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Lokale Verantwortungsgemeinschaften für Bildung - Deutsche ...

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Fachtag<br />

„<strong>Lokale</strong> <strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong> für <strong>Bildung</strong>“<br />

Berlin, Neue Mälzerei/Umweltforum 18.11.2008<br />

Dokumentation<br />

Ein gemeinsames Programm<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Kinderund<br />

Jugendstiftung und<br />

der Jacobs Foundation


Inhalt<br />

Alle <strong>Bildung</strong>sgeschichten von Kindern und<br />

Jugendlichen sollen Erfolgsgeschichten sein.<br />

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Vorwort<br />

<strong>Lokale</strong> <strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong> für <strong>Bildung</strong><br />

Peter Bleckmann/Heike Kahl<br />

A Inputs<br />

<strong>Lokale</strong> <strong>Bildung</strong>slandschaften: Neue Wege der Kooperation<br />

Dr. Karsten Speck, Universität Potsdam<br />

<strong>Bildung</strong>spolitische Perspektiven<br />

Wie der Bund mit „Lernen vor Ort“ neue bildungspolitische Akzente setzt<br />

Corinna Maria Brüntink, Bundesministerium für <strong>Bildung</strong> und Forschung<br />

Wie das Land Schleswig-Holstein den Aufbau lokaler <strong>Bildung</strong>slandschaften unterstützt<br />

Karsten Egge, Sozialministerium Schleswig-Holstein<br />

Wie Kommunen mehr Verantwortung für <strong>Bildung</strong> übernehmen können<br />

Prof. Dr. Angela Faber, <strong>Deutsche</strong>r Städtetag<br />

B Foren<br />

Forum 1 Jeder Lernende ist besonders. Individuelle <strong>Bildung</strong>sverläufe begleiten<br />

Kommune I: Weiterstadt (Hessen, Lebenswelt Schule)<br />

Kommune II: Wiesbaden (Hessen, Weinheimer Initiative)<br />

Experte: Dr. Hans-Rudolf Leu, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut<br />

Forum 2 Kein Kind soll verloren gehen. Was muss vor Ort passieren, damit Integration gelingt<br />

Kommune I: Reuterkiez Berlin-Neukölln: 1 Quadratkilometer <strong>Bildung</strong><br />

Kommune II: Fachbereich Schule und Regionales <strong>Bildung</strong>sbüro Dortmund<br />

Experte: Dr. Günter Warsewa, IAW Universität Bremen<br />

Forum 3 Das ist unsere Welt. Kinder, Jugendliche und Erwachsene gestalten ihre lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

Kommune I: Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein, Lebenswelt Schule)<br />

Kommune II: Saalfeld (Thüringen), Projekt Nelecom<br />

Experte: Prof. Dr. Sturzenhecker, Universität Hamburg<br />

Forum 4 <strong>Bildung</strong>seinrichtungen und lokale Räume: Getrennte Welten oder eine gemeinsame Landschaft<br />

Kommune I: Bernburg / Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt, Lebenswelt Schule)<br />

Kommune II: Neugraben-Fischbek/Neuwiedenthal in Hamburg-Harburg, vorgestellt von der Stadterneuerungs- und<br />

Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg)<br />

Experte: Prof. Dr. Häußermann, Humboldt Universität, Berlin<br />

Forum 5 Vom Verwalten zum Moderieren. Neue Rollen der Kommune bei der Steuerung von <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

Kommune I: Weinheim (Baden-Württemberg, Lebenswelt Schule)<br />

Kommune II: Landkreis Görlitz (Sachsen, Lernende Regionen PONTES)<br />

Experte: Dr. Heinz-Jürgen Stolz, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut<br />

C Podiumsdiskussion<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaften auf dem Weg von Top-down über Bottom-up zu komplexen Kommunikationsformen<br />

D Ausblick<br />

Dr. Bernd Ebersold, Jacobs Foundation<br />

Impressum


Vorwort<br />

<strong>Lokale</strong> <strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong> für <strong>Bildung</strong><br />

Die bestmögliche individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen<br />

kann nur gelingen, wenn <strong>Bildung</strong> zu einem Gemeinschaftsprojekt<br />

wird, das insbesondere vor Ort gestaltet wird. Aus dieser Erkenntnis<br />

ist in den letzten Jahren in Deutschland eine Reformdynamik<br />

erwachsen, die viele Begriffe kennt: <strong>Lokale</strong> Vernetzung, kohärentes <strong>Bildung</strong>smanagement<br />

vor Ort, lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften. So vielfältig<br />

die Begriffe, so unterschiedlich sind auch die Konzepte, die dabei umgesetzt<br />

werden. Bei aller Unterschiedlichkeit scheint aber eines klar zu<br />

sein: Der notwendige Perspektivwechsel – weg von der Institutionenorientierung,<br />

hin zu einem subjektorientierten Blick – erfordert Kooperation<br />

und Bündelung von Ressourcen in neuer Qualität.<br />

Beim Fachtag ist es gelungen, die Breite dieser Entwicklung in Deutschland<br />

und die Unterschiedlichkeit der Ansätze erfahrbar zu machen. Einige<br />

der zentralen aktuellen Entwicklungslinien wurden beim Fachtag<br />

vorgestellt und diskutiert. Bund, Länder und Kommunen haben ihre<br />

Anstrengungen präsentiert, ebenso wie Stiftungen und lokale Initiativen.<br />

Anwesend waren namhafte Experten, die aus ihrer Sicht die Entwicklungen<br />

der Praxis reflektiert und kommentiert haben.<br />

Dabei ging es nicht um Sonntagsreden: Gleich im ersten Beitrag wurde<br />

deutlich darauf hingewiesen, dass Kooperation schwierig sein kann,<br />

dass es unterschiedliche Selbstverständnisse und Traditionen gibt, die<br />

Kooperation erschweren, und dass der theoretische Anspruch zur Ressourcenbündelung<br />

und Vernetzung nur dann erfolgreich umgesetzt<br />

werden kann, wenn alle Seiten daraus einen Nutzen ziehen. Damit<br />

wurde auch für den Rest des Fachtags ein Tenor der Ehrlichkeit gesetzt,<br />

so dass in den Foren an echten Themen und realen Fragen gearbeitet<br />

werden konnte.<br />

Gastgeber des Fachtags waren die Akteure des Programms „Lebenswelt<br />

Schule“: Das sind zunächst die Jacobs Foundation und die <strong>Deutsche</strong><br />

Kinder- und Jugendstiftung, die das Programm konzipiert haben<br />

und es umsetzen. Dazu zählen aber auch die Vertreterinnen und Vertreter<br />

aus den vier Modellkommunen, die im Rahmen des Programms<br />

über einen Zeitraum von drei Jahren beim Aufbau und der Weiterentwicklung<br />

lokaler Verantwortungsnetze unterstützt werden. Ende 2008,<br />

nach rund einem Jahr Programmlaufzeit, waren bereits erste Erfolge<br />

dieses Prozesses sichtbar. Wichtig war es aber auch, beim Fachtag die<br />

Gelegenheit zu nutzen, von anderen Kommunen und von Expertinnen<br />

und Experten zu lernen und in einen Dialog zu treten.<br />

In der vorliegenden Dokumentation sind alle Beiträge des Fachtags sowie<br />

die Diskussionen in den Foren und auf dem Podium in gekürzter<br />

Form wiedergegeben. Grundlage dafür waren die während des Fachtags<br />

erstellten Tonbandmitschnitte, die transkribiert und lektoriert wurden.<br />

Auf das vorhandene schriftliche Material wurde ebenfalls zurückgegriffen.<br />

Beim Lesen werden Sie daher merken, dass der Text nah am gesprochenen<br />

Wort ist: Es ging uns darum, die Lebendigkeit des Fachtags<br />

soweit wie möglich auch in dieser Dokumentation spürbar werden zu<br />

lassen. Wir hoffen, dass diese Dokumentation für Sie viele Impulse zum<br />

Weiterdenken und –arbeiten bereithält.<br />

In diesem Sinne wünschen Ihnen die Jacobs Foundation und die <strong>Deutsche</strong><br />

Kinder- und Jugendstiftung eine anregende Lektüre.<br />

Mehr zum Programm „Lebenswelt Schule“<br />

www.lebenswelt-schule.net<br />

3


A Inputs<br />

Den Einstieg in den Fachtag gestaltete Karsten Speck<br />

und präsentierte die Perspektive der Wissenschaft zu<br />

Kooperationen in lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften.<br />

4<br />

<strong>Lokale</strong> <strong>Bildung</strong>slandschaften:<br />

Neue Wege der Kooperation<br />

Dr. Karsten Speck<br />

Universität Potsdam<br />

Ich werde in meinem Referat vier Punkte thematisieren. Zunächst sind<br />

Anlässe und Merkmale von lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften zu benennen,<br />

dann ist der Blick auf das tatsächlich oder vermeintlich Neue von lokalen<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaften zu richten. Aus diesem Blick ergeben sich<br />

kritische Anfragen, die es näher zu beleuchten gilt. Im vierten Punkt<br />

werde ich Konsequenzen für gelingende lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

aufzeigen.<br />

Nach meiner Wahrnehmung haben wir ein Zeitalter, das geprägt ist von<br />

einem „vor und nach PISA“. Interessant sind vor allem die sozialen Implikationen,<br />

die aus der PISA-Studie hervorgehen, und Diskussionen,<br />

die angestoßen wurden und die man für lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

nutzen kann und sollte. Eine Debatte, die seit Längerem geführt wird,<br />

ist die der Öffnung von Schule und Ganztagsschule und die damit verbundenen<br />

schulischen und gesellschaftlichen Herausforderungen.<br />

Im Bereich der Jugendhilfe finden sich Konzepte zur Sozialraumorientierung,<br />

ein Containerbegriff wie der der lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften.<br />

Ansatzpunkt ist es, stärker auf Sozialräume einzugehen, dort nach Milieus<br />

zu suchen und adäquate Angebote aufzuzeigen. Der Jugendhilfe<br />

geht es insbesondere um eine stärkere Öffnung in Richtung Schule. Es<br />

gibt Regelungen, die den Ausbau von Schulkooperation und Schulsozialarbeit<br />

fördern. Das führt zu einem geschärften Bewusstsein von<br />

Jugendhilfeträgern und der Forderung nach einem erweiterten <strong>Bildung</strong>sverständnis,<br />

welches sich in dem Statement „<strong>Bildung</strong> ist mehr als<br />

Schule“ niederschlägt.<br />

Die Forderung nach einem erweiterten <strong>Bildung</strong>sverständnis betrifft<br />

aber auch Schulen. Für sie heißt es, nicht nur die formale <strong>Bildung</strong> in den<br />

Blick zu nehmen, sondern non-formale und informelle <strong>Bildung</strong>sformen<br />

zu integrieren, die Jugendhilfe als <strong>Bildung</strong>sakteur zu akzeptieren und<br />

entsprechend einzubeziehen. Informelle <strong>Bildung</strong> über Peergroups, Medien<br />

und Ähnliches sind Einflussgrößen auf <strong>Bildung</strong>sprozesse, die inzwischen<br />

anerkannt werden. Es gibt Wissenschaftler, die davon ausgehen,<br />

dass 80 Prozent des Wissens außerhalb von Schule angeeignet<br />

wird. Es existiert allerdings meines Erachtens noch keine Studie, die das<br />

tatsächlich empirisch belegt.<br />

Ansätze und Strategien für eine regionale oder kommunale Jugend- und<br />

Schulpolitik prägen die Auseinandersetzung um <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

auf der lokalen Ebene. Der 12. Kinder- und Jugendbericht hat die Thematik<br />

ausführlich behandelt, er verwendet interessanterweise unterschiedliche<br />

Begrifflichkeiten: lokale, regionale und kommunale <strong>Bildung</strong>slandschaften.<br />

In dem Bericht wird deutlich darauf hingewiesen,<br />

dass die Kommunen eine starke planerische Verantwortung haben. Die<br />

<strong>Deutsche</strong> Kinder- und Jugendstiftung spricht von verbesserter Vernetzung<br />

und Bündelung der unterschiedlichen Ressourcen, die mit <strong>Bildung</strong><br />

zu tun haben. Die Bertelsmann Stiftung konzentriert sich auf Schulentwicklungsprozesse.<br />

Das <strong>Deutsche</strong> Jugendinstitut fokussiert auf neue<br />

Ansätze und operationalisiert anhand von bestimmten Dimensionen,<br />

was Grundmerkmale von lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften sind. Letztendlich<br />

kommt es zu durchaus unterschiedlichen Akzentuierungen, wie der<br />

Begriff inhaltlich zu füllen ist. Das macht es schwierig, ihn zu bestimmen,<br />

abzugrenzen und eine Diskussion über Sinn, Vorteile, Nachteile,<br />

Möglichkeiten und Grenzen zu führen.<br />

Ich komme zum zweiten Punkt. Das Neue an kommunalen <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

ist, dass <strong>Bildung</strong> inzwischen ein Thema ist, das in Wahlkämpfen<br />

beachtet wird. Es entscheidet Wahlkämpfe zwar nicht, aber es<br />

wird für gesellschaftlich relevant gehalten. 76.000 Schüler, die jährlich<br />

ohne Abschluss die Schule verlassen, zeigen, dass es ein <strong>Bildung</strong>sverständnis<br />

geben muss, das nicht nur auf den schulischen Bereich bezogen<br />

ist. Der Blick richtet sich vermehrt auf formale, non-formale und<br />

informelle <strong>Bildung</strong> und führt damit weg von versäulten, vermeintlich<br />

bewährten <strong>Bildung</strong>s- und Sozialstrukturen (Input) hin zur Frage,<br />

wie man gelingende <strong>Bildung</strong>sbiografien sicherstellen kann (Outcome).<br />

Während man es früher für selbstverständlich oder einfach für individuell<br />

verursachtes Verhalten hielt, dass jemand in der Schule nicht mitkam,<br />

gibt es heute so etwas wie eine gesellschaftliche Verantwortung für<br />

die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen. Das impliziert,<br />

die zahlreichen Angebote einzelner <strong>Bildung</strong>sakteure zu bündeln<br />

und zu abgestimmten, lokalen <strong>Bildung</strong>skonzepten zu entwickeln.<br />

Damit bin ich beim dritten Punkt: Anfragen. Was auffällt, ist, dass der<br />

Begriff Kooperation, wie er in lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften verwendet<br />

wird, mit einem hohen normativen Anspruch besetzt ist: Synergieeffekte,<br />

konsistentes Gesamtsystem von <strong>Bildung</strong>, Betreuung und Erziehung<br />

im Interesse der Kinder und Jugendlichen sind Schlüsselbegriffe.<br />

Wenn man das etwas nüchterner betrachtet, geht es erst einmal bloß darum,<br />

zusammenzuarbeiten, und dies bewusst und längerfristig. Wichtig<br />

ist für solch eine Kooperation, dass tatsächlich ein Nutzen entsteht.<br />

In der Regel sollten nicht die Institutionen, sondern die beteiligten Akteure<br />

einen Nutzen erlangen, denn ohne diesen arbeiten sie nicht zusammen.<br />

Kooperation verläuft über Beziehungen und nicht über Insti-


tutionen. Kooperation ist kein Allheilmittel, wie das häufig suggeriert<br />

wird. Kooperationen sind schwierig und äußerst konfliktanfällig, wie<br />

Untersuchungen verdeutlichen. Schule oder Akteure in der Institution<br />

Schule denken, ticken anders als Akteure in der Jugendhilfe. Sie haben<br />

andere Logiken und Anerkennungsprinzipien.<br />

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Warum sollten sich Institutionen<br />

und Beteiligte in lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften engagieren<br />

Was macht das Spezifische von lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften aus Was<br />

brauche ich für fachliche, strukturelle und akteurspezifische Standards<br />

Wer muss beteiligt sein Welche Rahmenbedingungen sind unerlässlich<br />

Unstrittig ist, dass lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften bestimmte Rahmenbedingungen<br />

benötigen. Das ist so lange unstrittig, bis diskutiert<br />

wird, wer diese finanzieren soll. Wir brauchen finanzielle Ausstattung,<br />

fachliche und rechtliche Kompetenzen. In den meisten Bundesländern<br />

sind – streng genommen – lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften nicht möglich,<br />

weil die Kommunen keine Steuerungsmöglichkeiten haben. Das heißt,<br />

es müssten adäquate rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden.<br />

Welche Ausstattung, Kompetenzen und Strukturen benötigen Kommunen,<br />

aber auch Schulen für die Ausgestaltung und Steuerung lokaler<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaften und verfügen sie im Regelfall über diese Wie<br />

können lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften tatsächlich gesteuert werden Wer<br />

ist dafür zuständig Aus meiner Sicht ist eine wichtige Frage, die bisher<br />

eher vernachlässigt wird: Warum sind Kommunen kompetenter als<br />

Länder, <strong>Bildung</strong>sfragen zu klären Sind Kommunen tatsächlich in der<br />

Lage, ihre Moderations-, Ausgestaltungs- und Steuerungsrolle wahrzunehmen<br />

und nicht nur zu verwalten und den entsprechenden bürokratischen<br />

Überbau vorzulegen Kommune bedeutet nicht gleich bessere<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft. Wie sollen lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften funktionieren,<br />

wenn bereits die Kooperation von Jugendhilfe und Schule schwierig<br />

ist und es auch an Ganztagsschulen keine pädagogische Abstimmung<br />

gibt<br />

• Kooperation mit Blick auf <strong>Bildung</strong>sfragen gepflegt, gemeinsam ausgewertet<br />

und weiterentwickelt wird.<br />

• von oben aktiv unterstützt und gesteuert wird.<br />

Wenn die Leitungsebene nicht mitzieht, also Kommune, Schulaufsicht,<br />

Schulleitung, dann bekommt man Probleme. Dieser Hinweis bedeutet<br />

nicht, dass die Leitungsebene allein und ohne die Beteiligten funktionieren<br />

kann, aber ohne sie werden wir die angestrebten Ziele nicht erreichen.<br />

Die Botschaft lautet: Kommunen, bitte geht in die Verantwortung!<br />

Ich wende mich damit den Schlussfolgerungen zu: <strong>Lokale</strong> <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

lohnen sich. Sie funktionieren aber nur dann gewinnbringend,<br />

wenn<br />

• unterschiedliche Akteure eingebunden werden (z. B. Eltern, Kita, Jugendhilfe).<br />

• Kooperation gewollt ist sowie für die beteiligten Akteure ein persönlicher<br />

Nutzen zu erwarten ist.<br />

• Kompetenzen, Grenzen und Methoden der anderen Professionen<br />

und Beteiligten bekannt und anerkannt sind.<br />

• Bedarf, pädagogische Ziele, finanzielle und personelle Rahmenbedingungen<br />

und Verantwortlichkeiten im Vorfeld geklärt sind.<br />

5


Mit den folgenden Inputs haben wir uns auf eine Reise<br />

durch die <strong>Bildung</strong>srepublik begeben und das Thema lokaler<br />

<strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong> aus Perspektive<br />

des Bundes, der Länder und Kommunen in den Blick genommen.<br />

<strong>Bildung</strong>spolitische Perspektiven<br />

Wie der Bund mit „Lernen vor Ort“ neue<br />

bildungs politische Akzente setzt<br />

Corinna Maria Brüntink<br />

Bundesministerium für <strong>Bildung</strong> und Forschung (BMBF)<br />

Die Umsetzung des Lebenslangen Lernens braucht Konzepte, die über<br />

Ressortgrenzen hinausgehen; Lebenslanges Lernen ist eine Querschnittsaufgabe<br />

und erfordert darüber hinaus Kooperationen mit externen<br />

regionalen Partnern der <strong>Bildung</strong>, wie den Kammern und Unternehmen,<br />

nicht kommunalen <strong>Bildung</strong>strägern, Hochschulen,<br />

Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Vereinen und nicht zuletzt<br />

regionalen <strong>Bildung</strong>snetzwerken.<br />

Das Bundesministerium für <strong>Bildung</strong> und Forschung (BMBF) hatte deshalb<br />

gemeinsam mit den Län dern im Jahr 2000 das im Bereich des Lebenslangen<br />

Lernens bisher größte <strong>Bildung</strong>sprogramm „Ler nende Regionen<br />

– Förderung von Netzwerken“ initiiert. Im Rahmen dieses<br />

Programms wurden in insgesamt rund 75 solcher „Lernender Regionen“<br />

innovative Ansätze für <strong>Bildung</strong>sarbeit in Netzwerken entwickelt<br />

und erprobt. Ziel war es, die Verwirklichung des Lebenslangen Lernens<br />

direkt mit der Standort- und Regionalentwicklung zu verknüpfen.<br />

Durch die Optimierung des <strong>Bildung</strong>shandelns sollten entscheidende<br />

kommunale Innovationen zur Anpassung der Daseinsfürsorge an die<br />

sich rapide wan delnden gesellschaftlichen Herausforderungen erreicht<br />

werden. Dabei identifizierte man vielerorts Elemente der Standort- und<br />

Regionalentwicklung als Lernanlässe für die beteiligten Institutionen<br />

und auch – in inno vativen Beteiligungsverfahren – für die Bürgerinnen<br />

und Bürger.<br />

Bei der Umsetzung des Programms wurde – durch die Ergebnisse der<br />

fortlaufenden Evaluie rung - deutlich, dass die Kommunen in vielen<br />

„Lernenden Regionen“ zwar beteiligt waren oder noch sind, aber eben<br />

nicht in allen und vor allem nicht überall im notwendigen Ausmaß.<br />

Viele „Lernende Regionen“ hätten sonst noch erfolgreicher sein können,<br />

als sie es durchaus waren und zum Teil ja noch sind.<br />

Die Bundesministerin für <strong>Bildung</strong> und Forschung hat im Jahre 2006<br />

aufgrund der vorliegenden Ergeb nisse des Programms und der bisherigen<br />

Aktivitäten im Bereich der Weiterbildung einen Innovations kreis<br />

Weiterbildung ins Leben gerufen, der neue Akzente im Feld der Weiterbildung<br />

setzen und für den Bund weiterführende Empfehlungen abgeben<br />

sollte. Es wurden Arbeits- und Fachkreise zu zen tralen Fragen<br />

der Weiterbildung eingerichtet, unter anderem auch zum Thema „Lernen<br />

in der Stadt/in der Region“. Dabei wurde deutlich, dass neben der<br />

notwendigen wissenschaftlichen Diskussion um Forschungsfragen und<br />

Desiderata in der Weiterbildung insbesondere die Vertreter der Stiftungen<br />

sich aktiv mit einem handlungsorientierten Ansatz einbringen<br />

wollten. Ziel sollte es sein, in einer öffentlich-privaten Partnerschaft des<br />

BMBF gemeinsam mit Stiftungen kommunales <strong>Bildung</strong>smanagement<br />

zu initiieren und implementieren. Stärker als bisher sollen nunmehr die<br />

<strong>Bildung</strong>sangebote aufeinander abgestimmt und miteinander verzahnt<br />

werden. Sie sollen allen zugänglich, übersichtlich und bezahlbar sein.<br />

Gefragt sind nachhaltige, auch in der Zukunft tragfähige Ideen und<br />

Konzepte. Sie können von ausgefeilten Kooperationen aller <strong>Bildung</strong>sinstitutionen<br />

zur Optimierung der <strong>Bildung</strong>sinfrastruktur bis hin zur noch<br />

stärkeren Einbindung des <strong>Bildung</strong>sgedankens in die Städteplanung reichen.<br />

Ein gutes <strong>Bildung</strong>smanagement basiert auf klaren Fakten, erfasst<br />

mit rationalen Messverfahren und einem Be richtssystem die Situation<br />

vor Ort. Insbesondere im Bereich der Weiterbildung bestehen aber<br />

noch große Probleme in der Datenbeschaffung. Dies hat der letzte nationale<br />

<strong>Bildung</strong>sbericht erneut deutlich aus gewiesen. Auch die Einbeziehung<br />

der non-formalen und informellen Lernwelten wird zunehmend<br />

wichtiger - einhergehend mit der Frage, wie es gelingen kann, diese abzubilden.<br />

Die Entwicklung eines regionalen <strong>Bildung</strong>smonitorings wird<br />

deshalb elementarer Bestandteil des Programms „Lernen vor Ort“ sein.<br />

Wir werden nicht sofort, aber auf längere Sicht den Kommunen mit<br />

dem <strong>Bildung</strong>smonitoring ein wesentliches Instrument für erfolgreiches<br />

<strong>Bildung</strong>smanagement als Dienstleistung zur Verfügung stellen.<br />

Auf einem funktionierenden Berichtssystem vor Ort aufbauend, bietet<br />

ein gutes <strong>Bildung</strong>smanagement professionelle <strong>Bildung</strong>sberatung, die<br />

auch Familien sowie ältere Bürgerinnen und Bürger als wichtige Zielgruppen<br />

im Auge hat. Es entwickelt Strukturen, die <strong>Bildung</strong>sübergänge<br />

gestalten und erleichtern, etwa von der Kindertagesstätte in die Schule,<br />

von der Schule in den Beruf, von einem Beruf zu einem anderen, von<br />

einer Qualifizierungsmaßnahme in eine berufliche Tätigkeit und von<br />

dort in eine Karriere fördernde Fortbildung. Der Austausch zwischen<br />

den Institutionen ist erforderlich, ebenso die Abstimmung der <strong>Bildung</strong>sinhalte.<br />

Die Ziele der Initiative sind – zusammengefasst – folgendermaßen definiert:<br />

6<br />

• Erhöhung der <strong>Bildung</strong>sbeteiligung,<br />

• Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit,<br />

• Verbesserung der Angebotsstrukturen im Sinne einer stärkeren Nutzenorientierung,<br />

• Verbesserung der Transparenz von <strong>Bildung</strong>sangeboten,


• Verbesserung der Übergänge zwischen einzelnen <strong>Bildung</strong>sphasen,<br />

• Verbesserung der <strong>Bildung</strong>szugänge,<br />

• Stärkung der demokratischen Kultur,<br />

• Bewältigung des demografischen Wandels.<br />

Neben dem Ziel eines kohärenten <strong>Bildung</strong>smanagements vor Ort ist das<br />

Neuartige an dieser Konzep tion die Kooperation mit Stiftungen, die bei<br />

diesem Vorhaben in einem Stiftungsverbund zusammen arbeiten. Im<br />

Mai 2008 hat sich der Stiftungsverbund konstituiert, dem mittlerweile<br />

26 deutsche Stiftun gen angehören und der für weitere Beitritte offen ist.<br />

Die Stiftungen wollen auf zweierlei Weise un terstützend tätig werden.<br />

Zum einen in Form von Grundpatenschaften: Das sind umfassende<br />

Paten schaften, die bei der Gesamtkonzeption und –umsetzung helfen.<br />

Die Stiftungen stellen ihre Expertise zur Erarbeitung eines tragfähigen<br />

und nachhaltigen Finanzierungskonzepts bereit. Sie begleiten die Kommunen<br />

beim Aufbau von öffentlich-privaten Partnerschaften, insbesondere<br />

mit weiteren Akteu ren aus Zivilgesellschaft und Unternehmen.<br />

Zum anderen in Form von so genannten Themenpartnerschaften: Wenn<br />

eine Stiftung eine umfas sende Patenschaft nicht erfüllen kann oder will,<br />

weil eine solche dem Stiftungszweck nicht angepasst ist oder weil die<br />

themenbezogene Arbeit im Vordergrund steht und dafür spezielle Expertise<br />

vorhan den ist, gibt es die Möglichkeit der Übernahme von Themenpatenschaften.<br />

Dabei ist die Beratung und Begleitung zu einzelnen<br />

Handlungsfeldern möglich, zum Beispiel zur naturwissenschaftlichen<br />

und technischen <strong>Bildung</strong>, zur Integration von Zuwanderern oder zum<br />

Übergang Schule-Beruf.<br />

In einer Pressekonferenz im Oktober 2008 wurden die Richtlinien zu<br />

„Lernen vor Ort“ schließlich ver öffentlicht. Die Finanzierung erfolgt<br />

mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds, denn „Lernen vor<br />

Ort“ entspricht den europäischen Zielsetzungen, die <strong>Bildung</strong>sbeteilung<br />

zu erhöhen und für mehr Beschäftigungssicherheit zu sorgen.<br />

„Lernen vor Ort“ leistet einen Beitrag zur Qualifizierungsinitiative<br />

der Bundesregierung. Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan<br />

erläutert die umfassende Strategie: „Mit dem Motto ‚Aufstieg<br />

durch <strong>Bildung</strong>’ setzen wir ein klares Signal für die Stärkung von <strong>Bildung</strong>schancen<br />

in allen Lebensbereichen, von der frühkindlichen <strong>Bildung</strong><br />

bis zur Weiterbildung in den späteren Jahren.“ Konkret sollen<br />

u. a. mehr <strong>Bildung</strong>schancen für Kinder unter sechs Jahren und ein<br />

Ausbildungsplatzan gebot für alle geschaffen werden. Der Übergang von<br />

Schule zu Hochschule soll leichter und die Chancen für Frauen verbessert<br />

werden. Eine deutliche Steigerung strebt die Bundesregierung bei<br />

der Weiterbildung an. Statt derzeit 43 Prozent wird angestrebt, dass 50<br />

Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine Maßnahme zur Weiterbildung<br />

abschließen.<br />

7


8<br />

Wie das Land Schleswig-Holstein den Aufbau<br />

lokaler <strong>Bildung</strong>slandschaften unterstützt<br />

Karsten Egge<br />

Sozialministerium Schleswig-Holstein<br />

In Schleswig-Holstein haben wir im Jahre 2005, unterstützt durch die<br />

damalige und jetzige Jugendministerin, damit begonnen, einen Kinderund<br />

Jugendaktionsplan zu entwickeln, der eine landesspezifische Adaptierung<br />

des Europäischen Paktes beziehungsweise des nationalen Aktionsplans<br />

darstellt. Es wurden zentrale Handlungsfelder definiert, die<br />

an Fragen der Förderung von Kindern, Jugendlichen und Familien ausgerichtet<br />

sind und deren Realisierung im Rahmen von konkreten Leitprojekten<br />

erfolgt. Zu nennen sind unter anderem Angebote für Familien;<br />

das Schutzengelprojekt; ganzheitliche <strong>Bildung</strong> gestalten. Weitere<br />

Themen sind: Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, ein Bereich,<br />

mit dem die Jugendhilfe in Schleswig-Holstein schon lange befasst ist.<br />

Und ein Letztes: Jugendkultur und Jugendtourismus fördern. In all diesen<br />

Feldern geht es auch um <strong>Bildung</strong>sangebote und <strong>Bildung</strong>sprozesse,<br />

insbesondere in dem Handlungsfeld ganzheitliche <strong>Bildung</strong> gestalten.<br />

Dieses ist von Leitprojekten geprägt, die eine große Affinität zu Themen<br />

und Zielen aufweisen, die im Kontext lokaler <strong>Bildung</strong>spartnerschaften<br />

diskutiert werden.<br />

Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe, speziell der Jugendarbeit<br />

mit der Jugendhilfe, ist ein Schwerpunkt in der offenen Ganztagsschule.<br />

Schon zu Beginn des Bundesprogramms wurde darauf geachtet,<br />

dass mit der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Schleswig-Holstein<br />

beide Professionen am Tisch sitzen, sich möglichst auf gleicher Augenhöhe<br />

befinden und dort verankert sind. Dies wurde in Schleswig-Holstein<br />

mit einem gemeinsamen Vertrag zwischen dem <strong>Bildung</strong>s-, dem<br />

Jugendministerium und der <strong>Deutsche</strong>n Kinder- und Jugendstiftung geregelt,<br />

der mithilfe der Serviceagentur geschlossen wurde. Ziel war und<br />

ist es, außerschulische, informelle <strong>Bildung</strong>sarbeit der Jugendhilfe, der<br />

offenen Jugendarbeit und der Verbände eng mit schulischer <strong>Bildung</strong>sarbeit<br />

zu verzahnen. Was also leistet Schleswig-Holstein Wir beteiligen<br />

uns mit personellen beziehungsweise finanziellen Kapazitäten.<br />

Weder das Land noch das Jugend- und <strong>Bildung</strong>sministerium können<br />

lokale <strong>Bildung</strong>spartnerschaften von oben her verordnen. <strong>Lokale</strong> <strong>Bildung</strong>spartnerschaften<br />

müssen gewollt sein, und zwar von der örtlichen<br />

Ebene, sie müssen von der kommunalen Ebene aus wachsen. Daher haben<br />

wir zunächst damit begonnen, das Thema in die Köpfe zu tragen,<br />

Anregung dafür zu geben, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Auf dem<br />

Fachtag „Ganztag zwischen den Meeren“ im Herbst 2006 hat die Jugendministerin<br />

einem großen Publikum vorgetragen, inwiefern lokale<br />

<strong>Bildung</strong>spartnerschaften eine sinnvolle Weiterentwicklung der Kooperation<br />

von offener Ganztagsschule und Jugendhilfe darstellen können.<br />

Im gleichen Jahr haben wir die Kooperation von Schule und Jugendhilfe<br />

unter dem Gesichtspunkt Ausblick und Perspektiven der Kooperation<br />

von Jugendhilfe und Schule im Landtagsbericht thematisiert. Zeitgleich<br />

haben wir den Schwerpunkt in gemeinsamen Gremien, die wir<br />

als Land, als Jugendministerium mit den Jugendämtern haben, hineingetragen<br />

und angeboten bei Interesse die Arbeit an diesem Thema zu<br />

unterstützen.<br />

Im Juli 2007 wurde gemeinsam mit der Stadt Bad Bramstedt eine Fachveranstaltung<br />

zu lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften ausgerichtet und gefördert.<br />

Anlass war das Bestreben der Stadt, gemeinsam mit Umlandgemeinden<br />

<strong>Bildung</strong>svernetzung auf den Weg zu bringen. Die<br />

Veranstaltung weckte Interesse vor Ort und wurde zum Ausgangspunkt<br />

für die Bewerbung von Bad Bramstedt für das Programm „Lebenswelt<br />

Schule“ der Jacobs Foundation und der <strong>Deutsche</strong>n Kinder- und Jugendstiftung.<br />

Von Beginn an sowie bei allen weiteren Schritten war die Serviceagentur<br />

mehr als aktiv, auch initiativ und moderierend beteiligt. Mitte 2007<br />

wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung der kommunalen<br />

Landesverbände mit dem <strong>Bildung</strong>sministerium und Jugendministerium<br />

sowie der Serviceagentur eingerichtet. Die kommunalen<br />

Landesverbände haben signalisiert, sie seien an dem Thema interessiert.<br />

Das war hilfreich, denn so konnten wir von unten nach oben agieren.<br />

Die Verbände wünschten sich vom Land eine Art Initialzündung im<br />

Rahmen einer Auftaktveranstaltung. Wir einigten uns, diese im April<br />

2008 durchzuführen. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „<strong>Bildung</strong><br />

gemeinsam verantworten – Entwicklung lokaler <strong>Bildung</strong>spartnerschaften“.<br />

Wen wollten wir erreichen Ansprechpartner dieser Veranstaltung waren<br />

kommunale Verantwortungsträger, also diejenigen, die hauptoder<br />

ehrenamtlich in den Kommunen Verantwortung tragen und für<br />

<strong>Bildung</strong> zuständig sind, Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter aus dem schulischen<br />

Segment beziehungsweise aus dem Bereich der Jugendhilfe. In<br />

dem Fachblatt des Ministeriums, „Position“, wurde über den Fachtag<br />

berichtet und versucht, die Öffentlichkeit für die Beschäftigung mit dieser<br />

Thematik zu gewinnen. Aus der festen Überzeugung heraus, dass<br />

die Initiative für lokale <strong>Bildung</strong>spartnerschaften von der Basis her erfolgen<br />

sollte, jedoch in kommunaler Verantwortung stehen muss, wird mit<br />

weiteren Veranstaltungen für das Thema geworben.


Für das Frühjahr 2009 ist eine nächste Veranstaltung in der interministeriellen<br />

Arbeitsgruppe geplant. Mit ihr sollen diejenigen, die ehrenamtlich<br />

in den Kommunen Verantwortung tragen, erreicht und für lokale<br />

<strong>Bildung</strong>sbündnisse sensibilisiert werden. Die <strong>Bildung</strong>sministerin<br />

hat ihre Teilnahme zugesagt. Die Jugendministerin ist angefragt und die<br />

Serviceagentur wird wie immer aktiv dabei sein. Im Zusammenhang<br />

mit diesen Aktivitäten wird geprüft, ob wir eine Auswahl von Kommunen,<br />

die Interesse haben, in Form von Moderation und Prozessbegleitung<br />

unterstützen. Das Miteinander ist sehr wichtig, deshalb wurde in<br />

enger Abstimmung mit der Serviceagentur an eine inhaltliche und finanzielle<br />

Förderung gedacht. Aus Sicht der beiden Ministerien wollen<br />

wir damit die Arbeit der Serviceagentur in Schleswig-Holstein deutlich<br />

unterstützen. An dieser Stelle ist noch das Stichwort „Subsidiarität“ zu<br />

erwähnen, unser Ansatz, den uns das Sozialgesetzbuch 8 vorgibt: Wir<br />

sollen anregen, fördern, informieren, wir sollen beraten und darin sehen<br />

wir als Jugendministerium unsere hauptsächliche Funktion, zur<br />

Entwicklung lokaler <strong>Bildung</strong>spartnerschaften beizutragen.<br />

Wie Kommunen mehr Verantwortung<br />

für <strong>Bildung</strong> übernehmen können<br />

Prof. Dr. Angela Faber<br />

<strong>Deutsche</strong>r Städtetag<br />

Im November 2007 fand der <strong>Bildung</strong>skongress des <strong>Deutsche</strong>n Städtetages<br />

„<strong>Bildung</strong> in der Stadt“ in Aachen statt, auf ihm wurde die Aachener<br />

Erklärung verfasst. Ausgangspunkt der Aachener Erklärung ist<br />

die Analyse: Wir brauchen in Deutschland eine Reform des <strong>Bildung</strong>swesens.<br />

Ich nenne nur zwei Gründe für eine Reform: Qualitätsmängel und<br />

hohe Selektionswirkung. Dies wurde durch die letzte PISA-Studie bestätigt.<br />

Grundlage aller Reformbemühungen muss daher ein ganzheitliches<br />

<strong>Bildung</strong>sverständnis sein: <strong>Bildung</strong> ist mehr als Schule. Soziales,<br />

schulisches und emotionales Lernen müssen miteinander verbunden<br />

werden. Die Aachener Erklärung sieht die Basis für <strong>Bildung</strong>sprozesse<br />

in der Kommune, in der Stadt, „weil diese Träger vielfältigster <strong>Bildung</strong>seinrichtungen<br />

sind“.<br />

<strong>Bildung</strong>seinrichtungen sind Kindertageseinrichtungen, in denen die<br />

gesamte fachliche Verantwortung bei den Kommunen liegt; Familienzentren,<br />

Schulen, Schulträgerschaften, allgemein- und berufsbildende<br />

Schulen, Träger der Jugendhilfe, Volkshochschulen, außerschulische<br />

<strong>Bildung</strong>sorte wie Bibliotheken, Museen, Musikschulen, Medienzentren<br />

usw. In der Kommune wird über Erfolg und Misserfolg von <strong>Bildung</strong><br />

entschieden. „Gute“ <strong>Bildung</strong> ist ein wirtschaftlicher Standortfaktor,<br />

denn die Kommune profitiert von gelungenen <strong>Bildung</strong>sverläufen.<br />

Auf der anderen Seite hat die Kommune die Folgen und Lasten misslungener<br />

<strong>Bildung</strong>sbiografien zu tragen. Stichworte sind zum Beispiel „soziale<br />

Transferleistungen, Suchtproblematik, Suchtberatung“. <strong>Bildung</strong>sverlierer<br />

verlassen die Kommune nicht, sie bleiben und damit müssen<br />

Kommunen umgehen können.<br />

In der Aachener Erklärung wurde eine Definition für kommunale <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

gegeben. Der Städtetag versteht darunter ein „vernetztes<br />

System institutionalisierter Zusammenarbeit der <strong>Bildung</strong>sakteure<br />

vor Ort: Erziehung, <strong>Bildung</strong> und Betreuung“. Die räumliche<br />

Abgrenzung beinhaltet die kommunalen Gebietskörperschaften, das<br />

sind in der Regel die Kreise und kreisfreien Städte.<br />

Zu den Strukturelementen einer kommunalen <strong>Bildung</strong>slandschaft gehören<br />

gemäß der Aachener Erklärung:<br />

• Kein Kind, kein Jugendlicher darf verloren gehen.<br />

9


• Die für <strong>Bildung</strong> zuständigen Akteure arbeiten auf der Basis von verbindlichen<br />

Strukturen zusammen.<br />

• Eltern und Familien werden als zentrale <strong>Bildung</strong>spartner einbezo gen.<br />

• Übergänge werden nach dem Prinzip „Anschlüsse statt Ausschlüsse“<br />

ermöglicht.<br />

• Kulturelle <strong>Bildung</strong> wird als wichtiger Teil ganzheitlicher <strong>Bildung</strong> einbezogen.<br />

Ich verweise auf einige Beispiele gelungener Umsetzung:<br />

• In Nordrhein-Westfalen wurden kommunale <strong>Bildung</strong>snetzwerke gegründet,<br />

mit 19 von 54 Kommunen hat das Land bereits Verträge geschlossen.<br />

Eine Flächendeckung ist intendiert.<br />

• Seit dem Jahr 2007/2008 existieren in Nordrhein-Westfalen 1.000 Familienzentren,<br />

davon sind ungefähr 240 zertifiziert.<br />

• Der Niedersächsische Städtetag hat eine Initiative zur Kommunalisierung<br />

der Grundschulen als Pilotprojekt gestartet.<br />

• In Düsseldorf wurde eine integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung<br />

etabliert.<br />

• Es werden kommunale <strong>Bildung</strong>sberichte erstellt, zum Beispiel in<br />

Dortmund, München und Offenbach. Der Dortmunder <strong>Bildung</strong>sbericht<br />

zeichnet sich dadurch aus, dass er als erster <strong>Bildung</strong>sbericht einen<br />

sozialen Index hat.<br />

• Die Projekte des Bundesministeriums für <strong>Bildung</strong> und Forschung,<br />

„Lernende Regionen“ und „Lernen vor Ort“, werden vom Städtetag<br />

unterstützt.<br />

In vielen Regionen bestehen Kooperationsverträge zwischen Trägern<br />

außerschulischer <strong>Bildung</strong> und Schulen, zwischen Musikschulen und<br />

dem Land, Bibliotheken und Schulen, Medienzentren und Schulen,<br />

Volkshochschulen und Schulen. Im vorschulischen Bereich haben sich<br />

Sprachtests (flächendeckend) und Sprachförderung durchgesetzt. Diskussionen<br />

um und Umsetzung von flexibleren Schulorganisationen und<br />

Schulstrukturen im Sinne eines längeren gemeinsamen Lernens und<br />

größerer Durchlässigkeit indizieren einen Paradigmenwechsel. Wenn<br />

man die Entwicklung der Hauptschule betrachtet, zeigt sich, dass in<br />

zehn von 16 Bundesländern keine „reine“ Hauptschule mehr vertreten<br />

ist. Daran erkennt man, dass Flexibilität gefragt ist. Der <strong>Deutsche</strong> Städtetag<br />

fordert in diesem Zusammenhang mehr Optionen für Schulträger.<br />

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sind die Träger<br />

dringend darauf angewiesen, passgenaue Lösungen vor Ort zu entwickeln.<br />

Dazu benötigen wir gesetzliche Möglichkeiten im Sinne einer<br />

Option, nicht im Sinne einer aufoktroyierten Schulstruktur.<br />

Welche Auswirkungen hat das auf die Organisation Es empfiehlt sich,<br />

bildungsrelevante Ämter in der Kommunalverwaltung zu bündeln. Einige<br />

Kommunen haben das bereits gemacht, aber bei Weitem nicht alle.<br />

Es empfiehlt sich, die Verwaltungsleitung einzubinden, um eine möglichst<br />

große Durchschlagkraft für das Ziel <strong>Bildung</strong> im weitesten Sinne<br />

zu erreichen. Wichtig sind Gremien wie die <strong>Bildung</strong>skonferenz für Zielformulierungen<br />

und grundsätzliche Vereinbarungen. Für die Koordination<br />

sollte ein gemeinsames Steuerungsgremium geschaffen werden.<br />

<strong>Bildung</strong>sbüros könnten Aufgaben im Bereich der Organisation und des<br />

Managements der Zusammenarbeit wahrnehmen.<br />

Wir brauchen eine Stärkung der kommunalen Rechte in der <strong>Bildung</strong>,<br />

insbesondere mehr Gestaltungs- und Beteiligungsrechte im Schulwesen.<br />

Wir benötigen gesetzliche Neuregelungen, insbesondere für das<br />

schulische Ergänzungspersonal. Die Differenzierung in innere und äußere<br />

Schulangelegenheiten ist nicht mehr zeitgemäß. Früher war richtig,<br />

dass die Kommune nur für Schulgebäude und Hausmeister zuständig<br />

ist, doch das ist heute nicht mehr so und deswegen kann man mit<br />

dieser Differenzierung nicht mehr arbeiten, deshalb ist auch in diesem<br />

Bereich eine Überarbeitung notwendig.<br />

Außerdem ist eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen unerlässlich,<br />

Konnexität gehört dazu. Kommunen sind bereit, teilweise<br />

in Vorleistung zu gehen. Ich erinnere an das heikle Thema Schulmahlzeiten<br />

für alle, besonders für bedürftige Kinder. Da werden vor Ort<br />

pragmatische Lösungen gefunden, es wird bezahlt, es werden Paten gesucht<br />

und von daher gibt es zahlreiche Vorleistungen.<br />

Notwendige Voraussetzung für weitergehende Änderungen ist der Aufbau<br />

eines kommunalen <strong>Bildung</strong>smonitorings als Steuerungsgrundlage<br />

in Kooperation mit Bund und Ländern. Zwei Fragen zum Schluss: Muss<br />

Schule kommunalisiert werden Ich weiß es nicht, da bin ich unsicher.<br />

Was dafür spräche, zeigen <strong>Bildung</strong>sstudien, dass gerade Länder, die<br />

kommunalisiert haben, sehr gute <strong>Bildung</strong>serfolge vorweisen konnten.<br />

Und als Letztes: Muss die Schulaufsicht dezentralisiert werden Das ist<br />

wichtig, weil <strong>Bildung</strong> letztendlich vor Ort entschieden wird. Wir haben<br />

Kontrollmechanismen wie die Zentralprüfung, das Zentralabitur. Wir<br />

haben Lernstandsvergleiche und -erhebungen, das soll so bleiben. Das<br />

sind Qualitätsmesser, aber alles andere soll bitte von unten kommen.<br />

10


B Foren<br />

In den Foren stand jeweils ein Thema im Mittelpunkt, das im Kontext lokaler <strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong><br />

eine besondere Herausforderung darstellt. Zu jedem Themenschwerpunkt stellten<br />

zwei Kommunen Erfahrungen aus ihrer Praxis dar. Im Anschluss – und als Einstieg in die Diskussion<br />

– gab ein Experte ein fachliches Feedback zu den Präsentationen.<br />

11


Forum 1<br />

Jeder Lernende ist besonders.<br />

Individuelle <strong>Bildung</strong>sverläufe begleiten<br />

Vernetzung von <strong>Bildung</strong>seinrichtungen auf lokaler Basis bietet besondere<br />

Chancen hinsichtlich eines Paradigmenwechsels hin zu einer Gestaltung<br />

des <strong>Bildung</strong>swesens entlang der <strong>Bildung</strong>swege junger Menschen.<br />

Die Praxisbeispiele verdeutlichen, wie der Ansatz individueller Förderung<br />

bei der Gestaltung von Übergängen berücksichtigt werden kann.<br />

Kommune 1:<br />

Steckbrief der Stadt Weiterstadt, Hessen<br />

Die Stadt Weiterstadt liegt zentral im Rhein-Main-Gebiet und in dem<br />

Großraum Rhein-Neckar. Ein dichtes Autobahnnetz verbindet Weiterstadt<br />

mit wichtigen Zentren in der Region. Auch mittels öffentlicher<br />

Verkehrsmittel ist die Region Rhein-Main gut vernetzt.<br />

In der Stadt leben 24.000 Einwohner/innen, davon circa 4.600 Kinder<br />

und Jugendliche bis 18 Jahre.<br />

Der Anteil ausländischer Mitbürger/innen beträgt 13,9 Prozent. 1.540<br />

Betriebe im Bereich Handel, Dienstleistung, Handwerk und Industrie<br />

beschäftigen 8.000 Arbeitnehmer, weitere 1.000 Arbeitsplätze sind geplant.<br />

Die Stadtverwaltung hat 308 Mitarbeiter, davon arbeiten 42 Prozent<br />

in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Auslöser für eine Neuorientierung waren Befunde der ersten PISA-Studie,<br />

welche die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen in Organisation<br />

und konzeptioneller Gestaltung von <strong>Bildung</strong> auf die Tagesordnung<br />

gesetzt haben. Ein zweiter Grund war die Erkenntnis,<br />

dass <strong>Bildung</strong>skonzepte in einer globalen Wissensgesellschaft nicht auf<br />

Schule verengt werden dürfen, sondern die Gesamtheit der Lebenssituationen<br />

von Kindern und Jugendlichen im Blick haben müssen, und<br />

dass hierfür die Kommune als Lernort von zentraler Bedeutung ist.<br />

In der Stadt existieren zwei Gesamt-, vier Grundschulen, eine Förderschule,<br />

16 Kindertageseinrichtungen sowie Privat- und Tagespflegeeinrichtungen<br />

der Jugendförderung. Ein kommunaler <strong>Bildung</strong>sbeirat<br />

wurde als Steuerungsinstrument von der Stadtverordnetenversammlung<br />

eingesetzt, durch ihn wird die lokale <strong>Bildung</strong>splanung koordiniert.<br />

Instrumente lokaler <strong>Bildung</strong>splanung sind Kooperationsverträge zwischen<br />

Grundschulen und Kitas zur Sprachförderung, Kooperationskalender,<br />

Vereinbarung Jugendförderung – Gesamtschule – Kirche zur<br />

Förderung der Schulsozialarbeit, <strong>Bildung</strong>sforen, Konzept Schulsozialarbeit<br />

und <strong>Bildung</strong>sgesamtplan 2005-2010.<br />

Arbeitsstruktur Weiterstadt<br />

12


Ziele und inhaltliche Schwerpunkte der lokalen<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik<br />

• Konsistenz der <strong>Bildung</strong>sverläufe und Verhinderung von Selektion,<br />

• Entwicklung integrierter Lernkonzepte, die sich an den individuellen<br />

Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientieren,<br />

• Partizipation von Kindern und Jugendlichen sowie deren Erziehungsberechtigten<br />

bei der Gestaltung von <strong>Bildung</strong>sprozessen,<br />

• Entwicklung eines Handlungsleitfadens zur Förderung und Dokumentation<br />

individueller Lernbiografien von Kindern und Jugendlichen<br />

(Instrumente, Verfahren, Kriterien, Inhalte, Verwendung),<br />

• Gestaltung aktiver Vernetzung zwischen den einzelnen <strong>Bildung</strong>strägern<br />

vor Ort, insbesondere an den Schnittstellen der Übergänge zwischen<br />

den Systemen (Aufbau einer lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaft durch<br />

Kooperation von Schule und Jugendhilfe).<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Die Stadt Weiterstadt hat sich im Rahmen eines <strong>Bildung</strong>skonzeptes verpflichtet,<br />

sozialpädagogische Fachkräfte in Schulen einzubinden. Es gibt<br />

einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, bis 2013 die Horte<br />

weitgehend aufzulösen und die personellen Ressourcen in die schulische<br />

Entwicklung von Ganztagsschulen zu integrieren. Zurzeit sind<br />

acht Personalstellen mit sozialpädagogischem Know-how in den Schulen<br />

vor Ort vorhanden. Eine zentrale inhaltliche Voraussetzung für die<br />

Unterstützung ist, dass die Schulen sich gemeinsam mit der Stadt verpflichten,<br />

integrierte Lernkonzepte einzusetzen. Das heißt, kein additives<br />

Modell, morgens Lehrer, mittags Sozialarbeiter, sondern ganzheitlich<br />

zu arbeiten im Verständnis emotionaler, sozialer und kognitiver<br />

<strong>Bildung</strong>. Das ist die eine Ebene, die zweite ist die Entwicklung der Kindertagesstätten<br />

zu Familienzentren. Dazu existiert seit etwa einem Jahr<br />

eine Zukunftswerkstatt, in der alle Beteiligten eingebunden sind und<br />

ein Konzept erarbeitet haben, das der Stadtverordnetenversammlung<br />

vorgelegt wird. Das sind die zwei zentralen strategischen Stränge der<br />

Entwicklung im Kinder- und Jugendhilfebereich und dort fügt sich das<br />

Programm „Lebenswelt Schule“ als verbindende konzeptionelle Klammer<br />

ein. Alle Schulen der Stadt Weiterstadt sind in das hessische Ganztagsprogramm<br />

aufgenommen worden. Der Kreis als Schulträger wird in<br />

den nächsten Jahren 16 Millionen Euro in Schulbauten sowie in die Infrastruktur<br />

für den Ausbau von Ganztagsangeboten investieren.<br />

Bedingungen für das Programm „Lebenswelt Schule“ waren aktive Teilnahme,<br />

Benennung von Verantwortlichen für das Projekt sowie die Bereitschaft<br />

zur Implementierung, Evaluation und Dokumentation der<br />

Ergebnisse im Prozessverlauf. Sieben Schulen der Stadt und 13 Kindertageseinrichtungen<br />

haben sich beworben und wurden in das Programm<br />

aufgenommen. Damit ist eine breite Beteiligung gewährleistet. Derzeit<br />

wird in drei Arbeitsgruppen ein Leitbild entlang der zentralen Begriffe<br />

eines veränderten <strong>Bildung</strong>skonzeptes diskutiert, nämlich individuelle<br />

Förderung, Partizipation, Kompetenzen und Ressourcen. Im <strong>Bildung</strong>sgesamtplan<br />

2005-2010 wurde bereits ein Konzept entwickelt, in dessen<br />

Zentrum Kinder und Jugendliche mit ihren Zukunftschancen in den jeweiligen<br />

Systemen stehen. Sie stellen den leitbildorientierten Referenzraum<br />

für Veränderung dar. Die Basis ist ein Verständnis von <strong>Bildung</strong>,<br />

das Kinder als selbstaktive Lerner sieht, die sich in Auseinandersetzung<br />

mit ihrer Umwelt Wissen und Erkenntnis aneignen.<br />

Darüber hinaus soll die Lernumgebung von Kindern und Jugendlichen<br />

erfasst und ein System für Lerndokumentationen entwickelt werden.<br />

Die Idee gleicher Beschulbarkeit und eines äußeren Messens von Lernerfolgen,<br />

die vor allem in Schulen kultiviert wird, wurde aufgegeben zugunsten<br />

einer auf das Kind und seine Lernumgebung bezogenen Dokumentation<br />

von Lernentwicklung.<br />

Die <strong>Deutsche</strong> Kinder- und Jugendstiftung ist Partner des kommunalen<br />

<strong>Bildung</strong>sbeirats, der für die Steuerung des Programms zuständig ist. Als<br />

hilfreich erweist sich die Prozessbegleitung mit einem professionellen<br />

Blick von außen. Sie ist ein wichtiger Gelingensfaktor. Neben anderen<br />

Arbeitsgremien bzw. –strukturen ist ein „Resonanzforum“ in der Planung,<br />

in dem speziell die Leitungen der Einrichtungen zusammengefasst<br />

werden, weil diese in der Konzeptions- und Organisationsentwicklung<br />

und im Transfer der Ergebnisse eine entscheidende Rolle spielen.<br />

Um einen Paradigmenwechsel bei der Gestaltung von <strong>Bildung</strong>sverläufen<br />

herbeizuführen, die das Kind und seine Entwicklungsbedarfe in<br />

den Mittelpunkt rücken, müssen Kooperations- und Kommunikationsstrukturen<br />

zwischen den unterschiedlichen <strong>Bildung</strong>strägern vor Ort geschaffen<br />

werden. Ein wichtiges Moment der Entwicklung in den Kitas<br />

ist die Dokumentation von Lerngeschichten, die konstruktiv im Dialog<br />

mit Kindern und Eltern genutzt werden, wobei innerhalb der Kitas<br />

durchaus erhebliche Unterschiede bestehen. Am weitesten entwickelt<br />

ist die Qualität da, wo Erzieherinnen ihre Rolle als Lernbegleiterinnen<br />

definiert haben, weg von der Animationspädagogin hin zu einer ressourcenorientierten,<br />

wertschätzenden Haltung Kindern gegenüber.<br />

Dazu sind Kooperationen erforderlich, die tragfähig sind. Diese müssen<br />

strukturell verortet und durch verbindliche Vereinbarungen und Steuerungsinstrumente<br />

abgesichert sein.<br />

Eine zentrale Herausforderung, die noch nicht gelöst ist, ist die Frage,<br />

wie der kommunale Dialog eine praktische Dimension, in dem Sinn,<br />

dass er für alle Beteiligten Bestandteil der Alltagspraxis wird, gewinnt.<br />

Es ist noch nicht so weit, dass das, was im Moment in Kitas an Lerndokumenten<br />

entwickelt wird, in den Schulen als interessant empfunden<br />

wird. Das ist ein zentraler Punkt, der ein Indikator ist, am Ende des Programms<br />

„Lebenswelt Schule“ zu schauen, ob in dieser Hinsicht ein entscheidender<br />

Schritt gelungen ist. Eine andere Fragestellung ist, welche<br />

Erfahrungen es im Hinblick auf den Transfer individueller <strong>Bildung</strong> in<br />

die Alltagspraxis von Einrichtungen, insbesondere in Schulen, und wie<br />

entwickelt sich die Diskussion über die Veränderung von Lernsettings,<br />

um individuelle Förderung überhaupt möglich zu machen<br />

13


14<br />

Kommune 2:<br />

Steckbrief der Stadt Wiesbaden, Hessen<br />

Wiesbaden ist Sitz der hessischen Landesregierung und wichtiger Bundesbehörden.<br />

Die Stadt hat über 275.000 Einwohner. Wanderungsgewinne<br />

aufgrund der guten Arbeitsmarktsituation und Wohnlage im<br />

prosperierenden Rhein-Main-Gebiet führen zu einem leichten und<br />

kontinuierlichen Bevölkerungswachstum. Die Branchenstruktur ist<br />

überdurchschnittlich durch öffentliche und private Dienstleistungen,<br />

unternehmensbezogene Dienstleistungen und Banken/Versicherungen<br />

geprägt. Die Stadt verfügt einerseits über eine kaufkräftige Bevölkerung,<br />

aber andererseits über eine recht große Armutsbevölkerung. Die Arbeitslosigkeit<br />

beträgt 7,2 Prozent, wobei 76,4 Prozent der Arbeitsuchenden<br />

im Rechtskreis des SGB II sind und im Rahmen der so genannten<br />

Option von der Kommune in alleiniger Verantwortung betreut werden.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Die Verbesserung der <strong>Bildung</strong> und Ausbildung der Bevölkerung ist die<br />

zentrale Herausforderung der Stadt. Einerseits hat sie ein gutes Angebot<br />

an qualifizierten Arbeitsplätzen, insbesondere in den Dienstleistungsbranchen,<br />

andererseits verfügen viele Schulabgänger und Arbeitsuchende<br />

nicht über die im Arbeitsmarkt benötigte <strong>Bildung</strong> und Ausbildung.<br />

Seit den 70er-Jahren hat die kommunale Jugendhilfe in enger<br />

Kooperation mit den Schulen an mittlerweile neun Haupt-, Integrierten<br />

Gesamt- und Förderschulen Schulsozialarbeitsprojekte eingerichtet, die<br />

circa 80 Prozent der Schüler/innen in <strong>Bildung</strong>sgängen zum Hauptschulabschluss<br />

erreichen. Aus der Kinder- und Jugendhilfe und der Sozialhilfe<br />

heraus wurde mit der Ausbildungsagentur der Landeshauptstadt<br />

Wiesbaden (1998) eine Case Management- und Vermittlungsagentur<br />

durch freie Träger gegründet, die aktuell für alle arbeitsuchenden SGB<br />

II-Hilfeberechtigten unter 25 Jahren und für die berufliche Förderung<br />

der Jugendlichen aus der Jugendsozialarbeit und den Hilfen zur Erziehung<br />

Orientierungs-, Qualifizierungs- und Ausbildungsangebote vermittelt,<br />

begleitet und koordiniert.<br />

Angesichts des hohen Qualifikationsbedarfs bietet die kommunale Jugendhilfe<br />

jährlich fast 200 duale Ausbildungsplätze und weitere 60 duale<br />

Ausbildungsplätze im Rahmen des SGB II für junge Menschen mit<br />

besonderen Förderbedarfen in der Wiesbadener Jugendwerkstatt. Eine<br />

grundständige berufliche Ausbildung steht im Mittelpunkt der kommunalen<br />

Förderstrategien der Jugendhilfe und des SGB II. Die Landeshauptstadt<br />

Wiesbaden hat deshalb seit 2003 die langjährige Jugendhilfeund<br />

Sozialberichterstattung durch ein kontinuierliches Berichtswesen<br />

zur <strong>Bildung</strong>sbeteiligung sowie zur Migrantenintegration ergänzt.<br />

Ziele und inhaltliche Schwerpunkte der lokalen<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik<br />

• Im Rahmen der kommunalen Kinder-, Jugend-, Sozial- und Beschäftigungspolitik<br />

steht die Verbesserung der <strong>Bildung</strong>sbeteiligung, der<br />

Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Fokus zahlreicher<br />

Hilfeprodukte.<br />

• In der Eltern- und Familienbildung wird ein Rahmenkonzept „zielgruppenorientierte<br />

Elternbildung“ für bildungsferne und einkommensschwache<br />

Zielgruppen umgesetzt.<br />

• Mit allen Kindertagesstätten wurden einheitliche <strong>Bildung</strong>sstandards<br />

vereinbart, ein verbindliches Sprachscreening und Förderangebote<br />

eingeführt. Ein flächendeckendes Übergangsmanagement von der<br />

Kita in die Grundschule wurde mit einem Kooperationskalender etabliert.<br />

Es wird von der Schulverwaltung und der kommunalen Jugendhilfe<br />

gesteuert.<br />

• Grundschulen in Stadtteilen mit besonderen sozialen Bedarfslagen<br />

wurden und werden als „Betreuende Grundschulen“ ausgestaltet, die<br />

mit sozialpädagogischen Fachkräften der Jugendhilfe Tagesbetreuung<br />

und Hausaufgabenhilfe in Kooperation mit der Schule anbieten.<br />

• Stadtweit und Zielgruppen übergreifend werden die Programme und<br />

Aktivitäten aller Akteure im Übergangsfeld Schule – Beruf über eine<br />

zweimal jährlich tagende Ausbildungskonferenz des Oberbürgermeisters<br />

koordiniert.<br />

• Das Kompetenz-Entwicklungs-Programm (KEP) der Schulsozialarbeit<br />

hat das Ziel, allen Schülerinnen und Schülern mit Hauptschulperspektive<br />

individuelle Förderung und Hilfen im Übergang Schule-<br />

Beruf anzubieten.<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Das KEP beginnt in der 8. Klasse mit einem Kompetenzprofil, welches<br />

von Schule und Schulsozialarbeit erstellt und intensiv in einem Schüler-<br />

und einem Schüler/in-Eltern-Gespräch fortentwickelt wird. Im<br />

Anschluss daran erhält jeder Jugendliche entsprechend dem Entwicklungsbedarf<br />

Qualifizierungshilfen in den Bereichen Berufsorientierung,<br />

berufliche Grundqualifizierung, soziales Kompetenztraining und schulische<br />

Förderkurse. Diese Angebote ergänzen das schulische Regelangebot<br />

wie Betriebspraktika.<br />

Hauptschulabsolventen, die im Anschluss an die Schule weder einen<br />

betrieblichen Ausbildungsplatz oder einen anschließenden Schulbesuch<br />

zur mittleren Reife erhalten, werden im Rahmen des KEP von der<br />

Kompetenzagentur je nach Förderbedarf in die dualen Ausbildungsangebote<br />

des SGB VIII oder SGB II, in berufsvorbereitende <strong>Bildung</strong>smaßnahmen,<br />

in niederschwellige Trainingsangebote des SGB II- oder<br />

SGB VIII-Trägers oder in schulische Qualifizierungsangebote vermittelt<br />

und bis Ende des Kalenderjahres bei ihrem Übergang betreut. Anschließend<br />

übernehmen die Ausbildungsagentur oder die Berufsbera-


tung der Arbeitsagentur die Begleitung. Durch Übergabegespräche und<br />

persönliche Abstimmungen werden die im KEP angestoßenen individuellen<br />

Kompetenzentwicklungsstrategien in den anschließenden Systemen<br />

fortgesetzt.<br />

Experten-Feedback<br />

Dr. Hans Rudolf Leu, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut, München<br />

Was muss man machen, damit Schule das, was im Kindergarten dokumentiert<br />

wird, ernst nimmt und die Beobachtungen einen Niederschlag<br />

finden Hinter dieser Frage verbirgt sich mehr als der Übergang<br />

Kindergarten-Schule. Sie charakterisiert ein typisches Spannungsverhältnis.<br />

Die Jugendhilfe redet gerne von Ressourcenorientierung, also<br />

Stärken von Kindern in den Blick zu nehmen. Die Schule misst Outcomes:<br />

Was können Kinder gemessen an klar definierten Maßstäben<br />

Eine zentrale Aufgabe von <strong>Bildung</strong>sdokumentationen oder Portfolios<br />

ist es, Lernprozesse sichtbar zu machen, wertzuschätzen, Kindern zu<br />

spiegeln, da passiert etwas und das kannst du. Das meint Ressourcenorientierung,<br />

zu schauen, was ist an Kompetenzen vorhanden. Dies sollte<br />

ein Grundprinzip von <strong>Bildung</strong>sdokumentationen sein, die nicht an vordefinierten<br />

schulischen Inhalten ansetzen.<br />

Wenn man Lerndokumentationen erstellt, sollte man sich an bestimmten<br />

Kriterien bzw. Konzepten orientieren, die für die Darstellung<br />

von Lernprozessen bedeutsam sind. Ein solches Konzept sind die Lerndispositionen,<br />

von denen angenommen wird, dass sie grundlegende<br />

Voraussetzungen einer an Lernen orientierten Auseinandersetzung mit<br />

Umweltgegebenheiten darstellen. Entsprechend geht es darum, in Dokumentationen<br />

aufzuzeigen, in welcher Weise diese Lerndispositionen<br />

in den Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen zum Ausdruck kommen.<br />

Dazu gehört zunächst ein waches Interesse und die aufmerksame<br />

Zuwendung zu Personen und Dingen. Ein zweiter Aspekt ist die Kontinuität<br />

von Lernen, dass Kinder durchhalten, wenn es schwierig wird ,<br />

und sich nicht entmutigen lassen. Das Dritte ist, Grenzen auszutesten,<br />

auszuprobieren, was kann ich, und sich nicht einfach mit dem Ist-Stand<br />

zufrieden geben. Sich selbst einzubringen, sich auszudrücken, seine<br />

Meinung zu artikulieren, ist eine weitere Fähigkeit. Fünftens: Etwas mit<br />

anderen zu machen, die soziale Einbettung des eigenen Tuns ist entscheidend<br />

für die Ausbildung sozialer Kompetenz. Dies sind Gesichtspunkte,<br />

die für Lerndokumentationen für Kindergartenkinder sehr gut<br />

geeignet sind und mit denen Haltungen erfasst werden, die auch für das<br />

Lernen in der Schule wichtig sind. Allerdings sind sie für Schulen zu ergänzen,<br />

da schulische Curricula auch einen Wissenskanon vorschreiben,<br />

der Kindern zu vermitteln ist. Diese Differenz kann zu einer ablehnenden<br />

Haltung bei Lehrkräften führen, die etwa zu Äußerungen führt<br />

wie: „Ja, das sind zwar schöne Lerngeschichten, aber bei uns geht es um<br />

etwas ganz anderes.“<br />

Die erste Voraussetzung, um den Blick auf das Lernen der Kinder aufeinander<br />

abzustimmen, ist, dass Erzieherinnen und Grundschullehrkräfte<br />

sich zusammensetzen, austauschen, was aus ihrer Sicht wichtig<br />

ist, was sie wertschätzen, und dass man die jeweiligen Kriterien als relevant<br />

anerkennt. Zu berücksichtigen ist auch, dass das Lernen von Kindern<br />

sich mit dem Alter verändert. Kleinkinder bis zum Alter von ungefähr<br />

sechs Jahren, also bis zum Ende des Kindergartens, lernen im<br />

Wesentlichen beiläufig. Sie müssen eine Lernumgebung, ein Tätigkeitsfeld<br />

haben, wo sie vieles ausprobieren können und dadurch lernen sie.<br />

Lernen ist der Effekt von Aktivitäten, die sie durchführen.<br />

In der Schule fängt intentionales Lernen dann an, wenn Schülerinnen<br />

und Schüler sich bestimmte Inhalte aneignen müssen. Es gibt Kinder,<br />

die machen das gerne, und es gibt welche, die finden das vor allem anstrengend.<br />

Diese Unterschiede muss man akzeptieren und schauen, wie<br />

man damit umgeht. Wichtig ist, dass es mit Lerndokumentationen oder<br />

Portfolios gelingt, für jedes Kind zu zeigen, dass es etwas kann, dass es<br />

schon erfolgreich gelernt hat und dass man Kinder nicht in erster Linie<br />

an dem misst, was Schule an sie heranträgt. Die Botschaft ist bei dem<br />

Übergang Schule–Beruf gleichlautend: Lerndokumentationen dienen<br />

dazu, den Jugendlichen zu zeigen, ich kann lernen, und ihnen in der Reflexion<br />

zu zeigen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Strategien<br />

sie besonders erfolgreich sind. Lernbiografien sind ein Instrument,<br />

um die Reflexion von Lernen zu fördern. Dazu gehört auch, dass Fachkräfte<br />

sich untereinander über Lerndokumentationen verständigen und<br />

dabei die Fremd- und Selbsteinschätzung der Kinder bzw. Jugendlichen<br />

justieren. Die Zusammenarbeit mit Eltern in diesem Prozess ist ein wesentlicher<br />

Bestandteil für ein erfolgreiches Lernsetting.<br />

Lerndokumentationen sind sinnvoll und wichtig, um den individuellen<br />

<strong>Bildung</strong>sgang in den Fokus zu stellen. Lerndokumentationen haben<br />

nicht nur einen Wert an sich, sondern sind ein Instrument, um<br />

Lernprozesse voranzubringen, durch die motivierende Wertschätzung<br />

seitens der Erwachsenen, die darin zum Ausdruck kommt, durch die<br />

Unterstützung von Reflexionsprozessen bei den Lernenden und nicht<br />

zuletzt auch durch Hinweise darauf, welches für das jeweilige Kind, den<br />

jeweiligen Jugendiichen besonders günstige Lernbedingungen sind, die<br />

nach Möglichkeit geschaffen werden sollten.<br />

15


16<br />

Diskussion<br />

Fragen an den Experten:<br />

Welche Herausforderungen ergeben sich in der Praxis der <strong>Bildung</strong>sund<br />

Lerngeschichten am Übergang Kita-Grundschulen zum Beispiel<br />

bei schwierigen Lernbiografien<br />

Wenn ein Kind sich mit bestimmten Aufgaben schwer tut oder etwa<br />

im Sozialverhalten Probleme bereitet, geht es darum, dass die Fachkraft<br />

Situationen entdeckt, in denen es dem Kind gelingt, in Ansätzen<br />

eine solche Aufgabe zu lösen bzw. sozial kompetent zu handeln.<br />

Das Verhalten in dieser Situation wird dann zum Gegenstand einer<br />

Lerngeschichte, in der für dokumentiert wird, wie und unter welchen<br />

Umständen es dem Kind gelingt, an seinen „Schwächen“ zu<br />

arbeiten. Eine solche Lerngeschichte stärkt und motiviert das Kind<br />

und wichtige Informationen, worauf bei der Förderung zu achten<br />

ist, zugleich aber auch über den Entwicklungsstand des Kindes. Das<br />

ist eine intensive pädagogische Arbeit, bei der man mit einer Klasse<br />

von 25 Kindern an Grenzen kommt. Ich denke, dass das Schreiben<br />

von Lerngeschichten in der Schule nicht ohne Weiteres fortgesetzt<br />

werden kann. Es gibt Lehrerinnen, die das machen, aber es existieren<br />

auch große Vorbehalte. Wichtig ist aber, dass das Prinzip der<br />

Ressourcenorientierung Einzug in die Schulen hält und so lange wie<br />

möglich gepflegt wird, auch wenn die Schule ihre Selektionsfunktion<br />

nicht abschütteln kann.<br />

Fragen an die Kommunen:<br />

Wie können wir Anknüpfungspunkte für Lerngeschichten zum Beispiel<br />

von Jugendlichen im Übergang von Schule zum Berufsleben finden, die<br />

von Betrieben oder Außenstehenden genutzt und verstanden werden <br />

Es sind nicht so sehr Lerngeschichten, die man im Übergang Schule-<br />

Beruf nutzen kann, sondern eher Produkte von Jugendlichen, die<br />

im Rahmen der Berufsorientierung entstehen, also von der Hauptschulabschlussprüfung<br />

bis zu dem, was Jugendliche ausmacht,<br />

die Selbstinszenierung. Diese Selbstinszenierung sollte man fördern,<br />

vom Breakdance bis Hardrock, und eine Öffentlichkeit dafür<br />

schaffen. Alle Jugendlichen können irgendetwas und meist unwahrscheinlich<br />

gut. Das gilt es zu unterstützen mit allen möglichen<br />

Medien, Internetauftritten, Filmen. Ich glaube, dass man in der Darstellung<br />

des Bereiches der Selbstinszenierung ein Feld für den Transfer<br />

von Lerngeschichten öffnet, der bei den Betrieben gut ankommt.<br />

Man hat versucht, Kompetenzen zu dokumentieren mit dem Ausbildungspass.<br />

Was ich von den Betrieben mitbekomme, ist, dass<br />

Schule in Betrieben gar nicht so einen guten Leumund hat und die<br />

Schulnote noch weniger. Wenn Jugendliche sich darstellen mit dem,<br />

was sie können, mit ihrer Einzigartigkeit, mit ihrem Fleiß zeigen,<br />

wie dauerhaft sie dranbleiben, dann hat das Erfolg. Wir haben zum<br />

Beispiel festgestellt in der Peer-Group-Education, in Projekten –<br />

Streitschlichter oder Dr. Make Love – , in der Sexualerziehung unter<br />

Altersgleichen, dass Schülerinnen und Schüler, die in solchen<br />

Projekten mitmachen, Schübe in ihrer Selbstdarstellungsmöglichkeit<br />

verzeichnen. Wenn man diese Prozesse dokumentiert, dann<br />

bringt das mindestens so viel wie eine Zwei in Deutsch. Präsentationen<br />

und Selbstwirksamkeitserfahrungen müssen wir unterstützen<br />

und als Lizenzgeber wirken. Das Zeugnis ist eine Lizenz mit zwar<br />

nicht so gutem Ruf, aber es ist anerkannt. Wir sollten als Lizenzgeber,<br />

das könnten durchaus auch Kommunen sein, darauf hinwirken,<br />

ein Äquivalent zum Ausbildungspass zu generieren, mit dem<br />

wir Entwicklungsprozesse beschreiben und ihren Wert dokumentieren<br />

ähnlich wie bei den Lerngeschichten.<br />

Wenn man sich das Konzept von Weiterstadt anschaut, das elaboriert,<br />

ausgefeilt ist und einen hohen Entwicklungsstand aufzeigt, dann frage<br />

ich mich, wie ist die Stadt Weiterstadt überhaupt dahin gekommen<br />

Welche Vorgeschichte haben Lerndokumentationen in der Kommune<br />

Die Aufnahme von Lerngeschichten und von <strong>Bildung</strong>saspekten im<br />

Jugendhilfebereich ist über die Trägerebene forciert worden. Im<br />

Zuge der <strong>Bildung</strong>sdebatte haben wir gefragt, was für Rahmenbedingungen<br />

braucht frühe <strong>Bildung</strong>, das war eine Ausgangsfrage, die<br />

mit der Politik kommuniziert wurde, und das Zweite waren Qualifizierungsmaßnahmen.<br />

Wir haben mit gezielten Qualifizierungsmaßnahmen<br />

für Erzieherinnen das Thema in diese Richtung implementiert.<br />

Es wurden normierte Rahmenstrukturen definiert, es gibt<br />

zum Beispiel eine klare Regelung für Freistellungen. Wir haben für<br />

jede Erzieherin 25 Prozent Verfügungszeiten. Das ist festgelegt, beschlossen<br />

und politisch gewollt. Es ist Aufgabe des Trägers, für Kindertageseinrichtungen<br />

Zielorientierungen vorzugeben und Rahmenbedingungen,<br />

Qualifizierungen, Zeit- sowie Personalressourcen<br />

bereitzustellen, um das Konzept dann auch umzusetzen.


Forum 2<br />

Kein Kind soll verloren gehen.<br />

Was muss vor Ort passieren, damit Integration gelingt<br />

Integration von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem sozialen,<br />

familiären und kulturellen Hintergrund ist eines der zentralen<br />

Motive, die zum Aufbau lokaler Verantwortungsnetze führen. In dem<br />

Forum wurden zwei Ansätze vorgestellt, bei denen das Thema Integration<br />

einen wichtigen Raum einnimmt.<br />

Kommune 1:<br />

Steckbrief Reuterkiez Berlin-Neukölln –<br />

Ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong><br />

In Neukölln leben insgesamt 303.109 Einwohner/innen, davon sind<br />

22 Prozent nicht deutscher Herkunft. Im Bezirk sind 55.000 Arbeitsuchende<br />

gemeldet. Der Reuterkiez hat 18.900 Einwohnerinnen und<br />

Einwohner, der Anteil der Bewohner nicht deutscher Herkunft ist im<br />

Kiez deutlich höher als im Bezirk. Jedes zweite Kind bzw. jeder zweite<br />

Jugendliche empfängt staatliche Transferleistungen.<br />

85 Prozent der Jugendlichen melden sich mit der 7. Klasse in Sekundarschulen<br />

anderer Bezirke an, davon kehrt etwa die Hälfte wieder in<br />

Neuköllner Schulen zurück (2007).<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Ziele und inhaltliche Schwerpunkte lokaler<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik<br />

• Fördermaßnahmen<br />

• Lernkultur und Kultur der Einrichtung<br />

• Aktivierung und Beteiligung von Eltern<br />

• Kooperation der Einrichtungen miteinander<br />

• Schritte gemeinsamer Qualitätsentwicklung<br />

• Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen<br />

und Erziehern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Die wesentlichen Anschlussstellen für das Projekt sind <strong>Bildung</strong>sinstitutionen<br />

im Stadtteil. <strong>Bildung</strong>sinstitutionen sind Schulen, Einrichtungen<br />

der Jugendhilfe, Kindertagesstätten sowie weitere Akteure, die im Umfeld<br />

des Quartiersmanagements <strong>Bildung</strong> erbringen. Die freien Träger<br />

vereinigen relativ viele Akteure. All diese verbünden sich im Quadratkilometer<br />

<strong>Bildung</strong>. Es ist dem Ursprung nach kein kommunales, sondern<br />

ein zivilgesellschaftlich strukturiertes Projekt, das mit Unterstützung der<br />

Kommune, also von Berliner Bezirken und der Senatsverwaltung finanziert,<br />

aber im Wesentlichen durch Stiftungen getragen wird. Kernelement<br />

ist der <strong>Bildung</strong>sverbund um eine Schlüsselschule.<br />

Der Verbund ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong> unterteilt sich inhaltlich in<br />

vier Bereiche: Eine programmatische Ebene, Steuerungsebene, kulturelle<br />

Ebene und Leistungsebene. Diese Schlüsselbereiche sollen durch<br />

Schaubild Berlin-Neukölln<br />

17


18<br />

das Projekt ausgefüllt werden. Auf der programmatischen Ebene werden<br />

ein <strong>Bildung</strong>sdiskurs und eine Kompetenzschärfung der einzelnen<br />

Einrichtungen innerhalb des Stadtteils angestrebt. Das Projektziel<br />

besteht darin, der Fragmentierung entgegenzuwirken und ein gemeinsames<br />

<strong>Bildung</strong>sverständnis zu entwickeln. Die Steuerungsebene<br />

arbeitet im Hinblick darauf, den Ressourcenkontakt und die Verantwortungsstruktur<br />

zu verbessern, mit dem Ziel, Qualitätsentwicklung<br />

in Kitas, Jugendhilfeeinrichtungen und Schulen sowie Kooperation im<br />

Stadtteil voranzutreiben. Auf der kulturellen Ebene geht es um Entwicklungsorientierung<br />

und Teamkultur. Die Anerkennungsbilanzen von<br />

Lehrerinnen und Lehrern zu erhöhen, zu einer Kultur der Kooperation<br />

zu kommen, ist ein erklärtes Projektziel. Die Leistungsebene umfasst<br />

Struktureffekte mit der Intention sozialer Integration und Inklusion.<br />

Es gibt in den Quartieren ein eigenes Instrument: die pädagogische<br />

Werkstatt. Das ist ein Ort, den Lehrkräfte, Eltern, Erzieher für Qualifizierung,<br />

Austausch, für Sitzungen nutzen können und der ein eigenes<br />

Fortbildungsangebot enthält. Gemeinsam mit Pädagogen und Erziehern<br />

werden diagnosegestützt Praxismodelle entwickelt und versucht,<br />

sie sehr schnell in Kitas oder Schulen umzusetzen. Ein Quadratkilometer<br />

<strong>Bildung</strong> versteht sich als lokales <strong>Bildung</strong>ssystem, das grundsätzlich<br />

von der Bedürfnisperspektive der Kinder und Jugendlichen ausgeht<br />

und sie gleichzeitig integriert, um vorhandene Lösungsansätze und<br />

neue Modelle zu entwickeln. Der Verbund aktiviert Eltern als <strong>Bildung</strong>spartner<br />

und verfügt über ein lokales Unterstützungssystem wie die pädagogische<br />

Werkstatt. Ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong> setzt auf eine Kultur<br />

der Verabredung, Anerkennung und Wertschätzung und steht mit<br />

verwandten Projekten im regionalen und überregionalen Austausch.<br />

Es wurde ein zusätzliches Steuerungsinstrument entwickelt. Über<br />

ein Jahr lang haben wir mit Akteuren, mit Erzieherinnen und Lehrerinnen<br />

daran gearbeitet, einen Qualitätskatalog, einen Kriterienkatalog<br />

zu schaffen, der gleichermaßen für Kindertagesstätten, Schulen<br />

und Jugendhilfeeinrichtungen gilt. Das ist ein Verfahren, das alle drei<br />

Einrichtungstypen gleichermaßen nutzen können, von den jeweiligen<br />

Fachaufsichten assistiert, und es ist tatsächlich ein einfach handhabbares<br />

Selbstevaluationsverfahren. Zu den wesentlichen Gelingensbedingungen<br />

des Projektes gehören Autonomie und Selbsterfahrung sowie<br />

die Integration unterschiedlicher Perspektiven der verschiedenen<br />

Akteure. Die damit einhergehenden Spannungen und Konflikte bergen<br />

jedoch auch Risiken für das Projekt. Es ist mit einer Vielzahl von durchaus<br />

auch notwendigen Interventionen Dritter konfrontiert, denen sich<br />

vor allem Schulen und Kitas – häufig verbunden mit einem hohen Zeitdruck<br />

– ausgesetzt sehen. Es muss sich mit den daraus folgenden Belastungen<br />

auseinandersetzen und unterstützend wirken.<br />

Kommune 2:<br />

Steckbrief des Fachbereichs Schule und<br />

des Regionalen <strong>Bildung</strong>sbüros Dortmund<br />

Dortmund ist mit rund 587.000 Einwohnern (2008) die zweitgrößte<br />

Stadt in Nordrhein-Westfalen und liegt am östlichen Rand des Ruhrgebiets.<br />

Die Bevölkerungszahl ist seit dem Jahre 2000 nahezu konstant<br />

geblieben. Die auch in Dortmund zurückgehende Geburtenzahl wurde<br />

bisher durch eine positive Wanderungsbilanz ausgeglichen. Mit dem<br />

demografischen Wandel werden die Schülerzahlen in den nächsten Jahren<br />

spürbar zurückgehen. An den Grundschulen ist in den kommenden<br />

zehn Jahren mit einem Rückgang der Schülerzahlen von rund zehn<br />

Prozent zu rechnen. Die Arbeitslosenquote in Dortmund lag 2008 bei<br />

14 Prozent. Rund ein Viertel der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Dortmund ist von einem tiefgreifenden Strukturwandel betroffen, den<br />

die Stadt in den vergangenen drei Jahrzehnten zu bewältigen hatte und<br />

der noch nicht abgeschlossen ist. Mit den vielfältigen Herausforderungen<br />

ist die Erkenntnis gewachsen, dass Schulentwicklung im engen<br />

Zusammenhang mit Stadtentwicklung zu betrachten ist. Im Jahr 2000<br />

fasste der Rat der Stadt Dortmund einen Beschluss zur Förderung innovativer<br />

Schulentwicklungen. Der Oberbürgermeister berief eine Dortmunder<br />

<strong>Bildung</strong>skommission ein, in der Interessenpartner aus Schule,<br />

Wissenschaft, Wirtschaft, Kirchen, Verbänden, Elternschaft und andere<br />

mitwirken. Unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern wurde in<br />

einem dialogischen Verfahren 2002 ein Leitbild „Schulstadt Dortmund“<br />

erarbeitet, das seitdem als Orientierungsrahmen für die Aktivitäten zur<br />

Weiterentwicklung der Schullandschaft dient. Schulverwaltung, Schulaufsicht<br />

und Schulen entwickelten ein neues Selbstverständnis als Verantwortungsgemeinschaft.<br />

In einer Schulkoordinierungskonferenz<br />

arbeiten die Sprecher der Schulformen, Schulaufsicht und Schulverwaltung<br />

zusammen. 2003 wurde ein Regionales <strong>Bildung</strong>sbüro als Unterstützungssystem<br />

eingerichtet. Zu Beginn des Jahres 2008 veröffentlichte<br />

die Stadt Dortmund ihren ersten kommunalen <strong>Bildung</strong>sbericht.<br />

Ziele und inhaltliche Schwerpunkte lokaler<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik<br />

Ziel ist die Entwicklung einer regionalen <strong>Bildung</strong>slandschaft, in der die<br />

verschiedenen lokalen Aktivitäten vernetzt sind. Jedem jungen Menschen<br />

sollen Zukunftschancen eröffnet werden. Dazu sind gute Schulen<br />

notwendig. Die Stadt Dortmund will die Selbstständigkeit der einzelnen<br />

Schulen stärken und sie bei der Schulentwicklung aktiv unterstützen.<br />

Im Kontext von Integration haben sich folgende Organisationsformen,


Projekte und Schwerpunkte entwickelt, die breite Wirkung in der regionalen<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft zeigen:<br />

• Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen<br />

mit Migrationshintergrund (RAA)<br />

• Schulsozialarbeit an Schulstandorten mit besonderen Belastungen<br />

• Projekt „Zeitgewinn“ zur Optimierung des Übergangs von der Schule<br />

in die Arbeitswelt<br />

• Schulentwicklungsfonds zur Förderung innovativer Schulprojekte<br />

• Entwicklung und Unterstützung von Schulnetzwerken (Sprachförderung,<br />

Gewaltprävention, Berufsorientierung)<br />

• Lernmittelfonds zur Unterstützung von Kindern aus armen Familien<br />

• Ausweitung schulischer Ganztagsangebote<br />

• Kooperation mit Trägern der Jugendhilfe<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Auf der Grundlage der Dortmunder Handlungsstrategien sind vielfältige<br />

Maßnahmen und Projekte zur Förderung qualitativer Schulentwicklung<br />

entstanden. Als das Modellvorhaben „Selbstständige Schule“<br />

ausgeschrieben wurde, war Dortmund eine der ersten Regionen, die<br />

sich beworben hat. Sie ging 2004 mit 27 Modellschulen an den Start. Im<br />

Mai 2008 ist das Projekt beendet worden, zu diesem Zeitpunkt waren 83<br />

Schulen beteiligt, fast die Hälfte aller Dortmunder Schulen. Die Organisation<br />

des Fachbereichs Schule als staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft<br />

mit Schulformen und Institutionen übergreifender<br />

Kommunikation und Kooperation wurde akzeptiert und hat zu einer<br />

spürbaren Verbesserung geführt. Stadt und Land arbeiten unter gleichen<br />

Zielvorstellungen zusammen, alle Dortmunder Schulen sind am<br />

Dialog beteiligt. Der kommunale <strong>Bildung</strong>sbericht weist aus, dass dies<br />

inzwischen zu messbaren Ergebnissen führt.<br />

In Dortmund wurde ein Regionales <strong>Bildung</strong>sbüro als Unterstützungssystem<br />

eingerichtet, das projektbezogen zu bestimmten Entwicklungsschwerpunkten<br />

arbeitet, welche die <strong>Bildung</strong>skommission für die Region<br />

als besonders wichtig identifiziert hat. Das <strong>Bildung</strong>sbüro hat sich zu einer<br />

kommunalen Koordinierungsstelle entwickelt, deren zentrale Aufgabe<br />

es ist, das System Schule zu stärken und die Zusammenarbeit mit<br />

außerschulischen Partnern zu koordinieren. Allen bisher eingeleiteten<br />

Maßnahmen und Projekten liegen Kooperationsvereinbarungen zugrunde.<br />

Besonderer Wert wird auf die Evaluation und Selbstevaluation<br />

von Schulen gelegt. Qualifizierung bedeutet in diesem Kontext,<br />

dass Lehrkräfte in Teamarbeit, Projektmanagement und Evaluation geschult<br />

werden. Es wurden schulische Steuergruppen in 14-tägigen Fortbildungen<br />

und Koordinatoren zur schulischen Selbstevaluation ausgebildet.<br />

Die Diskussion um die Entwicklung von Unterricht hatte und hat<br />

in den Dortmunder Schulen Priorität.<br />

Die Professionalisierung schulischer Steuerung ist eine wichtige Grundlage<br />

für den Erfolg der Projekte und Maßnahmen. Unterschiedliche<br />

Zuständigkeiten in der <strong>Bildung</strong>slandschaft führen jedoch an Grenzen<br />

bedingt durch institutionelle Eigeninteressen. Die kommunale Koordinierung<br />

trifft manchmal auf Widerstände, da sie zum Teil als Eingriff<br />

in Zuständigkeiten empfunden wird. Probleme gibt es vor allem dann,<br />

wenn verbindliche Ressourcenvereinbarungen zu treffen sind. In Dortmund<br />

arbeitet man mit einem Anreizsystem, um solche Regelungen<br />

voranzubringen. Dazu wurde ein Schulentwicklungsfonds etabliert,<br />

mit dem innovative Projekte an Schulen gefördert werden. Die Schwerpunkte<br />

der Förderung legt die Dortmunder <strong>Bildung</strong>skommission fest,<br />

die Mittel für die Projekte stellt die Kommune auf der Grundlage eines<br />

Ratsbeschlusses zur Verfügung.<br />

Experten-Feedback<br />

Dr. Günter Warsewa, Institut Arbeit und Wirtschaft, Universität Bremen<br />

Seit den 80er-Jahren ist zu beobachten, dass sich in Stadtteilen mobilisierende<br />

Aktivitäten entfalten, zum Teil unterstützt durch verschiedene<br />

Arten von städtischen, Länder- oder Bundesinitiativen mit dem Ziel,<br />

soziale Integration in Städten zu fördern. Die Bandbreite reicht vom<br />

Quartiersmanagement bis hin zu verschiedensten Arten von Kooperationsinitiativen.<br />

Auffallend ist, dass Schulen innerhalb dieses Engagements<br />

keine besondere Rolle innehatten. Seit ein paar Jahren scheint<br />

das anders zu sein. Die Beispiele, die in diesem Forum zu hören waren,<br />

sind gut und typisch dafür, dass sich in dieser Richtung etwas verändert.<br />

Ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong>, der Reuterkiez in Berlin-Neukölln, beschreibt<br />

den Versuch, auf einer kleinräumlich organisierten Ebene<br />

Schulentwicklung mit Stadtteilentwicklung zu verknüpfen. Das Dortmunder<br />

Beispiel zeigt, wie man einen solchen Prozess von oben organisieren<br />

und befördern kann. Erfahrungen dokumentieren, dass das<br />

Zusammenspiel von beiden Ebenen ein entscheidendes ist. Daraus resultiert<br />

die Frage: Wie kann man das, was in Berlin zu sehen ist, verknüpfen<br />

mit Aktivitäten, wie sie sich in Dortmund entwickelt haben<br />

1. Gibt es so etwas wie ein Leitbild, eine Vorstellung, eine programmatische<br />

Ebene der Schulentwicklung auf Stadtebene, die man nutzen<br />

kann, um eine gemeinsame Sprache, eine Philosophie der Entwicklung<br />

für verschiedene Institutionen herzustellen In England war zu sehen,<br />

19


dass ein Regierungsprogramm auf nationaler Ebene Anstoß war für<br />

eine weitreichende Reformbewegung in den Schulen. Ein Katalysator<br />

für diese Entwicklung und hilfreich für die Kooperation der verschiedenen<br />

Institutionen und Menschen vor Ort war, dass festgelegt wurde,<br />

wie ein für alle verbindliches Programm konkret auszugestalten ist. Die<br />

gemeinsame Sprache, ein Programm und Leitbild waren entscheidende<br />

Gelingensbedingungen für die erfolgreiche Umsetzung.<br />

2. Ein anderer Punkt betrifft die Frage der Qualitätssicherung. Wie organisiert<br />

man zum Beispiel Schulwahlen Wie entstehen aus der Wahl<br />

und Entscheidung von Eltern eine Verteilung von Kindern auf bestimmte<br />

Orte und Schulen Das ist eine wesentliche Bedingung für die<br />

weitere Schul- und Stadtteilentwicklung. Die Auswahl kann man auf<br />

zwei verschiedene Arten und Weisen beeinflussen: Man kann zurückkehren<br />

zu dem klassischen Modell von Zwangsregelungen, also einer<br />

Festlegung von Schulbezirken, in denen die dort lebenden Kinder in<br />

die Schulen gehen müssen, die vorhanden sind. Heute ist diese Umsetzung<br />

nicht mehr zeitgemäß und damit auch nicht mehr realisierbar.<br />

Das heißt, man muss andere Mechanismen finden, wie man Eltern<br />

und Stadtteile darüber informieren kann, wie gut Schulen sind und<br />

wie man vernünftige Entscheidungen zur Schulwahl treffen kann. Dazu<br />

sollten Schulen Evaluationen nutzen, gleichzeitig als eine Art Anreiz zur<br />

Selbstdarstellung, nicht nur im Sinne von Selbstevaluation. Das ist die<br />

andere Option, um sich anzuschauen, was Schulen, was <strong>Bildung</strong>sstandorte<br />

leisten. Selbstverständlich muß dann auch sicher gestellt werden,<br />

dass gerade Schulen in „Problemgebieten“ wirklich ein gutes Angebot<br />

machen können.<br />

3. In beiden Beispielen wurde deutlich, dass es vor allen Dingen um die<br />

Kooperation von Schule und Jugendhilfe geht. Die ist kompliziert genug.<br />

Was man braucht und was die Beispiele aus Holland und England<br />

zeigen, ist jedoch, dass Kooperationen in einem viel weiteren Zusammenhang<br />

verstanden werden müssen. Was an fachlichen, an professionellen<br />

Ressourcen notwendig ist, wenn man biografische Orientierung<br />

ernst nehmen, wenn man Stärken stärken und nicht Defizitorientierung<br />

an den Schulen betreiben will, muss darauf hinauslaufen, viele andere<br />

Kompetenzen einzubeziehen. Wenn man Professionalität von Kompetenzen<br />

in den Schulbetrieb, in die Entwicklung von <strong>Bildung</strong>sprozessen<br />

integrieren kann, ist das eine wichtige Ergänzung und Erweiterung von<br />

<strong>Bildung</strong>smöglichkeiten und <strong>Bildung</strong>slandschaften.<br />

Diskussion<br />

Fragen an die Kommunen:<br />

Was kann man tun, um Kinder, die faktisch schlechte Ausgangschancen<br />

haben, mitzunehmen Ich sehe die Probleme der Kinder, dass sie in<br />

der Schule nicht mitkommen, ich sehe Sprachprobleme, Aggressionen<br />

und frage mich, was kann man denn tun von außen, aber auch von innen,<br />

um die Situation zu verbessern<br />

Die Stadt Dortmund hat einen Lernmittelfonds aufgelegt. Schulen,<br />

die besondere Belastungen haben, bekommen Mittel, um armen<br />

Kindern zu helfen, bestimmte Materialien oder zusätzliche Fördermaterialien<br />

anzuschaffen. Das Zweite ist, dass die Schulsozialarbeit<br />

in Stadtteilen verstärkt wird, die besondere Schwierigkeiten haben.<br />

Die Schulen erhalten zum Beispiel vermehrt Mittel für Schulsozialarbeit,<br />

für Personal und Ressourcen. Allerdings bekommen sie nur<br />

zusätzliche Gelder, wenn sie vor Ort ein passendes Konzept entwickeln.<br />

Einzelne Träger der Jugendhilfe haben festgestellt, dass ihnen ihre Klientel<br />

abhanden kommt durch die Entwicklung der Ganztagsschule. Es<br />

gab die Überlegung, was machen wir jetzt Sollen wir aufhören zu arbeiten<br />

oder wie können wir welche Projekte anbieten, damit wir bestehen<br />

bleiben Wie arbeiten die thematischen Werkstätten in Berlin<br />

Ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong> oder mehrere Quadratkilometer <strong>Bildung</strong><br />

funktionieren nicht ohne kommunale Begleitung. Man braucht<br />

„Kümmerer“ und Unterstützung, denn mit der Veränderung der<br />

Räumlichkeit, der Umfeldsituation allein entsteht keine soziale<br />

Stadt entwicklung, man muss in die <strong>Bildung</strong>ssysteme hineingehen, in<br />

ihre Qualitäten investieren. Ohne ein Top-down an Rahmenbedingungen<br />

ist gar nichts oder wenig zu machen. Ein wichtiger Punkt ist,<br />

dass man mit Menschen vor dem Hintergrund der sozial, kulturell<br />

relativ homogen, professionell organisierten Schule und mit Schlüsselpersonen<br />

aus den Communitys zusammenarbeitet. Die thematische<br />

Werkstatt ist ein Ort, solche Vernetzungen gemeinsam mit<br />

Akteuren aus Kindertagesstätten und Schulen herzustellen. Sie lebt<br />

davon, dass Eltern, pädagogische Fachkräfte, Schulleitungen ausgebildet<br />

werden und mit Erzieherinnen in Kindertagesstätten Projekte<br />

durchführen, die während des gesamten Prozesses durch Experten<br />

begleitet werden.<br />

20<br />

Eine Frage an das Dortmunder <strong>Bildung</strong>smonitoring. Es interessiert<br />

mich, ob dieser <strong>Bildung</strong>sbericht in Kooperation mit Projekten, Einrichtungen<br />

entstanden ist, wenn ja mit welchen und welche Kriterien hatten<br />

Sie zum Bereich Schule


Forum 3<br />

Das ist unsere Welt. Kinder, Jugendliche<br />

und Erwachsene gestalten ihre lokalen<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

Der Sozialindex des Dortmunder <strong>Bildung</strong>sberichts basiert auf einem<br />

Fragebogen, der in Hamburg bereits eingesetzt wurde. Kooperationspartner<br />

und „Macher“ ist das Institut für Schulentwicklungsforschung<br />

der Universität Dortmund. Der Fragebogen erhebt alle sozial<br />

und bildungsrelevanten Ressourcen, die Kinder haben. Es wird gefragt,<br />

wie viele Bücher gibt es bei euch zu Hause, wer hilft und unterstützt<br />

bei Schularbeiten Durch eine gute Mischung von Fragen<br />

wird alles an Ressourcen erfasst, was Kindern zur Verfügung steht.<br />

Dann wird daraus in einem sehr aufwendigen Verfahren ein Index<br />

gebildet, der wirklich schulgenau ist, so dass man Schulen typisieren<br />

kann, zum Beispiel diese Schule hat eine Schülerklientel mit hohen<br />

Belastungsfaktoren. Der Index ist ein Instrument, das man über<br />

das Institut für Schulentwicklungsforschung einsehen und nutzen<br />

kann. Die Schulen verpflichten sich im Rahmen des Projektes, ihre<br />

Entwicklungsschwerpunkte, die sie selbst gewählt haben, zu evaluieren<br />

und werden dabei unterstützt durch die Ausbildung schulischer<br />

Evaluationsberater.<br />

Eine zentrale Quintessenz der Diskussion lautet: Wie organisiert<br />

man eine ungeheuer wichtige Funktion, nämlich die des „Kümmerers“,<br />

eine Art Schnittstelle mit Übersetzungs-, Moderatorenfunktion<br />

zwischen verschiedenen Logiken, sowohl von unten nach oben<br />

als auch horizontal zwischen unterschiedlichen Einrichtungen und<br />

Interessen Es gibt Behördenlogiken und so etwas wie Vor-Ort-Logiken.<br />

Wie bekommt man die Schnittstellen so organisiert, dass sie<br />

optimal funktionieren<br />

Nur durch aktive Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen<br />

wird aus einem abstrakten Netzwerk ein Prozess, der von den<br />

Betroffenen selbst getragen und mitgestaltet wird. Der Schritt von der<br />

Beteiligung innerhalb einzelner Einrichtungen hin zur Beteiligung in<br />

komplexen Akteursnetzwerken ist eine große Herausforderung.<br />

Kommune 1:<br />

Steckbrief Bad Bramstedt und Umgebung<br />

Die Stadt Bad Bramstedt liegt als Unterzentrum im strukturschwachen<br />

nordwestlichen Teil des Kreises Segeberg am nördlichen Rand der<br />

Metropolregion Hamburg. Bad Bramstedt hatte zum Jahreswechsel<br />

2008/2009 13.569 Einwohner, davon 2.841 unter 18 Jahren (knapp 21<br />

Prozent). Die weiteren Gemeinden des Schulverbandes vereinen 6.409<br />

Einwohner. Der Rückgang der Geburtenzahlen bedeutet einen Rückgang<br />

der Schülerzahlen um mehr als ein Viertel in den nächsten sechs<br />

Jahren. Diese Entwicklung ist schon jetzt in den Kindertagesstätten und<br />

Grundschulen spürbar und wird entsprechend zeitversetzt in den weiterführenden<br />

Schulen sichtbar werden.<br />

Wichtige Arbeitgeber sind unter anderen zwei große Fachkliniken,<br />

Handel und Dienstleistung. Die Arbeitslosenquote (Stadt) von 8,6 Prozent<br />

entspricht der durchschnittlichen Quote in Schleswig-Holstein.<br />

1.500 Personen im Gebiet des Schulverbandes leben in Bedarfsgemeinschaften<br />

gemäß SGB II („Hartz IV“). Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund<br />

in den fünf Grundschulen schwankt zwischen fünf<br />

und 20 Prozent.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Zu Beginn des Jahrtausends waren Bad Bramstedt und die unmittelbare<br />

Umgebung von einer steigenden Schülerzahl geprägt. Die Schulen verteilen<br />

sich auf drei Träger: die Stadt (Realschule), der Kreis Segeberg<br />

(Gymnasium) und der Schulverband Bad Bramstedt (Hauptschule,<br />

fünf Grundschulen sowie Förderschule bzw. -zentrum). 2001/2002<br />

wurde eine gemeinsame, trägerübergreifende Schulentwicklungsplanung<br />

durchgeführt, die durch eine von Eltern ausgelöste Gesamtschuldiskussion<br />

bereichert wurde. Ein Ergebnis war die Schaffung eines institutionenübergreifenden<br />

örtlichen <strong>Bildung</strong>srates, der maßgeblich die<br />

Entstehung der offenen Ganztagsschule gefördert hat. 2006 wurde eine<br />

Kooperationsvereinbarung zwischen den Grundschulen und den Kindertagesstätten<br />

in Bad Bramstedt geschlossen. Der örtliche <strong>Bildung</strong>srat<br />

bildet die inhaltlich fachliche Klammer zwischen den Beteiligten in<br />

21


Schulen, Schulträgern, freien Vereinigungen, Verwaltungen und Kommunalpolitik.<br />

Die formellen Beschlussgremien, wie Schulkonferenzen<br />

und kommunale Ausschüsse, wurden durch den Rat in ihrer Zuständigkeit<br />

nicht tangiert. Aufgrund von Informationsveranstaltungen, breit<br />

angelegten Workshops zu dem Modell Regionales <strong>Bildung</strong>sbüro (Herford),<br />

zu lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften und zum Programm „Lebenswelt<br />

Schule“ wurde ein Lenkungskreis etabliert. Er ist das verkleinerte<br />

Pendant zum örtlichen <strong>Bildung</strong>srat; ihm obliegt die Steuerung des<br />

Projektes.<br />

Ziele und inhaltliche Schwerpunkte lokaler<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik<br />

Im Rahmen der lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaft haben sich – mit Unterstützung<br />

des Kinder- und Jugendaktionsplans des Landes Schleswig-<br />

Holstein – drei Arbeitsgruppen gebildet, die weitgehend eigenständig<br />

arbeiten. Schwerpunktthemen sind die Kooperation von Kindertagesstätten<br />

und Grundschulen, der Übergang von weiterführenden Schulen<br />

ins Berufsleben und die Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit.<br />

In einem Zielfindungsworkshop im Oktober 2008 wurden Meilensteine<br />

und Handlungsziele in Arbeitsgruppen zu den Leitthemen „Ganztägig<br />

Lernen“, „Kooperation“ und „Partizipation“ fixiert, die derzeit durch<br />

den Lenkungskreis ausformuliert werden.<br />

Ein Schülervertreter des Gymnasiums wurde in den Lenkungskreis<br />

von „Lebenswelt“ Schule aufgenommen. Bislang besteht im städtischen<br />

Fachausschuss und von Verwaltungsseite Einvernehmen darüber, dass<br />

weitere formelle Gremien nur zu einer nicht nachhaltigen Scheinpartizipation<br />

führen würden. Projektbezogene und gelungene Beispiele von<br />

Beteiligung der jüngeren Vergangenheit sind: naturnahe Umgestaltung<br />

eines Spielplatzes in einem alten Baugebiet (pädagogisch von der damaligen<br />

Leitung des Jugendzentrums begleitet); Umgestaltung des Schulhofs<br />

der Schulen am Maienbeeck (Grundschule und Förderzentrum);<br />

Kinderredaktion zur Erstellung der Festschrift „10 Jahre Grundschule<br />

am Storchennest“; Gestaltung der Skaterrampe am Freibad Roland-<br />

Oase; Mitgestaltung der Berufsinformationsmesse (Evaluation durch<br />

ein Schülerteam). Im Rahmen des „Lebenswelt-Schule“-Prozesses erarbeitet<br />

eine Arbeitsgruppe Handlungsziele im Bereich der Demokratiepädagogik.<br />

Die regelmäßigen Gesprächsrunden (Schüler/innen/vertretungen,<br />

Sprechstunden) haben gezeigt, dass der stetige Dialog zu einer deutlichen<br />

Absenkung von Kommunikationsschwellen führt. Je formeller<br />

die Anlässe wirken, desto weniger werden sie aus eigenem Antrieb<br />

wahrgenommen. In diesen Fällen bedufte es stets eines pädagogischen<br />

Anstoßes von außen.<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Paragraf 47 f der Schleswig-Holsteinischen Gemeindeordnung (GO)<br />

verpflichtet Städte und Gemeinden zur Beteiligung von Kindern und<br />

Jugendlichen. Im Bereich der weiterführenden Schulen normiert das<br />

Schulgesetz die sogenannte Drittelparität von Lehrkräften, Elternschaft<br />

und Schüler/innen/vertretung in der Schulkonferenz. Wie in den meisten<br />

Kommunen in Schleswig-Holstein fehlt in Bad Bramstedt noch ein<br />

Instrumentarium für die systematische Einbindung (im Sinne von § 47<br />

f GO) in die Bauleitplanung. Anders stellt sich die Situation im Bereich<br />

der <strong>Bildung</strong>sangelegenheiten dar: Das Konzept für die gemeinsame offene<br />

Ganztagsschule von Realschule und Hauptschule wurde durch zwei<br />

Workshops für Kinder und Jugendliche aus beiden Schulen begleitet.<br />

22<br />

Schülervertretungen bestehen an allen weiterführenden Schulen. Mit<br />

deren Vorsitzenden findet im Abstand von vier bis sechs Wochen ein<br />

Jour fixe beim Bürgermeister statt, an dem ein weiterer Mitarbeiter der<br />

Verwaltung sowie die Leitungen von Jugendzentrum und offener Ganztagsschule<br />

teilnehmen. An mindestens einer Grundschule existiert ein<br />

Kinderrat, der von der Schulleitung vor Entscheidungen gehört wird.<br />

Ferner bietet der Bürgermeister eine monatliche Sprechstunde im Jugendzentrum<br />

an. Die vor sechs Jahren eingeführte Jugendeinwohnerversammlung<br />

wird wegen der sehr unterschiedlichen Beteiligung<br />

derzeit konzeptionell überdacht.


Kommune 2:<br />

Steckbrief der Stadt Saalfeld, Thüringen<br />

Saalfeld ist die Kreisstadt des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt. In der<br />

Stadt leben 28.000 Einwohner. Die Arbeitslosenquote betrug im September<br />

2008 8,6 Prozent. Von den 3.042 Arbeitslosen waren 434 unter<br />

25 Jahre (14,3 Prozent).<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Die Arbeit in den Kitas, den Schulen, der Jugendarbeit, der Verwaltung<br />

und Politik war insbesondere in den 90er-Jahren von Veränderungsprozessen<br />

und Verunsicherungen, hervorgerufen durch demografische<br />

Entwicklung, finanzielle Engpässe und daraus folgend durch<br />

Verteilungskämpfe, geprägt. Schließungen und Zusammenlegungen<br />

von Einrichtungen, mehrfache konzeptionelle Neuorientierungen und<br />

Personalveränderungen sind nur einige Begleiterscheinungen der Veränderungsprozesse.<br />

Außerdem hatte die Stadt Saalfeld jahrelang mit<br />

rechtsextremen Entwicklungen zu kämpfen. Saalfeld entschied sich ab<br />

Mitte der 90er-Jahre ausgehend von den genannten Herausforderungen<br />

und Problemlagen zunehmend mehr Aufgaben in die eigene Verantwortung<br />

zu übernehmen, um die Steuerung von Prozessen auf kommunaler<br />

Ebene zu gewährleisten. Als besonders wichtige Bereiche wurden<br />

Jugendarbeit, Sport, Kultur und <strong>Bildung</strong> identifiziert. In den letzten Jahren<br />

wurde an der konzeptionellen Weiterentwicklung, der Vernetzung<br />

der Träger und Angebote sowie an der Entwicklung und Abstimmung<br />

von kommunalen Konzepten gearbeitet.<br />

Ziele und inhaltliche Schwerpunkte<br />

der lokalen <strong>Bildung</strong>spolitik<br />

„Agieren statt Reagieren“ – die eigenverantwortliche Gestaltung des<br />

kommunalen Lebens wird als Auftrag an jeden Bürger verstanden, das<br />

Werden und Wachsen der Stadt engagiert zu beeinflussen. Partizipation,<br />

bürgerschaftliches Engagement und eine Kultur des Miteinanders<br />

prägen die Entwicklungen in der Stadt. In Saalfeld sind nachhaltige<br />

Strukturen zur Implementierung von Partizipation, von bürgerschaftlichem<br />

Engagement und von kommunalen <strong>Bildung</strong>sprozessen verankert<br />

worden:<br />

• Gemeinsame Weiterbildungen und Netzwerke von Lehrern, Sozialarbeitern<br />

und Verwaltungsmitarbeitern zur Veränderung der Haltung<br />

und Sichtweisen<br />

• Aufbau eines „ Kommunalen Präventionsnetzwerkes“ zwischen allen<br />

Schularten, der Jugendarbeit, Verwaltung und Politik seit dem Jahr<br />

2001<br />

• Initiative „mitWirkung! zur Stärkung der Kinder und Jugendpartizipation“<br />

unter Begleitung der Bertelsmann-Stiftung in Kooperation<br />

der Schulen, Kitas, Vereine, Verwaltung und Politik 2004–2008 (Prozessmoderatorenausbildung<br />

für Kinder- und Jugendpartizipation)<br />

• Thüringer <strong>Bildung</strong>smodell „Neue Lernkultur in Kommunen“ zur Implementierung<br />

einer neuen Lernkultur, welche die Schaffung einer<br />

kommunalen <strong>Bildung</strong>slandschaft zum Ziel und Vernetzung formeller<br />

und informeller <strong>Bildung</strong>sakteure im Blick hat.<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Seit drei Jahren finden quartalsweise Netzwerktreffen statt, für die ein<br />

Netzwerkverantwortlicher benannt wird. In der Steuerungsgruppe<br />

treffen sich Schulamt, Bürgermeister, Verwaltung, Jugendamt, Vertreter<br />

des Landkreises, der Schulen, des Stadtrats, der Kitas, der Jugendarbeit,<br />

der begleitenden Stiftungen zur Zielbestimmung und<br />

strategischen Planung. Regelmäßige gemeinsame Fachtagungen, Planungsworkshops<br />

und Gemeinwesenwerkstätten fördern Austausch<br />

und Zusammenarbeit.<br />

In Saalfeld gibt es zwölf Kindertagesstätten in freier Trägerschaft, zwei<br />

Gymnasien, drei Grundschulen, drei Regelschulen, zwei Förderschulen<br />

und zwei berufsbildende Einrichtungen. Zwei Grund- und Regelschulen<br />

befinden sich in städtischer, eine Grund- und eine Regelschule in<br />

freier Trägerschaft. Träger der Gymnasien, Förderschulen und berufsbildenden<br />

Einrichtungen ist der Landkreis. In den letzten Jahren wurden<br />

erhebliche finanzielle Mittel in Schulen, im Sportbereich, Jugendarbeits-<br />

und Kulturbereich investiert, um die Rahmenbedingungen zu<br />

verbessern. Die Jugendarbeit ist sozialräumlich strukturiert und wird<br />

von der Stadt Saalfeld und drei freien Trägern verantwortet.<br />

Die Arbeit erfolgt auf drei Ebenen:<br />

Multiplikatoren und Begleiter<br />

Kinder und Jugendliche<br />

Politik und Verwaltung<br />

Diese Prozesse können nicht ohne Moderation und fachkundige Begleitung<br />

funktionieren, deswegen werden sie von Prozessmoderatoren für<br />

Kinder- und Jugendpartizipation begleitet. Beteiligungsformen in den<br />

ansässigen Schulen erhalten Unterstützung durch Verwaltung und Politik,<br />

indem für geeignete Rahmenbedingungen gesorgt wird. Von 2004<br />

bis 2008 beteiligte sich die Bertelsmann Stiftung an dem Thema Mitwirkung,<br />

dadurch konnten Mittel zur Ausbildung von Moderatoren genutzt<br />

und ein Stärken- und Schwächenprofil erstellt werden. Die Schulung<br />

wird nun über die Kommunen bis 2010 gefördert und danach<br />

wahrscheinlich fortgeführt. Die Ausbildung wurde bewusst gemischt;<br />

teilgenommen haben Lehrer, Sozialpädagogen, Erzieherinnen, Ehrenamtliche<br />

und Verwaltungsmitarbeiter. Die ersten zwei Module waren<br />

spannungsgeladen, doch konnten „zarte Brücken“ zwischen den Professionen<br />

hergestellt werden. Später haben die Multiplikatoren 25 Kinder<br />

23


24<br />

und Jugendliche aus verschiedenen Schularten ausgebildet. Inzwischen<br />

findet die Jugendmoderatoren-, Klassen- und Schülersprecherausbildung<br />

jährlich statt, die durch Seminare in Zusammenarbeit mit Lehrern<br />

und Schulamt vorbereitet wird. Zurzeit wird der Bereich der frühkindlichen<br />

<strong>Bildung</strong> und die Berufsbildung forciert und die entsprechenden<br />

Akteure, weiterführende <strong>Bildung</strong>seinrichtungen und Familien einbezogen.<br />

Im bisherigen Prozess wurde deutlich, dass Mitwirkung und Partizipation<br />

zu Transparenz zwischen den verschiedenen Institutionen und Systemen,<br />

die es in einer Stadt gibt, führt. Beteiligung fördert Kontakte,<br />

den Dialog und das Miteinander der Akteure. Sie bedingt auch Irritationen<br />

und bringt letztendlich dadurch etwas in Bewegung. Partizipation<br />

sorgt für einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen und<br />

für eine Erneuerung im Denken und Handeln.<br />

Experten-Feedback<br />

Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker, Universität Hamburg<br />

Die Frage nach der Gestaltung von <strong>Bildung</strong>slandschaften ist immer<br />

wieder eine Frage nach den Entscheidungsstrukturen und der Entscheidungsmacht.<br />

Kinder und Jugendliche müssen erkennen können,<br />

dass ihre Beteiligung an der Gestaltung ihnen auch reale Mitentscheidungschancen<br />

einräumt und nicht nur Mitwirkung in vereinzelten<br />

Projekten. Zu oft werden sie nur sporadisch mit Befragungen oder in<br />

Sonderaktionen punktuell einbezogen. Im Gegenteil müssten alle Einzelaktionen<br />

und -projekte der Planung von <strong>Bildung</strong> für die Beteiligten<br />

immer deutlich machen, in welches Entscheidungsnetzwerk sie eingebunden<br />

sind und wie man die eigene Position in das Netzwerk einbringen<br />

und dort stark machen kann.<br />

Aus der Diskussion um Partizipationsformen in Bad Bramstedt stellt<br />

sich die Frage, wie gelingt Partizipation, sodass sich alle gut und<br />

gerne beteiligen können Ausgrenzung von betroffenen Gruppen gilt<br />

es zu vermeiden oder aufzuheben. So sind etwa im Lenkungsrat von<br />

Bad Bramstedt keine Grundschüler vertreten. Wie könnte man ihnen<br />

dort Zugang und Mitentscheidungsmacht verschaffen Das fragt danach,<br />

wie demokratische Beteiligungsgremien kommunizieren und arbeiten<br />

müssten, damit alle Betroffene mitwirken können. Oft hat sich<br />

etwa in politisch-repräsentativen Gremien wie dem Rat eine Sprachkultur<br />

entwickelt, die für viele Erwachsene und jungen Menschen<br />

ausgrenzend wirkt. Demokratie (gerade bei der Gestaltung von <strong>Bildung</strong>slandschaften)<br />

müsste ihre Kommunikations- und Entscheidungsformen<br />

so gestalten, dass auch ihre schwächsten Mitglieder (etwa Kindergartenkinder)<br />

sich einbringen können.<br />

Alle Betroffenen einzubeziehen, verlangt differenzierte Unterstützung<br />

einzelner Gruppierungen und moderatorische Begleitung. Deshalb hat<br />

man in Saalfeld so viele Menschen dazu ausgebildet. Partizipation funktioniert<br />

nicht, indem man sagt, hier ist ein Partizipationsfreiraum, nun<br />

nutzt den mal. Das haben die Bad Bramstedter gelernt: Wenn man einfach<br />

nur ein offenes Forum zur Verfügung stellt, dann kommt niemand.<br />

Um Partizipation möglich zu machen, braucht man Menschen, die sich<br />

engagieren, damit andere einen eigenen Weg in Mitentscheidungsstrukturen<br />

finden. Das heißt, ohne Ressourcen, ohne Personal, ohne<br />

Ausbildung, ohne Begleitung ist das alles überhaupt nicht zu machen.<br />

Weiter geht es darum, formelle, repräsentative Gremienpartizipation<br />

mit nicht-formellen Formen der Partizipation zu kombinieren. Formelle<br />

Partizipation muss stattfinden, etwa in den Institutionen wie<br />

Schule, z.B. im gewählten Schülerrat. Ein Schülerrat kann tagen, diskutieren,<br />

eine Position verabschieden, mit anderen Entscheidungsgremien<br />

in Kontakt treten. Aber es ist bekannt, dass solche formellen Strukturen<br />

der Partizipation nicht alle Betroffenen erreichen, besonders Jugendliche<br />

und Kinder nicht. Deshalb benötigt man auch nicht-formelle, alltagnahe<br />

und (jugend-)kulturspezifische Angebote der Beteiligung. Wie<br />

kann man Jugendliche in ihren Cliquen, in ihren sozialen Gemeinschaften<br />

und Jugendkulturen jenseits von Organisationen treffen und<br />

mit ihnen in Kontakt kommen und sie dazu bringen, sich zu positionieren,<br />

Aussagen zu machen, sich damit öffentlich zu zeigen und in Aushandlungsprozesse<br />

mit anderen zu gehen Repräsentative Gremien und<br />

nicht-formelle Beteiligungsformen müssen in einen kommunikativen<br />

Zusammenhang gebracht werden, damit möglichst viele mitdiskutieren<br />

und mitentscheiden können. Zusammengefasst:<br />

• Betroffene Kinder und Jugendliche brauchen demokratische<br />

Mitentscheidungsmacht und Kenntnis der Entscheidungsstrukturen.<br />

• Demokratische Partizipation benötigt Kommunikations- und Entscheidungsformen,<br />

die auch den Schwächsten Beteiligung eröffnen.<br />

• Formelle und nicht-formelle Mitentscheidungsstrukturen müssen<br />

verbunden werden.<br />

• Partizipation braucht Unterstützungsressourcen.


Diskussion<br />

Fragen an Experten:<br />

Welche Erfahrungen zu formalisierter Beteiligung von Kindern und<br />

Jugendlichen liegen vor<br />

Formalisierte Beteiligungsformen, wie etwa die Schülervertretung<br />

oder kommunale Jugendparlamente bleiben schwach. Untersuchungen<br />

zeigen, dass Kinder und Jugendliche Schule und Kommune<br />

als Orte wahrnehmen, an denen sie am wenigsten beteiligt werden.<br />

Daraus folgt auch, dass die dort vorhandenen formalisierten Beteiligungsstrukturen<br />

nicht greifen. Formelle Partizipationsgremien<br />

sind oft nicht in der Lage, die Kommunikationsformen der differenzierten<br />

Jugendkulturen aufzunehmen. Wenn von ihnen verlangt<br />

wird, dass man sich, um mitwirken zu können den herrschenden<br />

Sprach- und Entscheidungsmustern unterwirft, grenzt man viele Betroffene<br />

aus.<br />

Wie kann man ein nachhaltiges Beteiligungsnetzwerk schaffen<br />

Erst einmal braucht man eine Gruppe von Aktivisten, die innerinstitutionell<br />

und außerinstitutionell das Thema bearbeiten wollen. Man<br />

muss Leute haben, die sagen, in meiner Schule mache ich etwas dazu<br />

mit Kindern, oder das Jugendzentrum fragen, wo können ihr euch<br />

einbringen. Und der zweite Schritt wäre, mit allen Kindern und Jugendlichen<br />

erst einmal ein Kataster der lokalen <strong>Bildung</strong>sorte zu erstellen:<br />

Eine Sammlung von Orten, die beschreibt, wo, wozu, mit<br />

wem und wie Kinder und Jugendliche sich überhaupt bilden wollen<br />

und zwar in Bezug auf alle <strong>Bildung</strong>sformen: formelle nonformelle,<br />

informelle und wilde. Bei dieser Bestandsaufnahme erkennt<br />

man schon Probleme und damit kann man einen Übergang schaffen<br />

in eine Struktur von Zukunftswerkstätten. Eine Kritikphase ist nötig<br />

und ihr folgen die Fantasie-, Planungs- und Realisierungsphase.<br />

Es nützt aber nichts, danach eine Sammlung von Ergebnissen zu haben,<br />

wenn die weitere Entscheidungsstruktur nicht klar ist. Deshalb<br />

finde ich Projekte klasse, die neben der Entwicklung von Gestaltungsideen<br />

auch Entscheidungsstrukturen thematisieren. Auch<br />

Kinder und Jugendliche müssen erkennen können, wie ihre Vorstellungen<br />

zur Gestaltung der lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften in weitere<br />

Entscheidungsprozesse eingehen. Es muss für sie transparent werden,<br />

wer mit welcher Macht wie was bestimmt und wie Kinder und<br />

Jugendliche darauf Einfluss nehmen können. Wenn Betroffene erkennen<br />

können, dass sie reale Mitentscheidungsmacht haben, wird<br />

Beteiligung attraktiv und nachhaltig.<br />

Wie kann es gelingen, nicht nur etwas für Kinder und Jugendliche zu<br />

machen, sondern gemeinsam mit ihnen Angebote zu entwickeln<br />

Man sollte überhaupt erst einmal in die Köpfe von Erwachsenen<br />

bringen, dass selbst Zwei- oder Dreijährige Kinder gefragt und an<br />

Entscheidungen beteiligt werden können. Im Moment habe ich das<br />

Gefühl, man wird ausgelacht, wenn man sich Gedanken darüber<br />

macht, wie man auch junge Kinder beteiligen könnte. Demokratie<br />

bedeutet aber: jede und jeder ist Mitglied, egal wie er/sie drauf ist,<br />

wie alt er/sie ist, was sie/er weiß oder kann, oder welchen Schulabschluss<br />

jemand hat. Es ist ein Bruch des grundgesetzlichen Mitwirkungsrechts<br />

aller, wenn man manche als nur teilweise oder als leider<br />

nicht so kompetente Entscheidungsbeteiligte oder ähnliches klassifiziert.<br />

25


Forum 4<br />

<strong>Bildung</strong>seinrichtungen und lokale Räume:<br />

Getrennte Welten oder eine gemeinsame Landschaft<br />

26<br />

Die Bedingungen, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, werden<br />

nicht nur in <strong>Bildung</strong>seinrichtungen definiert: Von zentraler Bedeutung<br />

ist die Gestaltung lokaler Räume. Themen wie <strong>Bildung</strong>splanung,<br />

Stadtentwicklung und Bauplanung aufeinander abzustimmen,<br />

stellt in der Praxis jedoch oft eine große Herausforderung dar.<br />

Kommune 1:<br />

Steckbrief Bernburg/Salzlandkreis,<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Bernburg befindet sich im geografischen Zentrum des Landes Sachsen-<br />

Anhalt. Der ehemalige Landkreis Bernburg wurde aufgrund der Kreisgebietsneuregelung<br />

aufgelöst. Der neue Salzlandkreis (seit 01.07.2007)<br />

setzt sich aus den Gemeinden des bisherigen Landkreises Aschersleben-Staßfurt,<br />

den Landkreisen Bernburg und Schönebeck zusammen.<br />

In ihm leben 220.000 Einwohner. Das Gebiet verzeichnet seit 1990 einen<br />

drastischen Bevölkerungsrückgang, der bis über das Jahr 2025 hinaus<br />

als anhaltend prognostiziert wird. Er ist verbunden mit einer zunehmenden<br />

Überalterung der Bevölkerung und einer Abnahme des<br />

Anteiles an Kindern und Jugendlichen. In der Stadt Bernburg und dem<br />

Umland liegt die Arbeitslosenquote bei elf Prozent. Aus Abwanderungen<br />

verbunden mit Fachkräftemangel erwachsen soziale Probleme.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Ein erheblicher Anteil von Kindern und Jugendlichen ist von den sozialen<br />

Problemlagen betroffen, viele davon sind in Förderschulen und<br />

Sekundarschulen konzentriert. Folgen sind eine vergleichsweise niedrige<br />

Leistungsbereitschaft und Motivation der Schülerinnen und Schüler.<br />

Aber auch die nicht selten bildungs-, kultur- und arbeitsfernen<br />

Elternhäuser bedürfen der Unterstützung in Form eines neuen motivierenden,<br />

berufsorientierten schulischen Ansatzes. Das Projekt Campus<br />

Technicus ist ein Gemeinschaftsprojekt des Salzlandkreises als<br />

Schulträger in Kooperation mit der Stadt Bernburg als Bauträger. Die<br />

derzeit im Stadtgebiet von Bernburg befindlichen drei Sekundarschulen<br />

sollen basierend auf dem pädagogischen Konzept in der vorerst offenen<br />

Ganztagsschule Campus Technicus zusammengeführt werden.<br />

Ziele und inhaltliche Schwerpunkte lokaler<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik<br />

Die Ziele des Projektes sind im Stadtentwicklungskonzept der Stadt<br />

Bernburg festgeschrieben: Ausweitung der lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaft,<br />

Stärkung der Institution Schule durch Vernetzung aller relevanten <strong>Bildung</strong>s-,<br />

Kultur- und Sozialeinrichtungen. Kernbereiche des Konzeptes<br />

sind:<br />

• Ein berufsorientierter schulischer Ansatz aufbauend auf drei Säulen:<br />

berufs- und praxisorientierter, musisch-kultureller und gesundheitsfördernder<br />

Bereich<br />

• Entwicklung von Schule zu einem lebensnahen Ort, der soziale Integration<br />

fördert und lokale Identität erhöht<br />

• Städtebauliche Maßnahmen sollen zum pädagogischen Konzept der<br />

Ganztagsschule und zur Weiterentwicklung der <strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

beitragen.<br />

• Lenkung durch verschiedene Gruppen: Steuerungsgruppe, AG Bau,<br />

AG Netzwerk, AG Ausgestaltung Schulkonzept.<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Durch die Gebietsreform sind unterschiedliche Hausphilosophien in<br />

Bezug auf <strong>Bildung</strong> von drei Landkreisen unter eine Führung gestellt<br />

worden. Ein Projekt, das vom Salzlandkreis übernommen wurde, ist der<br />

Campus Technicus, der schon im Altkreis Bernburg gefördert wurde<br />

und der die Zusammenführung von den derzeit noch selbstständigen<br />

Sekundarschulen in der Stadt Bernburg unter einem völlig neuen Dach<br />

zum Ziel hat.<br />

Wenn eine Stadt schrumpft, ist es wichtig, sich auf das Wesentliche zu<br />

konzentrieren, also im Regelfall auf die Innenstadt, auf eine konzentrische<br />

Schrumpfung. <strong>Bildung</strong>seinrichtungen, die in der Innenstadt<br />

konzentriert sind, lassen ein Netzwerk von kurzen Wegen zu. Aus dieser<br />

Erkenntnis wurde der Campus gegründet, in dem circa 1.000 Schüler<br />

unterrichtet werden können. Das Außergewöhnliche ist, dass es ein<br />

Projekt zwischen der Stadt Bernburg und dem Salzlandkreis ist, in dem<br />

der Salzlandkreis Schulträger der Schulen ist und er es auch für den<br />

Campus bleiben soll. Ausgangspunkt war eine sehr hohe Schulabbrecherquote,<br />

die inzwischen gesunken ist durch Maßnahmen, die eingeleitet<br />

worden sind. An den drei Standorten ist ein erhebliches Investitionsvolumen<br />

zu erbringen. Das Investitionsvolumen wird auf sechs bis<br />

acht Millionen geschätzt, wenn die Schulen so unterstützt werden, dass<br />

sie den Bedingungen mittel- und langfristig standhalten können. Deshalb<br />

kam es zu der Kooperation zwischen der Stadt und dem Kreis, um<br />

die Förderung im Städtebau mit der Schulentwicklungsplanung zu verknüpfen.<br />

Zu diesem Zweck wurde eine Kompetenzagentur gegründet.<br />

Der Kreis ist auch Projektträger des regionalen Übergangsmanagements<br />

von Schule in Ausbildung. In dem Projekt, das bis zum Jahre<br />

2012 umgesetzt werden soll, arbeitet ein regionaler Koordinator für <strong>Bildung</strong><br />

und eine <strong>Bildung</strong>smanagerin wird gefördert, die sich speziell Aufgaben<br />

des Campus widmet. Das Besondere des Konzeptes besteht darin,


dass die unterschiedlichen Interessen an den Standorten so verknüpft<br />

werden, dass Schülerinnen und Schüler vermehrt partizipieren können.<br />

Das pädagogische Konzept des Campus Technicus sieht vor, den Unterricht<br />

weiterzuentwickeln, die individuelle Förderung in den Vordergrund<br />

zu stellen, ganzheitliches werteorientiertes Lernen und Leben zu<br />

fördern. Es wurden gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit der AGs<br />

Netzwerk, Bau, Ausgestaltung Schulkonzept und der Steuerungsgruppe<br />

als Bindeglied gemacht. Durch sie wird die Kontrolle der Abarbeitung<br />

der Arbeitsaufträge der einzelnen Gremien gewährleistet. Prozesse dieser<br />

Größenordnung brauchen Zeit. Die Vernetzung vieler Akteure aus<br />

den beteiligten Gruppen zu erreichen, erfordert Überzeugungskraft,<br />

Transparenz während des Prozesses und eine gute fachliche Argumentation.<br />

Prozessbegleitung als Beobachter und wichtiger Impulsgeber<br />

von außen ist eine wesentliche Gelingensbedingung.<br />

Kommune 2:<br />

Steckbrief <strong>Bildung</strong>s- und Gemeinschaftszentrum<br />

in Neugraben-Fischbek/Neuwiedenthal,<br />

Hamburg-Harburg<br />

Im Stadtteil leben circa 20.000 Einwohner mit einem hohen Anteil von<br />

Senioren und langfristig einer geringen Anzahl von Kindern und Jugendlichen.<br />

Der Raum ist durch eine überdurchschnittlich hohe Jugendarbeitslosigkeit<br />

geprägt. Die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft<br />

Hamburg (Steg) erarbeitete von Juni 2007 bis<br />

Mai 2008 im Auftrag der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB)<br />

und des Bezirksamtes Harburg modellhaft eine Voruntersuchung für<br />

die Konzeption eines <strong>Bildung</strong>s- und Gemeinschaftszentrums (BGZ)<br />

in Neugraben-Fischbek/Neuwiedenthal im Bezirk Hamburg-Harburg.<br />

Diese beinhaltet sowohl die Erstellung eines handlungsraumbezogenen<br />

pädagogischen Konzeptes, die städte- und hochbauliche Vorplanung,<br />

Vorüberlegungen für ein Finanzierungs- und Betreibermodell als auch<br />

die Gesamtprojektsteuerung. Der Bezirk Harburg und die BSB haben<br />

mit der Erarbeitung einer gemeinsamen Konzeption für das <strong>Bildung</strong>sund<br />

Gemeinschaftszentrum einen entscheidenden Impuls zur Neuausrichtung<br />

von Jugendhilfe- und <strong>Bildung</strong>spolitik gegeben.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Im Handlungsraum entsteht das derzeit größte Wohnungsbauvorhaben<br />

in Hamburg mit circa 1250 Wohneinheiten. Das BGZ als multifunktionaler<br />

Ort der Begegnung wird Kindern, Jugendlichen und Familien,<br />

die im Einzugsbereich dieser Einrichtungen bereits leben oder<br />

sich ansiedeln wollen, ein umfassendes, zukunftsweisendes schulisches<br />

sowie außerschulisches <strong>Bildung</strong>s-, Freizeit- und Kulturangebot machen.<br />

Das Besondere der Konzeption besteht darin, dass das BGZ sowohl<br />

räumlich als auch organisatorisch grundlegende Elemente der sozialen<br />

und kulturellen <strong>Bildung</strong>slandschaft zusammenbringt. Das BGZ<br />

als interdisziplinäre <strong>Bildung</strong>slandschaft soll eine Ganztagsgrundschule,<br />

Kindertagesstätte mit Krippenangebot, Volleyball-Bundesligasport, ein<br />

Spielhaus der offenen Kinder- und Jugendhilfe, Erwachsenenbildung,<br />

Freizeitsport, gastronomische und kulturelle Angebote vereinen. Um<br />

den Ansatz des gemeinschaftlichen Zentrums konsequent zu verfolgen,<br />

soll ein Centermanagement gemeinsame Belange bündeln, verwalten<br />

und zielgerichtet ausführen.<br />

Realisierung<br />

Zur Erstellung der zentralen konzeptionellen Bausteine wurde ein gestuftes<br />

Beteiligungsverfahren durchgeführt:<br />

• Arbeitsgruppe: Pädagogisches Grobkonzept für den Handlungsraum<br />

• Arbeitsgruppe: Städte- und hochbauliche Vorentwurfsstudie<br />

27


28<br />

• Arbeitsgruppe: Vorüberlegungen für ein einheitliches Betreiber- und<br />

Finanzierungsmodell<br />

Es wurde ein Vorgehen gewählt, das größtmögliche Transparenz bei<br />

allen Beteiligten und nachvollziehbare Entwicklungsschritte ermöglichte.<br />

Mit dem Einsatz einer zentralen Projektsteuerung konnte eine<br />

kontinuierliche Begleitung der Beteiligungsgruppen sichergestellt werden.<br />

Die Einrichtung einer Lenkungsgruppe, bestehend aus Entscheidungsträgern,<br />

erleichterte für die Beteiligten die Nachvollziehbarkeit<br />

von Entscheidungswegen. Die Belange der beteiligten Akteure wurden<br />

in Workshops, weiterführenden moderierten Arbeitsgruppen,<br />

Gesprächen mit externen Fachleuten, einzelnen Akteuren bzw. Akteurgruppen<br />

und über die regelmäßigen Sitzungen der Projektsteuerungsgruppe<br />

aufgenommen.<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Um das Gesamtkonzept zu verwirklichen, wurde ein Prozess organisiert,<br />

in dem die Steuergruppe das Kernstück bildet. Die Steuergruppe<br />

bilden Vertreter und Vertreterinnen der Behörde für Stadtentwicklung<br />

und Umwelt, der Behörde für Schule und Berufsbildung, der Behörde<br />

für Soziales und Gesundheit und Vertreter aus dem Bezirksamt sowie<br />

Projektentwickler und -begleiter, die diese Gruppe moderiert haben.<br />

Die Gruppe hat drei Arbeitsgemeinschaften vor- und nachbereitet: In<br />

den AGs wurden Grundlagen, Fragen und Notwendigkeiten erarbeitet<br />

und diese wiederum in der Steuergruppe diskutiert und besprochen.<br />

Die Vertreter, Vertreterinnen der Steuergruppe haben die Ergebnisse<br />

an die Lenkungsgruppe weitergegeben, in der Entscheider und Entscheiderinnen<br />

aus verschiedenen Behörden, aus dem Bezirk und die Finanzbehörde<br />

in Hamburg vertreten sind. Dieses Gremium wurde nicht<br />

moderiert. Die Resultate aus dieser Gruppe wurden wieder in die Steuergruppe<br />

hineingetragen.<br />

Leitlinie für das pädagogische Konzept war der Anspruch: Wir wollen<br />

nicht nur ein pädagogisches Konzept für einen kleinen Raum, sondern<br />

für den gesamten Handlungsraum mit 20.000 Einwohnern.<br />

Eine entscheidende Gelingensbedingung bildete der interdisziplinäre<br />

Austausch. Die verschiedenen Akteurgruppen wollten sich anfangs<br />

nicht freiwillig mischen. Doch das gemeinsame Gespräch war wesentlich,<br />

damit Architekten verstehen, was Pädagogen wollen und was aus<br />

pädagogischer Sicht sinnvoll ist. Es reicht nicht aus, einen bautechnischen<br />

Plan zu haben, sondern man muss nutzerspezifische Bedarfe<br />

erkennen und wissen, warum ein Kinderhaus nicht im ersten Stock liegen<br />

sollte und es sinnvoll ist, es unten anzusiedeln.<br />

Die offizielle Absichtserklärung der Beteiligten, der Fachbehörde, Ministerien<br />

und die politische Unterstützung im Bezirk waren eine weitere<br />

Gelingensbedingung für den Prozess. Die externe Moderation und<br />

Prozessbegleitung unterstützte und erleichterte die Aushandlung und<br />

Ergebnisfindung. Als Hürden erwiesen sich fehlende und unklare Rahmenbedingungen<br />

für das pädagogische Konzept sowie das Bedürfnis<br />

einer Vielzahl von Akteuren mitzureden. Das gemeinsame Ziel wurde<br />

erreicht: Die Projektentwicklung beginnt, Baubeginn und Baufertigstellung<br />

sind festgelegt. Das Centermanagement bzw. die Geschäftsführung<br />

sollen ein halbes Jahr vor Baufertigstellung die Arbeit aufnehmen.<br />

Experten-Feedback<br />

Prof. Dr. Hartmut Häußermann, Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Ich möchte meine Beobachtungen zu den Praxisbeispielen in fünf<br />

Punkten zusammenfassen. Der Erste ist, dass es in beiden Fällen gelingt,<br />

Probleme der Stadtentwicklung und der <strong>Bildung</strong> von Kindern<br />

miteinander zu verknüpfen, indem man sichtbare Zeichen setzt, dass<br />

etwas Neues beginnt. Zweitens: Abwanderungsproblematik, Facharbeitermangel,<br />

bildungsferne Schichten und Familien, diese Problemstellungen<br />

sind beiden Projekten gemeinsam. Mit der Schaffung von Einrichtungen<br />

werden neue Ziele gesetzt und verfolgt und das Hauptziel<br />

ist, niemanden zurückzulassen. Das Dritte ist die Konzentration von<br />

Einrichtungen, um Kooperation und Integration zu ermöglichen, indem<br />

man gemeinsam plant, um Vernetzung und Öffnung zur Stadt herzustellen.<br />

Das ist für beide Einrichtungen charakteristisch.<br />

Der vierte Punkt wird durch die präventive Arbeit charakterisiert. Das<br />

heißt, dass individuelle Förderung nicht einem Defizitansatz folgt, sondern<br />

eine <strong>Bildung</strong>skompetenzagentur neue Wege und Konzepte zur<br />

Unterrichtsentwicklung erschließt. Dazu gehören: die Kooperation<br />

zwischen Ganztagsseinrichtungen und den verschiedenen Ämtern, alle<br />

ins Boot zu holen und sich um die Beteiligten zu kümmern. Der letzte<br />

Punkt ist die Transparenz des Prozesses: Mit allen, die mitmachen sollen,<br />

muss rechtzeitig und ausgiebig kommuniziert werden. Der Erfahrungsaustausch<br />

zwischen solchen Projekten hat sich als bedeutsam und<br />

hilfreich erwiesen.


Diskussion<br />

Fragen an die Kommunen:<br />

Welche Aufgabe hat das <strong>Bildung</strong>skompetenzzentrum im Landkreis<br />

Bernburg<br />

Kompetenzagentur bezeichnet bei uns ein Förderprogramm, das Jugendliche<br />

unterstützt, die an den verschiedensten Übergängen ihrer<br />

Schulen Probleme haben. Es gibt Schüler, die keine Unterstützung<br />

durch das Elternhaus bekommen oder sich ansonsten nicht orientieren<br />

können, diese werden von Lotsen beraten, begleitet und gefördert.<br />

Welche Funktion hat eine <strong>Bildung</strong>smanagerin<br />

Ich bin seit zwei Monaten <strong>Bildung</strong>smanagerin im Salzlandkreis, das<br />

ist eine Stelle, die noch nicht lange existiert. Meine Aufgabe wird es<br />

sein, für den Campus Technicus die zukünftigen und bestehenden<br />

Fraktionspartner, die in der regionalen <strong>Bildung</strong>slandschaft bestehen,<br />

zu erfassen und zusammenzuführen. Ein großes Ziel ist es, eine<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft für den Salzlandkreis zu schaffen und die Netzwerke,<br />

die entstehen, sollen auf den gesamten Salzlandkreis ausstrahlen.<br />

Man muss dann schauen, was von anderen Schulen übernommen<br />

werden kann.<br />

Wie betreibt man einen Campus Da gibt es einmal die <strong>Bildung</strong>smanagerin,<br />

aber das Ganze muss ja als Communitycenter aufgebaut werden.<br />

Man kann da sicherlich viel machen, aber wer bitte verwaltet,<br />

koordiniert und guckt, dass die Inhalte auch den Zielen entsprechen<br />

Es gibt konkrete Absprachen, kurze Meldewege, wie die Eltern einzubeziehen,<br />

wie die Pflichten der Schulleitung, der Lehrer, der Schuleiter,<br />

des Landkreises sind. Das ist relativ kurz getaktet, damit die<br />

Kommunikation mit den Elternhäusern wiederhergestellt werden<br />

kann. Für mich was das eine völlig neue Erfahrung: Schulverweigerung.<br />

Ich war vorher im ländlichen Bereich tätig und kann sagen,<br />

dass ich null Prozent hatte. Ich denke eine Strategie ist, dass wir präventiv<br />

arbeiten. Ich sehe eine Chance in der inhaltlichen Entwicklung<br />

der Schule, also konkret die individuellen Förderungen, die wir<br />

durch ein Ganztagsschulangebot besser umsetzen können. Wir haben<br />

einfach mehr Zeit zur Verfügung. Wir können auf diese Probleme<br />

intensiver eingehen, damit es gar nicht erst zu extremen Fällen<br />

kommt.<br />

Was sind die Gefahren, was sollte nicht passieren bei der Erstellung<br />

eines Profils für <strong>Bildung</strong>s- oder Centermanagement und welche Dinge<br />

sollten auf jeden Fall passieren<br />

Was ich schwierig finde, ist, benachteiligte Gruppen und vor allem<br />

alle mitzunehmen. In diesen Prozessen geht es viel zu professionell<br />

und fachlich zu, als dass Familien, von denen wir als benachteiligt,<br />

bildungsfern sprechen, sich in die entsprechenden Gremien<br />

hineinsetzen und ihre Ansprüche formulieren. Fragebögen reichen<br />

da nicht aus, sondern man muss sich mit den Leuten unterhalten<br />

und herausfinden, was sie genau brauchen. Was muss in solch einem<br />

Center stattfinden Das findet man nicht in großen Gremien heraus.<br />

Das ist für mich ein Mangel beim Quartiersmanagement, wo zu oft<br />

die Berufsmäßigen oder die sich berufen fühlen, für den Stadtteil<br />

sprechen und nicht die Familien, Migrantengruppen oder Betroffenen.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaften entstehen im konkreten Handeln zwischen<br />

Menschen und nicht auf dem Papier.<br />

Wir haben anderthalb Jahre Erfahrung in diesem Feld, bei uns finden<br />

die Lernprozesse auf den verschiedensten Ebenen statt. Das war<br />

eine Erfahrung, die wir im Projekt Campus gemacht haben, also<br />

brauchen wir federführende Arbeitsgruppen. Wir haben festgestellt,<br />

es ist ein unheimlicher Kommunikationsbedarf da, und wenn die<br />

Kommunikationsströme nicht fest in einer Hand sind, dann gibt es<br />

Probleme. Die Erkenntnis kam hinzu, dass durch das Projekt viele<br />

Grundsätze der Arbeit berührt wurden und damit viele Ebenen tangiert<br />

sind. Es werden Verknüpfungen erforderlich sein und Schnittstellen,<br />

die funktionieren müssen, damit das Projekt auch zukünftig<br />

mit Leben erfüllt werden kann.<br />

Wie bekämpft man die Schulschwänzerei<br />

29


Forum 5<br />

Vom Verwalten zum Moderieren. Neue Rollen der Kommune<br />

bei der Steuerung von <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

Wenn Jugendhilfe mit Schule, Schulen mit Kommunen, kommunale<br />

Behörden für Stadtentwicklung mit den Schulämtern des Landes zusammenarbeiten<br />

müssen, dann funktioniert das nicht auf der Basis<br />

von Verordnung und Umsetzung. Stattdessen sind neue Formen der<br />

Aushandlung zwischen unterschiedlichen Interessen gefragt.<br />

Kommune 1:<br />

Steckbrief der Stadt Weinheim,<br />

Baden-Württemberg<br />

Die Stadt Weinheim liegt im Rhein-Neckar-Dreieck am Rande des<br />

Verdichtungsraumes Mannheim/Ludwigshafen/Heidelberg. Weinheim<br />

hat 43.000 Einwohner, hiervon gehören 7.750 zur Altersgruppe<br />

bis 18 Jahre (18 Prozent). Der größte Arbeitgeber vor Ort ist die Firma<br />

Freudenberg. Bedingt durch den wirtschaftlichen Ballungsraum ist der<br />

Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund seit den 60er-Jahren<br />

kontinuierlich angestiegen.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

Im Elementarbereich (Kita und Grundschule) haben sich in den Bereichen<br />

Sprachförderung/Förderung der Mehrsprachigkeit, Integration<br />

und Elternbeteiligung tragfähige Handlungsansätze und Kooperationsstrukturen<br />

zwischen Kindertagesstätten, Grundschulen und Eltern entwickelt<br />

(Rucksack-Projekte). Im Mehrgenerationenhaus Weinheim, das<br />

als Kita-Plus-Modell aus einer Kindertagesstätte und einer Stadtteilbegegnungsstätte<br />

mit mobiler Jugendarbeit hervorgegangen ist, wird seit<br />

2007 in verschiedenen Projekten der Integrationsansatz mit dem intergenerativen<br />

Ansatz verknüpft.<br />

Seit 1999 wird beim Übergang Schule-Beruf mit der Zielsetzung einer<br />

kommunalen Verantwortungsgemeinschaft eine entsprechende Struktur<br />

aufgebaut und Handlungsansätze umgesetzt. Bewährt hat sich der<br />

Aufbau des Weinheimer Unterstützerkreises Berufsstart, ein Patenschaftsnetz<br />

zur beruflichen und sozialen Integration von Jugendlichen<br />

in der Hauptschule und im Berufsvorbereitungsjahr.<br />

Weinheimer <strong>Bildung</strong>skette<br />

30


Ziele und inhaltliche Schwerpunkte der lokalen<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik<br />

Mit der Weinheimer <strong>Bildung</strong>skette werden an kritischen Stellen der<br />

Lernbiografie von Kindern und Jugendlichen unterstützende Strategien,<br />

Einzelprojekte, Kooperationspartnerschaften und Beteiligungen aufgebaut.<br />

Zug um Zug sollen in einem offenen Entwicklungsprozess Kita-<br />

Personal, Lehrkräfte, Eltern, Kinder- und Jugendhilfe, bürgerschaftlich<br />

Aktive, Freudenberg Stiftung, Bürgerstiftung, lokale Wirtschaft, Kommunalpolitik<br />

sowie der Oberbürgermeister und die Verwaltungsspitze<br />

zu <strong>Bildung</strong>spartnern werden, die gemeinsam handeln. Die Weinheimer<br />

<strong>Bildung</strong>skette steht für kommunale Verantwortungsgemeinschaft, für<br />

gelingende Lernwege und Integration vor allem von Kindern und Jugendlichen,<br />

die verloren gehen könnten, weil ihre Stärken und Talente<br />

unentdeckt bleiben. Jedes Kind und jeder Jugendliche soll individuelle<br />

Stärken und Talente ausbilden können und zu motiviertem Lernen ermutigt<br />

werden.<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Mit dem Programm „Lebenswelt Schule“ können in Weinheim erstmals<br />

in einer größeren Dimension ressourcen- und beteiligungsorientierte<br />

Strategien und Handlungsansätze sowie Strukturen für einen gelingenden<br />

Übergang vom Kindergarten in die Grundschule und eine bessere<br />

Kooperation der Lehr- und Fachkräfte aus den Kitas und Grundschulen<br />

entwickelt und erprobt werden. Zur Struktur und Organisation<br />

solcher Prozesse muss man reflektieren, welche Gegenstände werden<br />

denn eigentlich gesteuert Was wird gesteuert Das sind Entwicklungsprozesse,<br />

die sich damit beschäftigen, wie ein Grundverständnis von<br />

kommunaler Verantwortungsgemeinschaft im Gemeinwesen zu entfachen<br />

ist. Es geht darum, eine ressourcenorientierte Sicht auf Kinder und<br />

ihre Lebenswelten zu entwickeln. Dazu sind Erfolgsgeschichten in der<br />

Kommune zu identifizieren und sinnvolle Anschlussstellen zu neuen<br />

Vorhaben zu eruieren. Und letztlich geht es darum, den Aufbau dieser<br />

Strukturen und Kulturen selbst als Objekt der Steuerung zu begreifen,<br />

also ein Grundverständnis zu haben, dass ein beteiligungsorientierter<br />

Prozess ein ergebnisoffener ist und damit unterschiedliche Ergebnisse<br />

einhergehen, für diese Raum zu schaffen sowie Entwicklungsräume zu<br />

steuern.<br />

<strong>Bildung</strong>skette für den Elementarbereich beim Übergang Kindergarten<br />

– Grundschule angeknüpft wurde. Von dem Projektteam werden<br />

Impulse, Anregungen, Erfahrungen gesammelt und an die verschiedenen<br />

Prozessinstanzen verteilt, an dezentrale Kooperationsknotenpunkte<br />

weitergeleitet, in denen die eigentlichen Prozesse der Kooperation<br />

und perspektivisch auch der Selbstorganisation stattfinden sollen.<br />

Die Grundschulen „beliefern“ Kindergärten, sie bilden mit den Kindergärten<br />

zusammen einen Kooperationsknoten, der sich öffnen kann für<br />

Ehrenamtliche, Eltern und andere Beteiligte. Vor allen Dingen die <strong>Bildung</strong>s-<br />

und Lerngeschichten, die das Kernelement im Programm „Lebenswelt<br />

Schule“ sind, bieten den gemeinsamen Handlungsansatz, der<br />

die strategische Grundlage für die Erzielung von Haltungen mit ressourcenorientiertem<br />

Blick aus der Perspektive der Kinder ist.<br />

Bei der Steuerung solcher Entwicklungsprozesse kommt es darauf an,<br />

dass die Aufgaben gut verortet sind, „Kümmerer“ für die geplante Zusammenarbeit<br />

der Strategien und Projekte zu finden, Programme zu akquirieren<br />

sowie Ressourcen in die Kommune zu bringen. Im Mittelpunkt<br />

steht der Lernweg, der biografische Weg des Kindes oder des Jugendlichen,<br />

um den herum sich Kooperationspartner gruppieren sollten.<br />

Kooperation lässt sich über die Beschäftigung mit einem neuen gemeinsamen<br />

Handlungsansatz herstellen. Entsprechende Kooperations-<br />

und Aushandlungsstrukturen müssen zur Sicherung der Nachhaltigkeit<br />

von Anfang an in die kommunale Verwaltung implementiert<br />

werden. Der Weinheimer Weg lautet: Es gibt schon eine Entscheidungsund<br />

Aushandlungsstruktur, an der müssen wir nur ansetzen. Also, wo<br />

sind die Mächtigen, die über Ressourcen entscheiden Weinheim hat<br />

eine gute Tradition, an die mit einer Leitungsgruppe der Weinheimer<br />

31


32<br />

Kommune 2:<br />

Steckbrief des Landkreises Görlitz, Sachsen<br />

Lernende Regionen PONTES<br />

Der Landkreis Görlitz liegt im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck<br />

im Zentrum der Euroregion Neisse-Nisa-Nysa (128 km<br />

bis zur Staatsgrenze der Republik Polen, 65 km bis zur Staatsgrenze<br />

der Tschechischen Republik). Er ist im Zuge der am 01.08.2008 vollzogenen<br />

Kreisgebietsreform in Sachsen aus den ehemaligen Gebietskörperschaften<br />

Landkreis Löbau-Zittau, Niederschlesischer Oberlausitzkreis<br />

und kreisfreie Stadt Görlitz entstanden. Der Landkreis zählt<br />

287.000 Einwohner und gilt als strukturschwacher ländlicher Raum. Er<br />

ist durch überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit gekennzeichnet, insbesondere<br />

durch Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit. Die Kaufkraft liegt<br />

bei 72 Prozent des Bundesdurchschnitts. Der Raum ist von hoher Abwanderung<br />

mit einem damit verbundenen Fachkräftemangel betroffen.<br />

Der Bevölkerungsverlust seit 1990 beträgt über 20 Prozent.<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />

PONTES ist eine von 76 deutschlandweit vom Bundesministerium für<br />

<strong>Bildung</strong> und Forschung im Zeitraum 2002 bis 2007 geförderten Lernenden<br />

Regionen. Die Kernregion umfasst den heutigen Landkreis<br />

Gör litz im Zentrum der Euroregion. 2008 arbeiteten im grenzüberschreitenden<br />

<strong>Bildung</strong>snetzwerk PONTES 300 Partner aus Kindertagesstätten,<br />

Schulen, Aus- und Weiterbildungseinrichtungen, Hochschulen,<br />

Wirtschaft, Verwaltung, Vereinen und Verbänden der drei Nachbarländer<br />

auf verschiedenen Ebenen zusammen. Sie verfolgen das gemeinsame<br />

Ziel, die Euroregion zu einem zukunftsfähigen grenzüberschreitenden<br />

<strong>Bildung</strong>sstandort zu entwickeln und auf diesem Wege den hier<br />

beheimateten Menschen und der Region neue Perspektiven zu eröffnen.<br />

PONTES hat sich in den zurückliegenden sechs Jahren zu einem komplexen<br />

und dynamischen lernenden Netzwerk entwickelt, das für Innovation<br />

und erfolgreiche grenzüberschreitende <strong>Bildung</strong>skooperation<br />

steht. Die PONTES-Agentur bildet das Kompetenzzentrum des Netzwerks.<br />

Sie koordiniert die Netzwerkarbeit, entwickelt mit den Netzwerkpartnern<br />

Dienstleistungsangebote für den euroregionalen <strong>Bildung</strong>sbereich<br />

und unterstützt die Umsetzung konkreter Vorhaben.<br />

Der heutige Landkreis Görlitz beteiligte sich von Beginn an als strategischer<br />

Kooperationspartner sowohl inhaltlich als auch finanziell an<br />

der Arbeit des Netzwerkes. Mit der Vertiefungsphase II des Programms<br />

Lernende Regionen besteht seit September 2007 die Chance, im Zuge<br />

der Kreisgebietsreform die kommunale Kooperation mit PONTES<br />

qualitativ auf eine neue Stufe zu heben und die <strong>Bildung</strong>slandschaft im<br />

neuen Landkreis nachhaltig zu gestalten. Dafür haben die drei Gebietskörperschaften<br />

(Landkreis Löbau-Zittau, Niederschlesischer Oberlausitzkreis<br />

und kreisfreie Stadt Görlitz) jeweils einen untereinander und<br />

mit der Lernenden Region PONTES abgestimmten Projektantrag im<br />

Programmbereich Kommunale Kooperation gestellt.<br />

Ziele und inhaltliche Schwerpunkte der <strong>Bildung</strong>spolitik<br />

Ziel ist es, in einem landkreisübergreifenden Beteiligungsprozess gemeinsam<br />

mit Akteuren vor Ort ein bedarfsorientiertes Handlungskonzept<br />

für eine zukunftsfähige Entwicklung des <strong>Bildung</strong>sbereichs im<br />

neuen Landkreis Görlitz zu erarbeiten, das dem Kreistag vorgelegt und<br />

damit langfristig als Grundlage für politische Planungen einer nachhaltigen<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaft dienen soll. Jede Gebietskörperschaft widmete<br />

sich einem der für eine zukunftsorientierte regionale Entwicklung herausgearbeiteten<br />

Schlüsselthemen:<br />

• Chancengerechtigkeit in der Umsetzung Lebenslangen Lernens<br />

• Medienkompetenz als Standortfaktor sowie<br />

• Euregiokompetenz und Nachbarsprachen<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

Der Landkreis Görlitz hat als Grenzregion große Potenziale vor Ort.<br />

Die verschiedenen Sprachen, Kulturen, Lebensweisen sind historisch<br />

gewachsen. Das Potenzial der Region birgt im <strong>Bildung</strong>sbereich Chancen,<br />

insbesondere in der sprachlichen, interkulturellen Kompetenz. In<br />

der Vertiefungsphase II des Programms Lernende Regionen wurde ein<br />

neuer Programmbereich aufgelegt, in dem explizit Kommunen als Antragsteller<br />

aufgefordert wurden, kommunale Konzepte für die Gestaltung<br />

der regionalen <strong>Bildung</strong>slandschaften zu entwickeln. Aufgrund<br />

der Vorgeschichte ist es gelungen, die drei damaligen Gebietskörperschaften<br />

dafür zu gewinnen, jeweils einen Antrag im Rahmen des Programms<br />

Lernende Regionen zu stellen. Mit Übernahme von Projektverantwortung<br />

veränderte sich die Rolle der Gebietskörperschaften<br />

innerhalb der Lernenden Region: Aus bisher vorrangig strategischen<br />

Partnern wurden sie zu unmittelbar handelnden Akteuren, die eigenständig<br />

Handlungsfelder des Lebenslangen Lernens in Kooperation mit<br />

anderen Akteuren der Lernenden Region PONTES bearbeiten.<br />

Die PONTES-Agentur übernahm als Kompetenz- und Netzwerkmanagementzentrum<br />

die Aufgabe, die Vernetzung der Aktivitäten der<br />

Gebietskörperschaften untereinander sowie mit den Aktivitäten des<br />

Netzwerks sicherzustellen. Gleichzeitig wurde das Strukturmodell der<br />

Lernenden Region qualitativ weiterentwickelt, in dem neue Formen der<br />

aktiven Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Kommunen und<br />

Lernender Region modellhaft erprobt und kommunale Ressorts aktiv in<br />

die Kommunikations-, <strong>Bildung</strong>s- und Gestaltungsprozesse des Lebenslangen<br />

Lernens eingebunden werden.


PONTES Kommunale Kooperation/Ergebnisse – Perspektiven<br />

Experten-Feedback<br />

Dr. Heinz-Jürgen Stolz, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut; München<br />

In beiden Projekten arbeiten eine Vielzahl von Akteuren auf unterschiedlichen<br />

Handlungsebenen mit. Das Problem scheint zu sein, dass<br />

zivilgesellschaftliche Akteure, die hoch engagiert sind und fachlich etwas<br />

erreichen wollen, die bestimmte Probleme vor Ort deutlich sehen<br />

und sich vernetzen, die Fundraising betreiben, Stiftungen an Bord holen<br />

sowie sich an Bundesprogrammen beteiligen, einen anderen Ansatz<br />

als die Verwaltung verfolgen. Es existieren unterschiedliche Denkweisen,<br />

ob man von zivilgesellschaftlichen Entwicklungszielen oder von<br />

Verwaltungsmodernisierung ausgeht, von Verwaltungsansätzen, die<br />

komplett andere Fragen stellen. Die sich fragen, was ist <strong>Bildung</strong>smonitoring<br />

und wie bekommen wir bestimmte Kennziffern hin Sollen wir<br />

die Dezernate Jugend, Schule zusammenlegen Was ist mit der Stadtentwicklung<br />

Das ist ein anderes Diskussionsklima. Die erste Aufgabe<br />

ist zunächst einmal, die beiden Kulturen, Sprachen, die eigentlich dasselbe<br />

wollen, zusammenzubringen.<br />

Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist es wichtig, dass man ohne<br />

Sonderfördermittel am Ende in die Fläche kommen kann. Die Zeit<br />

der Leuchttürme und der Modellprojekte ist definitiv vorbei in diesem<br />

Bereich. Überall sehen wir, dass Schüler, einzelne Sozialräume,<br />

Quartiere mit hohem Aufwand gefördert werden, dass man das aber<br />

nicht in die Fläche bringen kann, weil es auf kommunaler Ebene<br />

viel Geld kostet, Stellen, Ressourcen beansprucht, die es nicht gibt.<br />

Man muss von Anfang an bei solchen Projekten die Nachhaltigkeit<br />

der infrastrukturellen Umsetzung ohne Sonderfördermittel in den<br />

Blick nehmen und die Zielvorstellung entwickeln, wie können wir<br />

in der Zeit der Förderung von Fördermitteln unabhängig werden<br />

und Projekte, die sich bewährt haben, in die Fläche bringen. Ein gemeinsames<br />

Dezernat, eine Stabsstelle beim Oberbürgermeister oder<br />

Landrat zu haben, die integrierte Fachkoordination von Jugendhilfeplan<br />

und Schulentwicklungsplan betreibt, ist sinnvoll, damit auf<br />

gleichen Datengrundlagen gearbeitet wird. Außerdem wird ein <strong>Bildung</strong>smonitoring<br />

benötigt, das eine Datengewinnungsstrategie entwickelt.<br />

Das heißt, Daten bereitzustellen, die bildungspolitisch gewünscht<br />

sind.<br />

33


Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt keine „kommunalen“<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaften. Kommune ist kein geografischer, sondern ein<br />

Rechtsbegriff. Die Kommune ist eine Gebietskörperschaft und Gebietskörperschaften<br />

unterliegen Regeln in Deutschland. Das heißt, die<br />

staatlichen Schulaufsichtsbehörden sind mit ins Boot zu holen. Dazu<br />

benötigt man Aushandlungs- und Beteiligungsmittel. Eine Gelingensbedingung<br />

für den Aufbau von <strong>Bildung</strong>slandschaften ist, von Anfang<br />

an Strukturen zu wählen, in denen Interessenkonflikte thematisiert und<br />

nicht verschleiert werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass der<br />

Ausbau von <strong>Bildung</strong>slandschaften nicht für eine Sparpolitik instrumentalisiert<br />

wird. Zusammenfassend gilt es, Nachhaltigkeit zu sichern und<br />

in einem Finanzierungsplan zu regeln, der keine Kürzungen vorsieht.<br />

Es muss eine Verwaltungsreform durchgeführt werden, die nicht versucht,<br />

auf zivilgesellschaftlicher Vernetzungsebene Probleme zu lösen,<br />

die dort nicht gelöst werden können, sondern in der Verwaltung gelöst<br />

werden müssen. Letzter Punkt: Vernetzung ist kein Selbstzweck, sondern<br />

sie muss ein Ziel haben, das außerhalb der Vernetzung liegt. Zielklarheit<br />

im Konsens zu entwickeln, das ist eine entscheidende Phase in<br />

Richtung <strong>Bildung</strong>slandschaft.<br />

Diskussion<br />

Als die drei Gebietskörperschaften zu einem Landkreis Görlitz zusammengelegt<br />

wurden, gab es da eine kommunalpolitische Diskussion in<br />

einem neuen Rahmen Hat man eine Sparpolitik verfolgt Sind bildungsrelevante<br />

Ausgaben für Jugendarbeit gestrichen worden<br />

Wir haben bewusst versucht Themen herauszukristallisieren, die für<br />

den gesamten neuen Landkreis relevant sind, denn nur dann kann<br />

ich Akteure zusammenbringen und wirklich Struktur- und Perspektiventwicklung<br />

für den Landkreis machen. Ein gutes Beispiel ist die<br />

gesamte Jugendhilfearbeit. Es wurden dort verschiedene Strategien<br />

in den drei Gebietskörperschaften gefahren. Man hat sich jetzt erst<br />

einmal auf eine Übergangsphase geeinigt, in der die Finanzierung<br />

bleibt, wie sie war. Während des Übergangs wird eine Strukturanalyse<br />

durchgeführt und auf dieser Grundlage ab 2010 eine Neuordnung<br />

der Finanzierung im Landkreis geregelt.<br />

Wir haben verschiedene Akteure, die Zivilgesellschaft auf der einen<br />

Seite, die Verwaltung auf der anderen Seite, und beide Kreise werden<br />

aktiv. Die notwendige Motivation und das Engagement ist Aufgabe der<br />

Zivilgesellschaft. Sollte es wiederum die Aufgabe der Verwaltung sein,<br />

die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen und eine flächendeckende<br />

Wirkung zu erzielen<br />

Ich sehe die Schnittstellen so, dass zivilgesellschaftliche Netzwerkbildungen<br />

Zonen erzeugen und eine politische Willensbildung befördern,<br />

und wenn die politische Willensbildung Ziele bündelt, dann<br />

ist die staatliche kommunale Verantwortungsgemeinschaft aufgerufen<br />

dieses in die Fläche zu bringen. Das ist wunderbar, dass wir freiwilliges<br />

Engagement nutzen, aber bitte nicht als billigen Jakob, und<br />

genau das wird in Baden-Württemberg gemacht. Man hat dort eine<br />

Jugendbegleitung zur Verfügung, was an sich sinnvoll ist, aber nicht,<br />

wenn sie an die Stelle von pädagogisch qualifiziertem, hauptamtlichen<br />

Personal treten.“<br />

Es wurde gesagt, dass Kommunen, die zum Beispiel in der Jugendhilfe<br />

Mittel streichen, keine <strong>Bildung</strong>slandschaft erzeugen. Was sollen Kommunen<br />

machen, um überhaupt <strong>Bildung</strong>sakteur zu sein<br />

Es gibt bestimmte Dinge, die muss man auf einer höheren politischen<br />

Ebene kommunizieren und deutlich sagen: Wenn ihr das<br />

wollt, dann ist der Staat in seinen verschiedensten Gliederungen in<br />

der Verantwortung, hierfür auch die Mittel zur Verfügung zu stellen,<br />

und dann sind auch die Kommunen nicht aus der Verantwortung<br />

heraus.<br />

34


C Podiumsdiskussion<br />

<strong>Bildung</strong>slandschaften auf dem Weg von Top-down über<br />

Bottom-up zu komplexen Kommunikationsformen<br />

In der Podiumsdiskussion wurden die unterschiedlichen Perspektiven und Fragestellungen aus den<br />

Foren zusammengebracht und gebündelt.<br />

Dr. Heike Kahl, Geschäftsführerin der <strong>Deutsche</strong>n Kinder- und<br />

Jugendstiftung:<br />

Sie haben sich mit individuellen Lerngeschichten und mit dem Thema der<br />

individuellen Förderung intensiv befasst. Können <strong>Bildung</strong>snetzwerke zu<br />

dem Kernziel des Programms „Lebenswelt Schule“, die individuellen Lernchancen<br />

für Kinder und Jugendliche zu verbessern, einen Beitrag leisten<br />

handeln. Solche Beobachtungen mitzuteilen und sich darüber auszutauschen,<br />

das ist die Brücke, um den möglicherweise bestehenden<br />

Graben zu überwinden. Wenn so etwas wie eine systematische Dokumentation<br />

eingeführt werden soll, die auf ausführlicher Beobachtung<br />

beruht, dann dürfte das in der Schule allerdings kaum ohne eine<br />

zweite Kraft in der Klasse möglich sein.<br />

Dr. Hans Rudolf Leu, <strong>Deutsche</strong> Jugendinstitut, München:<br />

Das Thema des Forums, an dem ich teilnahm, waren individuelle<br />

Lernbiografien. Zu der Frage: Können Settings, die hier entwickelt<br />

und besprochen wurden, das fördern Es haben sich zwei Städte vorgestellt:<br />

Weiterstadt und Wiesbaden. Für mich war es eindrucksvoll<br />

zu sehen, wie mit strukturellen Rahmenbedingungen die individuellen<br />

Übergänge, vor allem von der Schule in den Beruf, gestützt und<br />

aufgefangen werden. Auf der strukturellen Ebene passiert schon sehr<br />

viel. Bei der Dokumentation von Lernbiografien, das war ein Punkt,<br />

der stärker in dem Beispiel von Weiterstadt zum Ausdruck kam, bei<br />

dem Übergang von Kindergarten zur Schule kann ich versuchen zusammenzufassen:<br />

Individuelle Lerndokumentationen sind wichtig, um deutlich zu machen,<br />

dass Kinder und Jugendliche lernen können. Dass man ihre<br />

Ressourcen, Kompetenzen wahrnimmt und sie schätzt. Das ist eine<br />

Grundvoraussetzung. Ein zweiter Punkt: Lerndokumentationen dienen<br />

dazu, selbstreflexiv zu sein. Kinder lernen, wie sie lernen, wie<br />

sie Strategien, methodische Kompetenzen erwerben, sie sehen, wo sie<br />

wie vorgehen und was das bewirkt. Der dritte Punkt, der für mich<br />

deutlich wurde am Beispiel von Weiterstadt, ist die Notwendigkeit<br />

von Ressourcen, die bereitgestellt werden müssen, damit Lernbiografien<br />

im Kindergartenbereich, aber auch in der Grundschule erstellt<br />

werden können.<br />

Wenn wir uns den ersten Bruch anschauen vom Kindergarten in die<br />

Schule, was passiert genau an diesem Knotenpunkt Was ist Ihre Empfehlung,<br />

wie man es bewerkstelligen könnte, dass dieser Bruch dann doch<br />

keiner ist oder wird<br />

Dr. Hans Rudolf Leu:<br />

Um den Bruch zu überwinden, müssen Grundschul- und Kita-Fachkräfte<br />

zusammenkommen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in<br />

ihrem Auftrag wahrnehmen und wechselseitig als bedeutsam anerkennen.<br />

Gegenseitige Wertschätzung ist die Basis für eine solche<br />

Kooperation. Lerndispositionen sind eine geeignete konzeptionelle<br />

Grundlage für den fachlichen Austausch, da mit ihnen Aspekte des<br />

Lernens erfasst werden, die auch für Grundschulpädagogen interessant<br />

ist. Zu sehen, wo Kinder dranbleiben, wo sie beharrlich etwas<br />

vertreten, wo sie sich einbringen und wo sie mit anderen zusammen<br />

Wenn wir über Integration sprechen, dann sind <strong>Bildung</strong> und Sozialraum<br />

zwei wichtige Stichworte. Wenn man sich die Praxis ansieht,<br />

stellt man schnell fest, dass es hier oft eine Kooperationslücke gibt.<br />

Jetzt könnte man sich fragen: Warum, also aus welchem Antrieb, aus<br />

welchem Interesse, sollen eigentlich Institutionen oder Organisationen<br />

beim Thema Integration kooperieren<br />

Dr. Günter Warsewa, Institut für Arbeit und Wirtschaft,<br />

Universität Bremen:<br />

Die Frage lässt sich relativ einfach beantworten, nämlich: aus Selbsterhaltungstrieb.<br />

Sie alle müssen das Interesse haben, egal ob das die<br />

Schule, der Kindergarten, die Familienhilfe oder der schulpsychologische<br />

Dienst sind, der Gesellschaft deutlich zu machen, dass sie ihre<br />

Aufgabe erfüllen. Und wenn sie diese Aufgabe nicht mehr oder nicht<br />

zureichend erfüllen, dann ist die Existenz dieser Organisation potenziell<br />

und langfristig gefährdet. Und eines der Teile, das nicht funktioniert,<br />

ist die Frage der Integration. Das Schulsystem erbringt nicht nur<br />

unzureichende <strong>Bildung</strong>sergebnisse, sondern es trägt über den Mechanismus<br />

von Schulsegregation, über den Mechanismus der Verteilung<br />

von <strong>Bildung</strong>schancen dazu bei, dass Integration nicht mehr gut funktioniert.<br />

Integration ist heute ein so großes Problem, weil die anderen<br />

Einrichtungen und Vorkehrungen unserer Gesellschaft, die Familie,<br />

die Nachbarschaft, das Arbeitssystem, diese Funktionen nicht mehr<br />

oder jedenfalls in Teilen nicht mehr erfüllen. Und das bedeutet, dass<br />

das Schulsystem, das <strong>Bildung</strong>ssystem seit etlicher Zeit auf eine ziemlich<br />

dramatische Weise überlastet ist. Wir gehen davon aus, dass man diese<br />

Defizite zumindest zum Teil ausgleichen kann, indem man kooperiert.<br />

Dass nicht die Schule allein diese Last und diese Belastung zu tragen<br />

hat, sondern dass all diejenigen Organisationen und Institutionen von<br />

der Sozialhilfe, der Familienhilfe, den verschiedensten Arten von Beratungsinstitutionen<br />

über die Jugendhilfe, die Kindergärten, ein abgestimmtes<br />

und funktionierendes Netz bilden müssen, um genau diese<br />

Art von Leistung wieder zu erbringen.<br />

Es zeichnet sich ein zweidimensionales Design ab: Es gibt benachbarte<br />

Organisationen und Institutionen, die nicht gut zusammenarbeiten, die<br />

vor Ort so etwas wie ein Netzwerk bilden müssten, und wir haben in der<br />

Vertikalen eine Struktur, die von unten nach oben geht. Unten vor Ort<br />

haben wir eine Logik der Kooperation, die anders ist und auch anders<br />

35


36<br />

aussehen muss als auf der Ebene von Ministerialbürokratien, Schulaufsicht,<br />

Schulträgern und verschiedensten Arten von sonstigen Trägern.<br />

In beiden Dimensionen braucht man so etwas wie einen Übersetzungsmechanismus,<br />

der Kooperationen, verschiedene Logiken sowie Interessen<br />

vermittelt und moderiert.<br />

Noch einmal die Frage zu dem Charakter von Kooperation. Sie haben Begriffe<br />

verwendet wie Dienstleister und Kunde. Ist das die richtige Sprache,<br />

wenn wir über integrative Modelle nachdenken und über eine sich<br />

ändernde Haltung<br />

Dr. Günter Warsewa:<br />

Wir finden in unserem <strong>Bildung</strong>ssystem und in den angelagerten und<br />

benachbarten Einrichtungen immer noch so etwas wie ein Behördenverständnis<br />

und wenn man übergehen könnte zu einem Verständnis<br />

von Kunden und von Dienstleistungen, dann wäre das ein Fortschritt.<br />

Dass wir darüber hinaus noch eine weitere Perspektive brauchen, die<br />

dann so etwas wie kooperatives Verständnis abbildet, da sind wir uns<br />

völlig einig. Wenn man tatsächlich ernsthaft Schulen zu Stadtteilangelegenheiten<br />

machen will, dann muss man über Schulangelegenheiten<br />

im Stadtteil diskutieren, entscheiden können. Das bedeutet, dass die<br />

verschiedenen Interessen, Stakeholder auf eine Art und Weise beteiligt<br />

werden, die nicht einem Bild vom Kunden, sondern einem Verständnis<br />

entspricht, sie als Mitglieder eines Netzwerkes gleichberechtigt an<br />

den Entscheidungen und an den Angelegenheiten teilhaben zu lassen.<br />

Wir wissen, wie schwierig es ist, ernsthafte Teilhabe in einer Schule herzustellen.<br />

Wie schwer muss es sein, wenn man ein gesamtes System auf der<br />

Grundlage von Teilhabe sehen möchte. Treffen Begriffe wie „Kunde“ oder<br />

„Dienstleistung“ das Verhältnis von Bürgern und den Institutionen, wenn<br />

es um Teilhabe und Partizipation geht Und wie kann es gelingen, Teilhabe<br />

nicht nur in einem Mikrokosmos Wirklichkeit werden zu lassen, sondern<br />

systematisch in einem größeren Kontext<br />

Prof. Dr. Sturzenhecker, Universität Hamburg<br />

Es geht nicht um Kunden und Dienstleistung, sondern um Bürgerinnen<br />

und Bürger, die gemeinsam entscheiden, wie <strong>Bildung</strong> in einer Kommune<br />

stattfinden soll, und zu denen gehören auch Kinder und Jugendliche.<br />

Der Skandal besteht darin, dass wir eine politische Entscheidungskultur<br />

haben, die viele Gruppierungen von Bürgerinnen und Bürgern<br />

ausgrenzt, die nämlich die Differenz der Bürger, das heißt auch die Differenz<br />

der Kinder und Jugendlichen nicht zur Kenntnis nimmt. Deshalb<br />

ist die erste Forderung aus Sicht von Kindern und Jugendlichen, Partizipation<br />

muss differenzgerecht sein, sie muss unterschiedliche Leute und<br />

„Kulturen“ unterstützen, sich auf ihre Weise beteiligen zu können. Saalfeld<br />

hatte ein super Projekt, wo die Kids die Wände in der Schule gesprayt<br />

haben. Dieses Projekt ist aber nicht in einem für sie greifbaren<br />

kommunikativen Kontakt zu seiner Umwelt: Die Kids, die sprayen, wissen<br />

gar nicht, was der Rat der Stadt damit zu tun hat. Sie bleiben isoliert<br />

und haben vielleicht eine Spaßinsel, aber kein Mitentscheidungsnetzwerk<br />

erfahren. Ich glaube, die Gestaltung von <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />

wird nur funktionieren, wenn Kommunikationskanäle zwischen unterschiedlichen<br />

Betroffenen hergestellt werden. Partizipation muss Entscheidungsbeteiligung<br />

von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen<br />

Kommunikationsweisen eröffnen.<br />

Wie kann man in <strong>Bildung</strong>slandschaften den Reflexionsraum für Zielgruppen,<br />

die Sie im Auge haben, größer machen<br />

Prof. Dr. Sturzenhecker:<br />

Für die Kids erscheint doch alles erst einmal wie eine super Animation.<br />

Aber wie die Events in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, das<br />

erklärt niemand, das wird nicht greifbar. Es ist ein kommunaler Raum,<br />

im Sinne eines gemeinsamen Raums der Aushandlung herzustellen und<br />

dazu muss man die Leute kennenlernen, die mitentscheiden, die einem<br />

erklären, wer sie sind, wie man mit ihnen in Austausch und Diskussion<br />

kommen kann. Es dürfte kein Projekt geben, das nicht gleichzeitig in<br />

einem Netzwerk stattfindet, unterschiedliche Betroffene einbezieht und<br />

ihnen seine Einbindung in Entscheidungsstrukturen deutlich macht.<br />

Welche Brücken brauchen wir vom engeren <strong>Bildung</strong>skontext hin zur Stadtentwicklung<br />

Brauchen wir eine differenzgerechte Stadtentwicklung<br />

Prof. Dr. Häußermann, Humboldt-Universität zu Berlin:<br />

Die beiden Projekte in unserem Forum, Bernburg im Salzlandkreis und<br />

Hamburg-Harburg, waren Beispiele dafür, wie man Stadtentwicklung<br />

und die Entwicklung einer <strong>Bildung</strong>slandschaft verknüpft. Im Campus<br />

Technicus in Bernburg werden drei Sekundarschulen vereint in eine<br />

Schule. Da wird baulich geplant und ergänzt und das ist die Verknüpfung<br />

von Schul- und Stadtentwicklung. Hinzu kommt - und das finde<br />

ich besonders wichtig -, dass diese Entwicklung mit einem inhaltlichen<br />

Neustart verbunden ist, dass zurzeit eine neue Konzeption entwickelt<br />

oder schon erprobt wird. Ein wesentlicher Aspekt in beiden Fällen ist<br />

die räumliche Konzentration, die inhaltliche Integration, die Entwicklung<br />

von neuen Vorstellungen zur Ganztagsbildung, die Öffnung der<br />

<strong>Bildung</strong>seinrichtung zur Stadt, die Vernetzung mit Bibliotheken und<br />

Musikschulen. In den Praxisbeispielen handelt es sich um Regionen,<br />

in denen der Anteil von Kindern aus bildungsfernen Schichten relativ<br />

hoch ist. Deshalb ist es umso wichtiger, sie nicht nur zu beschulen, sondern<br />

individuell zu fördern.


Wir sind an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen worden, dass es einer<br />

neuen Form der Steuerung durch Politik und Verwaltung bedarf und<br />

das ist nicht nur mit Risiken verbunden, sondern auch mit großen Vorbehalten,<br />

denn die neuen Formen könnten in letzter Konsequenz bedeuten,<br />

Macht, Einfluss, Entscheidungskompetenz oder auch Mandate für Entscheidungen<br />

zu verlieren. Was ist Ihr Feedback zum Thema Steuerung<br />

Dr. Heinz-Jürgen Stolz, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut, München<br />

Wir hatten zwei Regionen, die unterschiedlicher nicht sein können,<br />

was die Vernetzung betrifft. Die eine Region, die kreisangehörige Stadt<br />

Weinheim in Baden-Württemberg, die das zusätzliche Problem hat,<br />

sich nicht nur mit dem Land und anderen Schulaufsichtsbehörden herumschlagen<br />

zu müssen, sondern auch noch mit dem Landkreis klarkommen<br />

muss. Auf der anderen Seite haben wir Görlitz in Sachsen, in<br />

dem zwei Kreise und die kreisfreie Stadt Görlitz zu einem neuen Landkreis<br />

zusammengelegt wurden und man sich neu aufstellen musste, jedoch<br />

schon lange im Programm Lernende Regionen Vernetzungsstrukturen<br />

zivilgesellschaftlicher Art aufgebaut hatte. Zurzeit wird versucht,<br />

das Ganze in einem internationalen Austausch mit Polen und Tschechien<br />

zu vernetzen. Die Region befindet sich in einer Grenzlage und<br />

versucht, die Vernetzung als EU-Region zu gestalten. Wir haben beide<br />

Darstellungen aus der Sicht der zivilgesellschaftlichen Akteure gehört.<br />

Akteure, die engagiert Vernetzung vor Ort kompetent betreiben und<br />

Erfahrungen haben.<br />

Die Nachfragen waren pointiert: Wie ist es denn bei euch mit den Verwaltungsstrukturen<br />

Habt ihr ein gemeinsames Dezernat Schule-Jugend<br />

Wie ist es mit den Finanzen, wenn ihr die Landkreise zusammengelegt<br />

habt Sind Mittel gekürzt worden im <strong>Bildung</strong>sbereich Es<br />

wurden Strukturfragen gestellt und ich denke, das ist typisch, dass wir<br />

fragen, wie kommen wir von einem Chaos der Zuständigkeiten zu einer<br />

staatlich kommunalen Verantwortungsgemeinschaft Wie bekommen<br />

wir eine Beteiligungsorientierung, die nicht nur eine Ressource ist<br />

für die Planung, sondern Bürger- und Bürgerinnenpartizipation intendiert<br />

und implementiert<br />

Ich würde mir von den Förderprogrammen eine Konturierung wünschen,<br />

auch in der Private-Public-Partnership, und dass man die Kommunen<br />

in die Verantwortung nimmt. Die staatlichen Akteure haben die<br />

Aufgabe, innovative Dinge, die sich bewährt haben vor Ort, in die Fläche<br />

zu bringen, infrastrukturell umzusetzen, und das sind gigantische<br />

Anstrengungen. Hier muss man belastbare Strukturen entwickeln, in<br />

denen wir Win-win-Situationen auf Landkreisebene gestalten können.<br />

Es gibt viele andere Interessen und Gegensätze, die kommuniziert gehören<br />

und aus Sicht der Förderer, der Stiftungen, der staatlichen Förderprogramme<br />

sollte man von Anfang an sagen: Wir fördern nur Strukturen,<br />

die, wenn unsere Programme zu Ende sind, einen nachhaltigen<br />

Effekt haben, die tatsächlich in der Regelpraxis weiterbestehen können.<br />

37


D Ausblick<br />

Dr. Bernd Ebersold<br />

Geschäftsführer der Jacobs Foundation<br />

Bei dem folgenden Text handelt es sich um die Transkription<br />

des Vortrags von Dr. Ebersold zum Abschluss des Fachtags.<br />

38<br />

Ich bin gebeten worden, der Veranstaltung einen Ausblick zu geben.<br />

Ausblick lässt mich an den Begriff Teichoskopie, aus dem Griechischen<br />

„Mauerschau“, denken, einem Mittel des antiken Dramas, das dazu<br />

dient, schwer darstellbare Ereignisse dem Zuschauer dadurch nahezubringen,<br />

dass ein Schauspieler sie schildert, als sähe er sie außerhalb der<br />

Bühne vor sich gehen. Also von einer Mauer oder einem Turm zu gucken<br />

und Ausschau zu halten. So habe ich mich heute gefühlt und nicht<br />

auf erhobenem Podest auf Sie, sondern in die Veranstaltung geblickt<br />

und eine gewisse Streitkultur erlebt.<br />

Streiten – im Sinne von Benedikt Sturzenhecker – ist ein produktiver<br />

Prozess. Ich fand es interessant, dass Diskurse insbesondere in unserem<br />

Workshop stattfanden und diese will ich aus Sicht eines Stiftungsvertreters,<br />

der ja Teil des Streites und dieser Streitkultur ist, pointierter<br />

zusammenfassen. Die Stiftungsdenke, das Visionäre kommt in dem<br />

Programm „Lebenswelt Schule“, der Vernetzung lokaler Akteure und<br />

Ressourcen für die individuelle Förderung von Kindern zum Ausdruck.<br />

Das ist fast so kompliziert wie die Lösung der Finanzmarktkrise.<br />

In „Lebenswelt Schule“ sind viele Dimensionen gebündelt, für die<br />

man eine Vision benötigt, die implizit der Zivilgesellschaft unterstellt<br />

wird; eine solche trägt die Stiftung in ihrem Herzen. Wir sind Visionäre,<br />

aber wir machen es uns viel zu leicht, denn wir reden über soziale<br />

Phänomene, über Komplexitäten, die wir eigentlich nicht verstehen,<br />

für die wir jedoch schon Lösungsansätze haben. Das kommt in Sätzen<br />

zum Ausdruck: Wir wissen ja, wie es geht. Wir wissen, wer die Beteiligten<br />

sind und was wir eigentlich tun wollen. Demgegenüber war der<br />

erste Vortrag herzerfrischend, der mich zu zwei Methoden inspiriert,<br />

wie man einen rationalen Diskurs immer gewinnt. Die erste Möglichkeit<br />

ist, man redet pointiert und lässt anschließend keine Diskussion zu,<br />

die zweite besteht darin, den Abschlussvortrag zu halten. Nach diesem<br />

kommt nämlich auch keine Diskussion zustande und diese Gelegenheit<br />

nutze ich jetzt.<br />

In der Zivilgesellschaft ist Aktivitätspotenzial für das Visionäre vorhanden.<br />

Viele von Ihnen engagieren sich in ihr und erfahren Mut. Demgegenüber<br />

kontrastiert ein Sinn für Realität, für reale Probleme. Visionen<br />

hier und Ressourcen dort, wie es in den Vorträgen zu hören war, nicht<br />

nur finanzielle, sondern auch personelle Ressourcen, irgendwie passt<br />

das scheinbar nicht zusammen. Ich habe dafür vielleicht einen Lösungsansatz<br />

aus Stiftungssicht. Erstens, Stiftungen wollen immer mehr, als sie<br />

können und eigentlich müssten wir darüber reden, was wir wollen/sollen.<br />

Zweitens, das ist auch in Deutschland weit verbreitet, diskutieren<br />

wir Visionen und Rationalität, reale Befindlichkeiten und Zielvorstellungen<br />

fast immer dichotomisch. Ich glaube, es ist notwendig, den Mut<br />

zu Visionen weiterhin aufrechtzuerhalten. Wir müssen an die Front gehen,<br />

dort mit zivilgesellschaftlichem Engagement kämpfen, bei Anerkennung<br />

der Realitäten. Wir müssen akzeptieren, dass wirtschaftliche<br />

Krisenzeiten so sind, wie sie sind, und dass bildungspolitische Ideale<br />

bei den Anforderungen der Finanzmarktkrise ein wenig auf der Strecke<br />

bleiben können. Man kann das aber auch positiver formulieren.<br />

Wenn man den Begriff Zivilgesellschaft aufgeben und klassisch von<br />

Bürgergesellschaft reden würde, wäre schon etwas gewonnen. Zivil, das<br />

klingt toll, weil es sich nicht interessengebunden anhört. Die Bürgergesellschaft<br />

dagegen, das habe ich von Ralf Dahrendorf erfahren und<br />

als Quelle notiert, ist zunächst einmal dadurch gekennzeichnet, dass sie<br />

interessengeleitet und in der Regel auch interessendivergent ist. Diese<br />

Erkenntnis hat den Vorteil, dass wir nicht immer nur den Staat anprangern<br />

müssen und sagen: Das ist eigentlich etwas anderes als Zivilgesellschaft.<br />

Wenn wir im politischen Willensbildungsprozess das visionäre,<br />

zivilgesellschaftliche, bürgergesellschaftliche Tun, die Praxis und<br />

die Realität nicht außer Acht lassen, sondern uns als Teil dieses Prozesses<br />

der Willensbildung verstehen, die eine langfristige Vision und<br />

Veränderung der Gesellschaft zum Besseren nicht vergisst, dann ist das<br />

die Klammer, die einen guten Ausblick bietet.<br />

Noch ein Hinweis: Ich empfinde es als positiv, dass die Bundesregierung<br />

480 Milliarden Bürgschaften für den Bankensektor und den zusammencrashenden<br />

Bereich bereitstellt. Warum Es sollte uns Mut machen,<br />

weil die Finanzmarktkrise und ihre Behandlung in der Politik auch für<br />

den <strong>Bildung</strong>sbereich zeigt, dass Politik, wenn ein politisch, gesellschaftlich<br />

relevantes Problem, und um ein solches handelt es sich, auftritt,<br />

per se handlungsfähig ist. Ob sie im richtigen Sinne handlungsfähig ist<br />

und die Richtung stimmt, das kann ich nicht beurteilen, in diesem Bereich<br />

bin ich kein Experte, aber zunächst einmal ist sie handlungsfähig.<br />

Leidens-, Entscheidungs- und Problemdruck sind zumindest eine<br />

politische Kategorie, auf die Politik hört. Der zweite positive Ansatz ist<br />

der, dass Politik reagiert, weil die Bürgergesellschaft ihr zutraut, dass es<br />

sich um ein Problemfeld handelt, das solche Einschnitte und finanziellen<br />

Umschichtungen tatsächlich notwendig macht.<br />

Wenn der <strong>Bildung</strong>s- oder Forschungssektor, aus dem ich ursprünglich<br />

herkomme, begreift, dass er in diese Richtung die Problemfelder,<br />

den Leidensdruck richtig adressiert und sich im Rahmen der bürgergesellschaftlichen<br />

Engagements als Teil des politischen Willensbildungsprozesses<br />

versteht, dann hat man die Hoffnung, dass es einen sozialen<br />

Wandel geben wird. Ansonsten brechen bürgergesellschaftliches Engagement<br />

und Realität wieder auseinander. Ich fand beeindruckend, dass<br />

beides in dieser Veranstaltung dicht beieinander lag und nicht strittig,<br />

sondern in einem rationalen Diskurs ausgetragen wurde. Vielen herzlichen<br />

Dank, der Fachtag war ein Gewinn für mich.


Impressum<br />

<strong>Deutsche</strong> Kinder- und Jugendstiftung gemeinnützige GmbH (DKJS) 2009<br />

Tempelhofer Ufer 11<br />

10963 Berlin<br />

www.dkjs.de<br />

Tel.: (030) 25 76 76 40<br />

Fax: (030) 25 76 76 10<br />

E-Mail: info@lebenswelt-schule.net<br />

Wenn Sie Neuigkeiten aus „Lebenswelt Schule“ erfahren möchten,<br />

abonnieren Sie bitte unseren Newsletter unter:<br />

www.lebenswelt-schule.net<br />

Lektorat: Dr. Cornelia Alban<br />

Satz & Layout:<br />

progress 4<br />

Offline-/ Online Produktion GbR<br />

Fotos:<br />

Cover: Pierro Chiussi, Fotos der Tagung: DKJS<br />

Weitere Informationen zum Programm „Lebenswelt Schule“ erhalten Sie unter:<br />

www.lebenswelt- schule.net<br />

Lebenswelt Schule ist ein gemeinsames<br />

Programm der <strong>Deutsche</strong>n Kinder- und<br />

Jugendstiftung und der Jacobs Foundation.


Ein gemeinsames Programm<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Kinderund<br />

Jugendstiftung und<br />

der Jacobs Foundation

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