Hannah Arendt und das philosophische Denken - KOPS ...
Hannah Arendt und das philosophische Denken - KOPS ...
Hannah Arendt und das philosophische Denken - KOPS ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Arendt</strong> selbst hat sich über ihre Leiden <strong>und</strong> Sorgen selten geäußert. Bei S. Y. Gottlieb<br />
heißt es: "<strong>Arendt</strong> is in any case reluctant to introduce her own experiences into<br />
her many broader discussions of the conditions and times through which she<br />
lived." 117 Gehört diese Einstellung einfach zur persönlichen Eigenwilligkeit? Die<br />
Biographin <strong>Arendt</strong>s, E. Young-Bruehl, berichtet, <strong>das</strong>s <strong>Arendt</strong> schon als Kind zu der<br />
Überzeugung gelangt sei: "Man müsse so wenig wie möglich an traurige Dinge denken."<br />
118 Diese Überzeugung ist später zur Gewohnheit geworden. Die traurigen Dinge<br />
gehören zur Welt; was geschehen ist, ist unwiderruflich <strong>und</strong> kann nicht wieder<br />
gutgemacht werden; traurige Angelegenheiten sind Bestandteil der Wirklichkeit der<br />
Welt: "Die Belohnung für <strong>das</strong> Geschichtenerzählen liegt darin, etwas loslassen zu<br />
können." 119 Also dient <strong>das</strong> Geschichtenerzählen dazu, die Dinge loszulassen, um<br />
sich mit der Welt zu versöhnen.<br />
In den Werken <strong>Arendt</strong>s finden sich keine Geschichten im literarischen Sinne, wie I.<br />
Dinesen meint, sondern theoretische Untersuchungen. Alte Begriffsysteme, Werte<br />
<strong>und</strong> der theoretische Rahmen werden kritisch untersucht <strong>und</strong> geben Anlass, neue<br />
Theorien zu bilden, Thesen zu formulieren, Kategorien zu bestimmen. So lässt sich<br />
in Bezug auf den Totalitarismus feststellen, <strong>das</strong>s alle Überlegungen <strong>Arendt</strong>s dazu<br />
dienen, <strong>das</strong> Phänomen des Totalitarismus zu verstehen; was hier passiert, ist mit<br />
den vorhandenen Kategorien nicht mehr zu begreifen. Zuerst muss ein neues Begriffsystem<br />
geschaffen werden, dann kann man eine Geschichte erzählen. Darum<br />
geht es in <strong>Arendt</strong>s Werken.<br />
Die Vergangenheit kann zwar nicht wiedergutgemacht werden, doch kann eine bessere<br />
Zukunft entworfen werden. Deshalb orientieren sich <strong>Arendt</strong>s Überlegungen an<br />
Konzeptionen dazu, 'was sein sollte'. Da <strong>Arendt</strong> stets <strong>das</strong>, was gewesen ist, hinsichtlich<br />
dessen, was sein sollte, beurteilt, führt dies unvermeidlich zu Kontroversen <strong>und</strong><br />
Debatten: "Wer aus der Vergangenheit nichts lernt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen."<br />
120 Wenn <strong>Arendt</strong>s Werke eine Antwort auf die politischen Ereignisse des 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts sind, dann dienen sie dazu, die Vergangenheit zu verstehen <strong>und</strong> aus<br />
der Vergangenheit zu lernen. Man muss "sich aufmerksam <strong>und</strong> unvoreingenommen<br />
der Wirklichkeit, was immer sie ist oder war, stellen <strong>und</strong> (sich ihr) entgegenstellen"<br />
121 . Nur dann ist es möglich, sich auch von Traumata zu befreien.<br />
44