Die (fast) luftig-fluffige Sommerausgabe vom Cruiser. Die Themen: Equality Dance: Cruiser war im Tanzkurs. Schwule Migranten: Wenn die eigene Familie einem das Leben zur Hölle macht. Und: Wo man richtig gut baden gehen kann!
cruiser
CHF 7.50
Edition Sommer 2015
Migration
Schwule
Migranten in
der Schweiz
Wenn die eigene Familie
das Leben beinahe
unerträglich macht
Transfrauen
Eine neue Revolution
dank Caitlyn Jenner?
Hingehen
Cruiser kennt die
schönsten Badestrände
Lets Dance
Schwule & Lesben
im Tanzkurs
Editorial
Inhalt
Sommer 2015
04 Thema | Schwule Migranten
Die Krux mit der Heirat
FOTOS UMSCHLAG: ISTOCK
Liebe Leser
Eigentlich wollten wir für unsere Sommernummer nur fluftig leichte
Themen haben. («fluftig» ist das aktuelle Lieblingswort des stv. Chefredaktors
Dani Diriwächter). Ganz so fluffig (sein Alternativbegriff)
wurde der aktuelle Cruiser dann doch nicht. Wir hatten und haben
noch immer die Pride-Monate. Fast überall demonstrieren – wenigsten
in Mittel- und Nordeuropa – die Gays. Meist fröhlich und ausgelassen.
Aber eine Gruppe von Homosexuellen wird dabei komplett ausgeklammert:
die schwulen Migranten, die aus einem anderen Kulturkreis kommen
und wissen, dass sie mit ihrer Homosexualität in diesem Leben
sicher nie von Familie und Umfeld akzeptiert werden. In den von uns
geführten Gesprächen war so viel Angst zu spüren, aber auch Hilflosigkeit
und teilweise – wegen der eigenen Sexualität – auch Selbsthass.
Dani konnte sein luftiges (Variante drei des neuen Redaktionslieblingswortes)
Sommerthema doch noch durchsetzen. Wir zeigen die
schönsten Strände rund um den Globus, fast alle von unserer Redaktion
getestet. Oder jemand von uns kannte wenigstens jemanden, der schon
mal dort war. Abschliessend wirds dann richtig beschwingt: Die schwulen
Tänzer tanzen Mann an Mann. Wie das mit dem Führen des gleichgeschlechtlichen
Partners funktioniert, erklären unsere Protagonisten
in unserer «Let’s Dance»-Story.
Wir verabschieden uns wie jedes Jahr in die Sommerpause und sind
ab 28. August wieder da! Geniesst den Sommer!
Cruiser print
Herzlich, Haymo Empl
Chefredaktor
Herausgeber & Verleger: Haymo Empl, empl.media
Infos an die Redaktion: redaktion@cruisermagazin.ch
Chefredaktor: Haymo Empl
Stv. Chefredaktor: Daniel Diriwächter
Bildredaktion: Haymo Empl, Daniel Diriwächter
Art Director: Astrid Affolter, Access – bridge to work, Bereich Grafik
Redaktion Print: Martin Ender, Andreas Faessler, Alain Sorel, Thomas Borgmann,
Marianne Weissberg, Bruno Bötschi, Michi Rüegg, Pia Spatz,
Vinicio Albani, Moel Maphy,
Layout:
Access – bridge to work, Bereich Grafik
Lektorat: Ursula Thüler
Anzeigen: Said Ramini, Telefon 043 300 68 28, anzeigen@cruisermagazin.ch
Auflage:
12 000 Exemplare, 10 Ausgaben jährlich
Redaktion und Verlagsadresse:
empl.media, Haymo Empl, Welchogasse 6, Postfach 5539, 8050 Zürich
Telefon 043 300 68 28, Telefax 043 300 68 21, info@cruisermagazin.ch
Cruiser online
Chefredaktor Online: Daniel Diriwächter
Infos an die Online-Redaktion: online@cruisermagazin.ch
Impressum
07 Kolumne | Weissbergs warme Weissheiten
Schaffen Sie sich ja keine Quengelware an!
08 Aktuell | Promis
09 Kolumne | Bötschi klatscht
10 Sommerspecial | Die schönsten Strände
Wo man idyllisch baden gehen kann
14 Serie | Mannsbild – Berufsbild
Der Elektroniker
18 News | National
20 News | International
22 Serie | Homosexualität in Geschichte
und Literatur Stille Glut und Stichflammen
26 Interview | Claudia Meier
«Es gibt noch viel zu tun für uns
Transmenschen!»
29 Thema | BDP
Warum sich die Partei für LGBT
Rechte einsetzt
30 Kolumne | Pia Spatz
31 Ratgeber Aids-Hilfe | Dr. Gay
32 Kultur | Schweiz
34 Serie | Persönlichkeiten
This Brunner
37 Kolumne | Michi Rüegg
38 Reportage | Tanzschule
Cruiser Edition Sommer | 2015 3
Thema | Schwule Migranten
Schwule Migranten
in der Schweiz:
Wenn die eigene Familie das Leben
beinahe unerträglich macht
Text: Haymo Empl
Ein Mann ist ein Mann und hat eine Frau zu lieben. Dass es auch anders
geht, ist in vielen Ländern noch immer ein Tabuthema. Mancherorts
wird Homosexualität mit der Todesstrafe geahndet und selbst wenn die
schwulen Söhne von Migranten hier aufgewachsen sind, werden sie in
vielen Fällen von der Familie verstossen.
Eine schwule Beziehung zu führen ist
für viele Migranten kaum möglich
Wir haben uns lange überlegt, wie
wir das Thema Migration und Homosexualität
angehen wollen. Bei den
Fachstellen, wie beispielsweise bei der
Fachstelle für Integrationsfragen in
Zürich musste man sich mit dem Thema
an sich noch nie wirklich auseinandersetzen,
wie ein kurzer Anruf bestätigte.
Doch wir konnten drei
Migranten finden, die bereit waren,
dem «Cruiser» Auskunft zu geben. Allerdings
– und hier beginnt die eigentliche
Geschichte – nur unter der Voraussetzung
absoluter Anonymität. Wir
geben hier auch – ohne irgendwie zu
diskriminieren – die Originalzitate
wieder. Denn jeder unserer Protagonisten
hatte die Aufgabe, uns in einem
Satz aufzuschreiben, was er über Homosexualität
denkt. Wahlweise auf
Deutsch oder in seiner Muttersprache.
(ja, ja, manchmal ist der Cruiser auch
«pädagogisch wertvoll»).
4 Cruiser Edition Sommer | 2015
Adnit
Der 30-Jährige ist im Kosovo geboren
und in den 90ern in die Schweiz gekommen.
Er hat eine jüngere Schwester
und einen sehr jungen Bruder, der hier
in der Schweiz geboren wurde. Sein
Aussehen entspricht effektiv der Klischeevorstellung,
die man von einem
Kosovo-Albaner hat, auch sein Look.
Die Begrüssung ist betont männlich.
Adnit hat keine Berufslehre gemacht
und besuchte eine kleine Schule im
Kosovo. In dem landwirtschaftlich geprägten
Dorf gab es ein paar Kühe, viele
Cousins und absolut keinen Platz für
Homosexualität. Lediglich ein Onkel in
seinem Dorf sei ihm gegenüber ein paar
Mal verdächtig aufdringlich gewesen.
Hier stellt sich natürlich die Frage,
wie denn die Sexualität ausgelebt werden
soll. Adnit sagt im Interview, dass
dies praktisch unmöglich sei. Eine
Heirat war bei ihm unumgänglich, er
hatte eine Christin geheiratet – seine
Familie wollte den Kontakt mit ihm allein
schon deswegen abrechen. Das
Eheleben ist miserabel, die Frau nicht
glücklich und für die Familie von
Adnit stellt sich natürlich schon längst
die Frage, wo denn die Kinder bleiben.
Man will schliesslich Enkel. Immer
mal wieder, so Adnit, wünscht er sich,
mit einem Mann zusammen zu sein.
Dieses Verlangen sei teilweise so stark
gewesen, dass er mit 25 Jahren einen
Suizidversuch unternommen habe.
«Ich bereue es überhaupt nicht,
in die Schweiz gekommen zu sein.
Es war vielleicht die beste
Entscheidung meines Lebens.»
FOTO: FOTOLIA
«Në Kosovë, ne nuk
do të flasim në lidhje
me homoseksualitetin.
Familja mund
të mos e dinë se ju
jeni homoseksual.»
«Im Kosovo spricht man nicht
über Homosexualität.
Die Familie darf nicht wissen,
dass man schwul ist.»
und konnte deshalb bald als Lagerist
in Locarno arbeiten, musste dann aber
enttäuscht feststellen, dass dort auch
keine wirkliche Gay-Szene existierte.»
Wie Laith im Gespräch weiter erzählt,
hat er sich im Betrieb schnell bewährt
und konnte bald danach eine Ausbildung
zum kaufmännischen Angestellten
machen. «Bei einer sündhaft teuren
Privatschule. Dann habe ich
Deutsch gelernt, weil ich unbedingt
nach Zürich wollte. Nur war das so
eine Sache: Hochdeutsch nützte mir zu
Beginn nicht viel.» Laith lebt heute in
Zürich, hat einen guten Job und lebt
schwul. «Aber ich bin nicht geoutet.
Meine Familie im Irak weiss nichts,
und ich habe mich deswegen in den
90ern für kurze Zeit verheiratet. Es
war ein klares Arrangement. Ich habe
so den Pass bekommen und meine Familie
fragt nichts mehr, weil es in
meiner Kultur durchaus üblich ist,
nach einer Scheidung – was weniger
üblich ist – nicht mehr zu heiraten.»
Aufgrund dieses Vorfalls wurde ihm
damals ein Psychiater zugeteilt, mit
dem Adnit immer noch Kontakt hat
bzw. zu dem er in unregelmässigen
Abständen in die Therapie geht. Was
rät denn der Psychiater? «Er sagt, er
sehe nur die Möglichkeit, komplett mit
meiner Familie zu brechen und irgendwo
ein neues Leben zu beginnen.
Das ist für mich aber keine wirkliche
Lösung. Ich hätte zudem Schiss, dass
irgendwer von meiner Familie wegen
meiner sexuellen Ausrichtung etwas
rausfindet. Und man weiss nie, was
dann passiert».
Laith
Im Gegensatz zu Adnit hat der mittlerweile
50-jährige Laith genau das gemacht,
er hat mit seiner Familie gebrochen.
Er ist als Iraker während des
ersten Golfkrieges in die Schweiz gekommen.
Auch wegen der Kriegswirren,
aber vor allem wegen seiner Homosexualität.
In seinem Heimatland
wäre er als schwuler Mann gehängt
worden. Er kam als illegaler Flüchtling
in die Schweiz, über den Iran, von dort
in die Türkei … und landete schliesslich
als Asylant in Lugano. Warum er
damals die Schweiz gewählt hat? «Ich
hatte natürlich ein idealisiertes Bild
von der Schweiz … der Klassiker mit
den saftigen, grünen Wiesen und den
vielen Seen», erinnert sich Laith. Er
selbst stammte aus einer grösseren
Stadt im Irak, die aber «enorm trocken
ist, von Wasser keine Spur …» – und
von Homosexualität natürlich auch
nicht. «Heute würde ich sagen, dass
die grünen Wiesen vielleicht weniger
der wahre Grund gewesen sind, sondern
ich hatte einfach einen enormen
Sex-Drive. Ich wollte daher unbedingt
mit der schwulen Bevölkerung rasch
in Kontakt kommen und so lernte ich
italienisch. Die Sprache habe ich eigentlich
erstaunlich schnell gelernt
Shükrü
Türkischer könnte sein Name nicht
sein. Wir haben vor gut einem Jahr
über ihn berichtet – damals war das
Thema «Arme Schwwule» –, nun haben
wir ihn erneut getroffen. «Als Türke
bin ich nicht geoutet. Meine Eltern
sind von der Südtürkei nach Zürich
migriert, ich war damals 16 und hatte
meine obligatorische Schulzeit beendet.
Eigentlich hätte ich eine Lehrstel-
«Türkler eşcinseller
gözle görünenden
daha fazla olduğunu.»
«Die Türken akzeptieren
Homosexualität nur schwer.»
Cruiser Edition Sommer | 2015 5
Thema | Schwule Migranten
le suchen sollen, das Problem war
aber, dass ich sprachlich einfach Mühe
hatte – bei uns zu Hause wurde nur
türkisch geredet. Ich hatte dann die
Wahl, entweder sofort deutsch zu lernen
und eine Lehrstelle zu suchen,
oder möglichst schnell einen Job zu
finden.» Shükrü hat sich für die Jobvariante
entschieden und musste Jahre
später feststellen, dass diese Entscheidung
vielleicht nicht unbedingt
gut war. «Der Umzug in ein neues Land
war für alle hart, ich hatte keine
Freunde hier, merkte zudem, dass ich
auf Männer stehe … es war eine furchtbare
Zeit. Ich spürte einfach, dass ‹etwas
nicht stimmte›. In meiner Kultur
spricht man nicht über Homosexualität
und ich habe noch heute Mühe,
dass ich offenbar schwul bin und das
wohl auch so bleiben wird.»
Wie lernte denn Shükrü Männer
kennen? «Das war eigentlich einfach.
Ich entdeckte, dass man in der damaligen
«Caroussel»-Bar Sex haben konnte
und dafür auch noch bezahlt wurde.
Für mich eine Win-win-Situation. Ich
sah also keinen Grund, irgendetwas
an meiner Lebenssituation zu ändern.»
Nun, das ‹Caroussel› wurde geschlossen.
«Ich hatte dann eine Beziehung
mit einem etwas älteren Mann, bei
ihm habe ich auch gewohnt.» Geliebt
habe er ihn nicht, aber sehr gern gehabt.
Shükrü hat nun eine Ausbildung
zum Fitness-Instruktor begonnen und
hofft, sich bald einmal richtig zu verlieben.
«Aber natürlich fragt mich
meine Familie dauernd, wann ich denn
endlich heiraten würde. Irgendwann
werde ich das wohl auch tun müssen.»
Weiterführende
Adressen für direkt oder
indirekt Betroffene:
SOS Rassismus
Rosengartenstrasse 1, 8037 Zürich
Telefon 043 366 98 16
info@sosrassismus.ch
www.sosrassismus.ch
TIKK Taskforce interkulturelle
Konflikte
Strassburgstrasse 15, 8004 Zürich
Telefon 044 291 65 75
info@tikk.ch
www.tikk.ch
Kantonale Beauftragte für
Integrationsfragen
Neumühlequai 10
Postfach, 8090 Zürich
Telefon 043 259 25 27
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Kolumne | Weissbergs warme Weissheiten
Schaffen Sie sich
ja keine Quengelware an!
Text: Marianne Weissberg
Koluministin Marianne Weissberg schaltet sich diesmal in die heisse
Wer-darf-Kinder-haben-Diskussion ein und rät, sich diese heikle Anschaffung
gründlich zu überlegen. Was sie selbst natürlich versäumte.
FOTO: MARIANNE WEISSBERG
rierte Mom, viel zu früh geheiratet,
viel zu früh schwanger. Dann gottlob
alle aus dem Haus, als ich noch nicht
so fertig aussah, wie die Frauen, die
meinen, sie müssten kurz vor den
Wechseljahren noch Kinder kriegen.
Glauben Sie mir, dass ist für alle grässlich.
Auch für mich. Denn das sind
«Ich war eine frustrierte
Mom, viel zu früh
geheiratet, viel zu früh
schwanger.»
genau die Teppichratten, die an der
Kasse kein Schoggivalium kriegen,
weil das nicht gesund ist, gäll Emma!!
Und dann werde ich strafend angeschaut,
weil ich sagte: «Jetzt geben Sie
dem Kreischer endlich die Schoggi da,
ich bezahle sie!!!»
Wieso ich Ihnen das erzähle? Weil
ja heiss diskutiert wird, wer Kinder
zeugen / adoptieren darf. Ich finde zuallererst
schwule Männer. So ein
Männer-Paar ist das Beste für Kinder.
Meist in interessanten Berufen tätig,
ziemlich sicher solvent und, wie ich in
meinem schwulen Umfeld sehe: äusserst
attraktiv. Zum Vergleich das
Normalo-Hetero-Päärli, das immer
noch ungeprüft Kinder anschaffen
darf: Er öde Karriere, sie es bitzli Teilzeit.
Beide gestresst und kein appetitlicher
Anblick, wenn sie ihr nörgliges
Accessoire-Kind ausführen. Ich weiss
das, ich war auch so. Ich erinnere
mich, wie ich als grüne Mom endlich
realisierte, dass ich mein Hirn abgegeben
hatte. Beschloss, dass Kinderhaben
und unglücklich verheiratet
sein, inklusive grottenschlechtem Sex,
mein Untergang sei. Ich begann femi-
Es geht diesmal um Quengelware.
Was das ist, werden Sie fragen! Habe
ich auch getan, als ich das erste Mal
den Ausdruck las: Beim Posten, da erblickte
ich über der Kasse ein Schild
auf dem stand: Neutrale Kasse. Hier
keine Quengelware! Ich blickte mich
um: Gottlob, es stimmte, keine Goofen
weit und breit. Es ist mir nämlich oft
passiert, dass Eltern ihre quengelnden
Kleinkinder extralangsam an mir vorbeischoben.
Obwohl das Getöse der
kleinen Ekel laut einer wissenschaftlichen
Messung demjenigen von Düsenjägern
entspricht. Wo ich residiere,
wird die Quengelware gerne am Wochenende
frühmorgens aus der Penthousewohnung
geworfen, damit sie
dann vor meinem Fenster brüllen
kann. Während ich noch Schönheitsschlaf
halten möchte. Ganz schlimm
sind die Erzeugerpäärli, die ihre Mini-
Penisträger in XXL-Fussballliibli gewanden,
damit die schon beim kindlichen
Ballspiel lernen, was ein echter
Hetero ist: Einer, der sich schmutzig
macht und dümmlich aus der Wäsche
guckt.
Ich als Mom war ja immer froh,
wenn es an der Kasse viel Schleckzeugs
hatte – dies nämlich die Bedeutung
von «Quengelware» – mit der ich
meine Jungs vollstopfte, damit sie
friedlich waren. Ich war eine frustnistische
Frauenliteratur zu lesen und
holte mir meinen ersten grossen
Reportage-Auftrag in der USA, um
meiner Quengelware zu entkommen.
Die Kids versorgte ich bei einem
Exliebhaber. Und als der meldete, dass
der eine einen Köpfler ins untiefe
Wasser gemacht habe und jetzt ein wenig
komisch aussehe, reiste ich nicht
vorzeitig heim, sondern schrieb lieber
meine erste Coverstory. Ja, so eine
Raben-Mom war ich. Heute bin ich
längst glückliche Kinderfeindin. Wenn
Sie trotz dieser Warnkolumne eins anschaffen
und mich besuchen wollen,
dann lassen Sie Ihre Quengelware bitte
zuhause. Danke!
«Achtung Lebensgefahr! Wollen Sie
wirklich so ein umtriebiges Quengel-
Monster anschaffen?»
Marianne Weissberg
ist Historikerin, Autorin & Inhaberin
des Literaturlabels Edition
VOLLREIF (www.vollreif.ch).
Ihre Werke u. a. «Das letzte Zipfelchen
der Macht» oder die Kolumnen kolle ktion
«Tränen ins Tiramisu» sind mitlerweile
schon fast Kult.
Cruiser Edition Sommer | 2015 7
Aktuell | Promis
Leben und sterben
lassen
«Ich bin sehr offen. Mir ist es egal, ob jemand mit
einem Mann oder einer Frau zusammen ist.»
{ }
Ramona Bachmann (24), Fussballerin und WM-Heldin im «Blick»
über ihre Homosexualität
Andreas Gabalier
Was ist bloss mit dem selbsternannten
Volksrocker los? Droht er ganz wie sein
Alter Ego «Mountain Man» völlig abzuheben?
Die Luft wird jedenfalls dünn für
den 30-jährigen. Mehrmals fiel Andreas
Gabalier mit zwar nicht gerade homophoben,
aber doch ziemlich ätzenden
Äusserungen gegenüber Schwulen auf.
Beispielsweise gab er bekannt, dass er
sich als Heterosexueller diskriminiert
fühle: «Man hat's nicht leicht auf dieser
Welt, wenn man als Manderl noch auf
ein Weiberl steht.» Obwohl ein eher unbedachter
Witz, zog dies einen mittleren
Shitstorm nach sich. Das dürfte den
Schlagersänger ziemlich genervt haben
– kein Wunder, holte er in «Die Welt»
zur Revanche aus. Er wolle, so seine
Worte, nicht jeden Tag schmusende
«Männlein» in Zeitungen oder auf Plakaten
sehen, denn dies löse «Abwehr,
Überdruss und Antipathie» bei Leuten
aus, die eigentlich tolerant wären.
Andreas Gabalier muss es schliesslich
wissen, hat er doch «viele schwule
Freunde», welche ebenso denken. Eine
kleine Weisheit fügt er seinen Worten
hinzu: «Sich mal rar machen, das wäre
vielleicht nicht schlecht. Jeden Tag Gabalier
will ja auch keiner sehen.»
Whitney Houston
Ruhe im Tod, falls diese denn überhaupt
existieren sollte, wird Whitney Houston
derzeit nicht finden. Die grandiose Sängerin,
deren Leben vor mehr als drei
Jahren ein dramatisches Ende in der Badewanne
fand, wird nun post mortem in
die Lesbenecke gerückt. Im Buch «Whitney
und Bobbi Kristina – The deadly
Price of Fame», ein mitunter schamloser
Versuch, aus der Tragödie mit der im
Koma liegenden Tochter Kasse zu machen,
will der kanadische Journalist Ian
Halperin wissen, dass Whitney Houston
zu Beginn der 1990-Jahre eine Affäre
mit ihrer Assistentin gehabt habe. Damals,
dank «Bodyguard» auf dem Höhepunkt
ihrer Karriere, soll sie deswegen
erpresst worden sein. Dem Houston-Clan
war die Verschwiegenheit einiges wert
und er soll eine unbekannte Summe an
die Erpresser gezahlt haben. Egal, ob der
Buchinhalt Wahrheit oder Lüge ist,
lohnt es sich eher, auf den TV-Film
«Whitney» mit Yaya DaCosta zu warten,
in dem die Fans das Leben der Sängerin
nochmals Revue passieren lassen dürfen.
Dieser Film wurde jedoch vom noch
mächtigen Houston-Clan verurteilt.
Fürwahr, das Leben nach dem Tod ist
kein leichtes.
Lady Gaga
Dass Stefani Germanotta eine begnadete
Künstlerin ist, dürfte niemand mehr
bezweifeln – ebenso, dass sie ihrem
Künstlernamen öfters alle Ehre macht.
Trotzdem scheint ihre Integrität zu wanken:
Lady Gaga trat an der Eröffnungsfeier
der Europa-Spiele in Aserbaidschan
auf und musste dafür einige Kritik der
«kleinen Monster», ihrer Fans, ertragen.
Besagtes Land hält bekanntlich wenig
von Menschenrechten und die Homosexualität,
wenn auch legal, ist dort verpönt.
Da Lady Gaga schon diverse Lanzen
für Schwule und Lesben brach,
mutete ihr Einsatz etwas seltsam an.
Schlussendlich handelt es sich aber
«nur» um einen gut bezahlten Auftritt
an einer fragwürdigen Veranstaltung.
Deshalb wurde die Anwesenheit von
Lady Gaga wohl bis zur Show geheim gehalten.
Medienberichten zufolge musste
sich die Pop-Ikone einige Tage im Hotel
einsperren. (DD)
FOTOS: ZVG (2), INTERSCOPE (1), TWITTER (1)
8 Cruiser Edition Sommer | 2015
Kolumne | Bötschi klatscht
Der It-Boy
und seine Villa
Text: Bruno Bötschi
Der Unterschied zwischen Autor Philipp Tingler und It-Boy Reto Hanselmann:
Beide meinen, sie seien sexy. Aber nur einer von beiden ist es.
Lustig ist auch nur einer von den beiden Buben. Sie wollen wissen welcher?
Dann müssen Sie diese Kolumne lesen.
Kaum sass er im voll besetzten Restaurant
Schützengasse (im Moment
«the place to be» in Zürich) neben mir,
erzählte er mir aus seinem Leben.
Frisch, frei, fröhlich. Von Monte Carlo
bis Los Angeles. Von seinen Freundinnen
Dominique Rinderknecht (Ex-
Miss-Schweiz) und Fabienne Louves
(Ex-Musicstar). Und von seinen Schönheitsoperationen.
Reto Hanselmann
steht dazu: Er ist ein Gesamtkunstwerk.
Hanselmann brachte das Kunststück
fertig, dass die Klatschsendung
«Glanz&Gloria» eine ganze Woche
lang jeden Abend über die Vorbereitungen
seiner Halloweenparty berichtete.
Moderatorin Annina Frey
schwärmte: «Er schmeisst jedes Jahr
eine der exklusivsten Gruselpartys
von Zürich.» Mehr Gratis-PR bekam
noch nie eine Party im Schweizer
Farbfernsehen. Momoll.
Als Klatschkolumnist muss ich eine
grosse Klappe führen. Auch auf die
Gefahr hin, dass ich mir Feinde schaffe.
Das merke ich jeweils, wenn mich
ein Promi (mit oder ohne Servelat) auf
Twitter blockiert – getan haben das
zum Beispiel: Märchenonkel Reeto von
Gunten und Listenschreiber Philipp
Tingler.
Keine Ahnung, was ich dem von
Gunten für eine Laus über die Leber gejagt
habe. Philipp Tingler hingegen
brünzelt gerne anderen ans Bein, selber
«Dass ich mir als
Klatschkolumnist Feinde
geschaffen habe,
merke ich jeweils, wenn
mich ein Promi (mit
oder ohne Servelat) auf
Twitter blockiert.»
mag er aber keine feuchten Hosenstösse.
In seinem Handbuch «Stil zeigen!»
schreibt er, lautes Grunzen, Zischen
und orgasmisches Keuchen seien tabu
im Fitnesscenter. Und was tut Tingler?
Schnaubt im Fitnesscenter wie ein Bulle
(mit vier Beinen). Ich war so ehrlich
und notierte das in meiner Kolumne.
Seither ist der Tingler böse auf mich.
Ach, da ist eine kleine Welt hässig.
Kein Interview geben will mir zudem
Fernseh- und Radiofrau Viola
Tami. Auf Instagram darf ich sie zwar
noch anschauen. Dabei habe ich mich
letztes Jahr bei meinem Coiffeur
(Charles Aellen, Zürich) nett mit ihrem
Lieblingsmann (Roman Kilchsperger)
unterhalten. Wer weiss, vielleicht war
genau das das Problem.
Nik Hartmann soll auch kein gutes
Haar an mir lassen. Ich habe mich einmal
über ihn lustig ... ach, das lasse
ich jetzt besser bleiben, sonst ruft
mich der beliebteste Moderator der
Schweiz wieder mit anonymer Nummer
auf mein Handy an.
Dagegen nimmt Reto Hanselmann
freche Sprüche auf die leichte Schulter.
Als er kürzlich mit seiner Freundin
Dominique Rinderknecht verglichen
wurde, antwortete er auf
Facebook: «Ich bin gerade beim Coiffeur
und blondiere meine Haare. Und
den Termin für meine Brust-OP habe
ich auch bereits.»
Hanselmann ist seit neun Jahren
glücklich unter der Haube (vier davon
verheiratet). Er lebt in einer Villa am
Zürichsee. Und das stört den It-Boy:
Nicht die Villa, sondern dass es heisst,
er könne nur dank dem Stutz seines
Partners (Vorname Torsten) in solchem
Luxus leben. Dabei organisiert
Reto Hanselmann erfolgreich Partys.
Aber sein Torsten ist halt Multimillionär.
Und dann sieht der Torsten auch
noch adrett aus (manche behaupten,
sogar adretter als Reto). Logisch, dass
da der eine oder die andere eifersüchtig
wird und sich das Maul zerreisst.
Und zu guter Letzt: Kürzlich wollte
ich im Restaurant «Louis» in Zürich-Wollishofen
einkehren. Das zweistöckige,
total in Weiss gehaltene Lokal
ist seit vergangenem Oktober offen. Ich
sass also an einem Sonntagnachmittag
im Garten und wartete und wartete und
wartete. Irgendwann habe ich mich von
dannen gemacht, weil mich keiner der
«Louis»-Servicemitarbeiter eines Blickes
würdigte. Ich spazierte über den
neuen Cassiopeia steg, suchte mir im
«Ziegel au lac» in der Roten Fabrik ein
lauschiges Plätzchen, bestellte ein
Fläschchen Sauvignon blanc vom
Turmgut Erlenbach und genoss einen
wunderbaren Nachmittag.
www.brunoboetschi.ch
Cruiser Edition Sommer | 2015 9
Sommerspecial | Die schönsten Strände
Atlas der schönsten
abgelegenen Strände
Text: Dani Diriwächter
Die Sommerferien stehen
vor der Tür. Viele wird es
bald an die Superstrände
von Sitges, Gran Canaria
oder Mykonos ziehen. Doch
wo finden sich idyllische
Strände, die erst wenige
kennen?
Nicht, dass wir Judith Schalansky und
ihrem Werk «Atlas der abgelegenen Inseln»
Konkurrenz machen möchten.
Doch die Idee gefiel uns so sehr, dass
wir uns freudig inspirieren liessen. Basierend
darauf präsentieren wir Ufer
und Küsten, für die es sich lohnt, eine
Reise zu planen. Gefragt sind keine
Hotspots, sondern geheimnisvolle
Plätzchen, unberührte Gestade oder
einfach nur bezaubernde Strände.
Wir suchen deinen Traumstrand
Während unserer Sommerpause sehnt
sich die Online-Redaktion nach Tipps
von badefreudigen Lesern. Möchtest du
deinem liebsten Badestrand ein wenig
Aufmerksamkeit schenken? Dann hau
in die Tasten und sende uns ein Bild mit
deiner Idylle sowie einem kurzen Text
dazu. Ob gemütlich, gesittet, FKK,
schwul oder hetero – wo badet es sich
wie ein junger Gott? Es muss auch nicht
am Meer sein, es kann am heimischen
See oder an einem Fluss sein – Blue
Bayous sind selbstverständlich auch
willkommen.
Wir wollen natürlich nicht, dass ein
Geheimtipp zur angesagten Szenemeile
wird, deshalb steht es dir frei zu entscheiden,
ob du die genaue Ortsbe-
zeichnung angeben möchtest. Einige
Info-Zückerchen müssten aber schon
dabei sein. Die tollsten Strände werden
wir online vorstellen.
Wir sind gespannt auf deine Impressionen
und freuen uns auf deine Zusendungen
(mail: online@cruisermagazin.ch)
Baie des Trépassés,
Bretagne, Frankreich
Am Strand kann man(n) mehr
als nur baden gehen
Die Bucht der «Hingeschiedenen» am
westlichsten Zipfel von Frankreich,
nahe der Pointe du Raz, erfüllt die Voraussetzungen
einer geheimnisvollen
Idylle. Umgeben von imposanten Klip-
pen lässt sich die bretonische Bucht mit
dem Auto oder per Bus erreichen. Der
Sage nach liessen die Kelten dort ihre
Verstorbenen zur Ile de Seine hinaus
gleiten. Heute gleiten dort überaus lebendige
und ruhige Menschen am flachen
Sandstrand hin und her, während
sexy Surfer die Wellen nutzen. Für den
Komfort sorgen das schmucke «Hotel-Restaurant
de la Baie des Trépassés»
und das «Hotel-Brasserie Relais de la
Pointe du Van».
Speziell:
Ein Besuch in der nahen «Biscuiterie de la
Pointe du Raz» ist nicht unbedingt förderlich
für die Strandfigur, aber dennoch ein
Muss mit Genuss.
Im schwulen Roadmovie «Hildes Reise»
(2004) von Christof Vorster spielt dieser
Strand eine zentrale Rolle.
FOTOS: DANI DIRIWÄCHTER
10 Cruiser Edition Sommer | 2015
El Matui, Palomino,
Kolumbien
Wer diesen Strand erreichen will, muss
einen weiten Weg auf sich nehmen: Mit
dem Flugzeug nach Bogotà, der Haupstadt
Kolumbiens, dann weiter nach
Santa Marta an der Karibikküste. Danach
mit dem Bus bis ins Fischerdorf
Palomino und zu guter Letzt noch mit
dem Motorradtaxi bis zur «Reserva Natural
El Matuy». Der Lohn der Anstrengung:
Ein mehrere Kilometer langer
Strandabschnitt, der zu stundenlangen
Spaziergängen einlädt, auf denen man
keinem einzigen Menschen begegnet.
Speziell:
Wenn das Wetter mitmacht, erhascht man
vom Strand aus einen Blick auf die schneebedeckten
Gipfel der Sierra Nevada de Santa
Marta.
Dank einer hübschen Bungalow-Anlage
ohne elektrischen Strom und Handynetz
darf man dort dem natürlichen Rhythmus
von Tag und Nacht frönen.
Baie des Trépassés,
Bretagne, Frankreich
El Matui, Palomino,
Kolumbien
Pachia Ammos,
Tinos, Griechenland
Viele Sonnenanbeter, die nach Mykonos
reisen, haben keinen blassen
Schimmer von der Nachbarinsel Tinos.
Allerdings ist die Insel auch ein wichtiges
Zentrum der dortigen römisch-katholischen
sowie der griechisch-orthodoxen
Kirche. Sei’s drum – leben und
leben lassen. Die sehr steinige Insel bietet
ruhige Strände und abgeschiedene
Orte, fern vom Tourismus. Der Strand
Pachia Amos sticht dabei besonders he-
raus. Das kristallklare Wasser verspricht
unberührtes Vergnügen. Nur
mit dem Auto zu erreichen, ohne Bar
oder Hotel.
Speziell:
Tinos gilt als Katzeninsel –
tausende Miezen tummeln
sich dort und verzaubern
die Liebhaber der sanften
Pfoten.
Das Städtchen Tinos lädt
mit klassischen Tavernen
zum Verweilen ein.
Koh Poda, Provinz
Krabi, Thailand
Krabi gilt als auch als Ausgangsort für
diverse Inselbesichtigungen. Aber wieso
in die Ferne schweifen, wenn das
Gute so nah liegt? Die nahe Insel Koh
Poda ist per Wassertaxi in nur 25 Minuten
zu erreichen – Feilschen inklusive.
Danach wähnt man sich im Paradies:
Weisser Sand, klares Wasser und
ein wunderschönes Panorama sorgen
für unbeschwerte Stunden. Ein Restaurant
mit einem kleinen Shop sorgt für
das leibliche Wohl.
Speziell:
Schnorcheln auf Koh Poda macht besonders
Spass, und auch ohne grössere Tiefen
zu erkunden, öffnet sich früh eine farbenfrohe
Fauna.
Gegen Abend und bei Ebbe tauchen die Seesterne
auf – die unzähligen Stachelhäuter
verwandeln den Strand in ein Gemälde.
Pachia Ammos, Tinos,
Griechenland
Koh Poda, Provinz Krabi,
Thailand
Cruiser Edition Sommer | 2015 11
Sommerspecial | Die schönsten Strände
Saint-Laurent d’Eze,
Südfrankreich
Saint-Laurent d’Eze,
Südfrankreich
Es handelt sich hier vielleicht um den
beliebtesten Geheimtipp an der «French
Riviera» – der schwule Strand
Saint-Laurant d’Eze. Doch während
immer noch Heerscharen von schwulen
Männern die teuren Strände rund um
Nizza heimsuchen, gilt diese Idylle besonders
bei FKK-Liebhabern als «the
place to be». Schwer zu erreichen und
ohne eine Bar oder ein Restaurant,
kann man es sich dort in den Buchten
so richtig gut gehen lassen.
Speziell:
Der Weg zum Strand führt durch einen
Tunnel – ab ins Wunderland!
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Cruiser Edition Sommer | 2015 13
Serie | Mannsbild – Berufsbild
Der Elektroniker
Text: Thomas Borgmann
Eigentlich war Andreas in seiner dörflichen Gemeinschaft gut integriert:
Familie und Verwandtschaft vor Ort, ein guter Freundeskreis, engagiert in
Vereinen und in der kirchlichen Gemeinde, eine solide Berufsausbildung,
ein guter Job und sogar eine Ehefrau und Kinderwunsch. Also nichts, was
Konflikte mit seinem Umfeld provozieren könnte. Wenn er nicht schwul
wäre.
Im Einsatz für seinen neuen Arbeitgeber: Als Servicetechniker für einen Hersteller
für Sicherheitstechnik kommt Andreas viel herum
Schon mit 14 hat Andreas, heute 39,
gemerkt, dass er auf Männer steht. Ein
paar Kontakte gab es in Jugendjahren,
die keinen Zweifel daran liessen, dass
er sexuell mit Männern mehr anfangen
kann als mit Frauen. Aber das offen
zu leben, erschien ihm in den
1990er-Jahren nicht nur unvereinbar
mit den Wertevorstellungen seiner Familie
und seines dörflichen Umfelds,
sondern widersprach auch seinen eigenen
christlich geprägten Moralvorstellungen.
Und eigentlich entsprach
er doch auch in keinster Weise dem
Klischee, das seinerzeit noch oft von
schwulen Männern herrschte: kein feminines
Auftreten, kein auffällig gestyltes
Outfit, Freude am Renovieren
und Reparieren, und dann noch ein
Beruf, in dem man Schwule kaum vermutet.
Andreas ist gelernter Landmaschinenmechaniker,
hat während seiner
Militärzeit als Panzerschlosser
«gedient» und arbeitete danach als
Servicetechniker für die Montage und
Wartung von Hochdruckreinigungsanlagen.
Entsprechend regelkonform
war auch seine Lebensplanung. Eine
lesbische Freundin lebte im gleichen
Konflikt, und da sich die beiden gut
verstanden, beschlossen sie, in der
nächstgelegenen grösseren Stadt ein
Zweifamilienhaus zu kaufen, zu heiraten
und ein durch künstliche Befruchtung
gezeugtes gemeinsames Kind
gross zu ziehen. Zwei separate Wohnungen
in dem Haus sollten ermöglichen,
dass jeder trotz der familiären
Bindung sein eigenes Leben und seine
Sexualität leben konnte. Dass dieses
Konzept keine Chance hatte, ist
Andreas heute klar. Für die neue Partnerin
seiner Frau waren diese konstruierten
Familien-Verhältnisse auf Dauer
nicht akzeptabel, und als diese eine
Eigentumswohnung erbte, verliess seine
Frau das gemeinsame Haus und zog
zu ihr. Nach nur drei Jahren wurde die
Ehe geschieden, Andreas verkaufte
das Haus, das er alleine nicht halten
konnte, und entkam nur knapp der
privaten Insolvenz.
Das war nur einer der vielen Schritte
auf seinem schwierigen Weg zu einem
selbstbestimmten Leben. Schon
einige Jahre zuvor ging er in seinem
Dorf eine Beziehung mit einer Frau
ein, um die ihn viele beneideten. Als
er diese abbrach, weil er spürte, dass
sie beide miteinander nicht glücklich
würden, erntete er Unverständnis. Als
sein Cousin nicht aufhörte, ihn nach
den Ursachen für die Trennung zu fragen,
offenbarte er ihm schliesslich den
wahren Grund. Das machte schnell die
Runde im Dorf. Geschwister und
Freunde gingen auf Distanz, hinter
seinem Rücken wurde geredet. Andreas
fühlte sich zunehmend isoliert in der
Dorfgemeinschaft. Dass er inzwischen
als Servicetechniker für Reinigungs-
FOTOS: THOMAS BORGMANN
14 Cruiser Edition Sommer | 2015
anlagen auf Montage meist fern der
Heimat eingesetzt wurde und nur noch
am Wochenende zuhause war, erschien
ihm wie eine Befreiung. Doch
dann, auf dem Weg zu einem Einsatz
in Paris, warf ihn ein schwerer Autounfall
komplett aus der Bahn. Mehrere
Brüche, unter anderem an der Hüfte,
und dann noch eine bakterielle Infektion
durch eine der 14 Operationen,
setzten ihn acht Monate ausser Gefecht.
Und auch für die Zukunft musste
er komplett neu planen. Dass er
nicht mehr Motorrad und Ski fahren
darf, war das geringere Übel. Wegen
«Andreas hat während
seiner Militärzeit
als Panzerschlosser
gedient.»
des Kraftaufwands für die 160 kg
schweren Bauteile durfte er nicht nur
seinen Job als Servicetechniker für
Gabelstapler und Reinigungsanlagen
nicht mehr ausüben, sondern musste
generell starke körperliche Anstrengungen
meiden, was quasi einer Berufsunfähigkeit
entsprach.
Mit sich selbst im Reinen – nach
schwierigen Jahren hat Andreas seinen
Weg gefunden
Die Krise als Chance genutzt
Empfohlen wurde ihm eine Umschulung
zu einem Beruf für Bürotätigkeiten,
doch das lehnte er ab. «Ich wollte
auf jeden Fall wieder in einen technischen
Beruf», erklärt Andreas. «Technik
und Handwerken ist das, was ich
am liebsten mache und was ich am
besten kann.» Er entschloss sich für
eine zweite Ausbildung als Elektroniker.
Dass dies die richtige Entscheidung
war, beweist, dass er schon gegen
Ende der zweijährigen Ausbildung
mehrere Jobangebote erhielt. «Gerade
meine doppelte Ausbildung als Mechaniker
und Elektroniker eröffnete
mir viele Möglichkeiten», erklärt er.
«Mechatroniker ist ein Beruf mit Zukunft.
Da hab ich immer gute Chancen,
auch wenn ich seit dem Unfall
körperlich nicht mehr so fit bin.»
Gleich nach der Umschulung fand er
einen neuen Job als Servicetechniker
bei einem Hersteller für Sicherheitstechnik.
Hier installierte und programmierte
er die Steuerung für das
Personenschutzsystem von Hochregal-
und Schmalgangstaplern – eine
Arbeit, die weniger mechanische Anstrengung
erfordert, sondern vor allem
Programmiertätigkeit ist. Doch
dann warf ihn nur acht Monate nach
Dienstantritt ein psychischer Erschöpfungszustand
erneut aus dem Rennen.
«Entlastungsdepression» lautete die
Diagnose, die ihn für 13 Wochen wieder
in die Klinik brachte – eine Form
der Depression, die nicht bei Belastung,
sondern bei Entlastung nach einer
Zeit der Überforderung auftritt.
«Ich hab gekämpft, gekämpft und gekämpft,
und irgendwann ging mir einfach
die Kraft aus», erläutert er. In der
Klinik hatte er Zeit, zur Ruhe zu kommen,
sein Leben zu überdenken und
neue Kräfte zu sammeln. Nach der Genesung
empfing ihn sein Arbeitgeber
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Serie | Mannsbild – Berufsbild
vorbehaltlos. Keine Vorwürfe wegen
der Erkrankung kurz nach der Einstellung,
und auch die Kollegen sind froh,
dass er wieder da ist und es ihm besser
geht. Mit seiner Sexualität gibt es an
diesem Arbeitsplatz keine Probleme.
Um nicht wieder Versteck spielen zu
müssen, hat sich Andreas bei seinem
Arbeitgeber gleich zu Beginn geoutet.
«Das ist Ihre Privatsache. Sie machen
Ihren Job gut, der Rest interessiert
mich nicht», gab ihm der Geschäftsführer
des 25 Mitarbeiter zählenden
Unternehmens zu verstehen. Das soziale
Klima an seiner Arbeitsstelle ist
Andreas mehr wert als das Gehalt.
«Vielleicht könnte ich woanders noch
mehr verdienen, aber die Akzeptanz
und Kollegialität hier sind mir wichtiger»,
meint er.
Zu verbergen, dass er schwul ist,
hätte an seinem neuen, 120 000 Einwohner
zählenden Wohnort, in dem er
seit sechs Jahren lebt, ohnehin nur
wieder Druck gemacht. Andreas ist in
dem dortigen schwul-lesbischen Zentrum
sehr engagiert, und weil er jüngst
erneut in den Vereinsvorstand gewählt
wurde, tritt er hier beim CSD oder anderen
Veranstaltungen in der Funktion
auch öffentlich auf. In der Schwulengruppe
schätzt man nicht nur seine
handwerklichen Fähigkeiten, sondern
vor allem auch sein Engagement. Er
hat dadurch viele neue Freunde gefunden,
bei denen er nicht mehr vorgeben
muss, was er nicht ist. Das war wie ein
Befreiungsschlag. «Ich war so heterofixiert
und konnte mir lange nie vorstellen,
von meinem Dorf wegzugehen,
in dem ich 30 Jahre lang gewohnt
habe. Heute bin ich an meinem neuen
Wohnort mehr daheim, als ich es dort
vielleicht je war», so sein Fazit. Aber
auch der Kontakt zu seiner Familie hat
sich inzwischen deutlich entspannt,
seit Andreas das lebt, was er ist. Seine
Schwester hat ihre Ablehnung seiner
sexuellen Identität überwunden und
schätzt mittlerweile, dass sie Dinge
mit ihm besprechen kann, die sie bei
anderen nur schwer zur Sprache
bringt. Und sein Bruder, der an einer
privaten Bibelschule Theologie studiert,
hat ihn wissen lassen, dass er
ihn segnen würde, wenn er einen
Mann heiraten sollte – ein grosser
Schritt in einem immer noch eher homophoben
Umfeld. Viele Freunde von
damals wollen jetzt mehr von seinem
schwulen Leben erfahren. Die Berührungsängste
verlieren sich, weil
Andreas inzwischen so selbstverständlich
damit umgeht und vorlebt,
dass viele Bilder in manchen Köpfen
überholte Klischees sind. «Früher hab
ich gedacht, dass es mir gut geht,
wenn es anderen gut geht», erklärt
Andreas. «Heute weiss ich, dass es anderen
gut gehen kann, wenn es mir
gut geht.»
Cruiser zeigt Männer im Berufsalltag.
Dass Sexualität nichts mit der Berufswahl
zu tun haben muss, beweisen unsere
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PUBLIREPORTAGE
Scharfe Wäsche, heiss verpackt. – Oder umgekehrt:
Wie verpackt man etwas Scharfes heiss?
Text: Haymo Empl
Wenn wir im «Cruiser» jeweils Inserate bekommen, prüfen wir als Erstes
immer die Internetseite der Inserenten. So haben wir das auch bei
«GAY-STORE.CH» gemacht und ... oha – da gibt sich einer wirklich Mühe!
FOTOS: HAYMO EMPL
Ein sichtlich gut gelaunter Lars im Interview
– Inhaber von «GAY-STORE.CH»
(www.gay-store.ch)
Die Internet-Seite mit Unterwäsche
& Co. wirkt frisch, aufgeräumt und gar
nicht schmuddelig. Fast schon clean.
Und da uns das Konzept überzeugte
(und gut: auch weil wir von den 15%
Rabatt profitieren wollten), haben wirs
ausprobiert. Allein die Sortimentsgestaltung
im virtuellen Laden ist spannend.
Es wird beispielsweise zwischen
«Nachbarsjunge», «Naturbursche» oder
«Romantiker» unterschieden. Entsprechend
wird einem dann alles angeboten,
was passen könnte. Klickt man
also auf «Romantiker», wird einem unter
anderem eine Lavendel-Massage-
Duftkerze gezeigt. Richtig spannend
ist aber das Underwear-Sortiment. Nur
schon das kanadische Label «Pump»
haut einen aus den Socken bzw. den
alten Unterhosen (im Dreierpack gekauft
bei Lidl – nicht schön!). Wir haben
also bestellt – ein bisschen viel,
man will ja vom Gratisversand profitieren
– und staunten schon wieder.
Die Artikel kamen in schwarzem Karton,
beinahe edel (in der Damenwelt
wird vermutlich Reizwäsche jeweils so
verpackt) und wurden neugierig: Wer
steckt hinter dem Portal? Wer gibt sich
so viel Mühe und kann preislich der
Konkurrenz die Tränen in die Augen
treiben? Wir haben telefoniert und Inhaber
Lars hat sich spontan bereit erklärt,
sich mit uns im «Platzhirsch» zu
treffen.
Cruiser: Wie muss man sich denn so einen
Versandhandel vorstellen? Stapeln
sich da Schachteln und Kisten und tonnenweise
Wäsche und Gadgets?
Lars: Es ist manchmal schon etwas
chaotisch. Aber wir sind eigentlich
sehr gut organisiert und verfügen über
ausreichend Platz. Wir haben tatsächlich
alles an Lager bei uns, denn nur
so können wir auch superschnell liefern.
Du sprichst von «wir»?
Ich könnte das alles alleine gar nicht
schaffen, denn ich bin ja auch noch
berufstätig. Ich entwickle Verpackungen
und Verpackungsdesign für eine
grosse Schweizer Firma. Bei grösseren
Bestellungen hilft mir mein Freund.
Und manchmal springen sogar die Eltern
ein, wenn sie bei uns auf Besuch
sind.
Du bist aus Deutschland, aber schon
lange in der Schweiz. Bestellen die
Schweizer Gays anders als die Deutschen?
Als mein Freund und ich damals eingewandert
sind, haben wir natürlich
viel über die Mentalität der Schweizer
gehört und uns auch entsprechend informiert.
Wir sind also nicht einfach
so ausgewandert, wie man das von den
einschlägigen TV-Sendungen kennt.
Wir wussten daher, dass die Schweizer
wohl preissensitiv sind, aber es
herrscht hier nicht die «Geiz ist
geil»-Mentalität.
Wenn man auf deiner Webseite schaut,
entdeckt man Marken, die uns teilweise
noch gar nicht bekannt sind und die mit
extrem tollen Schnitten und Wahnsinnsfeatures
ausgestattet sind. Wie
kommt man auf solche Hersteller?
(Lacht) Das Thema an sich muss einen
natürlich schon interessieren. Und
manche Hersteller kontrollieren ihre
Vertriebskanäle sehr genau. Es gibt
beispielsweise Labels, die man förmlich
anflehen muss, damit sie einen
beliefern. Das darf man aber nicht zu
ernst nehmen, das ist meistens einfach
Teil einer Marketingstrategie. Mittlerweile
haben wir uns aber – in doch
sehr kurzer Zeit – auch bei den Lieferanten
etabliert und können daher einige
Marken in der Schweiz exklusiv
anbieten.
Hinweis:
Als Cruiser-Leser kannst du noch bis 30.8.
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Einfach im Gutscheinfeld auf der Webseite
www.gay-store.ch das Wort «Cruiser»
eingeben und von 15 % profitieren.
Cruiser Edition Sommer | 2015 17
News | National
Nationale News
«Wir schauen natürlich nicht hinter jedes Gebüsch – aber wenn jemand
quasi in aller Öffentlichkeit sexuell aktiv ist, schreiten wir ein.»
{ }
Adrian Feubli, Sprecher der Stadtpolizei, gegenüber «20 Minuten» über Sex auf der Werdinsel
Umstrittene Pille für «Davor»
Schweiz
Kommt die Pille
gegen HIV?
Eine Studie der Fachhochschule
Nordwestschweiz untersucht,
ob ein PrEP-Medikament auch
hierzulande zugelassen werden
könnte.
Bereits gibt es Medikamente, die eine
HIV-Infektion minimieren können. Die
Rede ist von der Prä-Expositions-Prophylaxe,
oder kurz PrEP genannt. In den
USA ist das Medikament bereits zugelassen.
Dieses muss jedoch täglich eingekommen
werden, wenn man sich auf diese
Weise schützen will. In weiteren
Ländern wird die Wirksamkeit derzeit
getestet. Sicher ist, dass die Einnahme
der Pille nicht ohne Nebenwirkungen ist.
Die Fachhochschule Nordwestschweiz
hat sich dieses Themas angenommen und
lancierte eine Studie gezielt bei schwulen
Männern, mit welcher geklärt werden
soll, ob und wie der Bedarf hierzulande
gegeben ist.
Die anonyme Teilnahme ist unter
www.prepstudy.ch zu finden.
Parlament sagt Nein
zur CVP-Initiative
Der Ständerat folgt dem Nationalrat
und lasst die Heiratsstrafe
durchfallen.
Mit 25 gegen 16 Stimmen hat die kleine
Kammer die von der CVP lancierte Initiative
«Für Ehe und Familie – gegen die
Heiratsstrafe» zur Ablehnung empfohlen
– wie vor ihr auch der Nationalrat.
Laut «Pink Cross» ist die Initiative insofern
nicht tragbar, als dass über verschiedene
Themen abgestimmt werden
soll: die Steuern, die Sozialversicherungen
und die Definition des Begriffs
«Ehe» in der Bundesverfassung. Die Definition
der «Ehe» als eine «auf Dauer
angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft
von Mann und Frau»
würde de facto den Zugang zu dieser
Institution für homosexuelle Paare verunmöglichen.
Verein gegen die
«Ehe für alle»
Konservative und kirchliche
Kreise gründeten den Verein
«Für eine traditionelle Familie».
Laut «20 Minuten» wurde der Verein
«Für eine traditionelle Familie» gegründet,
um die drohende Homo-Ehe in der
Schweiz zu verhindern. Ebenfalls ist ein
Referendum gegen die Stiefkindadoption
in Planung. Co-Präsident und
EDU-Politiker Marco Giglio spricht von
einer «Demontage der Familie» und von
einer «Phalanx der Schwulen-Lobby».
Im Verein finden sich weitere bekannte
Namen wieder, u. a. die Nationalräte
Jakob Büchler (CVP) und Verena Herzog
(SVP). Bastian Baumann, Geschäftsleiter
des Schwulen-Dachverbandes «Pink
Cross», sagte gegenüber «20 Minuten»,
er halte den Verein für eine verschlossene
Gruppe, die die Zeichen der Zeit
nicht erkannt habe.
Offener Brief an
Swissmedic
«Pink Cross» fordert, dass
schwule Männer wieder Blut
spenden dürfen.
«Pink Cross» sendet mit elf anderen
Organisationen und Parteien und 30
Politikern einen offenen Brief an Swissmedic
und fordert darin die Behörde
auf, den lebenslangen Ausschluss von
Männern, die Sex mit Männern haben
(MSM), aufzuheben. Seit 1977 wird,
wer eine sexuelle Beziehung zu einem
Mann hat, von der Blutspende ausgeschlossen.«Verbote,
die der Sicherheit
dienen, machen Sinn. Verbote, die
auf eine alte Faktenlage oder eine antiquierte
Haltung gründen, sind dis -
kri minierend», sagt Bastian Baumann,
FOTOS: FOTOLIA (2)
18 Cruiser Edition Sommer | 2015
Dürfen bald auch schwule Männer
Blut spenden?
Geschäftsleiter von «Pink Cross». Auch
der Europäische Gerichtshof hält in einem
Urteil vom 29. April 2015 fest,
dass der generelle Ausschluss von MSM
unzulässig ist, sofern wirksame Techniken
zum Nachweis von HIV erlauben, ein
hohes Gesundheitsschutzniveau der
Blutspendeempfänger sicherzustellen.
Dies ist in der Schweiz der Fall.
Sébastien Nendaz erklärte gegenüber
der Presse, dass der Umzug nichts zu
wünschen übrig liess. Die Pius-Bruderschaft
hingegen rief im Vorfeld der
Gay-Pride zur Gegendemonstration auf,
blieb dem Anlass aber fern. Allerdings
verkündete sie medienwirksam, dass sie
sich künftig eine Sittenpolizei wünsche.
Zürich
Werdinsel im Fokus
der Polizei
Das Eiland steht auch bei der
Zürcher Gay-Community hoch
im Kurs.
Die Polizei führt ab sofort vermehrt
Kontrollen auf der Werdinsel durch.
Dies, obwohl Sex im öffentlichen Raum
generell nicht verboten ist. Roman Thür,
Kreischef, sagte gegenüber der Zeitung
«Zürich Nord», dass die Polizei bereits im
letzten Jahr 30 Personen aus den Büschen
holen musste. Alexander Jäger,
Präsidenten des Quartiervereins, will
wissen, dass sich manche gar nicht mal
Mühe geben, sich richtig zu verstecken.
Also werden die Kontrollen verstärkt.
Zwischen Juni und August werden an
zwölf Wochenenden Doppelpatrouillen
unterwegs sein. Man wolle dabei mit Augenmass
vorgehen, aber auf Anzeigen
werde man weiterhin eingehen.
Erfolgreiche Pride
in Zürich
35 000 Besucher für «Gleichstellung
ohne Grenzen»
Das Zurich Pride Festival auf dem
Kasernenareal und dem Zeughaushof
lockte 35 000 Besucherinnen und Besucher
an, wie die Organisatoren mitteilten.
Ein Showprogramm, zahlreiche Bars,
Verpflegungs- und Infostände trugen zu
einem umfangreichen Programm bei.
Mit einer einmaligen Sensation startete
der diesjährige Demonstrationsumzug:
Das Zurich Pride Team eröffnete die Parade
mit elf Botschafterinnen und Bostchaftern,
welche den Umzug anführten.
Insgesamt wurden 16 000 Personen gezählt,
die friedlich durch die Innenstadt
von Zürich zogen und auf das Motto
«Gleichstellung ohne Grenzen» aufmerksam
machten. (DD)
Die Pride 2015: Schrille Vögel, bunte Hunde und 35 000 BesucherInnen
Sion
8000 Besucher an
der «Pride Valais»
Die zweite LGBT-Demonstration
in Sion erwies sich als voller
Erfolg.
Unter dem Motto «Ich will dir sagen. Ich
liebe ... das Wallis» kamen im Juni 5000
Teilnehmende und 3000 Schaulustige
zusammen, um friedlich für die Gleichberechtigung
von Schwulen und Lesben
zu demonstrieren. Die Organisatoren
wollten nicht nur die Vorurteile über
die Stereotypen der Szene abbauen,
sondern mit dem Slogan auch für ihre
Heimat werben. Man sei stolz auf
ein «aufgeschlossenes Wallis». Sprecher
Cruiser Edition Sommer | 2015 19
News | International
Internationale News
«Wenn wir die Flagge einer Organisation erlauben, dann müssen wir auch
die von anderen erlauben.»
{ }
Der schwedische Christdemokrat Morgan Emgardsson über die Regenbogenflagge im Vergleich zur Nazifahne
auf dem Maidan und dem Beginn der
Kämpfe in der Ost-Ukraine war dies die
erste Gay-Kundgebung im Land.
Vatikan
«Eine Niederlage
für die Menschheit»
Das wuchtige Ja der Irländer
zur «Ehe für alle» wurde vom
Vatikan verurteilt.
Die Gay-Pride in Tel Aviv war ein voller Erfolg
Israel
180 000 Besucher
an der Gay-Pride
Die diesjährige Gay-Parade in
Tel Aviv darf als grosser Erfolg
verbucht werden.
Die 17. Gay-Pride in Tel Aviv stellte die
Solidarität mit Transpersonen in den
Mittelpunkt. Die bunte und friedliche
Parade zog laut der Polizei mehr als
100'000 Menschen an, während die
Veranstalter von 180 000 Besucher
sprechen. Als Ehrengast wurde Caitlyn
Jenner eingeladen, die jedoch nicht
teilnehmen konnte. ESC-Gewinnerin
Conchita Wurst vertrat sie würdig:
«Was Caitlyn getan hat, war ein tolles
Vorbild für alle Transmenschen weltweit»,
so die bärtige Sängerin. Tel Aviv
selbst gewann mit der Gay-Pride an
neuen Sympathien. Viele Besucher lobten
laut Medienberichten die lokale Offenheit
und Toleranz.
Ukraine
Verletzte bei
Gay-Pride
In Kiew gingen ca. 200 Schwule
und Lesben auf die Strasse, um
für ihre Rechte zu demonstrieren.
Die Kundgebung, die ausserhalb des
Stadtzentrums stattfand, verlief alles
andere als friedlich, wie «Zeit Online»
schrieb. Vermummte Ultranationalisten
versuchten, den Anlass mit Knallkörpern
und Knüppeln aufzulösen. Bei den
Auseinandersetzungen wurden fünf Polizisten
verletzt – es folgten 25 Festnahmen.
Im Vorfeld der Parade hatte
der Bürgermeister von Kiev, Ex-Boxer
Vitali Klitschko, die Organisatoren aufgefordert,
die Veranstaltung abzusagen,
aus Angst vor Gewalt. Anders Präsident
Petro Poroschenko, der das Demonstrieren
als «verfassungsmässiges Bürgerrecht»
bezeichnete. Seit den Protesten
Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin
hat bei einer Veranstaltung in Rom laut
Presseberichten zum irischen Volksentscheid
klare Worte gefunden: «Ich glaube,
man kann nicht nur von einer Niederlage
der christlichen Prinzipien,
sondern von einer Niederlage für die
Menschheit sprechen». Die katholische
Kirche wolle weiterhin die Familie verteidigen,
so Parolin.
Grönland
Grönland sagt Ja
Die Homo-Ehe tritt am
1. Oktober 2015 in Kraft.
In Grönland hat das Parlament mit
27 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen
entschieden, dass die Ehe ab Oktober
auch für Lesben und Schwule geöffnet
wird. Damit wird auch das bislang gültige
Partnerschaftsgesetz per 1. Oktober
aufgelöst. Das neue Gesetz erlaubt es,
neben der Stiefkindadoption, die bereits
möglich war, in den Kirchen zu heiraten.
Wie das reguläre Adoptionsrecht umgesetzt
wird, gilt es abzuwarten. Die
rechtliche Umsetzung wird sich nach
Dänemark richten – Grönland ist ein autonomer
Bestandteil des Königreichs.
FOTOS: LIVE BALL (1), VANGARDIST (1), ZVG (1)
20 Cruiser Edition Sommer | 2015
Mexico
Ehe-Verbot ist
verfassungswidrig
Das Oberste Gerichtshof stellte
klar, dass die Homo-Ehe nicht
verweigert werden darf.
In Mexiko wurden die Bundesstaaten
vom Obersten Gerichtshof darauf hingewiesen,
dass es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
in der Bundesverfassung
verstösst, wenn sie gleichgeschlechtlichen
Paaren die Ehe verwehren. Schwule
und Lesben dürfen damit eine Ehe vor
dem Amtsgericht erzwingen. Die katholische
Kirche hingegen protestierte lautstark
gegen das Urteil.
Paraguay
Der Papst wird
LGBT-Organisation
besuchen
Auf der Lateinamerika-Reise
des Kirchenoperhauptes kommt
es zu einer Premiere.
Papst Franziskus wird im Juli Lateinamerika
bereisen und auch in Paraguay
Halt machen. Dort wird zum ersten Mal
in der Geschichte der katholischen Kirche
eine LGBT-Organisation zum offiziellen
Gespräch mit einem Papst eingeladen.
Das Treffen mit «SomosGay» wird
am 11. Juli in der Hauptstadt Asunción
stattfinden. Als Grund für die Einladung
wurde der «hohe Einfluss» der Organisation
auf die Bevölkerung genannt.
Marokko
«Sollte man Homos
verbrennen?»
Ein marokkanisches Magazin rief
zum vermeintlichen Mord auf.
Wie provokativ darf eine Schlagzeile sein?
Das wöchentliche Magazin «Maroc
Hebdo» betitelte eine seiner Juni-Ausgaben
mit «Faut-il brûler les homos?»
(Sollte man die Homos verbrennen?)
Eine Welle der Empörung aus dem Inund
Ausland war die Folge. Anlass für
den als vermeintlichen Aufruf zum
Mord bezeichneten Titel ist eine Initiative
des marokkanischen Gesundheitsministeriums,
welche Homosexualität
legalisieren will – bislang stehen für
gleichgeschlechtlichen Sex bis drei Jahre
Gefängnis auf dem Programm. Das Magazin
liess in einer Stellungnahme verlauten,
dass man lediglich eine Debatte
auslösen wollte. Trotzdem wurde das
Magazin aus dem Verkauf genommen.
Norwegen
Homoerotisches
Video in Kirche
Popsänger Tooji Keshtkar
löst nicht nur bei der Kirche
Kopfschütteln aus.
Das etwas misslungene Coming-out des
einstigen Eurovision-Song-Contest-Teilnehmers
Tooji Keshtkar sorgt für rote
Köpfe. Der Sänger mit iranischen Wurzeln
nutzte die Gunst der Stunde, um
sich mit seinem neuen Musikvideo zur
Single «Father» der Welt mitzuteilen.
Dumm nur, dass dies in der Kirche und
mit küssenden Geistlichen inszeniert
wird. Am Ende wachsen den Liebenden
Flügel. Der Bischof von Oslo bezeichnete
das Video als «völlig inakzeptabel».
Tooji Keshtkar provoziert
Deutschland
IGLFA-Fussball-EM
war ein Erfolg
Beim schwul-lesbischen Sportanlass
gewannen «Vorspiel Berlin»
und eine russische Frauen-Mannschaft.
Im Juni gingen in Hamburg die dritten
Europameisterschaften des schwul-lesbischen
Fussballverbandes IGLFA über
die Bühne. Innerhalb von zwei Tagen
spielten 30 europäische Vereine und
rund 400 Spielerinnen und Spieler in
drei Männer- und einer Frauendivision
um die Titel. Als Sieger bei den Männern
gingen «Vorspiel Berlin», das «Dream
Team Cologne» und die «Stuttgart Allstars»
hervor. Bei den Frauen gewann der
FC Krylya aus Moskau. Die Pokale wurden
von Thomas Hitzlsperger überreicht.
USA
Prediger fordert
LGBT-Boykott
Der evangelikale Pastor Franklin
Graham holt zum Rundumschlag
an.
Der umstrittene Prediger
Franklin Graham
Auf Facebook rief der vielleicht bekannteste
Prediger der USA, Franklin
Graham, seine Schäfchen dazu auf, keine
Geschäfte mehr mit Organisationen
zu machen, die der LGBT-Comunnity
nahe stehen, wie etwa mit Tiffany &
Co., die mit einem schwulen Paar für
Eheringe wirbt. Der Pastor ist der Sohn
des 96-jährigen Erweckungspredigers
Billy Graham, dessen «Evangelistic Association»
eine weltweite Missionierung
zum Ziel haben soll. (DD)
Cruiser Edition Sommer | 2015 21
Serie | Homosexualität in Geschichte
und Literatur
Stille Glut und
Stichflammen
Text: Alain Sorel
Zwei Cousins erleben einen Nervenkitzel auf einer Brücke hoch über der
Seine. Die Wege zweier Hotelgäste in Venedig kreuzen sich immer wieder.
Der Dschungel der Gefühle lauert in Städten und man kann sich darin
hoffnungslos verlieren.
Tadzio und von Aeschbach in der 1971er Verfilmung von Thomas Manns
«Tod in Venedig»
Denis und Claude sind zwei Cousins,
Denis ist acht, Claude ist dreizehn. Sie
leben unter einem Dach. Der Schauplatz:
Paris.
Ein anderer Handlungsort: Venedig.
Der alternde Gustav von Aschenbach
verbringt hier seine Ferien – im selben
Hotel wie der etwa 14-jährige Tadzio.
Die Liebe von Knaben und zu Knaben
haben zwei Schriftsteller von Rang
zum Thema gemacht: Julien Green beschreibt
in seinem Roman «Der andere
Schlaf» das Heranreifen von Denis,
Thomas Mann in seiner Novelle «Der
Tod in Venedig», 1971 meisterhaft verfilmt
von Luchino Visconti, die Geschichte
eines Mannes, dessen Reife
ihn nicht vor einer starken Verwirrung
der Gefühle schützt. Greens Text
erschien 1931, die Wunden des Ersten
Weltkrieges waren noch nicht vernarbt
und acht Jahre später sollte
schon der Zweite beginnen. Manns
Novelle entstand 1911 / 1912, am Vorabend
des ersten grossen Krieges in
Europa im letzten Jahrhundert, jenem
von 1914 bis 1918.
Leiden am Jahrhundert
Das 20. Jahrhundert hatte es in sich, es
war eines im Umbruch. Green, Sohn
US-amerikanischer Eltern in Paris, der
auf Französisch schrieb, durchmass es
mit seiner Lebensspanne von 1900 bis
1998 fast in seiner Gesamtheit; Mann,
1875 in Lübeck geboren, starb 1955.
Beide litten an diesem Jahrhundert:
Sie sahen Staaten, Blöcke und Bündnisse
kommen und gehen, totalitäre
Systeme wie den Nationalsozialismus
entstehen, den sie entschieden bekämpften:
Green in der Résistance,
Mann aus dem Exil. Sie mussten mit
ihrer Homosexualität zurecht kommen,
die angesichts strenger Normen
und Konventionen noch weitherum
geächtet war. Eine literarische Verarbeitung
dieser Bedrängnis war für
Green und Mann, der verheiratet und
Vater von sechs Kindern war, naheliegend.
Greens Hauptfigur, der schmächtige,
scheue Denis, ein Stadtmensch,
wird im Roman von einem Typen ganz
anderen Zuschnitts angezogen: Claude
ist verwegen, von ausgesprochener
Wildheit in Auftreten und Kleidung,
ihn umgibt ein Hauch von frischer
Luft, von Wiesen und Wäldern, er ist
ein Kind der Natur. Er ist ein kräftiger
Bursche mit manchmal durchaus
rohen Anwandlungen, die aber eine
bestimmte Grenze nie überschreiten.
Denis wird in seiner kindlichen Verletzlichkeit
vom Verhalten Claudes anfänglich
sehr erschreckt. Dann wird
Claude als eine Art Vorbild empfunden,
bis Denis merkt, dass er wieder
erschrickt, weil sich seine Einstellung
zu Claude weiter ändert. Langsam,
FOTOS: PD
22 Cruiser Edition Sommer | 2015
ganz langsam, von ihm selbst fast unbemerkt,
entwickelt der Jüngere tiefere
Gefühle für den Älteren.
Thomas Manns Geschöpfe ähneln
sich in ihrem Wesen bis zu einem gewissen
Grad. Der kultivierte Aschenbach,
bezeichnenderweise ein Schriftsteller
wie sein Schöpfer Thomas
Mann, verliebt sich in den scheuen,
feingliedrigen Tadzio, der Ästhet in
den Jüngling, der von engelgleicher
Schönheit ist.
«Langsam entwickelt
der jüngere Knabe
tiefere Gefühle für den
älteren.»
Mutprobe auf der Brücke
Claude ist ein Waisenkind und von
Tante und Onkel, Denis’ Eltern, aufgenommen
worden. Das Schlüsselerlebnis
hat Denis an jedem zweiten Sonntag,
an dem Claude auf Bitten der
Erwachsenen mit ihm ausgeht. Es
kommt stets der Moment, in dem beide
in Paris eine Brücke, den Pont d’Iéna,
überqueren.
Was sich ereignet, ist wie ein Ritual:
Claude packt Denis und hebt ihn
über die Steinbrüstung. Nur die Hände
des Dreizehnjährigen können den jüngeren
Knaben vor einem Sturz in die
Fluten der Seine bewahren. Aber er
will ihm ganz offensichtlich nichts
zuleide tun. Für beide ist die Sache
eine Mutprobe. Sie werden mit Ängsten
konfrontiert. Und sie halten gegenüber
den Erwachsenen dicht. Sie haben
ein Geheimnis miteinander, eine
stille Komplizenschaft in einer schwierigen
Familiensituation.
Die Liebe zwischen den Generationen
ist abwesend in diesem Haus.
Green entwirft das Bild von Eltern, die
müde – weil überanstrengt – sind vom
täglichen Kampf ums Dasein. Die emotionalen
Alarmsignale der zwei Jungen,
die eigentlich ihre Schutzbefohlenen
sein sollten, nehmen die
Erwachsenen auf eine höchstens unbeholfene
Weise wahr. Claudes spöttische
Haltung markiert Distanz, die
sich rapide vergrössert, und er wird
die Konsequenzen ziehen. Denis erkennt
es, und er selber empfindet
schnell einmal nur noch Verachtung
und Kälte für seine Eltern. Aber auch
er sucht sich bald recht autonom seinen
Weg ins Leben.
Tag und Traum
Denis: Das ist die Geschichte eines
Jungen, dessen sexuelles Bewusstsein
erwacht. Jeder solche Weckruf an den
Eros besiegelt das Ende einer Kindheit.
Green schildert auf subtile, feinfühlige
Weise ein jugendliches Pendeln
zwischen Imagination und Wirklichkeit,
zwischen Tag und Traum. Denis
erlebt Tagträume. Ist unser Wachzustand
eine Illusion? Ein «anderer
Schlaf»? Und was geschieht mit uns in
dem allen vertrauten nächtlichen
Schlaf?
In den Ferien betrachtet der am
Fenster stehende Knabe in den frühen
Morgenstunden erstmals bewusst den
noch schlafenden Claude und nimmt
ihn mit einem andern Blick wahr als
bisher. Nie wird er diese Szene vergessen.
«In seinem tiefen Schlaf erschien
er als die Kraft in Person. Nichts, was
dieses glückselige Atmen störte. Ich
sah seine Züge nicht, aber eine dunklere
Stelle auf seinem Gesicht bezeichnete
die Stelle, wo das Blut seine braunen
Wangen belebte.» Das eine Bein,
«lang und kräftig, leuchtete aus dem
Dämmerlicht, wobei sich die einzelnen
Muskeln abzeichneten, und wirkte auf
der Weisse des Betts beinahe schwarz.»
Manchmal kündigt sich etwas an,
bräuchte aber Zeit, um sich zu entfalten.
Besonders, wenn es von der Allgemeinheit
nicht akzeptiert ist. Doch
Denis und Claude verlieren sich aus
den Augen. Der Erste Weltkrieg naht.
Claude verpflichtet sich zum Militärdienst
und meldet sich danach nicht
mehr bei der mittlerweile verwitweten
Mutter von Denis oder diesem selber.
Die Schriftsteller
Thomas Mann (1875–1955) und
Julien Green (1900–1998)
Claudes Bild verblasst, bekommt aber
neuen Glanz bei der Beisetzung von
Denis’ Mutter. Denn Claude ist zur
Trauerfeier angereist. Und bringt Denis
mit seiner blossen Anwesenheit
gewaltig aus dem Konzept. Das ist nur
möglich, weil der Ältere ihm nicht
gleichgültig ist. Und Claude, von dessen
Militärdienst nichts berichtet
wird, hat sich nie gemeldet, weil er
glaubte, der Jüngere habe kein Interesse
an ihm. Er war also enttäuscht,
doch enttäuscht ist ein Mensch nur
von jemandem, von dem er sich mehr
erhofft hat.
Es kommt zu rührenden Signalen
von Denis. Er nimmt Claudes Hand, als
dieser seine Abreise ankündigt, lässt
sie nicht los – und der andere entzieht
sie ihm auch nicht. Denis wird erstmals
bestimmend gegenüber Claude,
sagt ihm, dass er ihn nicht gehen lassen
will und dass er mit ihm einen
Ausflug in ihre Jugendzeit, in das Ferienhaus
von damals, machen will. Ein
aufschlussreicher Vorschlag, denn
dort hat er ihn ja seinerzeit beobachtet.
In jenem Zimmer flüstert er ihm
denn auch zu: «Erinnerst du dich? Hier
haben wir geschlafen.» Das klingt verdächtig
danach, als hätte er den Satz
eigentlich ganz anders formulieren
wollen …
«Denis nimmt
Claudes Hand, lässt sie
nicht los.»
Aber der Mut verlässt Denis, seine
Glut bleibt verborgen. Und Claude erlöst
ihn nicht. Er lächelt ihm nur
manchmal zu, als durchschaue er ihn.
Kühner wird Denis erst wieder, als
Claude im Freien einschlummert. Dieses
Mal beobachtet er ihn nicht nur,
sondern lässt seinen Schatten über
Wangen und Mund des andern streifen.
Für Denis eine «geheimnisvolle
Berührung». Aber ein Befreiungsakt
ist das noch lange nicht. Wir sind halt
in der Anfangsepoche des 20. Jahrhunderts.
Einmalige Chancen
Was wäre geschehen, wenn …? Diese
Frage stellen sich jene oft, bei denen
sich eine Liebschaft nicht hat konkretisieren
lassen, sei es widriger Zeitum-
Cruiser Edition Sommer | 2015 23
Serie | Homosexualität in Geschichte
und Literatur
stände wegen oder weil die innere
Freiheit fehlte, etwas auszuleben. Wir
wissen nicht, ob Claude und Denis eines
Tages doch noch zusammengefunden
hätten; der schmale Roman hört
damit auf, dass sich Denis in jenem
Garten des Ferienhauses von Claude
wieder entfernt. Wie viele haben wohl
schon den Schmerz einer verpassten
Chance in Herzensangelegenheiten
durchmachen müssen? Weil sie eine
günstige Konstellation haben vorbeiziehen
lassen, und solche Situationen
die Eigenheit haben, dass sie sich nie
wiederholen. Denis sagt sich nur, dass
auch nach ihm immer wieder junge
Männer ihre Chance bekommen werden,
und ihn streift bei dieser Erkenntnis
ein Hauch von Vergänglichkeit –
viel zu früh für sein Alter.
Szenenwechsel. Aschenbach, der
Schriftsteller und Künstler in Thomas
Manns «Tod in Venedig», ist zwar neugierig
und offen für Neues, aber in
überschaubarem Rahmen. Sein Leben
ist an sich fest gefügt. Der Witwer ist
Vater einer erwachsenen Tochter, beruflich
arriviert und will jetzt einfach
wieder mal ausspannen. Doch das
wird nicht gelingen, er gerät in einen
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gefährlichen Taumel der Gefühle. Der
Grund dafür ist Tadzio, der zu einer
polnischen Familie gehört, die ebenfalls
im Bäderhotel abgestiegen ist.
Schritt für Schritt, Seite für Seite ist
das Protokoll des Verfalls nachzuvollziehen,
dessen Opfer Aschenbach
wird. Thomas Manns Sprache ist elegant
und brillant bei jenen Stellen, bei
denen er den Ablauf der Ereignisse
ausbreitet. Er wusste genau, wovon er
schrieb.
Mehr und mehr nimmt der Schöne,
wie Mann Tadzio oft nennt, das Denken
und Trachten des älteren Reisenden
gefangen. Aschenbach verfolgt
ihn durch die Gassen der Stadt, er
sieht ihm zu beim Baden und beim
Spiel mit seinen Altersgenossen und
seine Augen nehmen natürlich auch
den Ringkampf voll unterschwelliger
Erotik wahr, den ein Bursche namens
Jaschu Tadzio aufzwingt, um ihn für
sich zu gewinnen.
«Ich liebe dich!»
Mit Macht, mit Gewalt, bricht sich eine
Veranlagung in Aschenbach Bahn,
die nie ausgelebt wurde, eine Lust, die
er sich selbst verboten hatte. Seine
Leidenschaft schiesst empor wie eine
Stichflamme. Aschenbach macht auf
jung, geht ständig zum Coiffeur und
merkt nicht, wie er seine Würde verliert.
Wie zur Untermalung dieses Zustands
bricht in Venedig die Indische
Cholera aus; die Dekadenz dieser Stadt
und die Morbidität einer verwöhnten
Gesellschaftsschicht sind mit Händen
greifbar. Venedig wird zum Brennpunkt
eines vielschichtigen Untergangs.
Tadzio kann nicht hören, wenn der
total von seiner Leidenschaft überwältigte
Aschenbach die «stehende Formel
der Sehnsucht» flüstert – «unmöglich
hier, absurd, verworfen, lächerlich
und heilig doch, ehrwürdig auch hier
noch: ‹Ich liebe dich!›»
Und dennoch kommt es zu einem
Kommunikationsaustausch zwischen
Aschenbach und Tadzio – via Blicke.
Dem Jungen sind die Nöte des älteren
Mannes nicht verborgen geblieben
und er scheint mit ihnen zu kokettieren.
Wenn dann Aschenbachs Herz
bricht, buchstäblich bricht, gibt er ihm
einen Fingerzeig.
Der Roman «Der andere Schlaf» und die
Novelle «Der Tod in Venedig» sind über
Buchhandel und Internet greifbar.
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Weltgeschichte, in antiken Sagen und
traditionellen Märchen – in der Literatur
ganz allgemein – immer wieder.
Cruiser greift einzelne Beispiele heraus,
würzt sie mit etwas Fantasie, stellt sie
in zeitgenössische Zusammenhänge und
wünscht bei der Lektüre viel Spass –
und hie und da auch neue oder zumindest
aufgefrischte Erkenntnisse. Die
vierte Folge befasst sich mit zwei
Dichterwerken, in deren Mittelpunkt
Knaben stehen.
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Interview | Claudia Meier
«Es gibt noch viel zu tun für
uns Transmenschen!»
Text: Dani Diriwächter
Dank der Metamorphose von Bruce in Caitlyn Jenner ist die moderne
Transfrau von heute auch im Mainstream angelangt. Doch verklärt sie
fernsehgerecht die Wahrheit? Wir sprachen mit Claudia Meier, einer
erfolgreichen Transfrau, über Caitlyn und die Realität.
«Echt, sexy, stark und
lebensfroh gelten nicht
unbedingt als Attribute
einer Transfrau.»
Es war ein Akt der Befreiung, als sich
das Familienoperhaupt der TV-Familie
Kardashian medienwirksam auf dem
Juni-Titel der «Vanity Fair» als Caitlyn
Jenner vorstellte. Kultfotografin Annie
Leibowitz rückte die 65-Jährige ins
vorteilhafte Licht – eine atem beraubende
Schönheit war geboren. Menschen
auf der ganzen Welt zeigten sich
hingerissen, selbst Präsident Barack
Obama zollte Caitlyn Jenner via Twitter
Respekt. Wohl noch nie wurde die
optische Angleichung einer Transperson
so sehr erwartet wie die von Bruce
an Caitlyn Jenner. Dabei fiel der einstige
Leichtathlet im Zehnkampf in
jüngster Zeit eher als Staffage in der
TV-Serie «Keeping up with the Kardashians»
auf. Als in sich gekehrter und
wenig schriller Vater von Kim und Co.
wurde ihm nicht viel Aufmerksamkeit
geschenkt. Als allerdings gemunkelt
wurde, dass der Olympia- Gewinner
eine Transfrau sein könnte, richteten
sich die Scheinwerfer auf Bruce.
Bruce ist heute Geschichte – Caitlyn
Jenner hat das Sagen. Sie erscheint in
den Medien als echt, sexy, stark und
lebensfroh. Attribute, die das Mainstreampublikum
bislang so von einer
Claudia Meier: Eine lebensfrohe und
powergeladene Transfrau
Transfrau nicht unbedingt wahrgenommen
hat. Doch verklären Fotoshop
und Marketingstrategie die Realität?
Hilft der schöne Schein einer Caitlyn
Jenner den Transmenschen? Wir haben
mit Claudia Meier (45) über diese
Themen gesprochen. Als Transfrau
stand sie schon einige Male im Fokus
der Medien. Nicht zuletzt wegen ihres
Kampfes für die Namens- und Personenstandsänderung
(siehe Box).
Cruiser: Wie erlebst du den Medienrummel
um Caitlyn Jenner?
Claudia Meier: Bereits im letzten Jahr
tauchten diverse Gerüchte und Fotos
auf, dass Caitlyn möglicherweise
«trans» sein könnte, daher war ich
kaum überrascht. Dass es in einem
solchen Fall einen Rummel gibt, dürfte
klar sein – ich habe das als Hotelier/
ère des bekanntesten Hotels in der Region
Gantrisch-Gurnigel selbst erlebt.
Wie reagiert man auf einen solchen
Rummel?
Faktisch ergibt sich daraus lediglich
die Konsequenz, offen zu kommunizieren
– ein Dementieren oder Geheimhalten
funktioniert in aller Regel
nicht, wenn man nicht gerade unbekannt
ist. Sich den Medien zu verweigern,
wäre in einem solchen Fall meines
Erachtens sogar kontraproduktiv.
Caitlyn wirkte als Bruce eher verschlossen,
als Frau bislang jedoch sehr selbstbewusst.
Könnte dies eine typische Entwicklung
sein?
Es kann, es muss aber nicht sein – viele
erleben, wie auch ich, die Transition
als Erlösung. Natürlich macht sich
auch manchmal eine gewisse Euphorie
breit – je nachdem wird diese dann getrübt,
wenn Probleme auftauchen. Ein
solcher Wechsel ist tatsächlich noch
heute nicht ganz einfach. Die Gesellschaft
hat bis heute nicht verstanden,
dass Vorbehalte und Vorurteile gegen
uns unproduktiv sind – ich denke, es
ist bei Schwulen und Lesben ähnlich
gewesen, auch wenn es heute nicht
mehr ganz so schwarz aussieht.
FOTO: ZVG
26 Cruiser Edition Sommer | 2015
Was genau meinst du betreffend
Schwulen und Lesben?
Homosexuellen Menschen ist die Neigung
nicht auf die Stirn geschrieben
– anders ist es halt bei Transmenschen.
Irgendwann muss man sich outen –
spätestens, wenn eben der Wechsel
ins gefühlte Geschlecht offensichtlich
wird. Aber, um dies zu betonen: «Trans»
ist keine sexuelle Ausrichtung, sondern
die Geschlechtsidentität.
Wie hast du deine Entwicklung miterlebt
– wo liegen die Unterschiede im
«vorher und nachher»?
Jeder, der Andreas traf, dachte spätestens
nach ein paar Minuten: Was ist
das für ein komischer, verschlossener
Kauz? (lacht) Als Claudia nehmen
mich die Menschen als offen, kommunikativ,
fröhlich und als «typisch
Claudia» wahr – als Frau, die ich eben
immer war. Heute stimmt einfach mein
Äusseres mit meinem Kern überein,
das merken die Menschen.
Caitlyn Jenner verfügt über finanzielle
Möglichkeiten, um optisch mehr zu
punkten als vielleicht eine «normale»
Transfrau – verklärt das Jenner-Image
die Realität?
Eine interessante Ansicht – natürlich
verfügt Caitlyn über viel Geld – doch
man braucht keine Millionen, um entsprechend
auszusehen. Zudem werden
bei uns eine Vielzahl der Eingriffe von
den Kassen übernommen. Vieles ist
aber auch von der Physiognomik des
Körpers abhängig. Man kann eine
Zwei-Meter-Frau nicht kleiner machen,
man kann die Schultern nicht
schmaler machen, grosse Hände und
Füsse bleiben gross und auch einer
Kahlheit auf dem Kopf ist nur schwer
beizukommen. Ich selbst habe lediglich
den Schnitt im Schritt, den
«Heute stimmt einfach
mein Äusseres mit
meinem Kern überein,
das merken die
Menschen.»
«Zwei-Königstag» (Brustaufbau) und
den Bart mittels Nadelepilation machen
lassen – vieles sonst habe ich von
der Natur geschenkt bekommen oder
haben die Hormone bewirkt. Und
Glücklichsein selbst macht schon sehr
hübsch (lächelt). Persönlich denke ich,
es sei falsch, einem Vorbild wie Caitlyn
Jenner optisch nacheifern zu wollen
– jeder Transmensch soll seinen
eigenen, persönlichen Stil entwickeln.
Dieser hat auch etwas mit persönlicher
Identität, mit dem, wer man wirklich
ist, zu tun.
Du hast selbst verschiedene Stile ausprobiert
– war das Spass oder Notwendigkeit?
Der persönliche Stil ist eine Entwicklung,
wie sie eben jeder Mensch durchmachen
sollte – klar, ich trug zu Beginn
eine Perücke, weil ein 3-mm-
Haarschnitt nicht gerade sehr weiblich
ist. Man darf auch nicht vergessen,
dass ich abermals eine Pubertät durchlebte
und versuchte, mein Geschlecht
zu unterstreichen.
Das scheint sich geändert zu haben –
um auf deinen Militäranzug anzuspielen.
Hätte man mir vor vier Jahren gesagt,
dass ich abermals Uniform und Kampfstiefel
anziehen werde, hätte ich gelacht
und den Vogel gezeigt – doch irgendwann
wusste ich, dass ich auch in
Uniform und Kampfstiefeln nicht weniger
Claudia bin als im Rock und mit
Highheels. Spätestens mein Einsatz im
Kosovo zeigte mir das sehr deutlich.
Aber klar, ich ziehe auch heute noch
gerne mal einen Mini und Stilettos an.
Du hast viel an dir gearbeitet und auch
deine Stimme verändert – wie geht das?
Die Stimme ist eines der wichtigsten
Identifikationsmerkmale, und da ich
damals am Telefon immer als «Herr»
angesprochen wurde, war mir klar,
dass ich das ändern will. Daraufhin
besuchte ich gut ein Jahr lang eine Lo-
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Interview | Claudia Meier
Bruce Jenner wurde zu Caitlyn und liess
sich von Starfotografin Annie Leibovitz
für «Vanity Fair» ablichten
gopädin. Für uns Transfrauen ist es
hartes Training, es ist, als würde man
ein Instrument lernen. Viel Schweiss
und manchmal auch Tränen stecken in
meiner Stimme.
Es gab und gibt bekannte Transfrauen,
die durch ihre berechtigten Probleme
aufgefallen sind.
Tatsächlich gibt es einige tragische
Schicksale unter uns Transfrauen,
aber auch unter den Transmännern.
Ich sage allen Betroffenen: Wenn du
den Weg nicht gehen musst, gehe ihn
nicht, gehe den Weg nur, wenn es
wirklich keinen anderen gibt – es wird
kein Spaziergang! Doch viele, für die
besagter Weg der einzige war, erleben
in der Tat eine Art des Erwachens, des
Aufblühens.
Hast du ein Rezept zum Glücklichsein?
Nun, ich habe gelernt, auch mal Fünfe
gerade sein zu lassen, nicht immer alles
so eng zu sehen und dass ich natürlich
selbst Toleranz gegenüber meinen
Mitmenschen zeige. Tatsächlich fühlt
sich heute für mich jeder Tag an wie
Weihnachten, Geburtstag und Ostern
zugleich.
Hast du nie eine miese Laune?
Klar gibt es auch mal einen Tag, an
dem ich lieber im Bett bleiben möchte
– meistens dann, wenn ich wieder mal
mit meinem Kopf gegen eine gesellschaftliche
Hürde gelaufen bin. Aber
spätestens im Bett wird mir dann klar,
dass es Zeit ist zu überlegen, wie diese
Hürde zu umgehen, zu übersteigen, zu
untergraben oder zu durchstossen ist
– womit wir ja wieder beim Thema wären:
Es gibt noch viel zu tun für uns
Transmenschen!
«Ich denke, es ist falsch,
einem Vorbild wie
Caitlyn nachzueifern –
jeder Transmensch
soll seinen eigenen Stil
entwickeln.»
Konkret – welche Hürden müssen aus
dem Weg geschafft werden?
Für mich gibt es drei Arten von Problemen.
Als Erstes nenne ich die Vorurteile
der Gesellschaft, das Zweite sind
die rechtlichen Rahmenbedingungen
und schliesslich gibt es noch die absolut
unnötigsten, nämlich die systembedingten,
technischen Probleme. Gerade
Letztere wären einfach zu
beheben. Es gab beispielsweise einen
«Herrn Claudia Sabine Meier». Eigentlich
wäre es ja ein Leichtes, dem System
beizubringen, dass es einfach die
Anrede ändern soll. Auch um rechtliche
Hürden zu meistern, benötigen die
Betroffenen meist sehr viel Kraft,
Ausdauer und oft auch ein gutes finanzielles
Polster. Einen grossen
Raum nehmen die zuerst genannten
Probleme ein, die Vorurteile in den
Köpfen der Gesellschaft. Ich wünschte
mir oft, es gäbe mehr Transmenschen,
die eine erfolgreiche Geschichte erzählen,
denn meist liest man halt von
tragischen Schicksalen.
Klar ist, dass iene, die in den Fokus
der Medien geraten, nie mehr in die
Anonymität abtauchen können – das
ist der Preis, der zu zahlen ist. Dennoch
bin ich überzeugt, dass gute Berichte
dazu beitragen, Vorurteile abzubauen.
Um das Gespräch optimistisch zu
schlies sen: Welches ist dein persönliches
Highlight in Sachen Fortschritt?
Mein Highlight ist die Anerkennung,
die mir vom Militär zuteil wurde.
Denn es war wegen meiner Vergangenheit
nicht ganz einfach, als tauglich
erklärt zu werden – die militärische
Krankheitslehre glaubt noch
immer, dass Transmenschen zwingend
untauglich sind. Dennoch ist es mir
gelungen, anerkannt zu werden! Noch
während des Kosovoeinsatzes wurde
ich angefragt, ob ich Interesse hätte,
als Leiterin des Verpflegungszentrums
in Stans tätig zu sein – mehr Anerkennung
kann ich kaum verlangen. Mir
scheint, als hätte sich auch in der Armee
viel punkto Vorurteil und Stigma
zum Guten gewendet.
Zur Person:
Claudia Sabine Meier wurde als
Andreas 1968 in Bern geboren. Als gelernter
Koch übernahm sie die Direktion
des Viersternehotels «Schwefelberg-Bad»
im Berner Gantrischgebiet.
Sie heiratete, wurde Vater und realisierte,
dass sie der Transsexualität
nicht entrinnen konnte. Seit 2010 lebt
Andreas als Claudia Meier. 2012 zog
sie vor Gericht, um ihren Namen und
ihren Persönlichkeitsstatus zu ändern,
ohne die dafür nötige geschlechtsangleichende
Operation vorzunehmen –
sie gewann den Kampf und schuf damit
zwei Präzedenzfälle in der Schweiz.
Heute hat Claudia Meier das Hotel verkauft
und entschied sich entsprechend
ihrem Wunsch von 1991, einen friedensfördernden
Einsatz im Kosovo zu
leisten; im Anschluss daran übernahm
sie das Verpflegungszentrum in Stans.
Sie ist derzeit Single und taucht in ihrer
Freizeit regelmässig im Vierwaldstättersees
oder fährt mit dem Töff
um den See.
FOTO: PD
28 Cruiser Edition Sommer | 2015
Thema | BDP
Die BDP hisst die
Regenbogenflagge
Text: Dani Diriwächter
Die Bürgerlich-Demokratische Partei reichte im Mai ein Vorstosspaket
für mehr Gleichstellung ein. Präsident Martin Landolt erklärt, warum sich
seine Partei gerade im Wahljahr für die LGBT-Rechte einsetzt.
FOTO: ZVG
Martin Landolt, Präsident der BDP
Die junge Bürgerlich-Demokratische
Partei (BDP) hisst die Regenbogenflagge.
Sie will bei den Parlamentswahlen
im Herbst ein Zeichen
setzen und die regionalen Verluste der
letzten Monate ad acta legen. Der Vorteil
der BDP ist, dass sich die Partei
noch stetig im Aufbau befindet. «Wir
arbeiten seit der Gründung an unserer
Positionierung und an der Schärfung
unseres Profils. Dazu gehört auch die
Tatsache, dass wir als bürgerliche Partei
für Gleichstellungsfragen einstehen,
weil wir ‹liberal› nicht auf Wirtschaftsthemen
beschränken, sondern
auch sozial-liberal sind», so der Präsident
Martin Landolt gegenüber dem
«Cruiser».
Bei dem im Mai eingereichten Vorstosspaket
für mehr Gleichstellung
weht trotzdem auch ein Hauch Wahlkampf
mit. Dabei ist die Respektierung
und Anerkennung gesellschaftlicher
Realitäten seit Beginn im Parteiprogramm
der BDP. «Im politischen Tagesgeschäft
gab es über längere Zeit
kaum Gelegenheiten, unsere diesbezügliche
Position aufzuzeigen. Wir haben
aber bereits die Stiefkindadoption
unterstützt oder beispielsweise umgehend
und vehement auf die ‹Hirnlappen›-Aussage
von Toni Bortoluzzi reagiert»,
erzählt Martin Landolt.
Die Vorstösse der BDP
Vergangenen März gründete die BDP
eine interne Gleichstellungsgruppe,
um die Forderung nach gleichen Rechten
und Pflichten für alle juristischen
Lebensformen besser umsetzen zu
können. Die Annahme, dass dies mit
der «SVP-Vergangenheit» einiger Mitglieder
undenkbar gewesen wäre, ist
unbegründet. «Die BDP besteht heute
bei weitem nicht ausschliesslich aus
ehemaligen SVP-Mitgliedern, sondern
vor allem auch aus jungen, progressiven
Neumitgliedern. Und auch die
vorherigen SVP-Mitglieder hatten
schon früher unterschied liche Haltungen
zu gesellschaftspolitischen Fragen.»
Aus erwähnter Gruppe stammt nun
das Vorstosspaket, das am 5. Mai 2015
eingereicht wurde. Konkret unterstützt
die Partei «Pink Cross» und weitere
Organisationen dabei, die diskriminierenden
Beschränkungen bei der
Blutspende aufzuheben. Mittels einer
Fraktionsmotion will sie den Bundesrat
auffordern, die seit 1977 bestehenden
Ausschlusskriterien für Homosexuelle
aufzuheben. «Swissmedic
ist offensichtlich in einem Klischee
gefangen, welches Schwule auf ein
Sexualverhalten reduziert», meint
Martin Landolt dazu.
Weiter will die BDP vom Bundesrat
wissen, warum die sogenannten «Hate
Crimes», also Verbrechen und Übergriffe
gegenüber Homosexuellen und
Transmenschen, nicht in den Polizeistatistiken
erfasst werden. Die Partei
liess in ihrer Medienmitteilung verlauten,
dass dies «mehr als sinnvoll und
angebracht» wäre.
Ebenfalls setzt sich die BDP für die
Anerkennung der Leistungen von
Gleichstellungsverbänden ein.
Ein Ja für die Ehe für alle
Auch die «Ehe für alle» ist für den
BDP-Präsidenten ein anvisiertes Ziel.
«Wir sind der Überzeugung, dass der
Staat keine Lebensformen zivilrechtlich
benachteiligen oder bevorzugen
soll. Wir unterstützen deshalb die
Ehe-Öffnung und die Adoption». Gerade
bei der Adoption seien die Hürden
und die gestellten Anforderungen generell
derart hoch, dass man nicht
ernsthaft am Kindeswohl zweifeln
könne, wenn ein Paar diese Anforderungen
erfüllt.
Der BDP ist es also ernst und die
Partei stellt sich den brennenden Fragen.
An der «Pride Valais» war sie deshalb
ebenso vertreten wie auch an der
Gay-Pride Zürich. BDP-Fraktionspräsidentin
Rosmarie Quadranti war dort
als eine der Hauptrednerinnen zugegen;
ein eigener Stand erweiterte
schliesslich das Pride-Village. Dabei
sei es selbstverständlich kein Geheiminis,
dass für die BDP jede Stimme
zähle, so Martin Landolt. «Wir sind gekommen,
um zu bleiben, und wir wollen
weiter wachsen. Deshalb wollen
wir deutlich aufzeigen, welche Positionen
gestärkt werden, wenn die BDP
gewählt wird.»
Cruiser Edition Sommer | 2015 29
Kolumne | Pia Spatz
Der Himmel kann nicht
warten
Text: Pia Spatz
Von wegen Ferien: Pia hat alle Hände voll zu tun. Zum einen wäre
da ihr baldiges Minigolf-Turnier, zum anderen liebäugelt sie mit der
Weltherrschaft.
Ihr Lieben, was für kunterbunte
Wochen liegen hinter uns! Mai und
Juni waren erwartungsgemäss vollgestopft
mit Stolz und Vorurteilen. Meine
Jungs sind deshalb aus der Puste
und machen sich fit für die Sommerferien.
Körper und Seele verlangen nach
Spiel und Spass. Moi hingegen wird
die Zeit nutzen und nicht auf der
faulen Haut liegen. Im Gegenteil: Pia
rules the World! Tatsächlich rollt so
einiges: «Du bist Du», die Beratungsplattform,
konnte sich dem Charme
der allgegenwärtigen Caitlyn Jenner
nicht entziehen, weswegen jetzt auch
junge Transmenschen und Mädchen
bereit stehen, um ihresgleichen bei
den Wirren rund um das Coming-out
zu unterstützen. Grossartig, kann ich
da nur sagen! Kommunikation ist eh
das A und O für so ein Herdentier wie
der Mensch eines ist – auch wenn es
immer wieder Kämpfe gibt. Wir sollten
daher nicht verzagen, weil sich unsere
«Gegner» gerade wieder in Stellung
bringen, um gegen die «Ehe für alle»
zu wettern. Sicher, auch Zeter und
Mordio sind eine Form der Kommunikation,
aber mit Schaum vor dem
Mund sieht man einfach nicht gut aus.
30 Cruiser Edition Sommer | 2015
Moi jedenfalls lässt sich nicht beirren
und so stöckle ich meinen Weg munter
weiter, denn es öffnen sich weitere Türen:
Meine Haus-Seite www.mycheckpoint.ch
wird global – alle Informationen
werden demnächst auch in
englischer und italienischer Sprache
abrufbar sein. Und Englisch ist ja eh
eine Weltsprache – allerdings mit Tücken.
Weder Sepp Blatter noch die
weltgewandte Magdalena Martullo-
Blocher mit ihren «seven sinking
steps» schaffen eine akzeptable Aussprache.
Im Ausland wundern sich die
Gesprächspartner immer, warum sie
plötzlich so gut Schweizer Dialekt verstehen
... doch wir wollen hier nicht
gifteln und zeigen Verständnis. Hinaus
in die weite Welt zu schreiten,
zeugt schliesslich von Mut! Doch die
Welt ist nicht genug und der Himmel
«Kommunikation ist
eh das A und O für so
ein Herdentier wie der
Mensch eines ist.»
kann nicht warten: Stichwort «Heaven
& Health». Immer am letzten Freitag
des Monats zieht es meine süssen
Checkpoint-Kollegen Dani, Pascal und
Alex in den Club «Heaven», um Tipps
zu Sex, Coming-out und Gesundheit
weiterzugeben. Ein feuriges Trio Infernal,
du brauchst nur auf sie zuzugehen.
Sie haben auf fast alle Fragen
eine Antwort. Ist doch besser, als mit
offenen Fragen ins Bett zu stürzen, sei
es alleine oder in Gesellschaft, nicht?
«Meine Haus-Seite
www.mycheckpoint.ch
wird demnächst auch
in englischer und italienischer
Sprache zu
lesen sein.»
Es wird also ein himmlischer Sommer
und die Kugeln rollen weiter. Wie
bereits angedeutet, handelt es sich bei
mir aber um keine ruhige Kugel, sondern
um diverse weisse Bällchen: Ich
bin mitten in den Vorbereitungen für
mein alljährliches Minigolf-Turnier
am 6. September. Wie ihr wisst, bin ich
die Königin diverser Anlagen mit
ebenso vielen Schwierigkeitsgraden,
weswegen ich ein Spektakel der Sonderklasse
verlange. Bis dahin wünsche
ich euch einen hitzig-spritzigen Sommer,
lasst es euch gut gehen und spielt
die Bälle in eure Hände! Oder nehmt
einen Englischkurs – es könnten bekannte
Personen im Klassenzimmer
sein.
Ratgeber Aids-Hilfe | Dr. Gay
Dr. Gay
Ich kann mich nicht
richtig entspannen
Lieber Dr. Gay, ich bin beim Sex immer
unsicher und habe Angst, etwas falsch
zu machen. In der passiven Rolle bin ich
unentspannt, weil ich Angst habe, nicht
sauber zu sein. Mein Kopf kann einfach
nicht abschalten. Aus diesem Grund
habe ich oft Sex in betrunkenem Zustand.
Auch in der aktiven Rolle klappt
es nie so richtig. Die Angst zu versagen
ist einfach zu gross. Mir ist klar, dass
mir meine Gedanken bei diesem endlosen
Teufelskreis im Weg stehen. Wie
kann ich mich beim Sex entspannen und
einfach loslassen? Hast du einen Tipp
für mich? Rico (23)
Hallo Rico
Unsicherheiten gehören beim Sex
manchmal dazu. Mit der Zeit wirst du
deine Erfahrungen machen und lernen,
damit umzugehen. Versuche, dich
nicht zu sehr auf das Richtig oder
Falsch zu konzentrieren. Sei gelassen
und entspannt. Dies kannst du erreichen,
indem du ganz offen mit deinem
Partner kommunizierst und ihm deine
Ängste und Befürchtungen mitteilst.
So gibst du ihm die Möglichkeit, auf
dich einzugehen. Das gegenseitige
Vertrauen wird dadurch gestärkt und
du kannst so deine Ängste abbauen.
Denn wie du selber schreibst, führt
deine Angst dich in einen Teufelskreis.
Sex ist kein Leistungssport, bei dem
immer alles perfekt klappen muss.
Manchmal steht «er» eben nicht und es
darf auch gelacht werden. Allerdings
solltest du bedenken, dass Alkohol
nicht nur enthemmt, sondern sich
auch negativ auf die Erektion auswirken
kann. Ein Einlauf vor dem Sex
kann helfen, dass du sauber bist und
dich auch so fühlst. Wie das geht, findest
du im Sex-Wiki meiner Webseite
www.drgay.ch. Wenn du trotzdem mal
nicht sauber bist, ist das nicht so
schlimm. Das ist normal und liegt in
der Natur der Sache. Das kann schon
vorkommen und gehört einfach dazu.
Wichtig ist, dass du auch im betrunkenem
Zustand an den Gummi denkst.
Am besten, du legst dir Kondome und
Gleitmittel vorher bereit.
Alles Gute, Dr. Gay
Ist Sperma auf
der Hand ein HIV-
Risiko?
Ich hatte heute Abend meinen ersten
Sex mit einem Mann. Wir haben ein
Kondom benutzt. Am Schluss habe ich
ihn gewichst und sein Sperma ist auf
meine Hand gelaufen. Ich habe mir
dann einen runtergeholt, ohne vorher
das Sperma abzuwischen. Es war bei mir
zwischen Daumen und Zeigefinger, nicht
an der Handinnenfläche. Das heisst, ich
habe das Sperma nicht direkt eingerieben.
Auch habe ich mir grösstenteils
nur den Schaft gerieben und die Eichel
nur kurz berührt. War das ein Risiko für
HIV? Lars (21)
Hallo Lars
Beim Kontakt von fremdem Sperma mit
der Eichel kann ein HIV-Risiko bestehen.
Dieses kann gering bis hoch sein.
Wenn z. B. HIV-infiziertes Sperma in
die Vorhaut eingerieben wird, gibt es
viele Wirtszellen, an denen das Virus
andocken kann. Je nach Menge des
Spermas, der Intensität des Einreibens
oder der Viruslast (Anzahl der Viren im
Sperma) ist das Risiko von kaum relevant
bis hoch einzuschätzen. Wenn sich
jemand erst vor kurzem angesteckt hat,
ist die Viruslast 40–100 Mal höher und
darum die Infektiosität grösser. Der
Kontakt von Sperma mit der intakten
Haut des Penisschafts ist bezüglich HIV
unproblematisch. Nach deiner Beschreibung
sehe ich kaum ein Risiko. Wenn
du unsicher bist, kann dir ein HIV-Test
Sicherheit geben.
Alles Gute, Dr. Gay
Dr. Gay ist eine Dienstleistung der Aids-
Hilfe Schweiz. Die Fragen werden online
auf www.drgay.ch gestellt. Die Redaktion
druckt die Fragen genau so ab, wie sie
online gestellt werden.
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Kultur | Schweiz
Leben, lieben, lesen, leiden –
die Sommer-Kulturtipps
Kultur
Ticket
Gerade im Sommer schläft die Muse nie – landesweit gibt es eine Fülle
von Veranstaltungen, Konzerten oder Events – oft unter freiem Himmel –,
für die es sich lohnt, Augen und Ohren offen zu halten.
Romeo & Julia –
das Musical
In diesem Jahr kommt niemand an der
vielleicht grössten Liebestragödie der
Literatur vorbei. Kaum eine Bühne, die
keine neue Version von William Shakespeares
«Romeo & Julia» präsentiert –
oft relativ eigenwillig. So singt im Zürcher
Opernhaus in Bellinis «I Capuleti e
i Montecchi» eine Frau den Romeo und
die Balkonszene entfällt völlig. Die Thunerseespiele
versetzen Verona ins Berner
Oberland und zeigen im Juli und
August die Schweizer Erstaufführung
von «Romeo & Julia – das Musical». Geliebt,
gelitten und gemordet wird in
dieser Adaption in einem kriminellen
Milieu. Regisseur Christian von Götz
setzt auf eine durchaus moderne Interpretation.
Und während Eiger, Mönch
und Jungfrau im Hintergrund gewohnt
majestätisch die Szenerie bestimmen,
steht auf der Bühne eine riesige Half-
Pipe, die laut dem Regisseur die Möglichkeit
des Friedens symbolisiert.
Selbstverständlich spielt die Musik aber
die wichtigste Rolle: Gérard Presgurvic,
Autor und Komponist des Musicals, erfüllte
sich im Jahr 1998 den Traum, seine
Leidenschaft zur Musik und zum
Theater zu verbinden und ein Musical
über die Liebesgeschichte von Romeo
und Julia zu schreiben. Entstanden ist
ein emotionsgeladenes Musikspektakel
mit grossen Tönen und eingängigen Melodien,
das auf der Seebühne die hiesige
Erstaufführung feiert. Die Schweizerin
Iréna Flury spielt darin die Julia, der
Schotte Dirk Johnston den Romeo.
8. Juli bis 22. August
Seebühne Thun
www.thunerseespiele.ch
David McConnell ist Autor der vielbeachteten
Romane The Silver Hearted
und Firebrat. Seine Erzählungen und
journalistischen Texte erschienen in
zahlreichen Magazinen und Antholo-
gien, u. a. in Literary Review und Granta.
McConnell lebt in New York.
Romeo & Julia: Die uralte Liebesgeschichte in einer neuen Adaption – spannend
und neu inszeniert
Ehrenmord
in Amerika
»Ein Meisterwerk der Reportage.
Fesselnd, berührend, originell ...«
Sommerzeit bedeutet
auch Lesezeit, und
manch einer steht jetzt
ratlos vor dem Bücherregal
und sucht eine spannende
Lektüre mit Tiefgang.
Ein solche ist das
Sachbuch «Ehrenmord in
Amerika» von David Mc-
Connell. Basierend auf einer
Reihe von Morden an schwulen
Männern untersucht der
Autor die Gründe für den Hass. McConnell
zeichnet intime Porträts der Täter,
die ebenso schockieren wie fas zinieren.
Eine Reihe von Morden an schwulen Männern erschüttert
die Vereinigten Staaten. David McConnell untersucht die
Gründe für den Hass, der diese Verbrechen möglich macht.
Er zeichnet intime Porträts der Täter, die ebenso schockieren
wie faszinieren. Anhand bisher unbekannter Details und
Fakten sowie beeindruckender Gefängnisinterviews arbeitet
der Autor die grausamen Fälle minutiös auf. Die so entstandenen
Geschichten sind verstörend wie die Taten,
die ihnen zugrunde liegen. Mit eindringlicher Präzision
und einer bisweilen unheimlichen Unbeschwertheit verwandelt
McConnell die untersuchten Kriminalfälle in
atemberaubende Literatur.
Evan Wright
(Autor von Generation Kill )
EHRENMORD IN AMERIKA
BRUNO GMÜNDER
DAVID McCONNELL
BRUNO GMÜNDER
DAVID McCONNELL
Anhand bisher unbekannter
Details und Fakten sowie
beeindruckender Gefängnisinterviews
arbeitet er
die grausamen Fälle minutiös
auf. Die so entstandenen
Geschichten
sind verstörend wie die
Taten, die ihnen zugrunde
liegen. Mit eindringlicher
Präzi sion
und einer bis weilen
unheimlichen Unbeschwertheit
verwandelt
Mc Connell die
untersuchten Kriminalfälle
in eine journalistische Tour de Force.
T R U E
C R I M E
EHRENMORD
IN AMERIKA
Hass und Begehren unter Männern
»Dieses Buch ist eine journalistische
Tour de Force, eindrucksvoll
nicht zuletzt wegen der
außergewöhnlichen Gefängnisinterviews
… McConnells unbestreitbares
Talent als Schriftsteller
verleiht dem Buch literarisches
Gewicht und eine überraschend
unmittelbare Erzählweise.«
Publishers Weekly
»Eine verblüffende Untersuchung
über das Männlichkeitsbild
in den USA «
Sebastian Junger
(Autor von War und The Perfect Storm )
Berliner Bruno Gmünder Verlag
Im Handel erhältlich.
FOTOS: ZVG
32 Cruiser Edition Sommer | 2015
Mittelalterspektakel
Aarberg
Nicht erst seit «Game of Thrones» boomen
die Mittelalter-Events geradezu.
Aber sie wurden in jüngster Zeit salonfähig
– so verbuchte etwa die vergangene
«Fantasy Basel» viele Eintritte. Im
August findet nun das erste Mittelalterspektakel
in Aarberg statt. Die
Besucher können in die Welt der Ritter,
Markttreiber, Gaukler oder Glücksspieler
eintauchen und sich auf eine
Reise in die Vergangenheit begeben. Das
Herzstück des Spektakels bildet das
Ritterturnier in der grossen Arena.
14. bis 16. August, Aarberg
www.turnei.ch
Openair Literatur
Festival Zürich
Für die Dauer einer Woche verwandelt
sich der idyllische Alte Botanische Garten
in ein poetisches Gesamterlebnis.
Das Literaturfestival unter freiem Himmel
wird von der Stadt Zürich, dem
Literaturhaus Zürich und dem «Kaufleuten»
gemeinsam kuratiert und präsentiert.
Es findet zum dritten Mal
statt und hat sich dank dem überzeugenden
Programm und dem unschlagbaren
Ambiente bereits etabliert. Das
Abendprogramm bietet Premieren,
Performances sowie Lesungen an. Das
Rahmenprogramm will neue Inszenierungsformen
der Literatur präsentieren.
Eröffnet wird das Festival mit keinem
Geringeren als Monty-Python-Superstar
John Cleese, der seine Autobiographie
«Wer war ich noch mal?» vorstellen
wird.
In Aarberg kann man für ein paar Stunden ins Mittelalter eintauchen
Amy
Vier Jahre ist es bereits her, seit Amy
Winehouse aus dem Leben schied. Mit
27 Jahren trat sie damit in den berüchtigten
«Club 27» ein – Jimi Hendrix oder
Janis Joplin starben ebenfalls in diesem
Alter. Sie alle hatten neben dem selben
Alter auch das einmalige Talent, Millionen
von Herzen ihrer Generation zu
erobern. Die Verwurzelung von Amy
Winehouse im Jazz, ihre Musikalität
und ihre Feinfühligkeit verwob sie in
sehr persönlichen und ausdrucksstarken
Liedern. Diese Authentizität führte zu
einigen der berühmtesten Songs unserer
Epoche. Abseits der Bühne aber
fehlte ihr der Schlüssel zum Leben. Ein
kompliziertes Privatleben, konstante
mediale Aufmerksamkeit und der aussergewöhnliche
Erfolg verwandelten ihren
Alltag in ein fragiles Kartenhaus.
Regisseur Asif Kapadia kombiniert bisher
unveröffentlichtes Bildmaterial mit den
Erzählungen von Amy Winehouses Jugend-
und Musikerfreunden, ihrer Familie
und ihren Managern. Damit gelingt
ihm ein sehr persönlicher Einblick in das
zu kurze Leben der Sängerin.
Ab 16. Juli im Kino
Marys
Old-Timers Bar
Kein Kulturtipp im eigentlichen Sinne,
sondern viel mehr ein Aufruf. Das
Schwulenarchiv Schweiz sucht Zeitzeugen,
welche sich noch an die legendäre
Bar an der Augustinergasse 14 erinnern
können. Denn 37 Jahre nach dem Tod
von Mary Lang (1884 – 1977) ist ihr
Nachlass aufgetaucht. Die Old-Timers
Bar war unter anderem auch ein beliebter
Treffpunkt für Gays. Oder wie man
es damals vornehmer formulierte: Es
war eine diskrete Herrenbar, Frauen
wurden nur in Begleitung eines solchen
akzeptiert. Marys Bar war auch als
«Speak Easy» bekannt unter den zehntausenden
GIs, die dieses kleine Lokal
im Zentrum von Zürich nach dem Zweiten
Weltkrieg frequentierten. In Ergänzung
zur Nachlass-Inventarisierung
sucht das Schwulenarchiv Schweiz vor
allem Zeitzeugen, aber auch weitere
Dokumente, Bilder etc. (DD)
6. bis 12. Juli
Alter Botanischer Garten Zürich
www.literatur openair.ch
Das Leben der unvergesslichen Amy
Winehouse demnächst auf der grossen
Leinwand
Infos direkt an stephan@jaray.eu
www.schwulenarchiv.ch
Cruiser Edition Sommer | 2015 33
Serie | Persönlichkeiten
This Brunner
Text: Andreas Faessler
Wenn jemand über die homoerotischen Verbandelungen der männlichen
Hollywoodstars wie Marlon Brando oder James Dean Bescheid weiss, dann
This Brunner. Der Öffentlichkeit ist er hauptsächlich als Koryphäe des
Films bekannt. Doch Brunner ist auch leidenschaftlicher Kunstsammler –
und Künstler. Auch wenn er sich so lieber nicht nennen möchte.
«Mit dem ersten Lohn
kaufte er sich
einen Andy Warhol.»
This Brunners Passion für zeitgenössische
Kunst füllt sprichwörtlich jeden
Winkel in seiner Zürcher Wohnung.
Obschon mitten in der City gelegen, ist
es ruhig hier, ein lauschiger Ort. Das
Haus aus dem 19. Jahrhundert in einem
hübschen Wohnquartier ist umgeben
von viel Grün. Dank dieser Beschaulichkeit
kann der Betrachter all
die Kunst intensiv auf sich wirken lassen.
Pop-Art, abstrahierende Sujets,
grossflächige Gemälde in Mischtechnik,
Zeichnungen, seltene Fotografien
allen Formates. Es sind Originalwerke
etablierter Künstler mit Rang und Namen,
darunter auch Schöpfungen von
Andy Warhol, zu dem This Brunner
eine besonders enge freundschaftliche
Beziehung pflegte.
«Ich könnte zu jedem Kunstwerk an
diesen Wänden eine lange Story erzählen,
jedes einzelne ist eine Episode
aus meinem Leben», sagt Brunner und
lässt seinen Blick durchs Wohnzimmer
gleiten. Viel Herzblut: Alle Künstler
kennt oder kannte Brunner persönlich.
Die freundschaftliche Verbindung zu
ihnen basierte stets auf gegenseitiger
Wertschätzung.
Vor 25 Jahren ist This Brunner vom
Seefeld hierher an den Zürichberg gezogen.
Drei Jahre später traf ein
schwerer Schicksalsschlag den heute
70-Jährigen: Sein langjähriger Lebenspartner,
der Zürcher Galerist Thomas
Ammann, erlag seiner Krankheit.
Heute ist die 7-jährige Hündin Lumpi
Brunners treue Begleiterin. Entspannt
hat sie es sich neben ihrem Herrchen
auf dem Sofa gemütlich gemacht.
«Kunst, die einem selber gefällt»
Der Allgemeinheit bekannt ist This
dennoch weniger als Kunstsammler
denn als Koryphäe des Films (siehe
Biografie). Kaum einer hat den Durchblick
in der Schweizer Filmszene der
vergangenen Jahrzehnte so wie er,
und kaum einer hat das Geschehen inner-
und ausserhalb der Zürcher Kinosäle
so geprägt wie er. This Brunners
Passion für die Kunst wird also besonders
in seinen privaten Räumen ersichtlich.
«Bereits als Kind wurde mein
Interesse an Kunst von meinen Grosseltern
geweckt. Beispielsweise durch
Besuche im Kunsthaus», sagt This
Brunner. «Giacometti, Matisse, Renoir
und andere Meister haben mich schon
früh fasziniert.» Auch der Sammlergeist
zeigte sich sehr bald: Mit seinem
allerersten Lohn kaufte sich This
Brunner ein Werk Andy Warhols. «Damals
war das noch erschwinglich.»
Über die persönliche Bekanntschaft zu
Warhol und besonders auch über seinen
verstorbenen Lebenspartner kam
This Brunner mit namhaften Künstlern
in Kontakt, erwarb Werke von ihnen,
bevor sie berühmt waren. Es war
nicht einmal primär sein ausgeprägtes
Gespür für gute Kunst, das er sich im
Laufe der Zeit autodidaktisch angeeignet
hat – «es waren einfach tolle Leute,
deren Arbeiten mir sehr gefielen.» Was
seine Wahl der Kunstwerkebetrifft, so
ist für This nämlich eines klar: «Man
sollte immer Kunst kaufen, die einem
selber gefällt. Nie wegen der Spekulation
auf Gewinn. Man entwickelt mit
der Zeit ein Feeling für gute Kunst,
wenn man es geschickt anstellt.»
Durch den persönlichen Kontakt mit
den Künstlern sei ein Netzwerk entstanden,
welches ihm diese Welt erschloss.
«All diese wunderbaren
Freundschaften, die sich durch meine
Tätigkeit – sei es auf dem Gebiet des
Films oder der Kunst – ergeben haben,
sind für mich etwas vom Wertvollsten
überhaupt. Es ist wie eine grosse Familie.»
Für seine Leidenschaft – Film und
Kunst – hat This Brunner aus Überzeugung
auf ausgiebiges Partymachen
und Ausgehen verzichtet. «Ich hatte
weder Interesse daran noch Zeit dafür
und mich zielgerichtet meiner Tätigkeit
gewidmet.» Nach wie vor reist
This sehr oft im Namen der Kunst
durch die Welt und besucht Auktionen
und Ausstellungen, wenn er nicht gerade
als Jurymitglied oder Experte an
einem namhaften Filmfestival mitwirkt.
FOTO: ANDREAS FAESSLER
34 Cruiser Edition Sommer | 2015
«Mein Glaube an Gott
macht mich jeden Tag
zu einem besseren
Menschen.»
Filmkoryphäe, Künstler und Kunstliebhaber: This Brunner mit Hündin Lumpi in seiner Stadtzürcher Wohnung
Aufwendige Installationen
Seit jüngerer Zeit ist Brunner selbst
künstlerisch tätig. Dabei gibt er sich
aber betont bescheiden, aus «grossem
Respekt vor der Kunst», wie er sagt. Er
nennt seine Projekte zurückhaltend
«Ärbetli». Was diese jedoch für Reaktionen
hervorrufen bei Publikum und
Veranstaltern, machen sie zu weit
mehr als nur «Ärbetli» wie wir gleich
erfahren werden. «Meine Werke entstehen
ausschliesslich im Zusammenhang
mit Filmen. Denn davon verstehe
ich wirklich viel.» Im Herbst 2011 gelangte
der Römerhof-Verlag an This
Brunner mit der Frage, ob er jemanden
kenne, der in der Villa Mainau im Seefeld
im Rahmen eines grossen Projekts
einen Raum mit einer Installation ausstatten
könnte. «Die Anfrage kam so
kurzfristig, dass ich unmöglich innerhalb
eines Tages jemanden finden
konnte», erinnert Brunner sich. So bot
er dem Verlag an, selbst über Nacht ein
Konzept zu erarbeiten. Gesagt, getan.
Und dieses Konzept mit dem Namen
«The magnificent obsession – the love
affair between movies and literature»
schlug ein wie eine Bombe. Es war
eine Videoinstallation, welche die Literatur
in direkten Zusammenhang
mit grossen Hollywood-Filmen stellt.
Die Installation stiess auf so grossen
Zuspruch – auch in der Presse –, dass
das Kunsthaus Zürich und auch andere
Museen eine Ausführung wünschten.
Sehr bald erhielt Brunner Anfragen
von Kunstinstituten für weitere Konzepte
ähnlicher Art – in Europa und
Übersee. Beispielsweise die Installation
«Let’s pop again» in New York oder
«Hollywoods secret gay affairs» beim
Schiffbau in Zürich im Rahmen der
«Photo15» im vergangenen Januar.
Da thematisierte Brunner, parallel zu
einer umfangreichen Ausstellung seiner
Fotosammlung, all die heimlichen
homoerotischen Beziehungen von
Marlon Brando, James Dean, Steve
McQueen oder Paul Newman in einer
aufwendigen Filminstallation mit
seltenem Material, das Brunner über
30 Jahre hinweg angesammelt hat.
Durch das gezielte Zusammenfügen
und Kombinieren des Materials verleiht
This Brunner seinen Installationen
eine eigene künstlerische Qualität.
Thematisch und stets genau
aufeinander abgestimmt wählt er etwa
gezielt Szenen aus Filmklassikern und
projiziert sie beispielsweise an Wände
– oft raumfüllend, gelegentlich mit
Zusatzeffekten wie Spiegelung, Umdrehung
oder Ähnlichem. «Hierbei
kann ich walten wie ich will. Da redet
mir niemand drein. Das macht Freude»,
so Brunner. Viele der gewählten
Ausschnitte versprühen den Hollywood-Glamour
der 50er- und 60er-
Jahre, oftmals in einer erstaunlichen
Qualität und Farbgebung, die dem Be-
Cruiser Edition Sommer | 2015 35
Serie | Persönlichkeiten
trachter erst in dieser Form der Präsentation
so richtig auffallen mögen.
Und vielfach sind es Szenen, die so
brisant sind, dass sie anno dazumal
von den Produzenten weggeschnitten
worden sind. This Brunner aber hat sie
und verwendet sie.
Regisseur John Waters kommt
Zu This Brunners Freundeskreis gehört
auch der illustre US-Regisseur
John Waters, der sich öffentlich für die
Rechte Homosexueller stark macht.
Heute ist er nicht mehr nur für seine
kultigen Filmproduktionen bekannt,
sondern ebenso für seine Fotografien
oder Skulpturen. Brunner besitzt einen
bemerkenswerten Fundus an Waters-Werken,
hauptsächlich Fotografien,
aber auch anderen Objekte wie ein
Pop-Art-Kissen, Drehbücher und Figuren.
Und John Waters kommt im
Herbst nach Zürich. This Brunner
schenkt nämlich dem Zürcher Kunsthaus
seine gesamte Waters-Sammlung,
die ab 14. August bis Anfang
November dort zu sehen ist. Waters-Fans
sollen sich den 23. September
vormerken, da hält Waters eine
Ansprache. Und warum verschenkt
This Brunner seine ganze Sammlung?
Ganz einfach aus Dank. «Ich habe von
Zürich in all der Zeit so viel bekommen.
Jetzt will ich der Stadt etwas zurückgeben.»
This Brunner
«Ritter der Leinwand» bezeichnete ihn
etwa die NZZ. Wenn einer weiss, wie
die Filmwelt – national und international
– funktioniert, dann ist es This
Brunner (70). Bereits im Kindesalter
war er dem Film sehr zugetan und hat
bereits als 17-Jähriger die Programme
diverser Filmclubs mitgestaltet. Er war
es auch, der seinerzeit die ersten Retrospektiven
des Zürcher Filmpodiums
zusammengestellt hat. In den
70er-Jahren war Brunner Leiter der
Nemo Film Produktion, die mit bedeutenden
Regisseuren zusammenarbeitete.
Daneben betätigte er sich als
Film-Koproduzent, war über vier Jahrzehnte
in Programmkommissionen des
Locarno Filmfestivals engagiert und
wurde als Berater für angesehene
internationale Filmspektakel herangezogen.
35 Jahre lang war Brunner
zudem Direktor der Arthouse Kinos
Zürich und prägte in dieser Position die
Filmwelt in der Limmatstadt nachhaltig
mit. Er ist heute in zahlreiche Filmprojekte
und -festivals involviert und
betreut als Kurator die Film-Tributes
für Art Basel und Art Miami. Neben
seinen Engagements ist er leidenschaftlicher
Sammler zeitgenössischer Kunst
und Fotografie. Für Veranstaltungen
und Museen realisiert er Ton-/Bild-
Installationen. This Brunner lebt mit
Hündin Lumpi in Zürich und im Engadin.
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Kolumne | Michi Rüegg
Das mit
der Natur
Text: Michi Rüegg
Wie schön! Katholisch Irland ist der
Meinung, dass der Bund fürs Leben
keine Frage der Geschlechterkombination
ist. Das ist so erfreulich, wie – im
Fall der grünen Inselrepublik – überraschend.
Schliesslich waren die Iren
lange Zeit nicht gerade als progressivstes
aller Völker bekannt.
Wenig überraschend hat die römische
Kirche ihren Schmerz über diese
aus ihrer Sicht unverständliche Entscheidung
ausgedrückt. Schwulsein,
das ist etwas Widernatürliches, predigt
die Kirche unermüdlich. Ich verzichte
hier auf die einzelnen Zitierungen
derjenigen Würdenträger, die sich
dahingehend geäussert haben.
Es ist, scheint mir, an der Zeit, dass
wir uns mit dem Begriff «Natur» auseinandersetzen.
Ich mag die Natur sehr.
Blumen. Die mag ich sehr. Und Bäume,
und kleine pelzige Tiere. Auch die.
Alles. Auch die hässlichen Dinge sind
irgendwie schön, weil sie ja zur Natur
dazu gehören.
Ich gehe oft in die Natur, sei dies für
Wanderungen, Skifahrten oder Tauchgänge
an korallenbewachsenen Riffen.
Ich fühle mich in der Natur jeweils als
Teil von ihr. Dabei blende ich aus, dass
das Pistenfahrzeug bereits rauf- und
runtergetuckert ist, als ich noch geschlafen
habe. Dass der Wanderweg,
der mich durch den Wald führt, von
Maschinen gepfadet wurde. Und dass
meine Laune auf 30 Metern Tiefe im
Indischen Ozean vermutlich ohne
Luftflasche und Lungenautomat deutlich
mieser wäre.
Ehrlicherweise muss ich zugeben,
dass meine Beziehung zur Natur nicht
besonders viel mit ihr zu tun hat. Das
ist nicht anders als bei den Zeitgenossinnen
und -genossen, die uns immer
wieder inbrünstig einreden, Schwule
und Lesben könnten keine Eltern sein.
Weil ein Kind eben Mama und Papa
brauche. Das sei schliesslich so in der
Natur.
«Gäbe es keine Antibiotika,
wäre ich schon dutzend
Tode gestorben.»
Das klingt zwar auf den ersten Blick
logisch, doch schauen wir etwas genauer
auf die Fortpflanzung im Jahre
2015: Erst friert frau der Karriere wegen
Eier ein, dann werden sie mit dem
Sperma – das ihr Mann unter Zuhilfenahme
eines Sexheftes ins Becherchen
gerubbelt hat – künstlich befruchtet,
präimplantiv diagnostiziert, eingesetzt,
unter konstanter Ultraschallbetrachtung
und Fruchtwasserpunktion ausgetragen,
per Kaiserschnitt kommt
dann termingenau das Kind zur Welt,
landet zur Sicherheit noch husch im
Brutkasten und wird schliesslich mit
hochwertiger, industriell gefertigter
Dosenmilch aufgepäppelt. Und ist der
oder die Kleine erst einmal auf der
Welt, verkünden die frisch gebackenen
Eltern stolz, es sei so schön, wie die
Natur ihnen ein Kind geschenkt habe.
Auf dem Geburtskärtchen steht dann
keck: «Ein Kind ist sichtbar gewordene
Liebe.» Stattdessen müsste es heissen:
«Ein ausgereifter Fötus ist sichtbar gewordene
Fortpflanzungsmedizin.»
Bitte, seien wir ehrlich: Das Leben
der Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
hat mit der Natur im herkömmlichen
Sinne nicht mehr viel gemein.
Würden wir uns tatsächlich an
ihren Regeln orientieren, müssten wir
uns umgewöhnen. Gäbe es keine Antibiotika,
wäre ich schon dutzend Tode
gestorben. Die Natur hatte offensichtlich
anderes mit mir vor, aber hey, ich
hab sie geschlagen!
Das Ziel einer jeden Spezies ist die
Erhaltung der eigenen Art. Eine Ausnahme
bildet hier vielleicht der
Pandabär, den man mit Pandapornos
zum Sex animieren muss. Nichts deutet
darauf hin, dass die Erhaltung der
Menschheit gefährdet wäre, wenn sich
nicht jedes einzelne Individuum fortpflanzt.
Dieser Meinung ist ganz offensichtlich
auch die katholische Kirche,
sonst hätte sie den Zölibat nicht eingeführt.
Angenommen, eine Gesellschaft
lässt Schwule und Lesben heiraten, haben
wir entscheidende Hinweise dafür,
dass dies nicht das Ende der gesamten
Menschheit bedeutet.
«Nichts deutet darauf hin,
dass die Erhaltung der
Menschheit gefährdet wäre,
wenn sich nicht jedes
einzelne Individuum fortpflanzt.»
Und sollten die Verteufler von
Homosexualität tatsächlich um den
Fortbestand unserer Spezies fürchten,
reicht es doch, wenn man auch schwulen
und lesbischen Paaren erlaubt,
Kinder grosszuziehen.
Die Natur hat auch keine Religionen
vorgesehen. Ich kenne kein Tier, das
Kirchen baut und beten geht. Bloss die
zölibatären Pandas bringen mich
etwas ins Grübeln.
Cruiser Edition Sommer | 2015 37
Reportage | Tanzschule
Let’s Dance … oder:
Darf ich bitten?
Text: Haymo Empl
Das Ehepaar Fern zeigte in den 60ern
züchtig, wie man zu tanzen hatte
Sie brachten in den
sechziger Jahren die
Tanzschule ins Wohnzimmer,
die Tanzlehrer
Ernst und Helga Fern,
das «Ehepaar Fern»,
wie sie allgemein genannt
wurden. Heute
macht das Barbara Ruf
in ihrer Tanzschule
«time2dance». Und natürlich
haben sich
auch die Protagonisten
geändert. Es sind
gleichgeschlechtliche
Paare, die da tanzen.
Equality Dance heisst
das auf neudeutsch.
Tanzstunde bei Barbara Ruf –
mit Schwung & Spass.
Dominic und Tobias: Wer wen führt, ist
bei diesem Tanzpaar kein Thema
«Für mich ist es
einfach entspannend,
wenn ich mich mal eine
Stunde pro Woche
führen lassen kann.»
«Vielleicht wollen Sie das bitte sofort
mal mitmachen! Bitte mal die Tanzhaltung!»
So forderte Ernst Fern im
Jahr 1964 vom Bildschirm aus die Zuschauer
in «Gestatten Sie?» zum Tanz
auf. Eine äusserst populäre TV-Sendung.
In jeder Folge wurden Tänze
präsentiert, die der Zuschauer vor dem
Fernseher zu Hause mitlernen konnte.
Damals war es ganz wichtig, dass es
ein Ehepaar war, welches die Tänze
präsentierte. Und heute? Nun – seit
Jahren bieten diverse Tanzschulen
Tänze auch für gleichgeschlechtliche
Paare an. Beispielsweise Barbara Ruf
mit ihrer Tanzschule «time2dance» im
Stadtzürcher Binzquartier und bereits
seit 1996 bietet «time2dance» Kurse
für gleichgeschlechtliche Paare an.
Mit dabei sind auch Tobias und Dominic.
Beim Ehepaar Fern war es ganz
klar, wer bei den Tänzen führte und
wer sich führen liess. Bei Tobias und
Dominic stellt sich diese Frage
zwangsläufig. «Tobias lässt sich führen
und ich führe», erklärt Dominic.
Das überrascht optisch nun doch etwas
– wenigstens wenn man in den
gewohnten Schubladen denkt. «Für
mich ist es einfach entspannend, wenn
ich mich mal eine Stunde pro Woche
führen lassen kann», erklärt der Medizinstudent.
Bald beginnt die Lektion,
es erstaunt, wie viele schwule und lesbische
Paare sich für die Tanzstunde
an diesem Abend einfinden. Liegt es
FOTOS: PD (1) HAYMO EMPL (4), ZVG (1)
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am Ambiente? Denn im «time2dance»-
Studio fühlt man sich augenblicklich
wohl. Die Atmosphäre ist unaufdringlich
und doch nicht steril. Man kennt
sich, ohne sich anzubiedern. Letztendlich
verbindet die Liebe zum Tanz,
«Man kennt sich, ohne
sich anzubiedern. Letztendlich
verbindet die
Liebe zum Tanz.»
nicht mehr und nicht weniger. Das ist
auch bei Tobias und Dominic so; die
beiden sind kein (Liebes) Paar. Wie
findet man denn als «Single» einen geeigneten
Tanzpartner? «Da gibt es entsprechende
Foren, in welchen Tanzpartner
gesucht und gefunden werden
Manche Tanzschschritte erfordern volle
Konzentration …
können», erklärt Dominic. Und dann
gehts auch schon los, die Stunde beginnt.
Barbara Ruf gibt klare Anweisungen,
alle wissen, was sie zu tun
haben. Tobias und Dominic verschwinden
zwischen den anderen gleichgeschlechtlichen
Paaren und tanzen
sichtlich mit Spass und Freude.
… manche eher weniger
Interview | Barbara Ruf, Inhaberin der «time2dance» Tanzschule
«Egal ob Mann oder Frau, es gibt Menschen welche
talentierter oder eben weniger talentiert sind.»
Barbara Ruf unterrichtet
seit 1990
bei der Tanzschule
«Trudi Schmucki»,
die sie 2002 übernahm,
bevor 2005
«time2dance» gmbh
an der Binzstrasse
eröffnet wurde. Der erste Gay Kurs
startete 1996 mit über 20 Paaren. So
war klar, dass weitere Kurse folgen
würden. Als gelernte Couture Schneiderin
mit eigenem Couture Atelier, begann
Barbara parallel die Ausbildung
zur Tanzlehrerin. Zum Tanzen kam sie
ganz zufällig, weil ihre Schwester sie
in einen Tanzkurs mitnahm.
Wie bist du auf die Idee gekommen,
eine Tanzschule zu gründen?
Zum einen war ich lange Jahre in der
Tanzschule «Trudi Schmucki» integriert,
konnte mitbestimmen und
durch das vorgeschrittene Alter von
Trudi Schmucki dann auch die Tanzschule
in der Altstadt übernehmen.
Seit 2005 bin ich mit «time2dance»
an der Binzstrasse 9 in Zürich. Meine
eigene Leidenschaft für das Tanzen,
für Musik und Bewegung spornt mich
an, aus jedem Fussgänger einen Tänzer
zu machen. Jeder Mensch sollte im
Leben getanzt haben, darum braucht
es «time2dance».
Inwiefern unterscheidet sich eine Lektion
mit gleichgeschlechtlichen Paaren
von Lektionen für heterosexuelle Paare?
Eigentlich in fast keiner Form! Es geht
ums Tanzen, um Rollen und Regeln
beim Tanzen, um Spass, Bewegung,
Musik, um ein Hobby. Das homosexuelle
Paar kann selber entscheiden,
welcher Part (Damen- oder Herrenpart)
erlernt werden will und das auch
noch von Tanz zu Tanz variieren.
Optisch ist nicht immer gleich ersichtlich,
wer welchen Part tanzt und so
kommt es des öfteren zu lustigen
Situa tionen im Unterricht.
Tanzen lesbische Paare anders als
schwule Paare?
(lacht) nein! Das Tanzen an sich unterscheidet
sich nicht. Egal ob Mann oder
Frau, gibt es Menschen welche talentierter
oder eben weniger talentiert
sind. Es scheint lediglich, dass Frauen
sich rascher und spontaner fürs Tanzen
entscheiden. Diese Tatsache ist
aber auch in der Hetero-Welt bekannt.
Es wäre also schön, wenn sich noch
viele schwule Männer fürs Tanzen
entscheiden würden!
Im TV feiern Sendungen wie «Let's Dance»
- in allen Ländern - grosser Erfolge.
Erlebt das Tanzen generell wieder eine
Art Comeback?
Man könnte es schon so formulieren.
Tanzen ist wieder in den Köpfen der
Menschen.
Wenn man noch nie getanzt hat, was
empfiehlst du als Einstieg?
Periodisch starten bei «time2dance»
Grundkurse. In diesen Kursen beginnen
wir mit Discofox, Englisch Walzer
und Cha Cha Cha, Salsa und Merengue.
Die Kurse dauern 6 Wochen. Dann
folgen die Fortsetzungskurse und danach
bist du bei uns in der Clubklasse
und beherrschst insgesamt 12 Tänze.
Cruiser Edition Sommer | 2015 39
cruiser
Cruiser wünscht Dir
einen schönen Sommer.