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Das Verstandene Leben - Ernst Michael Lange

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pragmatische Voraussetzungen zu diskontieren, wie szientifische Zeitphilosophie zu tun<br />

geneigt ist, dient jedenfalls nicht philosophischem Verständnis.<br />

Bleibt die Frage: Wie hängen die methodologischen und die formal-ontologischen<br />

Erklärungen für ‚Zeit’ mit ihrer Charakterisierung als ‚formalem Begriff’ zusammen <strong>Das</strong><br />

Verhältnis der beiden Erklärungen zueinander sollte nach den vorstehenden Erörterungen<br />

klar sein: Die methodologische Erklärung gibt an, wie wir vor allem mit zeitlich Bestimmtem<br />

umgehen – indem wir es mit Hilfe von Kalendern und Uhren datieren und messen. Die<br />

formal-ontologische Erklärung gibt dagegen in abstrakter Weise an, womit wir so umgehen,<br />

wenn wir tun, wie die methodologische Erklärung sagt.<br />

Zunächst einmal muss darauf hingewiesen werden, dass die beiden Erklärungen zwar die<br />

zentralen Weisen des Umgangs mit Zeit zu treffen beanspruchen, aber nicht alle. Im<br />

Zusammenhang mit dem zu Handlungen (im Unterschied von Tätigkeiten) gehörenden<br />

Begriff der Zukunft als des spezifisch noch Ausstehenden, auf den Handelnden selbst<br />

insofern Zukommenden, als er den Erfolg seiner Handlung in der Absicht antizipiert, der sich<br />

empirisch einstellen wird oder nicht, sind wir auf andere Weisen des Umgangs mit der Zeit<br />

gestoßen. Im Hinblick auf sie könnte sehr wohl auch erklärt werden: Zeit ist als Zukunft das,<br />

was wir in praktischen Einstellungen vorwegnehmen – befürchten, erwarten, erhoffen, zu<br />

gestalten bestrebt sind; Zeit ist als Vergangenheit das, was wir erinnern, bereuen und<br />

bedauern, mit Stolz oder Befriedigung betrachten etc.; Zeit als Gegenwart ist, worin wir<br />

wahrnehmen und beobachten, tätig sein und handeln können. Jede mögliche Erläuterung ist<br />

nur partiell anwendbar (auch wenn sie verschiedene Reichweite haben), es gibt keine, die für<br />

alle Kontexte des Verstehens und Handelns und die sie erschließenden Praktiken gültig wäre.<br />

In szientifischer Zeitphilosophie hat dieser Umstand ein Echo in der Behauptung, die<br />

Erfahrung von Zeit sei eben universeller als jede andere, was immer erfahren werde, Zeit<br />

werde mit erfahren. Aber erstens ist die Behauptung unangemessen unbeschränkt – es gibt<br />

auch Erfahrbares, das wir jedenfalls primär und zunächst nur als räumlich bestimmt<br />

behandeln (ich werde darauf eingehen). Und zweitens besagt der eben gegebene Hinweis<br />

doch: Zeit wird gar nicht nur ‚erfahren’, sondern ist auch in ganze anderen Einstellungen<br />

(wie den praktischen, den dichterischen etc.) „erschlossen“ (das ist Heideggers<br />

Kunstausdruck, indem ‚bewusst’ und ‚verständlich’ amalgamiert sind).<br />

Welche Status haben derartige Erklärungen Nach dem hier befolgten Philosophie-Konzept –<br />

reflexive begriffliche Klärung – sind sie keine theoretischen Behauptungen. Sonden vielmehr<br />

synoptische, Überblick gewährende Zusammenfassungen über eine Vielzahl von Praktiken<br />

und zu ihnen gehörenden Verwendungsweisen von sprachlichen Ausdrücken, die immer<br />

dann Erwähnung fanden, wenn Beispiele für die allgemeinen Ausdrücke gegeben wurden –<br />

also z.B. für den Ausdruck ‚Prozess’ die Beispiele ‚Regen in einem Landstrich’, ‚Krankheit’;<br />

oder für den Ausdruck ‚Ereignis’ die Beispiele ‚Sonnenaufgang’ oder ‚Geburt eines<br />

Lebewesens’. Zu überprüfen wären die gegebenen Erklärungen daran, ob sie in den<br />

Verwendungsweisen der als Beispiele dienenden konkreten Ausdrücke Entsprechungen<br />

haben, die von den formalen allgemeinen Erklärungen gedeckt sind. Auch die allgemeinen<br />

Erklärungen sind ihrem Status nach, anders als ihre Formulierung im Indikativ nahe legt,<br />

nicht theoretische, sondern praktische Sätze: Vorschläge zum besseren ausdrücklichen<br />

Verständnis dessen, was wir je schon kennen, können und tun, insofern wir handeln,<br />

sprechen und verstehen. Praktische Sätze bedürfen der Ratifikation durch ihre Adressaten. Im<br />

vorliegenden Fall muss der Leser sich durch Nachdenken davon überzeugen (oder auch<br />

nicht), dass die gegebenen Erklärungen sein Verständnis klären, es ihm besser übersichtlich<br />

machen als andere Erklärungen und als es zuvor war. (Der Leser kann philosophieren, wenn<br />

er nicht nur sein Verständnis an den Erklärungen, sondern auch umgekehrt die Erklärungen<br />

an seinem Verständnis messen und korrigieren, verbessern, ausarbeiten kann.)<br />

Ebene habe ich beiläufig formuliert, die Erklärungen seien formale. Sie sind es deshalb (und<br />

das klärt endlich das Verhältnis der Erklärungen zur Charakterisierung von ‚Zeit’ als<br />

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