CRUISER08
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Seite 8<br />
Buch<br />
CRUISER 1008<br />
Michi Rüegg: «Ab 18 Jahren»<br />
Ist sein erstes Buch<br />
mit den polysexuellen<br />
Weisheiten auch schon<br />
sein letztes?<br />
Das «Parterre» in Zürich Wiedikon<br />
war voll. Zur Buchvernissage kamen<br />
viele Freunde, die Familie und<br />
Prominenz. Der Titel «Ab 18 Jahren»<br />
zeigt also, wie erhofft, anziehende<br />
Wirkung, stellte Michi Rüegg in der<br />
Einführung zu seiner Lesung fest.<br />
«Ab 18 Jahren – Kolumnen, polysexuelle<br />
Weisheiten und zehn Jahre<br />
Langeweile in Textform» ist der<br />
ganze Titel des soeben erschienenen<br />
Buches von Michi Rüegg. Ein Teil der<br />
Kolumnen inklusive polysexuelle<br />
Weisheiten sind in den vergangenen<br />
Jahren im Cruiser erschienen. Die<br />
«zehn Jahre Langeweile» beziehen<br />
sich wohl auf seine Zeit des Werbetextens,<br />
die begleitet war mit Stückeschreiben<br />
und Regieführen fürs<br />
Theater.<br />
Der Werber<br />
Hat er diese Zeit hinter sich gelassen?<br />
Keine Werbung mehr? Obwohl<br />
er in renommierten Agenturen für<br />
namhafte Kunden gearbeitet hat<br />
und über 30 nationale und internationale<br />
Auszeichnungen einheimsen<br />
konnte. Kein Zurück?<br />
«Ich halte es nicht mehr aus.»<br />
meint Rüegg, und weiter: «Ich hatte<br />
nicht die obligate schwarze Garderobe<br />
(schmunzelnd). Auch habe ich<br />
mich nicht als Werber gefühlt. Der<br />
grosse Karriereschritt hat sich nicht<br />
abgezeichnet. Zudem bin ich kein<br />
Kompromissmensch, das muss man<br />
in der Werbung sein. Ich hatte einfach<br />
keinen Nerv mehr, vorwiegend<br />
für den Papierkorb zu arbeiten.»<br />
so was gerne spielen. Unter dem Namen<br />
Dr.-Karl-Landsteiner-Jubiläums-<br />
Theater wurden die von Rüegg verfassten<br />
Stücke «Harte Zeiten», später<br />
«Hummer flambiert» und «Homoscheidung»<br />
von ihm inszeniert und<br />
kamen zur Aufführung. Ob er wieder<br />
zum Theater zurückfindet? Er<br />
weiss es nicht. Nur eines ist er sich<br />
sicher: «Ich hasse es, zweimal das<br />
Gleiche zu machen.» Nun hat er ein<br />
Buch geschrieben. Kommt also kein<br />
zweites danach? Rüegg sinniert: «Ja<br />
eben, wer weiss. Das ist ein Problem.»<br />
Vorerst kommuniziert er mal weiter<br />
für die Zürcher Justizdirektion.<br />
hinter verschlossenen Türen und<br />
zugezogenen Vorhängen. Aber es ist<br />
so real wie alles andere.» Über diese<br />
«Realität» hat Michi Rüegg schon<br />
vor «Sex and the City» geschrieben.<br />
Nun fällt es ihm aber leichter, noch<br />
mehr darüber zu reden und schreiben,<br />
weil das in der Gesellschaft<br />
unterdessen akzeptiert wird, dass<br />
man «Orgasmus» und anderes in den<br />
Mund nimmt.<br />
Doch es gibt in dem Buch noch<br />
andere, sexfreie Geschichten. Zum<br />
Beispiel die mit den «fünf Menschenleben,<br />
die ich mittlerweile teilweise<br />
auf dem Gewissen habe». Eine<br />
Gemischtes Publikum<br />
Viele Geschichten im Buch handeln<br />
in der Welt der Schwulen. Dennoch<br />
war das Publikum an der Lesung<br />
gut durchmischt. Und Rüegg<br />
wundert sich, wie viele heterosexuelle<br />
Frauen sein Buch lesen. Seinen<br />
Arbeitgeber, den Zürcher Regierungsrat<br />
Markus Notter, hatte<br />
Rüegg rechtzeitig über die Pläne,<br />
dieses Buch herauszugeben, informiert.<br />
«Das war für mich noch ein<br />
springender Punkt. Wenn er gesagt<br />
hätte, das kannst du nicht machen,<br />
dieses Buch herausgeben, dann hätte<br />
ich’s vielleicht sein lassen. Er war<br />
schon skeptisch, aber manchmal<br />
muss man die Leute etwas zum<br />
Glück zwingen.» An der Vernissage<br />
sah Notter jedoch alles andere als<br />
«verzwängt» aus. Auch bei den von<br />
Rüegg vorgetragenen schwulen Geschichten<br />
schmunzelte er des Öftern<br />
und lachte auch mal herzhaft.<br />
Der Cruiser wollte danach vom<br />
Justizdirektor Notter wissen, wie<br />
er denn mit so einem Menschen zurechtkomme,<br />
der so quere Gedankengänge<br />
hat und dermassen Phantasien<br />
entwickle, ob dieser Mann als<br />
direkter Mitarbeiter da am richtigen<br />
Posten sei. Seine Antwort: «Das ist<br />
nicht der Punkt. Der Mann kann<br />
sehr gut schreiben. Und genau das<br />
brauche ich.»<br />
Zum Schluss die persönliche Frage<br />
an Michi Rüegg: «Hast du dir schon<br />
Gedanken gemacht, dass es vielleicht<br />
Grenzen gibt, bei deren Überschreitung<br />
der Cruiser deine Kolumne<br />
nicht mehr abdrucken würde?»<br />
Antwort: «Ich versuch’s jedes Mal,<br />
hab’s aber noch nie geschafft.»<br />
<br />
Von Martin Ender<br />
Der Theatermann<br />
Die Theaterzeit, nimmt er die<br />
wieder auf? Ist das eine Pause? «Pause?...<br />
Nein, ich hab einfach unterdessen<br />
was anderes gemacht.» Dass er<br />
sich mit Theater beschäftigte, kam<br />
eher zufällig. Bei einem Laientheater<br />
war er für eine kleine Rolle verpflichtet.<br />
Der Regisseur warf das<br />
Handtuch. Rüegg übernahm den<br />
Job. «Ich hab die Regie gemacht und<br />
die Leute haben es toll gefunden.»<br />
Und zum Stückeschreiben kam er<br />
so: «Während der Aufführungen war<br />
mir wieder mal so langweilig, dass<br />
ich angefangen habe ein Stück zu<br />
schreiben...». Nun hatte Rüegg ein<br />
Theaterstück, aber keine Bühne, die<br />
es spielen wollte. Es war eine Pornokomödie<br />
mit dem Titel «Harte Zeiten».<br />
Was tun? Selber ein Theater gründen<br />
und Schauspieler suchen, die<br />
Das Buch<br />
Michi Rüegg nimmt beim Schreiben<br />
Worte in den Mund, die nicht<br />
alle Leser verkraften. (Homo)sexuelle<br />
Praktiken werden nicht angetönt,<br />
nicht umschrieben, sondern beschrieben.<br />
Darum hat er denn auch gleich<br />
ganz vorne im Buch, wie er sagt, einen<br />
«Filter» eingebaut mit der Widmung:<br />
«Für alle, die ich mal geliebt<br />
oder nur gevögelt habe. Und für meine<br />
Eltern, die das alles lieber nicht<br />
lesen möchten.»<br />
Die Frage, ob er denn selber so<br />
schamlos hemmungslos sei, verneint<br />
er vehement:<br />
«Nein, wirklich nein, ich bin nur<br />
weder im Bett prüde noch ausserhalb.<br />
Ich bin nicht sexueller als andere.<br />
Ich schreib einfach darüber.<br />
Das ist doch das Leben, zwar meist<br />
teilweise Erklärung, warum Rüegg<br />
sich von der Werbung verabschiedet<br />
hat. Oder die äusserst verzwickte<br />
Geschichte «Marcos Odyssee». Sie<br />
führt den Leser durch ein Labyrinth<br />
von Geschehnissen, aus dem er wohl<br />
erst beim zweiten Durchlesen herausfindet<br />
und mit Marcos Nervenzusammenbruch<br />
aufatmen kann. In<br />
der Mitte des Buches gibt’s ein Interview<br />
mit Gott und zum Schluss folgt<br />
«Mein letzter Wille»: «Die Asche soll<br />
drei Kilometer von Nizza entfernt<br />
ins offene Mittelmeer gestreut werden.»<br />
Die Zeremonie darf nur bei<br />
schönem Wetter abgehalten werden.<br />
Darum sind «die Trauergäste angewiesen,<br />
bis zu diesem Schönwettertag<br />
vor Ort zu bleiben. Im Notfall<br />
werden Spielkarten und Kondome<br />
verteilt.»<br />
«Ab 18 Jahren»<br />
Autor: Michi Rüegg<br />
ISBN 978-3-8370-4416-4