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Das zweite Jahr

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Der Junge merkt, daß der Rappe wund ist, am linken Ohr hat der<br />

Riemen ihn aufgescheuert.<br />

»Warte mal«, sagt er, »da muß ich die Schnalle ein wenig lockern, das<br />

haben wir gleich.«<br />

Er lockert die Schnalle, dann nimmt er dem Rappen den Halfter ab.<br />

Krabat, sobald er des Halfters ledig ist, wird zum Raben. Krächzend<br />

erhebt er sich in die Lüfte und hält auf Schwarzkollm zu.<br />

Im Dorf scheint die Sonne. Zu seinen Füßen sieht er die Kantorka, wie<br />

sie unweit des Brunnens steht, eine Strohschüssel in der Hand, und die<br />

Hühner füttert – da streift ihn ein Schatten, der Schrei eines Habichts gellt<br />

ihm ins Ohr. »Der Meister!« durchzuckt es Krabat.<br />

Pfeilschnell, die Flügel angelegt, stürzt er sich in den Brunnen und<br />

nimmt die Gestalt eines Fisches an. Ist er gerettet? Zu spät wird ihm klar,<br />

daß er sich gefangen hat, daß es keinen Ausweg gibt.<br />

»Kantorka!« denkt er mit aller Inbrunst, deren er fähig ist. »Hilf mir<br />

heraus da!«<br />

<strong>Das</strong> Mädchen taucht ihre Hand in den Brunnen hinab, da wird Krabat<br />

zu einem schmalen Goldreif an ihrem Finger: so kehrt er zurück an die<br />

Oberwelt.<br />

Am Brunnen steht, wie vom Himmel gefallen, ein polnisch gekleideter<br />

Edelmann, einäugig ist er, er trägt einen roten, silberverschnürten Reitrock<br />

mit schwarzen Tressen.<br />

»Kann Sie mir sagen, Jungfer, woher Sie den feinen Ring hat? Laß Sie<br />

ihn mich mal sehen ...«<br />

Schon streckt er die Hand nach dem Ring aus, schon greift er danach.<br />

Krabat verwandelt sich in ein Gerstenkorn. Er entgleitet der Kantorka,<br />

fällt in die Strohschüssel.<br />

Mit dem nächsten Wurf streut das Mädchen ihn unter das Hühnervolk.<br />

Der Rotrock ist plötzlich verschwunden. Ein pechschwarzer fremder<br />

Gockel, einäugig, pickt nach den Körnern – doch Krabat ist schneller als er:<br />

seinen Vorteil wahrnehmend, wird er zu einem Fuchs. Blitzschnell stürzt er<br />

sich auf den Schwarzen und beißt ihm den Hals durch.<br />

Es knirscht wie von Häcksel und Stroh zwischen seinen Zähnen. Wie<br />

Stroh knirscht es zwischen Krabats Zähnen, wie Häckerling.<br />

Als Krabat erwachte, war er in Schweiß gebadet. Er hatte sich in den<br />

Strohsack verbissen, er keuchte, es dauerte eine Weile, bis er zur Ruhe<br />

kam.<br />

Daß er den Meister im Traum überwunden hatte, nahm er als gutes<br />

Omen. Von jetzt an war er sich seiner Sache vollkommen sicher. Die Tage<br />

des Meisters, das glaubte er nun zu wissen, waren gezählt. Er, Krabat,<br />

würde dem Treiben des Müllers ein Ende setzen: ihm war es bestimmt,<br />

seine Macht zu brechen.<br />

Am Abend begab er sich in die Meisterstube. »Es bleibt dabei!« rief er.<br />

»Mach du zu deinem Nachfolger, wen du magst. Ich, Krabat, weigere mich,<br />

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