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im näheren Umkreis, herumgesprochen zu haben, daß hier nicht alles mit<br />
rechten Dingen zuging: was sonst hätte wohl die Leute vom Koselbruch<br />
ferngehalten?<br />
Dem Jungen blieb keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Der<br />
Meister hatte sich wieder hinter den Tisch gesetzt und fing an, einen<br />
Abschnitt aus dem Koraktor vorzulesen: langsam, in singendem Tonfall,<br />
wobei er sich steif in den Hüften vor und zurück wiegte, vor und zurück.<br />
»Dies ist die Kunst, einen Brunnen versiegen zu machen, daß er von<br />
einem Tag auf den andern kein Wasser gibt«, las er vor. »Zum ersten<br />
versieh dich mit vier auf dem Ofen gedörrten Pflöcken von Birkenholz,<br />
dritthalb Spannen lang jeder, gut einen Daumen dick und am unteren Ende<br />
im Dreikant zugespitzt; zum andern verpflocke den Brunnen des Nachts<br />
zwischen zwölf und eins mit besagten Hölzern, indem du ein jegliches<br />
sieben Schuh von der Mitte des Brunnens entfernt in den Boden treibst,<br />
jedes in einer anderen Himmelsrichtung, beginnend bei Mitternacht und im<br />
Abend endend; zum dritten und letzten, nachdem du dies alles schweigend<br />
verrichtet hast, sollst du den Brunnen dreimal umschreiten und sprechen,<br />
was hier geschrieben steht...«<br />
Nun folgte, vom Meister verlesen, der Zauberspruch: eine Folge von<br />
unverständlichen Wörtern, wohllautend alle und dennoch mit einem<br />
dunklen, Unheil beschwörenden Unterton, der dem Jungen noch lange im<br />
Ohr blieb – selbst dann, als der Meister nach kurzem Verweilen von vorn<br />
begann.<br />
»Dies ist die Kunst, einen Brunnen versiegen zu machen...«<br />
Dreimal im ganzen verlas er den Text und die Zauberformel, immer im<br />
gleichen Singsang, wobei er sich in den Hüften vor und zurück wiegte.<br />
Nach dem drittenmal schloß er das Buch. Eine Zeitlang verharrte er<br />
nun in Schweigen, dann wandte er sich den Raben zu.<br />
»Ich habe euch«, sagte er, wieder mit seiner gewohnten Stimme, »ein<br />
neues Stück der Geheimen Künste gelehrt; laßt hören, was ihr davon<br />
behalten habt. Du da – fang an!«<br />
Er deutete mit dem Finger auf einen der Raben und hieß ihn, den Text<br />
und den Zauberspruch wiederholen.<br />
»Dies ist die Kunst ... einen Brunnen versiegen zu machen, daß er...<br />
von einem Tag auf den andern kein Wasser gibt...«<br />
Der Müller bestimmte bald diesen Raben, bald jenen und fragte ihn ab.<br />
Zwar nannte er keinen der zwölf beim Namen, doch an der Art, wie sie<br />
sprachen, vermochte der Junge sie auseinanderzuhalten; Tonda sprach<br />
selbst als Rabe gelassen und wohlbedacht, Kito mit einem unüberhörbaren<br />
Ton der Verdrossenheit in der Stimme, und Andrusch war mit dem<br />
Schnabel genauso hurtig wie mit der Zunge, während sich Juro beim<br />
Wiederholen schwer tat und häufig steckenblieb – kurz, es gab keinen im<br />
ganzen Schwärm, den Krabat nicht bald erkannt hätte.<br />
»Dies ist die Kunst, einen Brunnen versiegen zu machen...«<br />
Wieder und immer wieder der Text aus dem Höllenzwang mit dem<br />
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