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schäbige graue Reste – aber was zählten sie gegenüber dem Braun der<br />
Wiesen, dem Schwarz der Maulwurfshügel, dem ersten Schimmer von<br />
Grün unterm welken Gras.<br />
»Ein Wetter«, meinten die Mühlknappen – »wie zu Ostern!«<br />
Der warme Westwind setzte den Burschen mit jedem Tag stärker zu.<br />
Er machte sie müde und fahrig, oder wie Andrusch sich ausdrückte: »wie<br />
besoffen«.<br />
Sie schliefen unruhig während dieser Zeit, träumten wirres Zeug<br />
durcheinander und redeten laut im Schlaf. Zwischendurch lagen sie lange<br />
wach und wälzten sich auf den Strohsäcken hin und her. Nur Merten<br />
bewegte sich nie, der lag reglos auf seiner Pritsche und sprach selbst im<br />
Schlaf nicht.<br />
Krabat dachte in diesen Tagen viel an die Kantorka. Er hatte sich<br />
vorgenommen, zu Ostern mit ihr zu sprechen. Bis dahin, das wußte er,<br />
hatte es gute Weile. Dennoch beschäftigte der Gedanke ihn, wo er ging und<br />
stand.<br />
Er war in den letzten Nächten zwei-, dreimal im Traum unterwegs<br />
gewesen zur Kantorka, hatte sie aber nie erreicht, weil ihm jedesmal etwas<br />
dazwischengekommen war – etwas, woran er sich hinterher nicht erinnern<br />
konnte.<br />
Was war es gewesen? Was hatte ihn aufgehalten?<br />
Der Anfang des Traumes war ihm in aller Deutlichkeit gegenwärtig. Da<br />
war er in einem günstigen Augenblick aus der Mühle weggelaufen, von<br />
keinem gesehen, von niemand bemerkt. Er schlug nicht den üblichen Weg<br />
nach Schwarzkollm ein: er wählte den Pfad durch das Moor, den Tonda ihn<br />
einst geführt hatte, als sie vom Torfstich nach Hause gegangen waren. Bis<br />
hierher war alles klar, und dann wußte er nicht mehr weiter. <strong>Das</strong> quälte ihn.<br />
Während er eines Nachts auf der Pritsche lag, wachgeworden vom<br />
Heulen des Windes, grübelte er aufs neue darüber nach. Hartnäckig<br />
wiederholte er in Gedanken den Anfang des Traumes ein drittes, ein<br />
viertes, ein sechstes Mal: bis er darüber einschlief – und diesmal gelang es<br />
ihm endlich, den Traum zu Ende zu träumen.<br />
Krabat ist aus der Mühle weggelaufen. In einem günstigen Augenblick<br />
hat er sich aus dem Haus gestohlen, von keinem gesehen, von niemand<br />
bemerkt. Er will nach Schwarzkollm, zur Kantorka, doch er schlägt nicht den<br />
üblichen Weg ein: er wählt jenen Pfad durch das Moor, den Tonda ihn einst<br />
geführt hat, wie sie vom Torfstich nach Hause gegangen sind.<br />
Draußen im Moor wird er plötzlich unsicher. Nebel ist aufgekommen,<br />
der nimmt ihm die Sicht. Zögernd tastet sich Krabat weiter, auf<br />
schwankendem Boden.<br />
Hat er den Pfad verloren?<br />
Er merkt, wie das Moor sich festsaugt an seinen Sohlen, wie er mit<br />
jedem Schritt tiefer einsinkt darin: bis zum Rist ... zu den Knöcheln dann ...<br />
bald bis zur halben Wade. Er muß in ein Moorloch geraten sein. Je mehr er<br />
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