de-gendering informatischer artefakte: grundlagen einer kritisch ...
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scheinen, 67 ist diesem Ansatz aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s Vorhabens dieser Arbeit<br />
entgegenzuhalten, dass er dazu tendiert, Geschlecht zu essentialisieren statt Dimensionen<br />
<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung zu differenzieren. Projekte „von Frauen für Frauen“<br />
grün<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel nicht auf <strong>einer</strong> sorgfältigen Analyse von Vergeschlechtlichungsprozessen,<br />
die in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Kapiteln als eine notwendige Voraussetzung eines<br />
De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte aufgezeigt wird. Dennoch haben partizipative<br />
Technikentwicklungsprojekte „von und für Frauen“ aus <strong>de</strong>m Blickwinkel <strong>de</strong>r Fragestellung<br />
dieser Arbeit insofern große Be<strong>de</strong>utung, als sie feministische Anliegen konkret<br />
und methodisch in technische Gestaltungsvorhaben integrieren. Dieser Vorteil tritt im<br />
Vergleich zu sogenannten Gen<strong>de</strong>r-Leitfä<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n zweiten Bereich vorliegen<strong>de</strong>r<br />
methodischer De-Gen<strong>de</strong>ring-Ansätze für die Technikgestaltung in <strong>de</strong>r Informatik bil<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>utlich hervor.<br />
Eines <strong>de</strong>r in Deutschland bekanntesten Projekt dieser Richtung ist „Discover<br />
Gen<strong>de</strong>r“, das unter <strong>de</strong>r Leitung von Martina Schraudner an <strong>de</strong>r Fraunhofergesellschaft<br />
durchgeführt wor<strong>de</strong>n ist. 68 Dieses Projekt zielt darauf, Gen<strong>de</strong>r-Aspekte in <strong>de</strong>r (natur-<br />
und technikwissenschaftlichen) Forschung zu erkennen und zu bewerten, um die<br />
Vorgaben <strong>de</strong>r EU-För<strong>de</strong>rung zum Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming zu erfüllen. Kern <strong>de</strong>r Projektergebnisse<br />
ist ein Gen<strong>de</strong>r-Leitfa<strong>de</strong>n zur Ermittlung von Gen<strong>de</strong>r-Aspekten, <strong>de</strong>ssen Nutzen<br />
anhand von dreizehn Fallbeispielen aus unterschiedlichen, nicht nur informatischen<br />
Anwendungsfel<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>monstriert wird. Der Ansatz beruht auf <strong>de</strong>r Grundannahme,<br />
technische Produkte stärker an <strong>de</strong>n potentiellen Kundinnen auszurichten<br />
und damit Frauen als (neue) Zielgruppe zu addressieren. Auf diesen Trend ist bereits<br />
in <strong>de</strong>r Einleitung hingewiesen wor<strong>de</strong>n. Dieser Prämisse entsprechend fokussiert <strong>de</strong>r<br />
Leitfa<strong>de</strong>ns primär Geschlechterunterschie<strong>de</strong>, die damit reproduziert und verfestigt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Die zum Erkennen von Gen<strong>de</strong>r-Relevanz intendierten Fragen richten sich auf<br />
Differenzen im Körperbau (Ergonomie, Kraft, Größe), auf weitere körperliche Unterschie<strong>de</strong>n<br />
(Stimmlage, Gesichtssinn, Gehörsinn, Propriozeptoren, innere Muskelanspannung,<br />
Tast- und Klimasinn, etc.), auf unterschiedliche Nutzungszusammenhänge<br />
und -gewohnheiten sowie unterschiedliche Ansprüche an die Nutzungsführung, die<br />
Gestalt und die Inhalte <strong>de</strong>r Technik. Dabei wer<strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong> unter Frauen und<br />
unter Männern nicht in <strong>de</strong>n Blick genommen. Zwar wird am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Fragenkatalogs<br />
doch noch nach Stereotypisierungen gefragt sowie nach <strong>de</strong>r Festschreibung bestehen<strong>de</strong>r<br />
gesellschaftlicher Arbeitsteilung durch eine bestimmte Gestaltung von Technik.<br />
Jedoch ist <strong>de</strong>r Blick – eine konkrete Anwendung <strong>de</strong>s Leitfa<strong>de</strong>ns vorausgesetzt – zu<br />
diesem Zeitpunkt bereits auf ein binäres, biologistisches Geschlechterverständnis<br />
verengt, das die strukturell-symbolischen Dimensionen <strong>de</strong>r hierarchischen Geschlechterordnung<br />
in <strong>de</strong>n Hintergrund rücken lässt. Problematisch ist vor allem, dass <strong>de</strong>r<br />
Leitfa<strong>de</strong>n die Erkenntnis <strong>de</strong>r Geschlechterforschung ignoriert, dass Geschlecht – auch<br />
das körperliche – in <strong>de</strong>m Sinne sozial konstruiert ist, dass es ständig wie<strong>de</strong>r neu<br />
hervorgebracht wird (vgl. etwa Butler 1991 [1990], 1995 [1993]). Dieser Prozess wird in<br />
„Discover Gen<strong>de</strong>r“ nicht reflektiert, <strong>de</strong>nn statt für Vervielfältigung, Brüche und<br />
Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Geschlechter(verhältnisse) zu plädieren, wirken die Fragestellun-<br />
67 Vgl. etwa Hammel 2003, Kreutzner/ Schelhowe 2003, Schelhowe et al. 2005.<br />
68 Vgl. Bührer/ Schraudner 2006, Schraudner/ Lukoschat 2006.<br />
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