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Das zweite Jahr

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Es war in der <strong>zweite</strong>n Woche nach Ostern, da wurden die<br />

Mühlknappen eines Nachts aus den Betten geholt. Der Meister stand in der<br />

Tür des Schlafraums, ein Licht in der Hand.<br />

»Es gibt Arbeit, der Herr Gevatter kommt, tummelt euch, tummelt<br />

euch!«<br />

Krabat fand in der Aufregung seine Schuhe nicht, barfuß lief er den<br />

anderen nach, vor die Mühle hinaus.<br />

Es war Neumond, die Nacht war so schwarz, daß die Mühlknappen<br />

nicht die Hand vor den Augen sahen. Jemand trat Krabat im allgemeinen<br />

Gedränge mit seinen Holzschuhen auf die Zehen.<br />

»He!« rief der Junge. »Kannst du nicht aufpassen, Trampeltier!«<br />

Da verschloß eine Hand ihm den Mund. »Kein Wort mehr!« flüsterte<br />

Tonda.<br />

Dem Jungen fiel auf, daß keiner der Burschen gesprochen hatte, seit<br />

sie geweckt worden waren. Sie blieben auch weiter stumm, für den Rest<br />

der Nacht; Krabat desgleichen.<br />

Er konnte sich denken, welcherart Arbeit ihnen bevorstand.<br />

Bald schon, mit lodernder Hahnenfeder am Hut, kam der Fremde auf<br />

seinem Fuhrwerk dahergerasselt. Die Burschen stürzten zum Wagen, sie<br />

rissen die schwarze Plane auf und begannen die Säcke ins Haus zu<br />

schleppen – zum Toten Gang in der hintersten Ecke der Mahlstube.<br />

Es war alles wie vor vier Wochen, als Krabat die Burschen durchs<br />

Giebelfenster beobachtet hatte, nur daß der Meister sich diesmal neben<br />

dem Fremden aufs Sitzbrett des Wagens schwang. Heute war er es, der mit<br />

der Peitsche knallte: knapp über ihre Köpfe weg, daß die Burschen sich<br />

duckten, wenn sie den Luftzug spürten.<br />

Krabat hatte schon fast vergessen, wie schwer man zu schleppen hatte<br />

an solch einem vollen Sack, und wie rasch man dabei außer Atem kam.<br />

»Gedenke, daß du ein Schüler bist!«<br />

Die Worte des Meisters: je länger er darauf herumkaute, desto weniger<br />

schmeckten sie ihm.<br />

Die Peitsche knallte, die Burschen rannten, das Mühlrad lief an, und<br />

das Rattern und Jaulen des Toten Ganges erfüllte das Haus. Was<br />

enthielten die Säcke wohl? Krabat warf einen Blick in die Schütte. Im<br />

spärlichen Licht der Laterne, die unter der Decke schaukelte, war nicht viel<br />

zu erkennen. Waren es Roßäpfel, die er hineinkippte, waren es<br />

Föhrenzapfen? Es konnten auch Steine sein, runde, schmutzverkrustete<br />

Steine...<br />

Dem Jungen blieb keine Zeit zu genauerem Hinsehen, schon kam<br />

Lyschko herangekeucht mit dem nächsten Sack. Krabat den Ellbogen in die<br />

Rippen stoßend, drängte er ihn beiseite.<br />

Michal und Merten hatten am Auslauf des Mahlkastens Posten gefaßt,<br />

sie füllten das fertig vermahlene Gut in die leeren Säcke ab und<br />

verschnürten sie. Nun ging alles wie damals weiter. Beim ersten<br />

Hahnenschrei war die Fuhre aufs neue vollgepackt, war die Plane<br />

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