LUZERN: Blick hinter die Postkartenseiten SCHWEIZER MARINE ...
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Kultur Kultur<br />
bordmagazin 2009<br />
<strong>die</strong> Baselstrasse trieben, um es einmal<br />
pro Woche an den Schweine-, Schafund<br />
Rindermärkten beim Basler Tor<br />
feil zubieten. Später sind <strong>die</strong> Märkte<br />
durch das zentrale Schlachthaus neben<br />
der Kaserne ergänzt worden, was den<br />
Handel noch mehr ankurbelte. Schlachthof<br />
und Kaserne haben später dem Zubringer<br />
der Nationalstrasse N2 weichen<br />
müssen. Übrig geblieben ist einzig der<br />
Name «Kasernenplatz».<br />
Hatten in der Vorstadt vor allem «Hintersassen»<br />
gelebt, Menschen ohne Bürgerrechte,<br />
<strong>die</strong> selbst in der Kirche auf <strong>die</strong><br />
<strong>hinter</strong>en Plätze verbannt wurden, begannen<br />
sich in jenen Zeiten des Handels<br />
auch aufstrebende Unternehmer hier<br />
niederzulassen. Doch am nachhaltigsten,<br />
so erfahren wir, hatten <strong>die</strong> Jakobspilger<br />
dem Quartier ihren Stempel aufgedrückt.<br />
Sie verliehen ihm sogar seinen<br />
früheren Namen St. Jakobs-Vorstadt.<br />
Denn seit dem Mittelalter war der Unter-<br />
bordmagazin 2009<br />
sogar eine Herberge vor, in der sie für <strong>die</strong><br />
nächsten Streckenabschnitte Kräfte tanken<br />
konnten: das so genannte St. Jakobs-<br />
Spital. Heute gibt es an seiner Stelle zwar<br />
nur noch <strong>die</strong> öde Verkehrsfläche, aber es<br />
lässt sich unschwer ausmalen, wie es<br />
damals ausgesehen und gerochen hatte,<br />
wie <strong>die</strong> Luft von Stimmengewirr erfüllt<br />
Nach unserer Stippvisite auf dem<br />
«Kleiderbügel» tauchen wir vollends in<br />
den Untergrund ein. Wir gehen an der<br />
Buchdruckerei Keller vorbei, dem Geburtshaus<br />
des ehemaligen «Luzerner<br />
Tagblatts», einer geistigen Stätte der Liberalen<br />
Partei. Erfahren, dass hier an<br />
der Baselstrasse <strong>die</strong> Kaffeesorte «Negerli<br />
Spannende Einsichten: Auf <strong>die</strong>sem Platz über der Baselstrasse befand sich einst eine Bocciabahn. Oben: Die UntergRundgänger auf der Fussgängerbrücke<br />
am Kasernenplatz.<br />
der Reichen und Mächtigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ein, <strong>die</strong> sich vor dem Historischen Mu- den Lärm zu übertönen, markiert <strong>die</strong><br />
Links: Hochstrasser Kaffee war ein Symbol<br />
Stadt bevölkerten. Denn <strong>die</strong> Infrastrukseum versammelt haben, um sich mit Grenze zum Stadtteil Untergrund. Dort,<br />
für <strong>die</strong> frühe Globalisierung der Läden im<br />
tur Luzerns verdanken wir vor allem dem Volkskundler Mischa Gallati in den am Eingang der Pfistergasse, stand<br />
Quartier.<br />
auch Menschen, <strong>die</strong> auf der Schattensei- Untergrund zu begeben. «Wir fangen einst das Basler Tor, das beim Eindunte<br />
der Stadt lebten», sagt Urs Häner, Ge- mit unserer Führung an, wo <strong>die</strong> andekeln sorgfältig verriegelt wurde. Dort,<br />
werkschafter und eine der treibenden ren aufhören», sagt er zum Auftakt. am Ufer der Reuss, lag <strong>die</strong> Kaserne, <strong>die</strong><br />
Kräfte <strong>hinter</strong> den «UntergRundgängen». Und <strong>die</strong>se Worte hätten passender nicht das Militär noch bis in <strong>die</strong> Dreissiger-<br />
ganz fein» geröstet wurde, dass am Ufer<br />
«Die Führungen sollen jenem Teil der sein können, denn als wir den ruhigen jahre eifrig nutzte; und dort, auf der ge-<br />
der Reuss <strong>die</strong> erste Teigwarenfabrik der<br />
Bevölkerung rückwirkend ein bisschen Hort des Museums verlassen, schlägt genüberliegenden Seite, befand sich<br />
Schweiz eröffnet worden war und auf<br />
Würde zurückgeben und gleichzeitig uns der Verkehrslärm am Kasernen- einst das Waisenhaus.<br />
der Reussinsel <strong>die</strong> Firma Schindler <strong>die</strong><br />
auch zur Identitätsbildung beitragen.» platz wuchtig entgegen, und das Grau Fasziniert lassen wir uns von Mischa<br />
Produktion von Wäschereieinrichtun-<br />
So viel Engagement musste belohnt des Asphalts und der Tunnelschlunde Gallatis Ausführungen in Zeit und<br />
gen für <strong>die</strong> aufkeimende Hotellerie an-<br />
werden: Im November des vergangenen scheinen uns daran zu mahnen, dass Raum zurückversetzen, und ich versukurbelte.<br />
Wir vernehmen schaudernd,<br />
Jahres wurden <strong>die</strong> UntergRundgänge wir nun auf dem Weg sind, den schmuche mir vorzustellen, wie es war, als auf<br />
dass sich unten an der Reuss Richtstätte<br />
mit dem Anerkennungspreis der städticken Teil der Stadt endgültig <strong>hinter</strong> uns dem Platz zu unseren Füssen im 18.<br />
und Henkerhäuschen befunden hatten<br />
schen Kunst- und Kulturpreiskommis- zu lassen. Wir eilen der Reuss entlang Jahrhundert der Handel pulsierte: Wie<br />
grund ein Etappenort gewesen für <strong>die</strong> war, von Rufen, Lachen und Schreien. und schlendern an den typischen Häusion<br />
ausgezeichnet.<br />
und steigen dann auf <strong>die</strong> Fussgänger- schwer beladene Kutschen vom Mittel-<br />
oft zerlumpten und kranken Pilger, <strong>die</strong> Und plötzlich erhält der graue Platz unsern der Kleingewerbler vorbei, <strong>die</strong> ihre<br />
An einem grauen Samstagnachmitbrücke, «Kleiderbügel» genannt, <strong>die</strong> unland her in <strong>die</strong> Stadt herein rollten, wie<br />
sich auf dem Weg nach Santiago de ter uns eine neue Dimension, <strong>die</strong> Bilder Wohnungen praktischerweise direkt<br />
tag ist es dann endlich soweit: Ich maser Trottoir mit der Baselstrasse verbin- sich später <strong>die</strong> Steinhauer aus Italien<br />
Compostela befanden. Da <strong>die</strong> Städter <strong>die</strong> berühren mich. So müssen sich Archäo- über <strong>die</strong> Ladenräume gebaut hatten.<br />
che mich auf, das kennen zu lernen, det, und blicken auf Blechlawinen, oder aus dem Entlebuch oder auch <strong>die</strong><br />
Pilger nicht mochten, war es <strong>die</strong>sen nur logen fühlen, schiesst es mir durch den Die reichen Handelsleute, erklärt Mi-<br />
was bis anhin nur im Zug an mir vorü- Pfistergasse und das Historische Muse- Knechte vor dem Gasthaus «Galliker»<br />
erlaubt, am Stadtrand zu lagern. Ihre Si- Kopf, wenn ihnen ein Stück Erde <strong>die</strong> scha Gallati, während wir in einem stilber<br />
geglitten ist, und reihe mich in den um hinunter. Diese Brücke, erzählt Mi- verdingten (sie taten es bis in <strong>die</strong> 1950er<br />
tuation hätte aber ungleich schlimmer Geheimnisse seines Vorlebens zu offenlen Hinterhof Halt machen, hielt es aber<br />
Kreis der rund zwanzig Neugierigen scha Gallati und hebt seine Stimme, um Jahre), und wie Bauern ihr Vieh durch<br />
sein können, fanden <strong>die</strong> Pilger hier doch baren beginnt.<br />
trotz allen Betriebs nicht lange im Un-<br />
Foto: Stadtarchiv Luzern, F2a/Militärstrasse 0<br />
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