
dehnbar, Fortbildungen werden zwar<br />
Festangestellten gewährt, Leiharbeitern<br />
aber nicht.<br />
Ähnlich sieht es bei Pflege<strong>die</strong>nsten aus:<br />
Arbeit oft 24 Stunden hintereinander.<br />
Höchstens geleistet und aufgeschrieben<br />
werden aber nur 12 Stunden. Das<br />
führt dazu, dass der Monats-<br />
Bruttolohn (1300 Euro) den<br />
für Pflege festgelegten<br />
Mindestlohn weit unterschreitet.<br />
Aber egal, wie<br />
viel gezahlt wird – der<br />
Dienst stresst. Wer ihn<br />
leistet, ist meist früh<br />
kaputt oder berufsun -<br />
fähig.<br />
Nicht glücklich im Job<br />
In Deutschland ist nur jeder <strong>Sie</strong>bte glücklich<br />
im Job. Wertschätzung und Respekt der<br />
Bosse werden vermisst. Arbeit als Tanz auf<br />
dem Vulkan. Zu viele stehen unter Erfolgs -<br />
druck. Niemand will ins Abseits geraten. Der<br />
Zug in eine ungewisse Zukunft fährt nur mit<br />
Kernbelegschaften ab. Ältere landen oft auf<br />
dem Abstellgleis. Berufs- und Tätig keits -<br />
merk male wechseln so häufig, dass mühsam<br />
erworbenes Fachwissen schon wenig später<br />
überholt ist.<br />
Flexibilität wird verlangt. Wer welchen Job<br />
auch immer ergatterte muss <strong>die</strong><br />
Ellenbogen ausfahren, <strong>um</strong> an <strong>die</strong><br />
Fleischtöpfe heranzukommen. Das<br />
bedeutet oft aber auch Überstunden<br />
bis tief in <strong>die</strong> Nacht,<br />
Urlaub mit Rufbereitschaft oder<br />
gar nicht, Min destlohn, der vor<br />
Arbeitsgerich ten eingeklagt werden<br />
muss. Leiharbeit ist mit Orts -<br />
wechsel verbunden. Pro bleme ha -<br />
ben auch Bosse. Es kommt vor, dass<br />
sie übermüdet schlapp machen, auch am<br />
Arbeitsplatz.<br />
Deutsche, <strong>die</strong> scheitern, gelten als Versager.<br />
Anders in Kanada: Dort, im Land des<br />
Eishockey, wird der Mut, auf <strong>die</strong> Nase zu fallen,<br />
öfter belohnt. Es wundert nicht, dass <strong>die</strong><br />
Quote derer, <strong>die</strong> z<strong>um</strong> Beispiel einen Betrieb<br />
oder ein Geschäft eröffnen, dort neunmal so<br />
hoch ist als in Deutschland. Wer wagt, muss<br />
nicht unbedingt gewinnen, wird aber unterstützt<br />
– vielleicht auch, weil der nächste<br />
Nach bar in dünn besiedelter Region weit<br />
weg ist. Oder sollten Stille und Weite<br />
Glückshormone sein?<br />
Was ist Arbeit?<br />
Das Wort Beruf, das in der Arbeitswüste von<br />
heute fast wie ein Fremdwort klingt, gewann<br />
erst mit Luthers Lehre vom allgemeinen<br />
GENERATION<strong>plus</strong>+ REGION 07<br />
Pries tert<strong>um</strong> des Menschen an Bedeutung.<br />
Berufen sollte sein, wer Gottes Ruf folgte,<br />
Amt und Stand hatte – Arbeit als Dienst für<br />
Gott.<br />
Ar(e)beit (mittelhochdeutsch)<br />
ist eine Ab leitung von orbho<br />
(Erbschaft, verwaist, arm).<br />
Als Erben mussten Kinder<br />
<strong>sich</strong> verdingen, körperlich<br />
arbeiten. Aber im süd -<br />
westdeutschen Sprach -<br />
ra<strong>um</strong> steht für Arbeit auch<br />
Schaffen (von althochdeutsch<br />
scepfen für schöpfen, einrichten,<br />
gestalten). Zwei Wort familien, <strong>die</strong><br />
<strong>sich</strong> berühren. Erstere stand für Mühe, Plage<br />
und Zwang, letztere fürs Hervorbringen und<br />
(Er)Schaffen.<br />
Für Calvin sind Vermögen und Kapital zu<br />
Geld gewordene Arbeit. Die sieht er als eine<br />
Art rastloses Sich-Warmlaufen fürs Himmel -<br />
reich. Vorherbestimmt dank Gottes Rat -<br />
schluss ist nicht nur <strong>die</strong> Erwählung der<br />
Tugendsamen, weil sie ihren Wohlstand vermehren<br />
– darüber hinaus auch <strong>die</strong> Ver -<br />
dammnis der Unfrommen, <strong>die</strong> es zu nichts<br />
bringen.<br />
„Arbeit macht das Leben süß“<br />
Im Calvinismus werden <strong>die</strong>se Aussagen verstärkt.<br />
Mit der Entwicklung des Kapitalismus<br />
fallen sie auf fruchtbaren Boden: Finanzkraft<br />
wird z<strong>um</strong> Motor. Der Religionsphilosoph<br />
Max Weber („Der Geist des Kapitalismus“)<br />
sieht im asketisch-puritanischen Calvinis -<br />
mus eine „alltagsbestimmende Lebens me -<br />
thodik, <strong>die</strong> ihn wie ein Korsett stützt und mit<br />
einer Heilserwartung versieht“.<br />
Heute müssen Menschen schon sehr glaubensstark<br />
sein, <strong>um</strong> den Heilsanspruch und<br />
<strong>die</strong> Erwartungen, <strong>die</strong> <strong>sich</strong> an <strong>die</strong>ses Korsett<br />
knüpfen, nicht trügerisch zu finden. Aller -<br />
dings deuteten weniger tugendsame Ban -<br />
ker das Sprichwort „Arbeit macht das Leben<br />
süß“ ganz in ihrem Sinn und sorgten dafür,<br />
dass ihre Entlassungen mit Abfindun gen<br />
von beachtlicher Höhe versüßt wurden. Ob<br />
das auf einen Teil der hiesigen politischen<br />
Klasse ansteckend wirkte?<br />
Noch aber besteht in Göttingen und Süd -<br />
niedersachsen <strong>die</strong> Chance auf ethisch-moralische<br />
Erneuerung durch mehr Volksnähe<br />
ohne Anbiederung. Damit gute Arbeit künftig<br />
nicht nur im Jenseits für Rechtgläubige<br />
und jene reserviert ist, <strong>die</strong> auf Erden dem<br />
Burn-out-Syndrom z<strong>um</strong> Opfer fielen.