Cruiser Edition Sommer 2015
Die (fast) luftig-fluffige Sommerausgabe vom Cruiser. Die Themen: Equality Dance: Cruiser war im Tanzkurs. Schwule Migranten: Wenn die eigene Familie einem das Leben zur Hölle macht. Und: Wo man richtig gut baden gehen kann!
Die (fast) luftig-fluffige Sommerausgabe vom Cruiser. Die Themen: Equality Dance: Cruiser war im Tanzkurs. Schwule Migranten: Wenn die eigene Familie einem das Leben zur Hölle macht. Und: Wo man richtig gut baden gehen kann!
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Kolumne | Michi Rüegg<br />
Das mit<br />
der Natur<br />
Text: Michi Rüegg<br />
Wie schön! Katholisch Irland ist der<br />
Meinung, dass der Bund fürs Leben<br />
keine Frage der Geschlechterkombination<br />
ist. Das ist so erfreulich, wie – im<br />
Fall der grünen Inselrepublik – überraschend.<br />
Schliesslich waren die Iren<br />
lange Zeit nicht gerade als progressivstes<br />
aller Völker bekannt.<br />
Wenig überraschend hat die römische<br />
Kirche ihren Schmerz über diese<br />
aus ihrer Sicht unverständliche Entscheidung<br />
ausgedrückt. Schwulsein,<br />
das ist etwas Widernatürliches, predigt<br />
die Kirche unermüdlich. Ich verzichte<br />
hier auf die einzelnen Zitierungen<br />
derjenigen Würdenträger, die sich<br />
dahingehend geäussert haben.<br />
Es ist, scheint mir, an der Zeit, dass<br />
wir uns mit dem Begriff «Natur» auseinandersetzen.<br />
Ich mag die Natur sehr.<br />
Blumen. Die mag ich sehr. Und Bäume,<br />
und kleine pelzige Tiere. Auch die.<br />
Alles. Auch die hässlichen Dinge sind<br />
irgendwie schön, weil sie ja zur Natur<br />
dazu gehören.<br />
Ich gehe oft in die Natur, sei dies für<br />
Wanderungen, Skifahrten oder Tauchgänge<br />
an korallenbewachsenen Riffen.<br />
Ich fühle mich in der Natur jeweils als<br />
Teil von ihr. Dabei blende ich aus, dass<br />
das Pistenfahrzeug bereits rauf- und<br />
runtergetuckert ist, als ich noch geschlafen<br />
habe. Dass der Wanderweg,<br />
der mich durch den Wald führt, von<br />
Maschinen gepfadet wurde. Und dass<br />
meine Laune auf 30 Metern Tiefe im<br />
Indischen Ozean vermutlich ohne<br />
Luftflasche und Lungenautomat deutlich<br />
mieser wäre.<br />
Ehrlicherweise muss ich zugeben,<br />
dass meine Beziehung zur Natur nicht<br />
besonders viel mit ihr zu tun hat. Das<br />
ist nicht anders als bei den Zeitgenossinnen<br />
und -genossen, die uns immer<br />
wieder inbrünstig einreden, Schwule<br />
und Lesben könnten keine Eltern sein.<br />
Weil ein Kind eben Mama und Papa<br />
brauche. Das sei schliesslich so in der<br />
Natur.<br />
«Gäbe es keine Antibiotika,<br />
wäre ich schon dutzend<br />
Tode gestorben.»<br />
Das klingt zwar auf den ersten Blick<br />
logisch, doch schauen wir etwas genauer<br />
auf die Fortpflanzung im Jahre<br />
<strong>2015</strong>: Erst friert frau der Karriere wegen<br />
Eier ein, dann werden sie mit dem<br />
Sperma – das ihr Mann unter Zuhilfenahme<br />
eines Sexheftes ins Becherchen<br />
gerubbelt hat – künstlich befruchtet,<br />
präimplantiv diagnostiziert, eingesetzt,<br />
unter konstanter Ultraschallbetrachtung<br />
und Fruchtwasserpunktion ausgetragen,<br />
per Kaiserschnitt kommt<br />
dann termingenau das Kind zur Welt,<br />
landet zur Sicherheit noch husch im<br />
Brutkasten und wird schliesslich mit<br />
hochwertiger, industriell gefertigter<br />
Dosenmilch aufgepäppelt. Und ist der<br />
oder die Kleine erst einmal auf der<br />
Welt, verkünden die frisch gebackenen<br />
Eltern stolz, es sei so schön, wie die<br />
Natur ihnen ein Kind geschenkt habe.<br />
Auf dem Geburtskärtchen steht dann<br />
keck: «Ein Kind ist sichtbar gewordene<br />
Liebe.» Stattdessen müsste es heissen:<br />
«Ein ausgereifter Fötus ist sichtbar gewordene<br />
Fortpflanzungsmedizin.»<br />
Bitte, seien wir ehrlich: Das Leben<br />
der Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts<br />
hat mit der Natur im herkömmlichen<br />
Sinne nicht mehr viel gemein.<br />
Würden wir uns tatsächlich an<br />
ihren Regeln orientieren, müssten wir<br />
uns umgewöhnen. Gäbe es keine Antibiotika,<br />
wäre ich schon dutzend Tode<br />
gestorben. Die Natur hatte offensichtlich<br />
anderes mit mir vor, aber hey, ich<br />
hab sie geschlagen!<br />
Das Ziel einer jeden Spezies ist die<br />
Erhaltung der eigenen Art. Eine Ausnahme<br />
bildet hier vielleicht der<br />
Pandabär, den man mit Pandapornos<br />
zum Sex animieren muss. Nichts deutet<br />
darauf hin, dass die Erhaltung der<br />
Menschheit gefährdet wäre, wenn sich<br />
nicht jedes einzelne Individuum fortpflanzt.<br />
Dieser Meinung ist ganz offensichtlich<br />
auch die katholische Kirche,<br />
sonst hätte sie den Zölibat nicht eingeführt.<br />
Angenommen, eine Gesellschaft<br />
lässt Schwule und Lesben heiraten, haben<br />
wir entscheidende Hinweise dafür,<br />
dass dies nicht das Ende der gesamten<br />
Menschheit bedeutet.<br />
«Nichts deutet darauf hin,<br />
dass die Erhaltung der<br />
Menschheit gefährdet wäre,<br />
wenn sich nicht jedes<br />
einzelne Individuum fortpflanzt.»<br />
Und sollten die Verteufler von<br />
Homosexualität tatsächlich um den<br />
Fortbestand unserer Spezies fürchten,<br />
reicht es doch, wenn man auch schwulen<br />
und lesbischen Paaren erlaubt,<br />
Kinder grosszuziehen.<br />
Die Natur hat auch keine Religionen<br />
vorgesehen. Ich kenne kein Tier, das<br />
Kirchen baut und beten geht. Bloss die<br />
zölibatären Pandas bringen mich<br />
etwas ins Grübeln.<br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Edition</strong> <strong>Sommer</strong> | <strong>2015</strong> 37