Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft
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thema<br />
nende Haltung dazu darzulegen, auch zu der von mir als <strong>kritik</strong>würdig<br />
angesehen Zusammensetzung, dem aus historischen<br />
Gründen unpassenden Namen und dem bisher noch<br />
ergebnislosen Wirken des Konvents etwas anfügen. Und<br />
wenn es sich noch ausgeht, würde ich gerne auch ein paar<br />
Reformprobleme aus verfassungs<strong>recht</strong>licher Sicht ansprechen<br />
und diese in ihrer Dringlichkeit begründen, um diese<br />
von den von mir hier so genannten und gesehenen Scheinproblemen<br />
wie „Gott in der Verfassung“ und dem Kinderwahl<strong>recht</strong><br />
abzugrenzen.<br />
1.2 Der wahl<strong>recht</strong>shistorische Ansatz<br />
Wahl<strong>recht</strong>sfragen kann man nur dann einigermaßen verstehen,<br />
wenn man die Entwicklung des republikanischen Wahl<strong>recht</strong>s<br />
kennt, die ich daher hier in aller Kürze in den relevanten<br />
Punkten rekapitulieren werde. Falls mir dabei Unschärfen<br />
unterlaufen, bitte ich um Nachsicht, ich werde<br />
demnächst den historischen Abriss meiner Habilitationsschrift<br />
dazu veröffentlichen, der natürlich genauer belegt ist.<br />
Aber hier geht es ja nur um eine „Rampe“, auf der das Thema<br />
Kinderwahl<strong>recht</strong> eine sinnvolle Basis in der Entwicklung<br />
der Ersten und Zweiten Republik findet. Nach Gründung der<br />
Republik Deutsch-Österreich im Jahr 1918 erhielt der neue<br />
Staat, der an die Verfassung der Monarchie nicht mehr anknüpfte<br />
(Diskontinuität bzw Revolution), dann später aber<br />
mangels Konsens einige Verfassungsinhalte übernahm (vor<br />
allem das StGG 1867, die Gemeinde- und die Schulverfassung)<br />
eine demokratische Wahlordnung zur konstituierenden<br />
Nationalversammlung, worin das politisch längst fällige<br />
Frauenwahl<strong>recht</strong> hervor sticht. Der Rest war aber vor allem<br />
in wahlsystematischer Betrachtung kein allzu großer Wurf,<br />
wie sich bald zeigen sollte. Denn diese Wahlordnung sah nur<br />
ein Ermittlungsverfahren vor, das verbunden mit dem noch<br />
näher zu erörternden Wahlkreissystem zu großen Verzerrungen<br />
führte. Dennoch bedeutete die Ausweitung des Kreises<br />
der Wahlbe<strong>recht</strong>igten auf alle Frauen, die das Wahlalter erreicht<br />
hatten und die nicht den (für Männer und Frauen natürlich<br />
gleich geltenden), <strong>recht</strong> weit gefassten Ausschlussgründen<br />
unterlagen, einen großen Fortschritt<br />
Um einem weit verbreiteten Irrtum zu begegnen: Dass<br />
verschiedentlich schon von einem „allgemeinen“ Wahl<strong>recht</strong><br />
mit der Beck’schen Wahlreform 1907 der alten Reichsrats-<br />
Wahlordnung gesprochen wird, ist <strong>recht</strong>swissenschaftlich<br />
unscharf, <strong>recht</strong>spolitisch aus heutiger Sicht ein Hohn und für<br />
engagierte Frauen eine Provokation, da ja damals nur Männer<br />
wählen durften, wenn auch ohne Zensus und Wählerklassen.<br />
Sogar den wenigen wahlbe<strong>recht</strong>igten Frauen, die zB<br />
in der Kurie der Großgrundbesitzer(innen) zuvor hatten<br />
wählen dürfen, nahm diese allseits gelobte Wahlreform ihre<br />
politische Mitwirkung. 4 Trotz intensiver Bemühungen war<br />
es in der Monarchie gut dreißig Jahre lang nicht gelungen,<br />
............................................<br />
4 Näheres hiezu bei Manfred Nowak/Gerhard<br />
Strejcek, Das Wahl- und Stimm<strong>recht</strong>, in: Machacek/<br />
Pahr/Stadler (Hrsg), Grund- und Menschen<strong>recht</strong>e<br />
III. Strasssburg – Arlington – Kehl am Rhein (1997)<br />
1 ff (18 ff).<br />
5 Hans Kelsen, Kommentar zur Reichsrats-Wahlordnung,<br />
Wien (1907) 3 ff.<br />
6 Wer nach biografischem Material zu Renner<br />
sucht, wird vor allem beim Autor Siegfried Nasko<br />
fündig; siehe ders, Dr. Karl Renner. Vom Bauernsohn<br />
zum Bundespräsidenten, Katalog zum Dr. Karl-<br />
Renner-Museum, Wien – Gloggnitz (1979); ders<br />
(Hrsg), Karl Renner in Dokumenten und Erinnerungen,<br />
Wien (1982); ders, Karl Renner, in Wilhelm<br />
Brauneder (Hrsg), Juristen in Österreich 1200–<br />
1980, Wien (1987) 280; zuletzt auch ders/Johannes<br />
das Frauenwahl<strong>recht</strong> zu verankern. Die neue republikanische<br />
Wahlordnung trug die Handschrift Karl Renners und<br />
Hans Kelsens, letzterer hatte auch schon das Reichsratswahl<strong>recht</strong><br />
idF 1907 <strong>recht</strong>swissenschaftlich fundiert und exakt<br />
kommentiert. 5 In dieser Publikation schimmerten bereits<br />
sein großes <strong>recht</strong>stechnisches, -dogmatisches und -systematisches<br />
Talent, seine Übersicht und seine manchmal geradezu<br />
geniale Formulierungsgabe durch, aber auch seine<br />
Schwäche, <strong>recht</strong>spolitisch wirklich brauchbare, will sagen<br />
konsensuale, einfache und verständliche Lösungen nicht zu<br />
liefern. Bei Renner war es eher umgekehrt, ihn zeichnete<br />
eine große praktisch-legistische Begabung aus, 6 eine Nähe<br />
zu den Problemen einfacher Leute und eine völlige Weltfremdheit<br />
in den größeren politischen Zusammenhängen. Es<br />
wäre für Österreich vielleicht besser gewesen, Hans Kelsen<br />
nach Saint Germain zu schicken und Renner in Wien eine<br />
komplett neue Wahlordnung erstellen lassen, aber man kann<br />
das Rad der Geschichte nicht mehr anders herum drehen. In<br />
achtzig oder hundert Jahren wird man sich vielleicht fragen,<br />
warum der von seinen zeitlichen Kapazitäten her durchaus<br />
gut verfügbare und sehr konsensorientierte, ehemalige<br />
VfGH-Präsident dem Konvent gar nicht angehört, was zweifellos<br />
eine herbe Kränkung darstellt, und warum dort ein<br />
Durcheinander an PolitikerInnen, Interessenvertretern (Jugendliche<br />
ausgenommen) und Experten (nicht aber Expertinnen)<br />
herrschte, aber das ist jetzt (noch) nicht das Thema.<br />
1.3 Wahlgleichheit, Familienwahl<strong>recht</strong> und<br />
Verhältniswahl<strong>recht</strong><br />
Gehen wir noch einmal kurz zurück in das Jahr 1918. In der<br />
Frage des Wahlsystems prallten die Vorstellungen der beiden<br />
berühmten Juristen aufeinander, und es gab auch noch eine<br />
Fülle von anderen Theoretikern, die sich zum Wahl<strong>recht</strong> äußerten.<br />
In einem breiten Konsens wollte man weg vom<br />
Mehrheitswahl<strong>recht</strong> der Monarchie, wobei man aber nicht<br />
ausreichend berücksichtigte, dass mit dem Habsburgerreich<br />
auch dessen räumliches und ethnisches Substrat größtenteils<br />
verschwunden war, das heißt all die Verzerrungen und unglaublichen<br />
Ungleichheiten zB im Erfolgswert und in der<br />
Mandatszahl zwischen, sagen wir Österreich unter der Enns<br />
einerseits und Galizien andererseits, 7 waren schon 1918 kein<br />
Thema mehr. Man hätte also ohne große Sorgen ein Mehrheitswahl<strong>recht</strong><br />
fort schreiben können, aber dafür war politisch<br />
kein Konsens gegeben. Damals war das Proportionalwahl<strong>recht</strong><br />
en vogue. Was in der Wahlordnung also heraus<br />
kam, war ein Verhältniswahl<strong>recht</strong> in historisch gewachsenen<br />
Wahlkreisen, ein Aspekt den vor allem Renner postulierte.<br />
Damit war aber neuerlich eine irrationale und ungleiche<br />
Grenzziehung programmiert. Dass die Wahlordnung noch<br />
Wahlkreise in Südböhmen und –tirol vorsah, erwies sich<br />
ebenfalls als unrealistisch. Mit seinen weit vom „mainstream“<br />
abweichenden in Zeitschriften und Zeitungsartikeln<br />
Reichl, Karl Renner. Zwischen Anschluß und Europa,<br />
Wien (2000).<br />
7 Siehe dazu Vasilij Melik, Wahlen im alten Österreich,<br />
Wien – Köln – Weimar (1997) 22. Im Jahr<br />
1861 vertrat ein Vorarlberger oder Triestiner Abgeordneter<br />
rund 50.000 WählerInnen, ein galizischer<br />
hingegen 120.000 im Reichsrat.<br />
Seite 196 juridicum 4 / 2003