Lokale Verantwortungsgemeinschaften für Bildung - Deutsche ...
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Fachtag<br />
„<strong>Lokale</strong> <strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong> für <strong>Bildung</strong>“<br />
Berlin, Neue Mälzerei/Umweltforum 18.11.2008<br />
Dokumentation<br />
Ein gemeinsames Programm<br />
der <strong>Deutsche</strong>n Kinderund<br />
Jugendstiftung und<br />
der Jacobs Foundation
Inhalt<br />
Alle <strong>Bildung</strong>sgeschichten von Kindern und<br />
Jugendlichen sollen Erfolgsgeschichten sein.<br />
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Vorwort<br />
<strong>Lokale</strong> <strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong> für <strong>Bildung</strong><br />
Peter Bleckmann/Heike Kahl<br />
A Inputs<br />
<strong>Lokale</strong> <strong>Bildung</strong>slandschaften: Neue Wege der Kooperation<br />
Dr. Karsten Speck, Universität Potsdam<br />
<strong>Bildung</strong>spolitische Perspektiven<br />
Wie der Bund mit „Lernen vor Ort“ neue bildungspolitische Akzente setzt<br />
Corinna Maria Brüntink, Bundesministerium für <strong>Bildung</strong> und Forschung<br />
Wie das Land Schleswig-Holstein den Aufbau lokaler <strong>Bildung</strong>slandschaften unterstützt<br />
Karsten Egge, Sozialministerium Schleswig-Holstein<br />
Wie Kommunen mehr Verantwortung für <strong>Bildung</strong> übernehmen können<br />
Prof. Dr. Angela Faber, <strong>Deutsche</strong>r Städtetag<br />
B Foren<br />
Forum 1 Jeder Lernende ist besonders. Individuelle <strong>Bildung</strong>sverläufe begleiten<br />
Kommune I: Weiterstadt (Hessen, Lebenswelt Schule)<br />
Kommune II: Wiesbaden (Hessen, Weinheimer Initiative)<br />
Experte: Dr. Hans-Rudolf Leu, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut<br />
Forum 2 Kein Kind soll verloren gehen. Was muss vor Ort passieren, damit Integration gelingt<br />
Kommune I: Reuterkiez Berlin-Neukölln: 1 Quadratkilometer <strong>Bildung</strong><br />
Kommune II: Fachbereich Schule und Regionales <strong>Bildung</strong>sbüro Dortmund<br />
Experte: Dr. Günter Warsewa, IAW Universität Bremen<br />
Forum 3 Das ist unsere Welt. Kinder, Jugendliche und Erwachsene gestalten ihre lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
Kommune I: Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein, Lebenswelt Schule)<br />
Kommune II: Saalfeld (Thüringen), Projekt Nelecom<br />
Experte: Prof. Dr. Sturzenhecker, Universität Hamburg<br />
Forum 4 <strong>Bildung</strong>seinrichtungen und lokale Räume: Getrennte Welten oder eine gemeinsame Landschaft<br />
Kommune I: Bernburg / Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt, Lebenswelt Schule)<br />
Kommune II: Neugraben-Fischbek/Neuwiedenthal in Hamburg-Harburg, vorgestellt von der Stadterneuerungs- und<br />
Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg)<br />
Experte: Prof. Dr. Häußermann, Humboldt Universität, Berlin<br />
Forum 5 Vom Verwalten zum Moderieren. Neue Rollen der Kommune bei der Steuerung von <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
Kommune I: Weinheim (Baden-Württemberg, Lebenswelt Schule)<br />
Kommune II: Landkreis Görlitz (Sachsen, Lernende Regionen PONTES)<br />
Experte: Dr. Heinz-Jürgen Stolz, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut<br />
C Podiumsdiskussion<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaften auf dem Weg von Top-down über Bottom-up zu komplexen Kommunikationsformen<br />
D Ausblick<br />
Dr. Bernd Ebersold, Jacobs Foundation<br />
Impressum
Vorwort<br />
<strong>Lokale</strong> <strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong> für <strong>Bildung</strong><br />
Die bestmögliche individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen<br />
kann nur gelingen, wenn <strong>Bildung</strong> zu einem Gemeinschaftsprojekt<br />
wird, das insbesondere vor Ort gestaltet wird. Aus dieser Erkenntnis<br />
ist in den letzten Jahren in Deutschland eine Reformdynamik<br />
erwachsen, die viele Begriffe kennt: <strong>Lokale</strong> Vernetzung, kohärentes <strong>Bildung</strong>smanagement<br />
vor Ort, lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften. So vielfältig<br />
die Begriffe, so unterschiedlich sind auch die Konzepte, die dabei umgesetzt<br />
werden. Bei aller Unterschiedlichkeit scheint aber eines klar zu<br />
sein: Der notwendige Perspektivwechsel – weg von der Institutionenorientierung,<br />
hin zu einem subjektorientierten Blick – erfordert Kooperation<br />
und Bündelung von Ressourcen in neuer Qualität.<br />
Beim Fachtag ist es gelungen, die Breite dieser Entwicklung in Deutschland<br />
und die Unterschiedlichkeit der Ansätze erfahrbar zu machen. Einige<br />
der zentralen aktuellen Entwicklungslinien wurden beim Fachtag<br />
vorgestellt und diskutiert. Bund, Länder und Kommunen haben ihre<br />
Anstrengungen präsentiert, ebenso wie Stiftungen und lokale Initiativen.<br />
Anwesend waren namhafte Experten, die aus ihrer Sicht die Entwicklungen<br />
der Praxis reflektiert und kommentiert haben.<br />
Dabei ging es nicht um Sonntagsreden: Gleich im ersten Beitrag wurde<br />
deutlich darauf hingewiesen, dass Kooperation schwierig sein kann,<br />
dass es unterschiedliche Selbstverständnisse und Traditionen gibt, die<br />
Kooperation erschweren, und dass der theoretische Anspruch zur Ressourcenbündelung<br />
und Vernetzung nur dann erfolgreich umgesetzt<br />
werden kann, wenn alle Seiten daraus einen Nutzen ziehen. Damit<br />
wurde auch für den Rest des Fachtags ein Tenor der Ehrlichkeit gesetzt,<br />
so dass in den Foren an echten Themen und realen Fragen gearbeitet<br />
werden konnte.<br />
Gastgeber des Fachtags waren die Akteure des Programms „Lebenswelt<br />
Schule“: Das sind zunächst die Jacobs Foundation und die <strong>Deutsche</strong><br />
Kinder- und Jugendstiftung, die das Programm konzipiert haben<br />
und es umsetzen. Dazu zählen aber auch die Vertreterinnen und Vertreter<br />
aus den vier Modellkommunen, die im Rahmen des Programms<br />
über einen Zeitraum von drei Jahren beim Aufbau und der Weiterentwicklung<br />
lokaler Verantwortungsnetze unterstützt werden. Ende 2008,<br />
nach rund einem Jahr Programmlaufzeit, waren bereits erste Erfolge<br />
dieses Prozesses sichtbar. Wichtig war es aber auch, beim Fachtag die<br />
Gelegenheit zu nutzen, von anderen Kommunen und von Expertinnen<br />
und Experten zu lernen und in einen Dialog zu treten.<br />
In der vorliegenden Dokumentation sind alle Beiträge des Fachtags sowie<br />
die Diskussionen in den Foren und auf dem Podium in gekürzter<br />
Form wiedergegeben. Grundlage dafür waren die während des Fachtags<br />
erstellten Tonbandmitschnitte, die transkribiert und lektoriert wurden.<br />
Auf das vorhandene schriftliche Material wurde ebenfalls zurückgegriffen.<br />
Beim Lesen werden Sie daher merken, dass der Text nah am gesprochenen<br />
Wort ist: Es ging uns darum, die Lebendigkeit des Fachtags<br />
soweit wie möglich auch in dieser Dokumentation spürbar werden zu<br />
lassen. Wir hoffen, dass diese Dokumentation für Sie viele Impulse zum<br />
Weiterdenken und –arbeiten bereithält.<br />
In diesem Sinne wünschen Ihnen die Jacobs Foundation und die <strong>Deutsche</strong><br />
Kinder- und Jugendstiftung eine anregende Lektüre.<br />
Mehr zum Programm „Lebenswelt Schule“<br />
www.lebenswelt-schule.net<br />
3
A Inputs<br />
Den Einstieg in den Fachtag gestaltete Karsten Speck<br />
und präsentierte die Perspektive der Wissenschaft zu<br />
Kooperationen in lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften.<br />
4<br />
<strong>Lokale</strong> <strong>Bildung</strong>slandschaften:<br />
Neue Wege der Kooperation<br />
Dr. Karsten Speck<br />
Universität Potsdam<br />
Ich werde in meinem Referat vier Punkte thematisieren. Zunächst sind<br />
Anlässe und Merkmale von lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften zu benennen,<br />
dann ist der Blick auf das tatsächlich oder vermeintlich Neue von lokalen<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaften zu richten. Aus diesem Blick ergeben sich<br />
kritische Anfragen, die es näher zu beleuchten gilt. Im vierten Punkt<br />
werde ich Konsequenzen für gelingende lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
aufzeigen.<br />
Nach meiner Wahrnehmung haben wir ein Zeitalter, das geprägt ist von<br />
einem „vor und nach PISA“. Interessant sind vor allem die sozialen Implikationen,<br />
die aus der PISA-Studie hervorgehen, und Diskussionen,<br />
die angestoßen wurden und die man für lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
nutzen kann und sollte. Eine Debatte, die seit Längerem geführt wird,<br />
ist die der Öffnung von Schule und Ganztagsschule und die damit verbundenen<br />
schulischen und gesellschaftlichen Herausforderungen.<br />
Im Bereich der Jugendhilfe finden sich Konzepte zur Sozialraumorientierung,<br />
ein Containerbegriff wie der der lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften.<br />
Ansatzpunkt ist es, stärker auf Sozialräume einzugehen, dort nach Milieus<br />
zu suchen und adäquate Angebote aufzuzeigen. Der Jugendhilfe<br />
geht es insbesondere um eine stärkere Öffnung in Richtung Schule. Es<br />
gibt Regelungen, die den Ausbau von Schulkooperation und Schulsozialarbeit<br />
fördern. Das führt zu einem geschärften Bewusstsein von<br />
Jugendhilfeträgern und der Forderung nach einem erweiterten <strong>Bildung</strong>sverständnis,<br />
welches sich in dem Statement „<strong>Bildung</strong> ist mehr als<br />
Schule“ niederschlägt.<br />
Die Forderung nach einem erweiterten <strong>Bildung</strong>sverständnis betrifft<br />
aber auch Schulen. Für sie heißt es, nicht nur die formale <strong>Bildung</strong> in den<br />
Blick zu nehmen, sondern non-formale und informelle <strong>Bildung</strong>sformen<br />
zu integrieren, die Jugendhilfe als <strong>Bildung</strong>sakteur zu akzeptieren und<br />
entsprechend einzubeziehen. Informelle <strong>Bildung</strong> über Peergroups, Medien<br />
und Ähnliches sind Einflussgrößen auf <strong>Bildung</strong>sprozesse, die inzwischen<br />
anerkannt werden. Es gibt Wissenschaftler, die davon ausgehen,<br />
dass 80 Prozent des Wissens außerhalb von Schule angeeignet<br />
wird. Es existiert allerdings meines Erachtens noch keine Studie, die das<br />
tatsächlich empirisch belegt.<br />
Ansätze und Strategien für eine regionale oder kommunale Jugend- und<br />
Schulpolitik prägen die Auseinandersetzung um <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
auf der lokalen Ebene. Der 12. Kinder- und Jugendbericht hat die Thematik<br />
ausführlich behandelt, er verwendet interessanterweise unterschiedliche<br />
Begrifflichkeiten: lokale, regionale und kommunale <strong>Bildung</strong>slandschaften.<br />
In dem Bericht wird deutlich darauf hingewiesen,<br />
dass die Kommunen eine starke planerische Verantwortung haben. Die<br />
<strong>Deutsche</strong> Kinder- und Jugendstiftung spricht von verbesserter Vernetzung<br />
und Bündelung der unterschiedlichen Ressourcen, die mit <strong>Bildung</strong><br />
zu tun haben. Die Bertelsmann Stiftung konzentriert sich auf Schulentwicklungsprozesse.<br />
Das <strong>Deutsche</strong> Jugendinstitut fokussiert auf neue<br />
Ansätze und operationalisiert anhand von bestimmten Dimensionen,<br />
was Grundmerkmale von lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften sind. Letztendlich<br />
kommt es zu durchaus unterschiedlichen Akzentuierungen, wie der<br />
Begriff inhaltlich zu füllen ist. Das macht es schwierig, ihn zu bestimmen,<br />
abzugrenzen und eine Diskussion über Sinn, Vorteile, Nachteile,<br />
Möglichkeiten und Grenzen zu führen.<br />
Ich komme zum zweiten Punkt. Das Neue an kommunalen <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
ist, dass <strong>Bildung</strong> inzwischen ein Thema ist, das in Wahlkämpfen<br />
beachtet wird. Es entscheidet Wahlkämpfe zwar nicht, aber es<br />
wird für gesellschaftlich relevant gehalten. 76.000 Schüler, die jährlich<br />
ohne Abschluss die Schule verlassen, zeigen, dass es ein <strong>Bildung</strong>sverständnis<br />
geben muss, das nicht nur auf den schulischen Bereich bezogen<br />
ist. Der Blick richtet sich vermehrt auf formale, non-formale und<br />
informelle <strong>Bildung</strong> und führt damit weg von versäulten, vermeintlich<br />
bewährten <strong>Bildung</strong>s- und Sozialstrukturen (Input) hin zur Frage,<br />
wie man gelingende <strong>Bildung</strong>sbiografien sicherstellen kann (Outcome).<br />
Während man es früher für selbstverständlich oder einfach für individuell<br />
verursachtes Verhalten hielt, dass jemand in der Schule nicht mitkam,<br />
gibt es heute so etwas wie eine gesellschaftliche Verantwortung für<br />
die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen. Das impliziert,<br />
die zahlreichen Angebote einzelner <strong>Bildung</strong>sakteure zu bündeln<br />
und zu abgestimmten, lokalen <strong>Bildung</strong>skonzepten zu entwickeln.<br />
Damit bin ich beim dritten Punkt: Anfragen. Was auffällt, ist, dass der<br />
Begriff Kooperation, wie er in lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften verwendet<br />
wird, mit einem hohen normativen Anspruch besetzt ist: Synergieeffekte,<br />
konsistentes Gesamtsystem von <strong>Bildung</strong>, Betreuung und Erziehung<br />
im Interesse der Kinder und Jugendlichen sind Schlüsselbegriffe.<br />
Wenn man das etwas nüchterner betrachtet, geht es erst einmal bloß darum,<br />
zusammenzuarbeiten, und dies bewusst und längerfristig. Wichtig<br />
ist für solch eine Kooperation, dass tatsächlich ein Nutzen entsteht.<br />
In der Regel sollten nicht die Institutionen, sondern die beteiligten Akteure<br />
einen Nutzen erlangen, denn ohne diesen arbeiten sie nicht zusammen.<br />
Kooperation verläuft über Beziehungen und nicht über Insti-
tutionen. Kooperation ist kein Allheilmittel, wie das häufig suggeriert<br />
wird. Kooperationen sind schwierig und äußerst konfliktanfällig, wie<br />
Untersuchungen verdeutlichen. Schule oder Akteure in der Institution<br />
Schule denken, ticken anders als Akteure in der Jugendhilfe. Sie haben<br />
andere Logiken und Anerkennungsprinzipien.<br />
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Warum sollten sich Institutionen<br />
und Beteiligte in lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften engagieren<br />
Was macht das Spezifische von lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften aus Was<br />
brauche ich für fachliche, strukturelle und akteurspezifische Standards<br />
Wer muss beteiligt sein Welche Rahmenbedingungen sind unerlässlich<br />
Unstrittig ist, dass lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften bestimmte Rahmenbedingungen<br />
benötigen. Das ist so lange unstrittig, bis diskutiert<br />
wird, wer diese finanzieren soll. Wir brauchen finanzielle Ausstattung,<br />
fachliche und rechtliche Kompetenzen. In den meisten Bundesländern<br />
sind – streng genommen – lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften nicht möglich,<br />
weil die Kommunen keine Steuerungsmöglichkeiten haben. Das heißt,<br />
es müssten adäquate rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden.<br />
Welche Ausstattung, Kompetenzen und Strukturen benötigen Kommunen,<br />
aber auch Schulen für die Ausgestaltung und Steuerung lokaler<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaften und verfügen sie im Regelfall über diese Wie<br />
können lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften tatsächlich gesteuert werden Wer<br />
ist dafür zuständig Aus meiner Sicht ist eine wichtige Frage, die bisher<br />
eher vernachlässigt wird: Warum sind Kommunen kompetenter als<br />
Länder, <strong>Bildung</strong>sfragen zu klären Sind Kommunen tatsächlich in der<br />
Lage, ihre Moderations-, Ausgestaltungs- und Steuerungsrolle wahrzunehmen<br />
und nicht nur zu verwalten und den entsprechenden bürokratischen<br />
Überbau vorzulegen Kommune bedeutet nicht gleich bessere<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft. Wie sollen lokale <strong>Bildung</strong>slandschaften funktionieren,<br />
wenn bereits die Kooperation von Jugendhilfe und Schule schwierig<br />
ist und es auch an Ganztagsschulen keine pädagogische Abstimmung<br />
gibt<br />
• Kooperation mit Blick auf <strong>Bildung</strong>sfragen gepflegt, gemeinsam ausgewertet<br />
und weiterentwickelt wird.<br />
• von oben aktiv unterstützt und gesteuert wird.<br />
Wenn die Leitungsebene nicht mitzieht, also Kommune, Schulaufsicht,<br />
Schulleitung, dann bekommt man Probleme. Dieser Hinweis bedeutet<br />
nicht, dass die Leitungsebene allein und ohne die Beteiligten funktionieren<br />
kann, aber ohne sie werden wir die angestrebten Ziele nicht erreichen.<br />
Die Botschaft lautet: Kommunen, bitte geht in die Verantwortung!<br />
Ich wende mich damit den Schlussfolgerungen zu: <strong>Lokale</strong> <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
lohnen sich. Sie funktionieren aber nur dann gewinnbringend,<br />
wenn<br />
• unterschiedliche Akteure eingebunden werden (z. B. Eltern, Kita, Jugendhilfe).<br />
• Kooperation gewollt ist sowie für die beteiligten Akteure ein persönlicher<br />
Nutzen zu erwarten ist.<br />
• Kompetenzen, Grenzen und Methoden der anderen Professionen<br />
und Beteiligten bekannt und anerkannt sind.<br />
• Bedarf, pädagogische Ziele, finanzielle und personelle Rahmenbedingungen<br />
und Verantwortlichkeiten im Vorfeld geklärt sind.<br />
5
Mit den folgenden Inputs haben wir uns auf eine Reise<br />
durch die <strong>Bildung</strong>srepublik begeben und das Thema lokaler<br />
<strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong> aus Perspektive<br />
des Bundes, der Länder und Kommunen in den Blick genommen.<br />
<strong>Bildung</strong>spolitische Perspektiven<br />
Wie der Bund mit „Lernen vor Ort“ neue<br />
bildungs politische Akzente setzt<br />
Corinna Maria Brüntink<br />
Bundesministerium für <strong>Bildung</strong> und Forschung (BMBF)<br />
Die Umsetzung des Lebenslangen Lernens braucht Konzepte, die über<br />
Ressortgrenzen hinausgehen; Lebenslanges Lernen ist eine Querschnittsaufgabe<br />
und erfordert darüber hinaus Kooperationen mit externen<br />
regionalen Partnern der <strong>Bildung</strong>, wie den Kammern und Unternehmen,<br />
nicht kommunalen <strong>Bildung</strong>strägern, Hochschulen,<br />
Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Vereinen und nicht zuletzt<br />
regionalen <strong>Bildung</strong>snetzwerken.<br />
Das Bundesministerium für <strong>Bildung</strong> und Forschung (BMBF) hatte deshalb<br />
gemeinsam mit den Län dern im Jahr 2000 das im Bereich des Lebenslangen<br />
Lernens bisher größte <strong>Bildung</strong>sprogramm „Ler nende Regionen<br />
– Förderung von Netzwerken“ initiiert. Im Rahmen dieses<br />
Programms wurden in insgesamt rund 75 solcher „Lernender Regionen“<br />
innovative Ansätze für <strong>Bildung</strong>sarbeit in Netzwerken entwickelt<br />
und erprobt. Ziel war es, die Verwirklichung des Lebenslangen Lernens<br />
direkt mit der Standort- und Regionalentwicklung zu verknüpfen.<br />
Durch die Optimierung des <strong>Bildung</strong>shandelns sollten entscheidende<br />
kommunale Innovationen zur Anpassung der Daseinsfürsorge an die<br />
sich rapide wan delnden gesellschaftlichen Herausforderungen erreicht<br />
werden. Dabei identifizierte man vielerorts Elemente der Standort- und<br />
Regionalentwicklung als Lernanlässe für die beteiligten Institutionen<br />
und auch – in inno vativen Beteiligungsverfahren – für die Bürgerinnen<br />
und Bürger.<br />
Bei der Umsetzung des Programms wurde – durch die Ergebnisse der<br />
fortlaufenden Evaluie rung - deutlich, dass die Kommunen in vielen<br />
„Lernenden Regionen“ zwar beteiligt waren oder noch sind, aber eben<br />
nicht in allen und vor allem nicht überall im notwendigen Ausmaß.<br />
Viele „Lernende Regionen“ hätten sonst noch erfolgreicher sein können,<br />
als sie es durchaus waren und zum Teil ja noch sind.<br />
Die Bundesministerin für <strong>Bildung</strong> und Forschung hat im Jahre 2006<br />
aufgrund der vorliegenden Ergeb nisse des Programms und der bisherigen<br />
Aktivitäten im Bereich der Weiterbildung einen Innovations kreis<br />
Weiterbildung ins Leben gerufen, der neue Akzente im Feld der Weiterbildung<br />
setzen und für den Bund weiterführende Empfehlungen abgeben<br />
sollte. Es wurden Arbeits- und Fachkreise zu zen tralen Fragen<br />
der Weiterbildung eingerichtet, unter anderem auch zum Thema „Lernen<br />
in der Stadt/in der Region“. Dabei wurde deutlich, dass neben der<br />
notwendigen wissenschaftlichen Diskussion um Forschungsfragen und<br />
Desiderata in der Weiterbildung insbesondere die Vertreter der Stiftungen<br />
sich aktiv mit einem handlungsorientierten Ansatz einbringen<br />
wollten. Ziel sollte es sein, in einer öffentlich-privaten Partnerschaft des<br />
BMBF gemeinsam mit Stiftungen kommunales <strong>Bildung</strong>smanagement<br />
zu initiieren und implementieren. Stärker als bisher sollen nunmehr die<br />
<strong>Bildung</strong>sangebote aufeinander abgestimmt und miteinander verzahnt<br />
werden. Sie sollen allen zugänglich, übersichtlich und bezahlbar sein.<br />
Gefragt sind nachhaltige, auch in der Zukunft tragfähige Ideen und<br />
Konzepte. Sie können von ausgefeilten Kooperationen aller <strong>Bildung</strong>sinstitutionen<br />
zur Optimierung der <strong>Bildung</strong>sinfrastruktur bis hin zur noch<br />
stärkeren Einbindung des <strong>Bildung</strong>sgedankens in die Städteplanung reichen.<br />
Ein gutes <strong>Bildung</strong>smanagement basiert auf klaren Fakten, erfasst<br />
mit rationalen Messverfahren und einem Be richtssystem die Situation<br />
vor Ort. Insbesondere im Bereich der Weiterbildung bestehen aber<br />
noch große Probleme in der Datenbeschaffung. Dies hat der letzte nationale<br />
<strong>Bildung</strong>sbericht erneut deutlich aus gewiesen. Auch die Einbeziehung<br />
der non-formalen und informellen Lernwelten wird zunehmend<br />
wichtiger - einhergehend mit der Frage, wie es gelingen kann, diese abzubilden.<br />
Die Entwicklung eines regionalen <strong>Bildung</strong>smonitorings wird<br />
deshalb elementarer Bestandteil des Programms „Lernen vor Ort“ sein.<br />
Wir werden nicht sofort, aber auf längere Sicht den Kommunen mit<br />
dem <strong>Bildung</strong>smonitoring ein wesentliches Instrument für erfolgreiches<br />
<strong>Bildung</strong>smanagement als Dienstleistung zur Verfügung stellen.<br />
Auf einem funktionierenden Berichtssystem vor Ort aufbauend, bietet<br />
ein gutes <strong>Bildung</strong>smanagement professionelle <strong>Bildung</strong>sberatung, die<br />
auch Familien sowie ältere Bürgerinnen und Bürger als wichtige Zielgruppen<br />
im Auge hat. Es entwickelt Strukturen, die <strong>Bildung</strong>sübergänge<br />
gestalten und erleichtern, etwa von der Kindertagesstätte in die Schule,<br />
von der Schule in den Beruf, von einem Beruf zu einem anderen, von<br />
einer Qualifizierungsmaßnahme in eine berufliche Tätigkeit und von<br />
dort in eine Karriere fördernde Fortbildung. Der Austausch zwischen<br />
den Institutionen ist erforderlich, ebenso die Abstimmung der <strong>Bildung</strong>sinhalte.<br />
Die Ziele der Initiative sind – zusammengefasst – folgendermaßen definiert:<br />
6<br />
• Erhöhung der <strong>Bildung</strong>sbeteiligung,<br />
• Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit,<br />
• Verbesserung der Angebotsstrukturen im Sinne einer stärkeren Nutzenorientierung,<br />
• Verbesserung der Transparenz von <strong>Bildung</strong>sangeboten,
• Verbesserung der Übergänge zwischen einzelnen <strong>Bildung</strong>sphasen,<br />
• Verbesserung der <strong>Bildung</strong>szugänge,<br />
• Stärkung der demokratischen Kultur,<br />
• Bewältigung des demografischen Wandels.<br />
Neben dem Ziel eines kohärenten <strong>Bildung</strong>smanagements vor Ort ist das<br />
Neuartige an dieser Konzep tion die Kooperation mit Stiftungen, die bei<br />
diesem Vorhaben in einem Stiftungsverbund zusammen arbeiten. Im<br />
Mai 2008 hat sich der Stiftungsverbund konstituiert, dem mittlerweile<br />
26 deutsche Stiftun gen angehören und der für weitere Beitritte offen ist.<br />
Die Stiftungen wollen auf zweierlei Weise un terstützend tätig werden.<br />
Zum einen in Form von Grundpatenschaften: Das sind umfassende<br />
Paten schaften, die bei der Gesamtkonzeption und –umsetzung helfen.<br />
Die Stiftungen stellen ihre Expertise zur Erarbeitung eines tragfähigen<br />
und nachhaltigen Finanzierungskonzepts bereit. Sie begleiten die Kommunen<br />
beim Aufbau von öffentlich-privaten Partnerschaften, insbesondere<br />
mit weiteren Akteu ren aus Zivilgesellschaft und Unternehmen.<br />
Zum anderen in Form von so genannten Themenpartnerschaften: Wenn<br />
eine Stiftung eine umfas sende Patenschaft nicht erfüllen kann oder will,<br />
weil eine solche dem Stiftungszweck nicht angepasst ist oder weil die<br />
themenbezogene Arbeit im Vordergrund steht und dafür spezielle Expertise<br />
vorhan den ist, gibt es die Möglichkeit der Übernahme von Themenpatenschaften.<br />
Dabei ist die Beratung und Begleitung zu einzelnen<br />
Handlungsfeldern möglich, zum Beispiel zur naturwissenschaftlichen<br />
und technischen <strong>Bildung</strong>, zur Integration von Zuwanderern oder zum<br />
Übergang Schule-Beruf.<br />
In einer Pressekonferenz im Oktober 2008 wurden die Richtlinien zu<br />
„Lernen vor Ort“ schließlich ver öffentlicht. Die Finanzierung erfolgt<br />
mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds, denn „Lernen vor<br />
Ort“ entspricht den europäischen Zielsetzungen, die <strong>Bildung</strong>sbeteilung<br />
zu erhöhen und für mehr Beschäftigungssicherheit zu sorgen.<br />
„Lernen vor Ort“ leistet einen Beitrag zur Qualifizierungsinitiative<br />
der Bundesregierung. Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan<br />
erläutert die umfassende Strategie: „Mit dem Motto ‚Aufstieg<br />
durch <strong>Bildung</strong>’ setzen wir ein klares Signal für die Stärkung von <strong>Bildung</strong>schancen<br />
in allen Lebensbereichen, von der frühkindlichen <strong>Bildung</strong><br />
bis zur Weiterbildung in den späteren Jahren.“ Konkret sollen<br />
u. a. mehr <strong>Bildung</strong>schancen für Kinder unter sechs Jahren und ein<br />
Ausbildungsplatzan gebot für alle geschaffen werden. Der Übergang von<br />
Schule zu Hochschule soll leichter und die Chancen für Frauen verbessert<br />
werden. Eine deutliche Steigerung strebt die Bundesregierung bei<br />
der Weiterbildung an. Statt derzeit 43 Prozent wird angestrebt, dass 50<br />
Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine Maßnahme zur Weiterbildung<br />
abschließen.<br />
7
8<br />
Wie das Land Schleswig-Holstein den Aufbau<br />
lokaler <strong>Bildung</strong>slandschaften unterstützt<br />
Karsten Egge<br />
Sozialministerium Schleswig-Holstein<br />
In Schleswig-Holstein haben wir im Jahre 2005, unterstützt durch die<br />
damalige und jetzige Jugendministerin, damit begonnen, einen Kinderund<br />
Jugendaktionsplan zu entwickeln, der eine landesspezifische Adaptierung<br />
des Europäischen Paktes beziehungsweise des nationalen Aktionsplans<br />
darstellt. Es wurden zentrale Handlungsfelder definiert, die<br />
an Fragen der Förderung von Kindern, Jugendlichen und Familien ausgerichtet<br />
sind und deren Realisierung im Rahmen von konkreten Leitprojekten<br />
erfolgt. Zu nennen sind unter anderem Angebote für Familien;<br />
das Schutzengelprojekt; ganzheitliche <strong>Bildung</strong> gestalten. Weitere<br />
Themen sind: Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, ein Bereich,<br />
mit dem die Jugendhilfe in Schleswig-Holstein schon lange befasst ist.<br />
Und ein Letztes: Jugendkultur und Jugendtourismus fördern. In all diesen<br />
Feldern geht es auch um <strong>Bildung</strong>sangebote und <strong>Bildung</strong>sprozesse,<br />
insbesondere in dem Handlungsfeld ganzheitliche <strong>Bildung</strong> gestalten.<br />
Dieses ist von Leitprojekten geprägt, die eine große Affinität zu Themen<br />
und Zielen aufweisen, die im Kontext lokaler <strong>Bildung</strong>spartnerschaften<br />
diskutiert werden.<br />
Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe, speziell der Jugendarbeit<br />
mit der Jugendhilfe, ist ein Schwerpunkt in der offenen Ganztagsschule.<br />
Schon zu Beginn des Bundesprogramms wurde darauf geachtet,<br />
dass mit der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Schleswig-Holstein<br />
beide Professionen am Tisch sitzen, sich möglichst auf gleicher Augenhöhe<br />
befinden und dort verankert sind. Dies wurde in Schleswig-Holstein<br />
mit einem gemeinsamen Vertrag zwischen dem <strong>Bildung</strong>s-, dem<br />
Jugendministerium und der <strong>Deutsche</strong>n Kinder- und Jugendstiftung geregelt,<br />
der mithilfe der Serviceagentur geschlossen wurde. Ziel war und<br />
ist es, außerschulische, informelle <strong>Bildung</strong>sarbeit der Jugendhilfe, der<br />
offenen Jugendarbeit und der Verbände eng mit schulischer <strong>Bildung</strong>sarbeit<br />
zu verzahnen. Was also leistet Schleswig-Holstein Wir beteiligen<br />
uns mit personellen beziehungsweise finanziellen Kapazitäten.<br />
Weder das Land noch das Jugend- und <strong>Bildung</strong>sministerium können<br />
lokale <strong>Bildung</strong>spartnerschaften von oben her verordnen. <strong>Lokale</strong> <strong>Bildung</strong>spartnerschaften<br />
müssen gewollt sein, und zwar von der örtlichen<br />
Ebene, sie müssen von der kommunalen Ebene aus wachsen. Daher haben<br />
wir zunächst damit begonnen, das Thema in die Köpfe zu tragen,<br />
Anregung dafür zu geben, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Auf dem<br />
Fachtag „Ganztag zwischen den Meeren“ im Herbst 2006 hat die Jugendministerin<br />
einem großen Publikum vorgetragen, inwiefern lokale<br />
<strong>Bildung</strong>spartnerschaften eine sinnvolle Weiterentwicklung der Kooperation<br />
von offener Ganztagsschule und Jugendhilfe darstellen können.<br />
Im gleichen Jahr haben wir die Kooperation von Schule und Jugendhilfe<br />
unter dem Gesichtspunkt Ausblick und Perspektiven der Kooperation<br />
von Jugendhilfe und Schule im Landtagsbericht thematisiert. Zeitgleich<br />
haben wir den Schwerpunkt in gemeinsamen Gremien, die wir<br />
als Land, als Jugendministerium mit den Jugendämtern haben, hineingetragen<br />
und angeboten bei Interesse die Arbeit an diesem Thema zu<br />
unterstützen.<br />
Im Juli 2007 wurde gemeinsam mit der Stadt Bad Bramstedt eine Fachveranstaltung<br />
zu lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften ausgerichtet und gefördert.<br />
Anlass war das Bestreben der Stadt, gemeinsam mit Umlandgemeinden<br />
<strong>Bildung</strong>svernetzung auf den Weg zu bringen. Die<br />
Veranstaltung weckte Interesse vor Ort und wurde zum Ausgangspunkt<br />
für die Bewerbung von Bad Bramstedt für das Programm „Lebenswelt<br />
Schule“ der Jacobs Foundation und der <strong>Deutsche</strong>n Kinder- und Jugendstiftung.<br />
Von Beginn an sowie bei allen weiteren Schritten war die Serviceagentur<br />
mehr als aktiv, auch initiativ und moderierend beteiligt. Mitte 2007<br />
wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung der kommunalen<br />
Landesverbände mit dem <strong>Bildung</strong>sministerium und Jugendministerium<br />
sowie der Serviceagentur eingerichtet. Die kommunalen<br />
Landesverbände haben signalisiert, sie seien an dem Thema interessiert.<br />
Das war hilfreich, denn so konnten wir von unten nach oben agieren.<br />
Die Verbände wünschten sich vom Land eine Art Initialzündung im<br />
Rahmen einer Auftaktveranstaltung. Wir einigten uns, diese im April<br />
2008 durchzuführen. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „<strong>Bildung</strong><br />
gemeinsam verantworten – Entwicklung lokaler <strong>Bildung</strong>spartnerschaften“.<br />
Wen wollten wir erreichen Ansprechpartner dieser Veranstaltung waren<br />
kommunale Verantwortungsträger, also diejenigen, die hauptoder<br />
ehrenamtlich in den Kommunen Verantwortung tragen und für<br />
<strong>Bildung</strong> zuständig sind, Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter aus dem schulischen<br />
Segment beziehungsweise aus dem Bereich der Jugendhilfe. In<br />
dem Fachblatt des Ministeriums, „Position“, wurde über den Fachtag<br />
berichtet und versucht, die Öffentlichkeit für die Beschäftigung mit dieser<br />
Thematik zu gewinnen. Aus der festen Überzeugung heraus, dass<br />
die Initiative für lokale <strong>Bildung</strong>spartnerschaften von der Basis her erfolgen<br />
sollte, jedoch in kommunaler Verantwortung stehen muss, wird mit<br />
weiteren Veranstaltungen für das Thema geworben.
Für das Frühjahr 2009 ist eine nächste Veranstaltung in der interministeriellen<br />
Arbeitsgruppe geplant. Mit ihr sollen diejenigen, die ehrenamtlich<br />
in den Kommunen Verantwortung tragen, erreicht und für lokale<br />
<strong>Bildung</strong>sbündnisse sensibilisiert werden. Die <strong>Bildung</strong>sministerin<br />
hat ihre Teilnahme zugesagt. Die Jugendministerin ist angefragt und die<br />
Serviceagentur wird wie immer aktiv dabei sein. Im Zusammenhang<br />
mit diesen Aktivitäten wird geprüft, ob wir eine Auswahl von Kommunen,<br />
die Interesse haben, in Form von Moderation und Prozessbegleitung<br />
unterstützen. Das Miteinander ist sehr wichtig, deshalb wurde in<br />
enger Abstimmung mit der Serviceagentur an eine inhaltliche und finanzielle<br />
Förderung gedacht. Aus Sicht der beiden Ministerien wollen<br />
wir damit die Arbeit der Serviceagentur in Schleswig-Holstein deutlich<br />
unterstützen. An dieser Stelle ist noch das Stichwort „Subsidiarität“ zu<br />
erwähnen, unser Ansatz, den uns das Sozialgesetzbuch 8 vorgibt: Wir<br />
sollen anregen, fördern, informieren, wir sollen beraten und darin sehen<br />
wir als Jugendministerium unsere hauptsächliche Funktion, zur<br />
Entwicklung lokaler <strong>Bildung</strong>spartnerschaften beizutragen.<br />
Wie Kommunen mehr Verantwortung<br />
für <strong>Bildung</strong> übernehmen können<br />
Prof. Dr. Angela Faber<br />
<strong>Deutsche</strong>r Städtetag<br />
Im November 2007 fand der <strong>Bildung</strong>skongress des <strong>Deutsche</strong>n Städtetages<br />
„<strong>Bildung</strong> in der Stadt“ in Aachen statt, auf ihm wurde die Aachener<br />
Erklärung verfasst. Ausgangspunkt der Aachener Erklärung ist<br />
die Analyse: Wir brauchen in Deutschland eine Reform des <strong>Bildung</strong>swesens.<br />
Ich nenne nur zwei Gründe für eine Reform: Qualitätsmängel und<br />
hohe Selektionswirkung. Dies wurde durch die letzte PISA-Studie bestätigt.<br />
Grundlage aller Reformbemühungen muss daher ein ganzheitliches<br />
<strong>Bildung</strong>sverständnis sein: <strong>Bildung</strong> ist mehr als Schule. Soziales,<br />
schulisches und emotionales Lernen müssen miteinander verbunden<br />
werden. Die Aachener Erklärung sieht die Basis für <strong>Bildung</strong>sprozesse<br />
in der Kommune, in der Stadt, „weil diese Träger vielfältigster <strong>Bildung</strong>seinrichtungen<br />
sind“.<br />
<strong>Bildung</strong>seinrichtungen sind Kindertageseinrichtungen, in denen die<br />
gesamte fachliche Verantwortung bei den Kommunen liegt; Familienzentren,<br />
Schulen, Schulträgerschaften, allgemein- und berufsbildende<br />
Schulen, Träger der Jugendhilfe, Volkshochschulen, außerschulische<br />
<strong>Bildung</strong>sorte wie Bibliotheken, Museen, Musikschulen, Medienzentren<br />
usw. In der Kommune wird über Erfolg und Misserfolg von <strong>Bildung</strong><br />
entschieden. „Gute“ <strong>Bildung</strong> ist ein wirtschaftlicher Standortfaktor,<br />
denn die Kommune profitiert von gelungenen <strong>Bildung</strong>sverläufen.<br />
Auf der anderen Seite hat die Kommune die Folgen und Lasten misslungener<br />
<strong>Bildung</strong>sbiografien zu tragen. Stichworte sind zum Beispiel „soziale<br />
Transferleistungen, Suchtproblematik, Suchtberatung“. <strong>Bildung</strong>sverlierer<br />
verlassen die Kommune nicht, sie bleiben und damit müssen<br />
Kommunen umgehen können.<br />
In der Aachener Erklärung wurde eine Definition für kommunale <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
gegeben. Der Städtetag versteht darunter ein „vernetztes<br />
System institutionalisierter Zusammenarbeit der <strong>Bildung</strong>sakteure<br />
vor Ort: Erziehung, <strong>Bildung</strong> und Betreuung“. Die räumliche<br />
Abgrenzung beinhaltet die kommunalen Gebietskörperschaften, das<br />
sind in der Regel die Kreise und kreisfreien Städte.<br />
Zu den Strukturelementen einer kommunalen <strong>Bildung</strong>slandschaft gehören<br />
gemäß der Aachener Erklärung:<br />
• Kein Kind, kein Jugendlicher darf verloren gehen.<br />
9
• Die für <strong>Bildung</strong> zuständigen Akteure arbeiten auf der Basis von verbindlichen<br />
Strukturen zusammen.<br />
• Eltern und Familien werden als zentrale <strong>Bildung</strong>spartner einbezo gen.<br />
• Übergänge werden nach dem Prinzip „Anschlüsse statt Ausschlüsse“<br />
ermöglicht.<br />
• Kulturelle <strong>Bildung</strong> wird als wichtiger Teil ganzheitlicher <strong>Bildung</strong> einbezogen.<br />
Ich verweise auf einige Beispiele gelungener Umsetzung:<br />
• In Nordrhein-Westfalen wurden kommunale <strong>Bildung</strong>snetzwerke gegründet,<br />
mit 19 von 54 Kommunen hat das Land bereits Verträge geschlossen.<br />
Eine Flächendeckung ist intendiert.<br />
• Seit dem Jahr 2007/2008 existieren in Nordrhein-Westfalen 1.000 Familienzentren,<br />
davon sind ungefähr 240 zertifiziert.<br />
• Der Niedersächsische Städtetag hat eine Initiative zur Kommunalisierung<br />
der Grundschulen als Pilotprojekt gestartet.<br />
• In Düsseldorf wurde eine integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung<br />
etabliert.<br />
• Es werden kommunale <strong>Bildung</strong>sberichte erstellt, zum Beispiel in<br />
Dortmund, München und Offenbach. Der Dortmunder <strong>Bildung</strong>sbericht<br />
zeichnet sich dadurch aus, dass er als erster <strong>Bildung</strong>sbericht einen<br />
sozialen Index hat.<br />
• Die Projekte des Bundesministeriums für <strong>Bildung</strong> und Forschung,<br />
„Lernende Regionen“ und „Lernen vor Ort“, werden vom Städtetag<br />
unterstützt.<br />
In vielen Regionen bestehen Kooperationsverträge zwischen Trägern<br />
außerschulischer <strong>Bildung</strong> und Schulen, zwischen Musikschulen und<br />
dem Land, Bibliotheken und Schulen, Medienzentren und Schulen,<br />
Volkshochschulen und Schulen. Im vorschulischen Bereich haben sich<br />
Sprachtests (flächendeckend) und Sprachförderung durchgesetzt. Diskussionen<br />
um und Umsetzung von flexibleren Schulorganisationen und<br />
Schulstrukturen im Sinne eines längeren gemeinsamen Lernens und<br />
größerer Durchlässigkeit indizieren einen Paradigmenwechsel. Wenn<br />
man die Entwicklung der Hauptschule betrachtet, zeigt sich, dass in<br />
zehn von 16 Bundesländern keine „reine“ Hauptschule mehr vertreten<br />
ist. Daran erkennt man, dass Flexibilität gefragt ist. Der <strong>Deutsche</strong> Städtetag<br />
fordert in diesem Zusammenhang mehr Optionen für Schulträger.<br />
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sind die Träger<br />
dringend darauf angewiesen, passgenaue Lösungen vor Ort zu entwickeln.<br />
Dazu benötigen wir gesetzliche Möglichkeiten im Sinne einer<br />
Option, nicht im Sinne einer aufoktroyierten Schulstruktur.<br />
Welche Auswirkungen hat das auf die Organisation Es empfiehlt sich,<br />
bildungsrelevante Ämter in der Kommunalverwaltung zu bündeln. Einige<br />
Kommunen haben das bereits gemacht, aber bei Weitem nicht alle.<br />
Es empfiehlt sich, die Verwaltungsleitung einzubinden, um eine möglichst<br />
große Durchschlagkraft für das Ziel <strong>Bildung</strong> im weitesten Sinne<br />
zu erreichen. Wichtig sind Gremien wie die <strong>Bildung</strong>skonferenz für Zielformulierungen<br />
und grundsätzliche Vereinbarungen. Für die Koordination<br />
sollte ein gemeinsames Steuerungsgremium geschaffen werden.<br />
<strong>Bildung</strong>sbüros könnten Aufgaben im Bereich der Organisation und des<br />
Managements der Zusammenarbeit wahrnehmen.<br />
Wir brauchen eine Stärkung der kommunalen Rechte in der <strong>Bildung</strong>,<br />
insbesondere mehr Gestaltungs- und Beteiligungsrechte im Schulwesen.<br />
Wir benötigen gesetzliche Neuregelungen, insbesondere für das<br />
schulische Ergänzungspersonal. Die Differenzierung in innere und äußere<br />
Schulangelegenheiten ist nicht mehr zeitgemäß. Früher war richtig,<br />
dass die Kommune nur für Schulgebäude und Hausmeister zuständig<br />
ist, doch das ist heute nicht mehr so und deswegen kann man mit<br />
dieser Differenzierung nicht mehr arbeiten, deshalb ist auch in diesem<br />
Bereich eine Überarbeitung notwendig.<br />
Außerdem ist eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen unerlässlich,<br />
Konnexität gehört dazu. Kommunen sind bereit, teilweise<br />
in Vorleistung zu gehen. Ich erinnere an das heikle Thema Schulmahlzeiten<br />
für alle, besonders für bedürftige Kinder. Da werden vor Ort<br />
pragmatische Lösungen gefunden, es wird bezahlt, es werden Paten gesucht<br />
und von daher gibt es zahlreiche Vorleistungen.<br />
Notwendige Voraussetzung für weitergehende Änderungen ist der Aufbau<br />
eines kommunalen <strong>Bildung</strong>smonitorings als Steuerungsgrundlage<br />
in Kooperation mit Bund und Ländern. Zwei Fragen zum Schluss: Muss<br />
Schule kommunalisiert werden Ich weiß es nicht, da bin ich unsicher.<br />
Was dafür spräche, zeigen <strong>Bildung</strong>sstudien, dass gerade Länder, die<br />
kommunalisiert haben, sehr gute <strong>Bildung</strong>serfolge vorweisen konnten.<br />
Und als Letztes: Muss die Schulaufsicht dezentralisiert werden Das ist<br />
wichtig, weil <strong>Bildung</strong> letztendlich vor Ort entschieden wird. Wir haben<br />
Kontrollmechanismen wie die Zentralprüfung, das Zentralabitur. Wir<br />
haben Lernstandsvergleiche und -erhebungen, das soll so bleiben. Das<br />
sind Qualitätsmesser, aber alles andere soll bitte von unten kommen.<br />
10
B Foren<br />
In den Foren stand jeweils ein Thema im Mittelpunkt, das im Kontext lokaler <strong>Verantwortungsgemeinschaften</strong><br />
eine besondere Herausforderung darstellt. Zu jedem Themenschwerpunkt stellten<br />
zwei Kommunen Erfahrungen aus ihrer Praxis dar. Im Anschluss – und als Einstieg in die Diskussion<br />
– gab ein Experte ein fachliches Feedback zu den Präsentationen.<br />
11
Forum 1<br />
Jeder Lernende ist besonders.<br />
Individuelle <strong>Bildung</strong>sverläufe begleiten<br />
Vernetzung von <strong>Bildung</strong>seinrichtungen auf lokaler Basis bietet besondere<br />
Chancen hinsichtlich eines Paradigmenwechsels hin zu einer Gestaltung<br />
des <strong>Bildung</strong>swesens entlang der <strong>Bildung</strong>swege junger Menschen.<br />
Die Praxisbeispiele verdeutlichen, wie der Ansatz individueller Förderung<br />
bei der Gestaltung von Übergängen berücksichtigt werden kann.<br />
Kommune 1:<br />
Steckbrief der Stadt Weiterstadt, Hessen<br />
Die Stadt Weiterstadt liegt zentral im Rhein-Main-Gebiet und in dem<br />
Großraum Rhein-Neckar. Ein dichtes Autobahnnetz verbindet Weiterstadt<br />
mit wichtigen Zentren in der Region. Auch mittels öffentlicher<br />
Verkehrsmittel ist die Region Rhein-Main gut vernetzt.<br />
In der Stadt leben 24.000 Einwohner/innen, davon circa 4.600 Kinder<br />
und Jugendliche bis 18 Jahre.<br />
Der Anteil ausländischer Mitbürger/innen beträgt 13,9 Prozent. 1.540<br />
Betriebe im Bereich Handel, Dienstleistung, Handwerk und Industrie<br />
beschäftigen 8.000 Arbeitnehmer, weitere 1.000 Arbeitsplätze sind geplant.<br />
Die Stadtverwaltung hat 308 Mitarbeiter, davon arbeiten 42 Prozent<br />
in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Auslöser für eine Neuorientierung waren Befunde der ersten PISA-Studie,<br />
welche die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen in Organisation<br />
und konzeptioneller Gestaltung von <strong>Bildung</strong> auf die Tagesordnung<br />
gesetzt haben. Ein zweiter Grund war die Erkenntnis,<br />
dass <strong>Bildung</strong>skonzepte in einer globalen Wissensgesellschaft nicht auf<br />
Schule verengt werden dürfen, sondern die Gesamtheit der Lebenssituationen<br />
von Kindern und Jugendlichen im Blick haben müssen, und<br />
dass hierfür die Kommune als Lernort von zentraler Bedeutung ist.<br />
In der Stadt existieren zwei Gesamt-, vier Grundschulen, eine Förderschule,<br />
16 Kindertageseinrichtungen sowie Privat- und Tagespflegeeinrichtungen<br />
der Jugendförderung. Ein kommunaler <strong>Bildung</strong>sbeirat<br />
wurde als Steuerungsinstrument von der Stadtverordnetenversammlung<br />
eingesetzt, durch ihn wird die lokale <strong>Bildung</strong>splanung koordiniert.<br />
Instrumente lokaler <strong>Bildung</strong>splanung sind Kooperationsverträge zwischen<br />
Grundschulen und Kitas zur Sprachförderung, Kooperationskalender,<br />
Vereinbarung Jugendförderung – Gesamtschule – Kirche zur<br />
Förderung der Schulsozialarbeit, <strong>Bildung</strong>sforen, Konzept Schulsozialarbeit<br />
und <strong>Bildung</strong>sgesamtplan 2005-2010.<br />
Arbeitsstruktur Weiterstadt<br />
12
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte der lokalen<br />
<strong>Bildung</strong>spolitik<br />
• Konsistenz der <strong>Bildung</strong>sverläufe und Verhinderung von Selektion,<br />
• Entwicklung integrierter Lernkonzepte, die sich an den individuellen<br />
Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientieren,<br />
• Partizipation von Kindern und Jugendlichen sowie deren Erziehungsberechtigten<br />
bei der Gestaltung von <strong>Bildung</strong>sprozessen,<br />
• Entwicklung eines Handlungsleitfadens zur Förderung und Dokumentation<br />
individueller Lernbiografien von Kindern und Jugendlichen<br />
(Instrumente, Verfahren, Kriterien, Inhalte, Verwendung),<br />
• Gestaltung aktiver Vernetzung zwischen den einzelnen <strong>Bildung</strong>strägern<br />
vor Ort, insbesondere an den Schnittstellen der Übergänge zwischen<br />
den Systemen (Aufbau einer lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaft durch<br />
Kooperation von Schule und Jugendhilfe).<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Die Stadt Weiterstadt hat sich im Rahmen eines <strong>Bildung</strong>skonzeptes verpflichtet,<br />
sozialpädagogische Fachkräfte in Schulen einzubinden. Es gibt<br />
einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, bis 2013 die Horte<br />
weitgehend aufzulösen und die personellen Ressourcen in die schulische<br />
Entwicklung von Ganztagsschulen zu integrieren. Zurzeit sind<br />
acht Personalstellen mit sozialpädagogischem Know-how in den Schulen<br />
vor Ort vorhanden. Eine zentrale inhaltliche Voraussetzung für die<br />
Unterstützung ist, dass die Schulen sich gemeinsam mit der Stadt verpflichten,<br />
integrierte Lernkonzepte einzusetzen. Das heißt, kein additives<br />
Modell, morgens Lehrer, mittags Sozialarbeiter, sondern ganzheitlich<br />
zu arbeiten im Verständnis emotionaler, sozialer und kognitiver<br />
<strong>Bildung</strong>. Das ist die eine Ebene, die zweite ist die Entwicklung der Kindertagesstätten<br />
zu Familienzentren. Dazu existiert seit etwa einem Jahr<br />
eine Zukunftswerkstatt, in der alle Beteiligten eingebunden sind und<br />
ein Konzept erarbeitet haben, das der Stadtverordnetenversammlung<br />
vorgelegt wird. Das sind die zwei zentralen strategischen Stränge der<br />
Entwicklung im Kinder- und Jugendhilfebereich und dort fügt sich das<br />
Programm „Lebenswelt Schule“ als verbindende konzeptionelle Klammer<br />
ein. Alle Schulen der Stadt Weiterstadt sind in das hessische Ganztagsprogramm<br />
aufgenommen worden. Der Kreis als Schulträger wird in<br />
den nächsten Jahren 16 Millionen Euro in Schulbauten sowie in die Infrastruktur<br />
für den Ausbau von Ganztagsangeboten investieren.<br />
Bedingungen für das Programm „Lebenswelt Schule“ waren aktive Teilnahme,<br />
Benennung von Verantwortlichen für das Projekt sowie die Bereitschaft<br />
zur Implementierung, Evaluation und Dokumentation der<br />
Ergebnisse im Prozessverlauf. Sieben Schulen der Stadt und 13 Kindertageseinrichtungen<br />
haben sich beworben und wurden in das Programm<br />
aufgenommen. Damit ist eine breite Beteiligung gewährleistet. Derzeit<br />
wird in drei Arbeitsgruppen ein Leitbild entlang der zentralen Begriffe<br />
eines veränderten <strong>Bildung</strong>skonzeptes diskutiert, nämlich individuelle<br />
Förderung, Partizipation, Kompetenzen und Ressourcen. Im <strong>Bildung</strong>sgesamtplan<br />
2005-2010 wurde bereits ein Konzept entwickelt, in dessen<br />
Zentrum Kinder und Jugendliche mit ihren Zukunftschancen in den jeweiligen<br />
Systemen stehen. Sie stellen den leitbildorientierten Referenzraum<br />
für Veränderung dar. Die Basis ist ein Verständnis von <strong>Bildung</strong>,<br />
das Kinder als selbstaktive Lerner sieht, die sich in Auseinandersetzung<br />
mit ihrer Umwelt Wissen und Erkenntnis aneignen.<br />
Darüber hinaus soll die Lernumgebung von Kindern und Jugendlichen<br />
erfasst und ein System für Lerndokumentationen entwickelt werden.<br />
Die Idee gleicher Beschulbarkeit und eines äußeren Messens von Lernerfolgen,<br />
die vor allem in Schulen kultiviert wird, wurde aufgegeben zugunsten<br />
einer auf das Kind und seine Lernumgebung bezogenen Dokumentation<br />
von Lernentwicklung.<br />
Die <strong>Deutsche</strong> Kinder- und Jugendstiftung ist Partner des kommunalen<br />
<strong>Bildung</strong>sbeirats, der für die Steuerung des Programms zuständig ist. Als<br />
hilfreich erweist sich die Prozessbegleitung mit einem professionellen<br />
Blick von außen. Sie ist ein wichtiger Gelingensfaktor. Neben anderen<br />
Arbeitsgremien bzw. –strukturen ist ein „Resonanzforum“ in der Planung,<br />
in dem speziell die Leitungen der Einrichtungen zusammengefasst<br />
werden, weil diese in der Konzeptions- und Organisationsentwicklung<br />
und im Transfer der Ergebnisse eine entscheidende Rolle spielen.<br />
Um einen Paradigmenwechsel bei der Gestaltung von <strong>Bildung</strong>sverläufen<br />
herbeizuführen, die das Kind und seine Entwicklungsbedarfe in<br />
den Mittelpunkt rücken, müssen Kooperations- und Kommunikationsstrukturen<br />
zwischen den unterschiedlichen <strong>Bildung</strong>strägern vor Ort geschaffen<br />
werden. Ein wichtiges Moment der Entwicklung in den Kitas<br />
ist die Dokumentation von Lerngeschichten, die konstruktiv im Dialog<br />
mit Kindern und Eltern genutzt werden, wobei innerhalb der Kitas<br />
durchaus erhebliche Unterschiede bestehen. Am weitesten entwickelt<br />
ist die Qualität da, wo Erzieherinnen ihre Rolle als Lernbegleiterinnen<br />
definiert haben, weg von der Animationspädagogin hin zu einer ressourcenorientierten,<br />
wertschätzenden Haltung Kindern gegenüber.<br />
Dazu sind Kooperationen erforderlich, die tragfähig sind. Diese müssen<br />
strukturell verortet und durch verbindliche Vereinbarungen und Steuerungsinstrumente<br />
abgesichert sein.<br />
Eine zentrale Herausforderung, die noch nicht gelöst ist, ist die Frage,<br />
wie der kommunale Dialog eine praktische Dimension, in dem Sinn,<br />
dass er für alle Beteiligten Bestandteil der Alltagspraxis wird, gewinnt.<br />
Es ist noch nicht so weit, dass das, was im Moment in Kitas an Lerndokumenten<br />
entwickelt wird, in den Schulen als interessant empfunden<br />
wird. Das ist ein zentraler Punkt, der ein Indikator ist, am Ende des Programms<br />
„Lebenswelt Schule“ zu schauen, ob in dieser Hinsicht ein entscheidender<br />
Schritt gelungen ist. Eine andere Fragestellung ist, welche<br />
Erfahrungen es im Hinblick auf den Transfer individueller <strong>Bildung</strong> in<br />
die Alltagspraxis von Einrichtungen, insbesondere in Schulen, und wie<br />
entwickelt sich die Diskussion über die Veränderung von Lernsettings,<br />
um individuelle Förderung überhaupt möglich zu machen<br />
13
14<br />
Kommune 2:<br />
Steckbrief der Stadt Wiesbaden, Hessen<br />
Wiesbaden ist Sitz der hessischen Landesregierung und wichtiger Bundesbehörden.<br />
Die Stadt hat über 275.000 Einwohner. Wanderungsgewinne<br />
aufgrund der guten Arbeitsmarktsituation und Wohnlage im<br />
prosperierenden Rhein-Main-Gebiet führen zu einem leichten und<br />
kontinuierlichen Bevölkerungswachstum. Die Branchenstruktur ist<br />
überdurchschnittlich durch öffentliche und private Dienstleistungen,<br />
unternehmensbezogene Dienstleistungen und Banken/Versicherungen<br />
geprägt. Die Stadt verfügt einerseits über eine kaufkräftige Bevölkerung,<br />
aber andererseits über eine recht große Armutsbevölkerung. Die Arbeitslosigkeit<br />
beträgt 7,2 Prozent, wobei 76,4 Prozent der Arbeitsuchenden<br />
im Rechtskreis des SGB II sind und im Rahmen der so genannten<br />
Option von der Kommune in alleiniger Verantwortung betreut werden.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Die Verbesserung der <strong>Bildung</strong> und Ausbildung der Bevölkerung ist die<br />
zentrale Herausforderung der Stadt. Einerseits hat sie ein gutes Angebot<br />
an qualifizierten Arbeitsplätzen, insbesondere in den Dienstleistungsbranchen,<br />
andererseits verfügen viele Schulabgänger und Arbeitsuchende<br />
nicht über die im Arbeitsmarkt benötigte <strong>Bildung</strong> und Ausbildung.<br />
Seit den 70er-Jahren hat die kommunale Jugendhilfe in enger<br />
Kooperation mit den Schulen an mittlerweile neun Haupt-, Integrierten<br />
Gesamt- und Förderschulen Schulsozialarbeitsprojekte eingerichtet, die<br />
circa 80 Prozent der Schüler/innen in <strong>Bildung</strong>sgängen zum Hauptschulabschluss<br />
erreichen. Aus der Kinder- und Jugendhilfe und der Sozialhilfe<br />
heraus wurde mit der Ausbildungsagentur der Landeshauptstadt<br />
Wiesbaden (1998) eine Case Management- und Vermittlungsagentur<br />
durch freie Träger gegründet, die aktuell für alle arbeitsuchenden SGB<br />
II-Hilfeberechtigten unter 25 Jahren und für die berufliche Förderung<br />
der Jugendlichen aus der Jugendsozialarbeit und den Hilfen zur Erziehung<br />
Orientierungs-, Qualifizierungs- und Ausbildungsangebote vermittelt,<br />
begleitet und koordiniert.<br />
Angesichts des hohen Qualifikationsbedarfs bietet die kommunale Jugendhilfe<br />
jährlich fast 200 duale Ausbildungsplätze und weitere 60 duale<br />
Ausbildungsplätze im Rahmen des SGB II für junge Menschen mit<br />
besonderen Förderbedarfen in der Wiesbadener Jugendwerkstatt. Eine<br />
grundständige berufliche Ausbildung steht im Mittelpunkt der kommunalen<br />
Förderstrategien der Jugendhilfe und des SGB II. Die Landeshauptstadt<br />
Wiesbaden hat deshalb seit 2003 die langjährige Jugendhilfeund<br />
Sozialberichterstattung durch ein kontinuierliches Berichtswesen<br />
zur <strong>Bildung</strong>sbeteiligung sowie zur Migrantenintegration ergänzt.<br />
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte der lokalen<br />
<strong>Bildung</strong>spolitik<br />
• Im Rahmen der kommunalen Kinder-, Jugend-, Sozial- und Beschäftigungspolitik<br />
steht die Verbesserung der <strong>Bildung</strong>sbeteiligung, der<br />
Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Fokus zahlreicher<br />
Hilfeprodukte.<br />
• In der Eltern- und Familienbildung wird ein Rahmenkonzept „zielgruppenorientierte<br />
Elternbildung“ für bildungsferne und einkommensschwache<br />
Zielgruppen umgesetzt.<br />
• Mit allen Kindertagesstätten wurden einheitliche <strong>Bildung</strong>sstandards<br />
vereinbart, ein verbindliches Sprachscreening und Förderangebote<br />
eingeführt. Ein flächendeckendes Übergangsmanagement von der<br />
Kita in die Grundschule wurde mit einem Kooperationskalender etabliert.<br />
Es wird von der Schulverwaltung und der kommunalen Jugendhilfe<br />
gesteuert.<br />
• Grundschulen in Stadtteilen mit besonderen sozialen Bedarfslagen<br />
wurden und werden als „Betreuende Grundschulen“ ausgestaltet, die<br />
mit sozialpädagogischen Fachkräften der Jugendhilfe Tagesbetreuung<br />
und Hausaufgabenhilfe in Kooperation mit der Schule anbieten.<br />
• Stadtweit und Zielgruppen übergreifend werden die Programme und<br />
Aktivitäten aller Akteure im Übergangsfeld Schule – Beruf über eine<br />
zweimal jährlich tagende Ausbildungskonferenz des Oberbürgermeisters<br />
koordiniert.<br />
• Das Kompetenz-Entwicklungs-Programm (KEP) der Schulsozialarbeit<br />
hat das Ziel, allen Schülerinnen und Schülern mit Hauptschulperspektive<br />
individuelle Förderung und Hilfen im Übergang Schule-<br />
Beruf anzubieten.<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Das KEP beginnt in der 8. Klasse mit einem Kompetenzprofil, welches<br />
von Schule und Schulsozialarbeit erstellt und intensiv in einem Schüler-<br />
und einem Schüler/in-Eltern-Gespräch fortentwickelt wird. Im<br />
Anschluss daran erhält jeder Jugendliche entsprechend dem Entwicklungsbedarf<br />
Qualifizierungshilfen in den Bereichen Berufsorientierung,<br />
berufliche Grundqualifizierung, soziales Kompetenztraining und schulische<br />
Förderkurse. Diese Angebote ergänzen das schulische Regelangebot<br />
wie Betriebspraktika.<br />
Hauptschulabsolventen, die im Anschluss an die Schule weder einen<br />
betrieblichen Ausbildungsplatz oder einen anschließenden Schulbesuch<br />
zur mittleren Reife erhalten, werden im Rahmen des KEP von der<br />
Kompetenzagentur je nach Förderbedarf in die dualen Ausbildungsangebote<br />
des SGB VIII oder SGB II, in berufsvorbereitende <strong>Bildung</strong>smaßnahmen,<br />
in niederschwellige Trainingsangebote des SGB II- oder<br />
SGB VIII-Trägers oder in schulische Qualifizierungsangebote vermittelt<br />
und bis Ende des Kalenderjahres bei ihrem Übergang betreut. Anschließend<br />
übernehmen die Ausbildungsagentur oder die Berufsbera-
tung der Arbeitsagentur die Begleitung. Durch Übergabegespräche und<br />
persönliche Abstimmungen werden die im KEP angestoßenen individuellen<br />
Kompetenzentwicklungsstrategien in den anschließenden Systemen<br />
fortgesetzt.<br />
Experten-Feedback<br />
Dr. Hans Rudolf Leu, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut, München<br />
Was muss man machen, damit Schule das, was im Kindergarten dokumentiert<br />
wird, ernst nimmt und die Beobachtungen einen Niederschlag<br />
finden Hinter dieser Frage verbirgt sich mehr als der Übergang<br />
Kindergarten-Schule. Sie charakterisiert ein typisches Spannungsverhältnis.<br />
Die Jugendhilfe redet gerne von Ressourcenorientierung, also<br />
Stärken von Kindern in den Blick zu nehmen. Die Schule misst Outcomes:<br />
Was können Kinder gemessen an klar definierten Maßstäben<br />
Eine zentrale Aufgabe von <strong>Bildung</strong>sdokumentationen oder Portfolios<br />
ist es, Lernprozesse sichtbar zu machen, wertzuschätzen, Kindern zu<br />
spiegeln, da passiert etwas und das kannst du. Das meint Ressourcenorientierung,<br />
zu schauen, was ist an Kompetenzen vorhanden. Dies sollte<br />
ein Grundprinzip von <strong>Bildung</strong>sdokumentationen sein, die nicht an vordefinierten<br />
schulischen Inhalten ansetzen.<br />
Wenn man Lerndokumentationen erstellt, sollte man sich an bestimmten<br />
Kriterien bzw. Konzepten orientieren, die für die Darstellung<br />
von Lernprozessen bedeutsam sind. Ein solches Konzept sind die Lerndispositionen,<br />
von denen angenommen wird, dass sie grundlegende<br />
Voraussetzungen einer an Lernen orientierten Auseinandersetzung mit<br />
Umweltgegebenheiten darstellen. Entsprechend geht es darum, in Dokumentationen<br />
aufzuzeigen, in welcher Weise diese Lerndispositionen<br />
in den Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen zum Ausdruck kommen.<br />
Dazu gehört zunächst ein waches Interesse und die aufmerksame<br />
Zuwendung zu Personen und Dingen. Ein zweiter Aspekt ist die Kontinuität<br />
von Lernen, dass Kinder durchhalten, wenn es schwierig wird ,<br />
und sich nicht entmutigen lassen. Das Dritte ist, Grenzen auszutesten,<br />
auszuprobieren, was kann ich, und sich nicht einfach mit dem Ist-Stand<br />
zufrieden geben. Sich selbst einzubringen, sich auszudrücken, seine<br />
Meinung zu artikulieren, ist eine weitere Fähigkeit. Fünftens: Etwas mit<br />
anderen zu machen, die soziale Einbettung des eigenen Tuns ist entscheidend<br />
für die Ausbildung sozialer Kompetenz. Dies sind Gesichtspunkte,<br />
die für Lerndokumentationen für Kindergartenkinder sehr gut<br />
geeignet sind und mit denen Haltungen erfasst werden, die auch für das<br />
Lernen in der Schule wichtig sind. Allerdings sind sie für Schulen zu ergänzen,<br />
da schulische Curricula auch einen Wissenskanon vorschreiben,<br />
der Kindern zu vermitteln ist. Diese Differenz kann zu einer ablehnenden<br />
Haltung bei Lehrkräften führen, die etwa zu Äußerungen führt<br />
wie: „Ja, das sind zwar schöne Lerngeschichten, aber bei uns geht es um<br />
etwas ganz anderes.“<br />
Die erste Voraussetzung, um den Blick auf das Lernen der Kinder aufeinander<br />
abzustimmen, ist, dass Erzieherinnen und Grundschullehrkräfte<br />
sich zusammensetzen, austauschen, was aus ihrer Sicht wichtig<br />
ist, was sie wertschätzen, und dass man die jeweiligen Kriterien als relevant<br />
anerkennt. Zu berücksichtigen ist auch, dass das Lernen von Kindern<br />
sich mit dem Alter verändert. Kleinkinder bis zum Alter von ungefähr<br />
sechs Jahren, also bis zum Ende des Kindergartens, lernen im<br />
Wesentlichen beiläufig. Sie müssen eine Lernumgebung, ein Tätigkeitsfeld<br />
haben, wo sie vieles ausprobieren können und dadurch lernen sie.<br />
Lernen ist der Effekt von Aktivitäten, die sie durchführen.<br />
In der Schule fängt intentionales Lernen dann an, wenn Schülerinnen<br />
und Schüler sich bestimmte Inhalte aneignen müssen. Es gibt Kinder,<br />
die machen das gerne, und es gibt welche, die finden das vor allem anstrengend.<br />
Diese Unterschiede muss man akzeptieren und schauen, wie<br />
man damit umgeht. Wichtig ist, dass es mit Lerndokumentationen oder<br />
Portfolios gelingt, für jedes Kind zu zeigen, dass es etwas kann, dass es<br />
schon erfolgreich gelernt hat und dass man Kinder nicht in erster Linie<br />
an dem misst, was Schule an sie heranträgt. Die Botschaft ist bei dem<br />
Übergang Schule–Beruf gleichlautend: Lerndokumentationen dienen<br />
dazu, den Jugendlichen zu zeigen, ich kann lernen, und ihnen in der Reflexion<br />
zu zeigen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Strategien<br />
sie besonders erfolgreich sind. Lernbiografien sind ein Instrument,<br />
um die Reflexion von Lernen zu fördern. Dazu gehört auch, dass Fachkräfte<br />
sich untereinander über Lerndokumentationen verständigen und<br />
dabei die Fremd- und Selbsteinschätzung der Kinder bzw. Jugendlichen<br />
justieren. Die Zusammenarbeit mit Eltern in diesem Prozess ist ein wesentlicher<br />
Bestandteil für ein erfolgreiches Lernsetting.<br />
Lerndokumentationen sind sinnvoll und wichtig, um den individuellen<br />
<strong>Bildung</strong>sgang in den Fokus zu stellen. Lerndokumentationen haben<br />
nicht nur einen Wert an sich, sondern sind ein Instrument, um<br />
Lernprozesse voranzubringen, durch die motivierende Wertschätzung<br />
seitens der Erwachsenen, die darin zum Ausdruck kommt, durch die<br />
Unterstützung von Reflexionsprozessen bei den Lernenden und nicht<br />
zuletzt auch durch Hinweise darauf, welches für das jeweilige Kind, den<br />
jeweiligen Jugendiichen besonders günstige Lernbedingungen sind, die<br />
nach Möglichkeit geschaffen werden sollten.<br />
15
16<br />
Diskussion<br />
Fragen an den Experten:<br />
Welche Herausforderungen ergeben sich in der Praxis der <strong>Bildung</strong>sund<br />
Lerngeschichten am Übergang Kita-Grundschulen zum Beispiel<br />
bei schwierigen Lernbiografien<br />
Wenn ein Kind sich mit bestimmten Aufgaben schwer tut oder etwa<br />
im Sozialverhalten Probleme bereitet, geht es darum, dass die Fachkraft<br />
Situationen entdeckt, in denen es dem Kind gelingt, in Ansätzen<br />
eine solche Aufgabe zu lösen bzw. sozial kompetent zu handeln.<br />
Das Verhalten in dieser Situation wird dann zum Gegenstand einer<br />
Lerngeschichte, in der für dokumentiert wird, wie und unter welchen<br />
Umständen es dem Kind gelingt, an seinen „Schwächen“ zu<br />
arbeiten. Eine solche Lerngeschichte stärkt und motiviert das Kind<br />
und wichtige Informationen, worauf bei der Förderung zu achten<br />
ist, zugleich aber auch über den Entwicklungsstand des Kindes. Das<br />
ist eine intensive pädagogische Arbeit, bei der man mit einer Klasse<br />
von 25 Kindern an Grenzen kommt. Ich denke, dass das Schreiben<br />
von Lerngeschichten in der Schule nicht ohne Weiteres fortgesetzt<br />
werden kann. Es gibt Lehrerinnen, die das machen, aber es existieren<br />
auch große Vorbehalte. Wichtig ist aber, dass das Prinzip der<br />
Ressourcenorientierung Einzug in die Schulen hält und so lange wie<br />
möglich gepflegt wird, auch wenn die Schule ihre Selektionsfunktion<br />
nicht abschütteln kann.<br />
Fragen an die Kommunen:<br />
Wie können wir Anknüpfungspunkte für Lerngeschichten zum Beispiel<br />
von Jugendlichen im Übergang von Schule zum Berufsleben finden, die<br />
von Betrieben oder Außenstehenden genutzt und verstanden werden <br />
Es sind nicht so sehr Lerngeschichten, die man im Übergang Schule-<br />
Beruf nutzen kann, sondern eher Produkte von Jugendlichen, die<br />
im Rahmen der Berufsorientierung entstehen, also von der Hauptschulabschlussprüfung<br />
bis zu dem, was Jugendliche ausmacht,<br />
die Selbstinszenierung. Diese Selbstinszenierung sollte man fördern,<br />
vom Breakdance bis Hardrock, und eine Öffentlichkeit dafür<br />
schaffen. Alle Jugendlichen können irgendetwas und meist unwahrscheinlich<br />
gut. Das gilt es zu unterstützen mit allen möglichen<br />
Medien, Internetauftritten, Filmen. Ich glaube, dass man in der Darstellung<br />
des Bereiches der Selbstinszenierung ein Feld für den Transfer<br />
von Lerngeschichten öffnet, der bei den Betrieben gut ankommt.<br />
Man hat versucht, Kompetenzen zu dokumentieren mit dem Ausbildungspass.<br />
Was ich von den Betrieben mitbekomme, ist, dass<br />
Schule in Betrieben gar nicht so einen guten Leumund hat und die<br />
Schulnote noch weniger. Wenn Jugendliche sich darstellen mit dem,<br />
was sie können, mit ihrer Einzigartigkeit, mit ihrem Fleiß zeigen,<br />
wie dauerhaft sie dranbleiben, dann hat das Erfolg. Wir haben zum<br />
Beispiel festgestellt in der Peer-Group-Education, in Projekten –<br />
Streitschlichter oder Dr. Make Love – , in der Sexualerziehung unter<br />
Altersgleichen, dass Schülerinnen und Schüler, die in solchen<br />
Projekten mitmachen, Schübe in ihrer Selbstdarstellungsmöglichkeit<br />
verzeichnen. Wenn man diese Prozesse dokumentiert, dann<br />
bringt das mindestens so viel wie eine Zwei in Deutsch. Präsentationen<br />
und Selbstwirksamkeitserfahrungen müssen wir unterstützen<br />
und als Lizenzgeber wirken. Das Zeugnis ist eine Lizenz mit zwar<br />
nicht so gutem Ruf, aber es ist anerkannt. Wir sollten als Lizenzgeber,<br />
das könnten durchaus auch Kommunen sein, darauf hinwirken,<br />
ein Äquivalent zum Ausbildungspass zu generieren, mit dem<br />
wir Entwicklungsprozesse beschreiben und ihren Wert dokumentieren<br />
ähnlich wie bei den Lerngeschichten.<br />
Wenn man sich das Konzept von Weiterstadt anschaut, das elaboriert,<br />
ausgefeilt ist und einen hohen Entwicklungsstand aufzeigt, dann frage<br />
ich mich, wie ist die Stadt Weiterstadt überhaupt dahin gekommen<br />
Welche Vorgeschichte haben Lerndokumentationen in der Kommune<br />
Die Aufnahme von Lerngeschichten und von <strong>Bildung</strong>saspekten im<br />
Jugendhilfebereich ist über die Trägerebene forciert worden. Im<br />
Zuge der <strong>Bildung</strong>sdebatte haben wir gefragt, was für Rahmenbedingungen<br />
braucht frühe <strong>Bildung</strong>, das war eine Ausgangsfrage, die<br />
mit der Politik kommuniziert wurde, und das Zweite waren Qualifizierungsmaßnahmen.<br />
Wir haben mit gezielten Qualifizierungsmaßnahmen<br />
für Erzieherinnen das Thema in diese Richtung implementiert.<br />
Es wurden normierte Rahmenstrukturen definiert, es gibt<br />
zum Beispiel eine klare Regelung für Freistellungen. Wir haben für<br />
jede Erzieherin 25 Prozent Verfügungszeiten. Das ist festgelegt, beschlossen<br />
und politisch gewollt. Es ist Aufgabe des Trägers, für Kindertageseinrichtungen<br />
Zielorientierungen vorzugeben und Rahmenbedingungen,<br />
Qualifizierungen, Zeit- sowie Personalressourcen<br />
bereitzustellen, um das Konzept dann auch umzusetzen.
Forum 2<br />
Kein Kind soll verloren gehen.<br />
Was muss vor Ort passieren, damit Integration gelingt<br />
Integration von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem sozialen,<br />
familiären und kulturellen Hintergrund ist eines der zentralen<br />
Motive, die zum Aufbau lokaler Verantwortungsnetze führen. In dem<br />
Forum wurden zwei Ansätze vorgestellt, bei denen das Thema Integration<br />
einen wichtigen Raum einnimmt.<br />
Kommune 1:<br />
Steckbrief Reuterkiez Berlin-Neukölln –<br />
Ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong><br />
In Neukölln leben insgesamt 303.109 Einwohner/innen, davon sind<br />
22 Prozent nicht deutscher Herkunft. Im Bezirk sind 55.000 Arbeitsuchende<br />
gemeldet. Der Reuterkiez hat 18.900 Einwohnerinnen und<br />
Einwohner, der Anteil der Bewohner nicht deutscher Herkunft ist im<br />
Kiez deutlich höher als im Bezirk. Jedes zweite Kind bzw. jeder zweite<br />
Jugendliche empfängt staatliche Transferleistungen.<br />
85 Prozent der Jugendlichen melden sich mit der 7. Klasse in Sekundarschulen<br />
anderer Bezirke an, davon kehrt etwa die Hälfte wieder in<br />
Neuköllner Schulen zurück (2007).<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte lokaler<br />
<strong>Bildung</strong>spolitik<br />
• Fördermaßnahmen<br />
• Lernkultur und Kultur der Einrichtung<br />
• Aktivierung und Beteiligung von Eltern<br />
• Kooperation der Einrichtungen miteinander<br />
• Schritte gemeinsamer Qualitätsentwicklung<br />
• Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen<br />
und Erziehern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Die wesentlichen Anschlussstellen für das Projekt sind <strong>Bildung</strong>sinstitutionen<br />
im Stadtteil. <strong>Bildung</strong>sinstitutionen sind Schulen, Einrichtungen<br />
der Jugendhilfe, Kindertagesstätten sowie weitere Akteure, die im Umfeld<br />
des Quartiersmanagements <strong>Bildung</strong> erbringen. Die freien Träger<br />
vereinigen relativ viele Akteure. All diese verbünden sich im Quadratkilometer<br />
<strong>Bildung</strong>. Es ist dem Ursprung nach kein kommunales, sondern<br />
ein zivilgesellschaftlich strukturiertes Projekt, das mit Unterstützung der<br />
Kommune, also von Berliner Bezirken und der Senatsverwaltung finanziert,<br />
aber im Wesentlichen durch Stiftungen getragen wird. Kernelement<br />
ist der <strong>Bildung</strong>sverbund um eine Schlüsselschule.<br />
Der Verbund ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong> unterteilt sich inhaltlich in<br />
vier Bereiche: Eine programmatische Ebene, Steuerungsebene, kulturelle<br />
Ebene und Leistungsebene. Diese Schlüsselbereiche sollen durch<br />
Schaubild Berlin-Neukölln<br />
17
18<br />
das Projekt ausgefüllt werden. Auf der programmatischen Ebene werden<br />
ein <strong>Bildung</strong>sdiskurs und eine Kompetenzschärfung der einzelnen<br />
Einrichtungen innerhalb des Stadtteils angestrebt. Das Projektziel<br />
besteht darin, der Fragmentierung entgegenzuwirken und ein gemeinsames<br />
<strong>Bildung</strong>sverständnis zu entwickeln. Die Steuerungsebene<br />
arbeitet im Hinblick darauf, den Ressourcenkontakt und die Verantwortungsstruktur<br />
zu verbessern, mit dem Ziel, Qualitätsentwicklung<br />
in Kitas, Jugendhilfeeinrichtungen und Schulen sowie Kooperation im<br />
Stadtteil voranzutreiben. Auf der kulturellen Ebene geht es um Entwicklungsorientierung<br />
und Teamkultur. Die Anerkennungsbilanzen von<br />
Lehrerinnen und Lehrern zu erhöhen, zu einer Kultur der Kooperation<br />
zu kommen, ist ein erklärtes Projektziel. Die Leistungsebene umfasst<br />
Struktureffekte mit der Intention sozialer Integration und Inklusion.<br />
Es gibt in den Quartieren ein eigenes Instrument: die pädagogische<br />
Werkstatt. Das ist ein Ort, den Lehrkräfte, Eltern, Erzieher für Qualifizierung,<br />
Austausch, für Sitzungen nutzen können und der ein eigenes<br />
Fortbildungsangebot enthält. Gemeinsam mit Pädagogen und Erziehern<br />
werden diagnosegestützt Praxismodelle entwickelt und versucht,<br />
sie sehr schnell in Kitas oder Schulen umzusetzen. Ein Quadratkilometer<br />
<strong>Bildung</strong> versteht sich als lokales <strong>Bildung</strong>ssystem, das grundsätzlich<br />
von der Bedürfnisperspektive der Kinder und Jugendlichen ausgeht<br />
und sie gleichzeitig integriert, um vorhandene Lösungsansätze und<br />
neue Modelle zu entwickeln. Der Verbund aktiviert Eltern als <strong>Bildung</strong>spartner<br />
und verfügt über ein lokales Unterstützungssystem wie die pädagogische<br />
Werkstatt. Ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong> setzt auf eine Kultur<br />
der Verabredung, Anerkennung und Wertschätzung und steht mit<br />
verwandten Projekten im regionalen und überregionalen Austausch.<br />
Es wurde ein zusätzliches Steuerungsinstrument entwickelt. Über<br />
ein Jahr lang haben wir mit Akteuren, mit Erzieherinnen und Lehrerinnen<br />
daran gearbeitet, einen Qualitätskatalog, einen Kriterienkatalog<br />
zu schaffen, der gleichermaßen für Kindertagesstätten, Schulen<br />
und Jugendhilfeeinrichtungen gilt. Das ist ein Verfahren, das alle drei<br />
Einrichtungstypen gleichermaßen nutzen können, von den jeweiligen<br />
Fachaufsichten assistiert, und es ist tatsächlich ein einfach handhabbares<br />
Selbstevaluationsverfahren. Zu den wesentlichen Gelingensbedingungen<br />
des Projektes gehören Autonomie und Selbsterfahrung sowie<br />
die Integration unterschiedlicher Perspektiven der verschiedenen<br />
Akteure. Die damit einhergehenden Spannungen und Konflikte bergen<br />
jedoch auch Risiken für das Projekt. Es ist mit einer Vielzahl von durchaus<br />
auch notwendigen Interventionen Dritter konfrontiert, denen sich<br />
vor allem Schulen und Kitas – häufig verbunden mit einem hohen Zeitdruck<br />
– ausgesetzt sehen. Es muss sich mit den daraus folgenden Belastungen<br />
auseinandersetzen und unterstützend wirken.<br />
Kommune 2:<br />
Steckbrief des Fachbereichs Schule und<br />
des Regionalen <strong>Bildung</strong>sbüros Dortmund<br />
Dortmund ist mit rund 587.000 Einwohnern (2008) die zweitgrößte<br />
Stadt in Nordrhein-Westfalen und liegt am östlichen Rand des Ruhrgebiets.<br />
Die Bevölkerungszahl ist seit dem Jahre 2000 nahezu konstant<br />
geblieben. Die auch in Dortmund zurückgehende Geburtenzahl wurde<br />
bisher durch eine positive Wanderungsbilanz ausgeglichen. Mit dem<br />
demografischen Wandel werden die Schülerzahlen in den nächsten Jahren<br />
spürbar zurückgehen. An den Grundschulen ist in den kommenden<br />
zehn Jahren mit einem Rückgang der Schülerzahlen von rund zehn<br />
Prozent zu rechnen. Die Arbeitslosenquote in Dortmund lag 2008 bei<br />
14 Prozent. Rund ein Viertel der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Dortmund ist von einem tiefgreifenden Strukturwandel betroffen, den<br />
die Stadt in den vergangenen drei Jahrzehnten zu bewältigen hatte und<br />
der noch nicht abgeschlossen ist. Mit den vielfältigen Herausforderungen<br />
ist die Erkenntnis gewachsen, dass Schulentwicklung im engen<br />
Zusammenhang mit Stadtentwicklung zu betrachten ist. Im Jahr 2000<br />
fasste der Rat der Stadt Dortmund einen Beschluss zur Förderung innovativer<br />
Schulentwicklungen. Der Oberbürgermeister berief eine Dortmunder<br />
<strong>Bildung</strong>skommission ein, in der Interessenpartner aus Schule,<br />
Wissenschaft, Wirtschaft, Kirchen, Verbänden, Elternschaft und andere<br />
mitwirken. Unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern wurde in<br />
einem dialogischen Verfahren 2002 ein Leitbild „Schulstadt Dortmund“<br />
erarbeitet, das seitdem als Orientierungsrahmen für die Aktivitäten zur<br />
Weiterentwicklung der Schullandschaft dient. Schulverwaltung, Schulaufsicht<br />
und Schulen entwickelten ein neues Selbstverständnis als Verantwortungsgemeinschaft.<br />
In einer Schulkoordinierungskonferenz<br />
arbeiten die Sprecher der Schulformen, Schulaufsicht und Schulverwaltung<br />
zusammen. 2003 wurde ein Regionales <strong>Bildung</strong>sbüro als Unterstützungssystem<br />
eingerichtet. Zu Beginn des Jahres 2008 veröffentlichte<br />
die Stadt Dortmund ihren ersten kommunalen <strong>Bildung</strong>sbericht.<br />
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte lokaler<br />
<strong>Bildung</strong>spolitik<br />
Ziel ist die Entwicklung einer regionalen <strong>Bildung</strong>slandschaft, in der die<br />
verschiedenen lokalen Aktivitäten vernetzt sind. Jedem jungen Menschen<br />
sollen Zukunftschancen eröffnet werden. Dazu sind gute Schulen<br />
notwendig. Die Stadt Dortmund will die Selbstständigkeit der einzelnen<br />
Schulen stärken und sie bei der Schulentwicklung aktiv unterstützen.<br />
Im Kontext von Integration haben sich folgende Organisationsformen,
Projekte und Schwerpunkte entwickelt, die breite Wirkung in der regionalen<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft zeigen:<br />
• Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen<br />
mit Migrationshintergrund (RAA)<br />
• Schulsozialarbeit an Schulstandorten mit besonderen Belastungen<br />
• Projekt „Zeitgewinn“ zur Optimierung des Übergangs von der Schule<br />
in die Arbeitswelt<br />
• Schulentwicklungsfonds zur Förderung innovativer Schulprojekte<br />
• Entwicklung und Unterstützung von Schulnetzwerken (Sprachförderung,<br />
Gewaltprävention, Berufsorientierung)<br />
• Lernmittelfonds zur Unterstützung von Kindern aus armen Familien<br />
• Ausweitung schulischer Ganztagsangebote<br />
• Kooperation mit Trägern der Jugendhilfe<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Auf der Grundlage der Dortmunder Handlungsstrategien sind vielfältige<br />
Maßnahmen und Projekte zur Förderung qualitativer Schulentwicklung<br />
entstanden. Als das Modellvorhaben „Selbstständige Schule“<br />
ausgeschrieben wurde, war Dortmund eine der ersten Regionen, die<br />
sich beworben hat. Sie ging 2004 mit 27 Modellschulen an den Start. Im<br />
Mai 2008 ist das Projekt beendet worden, zu diesem Zeitpunkt waren 83<br />
Schulen beteiligt, fast die Hälfte aller Dortmunder Schulen. Die Organisation<br />
des Fachbereichs Schule als staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft<br />
mit Schulformen und Institutionen übergreifender<br />
Kommunikation und Kooperation wurde akzeptiert und hat zu einer<br />
spürbaren Verbesserung geführt. Stadt und Land arbeiten unter gleichen<br />
Zielvorstellungen zusammen, alle Dortmunder Schulen sind am<br />
Dialog beteiligt. Der kommunale <strong>Bildung</strong>sbericht weist aus, dass dies<br />
inzwischen zu messbaren Ergebnissen führt.<br />
In Dortmund wurde ein Regionales <strong>Bildung</strong>sbüro als Unterstützungssystem<br />
eingerichtet, das projektbezogen zu bestimmten Entwicklungsschwerpunkten<br />
arbeitet, welche die <strong>Bildung</strong>skommission für die Region<br />
als besonders wichtig identifiziert hat. Das <strong>Bildung</strong>sbüro hat sich zu einer<br />
kommunalen Koordinierungsstelle entwickelt, deren zentrale Aufgabe<br />
es ist, das System Schule zu stärken und die Zusammenarbeit mit<br />
außerschulischen Partnern zu koordinieren. Allen bisher eingeleiteten<br />
Maßnahmen und Projekten liegen Kooperationsvereinbarungen zugrunde.<br />
Besonderer Wert wird auf die Evaluation und Selbstevaluation<br />
von Schulen gelegt. Qualifizierung bedeutet in diesem Kontext,<br />
dass Lehrkräfte in Teamarbeit, Projektmanagement und Evaluation geschult<br />
werden. Es wurden schulische Steuergruppen in 14-tägigen Fortbildungen<br />
und Koordinatoren zur schulischen Selbstevaluation ausgebildet.<br />
Die Diskussion um die Entwicklung von Unterricht hatte und hat<br />
in den Dortmunder Schulen Priorität.<br />
Die Professionalisierung schulischer Steuerung ist eine wichtige Grundlage<br />
für den Erfolg der Projekte und Maßnahmen. Unterschiedliche<br />
Zuständigkeiten in der <strong>Bildung</strong>slandschaft führen jedoch an Grenzen<br />
bedingt durch institutionelle Eigeninteressen. Die kommunale Koordinierung<br />
trifft manchmal auf Widerstände, da sie zum Teil als Eingriff<br />
in Zuständigkeiten empfunden wird. Probleme gibt es vor allem dann,<br />
wenn verbindliche Ressourcenvereinbarungen zu treffen sind. In Dortmund<br />
arbeitet man mit einem Anreizsystem, um solche Regelungen<br />
voranzubringen. Dazu wurde ein Schulentwicklungsfonds etabliert,<br />
mit dem innovative Projekte an Schulen gefördert werden. Die Schwerpunkte<br />
der Förderung legt die Dortmunder <strong>Bildung</strong>skommission fest,<br />
die Mittel für die Projekte stellt die Kommune auf der Grundlage eines<br />
Ratsbeschlusses zur Verfügung.<br />
Experten-Feedback<br />
Dr. Günter Warsewa, Institut Arbeit und Wirtschaft, Universität Bremen<br />
Seit den 80er-Jahren ist zu beobachten, dass sich in Stadtteilen mobilisierende<br />
Aktivitäten entfalten, zum Teil unterstützt durch verschiedene<br />
Arten von städtischen, Länder- oder Bundesinitiativen mit dem Ziel,<br />
soziale Integration in Städten zu fördern. Die Bandbreite reicht vom<br />
Quartiersmanagement bis hin zu verschiedensten Arten von Kooperationsinitiativen.<br />
Auffallend ist, dass Schulen innerhalb dieses Engagements<br />
keine besondere Rolle innehatten. Seit ein paar Jahren scheint<br />
das anders zu sein. Die Beispiele, die in diesem Forum zu hören waren,<br />
sind gut und typisch dafür, dass sich in dieser Richtung etwas verändert.<br />
Ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong>, der Reuterkiez in Berlin-Neukölln, beschreibt<br />
den Versuch, auf einer kleinräumlich organisierten Ebene<br />
Schulentwicklung mit Stadtteilentwicklung zu verknüpfen. Das Dortmunder<br />
Beispiel zeigt, wie man einen solchen Prozess von oben organisieren<br />
und befördern kann. Erfahrungen dokumentieren, dass das<br />
Zusammenspiel von beiden Ebenen ein entscheidendes ist. Daraus resultiert<br />
die Frage: Wie kann man das, was in Berlin zu sehen ist, verknüpfen<br />
mit Aktivitäten, wie sie sich in Dortmund entwickelt haben<br />
1. Gibt es so etwas wie ein Leitbild, eine Vorstellung, eine programmatische<br />
Ebene der Schulentwicklung auf Stadtebene, die man nutzen<br />
kann, um eine gemeinsame Sprache, eine Philosophie der Entwicklung<br />
für verschiedene Institutionen herzustellen In England war zu sehen,<br />
19
dass ein Regierungsprogramm auf nationaler Ebene Anstoß war für<br />
eine weitreichende Reformbewegung in den Schulen. Ein Katalysator<br />
für diese Entwicklung und hilfreich für die Kooperation der verschiedenen<br />
Institutionen und Menschen vor Ort war, dass festgelegt wurde,<br />
wie ein für alle verbindliches Programm konkret auszugestalten ist. Die<br />
gemeinsame Sprache, ein Programm und Leitbild waren entscheidende<br />
Gelingensbedingungen für die erfolgreiche Umsetzung.<br />
2. Ein anderer Punkt betrifft die Frage der Qualitätssicherung. Wie organisiert<br />
man zum Beispiel Schulwahlen Wie entstehen aus der Wahl<br />
und Entscheidung von Eltern eine Verteilung von Kindern auf bestimmte<br />
Orte und Schulen Das ist eine wesentliche Bedingung für die<br />
weitere Schul- und Stadtteilentwicklung. Die Auswahl kann man auf<br />
zwei verschiedene Arten und Weisen beeinflussen: Man kann zurückkehren<br />
zu dem klassischen Modell von Zwangsregelungen, also einer<br />
Festlegung von Schulbezirken, in denen die dort lebenden Kinder in<br />
die Schulen gehen müssen, die vorhanden sind. Heute ist diese Umsetzung<br />
nicht mehr zeitgemäß und damit auch nicht mehr realisierbar.<br />
Das heißt, man muss andere Mechanismen finden, wie man Eltern<br />
und Stadtteile darüber informieren kann, wie gut Schulen sind und<br />
wie man vernünftige Entscheidungen zur Schulwahl treffen kann. Dazu<br />
sollten Schulen Evaluationen nutzen, gleichzeitig als eine Art Anreiz zur<br />
Selbstdarstellung, nicht nur im Sinne von Selbstevaluation. Das ist die<br />
andere Option, um sich anzuschauen, was Schulen, was <strong>Bildung</strong>sstandorte<br />
leisten. Selbstverständlich muß dann auch sicher gestellt werden,<br />
dass gerade Schulen in „Problemgebieten“ wirklich ein gutes Angebot<br />
machen können.<br />
3. In beiden Beispielen wurde deutlich, dass es vor allen Dingen um die<br />
Kooperation von Schule und Jugendhilfe geht. Die ist kompliziert genug.<br />
Was man braucht und was die Beispiele aus Holland und England<br />
zeigen, ist jedoch, dass Kooperationen in einem viel weiteren Zusammenhang<br />
verstanden werden müssen. Was an fachlichen, an professionellen<br />
Ressourcen notwendig ist, wenn man biografische Orientierung<br />
ernst nehmen, wenn man Stärken stärken und nicht Defizitorientierung<br />
an den Schulen betreiben will, muss darauf hinauslaufen, viele andere<br />
Kompetenzen einzubeziehen. Wenn man Professionalität von Kompetenzen<br />
in den Schulbetrieb, in die Entwicklung von <strong>Bildung</strong>sprozessen<br />
integrieren kann, ist das eine wichtige Ergänzung und Erweiterung von<br />
<strong>Bildung</strong>smöglichkeiten und <strong>Bildung</strong>slandschaften.<br />
Diskussion<br />
Fragen an die Kommunen:<br />
Was kann man tun, um Kinder, die faktisch schlechte Ausgangschancen<br />
haben, mitzunehmen Ich sehe die Probleme der Kinder, dass sie in<br />
der Schule nicht mitkommen, ich sehe Sprachprobleme, Aggressionen<br />
und frage mich, was kann man denn tun von außen, aber auch von innen,<br />
um die Situation zu verbessern<br />
Die Stadt Dortmund hat einen Lernmittelfonds aufgelegt. Schulen,<br />
die besondere Belastungen haben, bekommen Mittel, um armen<br />
Kindern zu helfen, bestimmte Materialien oder zusätzliche Fördermaterialien<br />
anzuschaffen. Das Zweite ist, dass die Schulsozialarbeit<br />
in Stadtteilen verstärkt wird, die besondere Schwierigkeiten haben.<br />
Die Schulen erhalten zum Beispiel vermehrt Mittel für Schulsozialarbeit,<br />
für Personal und Ressourcen. Allerdings bekommen sie nur<br />
zusätzliche Gelder, wenn sie vor Ort ein passendes Konzept entwickeln.<br />
Einzelne Träger der Jugendhilfe haben festgestellt, dass ihnen ihre Klientel<br />
abhanden kommt durch die Entwicklung der Ganztagsschule. Es<br />
gab die Überlegung, was machen wir jetzt Sollen wir aufhören zu arbeiten<br />
oder wie können wir welche Projekte anbieten, damit wir bestehen<br />
bleiben Wie arbeiten die thematischen Werkstätten in Berlin<br />
Ein Quadratkilometer <strong>Bildung</strong> oder mehrere Quadratkilometer <strong>Bildung</strong><br />
funktionieren nicht ohne kommunale Begleitung. Man braucht<br />
„Kümmerer“ und Unterstützung, denn mit der Veränderung der<br />
Räumlichkeit, der Umfeldsituation allein entsteht keine soziale<br />
Stadt entwicklung, man muss in die <strong>Bildung</strong>ssysteme hineingehen, in<br />
ihre Qualitäten investieren. Ohne ein Top-down an Rahmenbedingungen<br />
ist gar nichts oder wenig zu machen. Ein wichtiger Punkt ist,<br />
dass man mit Menschen vor dem Hintergrund der sozial, kulturell<br />
relativ homogen, professionell organisierten Schule und mit Schlüsselpersonen<br />
aus den Communitys zusammenarbeitet. Die thematische<br />
Werkstatt ist ein Ort, solche Vernetzungen gemeinsam mit<br />
Akteuren aus Kindertagesstätten und Schulen herzustellen. Sie lebt<br />
davon, dass Eltern, pädagogische Fachkräfte, Schulleitungen ausgebildet<br />
werden und mit Erzieherinnen in Kindertagesstätten Projekte<br />
durchführen, die während des gesamten Prozesses durch Experten<br />
begleitet werden.<br />
20<br />
Eine Frage an das Dortmunder <strong>Bildung</strong>smonitoring. Es interessiert<br />
mich, ob dieser <strong>Bildung</strong>sbericht in Kooperation mit Projekten, Einrichtungen<br />
entstanden ist, wenn ja mit welchen und welche Kriterien hatten<br />
Sie zum Bereich Schule
Forum 3<br />
Das ist unsere Welt. Kinder, Jugendliche<br />
und Erwachsene gestalten ihre lokalen<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
Der Sozialindex des Dortmunder <strong>Bildung</strong>sberichts basiert auf einem<br />
Fragebogen, der in Hamburg bereits eingesetzt wurde. Kooperationspartner<br />
und „Macher“ ist das Institut für Schulentwicklungsforschung<br />
der Universität Dortmund. Der Fragebogen erhebt alle sozial<br />
und bildungsrelevanten Ressourcen, die Kinder haben. Es wird gefragt,<br />
wie viele Bücher gibt es bei euch zu Hause, wer hilft und unterstützt<br />
bei Schularbeiten Durch eine gute Mischung von Fragen<br />
wird alles an Ressourcen erfasst, was Kindern zur Verfügung steht.<br />
Dann wird daraus in einem sehr aufwendigen Verfahren ein Index<br />
gebildet, der wirklich schulgenau ist, so dass man Schulen typisieren<br />
kann, zum Beispiel diese Schule hat eine Schülerklientel mit hohen<br />
Belastungsfaktoren. Der Index ist ein Instrument, das man über<br />
das Institut für Schulentwicklungsforschung einsehen und nutzen<br />
kann. Die Schulen verpflichten sich im Rahmen des Projektes, ihre<br />
Entwicklungsschwerpunkte, die sie selbst gewählt haben, zu evaluieren<br />
und werden dabei unterstützt durch die Ausbildung schulischer<br />
Evaluationsberater.<br />
Eine zentrale Quintessenz der Diskussion lautet: Wie organisiert<br />
man eine ungeheuer wichtige Funktion, nämlich die des „Kümmerers“,<br />
eine Art Schnittstelle mit Übersetzungs-, Moderatorenfunktion<br />
zwischen verschiedenen Logiken, sowohl von unten nach oben<br />
als auch horizontal zwischen unterschiedlichen Einrichtungen und<br />
Interessen Es gibt Behördenlogiken und so etwas wie Vor-Ort-Logiken.<br />
Wie bekommt man die Schnittstellen so organisiert, dass sie<br />
optimal funktionieren<br />
Nur durch aktive Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen<br />
wird aus einem abstrakten Netzwerk ein Prozess, der von den<br />
Betroffenen selbst getragen und mitgestaltet wird. Der Schritt von der<br />
Beteiligung innerhalb einzelner Einrichtungen hin zur Beteiligung in<br />
komplexen Akteursnetzwerken ist eine große Herausforderung.<br />
Kommune 1:<br />
Steckbrief Bad Bramstedt und Umgebung<br />
Die Stadt Bad Bramstedt liegt als Unterzentrum im strukturschwachen<br />
nordwestlichen Teil des Kreises Segeberg am nördlichen Rand der<br />
Metropolregion Hamburg. Bad Bramstedt hatte zum Jahreswechsel<br />
2008/2009 13.569 Einwohner, davon 2.841 unter 18 Jahren (knapp 21<br />
Prozent). Die weiteren Gemeinden des Schulverbandes vereinen 6.409<br />
Einwohner. Der Rückgang der Geburtenzahlen bedeutet einen Rückgang<br />
der Schülerzahlen um mehr als ein Viertel in den nächsten sechs<br />
Jahren. Diese Entwicklung ist schon jetzt in den Kindertagesstätten und<br />
Grundschulen spürbar und wird entsprechend zeitversetzt in den weiterführenden<br />
Schulen sichtbar werden.<br />
Wichtige Arbeitgeber sind unter anderen zwei große Fachkliniken,<br />
Handel und Dienstleistung. Die Arbeitslosenquote (Stadt) von 8,6 Prozent<br />
entspricht der durchschnittlichen Quote in Schleswig-Holstein.<br />
1.500 Personen im Gebiet des Schulverbandes leben in Bedarfsgemeinschaften<br />
gemäß SGB II („Hartz IV“). Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund<br />
in den fünf Grundschulen schwankt zwischen fünf<br />
und 20 Prozent.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Zu Beginn des Jahrtausends waren Bad Bramstedt und die unmittelbare<br />
Umgebung von einer steigenden Schülerzahl geprägt. Die Schulen verteilen<br />
sich auf drei Träger: die Stadt (Realschule), der Kreis Segeberg<br />
(Gymnasium) und der Schulverband Bad Bramstedt (Hauptschule,<br />
fünf Grundschulen sowie Förderschule bzw. -zentrum). 2001/2002<br />
wurde eine gemeinsame, trägerübergreifende Schulentwicklungsplanung<br />
durchgeführt, die durch eine von Eltern ausgelöste Gesamtschuldiskussion<br />
bereichert wurde. Ein Ergebnis war die Schaffung eines institutionenübergreifenden<br />
örtlichen <strong>Bildung</strong>srates, der maßgeblich die<br />
Entstehung der offenen Ganztagsschule gefördert hat. 2006 wurde eine<br />
Kooperationsvereinbarung zwischen den Grundschulen und den Kindertagesstätten<br />
in Bad Bramstedt geschlossen. Der örtliche <strong>Bildung</strong>srat<br />
bildet die inhaltlich fachliche Klammer zwischen den Beteiligten in<br />
21
Schulen, Schulträgern, freien Vereinigungen, Verwaltungen und Kommunalpolitik.<br />
Die formellen Beschlussgremien, wie Schulkonferenzen<br />
und kommunale Ausschüsse, wurden durch den Rat in ihrer Zuständigkeit<br />
nicht tangiert. Aufgrund von Informationsveranstaltungen, breit<br />
angelegten Workshops zu dem Modell Regionales <strong>Bildung</strong>sbüro (Herford),<br />
zu lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften und zum Programm „Lebenswelt<br />
Schule“ wurde ein Lenkungskreis etabliert. Er ist das verkleinerte<br />
Pendant zum örtlichen <strong>Bildung</strong>srat; ihm obliegt die Steuerung des<br />
Projektes.<br />
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte lokaler<br />
<strong>Bildung</strong>spolitik<br />
Im Rahmen der lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaft haben sich – mit Unterstützung<br />
des Kinder- und Jugendaktionsplans des Landes Schleswig-<br />
Holstein – drei Arbeitsgruppen gebildet, die weitgehend eigenständig<br />
arbeiten. Schwerpunktthemen sind die Kooperation von Kindertagesstätten<br />
und Grundschulen, der Übergang von weiterführenden Schulen<br />
ins Berufsleben und die Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit.<br />
In einem Zielfindungsworkshop im Oktober 2008 wurden Meilensteine<br />
und Handlungsziele in Arbeitsgruppen zu den Leitthemen „Ganztägig<br />
Lernen“, „Kooperation“ und „Partizipation“ fixiert, die derzeit durch<br />
den Lenkungskreis ausformuliert werden.<br />
Ein Schülervertreter des Gymnasiums wurde in den Lenkungskreis<br />
von „Lebenswelt“ Schule aufgenommen. Bislang besteht im städtischen<br />
Fachausschuss und von Verwaltungsseite Einvernehmen darüber, dass<br />
weitere formelle Gremien nur zu einer nicht nachhaltigen Scheinpartizipation<br />
führen würden. Projektbezogene und gelungene Beispiele von<br />
Beteiligung der jüngeren Vergangenheit sind: naturnahe Umgestaltung<br />
eines Spielplatzes in einem alten Baugebiet (pädagogisch von der damaligen<br />
Leitung des Jugendzentrums begleitet); Umgestaltung des Schulhofs<br />
der Schulen am Maienbeeck (Grundschule und Förderzentrum);<br />
Kinderredaktion zur Erstellung der Festschrift „10 Jahre Grundschule<br />
am Storchennest“; Gestaltung der Skaterrampe am Freibad Roland-<br />
Oase; Mitgestaltung der Berufsinformationsmesse (Evaluation durch<br />
ein Schülerteam). Im Rahmen des „Lebenswelt-Schule“-Prozesses erarbeitet<br />
eine Arbeitsgruppe Handlungsziele im Bereich der Demokratiepädagogik.<br />
Die regelmäßigen Gesprächsrunden (Schüler/innen/vertretungen,<br />
Sprechstunden) haben gezeigt, dass der stetige Dialog zu einer deutlichen<br />
Absenkung von Kommunikationsschwellen führt. Je formeller<br />
die Anlässe wirken, desto weniger werden sie aus eigenem Antrieb<br />
wahrgenommen. In diesen Fällen bedufte es stets eines pädagogischen<br />
Anstoßes von außen.<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Paragraf 47 f der Schleswig-Holsteinischen Gemeindeordnung (GO)<br />
verpflichtet Städte und Gemeinden zur Beteiligung von Kindern und<br />
Jugendlichen. Im Bereich der weiterführenden Schulen normiert das<br />
Schulgesetz die sogenannte Drittelparität von Lehrkräften, Elternschaft<br />
und Schüler/innen/vertretung in der Schulkonferenz. Wie in den meisten<br />
Kommunen in Schleswig-Holstein fehlt in Bad Bramstedt noch ein<br />
Instrumentarium für die systematische Einbindung (im Sinne von § 47<br />
f GO) in die Bauleitplanung. Anders stellt sich die Situation im Bereich<br />
der <strong>Bildung</strong>sangelegenheiten dar: Das Konzept für die gemeinsame offene<br />
Ganztagsschule von Realschule und Hauptschule wurde durch zwei<br />
Workshops für Kinder und Jugendliche aus beiden Schulen begleitet.<br />
22<br />
Schülervertretungen bestehen an allen weiterführenden Schulen. Mit<br />
deren Vorsitzenden findet im Abstand von vier bis sechs Wochen ein<br />
Jour fixe beim Bürgermeister statt, an dem ein weiterer Mitarbeiter der<br />
Verwaltung sowie die Leitungen von Jugendzentrum und offener Ganztagsschule<br />
teilnehmen. An mindestens einer Grundschule existiert ein<br />
Kinderrat, der von der Schulleitung vor Entscheidungen gehört wird.<br />
Ferner bietet der Bürgermeister eine monatliche Sprechstunde im Jugendzentrum<br />
an. Die vor sechs Jahren eingeführte Jugendeinwohnerversammlung<br />
wird wegen der sehr unterschiedlichen Beteiligung<br />
derzeit konzeptionell überdacht.
Kommune 2:<br />
Steckbrief der Stadt Saalfeld, Thüringen<br />
Saalfeld ist die Kreisstadt des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt. In der<br />
Stadt leben 28.000 Einwohner. Die Arbeitslosenquote betrug im September<br />
2008 8,6 Prozent. Von den 3.042 Arbeitslosen waren 434 unter<br />
25 Jahre (14,3 Prozent).<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Die Arbeit in den Kitas, den Schulen, der Jugendarbeit, der Verwaltung<br />
und Politik war insbesondere in den 90er-Jahren von Veränderungsprozessen<br />
und Verunsicherungen, hervorgerufen durch demografische<br />
Entwicklung, finanzielle Engpässe und daraus folgend durch<br />
Verteilungskämpfe, geprägt. Schließungen und Zusammenlegungen<br />
von Einrichtungen, mehrfache konzeptionelle Neuorientierungen und<br />
Personalveränderungen sind nur einige Begleiterscheinungen der Veränderungsprozesse.<br />
Außerdem hatte die Stadt Saalfeld jahrelang mit<br />
rechtsextremen Entwicklungen zu kämpfen. Saalfeld entschied sich ab<br />
Mitte der 90er-Jahre ausgehend von den genannten Herausforderungen<br />
und Problemlagen zunehmend mehr Aufgaben in die eigene Verantwortung<br />
zu übernehmen, um die Steuerung von Prozessen auf kommunaler<br />
Ebene zu gewährleisten. Als besonders wichtige Bereiche wurden<br />
Jugendarbeit, Sport, Kultur und <strong>Bildung</strong> identifiziert. In den letzten Jahren<br />
wurde an der konzeptionellen Weiterentwicklung, der Vernetzung<br />
der Träger und Angebote sowie an der Entwicklung und Abstimmung<br />
von kommunalen Konzepten gearbeitet.<br />
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte<br />
der lokalen <strong>Bildung</strong>spolitik<br />
„Agieren statt Reagieren“ – die eigenverantwortliche Gestaltung des<br />
kommunalen Lebens wird als Auftrag an jeden Bürger verstanden, das<br />
Werden und Wachsen der Stadt engagiert zu beeinflussen. Partizipation,<br />
bürgerschaftliches Engagement und eine Kultur des Miteinanders<br />
prägen die Entwicklungen in der Stadt. In Saalfeld sind nachhaltige<br />
Strukturen zur Implementierung von Partizipation, von bürgerschaftlichem<br />
Engagement und von kommunalen <strong>Bildung</strong>sprozessen verankert<br />
worden:<br />
• Gemeinsame Weiterbildungen und Netzwerke von Lehrern, Sozialarbeitern<br />
und Verwaltungsmitarbeitern zur Veränderung der Haltung<br />
und Sichtweisen<br />
• Aufbau eines „ Kommunalen Präventionsnetzwerkes“ zwischen allen<br />
Schularten, der Jugendarbeit, Verwaltung und Politik seit dem Jahr<br />
2001<br />
• Initiative „mitWirkung! zur Stärkung der Kinder und Jugendpartizipation“<br />
unter Begleitung der Bertelsmann-Stiftung in Kooperation<br />
der Schulen, Kitas, Vereine, Verwaltung und Politik 2004–2008 (Prozessmoderatorenausbildung<br />
für Kinder- und Jugendpartizipation)<br />
• Thüringer <strong>Bildung</strong>smodell „Neue Lernkultur in Kommunen“ zur Implementierung<br />
einer neuen Lernkultur, welche die Schaffung einer<br />
kommunalen <strong>Bildung</strong>slandschaft zum Ziel und Vernetzung formeller<br />
und informeller <strong>Bildung</strong>sakteure im Blick hat.<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Seit drei Jahren finden quartalsweise Netzwerktreffen statt, für die ein<br />
Netzwerkverantwortlicher benannt wird. In der Steuerungsgruppe<br />
treffen sich Schulamt, Bürgermeister, Verwaltung, Jugendamt, Vertreter<br />
des Landkreises, der Schulen, des Stadtrats, der Kitas, der Jugendarbeit,<br />
der begleitenden Stiftungen zur Zielbestimmung und<br />
strategischen Planung. Regelmäßige gemeinsame Fachtagungen, Planungsworkshops<br />
und Gemeinwesenwerkstätten fördern Austausch<br />
und Zusammenarbeit.<br />
In Saalfeld gibt es zwölf Kindertagesstätten in freier Trägerschaft, zwei<br />
Gymnasien, drei Grundschulen, drei Regelschulen, zwei Förderschulen<br />
und zwei berufsbildende Einrichtungen. Zwei Grund- und Regelschulen<br />
befinden sich in städtischer, eine Grund- und eine Regelschule in<br />
freier Trägerschaft. Träger der Gymnasien, Förderschulen und berufsbildenden<br />
Einrichtungen ist der Landkreis. In den letzten Jahren wurden<br />
erhebliche finanzielle Mittel in Schulen, im Sportbereich, Jugendarbeits-<br />
und Kulturbereich investiert, um die Rahmenbedingungen zu<br />
verbessern. Die Jugendarbeit ist sozialräumlich strukturiert und wird<br />
von der Stadt Saalfeld und drei freien Trägern verantwortet.<br />
Die Arbeit erfolgt auf drei Ebenen:<br />
Multiplikatoren und Begleiter<br />
Kinder und Jugendliche<br />
Politik und Verwaltung<br />
Diese Prozesse können nicht ohne Moderation und fachkundige Begleitung<br />
funktionieren, deswegen werden sie von Prozessmoderatoren für<br />
Kinder- und Jugendpartizipation begleitet. Beteiligungsformen in den<br />
ansässigen Schulen erhalten Unterstützung durch Verwaltung und Politik,<br />
indem für geeignete Rahmenbedingungen gesorgt wird. Von 2004<br />
bis 2008 beteiligte sich die Bertelsmann Stiftung an dem Thema Mitwirkung,<br />
dadurch konnten Mittel zur Ausbildung von Moderatoren genutzt<br />
und ein Stärken- und Schwächenprofil erstellt werden. Die Schulung<br />
wird nun über die Kommunen bis 2010 gefördert und danach<br />
wahrscheinlich fortgeführt. Die Ausbildung wurde bewusst gemischt;<br />
teilgenommen haben Lehrer, Sozialpädagogen, Erzieherinnen, Ehrenamtliche<br />
und Verwaltungsmitarbeiter. Die ersten zwei Module waren<br />
spannungsgeladen, doch konnten „zarte Brücken“ zwischen den Professionen<br />
hergestellt werden. Später haben die Multiplikatoren 25 Kinder<br />
23
24<br />
und Jugendliche aus verschiedenen Schularten ausgebildet. Inzwischen<br />
findet die Jugendmoderatoren-, Klassen- und Schülersprecherausbildung<br />
jährlich statt, die durch Seminare in Zusammenarbeit mit Lehrern<br />
und Schulamt vorbereitet wird. Zurzeit wird der Bereich der frühkindlichen<br />
<strong>Bildung</strong> und die Berufsbildung forciert und die entsprechenden<br />
Akteure, weiterführende <strong>Bildung</strong>seinrichtungen und Familien einbezogen.<br />
Im bisherigen Prozess wurde deutlich, dass Mitwirkung und Partizipation<br />
zu Transparenz zwischen den verschiedenen Institutionen und Systemen,<br />
die es in einer Stadt gibt, führt. Beteiligung fördert Kontakte,<br />
den Dialog und das Miteinander der Akteure. Sie bedingt auch Irritationen<br />
und bringt letztendlich dadurch etwas in Bewegung. Partizipation<br />
sorgt für einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen und<br />
für eine Erneuerung im Denken und Handeln.<br />
Experten-Feedback<br />
Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker, Universität Hamburg<br />
Die Frage nach der Gestaltung von <strong>Bildung</strong>slandschaften ist immer<br />
wieder eine Frage nach den Entscheidungsstrukturen und der Entscheidungsmacht.<br />
Kinder und Jugendliche müssen erkennen können,<br />
dass ihre Beteiligung an der Gestaltung ihnen auch reale Mitentscheidungschancen<br />
einräumt und nicht nur Mitwirkung in vereinzelten<br />
Projekten. Zu oft werden sie nur sporadisch mit Befragungen oder in<br />
Sonderaktionen punktuell einbezogen. Im Gegenteil müssten alle Einzelaktionen<br />
und -projekte der Planung von <strong>Bildung</strong> für die Beteiligten<br />
immer deutlich machen, in welches Entscheidungsnetzwerk sie eingebunden<br />
sind und wie man die eigene Position in das Netzwerk einbringen<br />
und dort stark machen kann.<br />
Aus der Diskussion um Partizipationsformen in Bad Bramstedt stellt<br />
sich die Frage, wie gelingt Partizipation, sodass sich alle gut und<br />
gerne beteiligen können Ausgrenzung von betroffenen Gruppen gilt<br />
es zu vermeiden oder aufzuheben. So sind etwa im Lenkungsrat von<br />
Bad Bramstedt keine Grundschüler vertreten. Wie könnte man ihnen<br />
dort Zugang und Mitentscheidungsmacht verschaffen Das fragt danach,<br />
wie demokratische Beteiligungsgremien kommunizieren und arbeiten<br />
müssten, damit alle Betroffene mitwirken können. Oft hat sich<br />
etwa in politisch-repräsentativen Gremien wie dem Rat eine Sprachkultur<br />
entwickelt, die für viele Erwachsene und jungen Menschen<br />
ausgrenzend wirkt. Demokratie (gerade bei der Gestaltung von <strong>Bildung</strong>slandschaften)<br />
müsste ihre Kommunikations- und Entscheidungsformen<br />
so gestalten, dass auch ihre schwächsten Mitglieder (etwa Kindergartenkinder)<br />
sich einbringen können.<br />
Alle Betroffenen einzubeziehen, verlangt differenzierte Unterstützung<br />
einzelner Gruppierungen und moderatorische Begleitung. Deshalb hat<br />
man in Saalfeld so viele Menschen dazu ausgebildet. Partizipation funktioniert<br />
nicht, indem man sagt, hier ist ein Partizipationsfreiraum, nun<br />
nutzt den mal. Das haben die Bad Bramstedter gelernt: Wenn man einfach<br />
nur ein offenes Forum zur Verfügung stellt, dann kommt niemand.<br />
Um Partizipation möglich zu machen, braucht man Menschen, die sich<br />
engagieren, damit andere einen eigenen Weg in Mitentscheidungsstrukturen<br />
finden. Das heißt, ohne Ressourcen, ohne Personal, ohne<br />
Ausbildung, ohne Begleitung ist das alles überhaupt nicht zu machen.<br />
Weiter geht es darum, formelle, repräsentative Gremienpartizipation<br />
mit nicht-formellen Formen der Partizipation zu kombinieren. Formelle<br />
Partizipation muss stattfinden, etwa in den Institutionen wie<br />
Schule, z.B. im gewählten Schülerrat. Ein Schülerrat kann tagen, diskutieren,<br />
eine Position verabschieden, mit anderen Entscheidungsgremien<br />
in Kontakt treten. Aber es ist bekannt, dass solche formellen Strukturen<br />
der Partizipation nicht alle Betroffenen erreichen, besonders Jugendliche<br />
und Kinder nicht. Deshalb benötigt man auch nicht-formelle, alltagnahe<br />
und (jugend-)kulturspezifische Angebote der Beteiligung. Wie<br />
kann man Jugendliche in ihren Cliquen, in ihren sozialen Gemeinschaften<br />
und Jugendkulturen jenseits von Organisationen treffen und<br />
mit ihnen in Kontakt kommen und sie dazu bringen, sich zu positionieren,<br />
Aussagen zu machen, sich damit öffentlich zu zeigen und in Aushandlungsprozesse<br />
mit anderen zu gehen Repräsentative Gremien und<br />
nicht-formelle Beteiligungsformen müssen in einen kommunikativen<br />
Zusammenhang gebracht werden, damit möglichst viele mitdiskutieren<br />
und mitentscheiden können. Zusammengefasst:<br />
• Betroffene Kinder und Jugendliche brauchen demokratische<br />
Mitentscheidungsmacht und Kenntnis der Entscheidungsstrukturen.<br />
• Demokratische Partizipation benötigt Kommunikations- und Entscheidungsformen,<br />
die auch den Schwächsten Beteiligung eröffnen.<br />
• Formelle und nicht-formelle Mitentscheidungsstrukturen müssen<br />
verbunden werden.<br />
• Partizipation braucht Unterstützungsressourcen.
Diskussion<br />
Fragen an Experten:<br />
Welche Erfahrungen zu formalisierter Beteiligung von Kindern und<br />
Jugendlichen liegen vor<br />
Formalisierte Beteiligungsformen, wie etwa die Schülervertretung<br />
oder kommunale Jugendparlamente bleiben schwach. Untersuchungen<br />
zeigen, dass Kinder und Jugendliche Schule und Kommune<br />
als Orte wahrnehmen, an denen sie am wenigsten beteiligt werden.<br />
Daraus folgt auch, dass die dort vorhandenen formalisierten Beteiligungsstrukturen<br />
nicht greifen. Formelle Partizipationsgremien<br />
sind oft nicht in der Lage, die Kommunikationsformen der differenzierten<br />
Jugendkulturen aufzunehmen. Wenn von ihnen verlangt<br />
wird, dass man sich, um mitwirken zu können den herrschenden<br />
Sprach- und Entscheidungsmustern unterwirft, grenzt man viele Betroffene<br />
aus.<br />
Wie kann man ein nachhaltiges Beteiligungsnetzwerk schaffen<br />
Erst einmal braucht man eine Gruppe von Aktivisten, die innerinstitutionell<br />
und außerinstitutionell das Thema bearbeiten wollen. Man<br />
muss Leute haben, die sagen, in meiner Schule mache ich etwas dazu<br />
mit Kindern, oder das Jugendzentrum fragen, wo können ihr euch<br />
einbringen. Und der zweite Schritt wäre, mit allen Kindern und Jugendlichen<br />
erst einmal ein Kataster der lokalen <strong>Bildung</strong>sorte zu erstellen:<br />
Eine Sammlung von Orten, die beschreibt, wo, wozu, mit<br />
wem und wie Kinder und Jugendliche sich überhaupt bilden wollen<br />
und zwar in Bezug auf alle <strong>Bildung</strong>sformen: formelle nonformelle,<br />
informelle und wilde. Bei dieser Bestandsaufnahme erkennt<br />
man schon Probleme und damit kann man einen Übergang schaffen<br />
in eine Struktur von Zukunftswerkstätten. Eine Kritikphase ist nötig<br />
und ihr folgen die Fantasie-, Planungs- und Realisierungsphase.<br />
Es nützt aber nichts, danach eine Sammlung von Ergebnissen zu haben,<br />
wenn die weitere Entscheidungsstruktur nicht klar ist. Deshalb<br />
finde ich Projekte klasse, die neben der Entwicklung von Gestaltungsideen<br />
auch Entscheidungsstrukturen thematisieren. Auch<br />
Kinder und Jugendliche müssen erkennen können, wie ihre Vorstellungen<br />
zur Gestaltung der lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaften in weitere<br />
Entscheidungsprozesse eingehen. Es muss für sie transparent werden,<br />
wer mit welcher Macht wie was bestimmt und wie Kinder und<br />
Jugendliche darauf Einfluss nehmen können. Wenn Betroffene erkennen<br />
können, dass sie reale Mitentscheidungsmacht haben, wird<br />
Beteiligung attraktiv und nachhaltig.<br />
Wie kann es gelingen, nicht nur etwas für Kinder und Jugendliche zu<br />
machen, sondern gemeinsam mit ihnen Angebote zu entwickeln<br />
Man sollte überhaupt erst einmal in die Köpfe von Erwachsenen<br />
bringen, dass selbst Zwei- oder Dreijährige Kinder gefragt und an<br />
Entscheidungen beteiligt werden können. Im Moment habe ich das<br />
Gefühl, man wird ausgelacht, wenn man sich Gedanken darüber<br />
macht, wie man auch junge Kinder beteiligen könnte. Demokratie<br />
bedeutet aber: jede und jeder ist Mitglied, egal wie er/sie drauf ist,<br />
wie alt er/sie ist, was sie/er weiß oder kann, oder welchen Schulabschluss<br />
jemand hat. Es ist ein Bruch des grundgesetzlichen Mitwirkungsrechts<br />
aller, wenn man manche als nur teilweise oder als leider<br />
nicht so kompetente Entscheidungsbeteiligte oder ähnliches klassifiziert.<br />
25
Forum 4<br />
<strong>Bildung</strong>seinrichtungen und lokale Räume:<br />
Getrennte Welten oder eine gemeinsame Landschaft<br />
26<br />
Die Bedingungen, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, werden<br />
nicht nur in <strong>Bildung</strong>seinrichtungen definiert: Von zentraler Bedeutung<br />
ist die Gestaltung lokaler Räume. Themen wie <strong>Bildung</strong>splanung,<br />
Stadtentwicklung und Bauplanung aufeinander abzustimmen,<br />
stellt in der Praxis jedoch oft eine große Herausforderung dar.<br />
Kommune 1:<br />
Steckbrief Bernburg/Salzlandkreis,<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Bernburg befindet sich im geografischen Zentrum des Landes Sachsen-<br />
Anhalt. Der ehemalige Landkreis Bernburg wurde aufgrund der Kreisgebietsneuregelung<br />
aufgelöst. Der neue Salzlandkreis (seit 01.07.2007)<br />
setzt sich aus den Gemeinden des bisherigen Landkreises Aschersleben-Staßfurt,<br />
den Landkreisen Bernburg und Schönebeck zusammen.<br />
In ihm leben 220.000 Einwohner. Das Gebiet verzeichnet seit 1990 einen<br />
drastischen Bevölkerungsrückgang, der bis über das Jahr 2025 hinaus<br />
als anhaltend prognostiziert wird. Er ist verbunden mit einer zunehmenden<br />
Überalterung der Bevölkerung und einer Abnahme des<br />
Anteiles an Kindern und Jugendlichen. In der Stadt Bernburg und dem<br />
Umland liegt die Arbeitslosenquote bei elf Prozent. Aus Abwanderungen<br />
verbunden mit Fachkräftemangel erwachsen soziale Probleme.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Ein erheblicher Anteil von Kindern und Jugendlichen ist von den sozialen<br />
Problemlagen betroffen, viele davon sind in Förderschulen und<br />
Sekundarschulen konzentriert. Folgen sind eine vergleichsweise niedrige<br />
Leistungsbereitschaft und Motivation der Schülerinnen und Schüler.<br />
Aber auch die nicht selten bildungs-, kultur- und arbeitsfernen<br />
Elternhäuser bedürfen der Unterstützung in Form eines neuen motivierenden,<br />
berufsorientierten schulischen Ansatzes. Das Projekt Campus<br />
Technicus ist ein Gemeinschaftsprojekt des Salzlandkreises als<br />
Schulträger in Kooperation mit der Stadt Bernburg als Bauträger. Die<br />
derzeit im Stadtgebiet von Bernburg befindlichen drei Sekundarschulen<br />
sollen basierend auf dem pädagogischen Konzept in der vorerst offenen<br />
Ganztagsschule Campus Technicus zusammengeführt werden.<br />
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte lokaler<br />
<strong>Bildung</strong>spolitik<br />
Die Ziele des Projektes sind im Stadtentwicklungskonzept der Stadt<br />
Bernburg festgeschrieben: Ausweitung der lokalen <strong>Bildung</strong>slandschaft,<br />
Stärkung der Institution Schule durch Vernetzung aller relevanten <strong>Bildung</strong>s-,<br />
Kultur- und Sozialeinrichtungen. Kernbereiche des Konzeptes<br />
sind:<br />
• Ein berufsorientierter schulischer Ansatz aufbauend auf drei Säulen:<br />
berufs- und praxisorientierter, musisch-kultureller und gesundheitsfördernder<br />
Bereich<br />
• Entwicklung von Schule zu einem lebensnahen Ort, der soziale Integration<br />
fördert und lokale Identität erhöht<br />
• Städtebauliche Maßnahmen sollen zum pädagogischen Konzept der<br />
Ganztagsschule und zur Weiterentwicklung der <strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
beitragen.<br />
• Lenkung durch verschiedene Gruppen: Steuerungsgruppe, AG Bau,<br />
AG Netzwerk, AG Ausgestaltung Schulkonzept.<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Durch die Gebietsreform sind unterschiedliche Hausphilosophien in<br />
Bezug auf <strong>Bildung</strong> von drei Landkreisen unter eine Führung gestellt<br />
worden. Ein Projekt, das vom Salzlandkreis übernommen wurde, ist der<br />
Campus Technicus, der schon im Altkreis Bernburg gefördert wurde<br />
und der die Zusammenführung von den derzeit noch selbstständigen<br />
Sekundarschulen in der Stadt Bernburg unter einem völlig neuen Dach<br />
zum Ziel hat.<br />
Wenn eine Stadt schrumpft, ist es wichtig, sich auf das Wesentliche zu<br />
konzentrieren, also im Regelfall auf die Innenstadt, auf eine konzentrische<br />
Schrumpfung. <strong>Bildung</strong>seinrichtungen, die in der Innenstadt<br />
konzentriert sind, lassen ein Netzwerk von kurzen Wegen zu. Aus dieser<br />
Erkenntnis wurde der Campus gegründet, in dem circa 1.000 Schüler<br />
unterrichtet werden können. Das Außergewöhnliche ist, dass es ein<br />
Projekt zwischen der Stadt Bernburg und dem Salzlandkreis ist, in dem<br />
der Salzlandkreis Schulträger der Schulen ist und er es auch für den<br />
Campus bleiben soll. Ausgangspunkt war eine sehr hohe Schulabbrecherquote,<br />
die inzwischen gesunken ist durch Maßnahmen, die eingeleitet<br />
worden sind. An den drei Standorten ist ein erhebliches Investitionsvolumen<br />
zu erbringen. Das Investitionsvolumen wird auf sechs bis<br />
acht Millionen geschätzt, wenn die Schulen so unterstützt werden, dass<br />
sie den Bedingungen mittel- und langfristig standhalten können. Deshalb<br />
kam es zu der Kooperation zwischen der Stadt und dem Kreis, um<br />
die Förderung im Städtebau mit der Schulentwicklungsplanung zu verknüpfen.<br />
Zu diesem Zweck wurde eine Kompetenzagentur gegründet.<br />
Der Kreis ist auch Projektträger des regionalen Übergangsmanagements<br />
von Schule in Ausbildung. In dem Projekt, das bis zum Jahre<br />
2012 umgesetzt werden soll, arbeitet ein regionaler Koordinator für <strong>Bildung</strong><br />
und eine <strong>Bildung</strong>smanagerin wird gefördert, die sich speziell Aufgaben<br />
des Campus widmet. Das Besondere des Konzeptes besteht darin,
dass die unterschiedlichen Interessen an den Standorten so verknüpft<br />
werden, dass Schülerinnen und Schüler vermehrt partizipieren können.<br />
Das pädagogische Konzept des Campus Technicus sieht vor, den Unterricht<br />
weiterzuentwickeln, die individuelle Förderung in den Vordergrund<br />
zu stellen, ganzheitliches werteorientiertes Lernen und Leben zu<br />
fördern. Es wurden gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit der AGs<br />
Netzwerk, Bau, Ausgestaltung Schulkonzept und der Steuerungsgruppe<br />
als Bindeglied gemacht. Durch sie wird die Kontrolle der Abarbeitung<br />
der Arbeitsaufträge der einzelnen Gremien gewährleistet. Prozesse dieser<br />
Größenordnung brauchen Zeit. Die Vernetzung vieler Akteure aus<br />
den beteiligten Gruppen zu erreichen, erfordert Überzeugungskraft,<br />
Transparenz während des Prozesses und eine gute fachliche Argumentation.<br />
Prozessbegleitung als Beobachter und wichtiger Impulsgeber<br />
von außen ist eine wesentliche Gelingensbedingung.<br />
Kommune 2:<br />
Steckbrief <strong>Bildung</strong>s- und Gemeinschaftszentrum<br />
in Neugraben-Fischbek/Neuwiedenthal,<br />
Hamburg-Harburg<br />
Im Stadtteil leben circa 20.000 Einwohner mit einem hohen Anteil von<br />
Senioren und langfristig einer geringen Anzahl von Kindern und Jugendlichen.<br />
Der Raum ist durch eine überdurchschnittlich hohe Jugendarbeitslosigkeit<br />
geprägt. Die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft<br />
Hamburg (Steg) erarbeitete von Juni 2007 bis<br />
Mai 2008 im Auftrag der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB)<br />
und des Bezirksamtes Harburg modellhaft eine Voruntersuchung für<br />
die Konzeption eines <strong>Bildung</strong>s- und Gemeinschaftszentrums (BGZ)<br />
in Neugraben-Fischbek/Neuwiedenthal im Bezirk Hamburg-Harburg.<br />
Diese beinhaltet sowohl die Erstellung eines handlungsraumbezogenen<br />
pädagogischen Konzeptes, die städte- und hochbauliche Vorplanung,<br />
Vorüberlegungen für ein Finanzierungs- und Betreibermodell als auch<br />
die Gesamtprojektsteuerung. Der Bezirk Harburg und die BSB haben<br />
mit der Erarbeitung einer gemeinsamen Konzeption für das <strong>Bildung</strong>sund<br />
Gemeinschaftszentrum einen entscheidenden Impuls zur Neuausrichtung<br />
von Jugendhilfe- und <strong>Bildung</strong>spolitik gegeben.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Im Handlungsraum entsteht das derzeit größte Wohnungsbauvorhaben<br />
in Hamburg mit circa 1250 Wohneinheiten. Das BGZ als multifunktionaler<br />
Ort der Begegnung wird Kindern, Jugendlichen und Familien,<br />
die im Einzugsbereich dieser Einrichtungen bereits leben oder<br />
sich ansiedeln wollen, ein umfassendes, zukunftsweisendes schulisches<br />
sowie außerschulisches <strong>Bildung</strong>s-, Freizeit- und Kulturangebot machen.<br />
Das Besondere der Konzeption besteht darin, dass das BGZ sowohl<br />
räumlich als auch organisatorisch grundlegende Elemente der sozialen<br />
und kulturellen <strong>Bildung</strong>slandschaft zusammenbringt. Das BGZ<br />
als interdisziplinäre <strong>Bildung</strong>slandschaft soll eine Ganztagsgrundschule,<br />
Kindertagesstätte mit Krippenangebot, Volleyball-Bundesligasport, ein<br />
Spielhaus der offenen Kinder- und Jugendhilfe, Erwachsenenbildung,<br />
Freizeitsport, gastronomische und kulturelle Angebote vereinen. Um<br />
den Ansatz des gemeinschaftlichen Zentrums konsequent zu verfolgen,<br />
soll ein Centermanagement gemeinsame Belange bündeln, verwalten<br />
und zielgerichtet ausführen.<br />
Realisierung<br />
Zur Erstellung der zentralen konzeptionellen Bausteine wurde ein gestuftes<br />
Beteiligungsverfahren durchgeführt:<br />
• Arbeitsgruppe: Pädagogisches Grobkonzept für den Handlungsraum<br />
• Arbeitsgruppe: Städte- und hochbauliche Vorentwurfsstudie<br />
27
28<br />
• Arbeitsgruppe: Vorüberlegungen für ein einheitliches Betreiber- und<br />
Finanzierungsmodell<br />
Es wurde ein Vorgehen gewählt, das größtmögliche Transparenz bei<br />
allen Beteiligten und nachvollziehbare Entwicklungsschritte ermöglichte.<br />
Mit dem Einsatz einer zentralen Projektsteuerung konnte eine<br />
kontinuierliche Begleitung der Beteiligungsgruppen sichergestellt werden.<br />
Die Einrichtung einer Lenkungsgruppe, bestehend aus Entscheidungsträgern,<br />
erleichterte für die Beteiligten die Nachvollziehbarkeit<br />
von Entscheidungswegen. Die Belange der beteiligten Akteure wurden<br />
in Workshops, weiterführenden moderierten Arbeitsgruppen,<br />
Gesprächen mit externen Fachleuten, einzelnen Akteuren bzw. Akteurgruppen<br />
und über die regelmäßigen Sitzungen der Projektsteuerungsgruppe<br />
aufgenommen.<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Um das Gesamtkonzept zu verwirklichen, wurde ein Prozess organisiert,<br />
in dem die Steuergruppe das Kernstück bildet. Die Steuergruppe<br />
bilden Vertreter und Vertreterinnen der Behörde für Stadtentwicklung<br />
und Umwelt, der Behörde für Schule und Berufsbildung, der Behörde<br />
für Soziales und Gesundheit und Vertreter aus dem Bezirksamt sowie<br />
Projektentwickler und -begleiter, die diese Gruppe moderiert haben.<br />
Die Gruppe hat drei Arbeitsgemeinschaften vor- und nachbereitet: In<br />
den AGs wurden Grundlagen, Fragen und Notwendigkeiten erarbeitet<br />
und diese wiederum in der Steuergruppe diskutiert und besprochen.<br />
Die Vertreter, Vertreterinnen der Steuergruppe haben die Ergebnisse<br />
an die Lenkungsgruppe weitergegeben, in der Entscheider und Entscheiderinnen<br />
aus verschiedenen Behörden, aus dem Bezirk und die Finanzbehörde<br />
in Hamburg vertreten sind. Dieses Gremium wurde nicht<br />
moderiert. Die Resultate aus dieser Gruppe wurden wieder in die Steuergruppe<br />
hineingetragen.<br />
Leitlinie für das pädagogische Konzept war der Anspruch: Wir wollen<br />
nicht nur ein pädagogisches Konzept für einen kleinen Raum, sondern<br />
für den gesamten Handlungsraum mit 20.000 Einwohnern.<br />
Eine entscheidende Gelingensbedingung bildete der interdisziplinäre<br />
Austausch. Die verschiedenen Akteurgruppen wollten sich anfangs<br />
nicht freiwillig mischen. Doch das gemeinsame Gespräch war wesentlich,<br />
damit Architekten verstehen, was Pädagogen wollen und was aus<br />
pädagogischer Sicht sinnvoll ist. Es reicht nicht aus, einen bautechnischen<br />
Plan zu haben, sondern man muss nutzerspezifische Bedarfe<br />
erkennen und wissen, warum ein Kinderhaus nicht im ersten Stock liegen<br />
sollte und es sinnvoll ist, es unten anzusiedeln.<br />
Die offizielle Absichtserklärung der Beteiligten, der Fachbehörde, Ministerien<br />
und die politische Unterstützung im Bezirk waren eine weitere<br />
Gelingensbedingung für den Prozess. Die externe Moderation und<br />
Prozessbegleitung unterstützte und erleichterte die Aushandlung und<br />
Ergebnisfindung. Als Hürden erwiesen sich fehlende und unklare Rahmenbedingungen<br />
für das pädagogische Konzept sowie das Bedürfnis<br />
einer Vielzahl von Akteuren mitzureden. Das gemeinsame Ziel wurde<br />
erreicht: Die Projektentwicklung beginnt, Baubeginn und Baufertigstellung<br />
sind festgelegt. Das Centermanagement bzw. die Geschäftsführung<br />
sollen ein halbes Jahr vor Baufertigstellung die Arbeit aufnehmen.<br />
Experten-Feedback<br />
Prof. Dr. Hartmut Häußermann, Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Ich möchte meine Beobachtungen zu den Praxisbeispielen in fünf<br />
Punkten zusammenfassen. Der Erste ist, dass es in beiden Fällen gelingt,<br />
Probleme der Stadtentwicklung und der <strong>Bildung</strong> von Kindern<br />
miteinander zu verknüpfen, indem man sichtbare Zeichen setzt, dass<br />
etwas Neues beginnt. Zweitens: Abwanderungsproblematik, Facharbeitermangel,<br />
bildungsferne Schichten und Familien, diese Problemstellungen<br />
sind beiden Projekten gemeinsam. Mit der Schaffung von Einrichtungen<br />
werden neue Ziele gesetzt und verfolgt und das Hauptziel<br />
ist, niemanden zurückzulassen. Das Dritte ist die Konzentration von<br />
Einrichtungen, um Kooperation und Integration zu ermöglichen, indem<br />
man gemeinsam plant, um Vernetzung und Öffnung zur Stadt herzustellen.<br />
Das ist für beide Einrichtungen charakteristisch.<br />
Der vierte Punkt wird durch die präventive Arbeit charakterisiert. Das<br />
heißt, dass individuelle Förderung nicht einem Defizitansatz folgt, sondern<br />
eine <strong>Bildung</strong>skompetenzagentur neue Wege und Konzepte zur<br />
Unterrichtsentwicklung erschließt. Dazu gehören: die Kooperation<br />
zwischen Ganztagsseinrichtungen und den verschiedenen Ämtern, alle<br />
ins Boot zu holen und sich um die Beteiligten zu kümmern. Der letzte<br />
Punkt ist die Transparenz des Prozesses: Mit allen, die mitmachen sollen,<br />
muss rechtzeitig und ausgiebig kommuniziert werden. Der Erfahrungsaustausch<br />
zwischen solchen Projekten hat sich als bedeutsam und<br />
hilfreich erwiesen.
Diskussion<br />
Fragen an die Kommunen:<br />
Welche Aufgabe hat das <strong>Bildung</strong>skompetenzzentrum im Landkreis<br />
Bernburg<br />
Kompetenzagentur bezeichnet bei uns ein Förderprogramm, das Jugendliche<br />
unterstützt, die an den verschiedensten Übergängen ihrer<br />
Schulen Probleme haben. Es gibt Schüler, die keine Unterstützung<br />
durch das Elternhaus bekommen oder sich ansonsten nicht orientieren<br />
können, diese werden von Lotsen beraten, begleitet und gefördert.<br />
Welche Funktion hat eine <strong>Bildung</strong>smanagerin<br />
Ich bin seit zwei Monaten <strong>Bildung</strong>smanagerin im Salzlandkreis, das<br />
ist eine Stelle, die noch nicht lange existiert. Meine Aufgabe wird es<br />
sein, für den Campus Technicus die zukünftigen und bestehenden<br />
Fraktionspartner, die in der regionalen <strong>Bildung</strong>slandschaft bestehen,<br />
zu erfassen und zusammenzuführen. Ein großes Ziel ist es, eine<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft für den Salzlandkreis zu schaffen und die Netzwerke,<br />
die entstehen, sollen auf den gesamten Salzlandkreis ausstrahlen.<br />
Man muss dann schauen, was von anderen Schulen übernommen<br />
werden kann.<br />
Wie betreibt man einen Campus Da gibt es einmal die <strong>Bildung</strong>smanagerin,<br />
aber das Ganze muss ja als Communitycenter aufgebaut werden.<br />
Man kann da sicherlich viel machen, aber wer bitte verwaltet,<br />
koordiniert und guckt, dass die Inhalte auch den Zielen entsprechen<br />
Es gibt konkrete Absprachen, kurze Meldewege, wie die Eltern einzubeziehen,<br />
wie die Pflichten der Schulleitung, der Lehrer, der Schuleiter,<br />
des Landkreises sind. Das ist relativ kurz getaktet, damit die<br />
Kommunikation mit den Elternhäusern wiederhergestellt werden<br />
kann. Für mich was das eine völlig neue Erfahrung: Schulverweigerung.<br />
Ich war vorher im ländlichen Bereich tätig und kann sagen,<br />
dass ich null Prozent hatte. Ich denke eine Strategie ist, dass wir präventiv<br />
arbeiten. Ich sehe eine Chance in der inhaltlichen Entwicklung<br />
der Schule, also konkret die individuellen Förderungen, die wir<br />
durch ein Ganztagsschulangebot besser umsetzen können. Wir haben<br />
einfach mehr Zeit zur Verfügung. Wir können auf diese Probleme<br />
intensiver eingehen, damit es gar nicht erst zu extremen Fällen<br />
kommt.<br />
Was sind die Gefahren, was sollte nicht passieren bei der Erstellung<br />
eines Profils für <strong>Bildung</strong>s- oder Centermanagement und welche Dinge<br />
sollten auf jeden Fall passieren<br />
Was ich schwierig finde, ist, benachteiligte Gruppen und vor allem<br />
alle mitzunehmen. In diesen Prozessen geht es viel zu professionell<br />
und fachlich zu, als dass Familien, von denen wir als benachteiligt,<br />
bildungsfern sprechen, sich in die entsprechenden Gremien<br />
hineinsetzen und ihre Ansprüche formulieren. Fragebögen reichen<br />
da nicht aus, sondern man muss sich mit den Leuten unterhalten<br />
und herausfinden, was sie genau brauchen. Was muss in solch einem<br />
Center stattfinden Das findet man nicht in großen Gremien heraus.<br />
Das ist für mich ein Mangel beim Quartiersmanagement, wo zu oft<br />
die Berufsmäßigen oder die sich berufen fühlen, für den Stadtteil<br />
sprechen und nicht die Familien, Migrantengruppen oder Betroffenen.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaften entstehen im konkreten Handeln zwischen<br />
Menschen und nicht auf dem Papier.<br />
Wir haben anderthalb Jahre Erfahrung in diesem Feld, bei uns finden<br />
die Lernprozesse auf den verschiedensten Ebenen statt. Das war<br />
eine Erfahrung, die wir im Projekt Campus gemacht haben, also<br />
brauchen wir federführende Arbeitsgruppen. Wir haben festgestellt,<br />
es ist ein unheimlicher Kommunikationsbedarf da, und wenn die<br />
Kommunikationsströme nicht fest in einer Hand sind, dann gibt es<br />
Probleme. Die Erkenntnis kam hinzu, dass durch das Projekt viele<br />
Grundsätze der Arbeit berührt wurden und damit viele Ebenen tangiert<br />
sind. Es werden Verknüpfungen erforderlich sein und Schnittstellen,<br />
die funktionieren müssen, damit das Projekt auch zukünftig<br />
mit Leben erfüllt werden kann.<br />
Wie bekämpft man die Schulschwänzerei<br />
29
Forum 5<br />
Vom Verwalten zum Moderieren. Neue Rollen der Kommune<br />
bei der Steuerung von <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
Wenn Jugendhilfe mit Schule, Schulen mit Kommunen, kommunale<br />
Behörden für Stadtentwicklung mit den Schulämtern des Landes zusammenarbeiten<br />
müssen, dann funktioniert das nicht auf der Basis<br />
von Verordnung und Umsetzung. Stattdessen sind neue Formen der<br />
Aushandlung zwischen unterschiedlichen Interessen gefragt.<br />
Kommune 1:<br />
Steckbrief der Stadt Weinheim,<br />
Baden-Württemberg<br />
Die Stadt Weinheim liegt im Rhein-Neckar-Dreieck am Rande des<br />
Verdichtungsraumes Mannheim/Ludwigshafen/Heidelberg. Weinheim<br />
hat 43.000 Einwohner, hiervon gehören 7.750 zur Altersgruppe<br />
bis 18 Jahre (18 Prozent). Der größte Arbeitgeber vor Ort ist die Firma<br />
Freudenberg. Bedingt durch den wirtschaftlichen Ballungsraum ist der<br />
Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund seit den 60er-Jahren<br />
kontinuierlich angestiegen.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
Im Elementarbereich (Kita und Grundschule) haben sich in den Bereichen<br />
Sprachförderung/Förderung der Mehrsprachigkeit, Integration<br />
und Elternbeteiligung tragfähige Handlungsansätze und Kooperationsstrukturen<br />
zwischen Kindertagesstätten, Grundschulen und Eltern entwickelt<br />
(Rucksack-Projekte). Im Mehrgenerationenhaus Weinheim, das<br />
als Kita-Plus-Modell aus einer Kindertagesstätte und einer Stadtteilbegegnungsstätte<br />
mit mobiler Jugendarbeit hervorgegangen ist, wird seit<br />
2007 in verschiedenen Projekten der Integrationsansatz mit dem intergenerativen<br />
Ansatz verknüpft.<br />
Seit 1999 wird beim Übergang Schule-Beruf mit der Zielsetzung einer<br />
kommunalen Verantwortungsgemeinschaft eine entsprechende Struktur<br />
aufgebaut und Handlungsansätze umgesetzt. Bewährt hat sich der<br />
Aufbau des Weinheimer Unterstützerkreises Berufsstart, ein Patenschaftsnetz<br />
zur beruflichen und sozialen Integration von Jugendlichen<br />
in der Hauptschule und im Berufsvorbereitungsjahr.<br />
Weinheimer <strong>Bildung</strong>skette<br />
30
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte der lokalen<br />
<strong>Bildung</strong>spolitik<br />
Mit der Weinheimer <strong>Bildung</strong>skette werden an kritischen Stellen der<br />
Lernbiografie von Kindern und Jugendlichen unterstützende Strategien,<br />
Einzelprojekte, Kooperationspartnerschaften und Beteiligungen aufgebaut.<br />
Zug um Zug sollen in einem offenen Entwicklungsprozess Kita-<br />
Personal, Lehrkräfte, Eltern, Kinder- und Jugendhilfe, bürgerschaftlich<br />
Aktive, Freudenberg Stiftung, Bürgerstiftung, lokale Wirtschaft, Kommunalpolitik<br />
sowie der Oberbürgermeister und die Verwaltungsspitze<br />
zu <strong>Bildung</strong>spartnern werden, die gemeinsam handeln. Die Weinheimer<br />
<strong>Bildung</strong>skette steht für kommunale Verantwortungsgemeinschaft, für<br />
gelingende Lernwege und Integration vor allem von Kindern und Jugendlichen,<br />
die verloren gehen könnten, weil ihre Stärken und Talente<br />
unentdeckt bleiben. Jedes Kind und jeder Jugendliche soll individuelle<br />
Stärken und Talente ausbilden können und zu motiviertem Lernen ermutigt<br />
werden.<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Mit dem Programm „Lebenswelt Schule“ können in Weinheim erstmals<br />
in einer größeren Dimension ressourcen- und beteiligungsorientierte<br />
Strategien und Handlungsansätze sowie Strukturen für einen gelingenden<br />
Übergang vom Kindergarten in die Grundschule und eine bessere<br />
Kooperation der Lehr- und Fachkräfte aus den Kitas und Grundschulen<br />
entwickelt und erprobt werden. Zur Struktur und Organisation<br />
solcher Prozesse muss man reflektieren, welche Gegenstände werden<br />
denn eigentlich gesteuert Was wird gesteuert Das sind Entwicklungsprozesse,<br />
die sich damit beschäftigen, wie ein Grundverständnis von<br />
kommunaler Verantwortungsgemeinschaft im Gemeinwesen zu entfachen<br />
ist. Es geht darum, eine ressourcenorientierte Sicht auf Kinder und<br />
ihre Lebenswelten zu entwickeln. Dazu sind Erfolgsgeschichten in der<br />
Kommune zu identifizieren und sinnvolle Anschlussstellen zu neuen<br />
Vorhaben zu eruieren. Und letztlich geht es darum, den Aufbau dieser<br />
Strukturen und Kulturen selbst als Objekt der Steuerung zu begreifen,<br />
also ein Grundverständnis zu haben, dass ein beteiligungsorientierter<br />
Prozess ein ergebnisoffener ist und damit unterschiedliche Ergebnisse<br />
einhergehen, für diese Raum zu schaffen sowie Entwicklungsräume zu<br />
steuern.<br />
<strong>Bildung</strong>skette für den Elementarbereich beim Übergang Kindergarten<br />
– Grundschule angeknüpft wurde. Von dem Projektteam werden<br />
Impulse, Anregungen, Erfahrungen gesammelt und an die verschiedenen<br />
Prozessinstanzen verteilt, an dezentrale Kooperationsknotenpunkte<br />
weitergeleitet, in denen die eigentlichen Prozesse der Kooperation<br />
und perspektivisch auch der Selbstorganisation stattfinden sollen.<br />
Die Grundschulen „beliefern“ Kindergärten, sie bilden mit den Kindergärten<br />
zusammen einen Kooperationsknoten, der sich öffnen kann für<br />
Ehrenamtliche, Eltern und andere Beteiligte. Vor allen Dingen die <strong>Bildung</strong>s-<br />
und Lerngeschichten, die das Kernelement im Programm „Lebenswelt<br />
Schule“ sind, bieten den gemeinsamen Handlungsansatz, der<br />
die strategische Grundlage für die Erzielung von Haltungen mit ressourcenorientiertem<br />
Blick aus der Perspektive der Kinder ist.<br />
Bei der Steuerung solcher Entwicklungsprozesse kommt es darauf an,<br />
dass die Aufgaben gut verortet sind, „Kümmerer“ für die geplante Zusammenarbeit<br />
der Strategien und Projekte zu finden, Programme zu akquirieren<br />
sowie Ressourcen in die Kommune zu bringen. Im Mittelpunkt<br />
steht der Lernweg, der biografische Weg des Kindes oder des Jugendlichen,<br />
um den herum sich Kooperationspartner gruppieren sollten.<br />
Kooperation lässt sich über die Beschäftigung mit einem neuen gemeinsamen<br />
Handlungsansatz herstellen. Entsprechende Kooperations-<br />
und Aushandlungsstrukturen müssen zur Sicherung der Nachhaltigkeit<br />
von Anfang an in die kommunale Verwaltung implementiert<br />
werden. Der Weinheimer Weg lautet: Es gibt schon eine Entscheidungsund<br />
Aushandlungsstruktur, an der müssen wir nur ansetzen. Also, wo<br />
sind die Mächtigen, die über Ressourcen entscheiden Weinheim hat<br />
eine gute Tradition, an die mit einer Leitungsgruppe der Weinheimer<br />
31
32<br />
Kommune 2:<br />
Steckbrief des Landkreises Görlitz, Sachsen<br />
Lernende Regionen PONTES<br />
Der Landkreis Görlitz liegt im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck<br />
im Zentrum der Euroregion Neisse-Nisa-Nysa (128 km<br />
bis zur Staatsgrenze der Republik Polen, 65 km bis zur Staatsgrenze<br />
der Tschechischen Republik). Er ist im Zuge der am 01.08.2008 vollzogenen<br />
Kreisgebietsreform in Sachsen aus den ehemaligen Gebietskörperschaften<br />
Landkreis Löbau-Zittau, Niederschlesischer Oberlausitzkreis<br />
und kreisfreie Stadt Görlitz entstanden. Der Landkreis zählt<br />
287.000 Einwohner und gilt als strukturschwacher ländlicher Raum. Er<br />
ist durch überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit gekennzeichnet, insbesondere<br />
durch Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit. Die Kaufkraft liegt<br />
bei 72 Prozent des Bundesdurchschnitts. Der Raum ist von hoher Abwanderung<br />
mit einem damit verbundenen Fachkräftemangel betroffen.<br />
Der Bevölkerungsverlust seit 1990 beträgt über 20 Prozent.<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft<br />
PONTES ist eine von 76 deutschlandweit vom Bundesministerium für<br />
<strong>Bildung</strong> und Forschung im Zeitraum 2002 bis 2007 geförderten Lernenden<br />
Regionen. Die Kernregion umfasst den heutigen Landkreis<br />
Gör litz im Zentrum der Euroregion. 2008 arbeiteten im grenzüberschreitenden<br />
<strong>Bildung</strong>snetzwerk PONTES 300 Partner aus Kindertagesstätten,<br />
Schulen, Aus- und Weiterbildungseinrichtungen, Hochschulen,<br />
Wirtschaft, Verwaltung, Vereinen und Verbänden der drei Nachbarländer<br />
auf verschiedenen Ebenen zusammen. Sie verfolgen das gemeinsame<br />
Ziel, die Euroregion zu einem zukunftsfähigen grenzüberschreitenden<br />
<strong>Bildung</strong>sstandort zu entwickeln und auf diesem Wege den hier<br />
beheimateten Menschen und der Region neue Perspektiven zu eröffnen.<br />
PONTES hat sich in den zurückliegenden sechs Jahren zu einem komplexen<br />
und dynamischen lernenden Netzwerk entwickelt, das für Innovation<br />
und erfolgreiche grenzüberschreitende <strong>Bildung</strong>skooperation<br />
steht. Die PONTES-Agentur bildet das Kompetenzzentrum des Netzwerks.<br />
Sie koordiniert die Netzwerkarbeit, entwickelt mit den Netzwerkpartnern<br />
Dienstleistungsangebote für den euroregionalen <strong>Bildung</strong>sbereich<br />
und unterstützt die Umsetzung konkreter Vorhaben.<br />
Der heutige Landkreis Görlitz beteiligte sich von Beginn an als strategischer<br />
Kooperationspartner sowohl inhaltlich als auch finanziell an<br />
der Arbeit des Netzwerkes. Mit der Vertiefungsphase II des Programms<br />
Lernende Regionen besteht seit September 2007 die Chance, im Zuge<br />
der Kreisgebietsreform die kommunale Kooperation mit PONTES<br />
qualitativ auf eine neue Stufe zu heben und die <strong>Bildung</strong>slandschaft im<br />
neuen Landkreis nachhaltig zu gestalten. Dafür haben die drei Gebietskörperschaften<br />
(Landkreis Löbau-Zittau, Niederschlesischer Oberlausitzkreis<br />
und kreisfreie Stadt Görlitz) jeweils einen untereinander und<br />
mit der Lernenden Region PONTES abgestimmten Projektantrag im<br />
Programmbereich Kommunale Kooperation gestellt.<br />
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte der <strong>Bildung</strong>spolitik<br />
Ziel ist es, in einem landkreisübergreifenden Beteiligungsprozess gemeinsam<br />
mit Akteuren vor Ort ein bedarfsorientiertes Handlungskonzept<br />
für eine zukunftsfähige Entwicklung des <strong>Bildung</strong>sbereichs im<br />
neuen Landkreis Görlitz zu erarbeiten, das dem Kreistag vorgelegt und<br />
damit langfristig als Grundlage für politische Planungen einer nachhaltigen<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaft dienen soll. Jede Gebietskörperschaft widmete<br />
sich einem der für eine zukunftsorientierte regionale Entwicklung herausgearbeiteten<br />
Schlüsselthemen:<br />
• Chancengerechtigkeit in der Umsetzung Lebenslangen Lernens<br />
• Medienkompetenz als Standortfaktor sowie<br />
• Euregiokompetenz und Nachbarsprachen<br />
Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
Der Landkreis Görlitz hat als Grenzregion große Potenziale vor Ort.<br />
Die verschiedenen Sprachen, Kulturen, Lebensweisen sind historisch<br />
gewachsen. Das Potenzial der Region birgt im <strong>Bildung</strong>sbereich Chancen,<br />
insbesondere in der sprachlichen, interkulturellen Kompetenz. In<br />
der Vertiefungsphase II des Programms Lernende Regionen wurde ein<br />
neuer Programmbereich aufgelegt, in dem explizit Kommunen als Antragsteller<br />
aufgefordert wurden, kommunale Konzepte für die Gestaltung<br />
der regionalen <strong>Bildung</strong>slandschaften zu entwickeln. Aufgrund<br />
der Vorgeschichte ist es gelungen, die drei damaligen Gebietskörperschaften<br />
dafür zu gewinnen, jeweils einen Antrag im Rahmen des Programms<br />
Lernende Regionen zu stellen. Mit Übernahme von Projektverantwortung<br />
veränderte sich die Rolle der Gebietskörperschaften<br />
innerhalb der Lernenden Region: Aus bisher vorrangig strategischen<br />
Partnern wurden sie zu unmittelbar handelnden Akteuren, die eigenständig<br />
Handlungsfelder des Lebenslangen Lernens in Kooperation mit<br />
anderen Akteuren der Lernenden Region PONTES bearbeiten.<br />
Die PONTES-Agentur übernahm als Kompetenz- und Netzwerkmanagementzentrum<br />
die Aufgabe, die Vernetzung der Aktivitäten der<br />
Gebietskörperschaften untereinander sowie mit den Aktivitäten des<br />
Netzwerks sicherzustellen. Gleichzeitig wurde das Strukturmodell der<br />
Lernenden Region qualitativ weiterentwickelt, in dem neue Formen der<br />
aktiven Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Kommunen und<br />
Lernender Region modellhaft erprobt und kommunale Ressorts aktiv in<br />
die Kommunikations-, <strong>Bildung</strong>s- und Gestaltungsprozesse des Lebenslangen<br />
Lernens eingebunden werden.
PONTES Kommunale Kooperation/Ergebnisse – Perspektiven<br />
Experten-Feedback<br />
Dr. Heinz-Jürgen Stolz, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut; München<br />
In beiden Projekten arbeiten eine Vielzahl von Akteuren auf unterschiedlichen<br />
Handlungsebenen mit. Das Problem scheint zu sein, dass<br />
zivilgesellschaftliche Akteure, die hoch engagiert sind und fachlich etwas<br />
erreichen wollen, die bestimmte Probleme vor Ort deutlich sehen<br />
und sich vernetzen, die Fundraising betreiben, Stiftungen an Bord holen<br />
sowie sich an Bundesprogrammen beteiligen, einen anderen Ansatz<br />
als die Verwaltung verfolgen. Es existieren unterschiedliche Denkweisen,<br />
ob man von zivilgesellschaftlichen Entwicklungszielen oder von<br />
Verwaltungsmodernisierung ausgeht, von Verwaltungsansätzen, die<br />
komplett andere Fragen stellen. Die sich fragen, was ist <strong>Bildung</strong>smonitoring<br />
und wie bekommen wir bestimmte Kennziffern hin Sollen wir<br />
die Dezernate Jugend, Schule zusammenlegen Was ist mit der Stadtentwicklung<br />
Das ist ein anderes Diskussionsklima. Die erste Aufgabe<br />
ist zunächst einmal, die beiden Kulturen, Sprachen, die eigentlich dasselbe<br />
wollen, zusammenzubringen.<br />
Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist es wichtig, dass man ohne<br />
Sonderfördermittel am Ende in die Fläche kommen kann. Die Zeit<br />
der Leuchttürme und der Modellprojekte ist definitiv vorbei in diesem<br />
Bereich. Überall sehen wir, dass Schüler, einzelne Sozialräume,<br />
Quartiere mit hohem Aufwand gefördert werden, dass man das aber<br />
nicht in die Fläche bringen kann, weil es auf kommunaler Ebene<br />
viel Geld kostet, Stellen, Ressourcen beansprucht, die es nicht gibt.<br />
Man muss von Anfang an bei solchen Projekten die Nachhaltigkeit<br />
der infrastrukturellen Umsetzung ohne Sonderfördermittel in den<br />
Blick nehmen und die Zielvorstellung entwickeln, wie können wir<br />
in der Zeit der Förderung von Fördermitteln unabhängig werden<br />
und Projekte, die sich bewährt haben, in die Fläche bringen. Ein gemeinsames<br />
Dezernat, eine Stabsstelle beim Oberbürgermeister oder<br />
Landrat zu haben, die integrierte Fachkoordination von Jugendhilfeplan<br />
und Schulentwicklungsplan betreibt, ist sinnvoll, damit auf<br />
gleichen Datengrundlagen gearbeitet wird. Außerdem wird ein <strong>Bildung</strong>smonitoring<br />
benötigt, das eine Datengewinnungsstrategie entwickelt.<br />
Das heißt, Daten bereitzustellen, die bildungspolitisch gewünscht<br />
sind.<br />
33
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt keine „kommunalen“<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaften. Kommune ist kein geografischer, sondern ein<br />
Rechtsbegriff. Die Kommune ist eine Gebietskörperschaft und Gebietskörperschaften<br />
unterliegen Regeln in Deutschland. Das heißt, die<br />
staatlichen Schulaufsichtsbehörden sind mit ins Boot zu holen. Dazu<br />
benötigt man Aushandlungs- und Beteiligungsmittel. Eine Gelingensbedingung<br />
für den Aufbau von <strong>Bildung</strong>slandschaften ist, von Anfang<br />
an Strukturen zu wählen, in denen Interessenkonflikte thematisiert und<br />
nicht verschleiert werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass der<br />
Ausbau von <strong>Bildung</strong>slandschaften nicht für eine Sparpolitik instrumentalisiert<br />
wird. Zusammenfassend gilt es, Nachhaltigkeit zu sichern und<br />
in einem Finanzierungsplan zu regeln, der keine Kürzungen vorsieht.<br />
Es muss eine Verwaltungsreform durchgeführt werden, die nicht versucht,<br />
auf zivilgesellschaftlicher Vernetzungsebene Probleme zu lösen,<br />
die dort nicht gelöst werden können, sondern in der Verwaltung gelöst<br />
werden müssen. Letzter Punkt: Vernetzung ist kein Selbstzweck, sondern<br />
sie muss ein Ziel haben, das außerhalb der Vernetzung liegt. Zielklarheit<br />
im Konsens zu entwickeln, das ist eine entscheidende Phase in<br />
Richtung <strong>Bildung</strong>slandschaft.<br />
Diskussion<br />
Als die drei Gebietskörperschaften zu einem Landkreis Görlitz zusammengelegt<br />
wurden, gab es da eine kommunalpolitische Diskussion in<br />
einem neuen Rahmen Hat man eine Sparpolitik verfolgt Sind bildungsrelevante<br />
Ausgaben für Jugendarbeit gestrichen worden<br />
Wir haben bewusst versucht Themen herauszukristallisieren, die für<br />
den gesamten neuen Landkreis relevant sind, denn nur dann kann<br />
ich Akteure zusammenbringen und wirklich Struktur- und Perspektiventwicklung<br />
für den Landkreis machen. Ein gutes Beispiel ist die<br />
gesamte Jugendhilfearbeit. Es wurden dort verschiedene Strategien<br />
in den drei Gebietskörperschaften gefahren. Man hat sich jetzt erst<br />
einmal auf eine Übergangsphase geeinigt, in der die Finanzierung<br />
bleibt, wie sie war. Während des Übergangs wird eine Strukturanalyse<br />
durchgeführt und auf dieser Grundlage ab 2010 eine Neuordnung<br />
der Finanzierung im Landkreis geregelt.<br />
Wir haben verschiedene Akteure, die Zivilgesellschaft auf der einen<br />
Seite, die Verwaltung auf der anderen Seite, und beide Kreise werden<br />
aktiv. Die notwendige Motivation und das Engagement ist Aufgabe der<br />
Zivilgesellschaft. Sollte es wiederum die Aufgabe der Verwaltung sein,<br />
die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen und eine flächendeckende<br />
Wirkung zu erzielen<br />
Ich sehe die Schnittstellen so, dass zivilgesellschaftliche Netzwerkbildungen<br />
Zonen erzeugen und eine politische Willensbildung befördern,<br />
und wenn die politische Willensbildung Ziele bündelt, dann<br />
ist die staatliche kommunale Verantwortungsgemeinschaft aufgerufen<br />
dieses in die Fläche zu bringen. Das ist wunderbar, dass wir freiwilliges<br />
Engagement nutzen, aber bitte nicht als billigen Jakob, und<br />
genau das wird in Baden-Württemberg gemacht. Man hat dort eine<br />
Jugendbegleitung zur Verfügung, was an sich sinnvoll ist, aber nicht,<br />
wenn sie an die Stelle von pädagogisch qualifiziertem, hauptamtlichen<br />
Personal treten.“<br />
Es wurde gesagt, dass Kommunen, die zum Beispiel in der Jugendhilfe<br />
Mittel streichen, keine <strong>Bildung</strong>slandschaft erzeugen. Was sollen Kommunen<br />
machen, um überhaupt <strong>Bildung</strong>sakteur zu sein<br />
Es gibt bestimmte Dinge, die muss man auf einer höheren politischen<br />
Ebene kommunizieren und deutlich sagen: Wenn ihr das<br />
wollt, dann ist der Staat in seinen verschiedensten Gliederungen in<br />
der Verantwortung, hierfür auch die Mittel zur Verfügung zu stellen,<br />
und dann sind auch die Kommunen nicht aus der Verantwortung<br />
heraus.<br />
34
C Podiumsdiskussion<br />
<strong>Bildung</strong>slandschaften auf dem Weg von Top-down über<br />
Bottom-up zu komplexen Kommunikationsformen<br />
In der Podiumsdiskussion wurden die unterschiedlichen Perspektiven und Fragestellungen aus den<br />
Foren zusammengebracht und gebündelt.<br />
Dr. Heike Kahl, Geschäftsführerin der <strong>Deutsche</strong>n Kinder- und<br />
Jugendstiftung:<br />
Sie haben sich mit individuellen Lerngeschichten und mit dem Thema der<br />
individuellen Förderung intensiv befasst. Können <strong>Bildung</strong>snetzwerke zu<br />
dem Kernziel des Programms „Lebenswelt Schule“, die individuellen Lernchancen<br />
für Kinder und Jugendliche zu verbessern, einen Beitrag leisten<br />
handeln. Solche Beobachtungen mitzuteilen und sich darüber auszutauschen,<br />
das ist die Brücke, um den möglicherweise bestehenden<br />
Graben zu überwinden. Wenn so etwas wie eine systematische Dokumentation<br />
eingeführt werden soll, die auf ausführlicher Beobachtung<br />
beruht, dann dürfte das in der Schule allerdings kaum ohne eine<br />
zweite Kraft in der Klasse möglich sein.<br />
Dr. Hans Rudolf Leu, <strong>Deutsche</strong> Jugendinstitut, München:<br />
Das Thema des Forums, an dem ich teilnahm, waren individuelle<br />
Lernbiografien. Zu der Frage: Können Settings, die hier entwickelt<br />
und besprochen wurden, das fördern Es haben sich zwei Städte vorgestellt:<br />
Weiterstadt und Wiesbaden. Für mich war es eindrucksvoll<br />
zu sehen, wie mit strukturellen Rahmenbedingungen die individuellen<br />
Übergänge, vor allem von der Schule in den Beruf, gestützt und<br />
aufgefangen werden. Auf der strukturellen Ebene passiert schon sehr<br />
viel. Bei der Dokumentation von Lernbiografien, das war ein Punkt,<br />
der stärker in dem Beispiel von Weiterstadt zum Ausdruck kam, bei<br />
dem Übergang von Kindergarten zur Schule kann ich versuchen zusammenzufassen:<br />
Individuelle Lerndokumentationen sind wichtig, um deutlich zu machen,<br />
dass Kinder und Jugendliche lernen können. Dass man ihre<br />
Ressourcen, Kompetenzen wahrnimmt und sie schätzt. Das ist eine<br />
Grundvoraussetzung. Ein zweiter Punkt: Lerndokumentationen dienen<br />
dazu, selbstreflexiv zu sein. Kinder lernen, wie sie lernen, wie<br />
sie Strategien, methodische Kompetenzen erwerben, sie sehen, wo sie<br />
wie vorgehen und was das bewirkt. Der dritte Punkt, der für mich<br />
deutlich wurde am Beispiel von Weiterstadt, ist die Notwendigkeit<br />
von Ressourcen, die bereitgestellt werden müssen, damit Lernbiografien<br />
im Kindergartenbereich, aber auch in der Grundschule erstellt<br />
werden können.<br />
Wenn wir uns den ersten Bruch anschauen vom Kindergarten in die<br />
Schule, was passiert genau an diesem Knotenpunkt Was ist Ihre Empfehlung,<br />
wie man es bewerkstelligen könnte, dass dieser Bruch dann doch<br />
keiner ist oder wird<br />
Dr. Hans Rudolf Leu:<br />
Um den Bruch zu überwinden, müssen Grundschul- und Kita-Fachkräfte<br />
zusammenkommen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in<br />
ihrem Auftrag wahrnehmen und wechselseitig als bedeutsam anerkennen.<br />
Gegenseitige Wertschätzung ist die Basis für eine solche<br />
Kooperation. Lerndispositionen sind eine geeignete konzeptionelle<br />
Grundlage für den fachlichen Austausch, da mit ihnen Aspekte des<br />
Lernens erfasst werden, die auch für Grundschulpädagogen interessant<br />
ist. Zu sehen, wo Kinder dranbleiben, wo sie beharrlich etwas<br />
vertreten, wo sie sich einbringen und wo sie mit anderen zusammen<br />
Wenn wir über Integration sprechen, dann sind <strong>Bildung</strong> und Sozialraum<br />
zwei wichtige Stichworte. Wenn man sich die Praxis ansieht,<br />
stellt man schnell fest, dass es hier oft eine Kooperationslücke gibt.<br />
Jetzt könnte man sich fragen: Warum, also aus welchem Antrieb, aus<br />
welchem Interesse, sollen eigentlich Institutionen oder Organisationen<br />
beim Thema Integration kooperieren<br />
Dr. Günter Warsewa, Institut für Arbeit und Wirtschaft,<br />
Universität Bremen:<br />
Die Frage lässt sich relativ einfach beantworten, nämlich: aus Selbsterhaltungstrieb.<br />
Sie alle müssen das Interesse haben, egal ob das die<br />
Schule, der Kindergarten, die Familienhilfe oder der schulpsychologische<br />
Dienst sind, der Gesellschaft deutlich zu machen, dass sie ihre<br />
Aufgabe erfüllen. Und wenn sie diese Aufgabe nicht mehr oder nicht<br />
zureichend erfüllen, dann ist die Existenz dieser Organisation potenziell<br />
und langfristig gefährdet. Und eines der Teile, das nicht funktioniert,<br />
ist die Frage der Integration. Das Schulsystem erbringt nicht nur<br />
unzureichende <strong>Bildung</strong>sergebnisse, sondern es trägt über den Mechanismus<br />
von Schulsegregation, über den Mechanismus der Verteilung<br />
von <strong>Bildung</strong>schancen dazu bei, dass Integration nicht mehr gut funktioniert.<br />
Integration ist heute ein so großes Problem, weil die anderen<br />
Einrichtungen und Vorkehrungen unserer Gesellschaft, die Familie,<br />
die Nachbarschaft, das Arbeitssystem, diese Funktionen nicht mehr<br />
oder jedenfalls in Teilen nicht mehr erfüllen. Und das bedeutet, dass<br />
das Schulsystem, das <strong>Bildung</strong>ssystem seit etlicher Zeit auf eine ziemlich<br />
dramatische Weise überlastet ist. Wir gehen davon aus, dass man diese<br />
Defizite zumindest zum Teil ausgleichen kann, indem man kooperiert.<br />
Dass nicht die Schule allein diese Last und diese Belastung zu tragen<br />
hat, sondern dass all diejenigen Organisationen und Institutionen von<br />
der Sozialhilfe, der Familienhilfe, den verschiedensten Arten von Beratungsinstitutionen<br />
über die Jugendhilfe, die Kindergärten, ein abgestimmtes<br />
und funktionierendes Netz bilden müssen, um genau diese<br />
Art von Leistung wieder zu erbringen.<br />
Es zeichnet sich ein zweidimensionales Design ab: Es gibt benachbarte<br />
Organisationen und Institutionen, die nicht gut zusammenarbeiten, die<br />
vor Ort so etwas wie ein Netzwerk bilden müssten, und wir haben in der<br />
Vertikalen eine Struktur, die von unten nach oben geht. Unten vor Ort<br />
haben wir eine Logik der Kooperation, die anders ist und auch anders<br />
35
36<br />
aussehen muss als auf der Ebene von Ministerialbürokratien, Schulaufsicht,<br />
Schulträgern und verschiedensten Arten von sonstigen Trägern.<br />
In beiden Dimensionen braucht man so etwas wie einen Übersetzungsmechanismus,<br />
der Kooperationen, verschiedene Logiken sowie Interessen<br />
vermittelt und moderiert.<br />
Noch einmal die Frage zu dem Charakter von Kooperation. Sie haben Begriffe<br />
verwendet wie Dienstleister und Kunde. Ist das die richtige Sprache,<br />
wenn wir über integrative Modelle nachdenken und über eine sich<br />
ändernde Haltung<br />
Dr. Günter Warsewa:<br />
Wir finden in unserem <strong>Bildung</strong>ssystem und in den angelagerten und<br />
benachbarten Einrichtungen immer noch so etwas wie ein Behördenverständnis<br />
und wenn man übergehen könnte zu einem Verständnis<br />
von Kunden und von Dienstleistungen, dann wäre das ein Fortschritt.<br />
Dass wir darüber hinaus noch eine weitere Perspektive brauchen, die<br />
dann so etwas wie kooperatives Verständnis abbildet, da sind wir uns<br />
völlig einig. Wenn man tatsächlich ernsthaft Schulen zu Stadtteilangelegenheiten<br />
machen will, dann muss man über Schulangelegenheiten<br />
im Stadtteil diskutieren, entscheiden können. Das bedeutet, dass die<br />
verschiedenen Interessen, Stakeholder auf eine Art und Weise beteiligt<br />
werden, die nicht einem Bild vom Kunden, sondern einem Verständnis<br />
entspricht, sie als Mitglieder eines Netzwerkes gleichberechtigt an<br />
den Entscheidungen und an den Angelegenheiten teilhaben zu lassen.<br />
Wir wissen, wie schwierig es ist, ernsthafte Teilhabe in einer Schule herzustellen.<br />
Wie schwer muss es sein, wenn man ein gesamtes System auf der<br />
Grundlage von Teilhabe sehen möchte. Treffen Begriffe wie „Kunde“ oder<br />
„Dienstleistung“ das Verhältnis von Bürgern und den Institutionen, wenn<br />
es um Teilhabe und Partizipation geht Und wie kann es gelingen, Teilhabe<br />
nicht nur in einem Mikrokosmos Wirklichkeit werden zu lassen, sondern<br />
systematisch in einem größeren Kontext<br />
Prof. Dr. Sturzenhecker, Universität Hamburg<br />
Es geht nicht um Kunden und Dienstleistung, sondern um Bürgerinnen<br />
und Bürger, die gemeinsam entscheiden, wie <strong>Bildung</strong> in einer Kommune<br />
stattfinden soll, und zu denen gehören auch Kinder und Jugendliche.<br />
Der Skandal besteht darin, dass wir eine politische Entscheidungskultur<br />
haben, die viele Gruppierungen von Bürgerinnen und Bürgern<br />
ausgrenzt, die nämlich die Differenz der Bürger, das heißt auch die Differenz<br />
der Kinder und Jugendlichen nicht zur Kenntnis nimmt. Deshalb<br />
ist die erste Forderung aus Sicht von Kindern und Jugendlichen, Partizipation<br />
muss differenzgerecht sein, sie muss unterschiedliche Leute und<br />
„Kulturen“ unterstützen, sich auf ihre Weise beteiligen zu können. Saalfeld<br />
hatte ein super Projekt, wo die Kids die Wände in der Schule gesprayt<br />
haben. Dieses Projekt ist aber nicht in einem für sie greifbaren<br />
kommunikativen Kontakt zu seiner Umwelt: Die Kids, die sprayen, wissen<br />
gar nicht, was der Rat der Stadt damit zu tun hat. Sie bleiben isoliert<br />
und haben vielleicht eine Spaßinsel, aber kein Mitentscheidungsnetzwerk<br />
erfahren. Ich glaube, die Gestaltung von <strong>Bildung</strong>slandschaften<br />
wird nur funktionieren, wenn Kommunikationskanäle zwischen unterschiedlichen<br />
Betroffenen hergestellt werden. Partizipation muss Entscheidungsbeteiligung<br />
von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen<br />
Kommunikationsweisen eröffnen.<br />
Wie kann man in <strong>Bildung</strong>slandschaften den Reflexionsraum für Zielgruppen,<br />
die Sie im Auge haben, größer machen<br />
Prof. Dr. Sturzenhecker:<br />
Für die Kids erscheint doch alles erst einmal wie eine super Animation.<br />
Aber wie die Events in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, das<br />
erklärt niemand, das wird nicht greifbar. Es ist ein kommunaler Raum,<br />
im Sinne eines gemeinsamen Raums der Aushandlung herzustellen und<br />
dazu muss man die Leute kennenlernen, die mitentscheiden, die einem<br />
erklären, wer sie sind, wie man mit ihnen in Austausch und Diskussion<br />
kommen kann. Es dürfte kein Projekt geben, das nicht gleichzeitig in<br />
einem Netzwerk stattfindet, unterschiedliche Betroffene einbezieht und<br />
ihnen seine Einbindung in Entscheidungsstrukturen deutlich macht.<br />
Welche Brücken brauchen wir vom engeren <strong>Bildung</strong>skontext hin zur Stadtentwicklung<br />
Brauchen wir eine differenzgerechte Stadtentwicklung<br />
Prof. Dr. Häußermann, Humboldt-Universität zu Berlin:<br />
Die beiden Projekte in unserem Forum, Bernburg im Salzlandkreis und<br />
Hamburg-Harburg, waren Beispiele dafür, wie man Stadtentwicklung<br />
und die Entwicklung einer <strong>Bildung</strong>slandschaft verknüpft. Im Campus<br />
Technicus in Bernburg werden drei Sekundarschulen vereint in eine<br />
Schule. Da wird baulich geplant und ergänzt und das ist die Verknüpfung<br />
von Schul- und Stadtentwicklung. Hinzu kommt - und das finde<br />
ich besonders wichtig -, dass diese Entwicklung mit einem inhaltlichen<br />
Neustart verbunden ist, dass zurzeit eine neue Konzeption entwickelt<br />
oder schon erprobt wird. Ein wesentlicher Aspekt in beiden Fällen ist<br />
die räumliche Konzentration, die inhaltliche Integration, die Entwicklung<br />
von neuen Vorstellungen zur Ganztagsbildung, die Öffnung der<br />
<strong>Bildung</strong>seinrichtung zur Stadt, die Vernetzung mit Bibliotheken und<br />
Musikschulen. In den Praxisbeispielen handelt es sich um Regionen,<br />
in denen der Anteil von Kindern aus bildungsfernen Schichten relativ<br />
hoch ist. Deshalb ist es umso wichtiger, sie nicht nur zu beschulen, sondern<br />
individuell zu fördern.
Wir sind an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen worden, dass es einer<br />
neuen Form der Steuerung durch Politik und Verwaltung bedarf und<br />
das ist nicht nur mit Risiken verbunden, sondern auch mit großen Vorbehalten,<br />
denn die neuen Formen könnten in letzter Konsequenz bedeuten,<br />
Macht, Einfluss, Entscheidungskompetenz oder auch Mandate für Entscheidungen<br />
zu verlieren. Was ist Ihr Feedback zum Thema Steuerung<br />
Dr. Heinz-Jürgen Stolz, <strong>Deutsche</strong>s Jugendinstitut, München<br />
Wir hatten zwei Regionen, die unterschiedlicher nicht sein können,<br />
was die Vernetzung betrifft. Die eine Region, die kreisangehörige Stadt<br />
Weinheim in Baden-Württemberg, die das zusätzliche Problem hat,<br />
sich nicht nur mit dem Land und anderen Schulaufsichtsbehörden herumschlagen<br />
zu müssen, sondern auch noch mit dem Landkreis klarkommen<br />
muss. Auf der anderen Seite haben wir Görlitz in Sachsen, in<br />
dem zwei Kreise und die kreisfreie Stadt Görlitz zu einem neuen Landkreis<br />
zusammengelegt wurden und man sich neu aufstellen musste, jedoch<br />
schon lange im Programm Lernende Regionen Vernetzungsstrukturen<br />
zivilgesellschaftlicher Art aufgebaut hatte. Zurzeit wird versucht,<br />
das Ganze in einem internationalen Austausch mit Polen und Tschechien<br />
zu vernetzen. Die Region befindet sich in einer Grenzlage und<br />
versucht, die Vernetzung als EU-Region zu gestalten. Wir haben beide<br />
Darstellungen aus der Sicht der zivilgesellschaftlichen Akteure gehört.<br />
Akteure, die engagiert Vernetzung vor Ort kompetent betreiben und<br />
Erfahrungen haben.<br />
Die Nachfragen waren pointiert: Wie ist es denn bei euch mit den Verwaltungsstrukturen<br />
Habt ihr ein gemeinsames Dezernat Schule-Jugend<br />
Wie ist es mit den Finanzen, wenn ihr die Landkreise zusammengelegt<br />
habt Sind Mittel gekürzt worden im <strong>Bildung</strong>sbereich Es<br />
wurden Strukturfragen gestellt und ich denke, das ist typisch, dass wir<br />
fragen, wie kommen wir von einem Chaos der Zuständigkeiten zu einer<br />
staatlich kommunalen Verantwortungsgemeinschaft Wie bekommen<br />
wir eine Beteiligungsorientierung, die nicht nur eine Ressource ist<br />
für die Planung, sondern Bürger- und Bürgerinnenpartizipation intendiert<br />
und implementiert<br />
Ich würde mir von den Förderprogrammen eine Konturierung wünschen,<br />
auch in der Private-Public-Partnership, und dass man die Kommunen<br />
in die Verantwortung nimmt. Die staatlichen Akteure haben die<br />
Aufgabe, innovative Dinge, die sich bewährt haben vor Ort, in die Fläche<br />
zu bringen, infrastrukturell umzusetzen, und das sind gigantische<br />
Anstrengungen. Hier muss man belastbare Strukturen entwickeln, in<br />
denen wir Win-win-Situationen auf Landkreisebene gestalten können.<br />
Es gibt viele andere Interessen und Gegensätze, die kommuniziert gehören<br />
und aus Sicht der Förderer, der Stiftungen, der staatlichen Förderprogramme<br />
sollte man von Anfang an sagen: Wir fördern nur Strukturen,<br />
die, wenn unsere Programme zu Ende sind, einen nachhaltigen<br />
Effekt haben, die tatsächlich in der Regelpraxis weiterbestehen können.<br />
37
D Ausblick<br />
Dr. Bernd Ebersold<br />
Geschäftsführer der Jacobs Foundation<br />
Bei dem folgenden Text handelt es sich um die Transkription<br />
des Vortrags von Dr. Ebersold zum Abschluss des Fachtags.<br />
38<br />
Ich bin gebeten worden, der Veranstaltung einen Ausblick zu geben.<br />
Ausblick lässt mich an den Begriff Teichoskopie, aus dem Griechischen<br />
„Mauerschau“, denken, einem Mittel des antiken Dramas, das dazu<br />
dient, schwer darstellbare Ereignisse dem Zuschauer dadurch nahezubringen,<br />
dass ein Schauspieler sie schildert, als sähe er sie außerhalb der<br />
Bühne vor sich gehen. Also von einer Mauer oder einem Turm zu gucken<br />
und Ausschau zu halten. So habe ich mich heute gefühlt und nicht<br />
auf erhobenem Podest auf Sie, sondern in die Veranstaltung geblickt<br />
und eine gewisse Streitkultur erlebt.<br />
Streiten – im Sinne von Benedikt Sturzenhecker – ist ein produktiver<br />
Prozess. Ich fand es interessant, dass Diskurse insbesondere in unserem<br />
Workshop stattfanden und diese will ich aus Sicht eines Stiftungsvertreters,<br />
der ja Teil des Streites und dieser Streitkultur ist, pointierter<br />
zusammenfassen. Die Stiftungsdenke, das Visionäre kommt in dem<br />
Programm „Lebenswelt Schule“, der Vernetzung lokaler Akteure und<br />
Ressourcen für die individuelle Förderung von Kindern zum Ausdruck.<br />
Das ist fast so kompliziert wie die Lösung der Finanzmarktkrise.<br />
In „Lebenswelt Schule“ sind viele Dimensionen gebündelt, für die<br />
man eine Vision benötigt, die implizit der Zivilgesellschaft unterstellt<br />
wird; eine solche trägt die Stiftung in ihrem Herzen. Wir sind Visionäre,<br />
aber wir machen es uns viel zu leicht, denn wir reden über soziale<br />
Phänomene, über Komplexitäten, die wir eigentlich nicht verstehen,<br />
für die wir jedoch schon Lösungsansätze haben. Das kommt in Sätzen<br />
zum Ausdruck: Wir wissen ja, wie es geht. Wir wissen, wer die Beteiligten<br />
sind und was wir eigentlich tun wollen. Demgegenüber war der<br />
erste Vortrag herzerfrischend, der mich zu zwei Methoden inspiriert,<br />
wie man einen rationalen Diskurs immer gewinnt. Die erste Möglichkeit<br />
ist, man redet pointiert und lässt anschließend keine Diskussion zu,<br />
die zweite besteht darin, den Abschlussvortrag zu halten. Nach diesem<br />
kommt nämlich auch keine Diskussion zustande und diese Gelegenheit<br />
nutze ich jetzt.<br />
In der Zivilgesellschaft ist Aktivitätspotenzial für das Visionäre vorhanden.<br />
Viele von Ihnen engagieren sich in ihr und erfahren Mut. Demgegenüber<br />
kontrastiert ein Sinn für Realität, für reale Probleme. Visionen<br />
hier und Ressourcen dort, wie es in den Vorträgen zu hören war, nicht<br />
nur finanzielle, sondern auch personelle Ressourcen, irgendwie passt<br />
das scheinbar nicht zusammen. Ich habe dafür vielleicht einen Lösungsansatz<br />
aus Stiftungssicht. Erstens, Stiftungen wollen immer mehr, als sie<br />
können und eigentlich müssten wir darüber reden, was wir wollen/sollen.<br />
Zweitens, das ist auch in Deutschland weit verbreitet, diskutieren<br />
wir Visionen und Rationalität, reale Befindlichkeiten und Zielvorstellungen<br />
fast immer dichotomisch. Ich glaube, es ist notwendig, den Mut<br />
zu Visionen weiterhin aufrechtzuerhalten. Wir müssen an die Front gehen,<br />
dort mit zivilgesellschaftlichem Engagement kämpfen, bei Anerkennung<br />
der Realitäten. Wir müssen akzeptieren, dass wirtschaftliche<br />
Krisenzeiten so sind, wie sie sind, und dass bildungspolitische Ideale<br />
bei den Anforderungen der Finanzmarktkrise ein wenig auf der Strecke<br />
bleiben können. Man kann das aber auch positiver formulieren.<br />
Wenn man den Begriff Zivilgesellschaft aufgeben und klassisch von<br />
Bürgergesellschaft reden würde, wäre schon etwas gewonnen. Zivil, das<br />
klingt toll, weil es sich nicht interessengebunden anhört. Die Bürgergesellschaft<br />
dagegen, das habe ich von Ralf Dahrendorf erfahren und<br />
als Quelle notiert, ist zunächst einmal dadurch gekennzeichnet, dass sie<br />
interessengeleitet und in der Regel auch interessendivergent ist. Diese<br />
Erkenntnis hat den Vorteil, dass wir nicht immer nur den Staat anprangern<br />
müssen und sagen: Das ist eigentlich etwas anderes als Zivilgesellschaft.<br />
Wenn wir im politischen Willensbildungsprozess das visionäre,<br />
zivilgesellschaftliche, bürgergesellschaftliche Tun, die Praxis und<br />
die Realität nicht außer Acht lassen, sondern uns als Teil dieses Prozesses<br />
der Willensbildung verstehen, die eine langfristige Vision und<br />
Veränderung der Gesellschaft zum Besseren nicht vergisst, dann ist das<br />
die Klammer, die einen guten Ausblick bietet.<br />
Noch ein Hinweis: Ich empfinde es als positiv, dass die Bundesregierung<br />
480 Milliarden Bürgschaften für den Bankensektor und den zusammencrashenden<br />
Bereich bereitstellt. Warum Es sollte uns Mut machen,<br />
weil die Finanzmarktkrise und ihre Behandlung in der Politik auch für<br />
den <strong>Bildung</strong>sbereich zeigt, dass Politik, wenn ein politisch, gesellschaftlich<br />
relevantes Problem, und um ein solches handelt es sich, auftritt,<br />
per se handlungsfähig ist. Ob sie im richtigen Sinne handlungsfähig ist<br />
und die Richtung stimmt, das kann ich nicht beurteilen, in diesem Bereich<br />
bin ich kein Experte, aber zunächst einmal ist sie handlungsfähig.<br />
Leidens-, Entscheidungs- und Problemdruck sind zumindest eine<br />
politische Kategorie, auf die Politik hört. Der zweite positive Ansatz ist<br />
der, dass Politik reagiert, weil die Bürgergesellschaft ihr zutraut, dass es<br />
sich um ein Problemfeld handelt, das solche Einschnitte und finanziellen<br />
Umschichtungen tatsächlich notwendig macht.<br />
Wenn der <strong>Bildung</strong>s- oder Forschungssektor, aus dem ich ursprünglich<br />
herkomme, begreift, dass er in diese Richtung die Problemfelder,<br />
den Leidensdruck richtig adressiert und sich im Rahmen der bürgergesellschaftlichen<br />
Engagements als Teil des politischen Willensbildungsprozesses<br />
versteht, dann hat man die Hoffnung, dass es einen sozialen<br />
Wandel geben wird. Ansonsten brechen bürgergesellschaftliches Engagement<br />
und Realität wieder auseinander. Ich fand beeindruckend, dass<br />
beides in dieser Veranstaltung dicht beieinander lag und nicht strittig,<br />
sondern in einem rationalen Diskurs ausgetragen wurde. Vielen herzlichen<br />
Dank, der Fachtag war ein Gewinn für mich.
Impressum<br />
<strong>Deutsche</strong> Kinder- und Jugendstiftung gemeinnützige GmbH (DKJS) 2009<br />
Tempelhofer Ufer 11<br />
10963 Berlin<br />
www.dkjs.de<br />
Tel.: (030) 25 76 76 40<br />
Fax: (030) 25 76 76 10<br />
E-Mail: info@lebenswelt-schule.net<br />
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www.lebenswelt-schule.net<br />
Lektorat: Dr. Cornelia Alban<br />
Satz & Layout:<br />
progress 4<br />
Offline-/ Online Produktion GbR<br />
Fotos:<br />
Cover: Pierro Chiussi, Fotos der Tagung: DKJS<br />
Weitere Informationen zum Programm „Lebenswelt Schule“ erhalten Sie unter:<br />
www.lebenswelt- schule.net<br />
Lebenswelt Schule ist ein gemeinsames<br />
Programm der <strong>Deutsche</strong>n Kinder- und<br />
Jugendstiftung und der Jacobs Foundation.
Ein gemeinsames Programm<br />
der <strong>Deutsche</strong>n Kinderund<br />
Jugendstiftung und<br />
der Jacobs Foundation