Welt Auge - Volker Steinbacher
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Tschad<br />
Rig-Rig<br />
Lieber Herr <strong>Steinbacher</strong>,<br />
der Stein liegt jetzt im Tschad in RigRig. Leider konnte ich kein Foto<br />
machen, weil der Auslöser nicht funktionierte (Sand).<br />
Beste Grüsse<br />
Katarina Greifeld<br />
Was sieht der Stein:<br />
Er sieht Rig Rig, eine kleine Stadt im Norden des Tschad im Sahel, in<br />
Kanem, kurz vor der Sahara und der Grenze zu Niger. Rig Rig bedeutet auf<br />
deutsch: Düne auf Düne. Noch sieht er unweit einige hundert Kamele und<br />
Esel, die noch von gestern übrig geblieben sind, als hier Tiermarkt war.<br />
Über ihm ist ein Baum, also ein schattiges Plätzchen mit einer guten<br />
Aussicht.<br />
Lange wird er hier nicht liegen bleiben. In spätestens einer Stunde<br />
werden hier Ziegen befestigt, von Kindern beaufsichtigt, die mit<br />
Sicherheit das "<strong>Auge</strong>" finden und woanders hin mitnehmen werden.<br />
- Hoffentlich richtet er keinen Schaden an, hier gibt es so einiges<br />
Geheimnisvolles.<br />
Der Wind pfeift am Morgen noch kalt - und plötzlich wird klar, warum die<br />
Leute alle so eingewickelt sind: Der Staub fährt in jedes kleine<br />
Löchlein, gibt jedem Reissverschluss den Garaus.<br />
Der Stein sieht die Kanembu, die Leute aus Kanem, und die Halbnomaden,<br />
die hier zum Markt gekommen sind. Es wird jetzt immer schwieriger für die<br />
Tiere, die Trockenzeit dauert noch mindestens 2 Monate, und daher ziehen<br />
sie weiter in den Süden. Wenn es geregnet hat, ziehen sie wieder zurück<br />
in den Norden, in die Wüste mit ihren Oasen und Dattelpalmen - und<br />
Milliarden von Fliegen, die einen tagsüber pausenlos umschwirren, sich<br />
auf Schultern, Kopf und Gesicht niederlassen: in Ermangelung eines<br />
Baumes, um sich auszuruhen, wie mir ein Kanembu sagte.<br />
Jetzt kommt eine Frau vorbei, ein eher seltener Anblick, weil sie meist<br />
in ihrem Haus bleiben: schwarz gefärbtes Zahnfleisch im Oberkiefer,<br />
schwarz gefärbte Zehen, sehr kunstvoll und dazu gut eingewickelt. Alles<br />
ist sehr staubig, es gibt kaum Wasser, die Lebensumstände sind äusserst<br />
schwierig.<br />
Die Kinder machen das Beste draus: sie ziehen sich mit dem Sandstaub<br />
Linien ins Gesicht, die sie als Erwachsene dann als vernarbte Schnitte<br />
auf den Wangen und neben den <strong>Auge</strong>n tragen werden.<br />
Katarina Greifeld, Frankfurt/Main<br />
2004