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Magazin für lovecraft'sche Literatur und Phantastik - Luzifer Verlag

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die Geldeintreiber stehen polternd im Korridor <strong>und</strong> drohen, die Tür einzurennen.<br />

26. August: Ich schlafe unruhig. Draußen ist es bereits hell, als ich erwache. Die Kirchturmuhr<br />

schlägt Mittag. Im Treppenhaus höre ich Heines Stimme, diesmal ist es kein Traum. Er unterhält<br />

sich mit Minna, doch kann ich kein Wort verstehen, wahrscheinlich sprechen sie über mich. Dann<br />

betritt Heine das Schlafzimmer. Nach den ersten Schritten verzieht er das Gesicht. Er geht zum<br />

Fenster, schiebt den Vorhang beiseite <strong>und</strong> reißt die Flügel auf. Kühle Luft streift mir übers<br />

Gesicht. Währenddessen erzählt er mir, dass er Monsieur Blaire die Miete für einen Monat<br />

vorgestreckt hat. Dann setzt er sich salopp an den Bettrand, isst ein Stück von meinem<br />

Frühstückscroissant <strong>und</strong> fixiert mich mit funkelnden Augen. So könne es nicht weitergehen, meint<br />

er <strong>und</strong> dreht das Croissant zwischen den Fingern. Auf seiner Handfläche bemerke ich eine lange,<br />

schlecht verheilte Narbe. Ich sei ein genialer Komponist, murmelt er kauend, doch benötige ich<br />

nur einen Tritt in den Allerwertesten, wie er sich ausdrückt. Übermorgen gäbe es ein Treffen im<br />

Café Juliette. Ich kann nicht, möchte ich jammern, doch er lässt mich nicht zu Wort kommen.<br />

Stattdessen redet er weiter. Wenn ich rechtzeitig käme, würde er mich einigen Herrschaften<br />

vorstellen: Comte, Balzac, Dumas, Hugo <strong>und</strong> Millet. Schriftsteller <strong>und</strong> Maler, doch bis auf Hugo<br />

ist mir keiner der Namen geläufig. Das Treffen wäre bedeutend für mich, betont Heine <strong>und</strong> wirft<br />

das angebissene Croissant auf das Tablett. Dann nimmt er Mantel, Stock <strong>und</strong> Zylinder <strong>und</strong><br />

verlässt das Zimmer.<br />

27. August: Ich kann mich zwar aufraffen, das Bett zu verlassen <strong>und</strong> vor dem Schreibpult auf den<br />

Stuhl zu sinken, doch reicht meine Kraft nicht aus, den Federkiel in die Hand zu nehmen, um<br />

einige Worte über das verfluchte Holländer-Thema zu verfassen. Minna betritt das Giebelzimmer.<br />

Ich schreie sie an, ob sie mir hinterherspioniere, wedle mit den Armen <strong>und</strong> stoße das Tintenfass<br />

um. Die Tinktur ergießt sich über die Notenblätter. Ich fluche noch lauter. Minna knallt die Tür zu,<br />

ihre Schritte poltern die Treppe hinunter. Dann sacke ich im Stuhl zusammen <strong>und</strong> lausche dem<br />

Tropfen der Tinte. Diese vermaledeite Oper würde ohnehin niemanden interessieren, abgesehen<br />

davon vergeude ich damit zu viel Zeit; <strong>und</strong> das auf den bloßen Verdacht hin, jemand könnte sich<br />

diesen erbärmlichen Kram anhören. Welch traurige Vorstellung! Vielleicht gelingt es mir<br />

stattdessen, einige Partituren oder Symphonien aufs Notenpapier zu kritzeln <strong>und</strong> den<br />

Opernhäusern zu verkaufen, keine begnadeten Stücke, sondern flink zu Papier gebrachte Skizzen,<br />

Elaborate, lediglich abgedroschene Kopien prächtiger Meisterwerke. Zu mehr reicht mein Genius<br />

nicht, falls er überhaupt dazu imstande ist.<br />

Nach einem kargen Abendessen gehe ich wieder zu Bett. Morgen würde ich ohnehin das Haus<br />

verlassen müssen, wieder dem schicken Café Juliette einen Besuch abstatten, um Heine glücklich<br />

zu stimmen, diesen selbstgefälligen Salonlöwen; immerhin hat er Minnas <strong>und</strong> meine Miete<br />

bezahlt. Ach Minna, meine Liebe, was habe ich dir mit unserer Flucht nur angetan!<br />

28. August: Frisch gebadet, rasiert <strong>und</strong> gekämmt, den Frack ordentlich gebügelt <strong>und</strong> die Stiefel<br />

sauber gewichst, damit niemand meine Gemütsverfassung bemerkt, verlasse ich mit Stock <strong>und</strong><br />

Zylinder das Etablissement, um nur einige Häuser weiter die Straße hinunterzugehen. Rue de la<br />

Tonnellerie Nr. 7, Café Juliette. Ich erkenne es kaum wieder. Die Atmosphäre prickelt, Männer,<br />

etwa in Heines Alter, hochgewachsen, mit dichten Koteletten, Pfeife rauchend, in diskreter<br />

Abendgarderobe, das Monokel in die Brusttasche des Fracks gesteckt, die goldene Kette der<br />

Taschenuhr aus der Weste baumelnd, die Zeitung unter den Arm geklemmt, an der Bar stehend,<br />

ein Glas Pinot noir in der Hand <strong>und</strong> über Malerei <strong>und</strong> <strong>Literatur</strong> philosophierend.<br />

Heine <strong>und</strong> Berlioz sind auch da, sie stellen mich verschiedenen Gästen vor. Auguste Comte,<br />

Philosoph <strong>und</strong> Mathematiker, der mich nur kurz mit dem schlafwandlerischen Blick eines Pastors<br />

mustert, eine leichte Verbeugung andeutet <strong>und</strong> mir ein Glas Wein anbietet. Merci! Entlang der Bar<br />

geht es weiter: Honoré de Balzac, ein leicht übergewichtiger Griesgram im dunklen Anzug, der<br />

beinahe einer Priestersoutane gleicht. Alexandre Dumas, pausbackig, winzige Äuglein, der mir<br />

kameradschaftlich auf die Schulter klopft. Jean-François Millet, ein schmächtiger, unscheinbarer

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