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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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der konvent tanzt<br />

mangelnder innerer Geschlossenheit – und eine grundvernünftige<br />

Art und Weise, mit diesem Zustand umzugehen.<br />

2. Gründe für eine Reform<br />

Dass Österreich mehr Verfassungs<strong>recht</strong>stext hat als jeder andere<br />

Staat der Welt, hängt damit zusammen, dass es über<br />

eine im internationalen Vergleich bemerkenswert dichte Verfassung<br />

verfügt, die den Gesetzgeber in nicht wenigen Bereichen<br />

über Gebühr beschränkt.<br />

Ursache hiefür ist sicherlich auch die Verbreitung großer<br />

Koalitionen und ihrer Neigung, erzielte Kompromisse in die<br />

Verfassung zu kleiden. Diese Vorgangsweise bot in mehrfacher<br />

Weise eine willkommene Absicherung: gegen eine<br />

Kontrolle der Inhalte durch den VfGH, gegen eine Beendigung<br />

der Koalition vor oder nach den nächsten Wahlen, gegen<br />

den Verlust von Einfluss des eigenen Lagers in einer<br />

künftigen Oppositionsperiode. Jedenfalls ist es Usus geworden,<br />

sich auf Ausnahmen zu verständigen, statt über die<br />

Sinnhaftigkeit der allgemeinen Regeln zu diskutieren. Neben<br />

der eigentlichen Kompetenzverteilung existiert ein kompetenz<strong>recht</strong>liches<br />

Schattenregime, das aus befristeten oder<br />

unbefristeten Ausnahmen, Durchbrechungen, aus (im Jargon<br />

als „wie-sie“-Klauseln titulierten) verfassungs<strong>recht</strong>lichen<br />

Abdeckungen ad hoc erzielter Kompromisslösungen<br />

und aus Klarstellungen von Länderkompetenzen besteht.<br />

Neben dem verfassungs<strong>recht</strong>lichen Organisations<strong>recht</strong>, das<br />

weitgehend Rahmenbedingungen für die einfachgesetzliche<br />

Ausgestaltung enthält, gibt es Organisations<strong>recht</strong> im Verfassungsrang,<br />

das sich über diese Rahmenbedingungen und<br />

über die bundesstaatliche Kompetenzverteilung hinwegsetzt.<br />

Neben den Grund<strong>recht</strong>en existiert eine Ansammlung<br />

von Vorschriften im Verfassungsrang, deren Funktion je<br />

nach Blickwinkel in der Klarstellung der verfassungs<strong>recht</strong>lichen<br />

Zulässigkeit oder in der Ermöglichung des grund<strong>recht</strong>lich<br />

Unzulässigen liegt.<br />

All diese Sonderregelungen stellen nicht nur ihres Ausnahmecharakters<br />

wegen ein tendenzielles Ärgernis dar, sondern<br />

sie engen durch ihre bloße Existenz den Spielraum der<br />

Politik entscheidend ein. Von Sonderbehörden, für die aus in<br />

Vergessenheit geratenen Gründen eine verfassungs<strong>recht</strong>liche<br />

Verankerung beschlossen worden ist, kann sich eine einfache<br />

parlamentarische Mehrheit beispielsweise nicht mehr<br />

trennen. Diese Verfassungsverflechtungsfalle wirkt sich im<br />

demokratischen Normalzustand kleiner Koalitionen oder<br />

knapper absoluter Parlamentsmehrheiten reformhemmend<br />

aus.<br />

Schlechte Gewohnheiten sind jedoch nur ein Faktor unter<br />

vielen. Andere Ursachen haben gleiches, wenn nicht größeres<br />

Gewicht. Ein erster Grund liegt darin, dass das B-VG Österreich<br />

in traditionellen bundesstaatlichen Strukturen verfasst,<br />

die dem politischen System nicht adäquat sind: Die<br />

Kompetenzverteilung ist als eine im Kern starre Trennungsordnung<br />

konzipiert, mit der unser Verbundföderalismus auf<br />

Schritt und Tritt in Konflikt gerät und aufgrund europa<strong>recht</strong>licher<br />

Anforderungen auch in Konflikt geraten muss. Zweitens<br />

spielt eine Rolle, dass die Weisungsbindung der Verwaltung<br />

für andere Formen ihrer demokratischen Legitimation<br />

zu wenig Raum lässt. Ein dritter Grund liegt im Verhältnis<br />

zum Völker<strong>recht</strong>. Auch nach Schaffung des Art 9 Abs 2<br />

B-VG ist es nicht selten noch notwendig, völker<strong>recht</strong>liche<br />

Verträge als verfassungsändernd zu genehmigen: etwa, weil<br />

sie Hoheits<strong>recht</strong>e der Länder übertragen, weil sie zur Änderung<br />

ihrer selbst in vereinfachten Verfahren ermächtigen,<br />

weil sie Menschen<strong>recht</strong>e enthalten, die innerstaatlich als verfassungsgesetzlich<br />

gewährleistete Rechte einklagbar sein<br />

sollen, weil sie Eingriffe in die Einheit des Wirtschafts-,<br />

Währungs- und Zollgebiet bewirken. Schließlich sind<br />

Grenzänderungen an die Verfassungsform gekoppelt. Die<br />

Liste ließe sich fortsetzen; die Verankerung von Deutsch als<br />

Staatsprache, die schon die amtliche Übersetzung von Asylbescheiden<br />

oder die Abhaltung von Prüfungen in einer<br />

Fremdsprache zu einem Verfassungsproblem macht, sei als<br />

letztes Kuriosum erwähnt. Und all diesen Gründen ist gemeinsam,<br />

dass sie nicht einseitig auf das Konto von Politik<br />

und Verfassungsgesetzgebung verbucht werden können.<br />

Lehre und Rechtsprechung haben durch ihre Interpretationstätigkeit<br />

zur derzeitigen Situation das ihre beigetragen.<br />

Die Form der Verfassung muss, wie schon festgehalten,<br />

ihren Inhalten angemessen sein. Die Konzentration des Verfassungs<strong>recht</strong>s<br />

in einer Urkunde ist nur unter der Voraussetzung<br />

anzuraten, dass zuvor die endogenen Ursachen für die<br />

Produktion von Verfassungs<strong>recht</strong> beseitigt werden.<br />

3. Die Chancen des Österreich-Konvents<br />

Die Chancen, dass dies im Konvent gelingen könnte, sind<br />

äußerst gering. Denn mit stilistischen Detailkorrekturen und<br />

der Verankerung eines Inkorporationsgebots ist es nicht ge-<br />

juridicum 4 / 2003 Seite 193

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