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de-gendering informatischer artefakte: grundlagen einer kritisch ...

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„DE-GENDERING INFORMATISCHER ARTEFAKTE:<br />

GRUNDLAGEN EINER KRITISCH-FEMINISTISCHEN<br />

TECHNIKGESTALTUNG“<br />

von Corinna Bath<br />

Dissertation<br />

zur Erlangung <strong>de</strong>s Gra<strong>de</strong>s <strong>einer</strong> Doktorin <strong>de</strong>r Ingenieurwissenschaften<br />

– Dr. Ing. –<br />

vorgelegt am Fachbereich 3 (Mathematik & Informatik)<br />

<strong>de</strong>r Universität Bremen<br />

im März 2009


Gutachterinnen:<br />

Prof. Dr. Susanne Maaß<br />

Universität Bremen<br />

Arbeitsgruppe Soziotechnische Systemgestaltung & Gen<strong>de</strong>r<br />

Prof. Dr. Heidi Schelhowe<br />

Universität Bremen<br />

Arbeitsgruppe Digitale Medien in <strong>de</strong>r Bildung<br />

Kolloquium: 11. Mai 2009


INHALT<br />

KAPITEL 1 EINLEITUNG .......................................................................................... 1<br />

KAPITEL 2 GESCHLECHTERFORSCHUNG IN DER INFORMATIK –<br />

EINE BESTANDSAUFNAHME ............................................................................... 11<br />

2.1. Historischer Hintergrund zur Theoriebildung über Technik, Informatik<br />

und Geschlecht .............................................................................................. 11<br />

2.2. Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte:<br />

Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rate im aktuellen Diskurs ................................................... 18<br />

KAPITEL 3 THEORETISCHE KONZEPTION DES GENDERING<br />

INFORMATISCHER ARTEFAKTE .......................................................................... 27<br />

3.1. Das Technische ist politisch! .......................................................................... 28<br />

3.2. Verkürzungen: Kritiken an Winners Brückenbeispiel in <strong>de</strong>r<br />

sozialwissenschaftlichen Technikforschung ................................................... 35<br />

3.3. Social Shaping of Technology, Social Construction of Technology und<br />

Akteur-Netzwerk-Theorie: Ansätze sozialwissenschaftlicher Technikforschung<br />

....................................................................................................... 41<br />

3.4. Fa<strong>de</strong>nspiele: Feministische Ansätze, Technowissenschaften und Gesellschaftskritik<br />

.................................................................................................... 55<br />

3.5. „Materiality matters“: Asymmetrie und Verantwortung .................................... 64<br />

3.6. Mensch-Maschine-Rekonfigurationen: Politik und Neuverteilung von<br />

Handlungsfähigkeit ........................................................................................ 68<br />

3.7. Wie kommt Geschlecht in technische Artefakte „hinein“? Gen<strong>de</strong>rskripte<br />

und Konfigurationen von NutzerInnen ............................................................ 78<br />

3.8. Posthumanistische Performativität und Ko-Materialisierung von Technologie<br />

und Geschlecht ................................................................................. 88<br />

3.9. Resümee: Wie lässt sich das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte theoretisch<br />

konzipieren? ....................................................................................... 95<br />

KAPITEL 4 DIE VERGESCHLECHTLICHUNG INFORMATISCHER<br />

ARTEFAKTE: FALLSTUDIEN, DIMENSIONEN UND MECHANISMEN .................. 99<br />

4.0. Von „guten Beispielen“ zu Dimensionen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte ...................................................................................................... 100<br />

4.1. Access <strong>de</strong>nied!? Problem<strong>de</strong>finitionen und Annahmen, die soziale Ausschlüsse<br />

produzieren ................................................................................... 111<br />

4.1.1. Vom impliziten Design „von und für Männer“: Haben Frauen an<strong>de</strong>re<br />

Vorlieben und Fähigkeiten bei <strong>de</strong>r Nutzung? ................................ 113<br />

4.1.2. Gegenbewegungen: Design for „the girl“? ............................................. 117<br />

4.1.3. Von Männern <strong>de</strong>finierte Probleme: Worauf geben technische<br />

Lösungen Antworten? ........................................................................... 121<br />

4.1.4. „I-Methodology“:„Configuring the user as everybody“ o<strong>de</strong>r Design<br />

für <strong>de</strong>n Entwickler? ............................................................................... 125<br />

i


4.2. Digitale Materialisierung strukturell-symbolischer Ungleichheit:<br />

geschlechtlich markierte Arbeitsplätze, Kompetenzen und Körper ............... 131<br />

4.2.1. Die ambivalente Konfigurierung von NutzerInnen als Frauen ................ 134<br />

4.2.2. Festschreibung geschlechtlich kodierter Strukturen in und durch IT:<br />

Von „Shaping women’s work“ zu Machtverhältnissen zwischen <strong>de</strong>n<br />

AkteurInnen .......................................................................................... 138<br />

4.2.3. „Invisible Work “ und <strong>de</strong>r Versuch, „Frauenarbeit“ sichtbar zu<br />

machen ................................................................................................. 142<br />

4.2.4. Geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung in <strong>de</strong>r Dienstleistungsgesellschaft:<br />

Callcenter-Arbeit und virtuelle AssistentInnen .... 148<br />

4.2.5. Explizite Repräsentation <strong>de</strong>s Geschlechtskörpers: Avatare, Spielfiguren<br />

und anthropomorphe Softwareagenten ..................................... 155<br />

4.3. Klassifizieren, Abstrahieren und Formalisieren: (Geschlechter-)Politik<br />

und Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen ................................................................. 165<br />

4.3.1. Politik <strong>de</strong>s Formalen ............................................................................. 171<br />

4.3.2. Epistemologie und Ontologie <strong>de</strong>s Formalen .......................................... 185<br />

4.3.3. Geschlechtsmarkierte Dualismen: Welchen Preis hat die Integration<br />

<strong>de</strong>s ausgeschlossenen An<strong>de</strong>ren? ......................................................... 197<br />

4.4. Resümee: Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte ............................................................................... 213<br />

KAPITEL 5 ALTERNATIVE TECHNOLOGIEGESTALTUNG: METHODISCHE<br />

KONZEPTE FÜR EIN DE-GENDERING INFORMATISCHER ARTEFAKTE ........ 217<br />

5.1. Zielsetzung alternativer Technologiegestaltung: Was soll das Ergebnis<br />

eines De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses sein?.......................................................... 218<br />

5.2. „Design for everyone“: Berücksichtigen <strong>de</strong>r Diversität von NutzerInnen ....... 220<br />

5.2.1. „User-Centered Design“ und „Usability-Tests“ für eine adäquate<br />

Mo<strong>de</strong>llierung von NutzerInnen .............................................................. 222<br />

5.2.2. Ethnographische Studien und „Cultural Probes“ für adäquate<br />

Problem<strong>de</strong>finitionen von Technologien privater Nutzung....................... 225<br />

5.2.3. „Personas“: Zur Problematik <strong>de</strong>r Auswahl von Testpersonen und<br />

Freiwilligen ............................................................................................ 230<br />

5.3. Design für spezifische NutzerInnengruppen: Geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Kompetenzannahmen und Arbeitsteilung überwin<strong>de</strong>n ...................................... 233<br />

5.3.1. „Contextual Design“ und Szenarien-basierte Ansätze: Arbeit<br />

verstehen und „unsichtbare Arbeit“ erkennen ........................................ 234<br />

5.3.2. „Participatory Design“ und „Collective Resource Approach“: Parteinahme<br />

für strukturell Benachteiligte in <strong>de</strong>r Technikgestaltung ............... 238<br />

5.3.3. Organisations-Design-Spiele und Zukunftswerkstätten:<br />

Geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung in Organisationen<br />

aushan<strong>de</strong>ln ........................................................................................... 243<br />

5.3.4. Projekte „von und für Frauen“: Erfahrungen mit Qualifizierung,<br />

betrieblichem und technischem Empowerment in <strong>de</strong>r Praxis ................ 247<br />

ii


5.4. „Design for Experience and Reflection“: Geschlecht durch Technologie<br />

<strong>de</strong>konstruieren ............................................................................................. 254<br />

5.4.1. „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“: Vervielfältigung „weiblicher“ und<br />

„männlicher“ I<strong>de</strong>ntitäten in einem spezifischen Kontext ......................... 255<br />

5.4.2. „Design for Experience“: Den NutzerInnen viel<strong>de</strong>utige und<br />

provokante Geschlechtererfahrungen ermöglichen ............................... 258<br />

5.4.3. „Reflective Design“: Prozesse <strong>de</strong>r Reflektion <strong>de</strong>s<br />

Zweigeschlechtlichkeitssystems bei GestalterInnen und NutzerInnen<br />

mit offenem Ausgang ............................................................................ 264<br />

5.5. De-Gen<strong>de</strong>ring von Formalismen, Grundannahmen und Grundlagenforschung:<br />

Ansatzpunkte und Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rate................................... 269<br />

5.5.1. „Narrative Transformation“ und „Mind Scripting“: Erinnerungs- und<br />

Reflektionsarbeit mit <strong>de</strong>n DesignerInnen............................................... 270<br />

5.5.2. „Value Sensitive Design“: Eine Metho<strong>de</strong> zur Re-Kontextualisierung<br />

von formalen Artefakten ........................................................................ 280<br />

5.5.3. „Critical Technical Practice“: Das Marginalisierte ins Zentrum stellen ... 289<br />

5.5.4. Sozial- und kulturwissenschaftliche „Laborstudien“: Kritischfeministische<br />

Intervention in <strong>de</strong>r Grundlagenforschung <strong>de</strong>r<br />

Informatik? ............................................................................................ 294<br />

5.6. Resümee: Methodische Konzepte für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte ...................................................................................................... 301<br />

KAPITEL 6 DE-GENDERING ALS „DESIGN FÜR LEBBARE WELTEN“:<br />

ENTWURF EINER METHODIK FEMINISTISCHER TECHNOLOGIE-<br />

GESTALTUNG IN DER INFORMATIK .................................................................. 305<br />

LITERATUR ……………………………………………………………………… 319<br />

iii


Kapitel 1<br />

Einleitung<br />

Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik ist in Deutschland ein junges Feld, das sich<br />

gegenwärtig institutionell etabliert und inhaltlich schnell entwickelt. Es kann mittlerweile<br />

auf mehr als zwei Jahrzehnte engagierter Aktivität und wissenschaftlicher Forschung<br />

zurückblicken. Einen Ausgangspunkt bil<strong>de</strong>te die 1986 gegrün<strong>de</strong>te Fachgruppe<br />

„Frauenarbeit und Informatik“ in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Gesellschaft für Informatik. 1 1989 fand<br />

eine erste internationale wissenschaftliche Tagung zu diesem Thema in Deutschland<br />

statt (Schelhowe 1989a). Die „Informatica Feminale“, Sommeruniversität für Frauen in<br />

<strong>de</strong>r Informatik, wird seit 1998 jährlich in Bremen durchgeführt. 2 An <strong>de</strong>r Hochschule<br />

Bremen gibt es seit 2000 einen Informatikstudiengang für Frauen. Erste Professuren<br />

für Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik wur<strong>de</strong>n an Universitäten eingerichtet (1998<br />

an <strong>de</strong>r Universität Bremen, 2004 an <strong>de</strong>r Universität Hamburg). Zahlreiche Veröffentlichungen<br />

und Tagungsbän<strong>de</strong> dokumentieren, dass sich die Geschlechterforschung in<br />

<strong>de</strong>r Informatik mittlerweile ausdifferenziert hat und ein breites Themenspektrum<br />

umfasst. 3<br />

Der Gegenstand <strong>de</strong>s neuen Fachgebiets wird in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit, zum Teil auch in<br />

<strong>de</strong>n technischen Wissenschaften, häufig nur partiell wahrgenommen. Oft wird<br />

angenommen, die Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik befasse sich im<br />

Wesentlichen mit <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>r Frage, wie mehr Frauen für ein Studium <strong>de</strong>r<br />

Informatik und für entsprechen<strong>de</strong> Berufe gewonnen wer<strong>de</strong>n können. In diesem Diskussionszusammenhang<br />

fin<strong>de</strong>n sich Positionen, die zum einen das Geschlechter-Technik-<br />

Verhältnis auf ein „Problem <strong>de</strong>r Frauen“ verkürzen und zum an<strong>de</strong>ren Technologien als<br />

außergesellschaftlich gegeben und (geschlechts-)neutral verstehen. Auf dieser Grundlage<br />

bleiben sowohl die Disziplin Informatik als auch und <strong>de</strong>ren Produkte unhinterfragt.<br />

4 Auf Basis dieser Position ist es schwierig, für eine Verankerung <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik zu plädieren, da Geschlecht vermeintlich<br />

nichts mit <strong>de</strong>n Inhalten und Produkten <strong>de</strong>r Informatik zu tun hat.<br />

In letzter Zeit gewinnt – insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Politik – ein zweites Verständnis von<br />

<strong>de</strong>n Aufgaben <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik Aufmerksamkeit. 5<br />

Wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Produkte sollten sich besser an <strong>de</strong>n<br />

Bedürfnissen, Interessen und Wünschen von Frauen ausrichten, um diese als Kundinnen<br />

und Käuferinnen gewinnen zu können. Die Forschung habe <strong>de</strong>shalb<br />

„geschlechtsspezifische“ Unterschie<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Entwicklung und Nutzung von<br />

Technologien, d.h. die Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r Produkte, zu berücksichtigen. 6 Die mit<br />

solchen Vorstellungen verknüpfte Interpretation <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r<br />

1 Vgl. etwa Frauenarbeit und Informatik 2006<br />

2 Vgl. http://www.informatica-feminale.<strong>de</strong>. Dieses Konzept wur<strong>de</strong> später in Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Österreich<br />

(Salzburg) und Neuseeland übernommen.<br />

3 Vgl. etwa Grundy et al. 1997, Oechtering/ Winker 1998, Balka/ Smith 2000, Kreutzner/ Schelhowe 2003,<br />

Schmitz/ Schinzel 2004, Archibald et al 2005, Zorn et al. 2007 sowie die internationalen Tagungen<br />

„Women, Work and Computerization“ (seit 1985) und die „European Gen<strong>de</strong>r & ICT Symposia“ (seit 2003).<br />

4 Ähnliche Argumente fin<strong>de</strong>n sich in Zusammenfassungen <strong>de</strong>r feministischen Technik<strong>de</strong>batte, vgl. etwa<br />

Gill/ Grint 1995, Bath 1996, Henwood 2000, Saupe 2002, Bath 2005.<br />

5 vgl. etwa Schavan 2007. Siehe auch die Bestrebung <strong>de</strong>s Konzerns Volvo, ein Auto „von und für Frauen“<br />

zu entwickeln, vgl. Temm 2008, Wolffram 2005.<br />

6 Vgl. hierzu Bührer/ Schraudner 2006, Schraudner/ Lukoschat 2006 sowie <strong>kritisch</strong> und ausführlicher dazu<br />

Bath 2007 sowie Kapitel 2.2.<br />

1


Informatik wie<strong>de</strong>rum unterstellt, dass es grundlegen<strong>de</strong> Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n<br />

Geschlechtern gibt. Dies ist allerdings eine umstrittene Annahme. 7 Sie ist nicht nur ein<br />

Ausdruck <strong>de</strong>r Ignoranz <strong>de</strong>r vielfältigen Lebensrealitäten von Frauen und Männern,<br />

son<strong>de</strong>rn schreibt darüber hinaus selbst bestimmte Eigenschaften, Interessen und<br />

Tätigkeiten als weibliche (o<strong>de</strong>r männliche) fest. Damit können bestehen<strong>de</strong> gesellschaftlich-symbolische<br />

Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern, Heteronormativität<br />

und das Zweigeschlechtlichkeitssystem wie<strong>de</strong>rhergestellt wer<strong>de</strong>n. Diese zweite<br />

Position ist aus <strong>de</strong>r Perspektive aktueller Ansätze <strong>de</strong>r Geschlechterforschung unhaltbar,<br />

da sie Differenzen und Hierarchien zwischen Frauen und Männern essentialisiert.<br />

Die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit soll einen Beitrag zur Überwindung <strong>de</strong>r Verkürzungen <strong>de</strong>r<br />

bisherigen Debatte leisten. Dazu wird <strong>de</strong>r Fokus von „<strong>de</strong>n Frauen“ und vermeintlichen<br />

Geschlechterdifferenzen verschoben auf die Analyse von Technik und ihre Gestaltung.<br />

Mein Ziel ist es aufzuzeigen, dass und in welchem Sinne Software, Informationssysteme<br />

und weitere Produkte <strong>informatischer</strong> Tätigkeit vergeschlechtlicht sind, ohne<br />

dabei die Kategorien Weiblichkeit und Männlichkeit erneut normativ festzuschreiben.<br />

Zugleich sollen Vorschläge für eine alternative Technologiegestaltung vorgelegt wer<strong>de</strong>n,<br />

die diesen Prozessen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung zu begegnen vermögen. „De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte“ be<strong>de</strong>utet, <strong>de</strong>m „Gen<strong>de</strong>ring“ <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Informatik<br />

produzierten Artefakte entgegenzuwirken bzw. es im Vorhinein zu vermei<strong>de</strong>n. Dabei<br />

steht <strong>de</strong>r Terminus „De-Gen<strong>de</strong>ring“ für <strong>de</strong>n im Deutschen unaussprechlichen Begriff<br />

<strong>de</strong>r „Ent-Vergeschlechtlichung“. Er soll nahe legen, dass es keine „geschlechtsneutralen“<br />

Technologien o<strong>de</strong>r „geschlechtsfreie“ technische Räume gibt. Mit Hilfe eines<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses können vielmehr höchst problematische Formen <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung von informatischen Produkten verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Dies soll durch<br />

eine feministisch-<strong>kritisch</strong>e Gestaltung von Technologien erreicht wer<strong>de</strong>n.<br />

Damit schließt diese Arbeit an grundlegen<strong>de</strong> Fragen <strong>de</strong>r Informatik an: Was sind<br />

„gute“ Software- und Informationssysteme? Wie lassen sich „gute“ Software- und<br />

Informationssysteme konzipieren und gestalten? Die Qualität von Systemen wird hier<br />

allerdings nicht allein im klassischen Sinne <strong>de</strong>r Informatik ge<strong>de</strong>utet, die dazu<br />

üblicherweise Kriterien wie Funktionalität, Zuverlässigkeit, Benutzbarkeit, Effizienz und<br />

Fehlervermeidung heranzieht. 8 Die zu entwickeln<strong>de</strong>n Systeme sollen hier darüber<br />

hinaus an <strong>de</strong>n Erkenntnissen <strong>de</strong>r Geschlechterforschung und feministischen Technikwissenschaftsforschung<br />

gemessen wer<strong>de</strong>n. Somit besteht die Aufgabe erstens darin,<br />

Kritierien für Technologien, die als „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red“ bezeichnet wer<strong>de</strong>n können, zu<br />

erarbeiten. Zweitens sind Metho<strong>de</strong>n und Vorgehensweisen <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

gesucht, die InformatikerInnen und DesignerInnen dabei unterstützen, mit diesen<br />

Kriterien entsprechen<strong>de</strong> Systeme zu konzipieren und konstruieren. Bei<strong>de</strong>s setzt eine<br />

theoretische Fundierung sowie eine sorgfältige systematische Analyse <strong>de</strong>r konkreten<br />

Prozesse voraus, die zur Vergeschlechtlichung von Produkten <strong>informatischer</strong> Tätigkeit<br />

führen. Daraus leitet sich die Struktur <strong>de</strong>r drei Hauptkapitel dieser Arbeit ab: 9<br />

7<br />

Zur Kritik an <strong>de</strong>r Vorstellung frauenspezifischer Zugänge zu Technik und <strong>de</strong>r Herstellung von<br />

Geschlechterhierarchie durch Geschlechterdifferenzansätze vgl. Schelhowe 1989b, Knapp 1989, Wetterer<br />

1992, Schelhowe 1993 sowie die unter Fußnote 4 angeführten Aufsätze.<br />

8<br />

Vgl. hierzu auch John/ Allhutter 2007, die Qualitätsmaßstäbe für Software aus <strong>einer</strong> Geschlechterperspektive<br />

untersuchen.<br />

9<br />

Kapitel 2 beschreibt <strong>de</strong>n Forschungsstand zum Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte.<br />

2


� Theoretische Grundlagen: Wie lässt sich die Vergeschlechtlichung (und das De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring) <strong>informatischer</strong> Artefakte theoretisch konzipieren? (Kapitel 3)<br />

� Praktiken <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Technologien: Welche Dimensionen<br />

und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte lassen sich<br />

unterschei<strong>de</strong>n? (Kapitel 4)<br />

� Methodische Konzepte <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Technologien: Wie<br />

lassen sich Informationstechnologien so gestalten, dass sie als „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red“<br />

bezeichnet wer<strong>de</strong>n können? (Kapitel 5)<br />

Zunächst ist eine Klärung <strong>de</strong>r zentralen Grundbegriffe, „Geschlecht“, „Technologie“ und<br />

„Informatik“ notwendig. Geschlecht wird im Folgen<strong>de</strong>n im Anschluss an die<br />

Erkenntnisse <strong>de</strong>r Geschlechterforschung nicht als „gegeben“, son<strong>de</strong>rn als soziale<br />

Konstruktion begriffen, die in <strong>de</strong>r jeweiligen Zeit, Gesellschaft und Kultur verankert ist.<br />

Analytisch betrachtet wer<strong>de</strong>n generell drei eng miteinan<strong>de</strong>r verwobene Prozesse <strong>de</strong>r<br />

Konstituierung von Geschlecht unterschie<strong>de</strong>n: erstens individuelle Prozesse <strong>de</strong>r<br />

Herausbildung weiblicher und männlicher Subjekte, zweitens strukturelle Prozesse wie<br />

die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung und drittens symbolische Prozesse, etwa<br />

Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit und geschlechtliche Kodierungen von<br />

Sprache, Tätigkeiten, Kompetenzen etc. 10 Auf dieser Grundlage wird Geschlecht<br />

primär als eine Strukturkategorie gefasst, mit <strong>de</strong>r soziale Positionierungen vorgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n. Dazu gehören die gesellschaftliche Verteilung ökonomischer Ressourcen,<br />

beruflicher Tätigkeiten, sozialen Prestiges und von Macht. Diese strukturelle<br />

Ebene ist meist schwer von <strong>de</strong>r symbolischen Ebene zu trennen, beispielsweise von<br />

<strong>de</strong>r geschlechtlichen Zuschreibung technischer o<strong>de</strong>r sozialer Kompetenz. Ferner ist die<br />

Kategorie Geschlecht als Ungleichheitsstruktur nicht einfach gegeben, son<strong>de</strong>rn wird im<br />

Alltäglichen ständig hergestellt. Geschlecht ist das Resultat eines Prozesses <strong>de</strong>r<br />

gleichzeitigen Herstellung von sozialen Hierarchien und geschlechtlichen Subjekten,<br />

<strong>de</strong>r selbst unsichtbar erscheint und binär strukturiert ist. Zweigeschlechtlichkeit gilt als<br />

selbstverständlich und erzeugt Normalität. Sie wird gestützt durch Sprache und<br />

Zeichen. Welche Symbole im Einzelnen als weiblich und als männlich gelten, unterliegt<br />

historisch-kulturellen Wandlungen. So haben etwa geschlechtersoziologische Untersuchungen<br />

aufgezeigt, dass Berufe „ihr Geschlecht“ wechseln können und<br />

insbeson<strong>de</strong>re technische Zuschreibungen dabei eine wesentliche Rolle spielen (vgl.<br />

Gil<strong>de</strong>meister/ Wetterer 1992, Cockburn 1988 [1985]). Hier wird <strong>de</strong>utlich, welche<br />

Einsichten eine nicht-essentialistische Geschlechterforschung eröffnet: Geschlecht<br />

wird nicht als gegeben gedacht, son<strong>de</strong>rn muss ständig, unter verschie<strong>de</strong>nen<br />

Rahmenbedingungen und damit auf verschie<strong>de</strong>ne Weisen hervorgebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese Flexibilität, die zwar keine beliebigen Verän<strong>de</strong>rungen zulässt, erlaubt jedoch<br />

feministisch-<strong>kritisch</strong>e Eingriffe in die bestehen<strong>de</strong>n Deutungs- und Präsentationsmuster.<br />

Solche Verschiebungen wie<strong>de</strong>rum können strukturell wirksam wer<strong>de</strong>n. Deshalb möchte<br />

ich <strong>de</strong>n Begriff Geschlecht hier zugleich politisch und performativ verstehen.<br />

10 Vgl. hierzu Harding 1990 [1986], siehe auch Frey Steffen 2006, 12ff.<br />

3


Das in <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit zugrun<strong>de</strong> gelegte Verständnis von Technik bzw.<br />

Technologie bezieht sich auf <strong>de</strong>n englischsprachigen Begriff „technology“ 11 , <strong>de</strong>r<br />

min<strong>de</strong>stens drei Be<strong>de</strong>utungsebenen umfasst: 12 erstens können Technologien<br />

materielle Objekte sein. Zweitens umfasst Technologie Formen von Wissen. Denn<br />

technische Objekte erhalten erst durch das Wissen, sie zu benutzen, zu reparieren, zu<br />

entwerfen und herzustellen, einen sozialen Sinn. Und drittens kann <strong>de</strong>r Begriff<br />

Technologie bestimmte Tätigkeiten o<strong>de</strong>r Prozesse beschreiben. Er bezieht sich auf<br />

menschliche Handlungen und Praktiken. „Ein Computer ohne Programme o<strong>de</strong>r<br />

ProgrammiererIn ist lediglich eine nutzlose Zusammenstellung von Metall-, Plastik- und<br />

Silikonteilen“ (Wajcman 1994 [1991], 31). Noch etwas weiter gefasst wird Technologie<br />

in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und Technikforschung häufig als soziotechnisches<br />

Netzwerk verstan<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r Technisches und Soziales untrennbar in<br />

Systemen menschlicher und nicht-menschlicher Akteure verbun<strong>de</strong>n ist (vgl. hierzu<br />

Kapitel 3.3.).<br />

Diese Begriffsklärung kann dazu beitragen, Technologien als materiell und in ihren<br />

sozialen Kontext eingebettet und verwoben fassen zu können. Jedoch genügt sie nicht,<br />

um die Produkte <strong>informatischer</strong> Tätigkeit umfassend zu verstehen. Die Gegenstän<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Informatik sind „Hybridobjekte“ (Siefkes et al. 1998, 3): <strong>einer</strong>seits als Notationen<br />

immateriell-geistig, an<strong>de</strong>rerseits wird ihnen eine spezifische Form <strong>de</strong>r Bewegung und<br />

<strong>de</strong>s Agierens zugesprochen, die materiell wirksam ist. Das heißt, solche Objekte sind<br />

gleichzeitig Zeichen und Gegenstand (vgl. ebd., 3f).<br />

Ein Beispiel, das <strong>de</strong>n Hybridcharakter <strong>informatischer</strong> Gegenstän<strong>de</strong> ver<strong>de</strong>utlicht, ist<br />

das für die Informatik grundlegen<strong>de</strong> Konzept <strong>de</strong>r „Turingmaschine“. Sie ist<br />

Formalismus bzw. Notation und sich bewegen<strong>de</strong> Materialität zugleich und beschreibt<br />

sowohl menschliche wie auch maschinelle Rechner. Auch ein „Automat“ (vgl. von<br />

Neumann 1958) lässt sich sowohl als Symbolsystem, Maschine o<strong>de</strong>r als natürlicher<br />

Organismus vorstellen. Ebenso können Konzepte <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenzforschung<br />

wie <strong>de</strong>r „General Problem Solver“ zugleich als psychologisch-<strong>de</strong>skriptive Theorie<br />

menschlichen Denkens und als maschinelle Simulation menschlichen Problemlösens<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n (vgl. Stach 2001, 3f). In Hybridobjekten verschwimmt daher zum<br />

einen die Dichotomie geistig-materiell, zum an<strong>de</strong>ren „auch eine an<strong>de</strong>re Differenz – die<br />

zwischen Deskription und Konstruktion. Ein Hybridobjekt nie<strong>de</strong>rzuschreiben wird nicht<br />

nur als Deskription, son<strong>de</strong>rn genauso als (Auf)bauen und damit Konstruktion interpretiert.<br />

Denn die aufgeschriebenen Zeichen fungieren zugleich als Beschreibungen und<br />

Gegenstän<strong>de</strong>, die agieren und bewegen können. Damit scheint die Differenz zwischen<br />

<strong>einer</strong> räumlich-gegenständlichen und <strong>einer</strong> in Zeichen aufgehen<strong>de</strong>n, simulierten und<br />

programmierten Welt zu verschwin<strong>de</strong>n“ (Siefkes et al. 1998, 3).<br />

Die soeben dargelegte Sichtweise informatischen Han<strong>de</strong>lns hat weit reichen<strong>de</strong><br />

Folgen für das Vorhaben <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit. Sie erweitert <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>s zu<br />

Untersuchen<strong>de</strong>n auf folgen<strong>de</strong> Art und Weise: die Auflösung <strong>de</strong>r Differenz von<br />

Deskription und Konstruktion in <strong>de</strong>r Informatik be<strong>de</strong>utet, dass eine Vergeschlechtlichung<br />

von Beschreibungen, die InformatikerInnen von Anwendungsbereichen o<strong>de</strong>r<br />

menschlichem Han<strong>de</strong>ln und Denken vornehmen, vergeschlechtlichte technische<br />

11<br />

Im englischsprachigen Raum wird nicht wie im Deutschen zwischen „Technik“ und „Technologie“ unterschie<strong>de</strong>n.<br />

12<br />

Vgl. hierzu etwa Wajcman 1994 [1991], 30f und Felt et al. 1995, 183.<br />

4


Objekte hervorbringt. Umgekehrt besteht damit die Chance, auf <strong>de</strong>r Ebene von<br />

Konzepten und Grundannahmen <strong>de</strong>r Informatik anzusetzen, um ein De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Technologien und Produkte zu erreichen. Um zu ver<strong>de</strong>utlichen, dass<br />

sich das De-Gen<strong>de</strong>ring nicht nur auf Software- und Informationssysteme, d.h.<br />

Anwendungssysteme bezieht, son<strong>de</strong>rn auch weitere Produkte <strong>informatischer</strong> Tätigkeit<br />

wie Metho<strong>de</strong>n, Konzepte und Grundannahmen, auf <strong>de</strong>nen Anwendungssysteme und<br />

Mo<strong>de</strong>llierungen in <strong>de</strong>r Informatik basieren, betrachtet wer<strong>de</strong>n sollen, spreche ich hier<br />

von „informatischen Artefakten“. Dieser Begriff betont zugleich, dass diese Metho<strong>de</strong>n,<br />

Konzepte und Grundannahmen materiell höchst wirkmächtig sind, d.h. beispielsweise,<br />

dass sie hierarchische Verhältnisse zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern strukturell-symbolisch<br />

stützen können. Mit diesem Konzept möchte ich betonen, dass diese Metho<strong>de</strong>n,<br />

Konzepte und Grundannahmen materiell höchst wirkmächtig sind, d.h. auch, dass sie<br />

Differenzen und Hierarchien zwischen Geschlechtern strukturell-symbolisch beeinflussen<br />

und mitkonstituieren.<br />

Damit bringt das Verständnis <strong>informatischer</strong> Artefakte als Hybridobjekte sowohl<br />

ethische und als auch wissenschaftstheoretische Fragen ins Spiel. In welchem<br />

Verhältnis stehen informatische Beschreibungen und mo<strong>de</strong>llierte „Wirklichkeit“? Was<br />

„tun“ InformatikerInnen? Wie lässt sich ihre Tätigkeit begreifen? Wie können InformatikerInnen<br />

ihren jeweils betrachteten Gegenstand verstehen, darstellen und technisch<br />

gestalten? Wie können sie „verantwortlich“ han<strong>de</strong>ln? Und was können Maßstäbe dafür<br />

sein? Das Vorhaben <strong>einer</strong> feministisch-<strong>kritisch</strong>en Gestaltung <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

schließt in <strong>de</strong>m Sinne, wie ich es anfangs eingeführt hatte, direkt an diese Fragen an.<br />

Es befin<strong>de</strong>t sich daher mitten in <strong>de</strong>n Diskussionen zur „Theorie <strong>de</strong>r Informatik“, die in<br />

Deutschland seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1980er Jahre in <strong>de</strong>m gleichnamigen Arbeitskreis (vgl. Coy<br />

et al. 1992) und auf <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Fachtagungen 2001-2004 13 geführt wor<strong>de</strong>n<br />

sind.<br />

Diese Arbeit ist im Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ und <strong>de</strong>r Angewandten<br />

Informatik verortet. 14 Sie zieht zur Untersuchung ihrer Fragestellung gleichzeitig<br />

Erkenntnisse <strong>de</strong>r Geschlechterforschung, <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Wissenschafts-<br />

und Technikforschung sowie <strong>de</strong>r Wissenschaftstheorie heran. Die Ergebnisse dieser<br />

Arbeit bieten an<strong>de</strong>ren Fachgebieten <strong>de</strong>r Informatik, etwa <strong>de</strong>r Softwaretechnik o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Künstlichen Intelligenz-Forschung, die hauptsächlich ein „Verfügungswissen“ (Mittelstraß<br />

2003) bereithalten, ein „Orientierungswissen“ an. Verfügungswissen ist ein<br />

Wissen um Metho<strong>de</strong>n und Mittel zu vorgegebenen Zwecken. Es beantwortet „Fragen<br />

nach <strong>de</strong>m, was wir tun können, aber nicht Fragen nach <strong>de</strong>m, was wir tun sollen. Also<br />

muss zum positiven Wissen ein handlungsorientieren<strong>de</strong>s Wissen, eben das<br />

Orientierungswissen hinzutreten, das diese Aufgabe übernimmt.“ (ebd., 41). In <strong>de</strong>r<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit wird eine Orientierung informatischen Han<strong>de</strong>lns an gesellschafts-<br />

und wissenschafts<strong>kritisch</strong>en Ansätzen, Geschlechterforschung und insbeson<strong>de</strong>re<br />

feministischer Theorie vorgeschlagen. Der Ansatz <strong>de</strong>s „De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte“ stellt somit insgesamt ein höchst interdisziplinäres Unternehmen dar, das<br />

primär für die Informatik umfangreiche Übersetzungsarbeit leistet. Im Sinne lebhaft<br />

benutzter „two-way streets“ (Fausto-Sterling 1992, Heinsohn 2006) soll er jedoch auch<br />

13 Vgl. Nake et al. 2001, 2002, 2004.<br />

14 Vgl. etwa Friedrich et al. 1995, das Schwerpunktheft „Informatik und Gesellschaft als aka<strong>de</strong>mische<br />

Disziplin“ <strong>de</strong>r FifF-Kommunikation 4/2001, Fuchs/ Hofkirchner 2003, Kreowski 2008.<br />

5


<strong>de</strong>r Geschlechterforschung fundierte Erkenntnisse über die Informatik und die von ihr<br />

produzierten Artefakte zur Verfügung stellen.<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n skizziere ich die einzelnen Kapitel <strong>de</strong>r Arbeit, <strong>de</strong>ren Denkbewegungen<br />

von <strong>de</strong>n Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften auf die Informatik ausgerichtet<br />

sind.<br />

In Kapitel 2 wird die Frage nach <strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte, die im Zentrum <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit steht, in <strong>de</strong>n<br />

Stand <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik eingeordnet. Im Abschnitt 2.1.<br />

wer<strong>de</strong>n zentrale historische Linien <strong>de</strong>r Theoriebildung über Geschlecht und Technik<br />

bzw. Informatik dargestellt, welche die Untersuchung <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

infomatischer Artefakte ermöglicht o<strong>de</strong>r auch behin<strong>de</strong>rt haben. Der Abschnitt<br />

2.2. skizziert auf dieser Basis <strong>de</strong>n aktuellen Forschungsstand zur Theorie und<br />

empirischen Analyse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte und zu methodischen<br />

Ansätzen <strong>de</strong>r Technikgestaltung, die darauf zielen, <strong>de</strong>n Vergeschlechtlichungsprozessen<br />

entgegenzuwirken.<br />

In Kapitel 3 wer<strong>de</strong>n theoretische Grundlagen erarbeitet, wie die Vergeschlechtlichung<br />

(und das De-Gen<strong>de</strong>ring) <strong>informatischer</strong> Artefakte verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n soll. Ziel<br />

dieser Untersuchungsebene ist es, Vergeschlechtlichung als politischen und performativen<br />

Prozess zu begreifen – und damit we<strong>de</strong>r als Eigenschaft von Frauen und<br />

Männern noch als eine absichtsvolle Einschreibung in die Technik (3.1. und 3.2.).<br />

Ausgehend vom Verständnis von Geschlecht als Ungleichheitsstruktur wer<strong>de</strong>n Ansätze<br />

<strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und Technikforschung, die das Verhältnis<br />

von Technik und Gesellschaft bzw. von Mensch und Maschine grundlegend beschreiben,<br />

vorgestellt sowie <strong>de</strong>ren feministische Kritiken diskutiert (3.3.). Auf dieser Basis<br />

wird in zentrale Konzepte <strong>de</strong>r feministischen Technowissenschaftsforschung eingeführt<br />

(3.4.-3.6.). Es wird das Verständnis <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung,<br />

Technologie als Netzwerk von humanen und nichthumanen AkteurInnen zu begreifen,<br />

gesellschafts<strong>kritisch</strong> und feministisch gewen<strong>de</strong>t (Haraway 1995a [1991], 1995b, 1997).<br />

Anschließend wird die Materialität <strong>de</strong>r Artefakte betont und angesichts <strong>einer</strong><br />

asymmetrisch verteilten Handlungsfähigkeit Verantwortung konzeptualisiert (Barad<br />

1998, 2003, 2007). Ferner wer<strong>de</strong>n die entwickelten Konzepte auf die Informatik<br />

bezogen (Suchman 2002a, 2007).<br />

Das in diesen drei Abschnitten entwickelte Verständnis <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

stellt die oben eingeführte Auffassung, sie als „Hybridobjekte“ zu begreifen, auf eine<br />

theoretisch fundierte Grundlage. Denn sie wer<strong>de</strong>n sowohl als handlungsfähig als auch<br />

in soziale Kontexte und Netzwerke eingebun<strong>de</strong>n aufgefasst sowie als Zeichen und<br />

Gegenstand zugleich begriffen. Ferner wird Technologiegestaltung – wie es das<br />

Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ einfor<strong>de</strong>rt – als ein verantwortungsvoller<br />

Prozess aufgefasst und durch die Konzepte Haraways, Barads und Suchmans<br />

gesellschaftstheoretisch-feministisch ausgerichtet. In ihrer Zusammenschau stellen die<br />

vorgestellten Ansätze feministischer Technowissenschaftsforschung damit einen<br />

theoretischen Rahmen dar, wie sich das Verhältnis von Geschlecht und informatischen<br />

Artefakten in dieser Arbeit fassen lässt.<br />

Im letzten Teil <strong>de</strong>s Kapitels 3 wer<strong>de</strong>n konkrete Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte theoretisch begrün<strong>de</strong>t. Dazu wird das gegenwärtig viel<br />

6


ezipierte Konzept <strong>de</strong>s „Gen<strong>de</strong>rskripts“ (Rommes 2002) diskutiert. Dieses erweist sich<br />

jedoch bei genauerer Betrachtung als unzureichend für das vorliegen<strong>de</strong> Vorhaben<br />

(3.7.). Daher wird mit Rückgriff auf das Konzept <strong>de</strong>r „posthumanistischen<br />

Performativität“ (Barad 2003) ein eigener Ansatz <strong>de</strong>r „Ko-Materialisierung von<br />

Technologie und Geschlecht“ entwickelt, <strong>de</strong>r die vorgestellten Mo<strong>de</strong>lle konstruktiv auf<br />

die Gestaltung <strong>informatischer</strong> Artefakte und ihr De-Gen<strong>de</strong>ring bezieht (3.8.).<br />

Das Kapitel 4 verschiebt die analytische Perspektive von <strong>de</strong>n theoretischen<br />

Aspekten hin zu <strong>de</strong>n Praktiken <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte. Es wird<br />

gezeigt, dass die Produkte, Grundannahmen und Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Informatik<br />

vergeschlechtlicht sind. Gleichzeitig wird dargestellt, wie Geschlecht in die<br />

informatischen Artefakte „hinein gerät“. Hauptziel dieses Kapitels ist eine systematische<br />

Bestandsaufnahme vorliegen<strong>de</strong>r Analysen konkreter Vergeschlechtlichungsprozesse.<br />

Anhand von Fallstudien aus <strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>r feministischen Wissenschafts-<br />

und Technikforschung und <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en Informatik wer<strong>de</strong>n <strong>einer</strong>seits<br />

Dimensionen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte, an<strong>de</strong>rerseits<br />

Mechanismen, wie diese Gen<strong>de</strong>ring-Prozesse in <strong>de</strong>r Technikgestaltung und -nutzung<br />

erfolgen, herausgearbeitet.<br />

Zunächst wer<strong>de</strong>n anhand von Beispielen für die Vergeschlechtlichung physischer<br />

Artefakte wie <strong>de</strong>r Tastatur und <strong>de</strong>s Geräts „Personal Computer“ Dimensionen <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichungen <strong>informatischer</strong> Artefakte i<strong>de</strong>ntifiziert, die <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n<br />

empirischen Material eine Struktur geben können (4.0.). Als erste Dimension wer<strong>de</strong>n<br />

strukturelle Ausschlüsse bestimmter Personengruppen von <strong>de</strong>r Nutzung beschrieben,<br />

die aufgrund impliziter Annahmen und Problem<strong>de</strong>finitionen, auf <strong>de</strong>nen Technologien<br />

basieren, entstehen (4.1.). Die zweite Dimension umfasst die Digitalisierung von<br />

Ungleichheit durch Software, mittels <strong>de</strong>rer geschlechtsstereotype Kompetenzen,<br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung sowie geschlechtlich markierte Körper<br />

technologisch fortgeschrieben wer<strong>de</strong>n (4.2.). Weitere Formen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte kommen durch die informatischen Tätigkeiten <strong>de</strong>r<br />

Formalisierung, Dichotomisierung bzw. Klassifizierung sowie durch Objektivitätsannahmen<br />

zustan<strong>de</strong>. Sie sind auf <strong>de</strong>r Ebene ontologischer Setzungen und epistemologischer<br />

Annahmen angesie<strong>de</strong>lt und betreffen insbeson<strong>de</strong>re die Grundlagenforschung <strong>de</strong>r<br />

Informatik (4.3.).<br />

Ich beziehe mich in diesem Kapitel vorwiegend auf historische Beispiele, die nicht<br />

nur gut untersucht und ausgearbeitet sind, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>nen nicht zuletzt aufgrund <strong>de</strong>r<br />

zeitlichen Distanz zu ihrer Entstehung Aspekte sichtbar wer<strong>de</strong>n, die bei aktuellen<br />

Artefakten häufig schwerer erkennbar sind, da die ForscherInnen selbst in <strong>de</strong>r eigenen,<br />

von Technologien und Geschlecht durchdrungenen Kultur befangen sind. Dieser<br />

Zugang hat zur Folge, dass die dargestellten Ergebnisse im Kontext <strong>de</strong>s in Kapitel 3<br />

entwickelten Rahmens neu interpretiert wer<strong>de</strong>n müssen, da einzelne Studien vor<br />

einem an<strong>de</strong>ren theoretischen Hintergrund durchgeführt und interpretiert wur<strong>de</strong>n.<br />

Durch dieses Neu-Lesen vorliegen<strong>de</strong>r Untersuchungen soll das Kapitel <strong>de</strong>utlich<br />

machen, dass Geschlechter-Analysen im Bereich <strong>informatischer</strong> Artefakte stets im<br />

Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Geschlecht stehen.<br />

Gegenstrategien zu problematischen Vergeschlechtlichungen können <strong>de</strong>shalb im<br />

Berücksichtigen von Differenz, <strong>de</strong>r Rekonstruktion o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Dekonstruktion von<br />

Geschlecht bestehen. In <strong>de</strong>n Fällen, in <strong>de</strong>nen sich TechnologiegestalterInnen implizit<br />

7


als RepräsentantInnen <strong>de</strong>r NutzerInnen verstehen und dadurch Technologie mit eingeschränkten<br />

Nutzungsmöglichkeiten entwickeln, kann eine <strong>kritisch</strong>e Intervention darin<br />

bestehen, diese Nutzungsoptionen <strong>de</strong>r Artefakte zu pluralisieren und multiplizieren.<br />

Falls dagegen „unsichtbare Arbeit“ bei <strong>de</strong>r Softwareentwicklung ignoriert wur<strong>de</strong>, kann<br />

versucht wer<strong>de</strong>n, diese oft weiblich konnotierten Tätigkeiten sichtbar zu machen, zu<br />

mo<strong>de</strong>llieren und durch Technologie zu unterstützen. Bei Neutralitäts- und Objektivitätsannahmen<br />

lässt sich die vermeintliche Abwesenheit <strong>de</strong>r Kategorie Geschlecht<br />

überprüfen. Demgegenüber kann bei geschlechtsstereotypen und sexu(alis)ierten informationstechnologischen<br />

Repräsentationen versucht wer<strong>de</strong>n, Geschlecht zu <strong>de</strong>konstruieren,<br />

um <strong>de</strong>r Ten<strong>de</strong>nz zur Normalisierung von Zweigeschlechtlichkeit und<br />

Heteronormativität entgegenzuwirken. Mein Vorschlag besteht somit darin, die Strategien<br />

<strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring je nach betrachtetem informatischen Artefakt und <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung auszudifferenzieren. Die Analysen in Kapitel 4 sind als Kern<br />

dieser Arbeit zu verstehen. Sie stellen die Verbindung zwischen <strong>de</strong>m in Kapitel 3<br />

entwickelten theoretischen Verständnis <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technik und<br />

Geschlecht und <strong>de</strong>n in Kapitel 5 vorgestellten, praktisch ausgerichteten methodischen<br />

Ansätzen <strong>einer</strong> alternativen Technologiegestaltung dar.<br />

In Kapitel 5 wird die Perspektive von <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichungsprozesse<br />

und von möglichen De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategien zur Praxis <strong>de</strong>r alternativen<br />

Technologiegestaltung verschoben. Ziel dieser Untersuchungsebene ist es, methodische<br />

Konzepte zu entwickeln, mit Hilfe <strong>de</strong>rer „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red technologies“ konzipiert<br />

und gestaltet wer<strong>de</strong>n können, um damit Grundlagen <strong>einer</strong> feministisch-<strong>kritisch</strong>en<br />

Technikgestaltung herauszuarbeiten. Durch diese speziellen Gestaltungsmetho<strong>de</strong>n<br />

sollen die in Kapitel 4 i<strong>de</strong>ntifizierten Prozesse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, ohne<br />

in die im ersten Teil aufgezeigten theoretischen Fallen hineinzugeraten. 15 Das be<strong>de</strong>utet<br />

jedoch zunächst zu klären, was ein De-Gen<strong>de</strong>ring von Technologien für die<br />

betrachteten Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung be<strong>de</strong>uten kann<br />

(5.1.). Dazu wer<strong>de</strong>n aus <strong>einer</strong> geschlechtertheoretischen Perspektive drei Ziele <strong>de</strong>s<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring unterschie<strong>de</strong>n: die Berücksichtung von Differenzen, die Inklusion (d.h.<br />

gleicher Zugang und die Aufwertung <strong>de</strong>r als weiblich gelten<strong>de</strong>n Tätigkeiten und<br />

Kompetenzen) und die De-Konstruktion von Geschlecht bzw. Technologiegestaltungsprozessen.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>s formalen Charakters vieler <strong>informatischer</strong> Artefakte, die<br />

Neutralität und Objektivität suggerieren, wer<strong>de</strong>n diese Ziele ergänzt durch die Re-<br />

Kontextualisierung, Reflektion und Revision grundlegen<strong>de</strong>r Formalismen und Konzepte<br />

sowie <strong>de</strong>r Verschiebung hin zu <strong>einer</strong> konstruktivistischen Epistemologie. Insgesamt<br />

wird eine starke Situiertheit <strong>de</strong>r methodischen Vorgehensweisen empfohlen.<br />

Im Hauptteil <strong>de</strong>s Kapitels 5 sollen verschie<strong>de</strong>ne Ansätze <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en Technikgestaltung<br />

in <strong>de</strong>r Informatik vorgestellt und darauf hin untersucht wer<strong>de</strong>n, inwieweit sie<br />

zu <strong>de</strong>n Zielen <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring beitragen können. Betrachtet wer<strong>de</strong>n u.a. „User-<br />

Centered Design“ (5.2.), „Participatory Design“ (5.3.), „Reflective Design“ (5.4.), „Mind<br />

Scripting“, „Value Sensitive Design“ und „Critical Technical Practice“ (5.5.). Dabei ist zu<br />

diskutieren, ob die methodischen Konzepte zum Zweck <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring informa-<br />

15 Solche Fallen könnten beispielsweise in technik- o<strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>terministischen Positionen o<strong>de</strong>r in <strong>einer</strong><br />

Essentialisierung von Technologie bzw. Geschlecht bestehen, vgl. hierzu Kapitel 3.<br />

8


tischer Artefakte ergänzt o<strong>de</strong>r modifiziert wer<strong>de</strong>n müssen. Dies wird möglichst konkret<br />

anhand <strong>de</strong>r in Kapitel 4 beschriebenen Fallstudien ausgearbeitet.<br />

Das Abschlusskapitel 6 stellt <strong>de</strong>n mit dieser Arbeit vorgelegten Entwurf <strong>einer</strong><br />

Methodik <strong>kritisch</strong>-feministisch Technologiegestaltung zusammenfassend dar. Dabei<br />

wird auf Potentiale <strong>de</strong>s Ansatzes ebenso hingewiesen wie auf theoretische Fallstricke,<br />

Grenzen und mögliche Fehlinterpretationen. Schließlich wird „De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte“ auf <strong>de</strong>r Basis aktueller feministischer Technowissenschafts- und<br />

Geschlechterforschung – speziell Donna Haraways und. Judith Butlers Konzepte „lebbarer<br />

Welten“ bzw. „lebenswerter Leben“ – als ein Beitrag zur umfassen<strong>de</strong>ren Vision<br />

eines „Design für lebbare Welten“ dargestellt.<br />

9


Kapitel 2<br />

Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik – eine Bestandsaufnahme<br />

Die Frage nach <strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte, die das<br />

zentrale Thema <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit darstellt, ist – wie die meisten<br />

wissenschaftlichen Probleme – erst auf <strong>de</strong>r Basis bestimmter fachlicher Vorarbeiten<br />

<strong>de</strong>nkbar gewor<strong>de</strong>n. Diese Arbeit baut auf einen umfangreichen Korpus an Wissen auf,<br />

<strong>de</strong>n die Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik in <strong>de</strong>n letzten drei Deka<strong>de</strong>n hervorgebracht<br />

hat. Dieses Forschungsgebiet ist ein höchst interdisziplinäres. Es lässt sich<br />

we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Erkenntnissen <strong>de</strong>r allgemeinen Geschlechterforschung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

feministischen Technikforschung noch von <strong>de</strong>n Entwicklungen <strong>de</strong>r Informatik klar<br />

trennen. Daher wird die Fragestellung <strong>de</strong>r Arbeit insgesamt in einem breiten Rahmen<br />

diskutiert.<br />

In diesem Kapitel wer<strong>de</strong>n wesentliche Erkenntnisse und Debatten <strong>de</strong>r Geschlechterforschung<br />

beschrieben, die für die Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik relevant<br />

sind und eine Voraussetzung <strong>de</strong>s in dieser Arbeit vorgelegten Ansatzes darstellen.<br />

Gleichzeitig wer<strong>de</strong>n Forschungslücken herausgearbeitet, die im Zentrum <strong>de</strong>r<br />

Untersuchung <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Kapitel stehen. Im Abschnitt 2.1 wer<strong>de</strong>n Linien <strong>de</strong>r<br />

Theoriebildung zu Geschlecht und Technik bzw. Informatik in ihrer historischen<br />

Entwicklung vorgestellt, die das theoretische Fundament für eine Beschäftigung mit<br />

<strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte bil<strong>de</strong>n. Dabei wer<strong>de</strong>n<br />

konzeptionelle Hür<strong>de</strong>n, die im vorherrschen<strong>de</strong>n Wissenschaftsverständnis <strong>de</strong>r<br />

Informatik und in <strong>de</strong>n Differenzansätzen <strong>de</strong>r Geschlechterforschung begrün<strong>de</strong>t sind,<br />

ebenso diskutiert, wie konstruktivistische Theorien, welche die Möglichkeit, die<br />

Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte zu <strong>de</strong>nken, prinzipiell eröffnet haben.<br />

Der Abschnitt 2.2 gibt auf dieser Grundlage einen Überblick über die zentralen, aktuell<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Ansätze <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik. Diese wer<strong>de</strong>n in<br />

Hinblick auf ihren jeweiligen Beitrag, die Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte zu verstehen, dargelegt. Ferner wer<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n und einzelne<br />

Projekte, die sich als Ansätze eines De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte verstehen<br />

lassen, vor <strong>de</strong>m theoretischen Hintergrund eines binäritäts<strong>kritisch</strong>en Geschlechtsverständnisses<br />

diskutiert.<br />

Ziel dieses Kapitels ist es somit, die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit in <strong>de</strong>n gegenwärtigen Stand<br />

<strong>de</strong>r Forschung einzuordnen. Dabei wer<strong>de</strong>n erstens Theorie und zweitens empirische<br />

Analysen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte sowie drittens methodische Ansätze<br />

eines De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte diskutiert. Während <strong>de</strong>r Aufbau und die<br />

Hauptargumentationslinien <strong>de</strong>r gesamten Arbeit in <strong>de</strong>r Einleitung bereits positiv<br />

beschrieben wur<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n sie hier anhand <strong>de</strong>r in diesem Kapitel herausgearbeiteten<br />

Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rata ausführlich erläutert.<br />

2.1. Historischer Hintergrund zur Theoriebildung über Technik, Informatik<br />

und Geschlecht<br />

Um die Frage nach <strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte zu<br />

erklären, ist ein historischer Rückblick auf die Theoriebildung zu <strong>de</strong>n Verhältnissen von<br />

11


Geschlecht und Technik bzw. Informatik seit <strong>de</strong>n 1970er Jahren notwendig. Dabei<br />

lassen sich meines Erachtens drei grundlegen<strong>de</strong> Zeiträume differenzieren: erstens die<br />

Anfangszeit <strong>de</strong>r Disziplin Informatik in <strong>de</strong>n 1970er und 1980er Jahre, in <strong>de</strong>r ein<br />

Objektivitätsverständnis dominierte, durch das eine Vergeschlechtlichung von Technik<br />

un<strong>de</strong>nkbar war. Zu dieser Zeit war <strong>de</strong>r Geschlechterdiskurs von Differenz- und<br />

Gleichheitsansätzen geprägt. Zweitens haben sich seit <strong>de</strong>n 1990er Jahren in vielen<br />

Wissenschaftsbereichen, zum Teil auch in <strong>de</strong>r Informatik, sozialkonstruktivistische und<br />

<strong>de</strong>konstruktivistische Ansätze durchgesetzt. Drittens entstan<strong>de</strong>n während <strong>de</strong>r letzten<br />

Deka<strong>de</strong> seit <strong>de</strong>r Jahrtausendwen<strong>de</strong> vor allem in Bereichen außerhalb <strong>de</strong>r Informatik<br />

Konzeptionen eines De-Gen<strong>de</strong>ring, die – wie die vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit zeigt – wichtige<br />

Impulse für eine Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik<br />

gegeben haben.<br />

Differenz vs. Gleichheit in <strong>einer</strong> als objektiv und wertfrei gelten<strong>de</strong>n Disziplin<br />

In <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>r Informatik war zwar <strong>de</strong>r geringe Frauenanteil innerhalb <strong>de</strong>s<br />

aka<strong>de</strong>mischen Faches und in informatischen Berufen offensichtlich, 16 jedoch wur<strong>de</strong> die<br />

Disziplin selbst als objektiv, wertfrei und damit als geschlechtsneutral angesehen.<br />

Dieses Wissenschaftsverständnis kann unter an<strong>de</strong>rem durch die starken historischen<br />

Wurzeln <strong>de</strong>r Informatik in <strong>de</strong>r Mathematik und Elektrotechnik erklärt wer<strong>de</strong>n, die bis<br />

heute in <strong>de</strong>n Zweigen <strong>de</strong>r Theoretischen Informatik und Technischen Informatik<br />

präsent sind. 17 Deshalb zeigten zwar viele FachvertreterInnen durchaus ein Interesse<br />

an <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n für die Unterrepräsentanz von Frauen sowie an möglichen Maßnahmen,<br />

diese Situation zu verbessern. Allerdings wur<strong>de</strong>n diese Fragen nicht notwendigerweise<br />

als ein legitimes Teilgebiet <strong>de</strong>r Informatik aufgefasst, son<strong>de</strong>rn vorwiegend<br />

in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Frauenför<strong>de</strong>rung und Gleichstellung verwiesen. 18<br />

Aufgrund <strong>de</strong>r engen Verflechtungen von Informationstechnologie und sozialkulturellen<br />

Entwicklungen konnten die Themen <strong>de</strong>r Geschlechterforschung – im<br />

Unterschied zu <strong>de</strong>n meisten an<strong>de</strong>ren naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen –<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Informatik einen Platz fin<strong>de</strong>n. Sie wur<strong>de</strong>n und wer<strong>de</strong>n primär im Fachgebiet<br />

„Informatik und Gesellschaft“ verhan<strong>de</strong>lt, welches die Wechselwirkungen von Informationstechnologie<br />

mit Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur und Individuen<br />

untersucht. 19 In diesem Rahmen wur<strong>de</strong>n zunächst biografische und strukturelle<br />

Ursachen für die ungleiche Partizipation <strong>de</strong>r Geschlechter an <strong>de</strong>r Disziplin diskutiert. 20<br />

Gleichzeitig wiesen feministische InformatikerInnen auch auf Zusammenhänge <strong>de</strong>r<br />

Unterrepräsentanz von Frauen mit <strong>de</strong>m Verständnis von Informatik als objektiver<br />

Wissenschaft sowie als technisch orientierter bzw. ingenieurwissenschaftlicher<br />

Disziplin hin. 21 Sie argumentierten dabei in erster Linie auf <strong>einer</strong> wissenschaftstheore-<br />

16<br />

Freyer 1993 zufolge lag <strong>de</strong>r Frauenanteil unter <strong>de</strong>n Informatikstudieren<strong>de</strong>n in Deutschland 1980 bei<br />

19% und sank bis 1991 auf 10%. Im Studienjahr 2007/2008 beträgt dieser Anteil wie<strong>de</strong>r 17%, doch nur<br />

8,5% <strong>de</strong>r Professuren sind mit Frauen besetzt (Quelle: Jahresbericht <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Gesellschaft für<br />

Informatik für das Studienjahr 2007/2008).<br />

17<br />

Zur Entstehungsgeschichte <strong>de</strong>r Informatik an <strong>de</strong>utschen Universitäten vgl. Coy 2004.<br />

18<br />

Vgl. hierzu auch Bath 2001b, 2002a.<br />

19<br />

Vgl. etwa Friedrich/ Hermann/ Peschek/ Rolf 1995, Schwerpunktheft „Informatik und Gesellschaft als<br />

aka<strong>de</strong>mische Disziplin“ <strong>de</strong>r FifF-Kommunikation 4/2001, Fuchs/ Hofkirchner 2003, Kreowski 2008.<br />

20<br />

Vgl. etwa Hoffmann 1987, Roloff 1989, Behnke 1992, Funken/ Schinzel 1993, Schmitt 1993, Schinzel et<br />

al. 1998, Schinzel 2000.<br />

21<br />

Vgl. etwa Schinzel 1992, 1993, siehe auch Grundy 1998, 2000a, b.<br />

12


tischen Ebene gegen verengte Vorstellungen <strong>de</strong>r Disziplin. Diese Kritik, die <strong>de</strong>m<br />

damaligen Stand <strong>de</strong>r feministischen Naturwissenschaftsanalyse entsprechend auf<br />

Metaphernanalysen und Geschlechtersymbolismen basierte, erschienen jedoch<br />

schwer auf die Konzepte <strong>de</strong>r Softwareentwiklung und Informatik übertragbar. Denn es<br />

blieb unklar, wie vermeintlich weibliche Vorlieben fürs Konkrete, Subjektive und Emotionale<br />

für die Konzeption und Gestaltung <strong>informatischer</strong> Artefakte produktiv nutzbar<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n könnte, da <strong>de</strong>r „Kern“ informatischen Han<strong>de</strong>lns gera<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n<br />

jeweiligen Gegenpolen, das heißt auf <strong>de</strong>m Abstrakten, Objektiven und Rationalen, zu<br />

beruhen schien. 22<br />

Da die bis zu dieser Zeit vorherrschen<strong>de</strong>n feministischen Ansätze vorwiegend auf<br />

Erklärungsmo<strong>de</strong>llen basierten, die eine produktive Übersetzung zwischen Geschlechterforschung<br />

und Informatik erschwerten, war die Frauenforschung <strong>de</strong>r 1970er und<br />

1980er Jahre quasi gespalten. 23 Einerseits war sie von liberalen Ansätzen geprägt, die<br />

auf die Gleichstellung <strong>de</strong>r Geschlechter zielten und die Wissenschaft und Technik<br />

selbst nicht hinterfragten. An<strong>de</strong>rerseits dominierten vor allem ökofeministische Positionen,<br />

die eine <strong>kritisch</strong>e Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Technik weitgehend verhin<strong>de</strong>rten. 24<br />

Denn <strong>de</strong>r Ökofeminismus verstand Technik als inhärent und essentiell patriarchal und<br />

begrün<strong>de</strong>te damit eine prinzipielle Ablehnung von Technologien, die auch die<br />

Beteiligung an <strong>de</strong>ren technischer (Neu-)Entwicklung und Konstruktion betraf. Als<br />

TechnikgestalterInnen konnten sich feministische Informatikerinnen nicht direkt auf<br />

diesen Ansatz beziehen. 25 Dennoch diskutierten sie Varianten, die ebenso wie <strong>de</strong>r<br />

Ökofeminismus eine prinzipielle Differenz zwischen Frauen und Männern unterstellten.<br />

Einige Vertreterinnen sahen Chancen für Frauen in <strong>de</strong>r Informatik darin, dass kommunikative<br />

und generell soziale Kompetenzen, die als weibliche Eigenschaften verstan<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r Software-Entwicklung an Be<strong>de</strong>utung gewannen. 26 Dieses Argument<br />

wur<strong>de</strong> von Feministinnen wie von kultur<strong>kritisch</strong>en VertreterInnen <strong>de</strong>r Disziplin<br />

dahingehend gewandt, große Hoffnungen auf Frauen zu setzen. Gera<strong>de</strong> sie könnten<br />

eine verantwortungsvollere, menschlichere Technik als die bestehen<strong>de</strong> entwickeln, da<br />

sie qua Geschlecht o<strong>de</strong>r Sozialisation fürsorglicher und sozialer als Männer seien. 27<br />

Als eine weitere Variante geschlechtsdifferenzieren<strong>de</strong>r Zuweisungen wur<strong>de</strong> die These<br />

vom frauenspezifischen Zugang zu Technik bzw. von weiblichen Umgangsweisen mit<br />

Artefakten vertreten 28 und die Behauptung diskutiert, dass es harte und weiche<br />

Programmierstile gäbe, die geschlechtlich zugeordnet wer<strong>de</strong>n könnten. 29 Insgesamt<br />

waren diese Ansätze jedoch äußerst umstritten. Sie unterminierten zu<strong>de</strong>m in <strong>de</strong>n<br />

22 Vgl. etwa Krabbel 1988.<br />

23 Für Überblicke zur feministischen Technik<strong>de</strong>batte vgl. Gill/Grint 1995, Bath 1996, Singer 1998,<br />

Henwood 2000, Saupe 2002, sowie speziell für die Informatik Bath 2000, 2005, Maaß et al. 2007.<br />

24 Die bekannteste <strong>de</strong>utsche Vertreterin <strong>de</strong>s Ökofeminismus ist Maria Mies, vgl. Mies 1984, 1990 [1984].<br />

Zur Gleichsetzung von Frau und Natur, die mit <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>r Unvereinbarkeit von Weiblichkeit und<br />

Technik korreliert vgl. <strong>kritisch</strong> Wichterich 1995.<br />

25 Dennoch wur<strong>de</strong>n insbeson<strong>de</strong>re die Auswirkungen <strong>de</strong>s Computereinsatzes auf Frauen(arbeitsplätze)<br />

<strong>kritisch</strong> beurteilt, vgl. etwa Webster 1996, siehe auch die kontroverse Diskussion um Telearbeit, vgl. etwa<br />

Winker 1997.<br />

26 So fragt etwa Reisin 1988a, ob menschenzentrierte Softwareentwicklung ein typisch weibliches Anliegen<br />

sei. Zehn Jahre später belegt Funken 1998, dass weibliche TechnikgestalterInnen die NutzerInnen<br />

besser verstün<strong>de</strong>n.<br />

27 Vgl. etwa Janshen 1990 sowie <strong>kritisch</strong> dazu Holtgreve 1991, Bath 2000.<br />

28 Vgl. etwa Bran<strong>de</strong>s/ Schiersmann 1986, Schiersmann 1987 sowie <strong>kritisch</strong> dazu Schelhowe 1989b.<br />

29 Vgl. etwa Turkle 1986.<br />

13


Augen <strong>de</strong>rjenigen FachvertreterInnen, die von einem durch Objektivität geprägten<br />

Wissenschaftsverständnis ausgingen, die Glaubwürdigkeit <strong>de</strong>r Geschlechterforschung.<br />

Die Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik bewegte sich somit lange Zeit im<br />

Wesentlichen zwischen zwei Polen: <strong>de</strong>m liberalen Ansatz, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>r<br />

prinzipiellen Gleichheit <strong>de</strong>r Geschlechter beruht, und <strong>de</strong>m Differenzansatz, <strong>de</strong>r prinzipielle<br />

Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern unterstellt. Während die Maßnahmen<br />

<strong>de</strong>s liberalen Ansatzes letztendlich erfolglos blieben, insofern sie sich ausschließlich<br />

auf die För<strong>de</strong>rung von Frauen konzentrierten, 30 ohne dabei das institutionell-kulturelle<br />

Umfeld zu verän<strong>de</strong>rn, ließen sich die Thesen zur Differenz zwischen <strong>de</strong>n<br />

Geschlechtern empirisch nicht ein<strong>de</strong>utig nachweisen.<br />

Sozialkonstruktivistische Ansätze in <strong>de</strong>r Geschlechter- und Technikforschung<br />

Erst mit <strong>einer</strong> sozialkonstruktivistischen Auffassung von Geschlecht, aber auch von<br />

Technik, die sich ab <strong>de</strong>n 1990er Jahren zunehmend durchsetzte, geriet die<br />

festgefahrene, zwischen Differenz und Gleichheitsansätzen polarisierte Debatte in<br />

Bewegung. 31 Diese Verschiebung in <strong>de</strong>n theoretischen Konzepten ermöglichte es nun,<br />

nach <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte zu fragen, ohne Technik – wie<br />

beim Gleichheitsansatz – prinzipiell als neutral zu betrachten o<strong>de</strong>r – wie beim<br />

Differenzansatz – per se als „männlich“ zu begreifen. Vielmehr konnten nun jenseits<br />

pauschaler Technik- und Geschlechterauffassungen Prozesse <strong>de</strong>r Zuweisungen von<br />

technischen Artefakten zu Geschlechterkonstruktionen auf Basis konstruktivistischer<br />

Ansätze in <strong>de</strong>n Blick genommen wer<strong>de</strong>n. 32<br />

Zu <strong>de</strong>m neuen Verständnis von Geschlecht in <strong>de</strong>r Geschlechterforschung hatte<br />

insbeson<strong>de</strong>re die breite Rezeption von Judith Butlers Arbeiten beigetragen, die sich<br />

gegen Naturalisierungen wandte und Geschlecht zugleich als einen Effekt von Diskurs<br />

begreift. 33 Ihr Ansatz unterlief die bis dato in <strong>de</strong>m Gebiet übliche Unterscheidung<br />

zwischen körperlichem und sozialem Geschlecht (im Englischen „sex“ und „gen<strong>de</strong>r“)<br />

und eröffnete <strong>de</strong>n Blick auf die performativen Prozesse <strong>de</strong>r Herstellung von Geschlechtern<br />

und Subjekten. Jedoch erschien <strong>de</strong>n GeschlechterforscherInnen in <strong>de</strong>r Infomatik<br />

diese Forschungsperspektive zunächst ebenso schwer mit <strong>de</strong>n konstruktiv-technischen<br />

Ansprüchen ihrer Disziplin verknüpfbar wie die frühen wissenschaftstheoretischen<br />

Kritiken. 34 Die Diskussionen und Fallstudien zu <strong>de</strong>n Geschlechter-Technik-Verhältnissen<br />

waren in <strong>de</strong>n 1990er Jahren <strong>de</strong>shalb vorwiegend auf Perspektiven <strong>de</strong>s „Doing<br />

Gen<strong>de</strong>r“ 35 (and Technology) beschränkt, ohne dabei das Zweigeschlechtlichkeitssystem<br />

grundlegend zu hinterfragen und ohne dabei <strong>de</strong>n eigenen Anteil daran, dieses<br />

strikt binär konzipierte System durch <strong>de</strong>n Bezug auf „Frauen“ o<strong>de</strong>r Geschlechterdifferenzen<br />

in wissenschaftliche Arbeiten mitzukonstruieren und aufrechtzuerhalten,<br />

ausreichend zu reflektieren.<br />

30<br />

Vgl. hierzu Henwood 2000, Bath 2000, Saupe 2002<br />

31<br />

Für einen Überblick über verschie<strong>de</strong>ne Strömungen <strong>de</strong>s Konstruktivismus in <strong>de</strong>r Geschlechterforschung<br />

vgl. etwa Helduser et al. 2004.<br />

32<br />

Vgl. hierzu auch Bath 2002a.<br />

33<br />

Vgl. Butler 1991 [1990], 1995 [1993], für die Rezeption ihres Ansatzes in Deutschland vgl. das Schwerpunktheft<br />

„Kritik <strong>de</strong>r Kategorie Geschlecht“ <strong>de</strong>r Feministischen Studien 2/1993 sowie zusammenfassend<br />

Knapp 2000.<br />

34<br />

Vgl. hierzu die Tagung „Erfahrung und Abstraktion. Frauensichten auf die Informatik“ in Hamburg 1994.<br />

Für einen Tagungsbericht siehe Löchel 1994.<br />

35 Vgl. West/ Zimmerman 1987.<br />

14


GeschlechterforscherInnen in <strong>de</strong>r Informatik bezogen sich vor allem auf <strong>kritisch</strong>e<br />

Ansätze in <strong>de</strong>r Disziplin, die nach <strong>de</strong>n historischen, gesellschaftlichen und wissenschaftstheoretischen<br />

Grundlagen <strong>de</strong>s Faches fragten. 36 Aufgrund <strong>de</strong>s verstärkten<br />

Einsatzes von Computern an Arbeitsplätzen im Laufe <strong>de</strong>r 1980er Jahre wur<strong>de</strong> zunehmend<br />

<strong>de</strong>utlich, dass Softwareentwicklung als Gestaltung von Arbeit zu verstehen ist.<br />

Deshalb plädierten <strong>kritisch</strong>e FachvertreterInnen für eine Erweiterung <strong>de</strong>s vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

wissenschaftlichen Selbstverständnisses <strong>de</strong>r Informatik um arbeits- und sozialwissenschaftliche<br />

Erkenntnisse und Metho<strong>de</strong>n. 37 Dieser Aufruf wur<strong>de</strong> von feministischer<br />

Seite <strong>einer</strong>seits auf <strong>einer</strong> theoretischen Ebene begrüßt. 38 Zugleich griffen<br />

Frauen- und Geschlechterforscherinnen diese For<strong>de</strong>rung auf, um im Zuge <strong>de</strong>r mit<br />

Informationstechnik verbun<strong>de</strong>nen Neuorganisation betrieblicher Strukturen auch<br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilungen und Zuweisungen zu verän<strong>de</strong>rn. 39 Das<br />

Vorhaben, die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten an sogenannten Frauenarbeitsplätzen<br />

durch eine entsprechen<strong>de</strong> Technikgestaltung zu verbessern, wur<strong>de</strong> zu einem<br />

zentralen Anliegen <strong>de</strong>r Frauen- und Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik.<br />

Parallel zu <strong>de</strong>n Entwicklungen in <strong>de</strong>r Geschlechterforschung und Informatik setzten<br />

sich während <strong>de</strong>r 1990er Jahre auch in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

konstruktivistische Ansätze durch. 40 Diese begriffen Technik als soziale Konstruktion<br />

und setzten sie nicht mehr als gegeben o<strong>de</strong>r als fertiges Produkt voraus. Vielmehr<br />

konnten nun die historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Prozesse differenziert<br />

untersucht wer<strong>de</strong>n, die Technologie Be<strong>de</strong>utung verleihen. In <strong>de</strong>r feministischen Technikforschung<br />

41 wur<strong>de</strong>n die bei<strong>de</strong>n Konzepte <strong>de</strong>r sozialen Konstruktion (wohlbemerkt<br />

aber nicht die <strong>de</strong>konstruktiven Ansätze) von Geschlecht und von Technik zusammengedacht.<br />

Seither kann von <strong>de</strong>r „Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht“ ausgegangen<br />

wer<strong>de</strong>n: „An emerging technofeminism conceives of a mutually shaping<br />

relationship between gen<strong>de</strong>r and technology, in which technology is both a source and<br />

a consequence of gen<strong>de</strong>r relations. In other words, gen<strong>de</strong>r relations can be thought of<br />

as materialized in technology, and masculinity and femininity in turn acquire their<br />

meaning and character through their enrolment and embed<strong>de</strong>dness in working<br />

machines“ (Wajcman 2004, 107).<br />

Das Konzept <strong>de</strong>r Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht 42 ist ein wichtiger<br />

Meilenstein dafür, das Gen<strong>de</strong>ring von Informationstechnologien theoretisch zu fassen.<br />

Fallstudien auf dieser Grundlage beschäftigen sich jedoch bisher eher mit <strong>de</strong>r Konstitution<br />

von Subjekten und Netzwerken, etwa <strong>de</strong>r Frage, wie durch Technik (hegemoniale)<br />

Männlichkeit hergestellt wird, o<strong>de</strong>r sie untersuchen vergeschlechtlichte Berufskulturen<br />

in <strong>de</strong>n Ingenieurwissenschaften sowie auch Nutzungsaspekte <strong>de</strong>s Internet. 43<br />

Damit fokussieren die Analysen, wie sich Geschlecht und Technik gleichzeitig<br />

36<br />

Vgl. Coy et al. 1992, Floyd et al. 1992, siehe auch Hellige 2004.<br />

37<br />

Später wur<strong>de</strong> diesem Argument hinzugefügt, dass <strong>de</strong>r mediale Charakter <strong>de</strong>s Computers und die<br />

Interaktivität von Computersystemen eine Erweiterung <strong>de</strong>s Wissenschaftsverständnisses in <strong>de</strong>r Informatik<br />

notwendig mache, vgl. Coy 1995, Schelhowe 1997.<br />

38<br />

Vgl. Schelhowe 1993, Erb 1996, Schelhowe 2004, Björkman 2005<br />

39<br />

Vgl. hierzu die frühen feministischen Projekte <strong>de</strong>s „Participatory Design“ <strong>de</strong>r Skandinavischen Schule,<br />

die in Kapitel 5.3.diskutiert wer<strong>de</strong>n. Für ein Beispiel aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Raum vgl. etwa Winker 1995.<br />

40<br />

Vgl. MacKenzie/ Wajcman 1985, Bijker et al. 1987, Bijker/ Law 1992 sowie die Ausführungen in Kapitel<br />

3.3.<br />

41<br />

Für Überblicke vgl. etwa Wajcman 1994 [1991], Wajcman 2007.<br />

42<br />

Vgl. etwa Faulkner 2001, Wajcman 2004.<br />

43<br />

Vgl. etwa Paulitz 2005, Carstensen 2007, Schachtner/ Winker 2005 sowie Faulkner 2007.<br />

15


konstituieren, stärker auf die Seite <strong>de</strong>r vergeschlechtlichten Subjekte und weniger auf<br />

die Herstellung <strong>de</strong>r technischen Artefakte, die im Zentrum dieser Arbeit steht. Darüber<br />

hinaus kann mit Blick auf das Anliegen <strong>einer</strong> theoretischen Fundierung <strong>de</strong>r Fragestellung<br />

dieser Arbeit kritisiert wer<strong>de</strong>n, dass das Konzept <strong>de</strong>r Ko-Konstruktion von<br />

Technik und Geschlecht <strong>de</strong>n Hybridcharakter <strong>informatischer</strong> Artefakte als Zeichen und<br />

Gegenstand nicht ausreichend berücksichtigt. Denn ein umfassen<strong>de</strong>s Verständnis<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte als Hybridobjekte erfor<strong>de</strong>rt zusätzliche ethische und epistemologische<br />

Analyseebenen, 44 die über die sozialwissenschaftlichen Perspektiven, aus<br />

<strong>de</strong>nen heraus das Konzept entwickelt wur<strong>de</strong>, hinausweisen.<br />

Für eine Analyse <strong>de</strong>r wissenschaftstheoretischen Aspekte <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte sind daher auch die Interventionen Donna Haraways von<br />

zentraler Be<strong>de</strong>utung (vgl. Haraway 1995d [1988]). 45 Haraway übernahm von <strong>de</strong>n<br />

frühen ökofeministischen Ansätzen <strong>de</strong>n wissenschafts<strong>kritisch</strong>en Anspruch, wen<strong>de</strong>te<br />

diesen jedoch zugleich politisch wie poststrukturalistisch. Der objektivistische Blick von<br />

Nirgendwo („view from nowhere“) ist ihr zufolge nicht möglich, da Wissen stets von<br />

einem spezifischen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ort aus entsteht.<br />

D.h. Wissen ist physisch und physikalisch verkörpert, sozial konstruiert und in kulturelle<br />

Politiken eingebun<strong>de</strong>n sowie durch das forschen<strong>de</strong> Subjekt bedingt, <strong>de</strong>ssen Geschlecht,<br />

Klasse, Ethnie und subjektive Erfahrungen die Forschungsergebnisse<br />

mitbestimmen. Deshalb ist je<strong>de</strong>s Wissen notwendigerweise parteilich, verortet und<br />

situiert.<br />

In ihrem berühmten Cyborg-Manifest bezog Haraway (1995c [1985], 35ff) darüber<br />

hinaus <strong>de</strong>zidiert Position gegen <strong>de</strong>n Ökofeminismus und <strong>de</strong>ssen Annahme essentialistischer<br />

Geschlechterdifferenz. Statt Technik zu dämonisieren analysierte sie die<br />

aktuellen Technowissenschaften aus politischer, erkenntnistheoretischer und feministischer<br />

Perspektive. Dabei konstatierte sie eine Auflösung <strong>de</strong>r geschlechtlich kodierten<br />

Dichotomie von Natur und Kultur, aber auch <strong>de</strong>r Grenzen zwischen Mensch und<br />

Maschine. FeministInnen rief sie explizit dazu auf, diese Grenzverwischung zu genießen<br />

und Verantwortung bei <strong>de</strong>ren Neukonstruktion zu übernehmen. Damit ist ihr<br />

Ansatz nicht nur wissenschaftstheoretisch und ethisch zu verstehen, son<strong>de</strong>rn for<strong>de</strong>rt zu<br />

(feministischen) Interventionen auf. Mit Hilfe ihrer theoretischen Konzeptionen wird<br />

eine feministische Technikgestaltung jenseits <strong>de</strong>r These frauenspezifischen Umgangs<br />

mit Technik und <strong>de</strong>r Hoffnung, <strong>de</strong>rzufolge Frauen eine bessere, sozial verträgliche<br />

Technik entwickeln wür<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nkbar. Haraway stellt jedoch kein explizites Konzept <strong>de</strong>s<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring von Technologien zu Verfügung. 46<br />

Theoretische Konzepte <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

Aus an<strong>de</strong>ren Disziplinen und zu an<strong>de</strong>ren Gegenstandbereichen als technischen Artefakten<br />

dagegen liegen bereits ausgearbeitete Vorschläge für ein De-Gen<strong>de</strong>ring vor. So<br />

zielt etwa das Konzept <strong>de</strong>r Soziologin Judith Lorber (vgl. Lorber 2000, 2004) auf eine<br />

radikale Auflösung <strong>de</strong>r Zwei-Geschlechter-Struktur. „Ein einfacher Einstieg in das<br />

44<br />

Zur Notwendigkeit, ethische und wissenschaftstheoretische Aspekte in die Analyse <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte einzubeziehen vgl. die Ausführungen in <strong>de</strong>r Einleitung.<br />

45<br />

Für einen Überblick über die Rezeption Haraways im <strong>de</strong>utschsprachigen Raum vgl. etwa<br />

Messerschmidt 2007.<br />

46<br />

Zu Haraways Ansatz vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 3.4<br />

16


Degen<strong>de</strong>ring besteht darin, sich klar zu machen, dass die bei<strong>de</strong>n Geschlechter alles<br />

an<strong>de</strong>re als homogene Kategorien sind, da in <strong>de</strong>n meisten westlichen Gesellschaften<br />

alle möglichen an<strong>de</strong>ren Formen <strong>de</strong>s sozialen Status – rassisch-ethnische Gruppe,<br />

soziale Klasse, Familienstand, Status <strong>de</strong>r Eltern, nationale I<strong>de</strong>ntität, Religionszugehörigkeit<br />

– sowie individuelle Varianten wie Alter, sexuelle Orientierung und körperliche<br />

Verfassung quer durch sie hindurchgehen. […] Zusätzlich zu dieser bewussten<br />

Wahrnehmung <strong>de</strong>r Komplexität <strong>de</strong>r Geschlechter besteht ein an<strong>de</strong>rer wichtiger<br />

Prozess <strong>de</strong>s Degen<strong>de</strong>ring darin, sich klar zu machen, dass Frauen und Männer in<br />

ihrem Verhalten, ihrem Denken und ihren Gefühlen ähnlich sind, und bei diesen<br />

Ähnlichkeiten anzusetzen – also die Geschlechtergrenzen zu verwischen“ (Lorber<br />

2004, 10). Geschlecht träte <strong>de</strong>mnach zurück, wenn <strong>de</strong>r Blick auf die Subjekte und<br />

sozialen Interaktionen gerichtet wird. Jedoch wür<strong>de</strong> die Kategorie wie<strong>de</strong>r hervortreten,<br />

wenn sozial strukturieren<strong>de</strong> Praktiken fokussiert wer<strong>de</strong>n. Lorber zufolge hätte ein De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring, das einen tief greifen<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l einleiten soll, an <strong>de</strong>n vergeschlechtlichten<br />

sozialen Strukturen anzusetzen, die über grundlegen<strong>de</strong> gesellschaftliche Institutionen<br />

wie Erwerbszusammenhänge, Familien, Bildungseinrichtungen, Religionen und<br />

kulturelle Institutionen vermittelt sind,. Ihr Ansatz könnte im Hinblick auf die Mitwirkung<br />

von Technologie an <strong>de</strong>r Herstellung vergeschlechtlichter sozialer Strukturen weiter<br />

gedacht wer<strong>de</strong>n. Jedoch ist ihr Konzept bislang noch nicht dafür genutzt wor<strong>de</strong>n, ein<br />

Konzept <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte zu entwickeln.<br />

Ein weiteres mögliches Verständnis <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring liefert die Philosophin Judith<br />

Butler mit ihrem Konzept <strong>de</strong>s „Undoing Gen<strong>de</strong>r“ (2004), das an ihrem performativen<br />

Verständnisses von Geschlecht 47 ansetzt. Sie teilt Lorbers Plädoyer, binäre und<br />

heterosexuelle Konzeptionen zu verlassen, fokussiert jedoch nicht auf gesellschaftliche<br />

Institutionen, son<strong>de</strong>rn auf die diskursiven Konstruktionen von Subjekten, Sexualität und<br />

Geschlechteri<strong>de</strong>ntitäten. Auf dieser Grundlage lässt sich ihr Konzept als ein „undo[ing]<br />

restrictively normative conceptions of sexual and gen<strong>de</strong>red life“ (Butler 2004, 1)<br />

begreifen. Butler betont, dass es jedoch gute wie schlechte Seiten <strong>de</strong>r Erfahrung <strong>de</strong>s<br />

“becoming undone” gäbe: „Sometimes a normative conception of gen<strong>de</strong>r can undo<br />

one’s personhood, un<strong>de</strong>rmining the capacity to persevere in a livable life. Other times,<br />

the experience of a normative restriction becoming undone can undo a prior conception<br />

of who one is only to inaugurate a relatively newer one that has greater livability as its<br />

aim“ (ebd.). Nach Butler sei damit auch immer verbun<strong>de</strong>n, Menschenrechte und<br />

Gerechtigkeit zu wahren. Eine wesentliche Voraussetzung dafür sei die Verän<strong>de</strong>rung<br />

restriktiver Geschlechternormen, <strong>de</strong>ren Effekt inhuman sei, da sie <strong>de</strong>n Individuen – wie<br />

sie am Beispiel von Intersexualität und Transsexualität aufzeigt – ein binäres<br />

Geschlechtersystem aufzwängen und <strong>de</strong>shalb Interventionen erfor<strong>de</strong>rlich machen. „To<br />

intervene in the name of transformation means precisely to disrupt what has become<br />

settled knowledge and knowable reality and to use […] one’s unreality to make an<br />

otherwise impossible or illegible claim“ (Butler 2004, 27). Die von ihr vorgeschlagenen<br />

Eingriffe zielen somit auf Wissenskonzeptionen und symbolische Dimensionen von<br />

Geschlecht. So betrachtet, eröffnet Butler die Möglichkeit, ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>rjenigen<br />

informatischen Artefakte zu <strong>de</strong>nken, die geschlechtliche Subjekte und vergeschlechtlichte<br />

Wissensformationen hervorbringen. Es bleibt jedoch offen, wie ihr Konzept o<strong>de</strong>r<br />

47 Vgl. hierzu die Bemerkungen in <strong>de</strong>r Einleitung sowie die Ausführungen in Kapitel 3.8.<br />

17


auch das Lorbers für die Technikgestaltung in <strong>de</strong>r Informatik genutzt und konkret<br />

umgesetzt wer<strong>de</strong>n könnte.<br />

2.2. Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte:<br />

Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rate im aktuellen Diskurs<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n möchte ich vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r skizzierten Theoriebildungsprozesse<br />

und <strong>de</strong>r Entwicklungen in <strong>de</strong>r Informatik <strong>de</strong>n gegenwärtigen Stand <strong>de</strong>r<br />

Diskussionen zur Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte zusammenfassen. Ich<br />

unterschei<strong>de</strong> drei Perspektiven, die in <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit durch die<br />

Hauptkapitel 3 bis 5 wie<strong>de</strong>r aufgenommen und weiter geführt wer<strong>de</strong>n: erstens<br />

theoretische Konzepte <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte, zweitens<br />

empirische Analysen <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik und drittens<br />

Vorschläge, Maßnahmen und Metho<strong>de</strong>n, die dazu dienen, problematischen<br />

Vergeschlechtlichungen entgegenzuwirken. Ziel ist es, Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rate zu<br />

i<strong>de</strong>ntifizieren.<br />

Zum Stand theoretischer Konzeptionen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

Für die Frage, wie das Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

theoretisch gefasst wer<strong>de</strong>n kann, liegen mit <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlich-konstruktivistischen<br />

Technikforschung, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>konstruktivistischen Geschlechteranalyse<br />

und insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Konzeptionen Butlers, Haraways und Lorbers, eine<br />

Reihe fruchtbarer Ansätze vor. Diese wur<strong>de</strong>n jedoch bisher noch nicht zu einem<br />

eigenständigen theoretischen Konzept weiterentwickelt, welches die Vergeschlechtlichungsprozesse<br />

speziell für die in <strong>de</strong>r Informatik produzierten Artefakte erklärt. Das<br />

Vorhaben, das diese Arbeit leitet, birgt mehrere Herausfor<strong>de</strong>rungen. Erstens ist <strong>de</strong>r<br />

Prozesscharakter <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring, auf <strong>de</strong>n speziell Butler hingewiesen hatte, zu<br />

berücksichtigen sowie das binäre Geschlechtersystem <strong>de</strong>konstruktiv zu hinterfragen.<br />

Dies konnte die sozialkonstruktivistische Perspektive <strong>de</strong>r Ko-Konstruktion von Technik<br />

und Geschlecht bisher noch nicht ausreichend leisten. Ein zweites, bislang noch nicht<br />

angesprochenes Problem besteht darin, die Verhältnisse von Mensch und Maschine<br />

bzw. von Gesellschaft und Technik vor <strong>de</strong>m Hintergrund neuerer Ansätze <strong>de</strong>r<br />

Technikforschung zu begreifen, die Technik eine gewisse Handlungsfähigkeit<br />

(„agency“) zugestehen. Zwar grün<strong>de</strong>t Haraways Ansatz auf einem solchen<br />

Verständnis, sie hat jedoch selbst kein Konzept vorgelegt, wie das Gen<strong>de</strong>ring von<br />

Technologie auf dieser Basis gedacht wer<strong>de</strong>n kann. Drittens hat Haraway auf Politik,<br />

Verantwortlichkeit und Wissenschaftstheorie im Kontext <strong>de</strong>r Wissens- und<br />

Technologieproduktion aufmerksam gemacht. Jedoch bleibt dabei unklar, wie diese<br />

Aspekte mit <strong>einer</strong> über die Analyse hinausgehen<strong>de</strong>n Konstruktion von technischen<br />

Artefakten zu verbin<strong>de</strong>n ist. Viertens stellt sich schließlich die Frage, wie ein Konzept<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung die spezifische Hybridität <strong>informatischer</strong> Artefakte und <strong>de</strong>ren<br />

sozio-technische bzw. materiell-diskursive Wirksamkeit berücksichtigen kann. In<br />

Kapitel 3 wer<strong>de</strong>n diese Forschungslücken auf <strong>de</strong>r theoretischen Ebene grundlegend<br />

bearbeitet. Es wird ein Konzept <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technik und Geschlecht<br />

entwickelt, das über bisherige Verkürzungen hinausweist. Dabei wird auch <strong>de</strong>r<br />

18


theoretische Rahmen <strong>de</strong>s Konzepts, <strong>de</strong>r primär in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung und insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r feministischen Technowissenschaftsforschung<br />

begrün<strong>de</strong>t ist, ausführlich erläutert.<br />

Zum Stand empirischer Analysen und praktischer Maßnahmen in <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik<br />

Die historische Entwicklung und <strong>de</strong>r aktuelle Stand theoretischer Debatten über<br />

Geschlecht und Technik bzw. Informatik prägen zugleich das Feld <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n<br />

empirischen Analysen. Deren wesentliche Erkenntnisse lassen sich gegenwärtig – wie<br />

an an<strong>de</strong>rer Stelle ausführlich dargestellt (Bath et al. 2008) – entlang ihres jeweiligen<br />

Gegenstands in vier Forschungsperspektiven unterteilen.<br />

Bis heute liegen zur Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik vorwiegend<br />

Untersuchungen über Frauen in <strong>de</strong>r aka<strong>de</strong>mischen Informatik, in informatischen<br />

Berufen und in <strong>de</strong>r schulischen Ausbildung vor. Diese Studien untersuchen zumeist<br />

<strong>de</strong>n Zugang zur Informatik und Informationstechnik, insbeson<strong>de</strong>re biografische<br />

Faktoren, strukturelle Barrieren und Diskriminierungserfahrungen in Familie, Schule,<br />

Hochschule und Beruf. 48 Zu<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n dabei positive Effekte <strong>de</strong>r Netzwerkbildung für<br />

<strong>de</strong>n Einstieg und die Karriere von Frauen in Informatik, Technik und Wissenschaft<br />

hervorgehoben. 49<br />

Auf diesen Erkenntnissen grün<strong>de</strong>n viele Maßnahmen <strong>de</strong>r Gleichstellung, die auf<br />

Basis sozialkonstruktivistischer Ansätze nun auch auf strukturelle Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />

sozialen Kultur und Lehrpläne <strong>de</strong>r Informatik sowie <strong>de</strong>r medialen Repräsentation<br />

zielen. 50 Damit wer<strong>de</strong>n die Kritiken an <strong>de</strong>n frühen Strategien <strong>de</strong>s liberalen Feminismus<br />

berücksichtigt, die auf eine „reine“ Frauenför<strong>de</strong>rung gesetzt hatten. Denn die<br />

Erfahrungen haben gezeigt, dass Initiativen zur Gleichstellung multifaktoriell gebün<strong>de</strong>lt<br />

und speziell an die Situation vor Ort angepasst wer<strong>de</strong>n müssen, um erfolgreich zu sein.<br />

Dies wie<strong>de</strong>rum erfor<strong>de</strong>rt eine sorgfältige empirische Begleitforschung. 51<br />

Ein zweiter Bereich <strong>de</strong>r empirischen Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik<br />

befasst sich mit <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>s öffentlichen Bil<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Fachkultur und<br />

<strong>de</strong>r Curricula <strong>de</strong>r Disziplin. Diese Ansätze kritisieren das Hacker-Image <strong>de</strong>s Faches, 52<br />

das einseitige Bild von Studium und Beruf, welches informatische Tätigkeit aufs<br />

Programmieren reduziert, 53 sowie die fachlichen Anerkennungsstrukturen 54 und die<br />

Mystifizierung <strong>de</strong>s Technischen 55 - Merkmale, die allesamt strukturell und symbolisch<br />

zum Ausschluss von Frauen beitragen. Viele dieser Untersuchungen nehmen jedoch<br />

eine erneute Zuordnung zwischen Männlichem und Technischem bzw. von Weiblichem<br />

und Sozialem, Kommunikativem sowie gesellschaftlicher Nutzungsorientierung vor,<br />

anstatt binäre Differenzen zu <strong>de</strong>konstruieren. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re für die auf <strong>de</strong>n<br />

48<br />

Vgl.etwa Schinzel et al. 1998, Schinzel 2000 sowie die entsprechen<strong>de</strong> in Bath et al. 2008 angegebene<br />

Literatur.<br />

49<br />

Vgl. etwa Rossiter 1993, Allmendinger et al. 1998, Wiesner 2002, Götschel 2002.<br />

50<br />

Vgl. etwa Erlemann 2000, Nie<strong>de</strong>rsächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 1994.<br />

51<br />

Zu dieser Schlussfolgerung vgl. etwa Margolis/ Fisher 2002. Diese Studie beschreibt, mit welchen<br />

Maßnahmen es <strong>de</strong>r renommierte Informatikfachbereich an <strong>de</strong>r Carnegie Mellon Universität schaffte, <strong>de</strong>n<br />

Frauenanteil innerhalb von 6 Jahren von 7% auf 42% zu erhöhen.<br />

52<br />

Vgl. etwa Schinzel 1992, Klawe 2001.<br />

53<br />

Vgl. etwa Maaß/ Wiesner 2006, Rasmussen 1997.<br />

54 Vgl. etwa Håpnes/ Rasmussen 1991.<br />

55 Vgl. Erb 1996.<br />

19


Erkenntnissen solcher Studien aufbauen<strong>de</strong>n Maßnahmen, etwa zur geschlechtssensiblen<br />

Didaktik, 56 zur Integration kommunikativer Kompetenzen in die Softwareentwicklung<br />

57 o<strong>de</strong>r zur interdisziplinären Ausrichtung von Studieninhalten, die dazu tendieren,<br />

die Geschlechterdifferenz und damit verbun<strong>de</strong>ne Stereotype selbst zu re-inszenieren 58 .<br />

Sie bringen damit Differenz als Grundlage <strong>de</strong>r Hierarchisierung erneut hervor. Nur<br />

wenige Projekte und Ansätze in diesem Bereich basieren dagegen tatsächlich auf <strong>de</strong>m<br />

theoretischen Ansatz <strong>de</strong>r Dekonstruktion von Geschlecht. 59<br />

Der dritte Bereich informatikbezogener Geschlechterforschung untersucht die<br />

Chancen, Nutzungsweisen und Wirkungen, die speziell das Internet zeigt. In diesem<br />

Themenfeld dominierten in <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>r computervermittelten Kommunikation<br />

Ansätze, die das neue Medium euphorisch als Befreiungstechnologie und als<br />

„I<strong>de</strong>ntitätswerkstatt“ auffassten. 60 In <strong>de</strong>n 1990er Jahren wur<strong>de</strong> das Internet oft als ein<br />

i<strong>de</strong>aler Raum verstan<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m überkommene Geschlechter- und Subjektkonzeptionen<br />

überwun<strong>de</strong>n, Körper und Geschlechtlichkeit neu konstituiert wer<strong>de</strong>n<br />

könnten und das Konzept <strong>de</strong>s „Doing Gen<strong>de</strong>r“ praktisch erprobbar wer<strong>de</strong>. 61 Diese<br />

Ansätze grün<strong>de</strong>n zwar theoretisch auf einem <strong>de</strong>konstruktivistischen Verständnis von<br />

Geschlecht, jedoch haben sozialwissenschaftliche Studien die formulierten Hoffnungen<br />

empirisch wi<strong>de</strong>rlegt. 62 Auch neuere Untersuchungen lieferten eher ernüchtern<strong>de</strong><br />

Erkenntnisse. Sie dokumentierten die Wie<strong>de</strong>rherstellung geschlechtsstereotyper und<br />

hierarchischer Verhältnisse in <strong>de</strong>r Nutzung <strong>de</strong>s Internet. 63 Eine an<strong>de</strong>re Studie, bei <strong>de</strong>r<br />

technische GestalterInnen befragt wur<strong>de</strong>n, versteht die Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

im Anschluss an Foucault als „Technologien <strong>de</strong>s vernetzten<br />

Selbst“. 64 Auch sie liefert damit Erkenntnisse über Subjektkonstitutionen im Technikentwicklungsprozess,<br />

nicht jedoch über die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte.<br />

Die sozialwissenschaftliche Forschung beschäftigt sich somit vorwiegend mit <strong>de</strong>r<br />

Nutzung <strong>de</strong>s Internet o<strong>de</strong>r Subjektivierungsweisen und bezieht sich damit auf Aspekte,<br />

die als Gegenstand <strong>informatischer</strong> Gestaltung eine untergeordnete Rolle spielen.<br />

Im Gegensatz zu diesen empirischen Ansätzen griffen Cyberfeministinnen die<br />

frühen Verheißungen <strong>de</strong>s Internet aus <strong>einer</strong> kulturwissenschaftlichen Perspektive auf. 65<br />

Im Rekurs auf Haraway zielten cyberfeministische Interventionen auf eine symbolische<br />

Umschreibung herkömmlicher Geschlechter-Technik-Verhältnisse, die in theoretischen<br />

Texten, künstlerischen Praxen und systemimmanenten Störaktionen Ausdruck fand. 66<br />

Cyberfeministinnen versuchten zwar, Technologie im Sinne eines De-Gen<strong>de</strong>ring zu<br />

verän<strong>de</strong>rn. Dabei konzentrierten sie sich jedoch auf Re-Definitionen von Be<strong>de</strong>utung<br />

und auf Kunstformen, welche die informatikbasierten Technologien sowie <strong>de</strong>ren<br />

56 Vgl. etwa Schwarze et al. 2008.<br />

57 Vgl. etwa Mahn 1997, Schinzel et al 1999.<br />

58 Zu dieser Kritik vgl. genauer Bath 2005a, 2006c.<br />

59 Vgl. etwa Bauer/ Götschel 2006 sowie Wiesner 2007 für solche Beispiele aus <strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>r Curri-<br />

cularentwicklung und Didaktik.<br />

60 Vgl. Bruckman 1992.<br />

61 Vgl. etwa Bruckman 1993, Reid 1994, Stone 1995.<br />

62 Vgl. etwa Funken 1999, 2000, Herring 2000, Eisenrie<strong>de</strong>r 2003, Lübke 2005, zu diesen technikeuphorischen<br />

Argumenten sowie <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mgegenüber ernüchtern<strong>de</strong>n empirischen Analysen vgl. auch Kapitel<br />

4.2.5.<br />

63 Vgl. etwa Carstensen 2007, Carstensen/ Winker 2005, Schachtner/ Winker 2005.<br />

64 Vgl. Paulitz 2005.<br />

65 VNS Matrix 1991, Wilding o.J., obn o.J. Mit Bezug auf diese Autorinnen verstehe ich Cyberfeminismus<br />

gera<strong>de</strong> nicht als einen weiteren Ansatz, <strong>de</strong>r darauf zielt, mehr Frauen für die Technik zu gewinnen.<br />

66 Obn o.J., Sollfrank 1999, Reiche/ Sick 2002.<br />

20


epistemologische Grundlagen, theoretischen Konzepte und impliziten Annahmen intakt<br />

lassen und als gegeben hinnehmen. Technologie wird dabei genutzt, um neue<br />

Verständnisse von Frauen und Technik jenseits essentialistischer Festschreibungen zu<br />

produzieren und zu verbreiten. Somit wer<strong>de</strong>n auch hier keine Interventionen in die<br />

Konzeption und Konstruktion <strong>informatischer</strong> Artefakte angestrebt.<br />

Ein vierter Bereich <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik fokussiert auf die<br />

Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Software, Informationstechnologien und<br />

Grundlagen <strong>de</strong>r Informatik, die im Zentrum <strong>de</strong>r Untersuchung dieser Arbeit stehen. Im<br />

Vergleich zu <strong>de</strong>n bisher skizzierten drei Hauptsträngen fällt <strong>de</strong>r Umfang dieser<br />

Forschungsrichtung jedoch eher gering aus. Es liegen zwar vereinzelte einschlägige<br />

Fallstudien vor, die das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte aufzeigen und <strong>de</strong>tailliert<br />

beschreiben. Diese sind vorwiegend aus <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

bekannt und stammen zumeist aus <strong>de</strong>m anglo-amerikanischen Raum. Diese<br />

Ergebnisse sind bisher jedoch we<strong>de</strong>r für die <strong>de</strong>utschsprachige Informatiik noch für die<br />

<strong>de</strong>utschsprachige Geschlechterforschung aufgearbeitet wor<strong>de</strong>n. Es liegt noch keine<br />

systematische Zusammenschau vorliegen<strong>de</strong>r Analysen über die Dimensionen <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte vor.Selbst in <strong>de</strong>r internationalen Forschung fehlt<br />

bisher sowohl eine Differenzierung <strong>de</strong>r unterschiedlichen Prozesse, die zu <strong>einer</strong><br />

Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r Produkte <strong>informatischer</strong> Tätigkeit führen können, als auch<br />

eine sorgfältige Analyse <strong>de</strong>r Mechanismen, die <strong>de</strong>r jeweiligen Art <strong>de</strong>r Einschreibung<br />

von Geschlecht zugrun<strong>de</strong> liegen. Eine wesentliche Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Vorhabens,<br />

einen Gesamtüberblick über vorliegen<strong>de</strong> empirische Erkenntnisse zu geben, besteht<br />

darin, zugleich <strong>de</strong>n aktuellen Stand <strong>de</strong>r Theoriebildung in <strong>de</strong>r Geschlechterforschung<br />

und in <strong>de</strong>r Technikforschung zu berücksichtigen. Dazu müssen vorliegen<strong>de</strong>n Studien,<br />

die eine Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte aufzeigen, zum Teil neu<br />

gelesen, kritisiert und re-interpretiert wer<strong>de</strong>n. Ein solch <strong>de</strong>tailliertes Verständnis <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring ist notwendig, um konkrete Vorschläge für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte machen zu können und stellt ein zentrales Anliegen dieser Arbeit dar.<br />

Technikgestaltungsansätze zum De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

Im Vergleich zu empirischen Analysen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Informatik und<br />

informatischen Artefakten sind methodische Vorschläge zum De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte relativ rar. Zu diesem Bereich gehören erstens Ansätze <strong>de</strong>r Gestaltung<br />

von Technik „von und für Frauen“, die häufig vom „Participatory Design“ <strong>de</strong>r<br />

Skandinavischen Schule inspiriert sind, und zweitens aktuelle Leitfa<strong>de</strong>n-Ansätze zum<br />

geschlechtersensiblen Design.<br />

Die <strong>de</strong>m „Participatory Design“ zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n methodischen Konzepte sowie<br />

<strong>de</strong>ssen bisherigen praktische Erfolge wer<strong>de</strong>n in Kapitel 5.3. ausführlich dargestellt. Zu<br />

<strong>de</strong>n auf dieser Grundlage durchgeführten Projekte kann bereits an dieser Stelle<br />

bemerkt wer<strong>de</strong>n, dass sie zumeist auf <strong>einer</strong> gründlichen Analyse <strong>de</strong>r Arbeitsprozesse<br />

basieren, die durch Technik unterstützt wer<strong>de</strong>n sollen, nicht notwendigerweise jedoch<br />

auf <strong>einer</strong> Analyse <strong>de</strong>r Geschlechterverhältnisse und -ordnungen. Obwohl Projekte „von<br />

und für Frauen“ vielen in <strong>de</strong>r Informatik Engagierten aufgrund <strong>de</strong>r langjährig unhinterfragten<br />

These <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchs von Frauen und Technik weiterhin erfor<strong>de</strong>rlich<br />

21


scheinen, 67 ist diesem Ansatz aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s Vorhabens dieser Arbeit<br />

entgegenzuhalten, dass er dazu tendiert, Geschlecht zu essentialisieren statt Dimensionen<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung zu differenzieren. Projekte „von Frauen für Frauen“<br />

grün<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel nicht auf <strong>einer</strong> sorgfältigen Analyse von Vergeschlechtlichungsprozessen,<br />

die in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Kapiteln als eine notwendige Voraussetzung eines<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte aufgezeigt wird. Dennoch haben partizipative<br />

Technikentwicklungsprojekte „von und für Frauen“ aus <strong>de</strong>m Blickwinkel <strong>de</strong>r Fragestellung<br />

dieser Arbeit insofern große Be<strong>de</strong>utung, als sie feministische Anliegen konkret<br />

und methodisch in technische Gestaltungsvorhaben integrieren. Dieser Vorteil tritt im<br />

Vergleich zu sogenannten Gen<strong>de</strong>r-Leitfä<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n zweiten Bereich vorliegen<strong>de</strong>r<br />

methodischer De-Gen<strong>de</strong>ring-Ansätze für die Technikgestaltung in <strong>de</strong>r Informatik bil<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>utlich hervor.<br />

Eines <strong>de</strong>r in Deutschland bekanntesten Projekt dieser Richtung ist „Discover<br />

Gen<strong>de</strong>r“, das unter <strong>de</strong>r Leitung von Martina Schraudner an <strong>de</strong>r Fraunhofergesellschaft<br />

durchgeführt wor<strong>de</strong>n ist. 68 Dieses Projekt zielt darauf, Gen<strong>de</strong>r-Aspekte in <strong>de</strong>r (natur-<br />

und technikwissenschaftlichen) Forschung zu erkennen und zu bewerten, um die<br />

Vorgaben <strong>de</strong>r EU-För<strong>de</strong>rung zum Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming zu erfüllen. Kern <strong>de</strong>r Projektergebnisse<br />

ist ein Gen<strong>de</strong>r-Leitfa<strong>de</strong>n zur Ermittlung von Gen<strong>de</strong>r-Aspekten, <strong>de</strong>ssen Nutzen<br />

anhand von dreizehn Fallbeispielen aus unterschiedlichen, nicht nur informatischen<br />

Anwendungsfel<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>monstriert wird. Der Ansatz beruht auf <strong>de</strong>r Grundannahme,<br />

technische Produkte stärker an <strong>de</strong>n potentiellen Kundinnen auszurichten<br />

und damit Frauen als (neue) Zielgruppe zu addressieren. Auf diesen Trend ist bereits<br />

in <strong>de</strong>r Einleitung hingewiesen wor<strong>de</strong>n. Dieser Prämisse entsprechend fokussiert <strong>de</strong>r<br />

Leitfa<strong>de</strong>ns primär Geschlechterunterschie<strong>de</strong>, die damit reproduziert und verfestigt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Die zum Erkennen von Gen<strong>de</strong>r-Relevanz intendierten Fragen richten sich auf<br />

Differenzen im Körperbau (Ergonomie, Kraft, Größe), auf weitere körperliche Unterschie<strong>de</strong>n<br />

(Stimmlage, Gesichtssinn, Gehörsinn, Propriozeptoren, innere Muskelanspannung,<br />

Tast- und Klimasinn, etc.), auf unterschiedliche Nutzungszusammenhänge<br />

und -gewohnheiten sowie unterschiedliche Ansprüche an die Nutzungsführung, die<br />

Gestalt und die Inhalte <strong>de</strong>r Technik. Dabei wer<strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong> unter Frauen und<br />

unter Männern nicht in <strong>de</strong>n Blick genommen. Zwar wird am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Fragenkatalogs<br />

doch noch nach Stereotypisierungen gefragt sowie nach <strong>de</strong>r Festschreibung bestehen<strong>de</strong>r<br />

gesellschaftlicher Arbeitsteilung durch eine bestimmte Gestaltung von Technik.<br />

Jedoch ist <strong>de</strong>r Blick – eine konkrete Anwendung <strong>de</strong>s Leitfa<strong>de</strong>ns vorausgesetzt – zu<br />

diesem Zeitpunkt bereits auf ein binäres, biologistisches Geschlechterverständnis<br />

verengt, das die strukturell-symbolischen Dimensionen <strong>de</strong>r hierarchischen Geschlechterordnung<br />

in <strong>de</strong>n Hintergrund rücken lässt. Problematisch ist vor allem, dass <strong>de</strong>r<br />

Leitfa<strong>de</strong>n die Erkenntnis <strong>de</strong>r Geschlechterforschung ignoriert, dass Geschlecht – auch<br />

das körperliche – in <strong>de</strong>m Sinne sozial konstruiert ist, dass es ständig wie<strong>de</strong>r neu<br />

hervorgebracht wird (vgl. etwa Butler 1991 [1990], 1995 [1993]). Dieser Prozess wird in<br />

„Discover Gen<strong>de</strong>r“ nicht reflektiert, <strong>de</strong>nn statt für Vervielfältigung, Brüche und<br />

Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Geschlechter(verhältnisse) zu plädieren, wirken die Fragestellun-<br />

67 Vgl. etwa Hammel 2003, Kreutzner/ Schelhowe 2003, Schelhowe et al. 2005.<br />

68 Vgl. Bührer/ Schraudner 2006, Schraudner/ Lukoschat 2006.<br />

22


gen <strong>de</strong>s Leitfa<strong>de</strong>ns daran mit, Geschlecht auf eine strikt binäre Logik zu verengen, die<br />

nur stereotype Frauen und Männer kennt. Insofern spiegelt <strong>de</strong>r Leitfa<strong>de</strong>n we<strong>de</strong>r das<br />

<strong>de</strong>r Studie zugrun<strong>de</strong> gelegte, weitaus differenziertere Geschlechterkonzept 69 noch <strong>de</strong>n<br />

selbst gesetzten Anspruch, Geschlechtszuschreibungen nicht zu reproduzieren,<br />

adäquat wi<strong>de</strong>r. Auch aus <strong>de</strong>n Perspektiven <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

und <strong>de</strong>r gestaltungsorientierten Forschung <strong>de</strong>r Informatik erscheint <strong>de</strong>r Leitfa<strong>de</strong>n<br />

theoretisch unfundiert. 70<br />

Demgegenüber zielen die im Rahmen <strong>de</strong>s SIGIS-Projekts 71 entwickelten Richtlinien<br />

zu einem „Gen<strong>de</strong>r Sensitive Design“ von Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

explizit auf eine Vermeidung von Geschlechterstereotypen im technischen<br />

Gestaltungsprozess. Es wird empfohlen, männliche und weibliche Elemente zu<br />

kombinieren statt Differenzen zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern aufzubauschen. Damit<br />

zeigt dieser Ansatz Nähe zu einem sozialkonstruktivistischen Verständnis von Geschlecht.<br />

72 Die SIGIS-Richtlinie knüpft ferner stärker als die „Discover Gen<strong>de</strong>r“-Studie<br />

an vorliegen<strong>de</strong> Gestaltungsansätze aus <strong>de</strong>r Informatik an. So nehmen vier von sechs<br />

Vorschlägen zum „Gen<strong>de</strong>r Sensitive Design“ Bezug auf die Partizipation von<br />

NutzerInnen, um damit die Zielgruppe <strong>de</strong>s Produktes bei <strong>de</strong>r Technikgestaltung besser<br />

zu berücksichtigen. Es sollen NutzerInnen <strong>de</strong>r tatsächlichen Zielgruppe involviert<br />

wer<strong>de</strong>n statt von – womöglich falschen und stereotypen – Imaginationen auszugehen.<br />

Diese sollten ferner möglichst früh am technischen Entwicklungsprozess beteiligt<br />

wer<strong>de</strong>n. Darüber hinaus sei die Auswahl <strong>de</strong>r NutzerInnen für Usertests sorgfältig zu<br />

treffen, damit die gewünschte Diversität repräsentiert wird. Zugleich sollten<br />

NutzerInnen über das Internet und Email die Möglichkeit erhalten, auf das Design<br />

Einfluss zu nehmen. Insgesamt beschränkt sich die Richtlinie <strong>de</strong>r SIGIS-Studie zum<br />

„Gen<strong>de</strong>r Sensitive Design“ auf wenige Empfehlungen. 73 Diese erscheinen aus <strong>de</strong>r<br />

Perspektive <strong>de</strong>r Geschlechter- und Technikforschung weitaus fundierter als die Vorschläge<br />

<strong>de</strong>r „Discover Gen<strong>de</strong>r“-Studie, jedoch halten sie trotz eines konstruktivistischen<br />

Verständnisses von Geschlecht und <strong>de</strong>m Anspruch weibliche und männliche<br />

Aspekte zusammenzubringen letztendlich an <strong>de</strong>r binären Zweigeschlechtlichkeit fest<br />

und verbleiben hinsichtlich <strong>de</strong>r vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n zum De-Gen<strong>de</strong>ring in<br />

Technikgestaltung auf <strong>einer</strong> allgemeinen Ebene.<br />

Ein dritter Leitfa<strong>de</strong>n zur gen<strong>de</strong>rgerechten Gestaltung, <strong>de</strong>r speziell auf <strong>de</strong>n Einsatz<br />

digitaler Medien in <strong>de</strong>r Hochschullehre ausgerichtet ist, liegt aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen<br />

69<br />

Dieses theoretische Konzept umfasst soziale, symbolische, psychisch-individuelle und körperliche Aspekte.<br />

70<br />

Vgl. hierzu genauer Bath 2007.<br />

71<br />

SIGIS ist ein im 5. Rahmenprogramm <strong>de</strong>r EU von 2000 bis 2004 durchgeführtes Forschungsprojekt. vgl.<br />

Faulkner 2004, Faulkner/ Lie 2007 sowie http://www.sigis-ist.org. Das Akronym steht für „Strategies of<br />

Inclusion, Gen<strong>de</strong>r and the Information Society“. Dieser Titel verweist auf die allgemeine Fragestellung <strong>de</strong>s<br />

Projekts, das auf Analysen und Maßnahmen zielt, mehr Frauen in die Informationsgesellschaft<br />

einzubeziehen.<br />

72<br />

Dennoch wird hier eher ein Geschlechterdifferenzmo<strong>de</strong>ll unterstellt. Darauf <strong>de</strong>utet auch die Empfehlung<br />

<strong>de</strong>r Richtlinie, mehr Frauen in das Design-Team zu integrieren und ihnen Entscheidungskompetenzen zu<br />

geben, speziell dann, wenn das Produkt für weibliche NutzerInnen gedacht ist. Die dabei zugrun<strong>de</strong><br />

liegen<strong>de</strong> These, dass „[g]en<strong>de</strong>r diversity clearly enhances gen<strong>de</strong>r sensitive <strong>de</strong>sign practices“ (Rommes<br />

2004, 56), lässt sich aus <strong>einer</strong> geschlechtertheoretisch-<strong>de</strong>konstruktivistischen Perspektive hinterfragen.<br />

Denn die Zugehörigkeit zur Gruppe <strong>de</strong>r Frauen führt nicht notwendigerweise zu einem alternativen,<br />

geschlechtersensiblen Design, wie Rommes selbst anhand ihrer Studie zur Digitalen Stadt Amsterdam<br />

(vgl. Kapitel 4.1.4) empirisch belegt hat.<br />

73<br />

Der geringe Umfang kann auf die Zielrichtung <strong>de</strong>s SIGIS-Gesamtprojekts zurückgeführt wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m<br />

das „Gen<strong>de</strong>r Sensitive Design“ nur ein Aspekt von vielen darstellt.<br />

23


Projekt „Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming medial“ 74 vor. Diese Empfehlungen betonen erstens<br />

die Notwendigkeit, die bestehen<strong>de</strong> Technikkultur zu verän<strong>de</strong>rn. Zweitens geben sie<br />

Hinweise zur Partizipation und technischen Ausbildung <strong>de</strong>r Nutzen<strong>de</strong>n, zum<br />

technischen Support sowie zu <strong>de</strong>n Zugangsvoraussetzungen zu Lernplattformen, die<br />

ich hier nicht betrachten will. Der dritte Teil unterbreitet Vorschläge zu einem Design<br />

<strong>de</strong>r Lernumgebungen im engeren Sinne.<br />

Der erste Teil, <strong>de</strong>r für eine neue Technikkultur plädiert, die auf die Interessen und<br />

Belange bei<strong>de</strong>r Geschlechter eingeht, gibt Aufschluss über das im Projekt zugrun<strong>de</strong><br />

gelegte Geschlechter-Technik-Verständnis. Dabei wird das Kommunizieren über<br />

Technik, das bislang fast ausschließlich in Männergruppen stattfän<strong>de</strong>, als ein<br />

wesentliches Problem <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Technikkultur i<strong>de</strong>ntifiziert. Es wird <strong>de</strong>shalb<br />

angestrebt, Studieren<strong>de</strong>n wie Lehren<strong>de</strong>n das Sprechen über Technik durch ein<br />

„learning by doing and asking“ zu ermöglichen. Sie sollen sich mit <strong>de</strong>r Technik<br />

„wohlfühlen“ und „Spaß an <strong>de</strong>r Sache“ haben. Voraussetzung dafür sei, dass sie diese<br />

mitgestalten können und von Anfang an aktiv in <strong>de</strong>n technischen Entwicklungsprozess<br />

einbezogen wer<strong>de</strong>n. Ferner sei eine kontinuierliche Verbindung von sozialen und technischen<br />

Aktivitäten herzustellen und die Trennung zwischen technischen MacherInnen<br />

und KonsumentInnen zu überwin<strong>de</strong>n. Somit erklärt das Projekt „Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming<br />

medial“ die Dekonstruktion zweier geschlechtlich konstituierter Dichotomien als ein<br />

zentrales Anliegen: die von technischen und sozialen Aspekten beim Lernen und die<br />

von Gestaltung und Nutzung beim Umgang mit Technologien. Diese <strong>de</strong>konstruktivistische<br />

Perspektive wird in Empfehlungen zum Design von Lernumgebungen<br />

konkretisiert.<br />

Die meisten <strong>de</strong>r insgesamt 44 Empfehlungen sind eher allgemeinen Charakters, <strong>de</strong>r<br />

auf <strong>de</strong>m aktuellen Stand <strong>de</strong>r Ergonomie- und Human-Computer-Interaction-Forschung<br />

grün<strong>de</strong>t. So wird etwa vorgeschlagen, Zugriffsrechte transparent zu machen, Hilfefunktionen<br />

und klare Erläuterungen zu Verfügung zu stellen und unterschiedliche<br />

Darstellungsformen (Bildschirmausgabe, Druck-/Textausgabe, Online-/Offline-Version)<br />

zu ermöglichen. Viele dieser Anregungen zielen auf eine Vervielfältigung <strong>de</strong>r Optionen<br />

ein, die nicht speziell auf die Überwindung vermeintlicher Differenzen zwischen Frauen<br />

und Männern ausgerichtet ist, son<strong>de</strong>rn diese Varianten gera<strong>de</strong> nicht zweigeschlechtlich<br />

differenzierend zuweist. Vielmehr soll Technik für die NutzerInnen als gestaltbar erfahren<br />

wer<strong>de</strong>n und Neugier auf die Nutzungsmöglichkeiten wecken. Auch <strong>de</strong>r Vorschlag,<br />

die Lernumgebung in gewissem Umfang für die NutzerInnen konfigurierbar zu machen,<br />

ist implizit <strong>de</strong>m Stereotyp weiblicher technischer Inkompetenz entgegengesetzt, ohne<br />

jenes dabei explizit zu reproduzieren. Nur fünf <strong>de</strong>r Empfehlungen nehmen direkt auf<br />

die Geschlecht Bezug. Beispielsweise sollen geschlechterstereotype Icons und Illustrationen<br />

vermie<strong>de</strong>n und statt<strong>de</strong>ssen die Unterschiedlichkeit und Vielfalt von Frauen und<br />

Männern (z.B. Personen aus unterschiedlichen Kulturen, verschie<strong>de</strong>ner Hautfarbe und<br />

aus unterschiedlichen Schichten) dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Leitfa<strong>de</strong>n vermei<strong>de</strong>t es somit insgesamt sehr bewusst, dualistische Differenzen<br />

zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern zu unterstellen und durch erneute Betonung zu reprodu-<br />

74 Dieses Projekt zielte darauf, 100 Verbundprojekte, die im Bereich „Neue Medien in <strong>de</strong>r Bildung“ vom<br />

BMBF geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>r Implementierung von Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming zu begleiten, zu beraten und<br />

diesen Implementierungsprozess in <strong>de</strong>n Projekten zu beforschen und zu evaluieren, vgl. Wiesner 2004 et<br />

al. a, b, Zorn et al. 2004.<br />

24


zieren. Auch die angestrebte Überwindung <strong>de</strong>r Dichotomie von technischem Design<br />

und Nutzung sowie <strong>de</strong>r Anspruch, die technische Gestaltung nicht strikt von <strong>de</strong>r<br />

sozialen Gestaltung <strong>de</strong>r Technologie zu trennen, ver<strong>de</strong>utlichen ein <strong>de</strong>konstruktivistisches<br />

Geschlechterverständnis. Damit steht <strong>de</strong>r Ansatz im Einklang mit <strong>de</strong>r zuvor entwickelten<br />

geschlechtertheoretischen Perspektive. Aus Perspektive <strong>de</strong>r Technikgestaltung<br />

bleiben jedoch Fragen offen. Diese betreffen <strong>einer</strong>seits die Reichweite <strong>de</strong>r Vorschläge.<br />

Denn <strong>de</strong>r Leitfa<strong>de</strong>n fokussiert eine spezifische Anwendung: die Lernplattformen im<br />

universitären Bereich. Es kann davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n, dass sich viele <strong>de</strong>r<br />

Empfehlungen auf die Bildschirmgestaltung an<strong>de</strong>rer Systeme übertragen lassen. Für<br />

ein De-Gen<strong>de</strong>ring, das stärker an <strong>de</strong>r Funktionalität von Softwaresystemen ansetzt,<br />

wer<strong>de</strong>n allerdings kaum Hinweise gegeben. An<strong>de</strong>rerseits stellt sich die Frage nach <strong>de</strong>n<br />

konkreten Metho<strong>de</strong>n <strong>einer</strong> geschlechtersensitiven Technikgestaltung. So schlägt <strong>de</strong>r<br />

Leitfa<strong>de</strong>n zwar vor, die Technologie partizipativ mit NutzerInnen zu entwickeln. Nach<br />

welchen Grundsätzen und Metho<strong>de</strong>n diese Beteiligung <strong>de</strong>r NutzerInnen erfolgen kann<br />

und welche praktischen Schwierigkeiten und Fallstricke dabei speziell aus<br />

Geschlechterforschungsperspektiven zu beachten wären, 75 wird dabei nicht diskutiert.<br />

Der Leitfa<strong>de</strong>n liefert insgesamt einen guten Ausgangspunkt für das praktische De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte. Es sind jedoch weitere Anstrengungen notwendig,<br />

um auch <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung an<strong>de</strong>rer Anwendungstechnologien und an<strong>de</strong>rer<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte (z.B. Konzepte <strong>de</strong>r Grundlagenforschung) entgegen wirken zu<br />

können. Dabei erscheint es aufgrund <strong>de</strong>r Erkenntnisse aus <strong>de</strong>n skizzierten De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring-Vorhaben sinnvoll, Metho<strong>de</strong>n für bestimmte Technologien anhand zuvor<br />

herausgearbeiteter Vergeschlechtlichungsprozesse auszuwählen und anzupassen.<br />

Eine breite systematische Differenzierung methodischer Ansätze <strong>de</strong>r Technikgestaltung<br />

nach <strong>de</strong>n Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

liegt jedoch bislang noch nicht vor.<br />

Die Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte besteht insgesamt<br />

darin, die Reichweite bereits vorliegen<strong>de</strong>r methodischer Ansätze (z.B. <strong>de</strong>r HCI-<br />

Forschung und <strong>de</strong>s „Participatory Design“) zu klären und gegebenenfalls weitere<br />

Konzepte zu entwickeln, die auch <strong>de</strong>n noch nicht erfassten Vergeschlechtlichungsprozessen<br />

begegnen können. Es ist systematisch zu untersuchen, welche methodischen<br />

Konzepte <strong>de</strong>r Technikgestaltung für einen De-Gen<strong>de</strong>ringprozess herangezogen o<strong>de</strong>r<br />

angepasst wer<strong>de</strong>n können, in welchen Fällen bestimmte Metho<strong>de</strong>n zum De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

beitragen können und was De-Gen<strong>de</strong>ring dabei in einem geschlechtertheoretischen<br />

Sinne be<strong>de</strong>utet. Diese Analyse ist Gegenstand <strong>de</strong>s Kapitels 5.<br />

Resümee<br />

Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Gebiet <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>n<br />

Natur- und Technikwissenschaften und daher auch in <strong>de</strong>r Informatik bislang weniger<br />

umfassend entwickelt ist als in <strong>de</strong>n Sozial- und Geisteswissenschaften. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

in Bezug auf die Inhalte, Theorien, Metho<strong>de</strong>n, impliziten Annahmen und Produkte <strong>de</strong>r<br />

Informatik bestehen weiterhin Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rate. Diese betreffen, wie in diesem<br />

75 Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Abschnitt 5.4, in <strong>de</strong>m neben verschie<strong>de</strong>nen Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r partizipativen<br />

Technikgestaltung auch ein Entwicklungsbeispiel diskutiert wird, in <strong>de</strong>m die Prinzipien <strong>de</strong>s<br />

„learning-by-asking-and-doing“ und <strong>de</strong>s Erfahrbarmaches <strong>de</strong>r Gestaltbarkeit von Technik erfolgreich<br />

angewen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.<br />

25


Kapitel aufgezeigt wur<strong>de</strong>, sowohl die theoretische Konzeptualisierung <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte als auch die Systematisierung<br />

vorliegen<strong>de</strong>r empirischer Erkenntnisse über die Prozesse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring. Ferner fehlt<br />

bislang auch eine umfassen<strong>de</strong>, differenzierte und zugleich theoretisch fundierte<br />

Umsetzung von Analysen in alternative Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technologiegestaltung, die als<br />

Ansätze zum De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte bezeichnet wer<strong>de</strong>n können.<br />

26


Kapitel 3<br />

Theoretische Konzeption <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

Ziel dieses Kapitels ist es, ein theoretisch fundiertes Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring und De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte zu entwickeln. Dabei sollen diese Prozesse in ihrer<br />

Komplexität begriffen wer<strong>de</strong>n. Dies be<strong>de</strong>utet, die Verhältnisse von Technik, Gesellschaft<br />

und Geschlecht zu untersuchen und Vergeschlechtlichung nicht als eine Eigenschaft<br />

von Frauen und Männern o<strong>de</strong>r als eine <strong>de</strong>m Artefakt inhärente Verfasstheit.<br />

Ebenso wenig wird sie als ein absichtsvoller Einschreibungsprozess durch die InformatikerInnen<br />

mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Diskriminierung gedacht.<br />

Da die Disziplin <strong>de</strong>r Informatik zur Bearbeitung dieser Fragestellung selbst keine<br />

Metho<strong>de</strong>n zur Verfügung stellt, wird in diesem Kapitel primär auf Ansätze <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung Bezug genommen. Denn dieses Gebiet untersucht<br />

die Verhältnisse von Technik und Gesellschaft bzw. <strong>de</strong>r Einschreibung <strong>de</strong>s Sozialen in<br />

technologische Artefakte. Es wird gezeigt, dass sich die dort gewonnenen Erkenntnisse<br />

als anschlussfähig an das gesellschaftspolitische Verständnis <strong>de</strong>s De/Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte erweisen.<br />

Ausgehend von Langdon Winners These, dass Artefakte politisch sind, wer<strong>de</strong>n in<br />

<strong>de</strong>n ersten drei Abschnitten (3.1.-3.3.) grundlegen<strong>de</strong> Konzepte aus <strong>de</strong>r konstruktivistischen<br />

Technikforschung zum Verhältnis von Technik und Gesellschaft bzw. von<br />

Mensch und Maschine vorgestellt (Technik<strong>de</strong>terminismus, Social Shaping of Technology,<br />

Social Construction of Technology, Akteur-Network-Theory). Dabei diskutiere ich<br />

die Möglichkeiten und Grenzen <strong>de</strong>r Übertragbarkeit dieser Konzepte auf dTheorien <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte.<br />

Ziel <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n drei Abschnitte (3.4.-3.6.) ist es, auf dieser Grundlage<br />

einen Rahmen herauszuarbeiten, um das Gen<strong>de</strong>ring von Technologie theoretisch zu<br />

fassen. Dazu wer<strong>de</strong>n feministische Kritiken und Re-Formulierungen von Ansätzen<br />

sozialwissenschaftlicher Technikforschung herangezogen: Erstens die Arbeiten Donna<br />

Haraways, insbeson<strong>de</strong>re ihr Netzwerkansatz. Zweitens <strong>de</strong>r erkenntnistheoretische<br />

Ansatz Karen Barads, <strong>de</strong>r die Berücksichtigung von Materialität und Verantwortung vor<br />

<strong>de</strong>m Hintergrund eines asymmetrischen Verhältnisses von Mensch und Materie bzw.<br />

Technologie hervorhebt. Drittens Lucy Suchmans Konzept <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-(Re-<br />

)Konfigurationen, das Haraways und Barads Ansätze für die Informatik und die Analyse<br />

von Informationstechnologien fruchtbar macht.<br />

Die letzten bei<strong>de</strong>n Abschnitte (3.7. und 3.8.) fokussieren auf Prozesse <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring, d.h. auf die Entstehung <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Informationstechnologien.<br />

Diese sollen auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>n vorangegangen Abschnitten theoretisch<br />

erarbeiteten Rahmens konkreter gefasst wer<strong>de</strong>n. Dazu wird auf die Konzepte <strong>de</strong>s<br />

„Gen<strong>de</strong>rskripts“ (Rommes 2002) und <strong>de</strong>r „posthumanistischen Performativität“ (Barad<br />

2003) zurückgegriffen, die an <strong>de</strong>n Skriptansatz Akrichs bzw. das Performativitätskonzept<br />

Butlers angelehnt sind. Um diese Konzepte konstruktiv auf die Gestaltung von<br />

Technologien und ihr mögliches De-Gen<strong>de</strong>ring beziehen zu können, wer<strong>de</strong>n sie zu<br />

einem eigenen Ansatz <strong>de</strong>r „Ko-Materialisierung von Technologie und Geschlecht“<br />

weiterentwickelt.<br />

27


3.1. Das Technische ist politisch!<br />

“Do artifacts have politics? ‘Of course not’. Such has been for many years<br />

the common sense answer: technical objects are as neutral as Aesop’s<br />

tongue. They simply take the shape given to them. But when the philosopher<br />

Langdon Winner raised the question, several <strong>de</strong>ca<strong>de</strong>s ago, his answer<br />

was a resounding ‘yes’: far from being neutral, technologies could<br />

‘embody’ oppression in such a <strong>de</strong>vious way that it was ma<strong>de</strong> irreversible.”<br />

(Latour 2004, o.S.)<br />

Unter <strong>de</strong>m Titel „Do artifacts have politics?“ veröffentlichte <strong>de</strong>r Politikwissenschaftler<br />

und Technikphilosoph Langdon Winner 1980 einen Aufsatz, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung große Aufmerksamkeit erlangen sollte. Darin behauptet<br />

er die Existenz „inhärent politischer Technologien“, <strong>de</strong>nen bestimmte gesellschaftliche<br />

Herrschaftsstrukturen und Unterdrückungsmechanismen eingeschrieben sind. Als Beispiele<br />

führt er Atombomben o<strong>de</strong>r Kernkraftwerke an. Diese seien nicht mit <strong>de</strong>mokratischen<br />

Gesellschaftsformen vereinbar, son<strong>de</strong>rn erfor<strong>de</strong>rten ein totalitäres politisches<br />

Regime. Um Unfälle o<strong>de</strong>r Anschläge zu verhin<strong>de</strong>rn, sei ein autoritärer staatlicher Apparat<br />

vonnöten, <strong>de</strong>r ihren Einsatz und Betrieb sicherstellt. Solarquellen stellten einen Gegensatz<br />

zu diesen zentralisierten Technologien dar. Da sie <strong>de</strong>zentral-verteilt funktionierten,<br />

wären sie eher mit sozialer Gleichheit, Freiheit und <strong>de</strong>mokratischen Zielen<br />

vereinbar. Winner argumentiert, dass Entscheidungen für bestimmte technische Arrangements<br />

<strong>de</strong>shalb stets Entscheidungen für bestimmte politische Macht- und Autoritätsverhältnisse<br />

seien (vgl. Winner 1999 [1980], 30).<br />

Dass Technologien eine bestimmte Politik inhärent und ihr jeweiliger politischer<br />

Charakter damit unabhängig von kulturell-historischen Bedingungen bestimmbar seien,<br />

wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Debatten sozialwissenschaftlicher Technikforschung<br />

relativiert. In <strong>de</strong>r Rezeption <strong>de</strong>s Aufsatzes beson<strong>de</strong>rs umstritten war Winners These,<br />

dass manche Entwickler_innen intendierten, eine soziale Ungleichheitsstruktur mit Hilfe<br />

von Technologie fortzuführen. Das heißt: „Jemand will bewusst einen sozialen Effekt<br />

erzielen und verlegt seine Intention gezielt in ein Artefakt, das dann <strong>de</strong>n Effekt auf<br />

Dauer stellt“ (Joerges 1999a, 45). Gelingt <strong>de</strong>r soziale Ausschluss und die Behin<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r NutzerInnen, so wird die entsprechen<strong>de</strong> Ungleichheitsstruktur<br />

nicht nur in die Technologie eingeschrieben, son<strong>de</strong>rn bleibt langfristig wirksam<br />

und aufrechterhalten. Sie wird durch Technologie verfestigt, quasi „verhärtet“ (vgl.<br />

Latour 1991). In diesem Sinne ließen sich technische Artefakte als Formen sozialer<br />

Ordnung verstehen: „Because choices tend to become strongly fixed in material<br />

equipment, economic investment, and social habit, the original flexibility vanishes for all<br />

practical purposes once the initial commitments are ma<strong>de</strong>. In that sense technological<br />

innovations are similar to legislative acts or political foundings that establish a framework<br />

for public or<strong>de</strong>r that will endure over many generations“ (Winner 1999 [1980], 32)<br />

Als einprägsames Beispiel dieser Klasse technischer Artefakte führt Winner eine<br />

Reihe von Brücken an, die in <strong>de</strong>n 1930er Jahren von <strong>de</strong>m renommierten New Yorker<br />

Stadtplaner Robert Moses konstruiert wor<strong>de</strong>n sind. Diese Überführungen über <strong>de</strong>n<br />

sogenannten Parkways 76 zwischen New York und Long Island waren so niedrig<br />

gebaut, dass sie von öffentlichen Bussen nicht passiert wer<strong>de</strong>n konnten. Winner<br />

76 Parkways sind Bun<strong>de</strong>sstrassen, die durch landschaftlich reizvolle Gegen<strong>de</strong>n führen.<br />

28


erklärt, dass ökonomisch schlecht Gestellte und insbeson<strong>de</strong>re Schwarze, die sich kein<br />

Auto leisten konnten, mit Hilfe <strong>de</strong>r Brückenkonstruktion von <strong>de</strong>n „weißen“ Strän<strong>de</strong>n<br />

ferngehalten wer<strong>de</strong>n sollten. Er unterstellt <strong>de</strong>m Konstrukteur, persönliche klassen- und<br />

rassenspezifische Vorurteile in die Straßenbaukonstruktionen bewusst eingeschrieben<br />

zu haben. Moses habe einen sozialen Ausschluss in Stahl gegossen.<br />

Winners Aufsatz wur<strong>de</strong> nach s<strong>einer</strong> Erstveröffentlichung 1980 in zwei breit<br />

rezipierten Sammelbän<strong>de</strong>n (MacKenzie/ Wajcman 1985, Winner 1986) und <strong>einer</strong> Neuauflage<br />

(MacKenzie/ Wajcman 1999) wie<strong>de</strong>r abgedruckt. Sein Brücken-Beispiel<br />

avancierte in <strong>de</strong>n 1980er und 1990er Jahren zu <strong>einer</strong> Hauptreferenz für die<br />

Behauptung, dass soziale Ungleichheitstrukturen in technische Artefakte eingeschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n. Es ist „ungezählte Male zitiert wor<strong>de</strong>n: es wur<strong>de</strong> zu einem festen Bestandteil<br />

<strong>de</strong>r technik- und stadtsoziologischen Folklore. […] Kein Zweifel: Die Geschichte von<br />

Winners Moses-Geschichte ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte.“ (Joerges<br />

1999a, 46) betont Bernward Joerges. Doch war es Joerges selbst, <strong>de</strong>r Winners Erzählung<br />

<strong>de</strong>konstruierte. Er wi<strong>de</strong>rlegte Moses‘ vermeintlich rassistische Absicht, während<br />

Steve Woolgar und Geoff Cooper anhand von Busfahrplänen zeigten, dass es<br />

öffentliche Verkehrsverbindungen zwischen New York und Long Island gab. Seither<br />

wird das Brücken-Beispiel als ‚Parabel’ (Joerges 1999a, b) o<strong>de</strong>r ‚urbane Legen<strong>de</strong>’<br />

(Woolgar/ Cooper 1999) bezeichnet.<br />

Obwohl starke Zweifel an <strong>de</strong>r Validität <strong>de</strong>s konkreten Brückenbeispiels geäußert<br />

wor<strong>de</strong>n sind, erscheint Winners generelle Position, dass technische Artefakte politisch<br />

sind, noch immer attraktiv und überzeugungsfähig. Es besteht in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung ein weitgehen<strong>de</strong>r Konsens über Winners generelle<br />

Position, dass technische Artefakte politisch sind (vgl. etwa Sørensen 2004, 184). Die<br />

These, dass Technologien nicht neutral sind und we<strong>de</strong>r allein <strong>de</strong>m Fortschritt <strong>de</strong>r<br />

Menschheit dienen, noch unschuldig sind, ist auch für die Geschlechterforschung in<br />

<strong>de</strong>r Informatik anschlussfähig (vgl. Bath et al. 2003). 77 Deshalb soll die Vergeschlechtlichung<br />

von technischen Artefakten im Folgen<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>m Hintergrund dieser These<br />

ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n. Den konstatierten politischen Charakter technischer Artefakte auf die<br />

Kategorie Geschlecht zu übertragen, heißt jedoch nicht davon auszugehen, dass<br />

Technologien inhärent vergeschlechtlicht wären. Radikalfeministinnen sowie Ökofeministinnen<br />

hatten in <strong>de</strong>n 1970/80er Jahren behauptet, dass Technologien zutiefst<br />

patriarchal, d.h. prinzipiell in allen Facetten ‚<strong>de</strong>m Weiblichen‘ entgegengesetzt seien.<br />

Dieser Standpunkt wur<strong>de</strong> grundlegend kritisiert, u.a. dahingehend, dass er Frauen ausschließlich<br />

ein Verhältnis <strong>de</strong>r Ablehnung von Technologien, sozusagen ein Nichtverhältnis<br />

zugestehe und damit <strong>de</strong>n Mythos unterstütze, dass Frauen in <strong>de</strong>r Forschung<br />

und Entwicklung technischer Artefakte nicht vorkommen wür<strong>de</strong>n (vgl. etwa Haraway<br />

1995c [1985], Knapp 1989). Die Vorstellung, Technologien seien inhärent patriarchal,<br />

wi<strong>de</strong>rspricht nicht nur <strong>de</strong>n heutigen nicht-essentialistischen Konzeptionen von<br />

Geschlecht. Sie ignoriert zugleich jene aktuellen konstruktivistischen Ansätze feministischer<br />

Technikforschung, die aufzeigen, dass sich Frauen und Männer durch vielfältige<br />

77 Viele <strong>kritisch</strong>e InformatikerInnen, die sich bspw. in <strong>de</strong>r Organisation <strong>de</strong>s Fiff e.V. in Deutschland, auf <strong>de</strong>n<br />

‚Theorie <strong>de</strong>r Informatik‘-Tagungen 2001-2004 o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Critical Computing-Tagungen (1975-2005) zusammenfin<strong>de</strong>n,<br />

teilen diese Position. Ich wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>ren Perspektive hier jedoch nicht geson<strong>de</strong>rt diskutieren,<br />

son<strong>de</strong>rn mich primär auf <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik beziehen, <strong>de</strong>r auf Technologiegestaltung<br />

fokussiert.<br />

29


Praktiken und Diskurse zu Technologie in Beziehung setzen. Aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r<br />

neueren Geschlechterforschung und feministischer Technikgestaltung ist <strong>de</strong>r Gedanke<br />

„inhärent vergeschlechtlichter Technologie“ höchst fragwürdig. Um zu verstehen, wie<br />

sich <strong>de</strong>nnoch Geschlechts- und Ungleichheitsstrukturen in <strong>de</strong>r Technologie i<strong>de</strong>ntifizieren<br />

lassen, ohne von essentieller Einschreibung auszugehen, wird im Folgen<strong>de</strong>n ein<br />

theoretischer Rahmen entwickelt.<br />

Ausgehend von Winners Brückenbeispiel möchte ich Gemeinsamkeiten aufzeigen<br />

zwischen <strong>de</strong>m Vorhaben, auf das Politische von Artefakten hinzuweisen, und <strong>de</strong>m hier<br />

verfolgten Anliegen, ein Konzept <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung informationstechnischer<br />

Artefakte zu entwickeln. Dabei will ich drei Aspekte herausstellen: Erstens die<br />

Fokussierung auf einen sozialen Ausschluss durch Technologien, <strong>de</strong>r strukturell<br />

begrün<strong>de</strong>t ist. Zweitens die Kritik an <strong>de</strong>r vermeintlichen Neutralität <strong>de</strong>r Artefakte, die<br />

sich auch als als die an <strong>de</strong>r Geschlechtsneutralität <strong>de</strong>uten ließe. Drittens das<br />

Phänomen, dass soziale Strukturen nicht nur in Technologien eingeschrieben, son<strong>de</strong>rn<br />

gleichzeitig unsichtbar wer<strong>de</strong>n.<br />

Erstens: Die Behauptung Winners, dass technische Artefakte politisch seien, die er<br />

mit <strong>de</strong>m Brückenbeispiel zu belegen versuchte, bietet einen Einstieg in die Diskussion,<br />

dass und die Frage, wie technische Artefakte vergeschlechtlicht sind, da gezeigt<br />

wer<strong>de</strong>n soll, , dass sich eine soziale Ungleichheitsstruktur in technischen Artefakten<br />

manifestieren kann. Geschlecht als eine Ungleichheitsstruktur zu begreifen, war ein<br />

Hauptausgangspunkt feministischer Theorie und Geschlechterforschung.<br />

Winners Beispiel ver<strong>de</strong>utlicht, dass technische Artefakte Formen <strong>de</strong>r Diskriminierung<br />

verkörpern können, die über <strong>de</strong>n (strukturellen) Zusammenhang von Autobesitz<br />

und Klassen- bzw. ethnischer Zugehörigkeit hergestellt wer<strong>de</strong>n. Dass die in die<br />

Brücken eingeschriebene Diskriminierung nicht auf körperliche o<strong>de</strong>r kognitive Merkmale<br />

rekurriert, son<strong>de</strong>rn sich auf gesellschaftliche Strukturverhältnisse bezieht, ist ein<br />

Aspekt, <strong>de</strong>r das Brückenbeispiel Winners für die hier verfolgte Frage <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring<br />

von Artefakten anschlussfähig macht. In <strong>de</strong>r Informatik wird die Vorstellung <strong>einer</strong><br />

Vergeschlechtlichung von Technologien, die auf strukturell-symbolischen Dimensionen<br />

von Ungleichheit grün<strong>de</strong>t, durch ein zum Positivismus tendier<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Wissenschafts-<br />

und Technikverständnis sowie durch eine verkürzte Auffassung von Geschlecht<br />

erschwert. Geschlecht wird innerhalb <strong>de</strong>r Disziplin oft allein als ein körperliches Merkmal<br />

von Individuen verstan<strong>de</strong>n. 78 Insofern besteht eine Neigung dazu, strukturelle<br />

Ebenen gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse ebenso wie die symbolischen<br />

Zuschreibungen zu vernachlässigen (vgl. etwa Bath 2002a). Auf dieser Basis ist die<br />

Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte jedoch nur eingeschränkt zu verstehen.<br />

Die Analyse bliebe auf wenige physiologische o<strong>de</strong>r mentale Differenzen zwischen<br />

Frauen und Männern begrenzt, die bei <strong>de</strong>r Techniknutzung relevant sein können. 79<br />

Demgegenüber eröffnet das Brückenbeispiel – übertragen auf die Informatik und ihre<br />

Artefakte – die Denkmöglichkeit, dass auch Geschlecht, als eine Strukturkategorie<br />

aufgefaßt, Einfluss auf die Gestaltung von Technologien hat. 80<br />

78<br />

Vgl. hierzu auch Kapitel 2.<br />

79<br />

Vgl. hierzu die Diskussion <strong>de</strong>s im Projekt „Discover Gen<strong>de</strong>r“ entwickelten Gen<strong>de</strong>r-Leitfa<strong>de</strong>ns in Kapitel<br />

2.2.<br />

80<br />

Zwar vermag das Winnersche Beispiel die Aufmerksamkeit auf strukturelle Ebenen <strong>de</strong>r Geschlechterverhältnisse<br />

zu lenken, es vernachlässigt dabei jedoch erkenntnis<strong>kritisch</strong>e sowie symbolische Ebenen <strong>de</strong>r<br />

30


Zweitens: Winners wesentlicher Beitrag zur Debatte um das Verhältnis von Technik<br />

und Gesellschaft wird zumeist in s<strong>einer</strong> Kritik an <strong>de</strong>r Annahme gesehen, dass<br />

Technologien neutral seien: „His is one of the most thoughtful attempts to un<strong>de</strong>rmine<br />

the notion that technologies are in themselves neutral – that all that matters is the way<br />

that societies choose to use them“ (MacKenzie/ Wajcman 1999, 4). Er wen<strong>de</strong>t sich damit<br />

gegen die Auffassung, Technologien selbst als gegeben zu unterstellen. Diese<br />

Vorstellung basiert auf <strong>de</strong>r Annahme, „that technological change is an in<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt<br />

factor, impacting on society from outsi<strong>de</strong> society, so to speak“ (MacKenzie/ Wajcman<br />

1999, 5). Die von Winner kritisierte Position wird in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung unter <strong>de</strong>m Begriff „technologischer Determinismus“ gefasst. Technik<strong>de</strong>terministischen<br />

Ansätzen gelten technologische Entwicklungen insofern als unabhängig<br />

von externen Faktoren, als dass sie <strong>einer</strong> Eigendynamik folgten, die sich nicht<br />

auf an<strong>de</strong>re Logiken (z.B. die <strong>de</strong>r Ökonomie, <strong>de</strong>r Politik, <strong>de</strong>s Militärs) zurückführen<br />

ließen. Dabei wer<strong>de</strong>n Technologien als unabhängige Variablen verstan<strong>de</strong>n, die große<br />

Anpassungsleistungen von <strong>de</strong>n Menschen und sozialen Systemen erzwingen. Technologischer<br />

Determinismus 81 versteht das Technische als vom Sozialen getrennt und<br />

verankert das Primat im Verhältnis von Technik und Gesellschaft auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r<br />

Artefakte. Technischer Wan<strong>de</strong>l wür<strong>de</strong> sozialen Wan<strong>de</strong>l verursachen und <strong>de</strong>terminieren<br />

– sei es im Sinne <strong>einer</strong> konservativen Fortschrittslogik, <strong>einer</strong> kulturpessimistischen<br />

Aufklärungskritik o<strong>de</strong>r eines linken Fortschrittsoptimismus. 82 Winner wandte sich also<br />

gegen die Vorstellung, das Verhältnis von Technik und Gesellschaft darauf zu reduzieren,<br />

<strong>de</strong>r Technik <strong>de</strong>r Vorrang einzuräumen. Moses Brücken bringen zum Ausdruck,<br />

dass das Soziale auf Technologie Einfluss hat, und zwar bereits in <strong>de</strong>n frühen Phasen<br />

ihrer Entwicklung und Gestaltung.<br />

Die Kritik an <strong>de</strong>r vermeintlichen Neutralität <strong>de</strong>r Artefakte und ihrer Unabhängigkeit<br />

von sozialen Bedingungen teilt die sozialwissenschaftliche Technikforschung mit <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik. GeschlechterforscherInnen adressieren das<br />

Argument jedoch häufig eher an das in <strong>de</strong>r Informatik vorherrschen<strong>de</strong> objektivistische<br />

Wissenschaftsverständnis, beispielsweise gegen die Auffassung, dass <strong>de</strong>r Prozess <strong>de</strong>r<br />

Softwareentwicklung rein formalen, technikinternen Logiken folgen wür<strong>de</strong> und bei <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterordnung, die in Kapitel 2 dargestellt wur<strong>de</strong>n und auf die ich weiter unten zurückkommen<br />

wer<strong>de</strong>.<br />

81 Technologischer Determinismus umfasst oft auch eine Techniktheorie, welche die Entwicklung von<br />

Technologie auf einzelne Erfin<strong>de</strong>r (in <strong>de</strong>r Regel Männer) sowie ihre Durchsetzung auf marktwirtschaftliche<br />

Prinzipien zurückführt. „This approach suggests that each generation produces a few inventors, whose<br />

inventions appear to be both the <strong>de</strong>terminants and stepping stones of human <strong>de</strong>velopment. Unsuccessful<br />

inventions are con<strong>de</strong>mned by their failure to the dustheap of history. Successful ones prove their value<br />

and are rapidly integrated into society, which they proceed to transform. In this sense, a technological<br />

breakthrough is claimed to have important social consequences.” (Henwood et al. 2000, 9). Eine solche<br />

Ansicht fin<strong>de</strong>t sich häufig in <strong>de</strong>n gesellschaftspolitischen Debatten um die Informationsgesellschaft.<br />

82 Auf diese unterschiedlichen Facetten <strong>de</strong>s technologischen Determinismus verweist Mona Singer. In <strong>de</strong>r<br />

klassischen Version, die sie als „objektivistisch evolutionäre hard science-Perspektive“ bezeichnet, wür<strong>de</strong>n<br />

Technologien als Umsetzung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse verstan<strong>de</strong>n, die nach forschungsimmanenten<br />

Regeln <strong>de</strong>r Objektivität gewonnen wur<strong>de</strong>n. Die zweite Version <strong>de</strong>s Technik<strong>de</strong>terminismus,<br />

die sie in <strong>de</strong>r Fortschrittskritik <strong>de</strong>r Linken (z.B. Günter An<strong>de</strong>rs) i<strong>de</strong>ntifiziert, begreift Technik als<br />

eine Übermacht, die eine selbst geschaffene Bedrohung für die Menschheit darstellt (z.B. Atombombe,<br />

globale Erwärmung) und die daraus resultiert, dass die mit <strong>de</strong>r Aufklärung in Gang gesetzte Ermächtigung<br />

<strong>de</strong>s rationalen Subjekts in Zweckrationalität umgeschlagen ist. Eine dritte, <strong>de</strong>mgegenüber eher technikeuphorische<br />

Variante verortet Singer in <strong>de</strong>r marxistischen Tradition, die in Naturwissenschaft und Technik<br />

Verbün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>s Sozialismus sieht. Technik wür<strong>de</strong> dort als Teil <strong>de</strong>r Sprengkraft <strong>de</strong>r Produktivkräfte gefasst,<br />

die <strong>de</strong>n kulturellen Überbau <strong>de</strong>terminierten und <strong>de</strong>n sozialen Wan<strong>de</strong>l verursachten (vgl. Singer 2003, 111).<br />

31


Mo<strong>de</strong>llierung die „Realität“ eines Anwendungskontextes quasi abgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n könne.<br />

83 Im Kontrast dazu richtete sich Winner gegen <strong>de</strong>n damals in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Techniktheorie vorherrschen<strong>de</strong>n Strang <strong>de</strong>r Technikfolgenabschätzung:<br />

„Traditionally, social research has ten<strong>de</strong>d to focus on the ‚effects of technology on society’,<br />

its ’impact’, its ‘implications’, and so on” (Edge 1995 [1988], 14). Das Brückenbeispiel<br />

weist damit Geschlechterforschungsansätze in <strong>de</strong>r Informatik darauf hin, dass<br />

ein Verständnis <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte immer auch grundlegen<strong>de</strong> Annahmen<br />

über das Verhältnis von Technik und Gesellschaft enthält. Die Frage nach einem<br />

Konzept <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung wirft <strong>de</strong>mzufolge nicht nur erkenntnistheoretische<br />

Probleme auf, son<strong>de</strong>rn heißt zugleich, Fragen nach <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Technischen und<br />

<strong>de</strong>s Sozialen sowie ihres Zusammenhangs bzw. <strong>de</strong>s Verhältnisses zwischen Menschen<br />

und Maschinen zu beantworten. Diese Fragen wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung kontrovers diskutiert. Dabei wur<strong>de</strong> im Laufe <strong>de</strong>r letzten 30<br />

Jahre ein breites Spektrum grundlegen<strong>de</strong>r Ansätze entwickelt, die auch <strong>einer</strong> feministischen<br />

Analyse unterzogen wor<strong>de</strong>n sind und damit für eine theoretische Fundierung<br />

<strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte vielversprechend erweisen. Diese wer<strong>de</strong>n im<br />

Kapitel 3.3. ausführlicher vorgestellt.<br />

Drittens: Ein weiteres Argument dafür, das Brückenbeispiel im Kontext <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

von Technologien zu diskutieren, besteht in <strong>de</strong>m emanzipatorisch<br />

intendierten Ansatz, einen in <strong>de</strong>n Artefakten manifestierten sozialen Ausschluss als<br />

verborgene Herrschaftssstruktur zu rekonstruieren. Ein großer Teil <strong>de</strong>r Empörung, die<br />

die Geschichte Winners gemeinhin hervorzurufen vermag, grün<strong>de</strong>t auf <strong>de</strong>r entlarvten<br />

Unsichtbarkeit <strong>de</strong>s Sozialen in <strong>de</strong>m fertig gestellten technischen Artefakt. Diesen Effekt<br />

beschreibt Winner anhand von Richard Moses Konstruktionen: „Many of his monumental<br />

structures of concrete and steel embody a systematic social inequality, a way of<br />

engineering relationships among people that, after a time, becomes just another part of<br />

the landscape” (Winner 1999 [1980], 31). Ist das Artefakt erst einmal in die Landschaft<br />

integriert, so erscheint es dort als selbstverständlich. Das dahinter liegen<strong>de</strong> Soziale<br />

wird nicht mehr hinterfragt. Was Winners Argumentation Überzeugungskraft verleiht,<br />

lässt sich – so die Soziologin und Technikforscherin Bettina Heintz – nicht allein auf die<br />

„Externalisierung <strong>de</strong>s Sozialen“ zurückführen. Das Problem bestün<strong>de</strong> vielmehr darin,<br />

dass das Soziale mit <strong>de</strong>r Verlagerung in technische Artefakte gleichzeitig unsichtbar<br />

gemacht wird. „Anstatt Verbotsschil<strong>de</strong>r aufzustellen ‚Zutritt für Schwarze nicht<br />

gestattet!‘, wer<strong>de</strong>n Brücken gebaut, die für Busse unpassierbar sind. Ein Verbotsschild<br />

– ‚Zutritt für Schwarze verboten!’ – macht die Diskriminierung offensichtlich und ruft<br />

Protest hervor. Eine Tafel mit <strong>de</strong>m Hinweisschild ‚Max. Durchfahrtshöhe 2,70 m’ erfüllt<br />

<strong>de</strong>n gleichen Zweck, ohne dass dies auf <strong>de</strong>n ersten Blick erkennbar ist.<br />

Diskriminierung ist hinter – o<strong>de</strong>r besser in – <strong>de</strong>r Technik versteckt und damit <strong>de</strong>m<br />

Alltagsbewußtsein entzogen ... D.h. mit zunehmen<strong>de</strong>r Technisierung wird es immer<br />

schwieriger, die in technischen Artefakten verborgenen sozialen Strukturen zu<br />

erkennen“ (Heintz 1994, 14). 84<br />

83 Für erkenntnis<strong>kritisch</strong>e Perspektiven auf die Prozesse <strong>de</strong>r Softwareentwicklung vgl. Floyd et al. 1992<br />

sowie Bath 2009 in Bezug auf Emotionskonzepte in <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenzforschung.<br />

84 Joerges Versuch <strong>de</strong>r Dekonstruktion Winners sowie die Reaktionen von Woolgar und Cooper erschie-<br />

nen erst nach Heintz Interpretation.<br />

32


Zahlreiche feministische wie gesellschafts<strong>kritisch</strong>e Ansätze <strong>de</strong>r Informatik teilen<br />

Winners Anliegen, Einschreibungen von Ungleichheitsstrukturen in Technologien<br />

herauszuarbeiten, Sowohl vom Standpunkt <strong>de</strong>r Technikgestaltung als auch von <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Technikforschung geht es darum, Selbstverständnisse <strong>de</strong>r TechnikentwicklerInnen,<br />

die diese bewusst o<strong>de</strong>r unbewusst in <strong>de</strong>n Artefakten vergegenständlichen, transparent<br />

zu machen. Unhinterfragte Annahmen über das Soziale im Gestaltungsprozess <strong>de</strong>r<br />

Technologie sollen sichtbar und damit <strong>de</strong>r Kritik zugänglich gemacht wer<strong>de</strong>n. Das<br />

gemeinsame Ziel besteht damit in <strong>de</strong>r Rekonstruktionsarbeit, Selbstverständnisse und<br />

Annahmen <strong>de</strong>r EntwicklerInnen, die in <strong>de</strong>r Technologie verborgen sind, aufzuzeigen.<br />

Dies wirft die Frage nach <strong>einer</strong> theoretischen Fundierung und geeigneten Methodik auf,<br />

die <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Rekonstruktion impliziter Annahmen in <strong>de</strong>r Technik anleiten können.<br />

Die sozialwissenschaftliche Technikforschung hat bereits eine breite Palette von<br />

Vorgehensweisen entwickelt, um Ungleichheitsstrukturen in <strong>de</strong>n Artefakten zu analysieren.<br />

Auch von diesen Theoriebildungen und Vorgehensweisen <strong>de</strong>r Technikforschung<br />

kann die Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik lernen.<br />

An dieser Stelle wer<strong>de</strong>n jedoch bereits Grenzen <strong>de</strong>r Bezugnahme auf das Brückenbeispiel<br />

aus <strong>informatischer</strong> Perspektive <strong>de</strong>utlich. Denn während Winners Absicht<br />

primär darin besteht, die <strong>einer</strong> Technologie eingeschriebenen Agen<strong>de</strong>n politischer o<strong>de</strong>r<br />

ökonomischer Interessen zu „enthüllen“, bleiben VertreterInnen <strong>de</strong>r Geschlechterforschung<br />

in <strong>de</strong>r Informatik nicht bei <strong>einer</strong> gesellschafts<strong>kritisch</strong>en o<strong>de</strong>r feministischen<br />

Analyse stehen. Ihr Interesse besteht vielmehr darin, Erkenntnisse über die Politik und<br />

Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r Artefakte in die Technologiegestaltung zurückzuführen. Das<br />

Wissen über die sozialen Strukturen, die sich in <strong>de</strong>n Artefakten fin<strong>de</strong>n lassen, soll nach<br />

Möglichkeit in konkrete Handlungsanweisungen für die Gestaltung <strong>einer</strong> Technologie<br />

transformiert wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>r Reproduktion und Verfestigung von Ungleichheit durch<br />

Technologie entgegenzuwirken.<br />

Um in diesem Sinne eine Richtung zur Gestaltung von Technik angeben zu können,<br />

muss nicht nur aufgezeigt wer<strong>de</strong>n, warum eine in Bezug auf das betrachtete Artefakt<br />

i<strong>de</strong>ntifizierte Politik o<strong>de</strong>r eine herausgearbeitete Vergeschlechtlichung problematisch<br />

ist. Es ist gleichzeitig positiv zu bestimmen, welche Form und Funktion die zu<br />

entwickeln<strong>de</strong> Technologie aus feministischer bzw. gesellschaftstheoretisch <strong>kritisch</strong>er<br />

Perspektive haben soll. Darüber hinaus sollte aus <strong>informatischer</strong> Sicht eine Vorgehensweise<br />

angegeben wer<strong>de</strong>n, wie die gewünschte Gestalt <strong>de</strong>s Artefaktes erreicht wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Feministische wie <strong>kritisch</strong>e Ansätze in <strong>de</strong>r Informatik stehen somit vor <strong>de</strong>m<br />

grundsätzlichen Problem, normative Setzungen in Bezug auf eine wünschenswerte<br />

Gestalt und <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess vornehmen zu müssen.<br />

Während es Winner 1980 plausibel erschien, dass Solarenergie mit <strong>de</strong>mokratischen<br />

Strukturen gut zusammenpasst („strongly compatible“, Winner 1999 [1980], 33),<br />

erscheint es heutzutage sowohl aus <strong>de</strong>r Perspektive aktueller gesellschaftlicher<br />

Entwicklungen wie auch auf Grundlage <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

unklar, welche Technologien wir gegenwärtig als egalitär, <strong>de</strong>mokratisch o<strong>de</strong>r emanzipatorisch<br />

bezeichnen können. Ebenso unsicher scheint, welche Technologien sich<br />

unter welchen Umstän<strong>de</strong>n als „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red technologies“ begreifen ließen. Dies stellt<br />

ein grundsätzliches Problem dar, auf das ich in einem späteren Kapitel (Kapitel 5)<br />

zurückkommen wer<strong>de</strong>.<br />

33


Die theoretischen Unsicherheiten beginnen jedoch nicht erst bei <strong>de</strong>r Frage nach<br />

<strong>einer</strong> alternativen Gestaltung von Technologie, die sich primär darüber <strong>de</strong>finiert, dass<br />

ihr keine Ungleichheitsstruktur eingeschrieben ist. Vielmehr treten sie bereits bei <strong>de</strong>r<br />

Konzeption <strong>de</strong>s Politischen <strong>de</strong>r Artefakte auf. Winner hatte eine sehr vereinfachte Vorstellung<br />

von Unterdrückung und Diskriminierungstrukturen – eine Sichtweise, die auf<br />

<strong>de</strong>r Basis aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen sowie ihrer Theoretisierung nicht<br />

mehr adäquat erscheint und neu konzeptualisiert wer<strong>de</strong>n muss. Ebenso wie seine<br />

gesellschaftstheoretischen Annahmen ist auch seine Konzeption <strong>de</strong>s Verhältnisses von<br />

Technologien und Gesellschaft zu überarbeiten und auszudifferenzieren. Im verbleiben<strong>de</strong>n<br />

Teil dieses Kapitels wer<strong>de</strong>n Fragen <strong>de</strong>r Ungleichheit entlang <strong>de</strong>r Verständnisse<br />

sozialwissenschaftlicher und feministischer Technikforschung diskutiert und im<br />

Anschluss daran wird auf die Kategorie Geschlecht fokussiert, wie sie in <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterforschung innerhalb <strong>de</strong>r letzten 30 Jahre konzeptualisiert wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Soweit betrachtet hat sich die <strong>kritisch</strong>e Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Winners Aussagen<br />

über <strong>de</strong>n politischen Charakter von Technologien bereits als produktiv erwiesen, um<br />

die Problemstellung <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring informationstechnischer Artefakte<br />

zu bearbeiten. Die Fragen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung und <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r Artefakte<br />

wiesen <strong>einer</strong>seits genügend Gemeinsamkeiten auf, um Übertragungen zuzulassen. So<br />

muss ein theoretisch fundierter Ansatz, <strong>de</strong>r die Vergeschlechtlichung von Technologien<br />

beschreiben will, grundlegen<strong>de</strong> Fragen nach <strong>de</strong>r Konzeption <strong>de</strong>s Verhältnisses von<br />

Technik und Gesellschaft, von Mensch und Maschine, nach <strong>de</strong>r Intention und Verantwortung<br />

von TechnologiegestalterInnen für ihre Produkte o<strong>de</strong>r die <strong>de</strong>s methodischen<br />

Zugriffs beantworten, die genuiner Gegenstand <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

sind. Dies betrifft nicht nur die Frage nach <strong>de</strong>n Grenzen <strong>de</strong>r Übertragbarkeit,<br />

beispielweise aufgrund qualitativer Unterschie<strong>de</strong> zwischen Stahlkonstruktionen und informatischen<br />

Artefakten, zwischen StadtplanerInnen und InformatikerInnen, o<strong>de</strong>r das<br />

vor <strong>de</strong>m Hintergrund aktueller Gesellschaftstheorien reduzierte Verständnis von Ungleichheit.<br />

Vielmehr greift Winners Plädoyer auch aus Sicht <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung an einigen Stellen zu kurz. Die Argumente, die sein Aufsatz in<br />

<strong>de</strong>n Debatten <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung <strong>de</strong>r letzten 25 Jahre darlegt,<br />

geben wertvolle Hinweise darauf, worin Fehlschlüsse auf theoretischer Ebene<br />

sowie systematische Verkürzungen liegen, die auf ein (noch zu entwickeln<strong>de</strong>s) Verständnis<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Artefakten ebenso zutreffen könnten. Sie sprechen<br />

damit Warnungen für eine feministische Analyse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von<br />

Technologien aus. Deshalb soll diesen Argumentationen hier Raum gegeben wer<strong>de</strong>n,<br />

um für das Anliegen <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik – positiv wie negativ<br />

– von <strong>de</strong>n Entwicklungen im Feld <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

lernen zu können.<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n möchte ich anhand <strong>de</strong>r Rezeption <strong>de</strong>s Brückenbeispiels in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung und <strong>de</strong>r daran anschließen<strong>de</strong>n Theorieentwicklung<br />

herausarbeiten, wie sich das Gen<strong>de</strong>ring informationstechnischer Artefakte<br />

theoretisch fassen lässt. Ziel ist es, eine allgemeine Konzeption <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring technischer<br />

Artefakte zu entwickeln, die auf eine feministische Technikgestaltung hinführt<br />

und dabei we<strong>de</strong>r in dieselben theoretischen Fallstricke hineinstolpert, in <strong>de</strong>nen sich<br />

Protagonisten wie Winner o<strong>de</strong>r seine Gegenspieler bereits verwickelt hatten, noch <strong>de</strong>n<br />

34


politischen Charakter von Technologien aus <strong>de</strong>n Augen verliert, auf <strong>de</strong>n Winner hingewiesen<br />

hatte. 85<br />

3.2. Verkürzungen: Kritiken an Winners Brückenbeispiel in <strong>de</strong>r<br />

sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

In seinem Aufsatz „Die Brücken <strong>de</strong>s Robert Moses“ argumentiert Joerges, dass Winners<br />

Argument historisch inkorrekt ist. Ein Angriffspunkt <strong>de</strong>r Kritik ist die Moses unterstellte<br />

rassistische Absicht. Joerges zufolge erweist sich die Quelle, aus <strong>de</strong>r Winner<br />

<strong>de</strong>n Rassismusvorwurf an Moses bezieht, 86 als unglaubwürdig. Dennoch will er sich<br />

kein Urteil darüber anmaßen, ob Moses tatsächlich bewusst intendierte, Schwarze von<br />

<strong>de</strong>n Strän<strong>de</strong>n ausschließen, son<strong>de</strong>rn vermutet, dass Moses „wie praktisch je<strong>de</strong>r Angehörige<br />

<strong>de</strong>s Ostküsten-Establishments <strong>de</strong>r damaligen Zeit“ ein „struktureller Rassist“<br />

war. „Er unterstützte und implementierte eine Politik, die er als liberal und reformerisch<br />

verstand, eine Politik, die nichts<strong>de</strong>stoweniger die vorherrschen<strong>de</strong>n Rassenbeziehungen<br />

unangetastet ließ und hinnahm, dass die rasante ökonomische Entwicklung bis zur<br />

Depression sie noch zu verschärfen drohte. In einem Wort: Was Moses tat und dachte,<br />

war Normalform in seinen Kreisen, und er sah sich je<strong>de</strong>rzeit in voller Übereinstimmung<br />

mit <strong>de</strong>n vorwiegend <strong>de</strong>mokratischen und New-Deal-Politikern.“ (Joerges 1999a, 54).<br />

Joerges erklärt hier strukturellen Rassismus zur nicht weiter zu befragen<strong>de</strong>n<br />

Normalität <strong>einer</strong> bestimmten Schicht. Er versucht damit ein entpolitisiertes Verständnis<br />

nicht nur von Technik son<strong>de</strong>rn generell von Herrschaft zu etablieren. Joerges bagatellisiert<br />

hier die aktive Partizipation an einem hegemonialen Herrschafts- und Ausschließungszusammenhang.<br />

Durch ein „Mehrheitsargument“ wer<strong>de</strong>n Moses, seine<br />

Kreise, aber ebenso sozialwissenschaftliche Technikforscher_innen wie technische<br />

Artefakte freigesprochen von Verantwortlichkeit für bestimmte Ungleichheitsstrukturen.<br />

In Bezug auf die Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r Artefakte scheint in <strong>de</strong>r Informatik eine<br />

vergleichbare Situation vorzuliegen, da diese in ähnlicher Weise unbeabsichtigt ist.<br />

Auch in diesem Kontext wür<strong>de</strong> vermutlich kaum jemand explizit und bewusst Frauen<br />

durch Informationstechnologien ausschließen o<strong>de</strong>r diskriminieren wollen. Dennoch<br />

kann dort Geschlecht als strukturelle Ungleichheitsstruktur auch im Technikgestaltungsprozess<br />

wirksam wer<strong>de</strong>n, wenn die „Normalform“ <strong>de</strong>s Denkens in Kreisen von<br />

TechnikentwicklerInnen nicht grundlegend gesellschafts<strong>kritisch</strong> reflektiert wird. Die<br />

fehlen<strong>de</strong> diskriminieren<strong>de</strong> Absicht <strong>de</strong>s Konstrukteurs besagt nicht, dass das technische<br />

Artefakt nicht trotz<strong>de</strong>m politisch bzw. vergeschlechtlicht sein kann. Im Gegenteil. Auch<br />

die im nachfolgen<strong>de</strong>n Kapitel vorgestellten Beispiele für das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte lassen nicht notwendigerweise auf eine von <strong>de</strong>n EntwicklerInnen intendierte<br />

Diskriminierung zurückschließen. Gera<strong>de</strong> aber, wenn die nicht-intentionale Fortschrei-<br />

85 Es ist jedoch zu fragen, warum kein vergleichbares Beispiel für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Informationstechnologien<br />

und die Kategorie Geschlecht bekannt gewor<strong>de</strong>n ist. Ein solches Beispiel für das Gen<strong>de</strong>ring informationstechnologischer<br />

Artefakte hätte die Institutionalisierung <strong>de</strong>r Geschlechterforschung innerhalb <strong>de</strong>r Informatik<br />

vermutlich schneller voran bringen können als das bisher geschehen ist. Im Folgen<strong>de</strong>n wird jedoch<br />

anhand <strong>de</strong>r Debatten <strong>de</strong>r sozialwissenschafltichen Technikforschung dargelegt, dass das Fehlen<br />

eines solchen einschlägigen „guten Beispiels“ darauf verweist, dass die Frage so falsch gestellt ist. Die<br />

Vergeschlechtlichung von Artefakten ist ein komplexer Prozess, <strong>de</strong>r sich nicht durch ein simples Beispiel<br />

veranschaulichen lässt.<br />

86 Winner bezieht sich vornehmlich auf die Moses-Biografie von Robert Caro: „The Power Broker: Robert<br />

Moses and the Fall of New York“ (Caro 1974).<br />

35


ung von Ungleichheitsstrukturen dafür <strong>de</strong>r Normalfall ist, wie Technologien einen politischen<br />

beziehungsweise geschlechtlichen Charakter erhalten, kommt es darauf an, die<br />

Mechanismen, die diesen Prozessen zugrun<strong>de</strong> liegen, herauszuarbeiten und – in einem<br />

ersten Schritt – genauer zu begreifen, anstatt diese <strong>einer</strong> weiteren, diesmal wissenschaftlichen<br />

Legitimationsschleife zu unterziehen und sie, so wie Joerges vorführt,<br />

erneut zu bestätigen.<br />

Joerges führt seine Dekonstruktion <strong>de</strong>s Brückenbeispiels fort, in<strong>de</strong>m er eine alternative<br />

Erklärung dafür liefert, warum die Brücken so niedrig gebaut wor<strong>de</strong>n sind. Nach<br />

US-amerikanischen Regelungen war und ist je<strong>de</strong>r kommerzielle Verkehr von Lastwagen<br />

bis hin zu öffentlichen Bussen auf <strong>de</strong>n Parkways verboten. Sie führten durch landschaftlich<br />

reizvolle Parks, die ursprünglich für Erholungsfahrten und nicht als Allzwecktransportweg<br />

gedacht waren. Parkways seien ein beson<strong>de</strong>rer Straßentyp, <strong>de</strong>r sich gera<strong>de</strong><br />

durch <strong>de</strong>n Ausschluss <strong>de</strong>s kommerziellen Verkehrs <strong>de</strong>finiert, im Vergleich zu <strong>de</strong>n<br />

sogenannten Freeways, die allen Arten von Fahrzeugen freien Zugang bieten. Joerges<br />

betont, dass viele TechnikforscherInnen Moses Konstruktion als Abweichung von<br />

einem in <strong>de</strong>n USA gelten<strong>de</strong>n Stand <strong>de</strong>r Brückenbautechnik interpretiert hatten, dabei<br />

hätte Moses „mit seinen Brücken nichts an<strong>de</strong>res getan als je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Parkway-Beauftragte<br />

im ganzen Land auch“ (Joerges 1999a, 57).<br />

Damit verweist Joerges auf ein Problem, dass auch bei <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte relevant wer<strong>de</strong>n kann. Es liegt nicht ausschließlich in <strong>de</strong>r Hand<br />

<strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen, einen diskriminieren<strong>de</strong>n Effekt von Technologien verstärken<br />

(o<strong>de</strong>r auch verhin<strong>de</strong>rn) zu können. Der Prozess ist vielmehr verwickelt in ein komplexeres<br />

Netzwerk von Gesetzen, informellen Regeln, organisatorischen Strukturen, ökonomischen<br />

Interessen uvm., 87 in <strong>de</strong>m auch wi<strong>de</strong>rsprüchliche Beiträge zu <strong>de</strong>m sozialen<br />

Auschluss geleistet wer<strong>de</strong>n können, die eine individuelle „Schuldzuschreibung“ unmöglich<br />

machen. Dennoch kann ihm vorgehalten wer<strong>de</strong>n, dass es im Fall <strong>de</strong>r Brücken<br />

zumin<strong>de</strong>st prinzipiell möglich gewesen wäre, sich politisch für die Aufhebung <strong>de</strong>r<br />

offenbar diskriminieren<strong>de</strong>n Parkway-Regelung, keine öffentlichen Busse zuzulassen,<br />

einzusetzen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rweitig auf diesen rassisieren<strong>de</strong>n und klassisieren<strong>de</strong>n Effekt <strong>de</strong>r<br />

Regelung aufmerksam zu machen.<br />

KritikerInnen Winners warfen diesem nicht nur vor, dass er <strong>de</strong>m Brückenkonstrukteur<br />

Moses einen strukturellen Rassismus unterstelle, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>uteten diese Haltung<br />

gar als persönliche, in<strong>de</strong>m sie ihm die Verantwortung für die Zementierung <strong>de</strong>s sozialen<br />

Ausschlusses in <strong>de</strong>r Technik zuschrieben. Sie beanstan<strong>de</strong>ten zugleich, dass er<br />

Übereinstimmungen zwischen <strong>de</strong>r Intention <strong>de</strong>s Konstrukteurs und <strong>de</strong>r tatsächlichen<br />

Wirkung <strong>de</strong>s Artefaktes annimmt. AutorInnen verschie<strong>de</strong>nster theoretischer Couleur<br />

haben seither herausgearbeitet, dass <strong>de</strong>r Gestaltungskontext klar vom Nutzungskontext<br />

<strong>einer</strong> Technologie zu unterschei<strong>de</strong>n ist, ohne dies jedoch als Grund für die<br />

Ablehnung von Verantwortung zu missbrauchen (vgl. etwa Bijker et al. 1987,<br />

Oudshoorn/ Pinch 2003 sowie die dort angegebenen Studien). Eine Reihe von<br />

Fallstudien zeigte beispielsweise, dass NutzerInnen sich Technologien in an<strong>de</strong>rer<br />

87 Joerges führt explizit auch ökonomische Grün<strong>de</strong> an: eine Höherlegung <strong>de</strong>r Brücken hätte erhebliche<br />

Mehrkosten verursacht. Von Ingenieuren erwarte man jedoch generell, dass sie die ökonomisch günstigste<br />

Lösung für ihre Aufgaben fän<strong>de</strong>n (vgl. Joerges 1999a, 54). Diese Reduktion ingenieurwissenschaftlichen<br />

Han<strong>de</strong>lns auf <strong>de</strong>n bestmöglichen Kosten-Nutzen-Faktor ist m.E. jedoch gera<strong>de</strong> im Bereich<br />

staatlicher Infrastrukturmaßnahmen grundlegend zu hinterfragen.<br />

36


Weise aneignen als von <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen intendiert. Das „Scratchen“ mit<br />

einem Plattenspieler ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Nutzung <strong>de</strong>s Autos als<br />

stationäre Energiequelle im ländlichen US-Amerika (vgl. Kline/ Pinch 1996). Die<br />

Beziehungen zwischen technologischem Design und Use erscheinen <strong>de</strong>mnach äußerst<br />

komplex und prinzipiell unvorhersagbar. Die Annahme, dass Gestaltungsziele und tatsächliche<br />

Nutzung übereinstimmen, bezeichnet Albrechtslund (2007) als „Positivismusproblem“:<br />

„I name it ‘positivism’, because it is the <strong>de</strong>fault position that the <strong>de</strong>sign of<br />

a technology will – more or less – correspond with the use of technology and this<br />

relation does not pose a problem” (Albrechtslund 2007, 68). 88<br />

In <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung war Steve Woolgar <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r<br />

ersten, <strong>de</strong>r auf dieses Problem in Winners Argument aufmerksam gemacht hatte:<br />

„[T]he motivations of the <strong>de</strong>signer are ren<strong>de</strong>red consistent with the effects of the<br />

<strong>de</strong>sign. This is <strong>de</strong>spite the frequently noted phenomena (a) that effects of a technology<br />

frequently diverge from the inten<strong>de</strong>d effects and (b) that a whole series of different<br />

effects can be said to result from the same technology.[…] Despite the argument that<br />

the outcome or impact of technologies are contentious, that it is highly problematic to<br />

nominate one or other effect as arising from technology per se than from other social<br />

‘factors’, [Winner’s story] unproblematically nominates the outcome (effects) of a<br />

technology” (Woolgar 1991a, 34, Hervorhebung im Orig.). Winner beschränke also<br />

seine Interpretation <strong>de</strong>r Brücken auf einen einzigen Effekt: ihre Funktion sei das<br />

Fernhalten <strong>de</strong>r sozial Schwachen und Schwarzen von <strong>de</strong>n weißen Strän<strong>de</strong>n. Er<br />

versuche nicht, wie Woolgar ihm vorwirft, das damit <strong>de</strong>n Brücken zugeschriebene<br />

Potential, auf das Soziale Einfluss zu nehmen, zu <strong>de</strong>konstruieren, son<strong>de</strong>rn setze<br />

voraus, was zu untersuchen sei. 89<br />

Ein wesentlicher Aspekt <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>r Brücken bzw. <strong>de</strong>r Überzeugungsfähigkeit<br />

von Winners Geschichte resultiert aus <strong>de</strong>r Vorstellung, die unter ihnen durchgeführten<br />

Parkways seien exklusive Zugänge zu <strong>de</strong>n Strän<strong>de</strong>n Long Islands gewesen. Diese<br />

These bezeichnet Joerges, wie viele an<strong>de</strong>re, als absurd. Er führt dagegen parallel verlaufen<strong>de</strong><br />

Strassen wie <strong>de</strong>n ebenfalls von Moses gebauten Expressway sowie öffentliche<br />

Zugverbindungen an. In Woolgar und Cooper’s Artikel (1999) ist sogar ein Busfahrplan<br />

für die entsprechen<strong>de</strong> Strecke abgedruckt. Die Belege richten sich vornehmlich<br />

gegen die weit verbreitete Interpretation, dass Moses die Brücken physisch so gestaltete,<br />

dass ausschließlich die willkommenen Besucher passieren konnten, während<br />

sämtlichen an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r Zugang verwehrt wur<strong>de</strong>.<br />

Während Joerges, Woolgar und Cooper ihre Argumentation als grundlegen<strong>de</strong><br />

Dekonstruktion verstehen, 90 <strong>de</strong>ute ich ihre Einwän<strong>de</strong> in Übertragung auf die Frage <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte primär dahingehend, dass Technologien vergeschlechtlicht<br />

88 Auf die Möglichkeit, <strong>de</strong>n Artefakten bewusst ein emanzipatorisches Moment durch eine entsprechen<strong>de</strong><br />

Gestaltung einzuschreiben wer<strong>de</strong> ich bei <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring informationstechnologischer<br />

Artefakte in Kapitel 5 zurückkommen.<br />

89 „Winner makes his case by treating as <strong>de</strong>finitive what might be elsewhere treated […] as essentially<br />

contingent and contextable versions of the capacity of technology. He is not concerned to <strong>de</strong>construct<br />

these particular versions of technical capacity, although from the point of view of a broad constructivist<br />

commitment, they are clearly part of the phenomena to be investigated“ (Woolgar 1991a, 35).<br />

90 Grint und Woolgar (1995) kritisieren Winners Position als normativ, es ginge ihm vornehmlich darum<br />

nachzuweisen, dass Technologien politisch sind. Joerges geht in dieser Interpretation sogar noch weiter,<br />

in<strong>de</strong>m er Winner vorwirft, dass es ihm nicht um Wissenschaftlichkeit ginge. Er zitiert ihn aus einem Interview<br />

zu <strong>de</strong>m Artefakt-Artikel: „Ich bin nicht an Theorien interessiert, son<strong>de</strong>rn an moralischen Fragen. Es<br />

geht mir nicht um Erklärungen, son<strong>de</strong>rn um politische Entscheidungen“ (Winner nach Joerges 1999a, 60).<br />

37


sein können, ohne, dass Frauen dadurch bestimmte Handlungsmöglichkeiten ein<strong>de</strong>utig<br />

versperrt bleiben. Selbst wenn das Artefakt eine Bedienung nahe legt, welche die Ungleichheitsstruktur<br />

„Geschlecht“ zwar fortschreibt, diese aber letztendlich umgangen<br />

wer<strong>de</strong>n kann, spreche ich – in Anlehnung an neuere Interpretationen <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung – von <strong>einer</strong> Einschreibung von Geschlecht in das Artefakt.<br />

91 Ebenso spreche ich unter bestimmten Umstän<strong>de</strong>n von <strong>einer</strong> Vergeschlechtlichung<br />

<strong>de</strong>r Technologie, selbst wenn alternative Formen <strong>de</strong>r Nutzung bzw. Nichtnutzung<br />

<strong>de</strong>s vergeschlechtlichten Artefakts bestehen. Denn auch diese Möglichkeiten <strong>de</strong>r<br />

Umgehung können wie<strong>de</strong>rum durch die soziale Geschlechterordnung strukturiert sein.<br />

Die Formen <strong>de</strong>r Reproduktion von Geschlecht als Strukturkategorie sind komplexer als<br />

sie auf ein<strong>de</strong>utige Unterdrückung von Frauen o<strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rung von Frauen bei <strong>de</strong>r<br />

Nutzung von Technologie beschränken zu können.<br />

.Von Seiten <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung wirft auch Bruno Latour<br />

Licht auf die Debatte, in<strong>de</strong>m er Winners Argumentationen weiter führt. Er hinterfragt die<br />

von Winner postulierte Politik <strong>de</strong>r Artefakte: „But what does it mean to say that bridges<br />

‘embody’, ‘reify’ or ‘materialise’ some political intent?“ (Latour 2004, o.S.). Zwar stimmt<br />

er zu, dass je<strong>de</strong>r Kontakt und je<strong>de</strong> Interaktion mit <strong>einer</strong> Technologie unsere<br />

Handlungsweise beeinflusst und verän<strong>de</strong>rt. Das be<strong>de</strong>ute jedoch nicht, dass dadurch<br />

notwendigerweise eine in <strong>de</strong>m Artefakt verankerte Form <strong>de</strong>r Diskriminierung zum Ausdruck<br />

kommen wür<strong>de</strong>. Vielmehr eröffneten Technologien auch Handlungsmöglichkeiten:<br />

„We are also, thanks to them, ‘allowed’, ‘permitted’, ‘enabled’, ‘authorised’ to do<br />

things. Thus, to say that our ordinary course of action is intermingled with artifacts does<br />

not mean that they have politics” (Latour 2004, o.S.).<br />

Latour betrachtet Artefakte nicht als neutrale Objekte, die von Interessen und<br />

Werten unabhängig sind, son<strong>de</strong>rn als zentrale Knoten von Machtkämpfen. Insofern<br />

versteht er sie durchaus politisch. Er wen<strong>de</strong>t sich jedoch <strong>de</strong>zidiert gegen die<br />

Vorstellung Winners, dass Technologien nach <strong>de</strong>m Motto: “Give me the social<br />

structure, I will give you the shape technology should take” (Latour 2004, o.S.) eine<br />

Form <strong>de</strong>r Unterdrückung verkörperten. Denn dies hieße, dass die Konstruktionen nur<br />

<strong>de</strong>n reinen Effekt <strong>einer</strong> Herrschaftsstruktur in sich trügen, nicht aber selbst aktiv wirken<br />

könnten. Insofern wer<strong>de</strong> die Neutralitätsauffassung, die ehemals Gegenstand <strong>de</strong>r Kritik<br />

war, doch wie<strong>de</strong>r bestätigt.<br />

Für Latour besteht die Politik <strong>de</strong>r Artefakte nicht – wie es Winners Geschichte nahe<br />

legt – darin, dass TechnologiegestalterInnen soziale Ungerechtigkeiten irreversibel und<br />

materiell festschreiben. Im Gegenteil. In Abwandlung und Zuspitzung <strong>de</strong>s bereits angesprochenen<br />

Phänomens <strong>de</strong>r nicht-intendierten Nutzung von Technologien sieht er das<br />

Problem gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Macht und Kontrolle <strong>de</strong>r IngenieurInnen über die späteren<br />

Auswirkungen ihrer Konstruktionen. Als Beispiel dafür führt er das Hausmannsche<br />

Gebäu<strong>de</strong> an, das er in Paris bewohnt. Dessen Architektur wäre zu Zeiten s<strong>einer</strong><br />

Entstehung darauf ausgerichtet gewesen, die alltäglichen Wege <strong>de</strong>r höheren Klasse<br />

und die <strong>de</strong>s Dienstleistungspersonals klar voneinan<strong>de</strong>r abzugrenzen. Heutzutage habe<br />

dies allerdings <strong>de</strong>n Effekt, dass er seine Wohnung im 6. Stock bequem über <strong>de</strong>n Fahrstuhl<br />

erreichen kann, während die Studieren<strong>de</strong>n, die ihn besuchen wollen, die öffentlich<br />

zugänglichen Treppen benutzen müssten. Die sozialen Formungen von Technologien<br />

91 Vgl. hierzu das Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept (Rommes 2002) bzw. die Ausführungen dazu im Kapitel 3.7.<br />

38


ächten also mitunter unerwartete Konsequenzen hervor, die von <strong>de</strong>n ursprünglichen<br />

Absichten <strong>de</strong>r GestalterInnen stark abweichen können. „But if artifacts do more than<br />

‘objectifying’ some earlier political scheme, if their <strong>de</strong>sign is full of unexpected consequences,<br />

if their durability means that all the original i<strong>de</strong>as their <strong>de</strong>signers entertained<br />

about them will have drifted in a few <strong>de</strong>ca<strong>de</strong>s, if, in addition, they do much more than<br />

carrying out power and domination and are also offering permissions, possibilities,<br />

affordances, it means that they are doing politics in a way not anticipated by Langdon<br />

Winner’s seminal article” (Latour 2004, o.S.).<br />

Latours Ausführungen basieren im Wesentlichen auf zwei Argumenten. Er betont<br />

<strong>einer</strong>seits, dass nicht je<strong>de</strong>m Artefakt eine Politik im Sinne von Herrschaft eingeschrieben<br />

ist. Es müsse diesen nicht notwendigerweise ein Unterdrückungsmoment innewohnen.<br />

Vielmehr können Technologien Zugänge und Erlaubnisse, Berechtigungen<br />

und Handlungsauffor<strong>de</strong>rungen bieten. Dazu erinnert Latour an technische Artefakte<br />

wie Wasserkocher, automatische Türschließer, Sicherheitsgurte o<strong>de</strong>r auch in Straßen<br />

eingebaute Rüttelschwellen, welche die FahrerIn eines Autos beispielsweise vor<br />

Schulen auf ihre Fahrgeschwindigkeit aufmerksam machen sollen.<br />

An<strong>de</strong>rerseits weist Latour darauf hin, dass Technologien eine historisch lang<br />

andauern<strong>de</strong> Nutzungsphase haben können. Dies ist ein Aspekt <strong>de</strong>r insbeson<strong>de</strong>re<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Informatik selten berücksichtigt wird, wie beispielsweise das Jahr 2000-<br />

Problem ver<strong>de</strong>utlicht hatte. 92 In <strong>de</strong>r hier vorliegen<strong>de</strong>n Analyse <strong>de</strong>r Politik und <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung von Artefakten stehen jedoch weniger die technischen Probleme<br />

im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Betrachtung, die aufgrund mangeln<strong>de</strong>r Voraussicht Jahre später<br />

auftreten könnten. Vielmehr sind es die sozialen Nutzungszusammenhänge, die sich<br />

historisch (und es ließe sich hinzufügen auch kulturell) stark verschieben können.<br />

Latour wen<strong>de</strong>t sich damit gegen eine Auffassung, die Bettina Heintz in <strong>einer</strong> ihrer<br />

späteren Interpretationen <strong>de</strong>s Winnerschen Aufsatzes auf <strong>de</strong>n Punkt gebracht hatte:<br />

„Die Auslagerung sozialer Strukturen in technische Artefakte be<strong>de</strong>utet, dass sie […]<br />

nicht mehr verän<strong>de</strong>rbar sind. Sie sind so starr und statisch wie das Material, in <strong>de</strong>m sie<br />

verkörpert sind. In unseren technischen Artefakten tragen wir die sozialen Strukturen<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaften mit uns herum. Wir können die Regeln <strong>de</strong>s Zusammenlebens<br />

än<strong>de</strong>rn, wir können Gleichberechtigungsgesetze aufstellen und Quotenregelungen<br />

erlassen. Was immer wir an Neuem erschaffen, in unserer materiellen Umwelt bleiben<br />

die alten Strukturen erhalten und zwingen uns unter Umstän<strong>de</strong>n ein Verhalten auf, das<br />

<strong>de</strong>n neuen Regeln wi<strong>de</strong>rspricht“ (Heintz 1994, 14).<br />

Wenn wir dagegen Latours Ausführungen folgen, so ist das Haus, in <strong>de</strong>m er wohnt,<br />

zu Zeiten s<strong>einer</strong> Entstehung als ein Ausdruck von Klassenverhältnissen zu lesen,<br />

während es heute eher als Diskriminierung innerhalb ein und <strong>de</strong>rselben bürgerlichen<br />

Klasse (Universitätsprofessor und Studieren<strong>de</strong>) wirke. Hier betreibt Latour zwar selbst<br />

einen sozialen Ausschluss, in<strong>de</strong>m er ignoriert, dass er seine Klassenposition nicht<br />

notwendigerweise mit allen Studieren<strong>de</strong>n teilt. Nimmt man sein prinzipielles Argument<br />

jedoch trotz<strong>de</strong>m ernst, so lässt sichin Bezug auf die Kategorie Geschlecht weiter<br />

92 Frühe Softwaresysteme aus <strong>de</strong>n 1960er und 70er Jahren verzichteten, um damals teuren Speicherplatz<br />

zu sparen, auf vierstellige Jahreszahlangaben. Aufgrund möglicher Verwechslungen <strong>de</strong>s Jahres 2000 mit<br />

1900 wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n 1990er Jahren groß angelegte Umstellungen von <strong>de</strong>r Computerindustrie eingeleitet,<br />

um befürchtete Katastrophen durch IT-Ausfälle und -Störungen beim Jahreswechsel 1999/2000 zu vermei<strong>de</strong>n.<br />

39


<strong>de</strong>nken, dass ein Artefakt gegenwärtig eine starke Geschlechtseinschreibung tragen<br />

kann, während es zu späteren Zeiten in dieser Hinsicht unverfänglich wirkt – o<strong>de</strong>r auch<br />

umgekehrt. Was ehemals als männlich galt, erscheint heutzutage als weiblich. Einen<br />

solchen „Geschlechtswechsel“ hatte beipielsweise das Artefakt Mikrowelle mittels<br />

entsprechen<strong>de</strong>r Marketingstrategien vollzogen (Cockburn/Ormrod 1993). Die strukturell-symbolische<br />

Geschlechterordnung unterliegt wie an<strong>de</strong>re Ungleichheitsverhältnisse<br />

beizeiten starken Wandlungen. Deshalb kann eine Technologie also nicht „an sich“<br />

eine Herrschaftsstruktur in sich tragen. Die Politik eines Artefakts ist ebenso wie<br />

<strong>de</strong>ssen Vergeschlechtlichung stets ist an <strong>de</strong>n jeweiligen historischen, sozialen und<br />

kulturellen Kontext gebun<strong>de</strong>n.<br />

Bis hierher habe ich aus <strong>de</strong>n Debatten um Winners Brückenbeispiel fünf verbreitete,<br />

jedoch verkürzte Lesarten <strong>de</strong>r Einschreibung <strong>de</strong>s Sozialen in technische Artefakte<br />

herausgearbeitet:<br />

1. die Annahme, dass TechnologiegestalterInnen absichtsvoll Ungleichheitsstrukturen<br />

im Artefakt materialisieren (Intentionalität <strong>de</strong>r Einschreibung)<br />

2. die Vorstellung, dass sich die Absichten <strong>de</strong>r EntwicklerIn bzw. KonstrukteurIn direkt<br />

in soziale Wirkungen <strong>de</strong>s Artefakts übersetzen (Übereinstimmung von Gestaltungszielen<br />

und Wirkungen)<br />

3. die Interpretation, dass eine inkorporierte Unterdrückung und Diskriminierung ein<strong>de</strong>utig<br />

sein muss und keine Alternativen zulässt, um als Politik bezeichnet zu<br />

wer<strong>de</strong>n (Zwanghaftigkeit <strong>de</strong>s sozialen Ausschlusses)<br />

4. die Unterstellung, je<strong>de</strong>s technische Artefakt sei politischer Natur (generalisierter<br />

Herrschaftsvorwurf)<br />

5. die Ansicht, dass die Ungleichheitsstruktur geschichtslos und unabhängig vom sozio-kulturellen<br />

Kontext <strong>de</strong>r Nutzung in <strong>de</strong>m Artefakt „an sich“ verankert sei (technologische<br />

Essentialisierung <strong>de</strong>r Ungleichheit).<br />

Die bisherige Diskussion hat gezeigt, dass die Materialisierung von<br />

Ungleichheitsstrukturen in technischen Artefakten in einem differenzierteren Sinne<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n muss, als mit diesen fünf Punkten angenommen wird. Die diesen<br />

Lesarten entggengebrachte Kritik schärft nicht nur <strong>de</strong>n Blick auf die Politik <strong>de</strong>r<br />

Artefakte, son<strong>de</strong>rn zugleich darauf, wie die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte theoretisch fundiert wer<strong>de</strong>n kann. Wenn Geschlecht als eine<br />

Ungleichheitsstruktur verstan<strong>de</strong>n wird, so lässt sich das Ziel <strong>de</strong>s Kapitels nun<br />

präzisieren: es soll eine allgemeine Konzeption <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

entwickelt wer<strong>de</strong>n, die auf eine feministische Technikgestaltung hinführt und dabei<br />

we<strong>de</strong>r in dieselben Verkürzungen und theoretischen Fallstricke hineinstolpert, in <strong>de</strong>nen<br />

sich Protagonisten wie Winner o<strong>de</strong>r seine Gegenspieler bereits verwickelt hatten, noch<br />

<strong>de</strong>n politischen Charakter von Technologien aus <strong>de</strong>n Augen verliert, auf <strong>de</strong>n Winner<br />

hingewiesen hatte.<br />

Die sozialwissenschaftliche Technikforschung stellt theoretische Ansätze zur<br />

Verfügung, die über die kritisierte verengte Sicht hinausgehen. Sie umfasst damit weitere<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen, die für eine Konzeptualisierung <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte fruchtbar erscheinen. Denn das angestrebte Konzept <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte muss notwendigerweise auch Annahmen<br />

darüber enthalten, was Technologie ist, wie sie entsteht, geformt, angeeignet wird und<br />

40


sich durchsetzt. Es setzt implizit voraus, wie sich das komplexe Zusammenspiel von<br />

Technischem und Sozialem, von Mensch und Maschine <strong>de</strong>nken lässt, enthält Vorstellungen<br />

darüber, wie und unter welchen Prämissen Forschung über Technologien<br />

durchgeführt wer<strong>de</strong>n soll und wie die Ergebnisse wissenschaftlich repräsentiert wer<strong>de</strong>n<br />

sollen, und wer dabei welche Handlungsfähigkeit und Verantwortlichkeit innehat. Eine<br />

theoretische Fundierung <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte be<strong>de</strong>utet, sämtliche<br />

dieser Annahmen zu reflektieren und explizit zu machen. Hierzu hat die<br />

sozialwissenschaftliche Technikforschung produktive Vorschläge gemacht, die es auf<br />

die Fragestellung dieses Kapitels zu übertragen gilt.<br />

Im folgen<strong>de</strong>n Kaptiel 3.3. diskutiere ich ontologische und epistemologische<br />

Positionierungen zum Verhältniss von Technik und Gesellschaft sowie zu <strong>de</strong>n Fragen<br />

<strong>de</strong>s Technikverständnisses und <strong>de</strong>r Verantwortung von WissenschaftlerInnen bzw.<br />

TechnikgestalterInnen. Diese Ausführungen wer<strong>de</strong>n entlang von drei Hauptströmungen<br />

sozialwissenschaftlicher Technikforschung entwickelt, <strong>de</strong>n Ansätzen <strong>de</strong>s „Social Shaping<br />

of Technology“, <strong>de</strong>r „Social Construction of Technology“ und <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-<br />

Theorie. Dabei wer<strong>de</strong>n immanente wie feministische Kritiken dieser Ansätze ebenso<br />

diskutiert. Im Anschluß wer<strong>de</strong>n feministischen (Re-)Formulierungen eingeführt und mit<br />

<strong>de</strong>n vorgestellten Debatten gegengelesen, um auf dieser Basis einen theoretischen<br />

Rahmen und ein fundiertes Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte formulieren zu<br />

können.<br />

3.3. Social Shaping of Technology, Social Construction of Technology und<br />

Akteur-Netzwerk-Theorie: Ansätze sozialwissenschaftlicher<br />

Technikforschung<br />

Im Rahmen grundlegen<strong>de</strong>r Ansätze <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung,<br />

die das Verhältnis von Technik und Gesellschaft zu bestimmen versuchen, wird<br />

Winners Position jenem Ansatz zugeordnet, <strong>de</strong>r als „Social Shaping of Technology“<br />

(SST) bezeichnet wird. Denn sein Brückenbeispiel betonte die gesellschaftlich-soziale<br />

Formung und Formbarkeit von Technologie. MacKenzie und Wajcman, die mit <strong>de</strong>r<br />

Herausgabe ihres einschlägigen Sammelbands 1985 diesen Ansatz stark prägten,<br />

fassen unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Sozialen u.a. ökonomische, kulturelle, politische, rechtliche<br />

und organisationsspezifische Faktoren, welche auf die spezifische Ausprägung<br />

technischer Artefakte Einfluss nehmen können. Sie beziehen dabei die Kategorie<br />

Geschlecht explizit mit ein (vgl. MacKenzie/ Wajcman 1999). In<strong>de</strong>m sie innerhalb <strong>de</strong>s<br />

Ban<strong>de</strong>s mehrere Fallstudien veröffentlichen, die <strong>de</strong>r Frage: „[I]s technology shaped by<br />

gen<strong>de</strong>r?“ (ebd., 25) nachgehen, formulieren sie eines <strong>de</strong>r ersten Konzepte <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung von Technologie.<br />

Der Ansatz <strong>de</strong>s „Social Shaping of Technology“ richtet sich – wie bereits<br />

beschrieben – explizit gegen die Auffassung <strong>de</strong>s technologischen Determinismus und<br />

<strong>de</strong>r Neutralität von Artefakten. Er verstand sich zunächst als ein Korrektiv zu Forschungen,<br />

welche ausschließlich auf die Untersuchung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen und sozialen<br />

Auswirkungen <strong>de</strong>r Nutzung von Technologien zielten. McKenzie und Wajcman erklären<br />

rückblickend ihre Motivation, <strong>de</strong>n Rea<strong>de</strong>r 1985 zu veröffentlichen: „Existing discussion<br />

of the intertwining of society and technology was dominated, we felt, by a ‚naive <strong>de</strong>ter-<br />

41


minism‘“ (McKenzie/ Wajcman 1999, xiv). In <strong>de</strong>r grundlegend überarbeiteten Auflage<br />

<strong>de</strong>s Ban<strong>de</strong>s von 1999 betonen sie, dass die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s „Social Shaping of Technology“<br />

in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung bis zur Neuauflage gut etabliert<br />

habe. Sie führen drei Grün<strong>de</strong> für die erneute Herausgabe <strong>de</strong>s Buches an. Erstens<br />

hätte <strong>de</strong>r Ansatz innerhalb <strong>de</strong>r breiteren Kultur, z.B. in <strong>de</strong>n Massenmedien und <strong>de</strong>r<br />

Politik, wenig Resonanz erfahren. Zweitens reflektiere die ingenieurwissenschaftliche<br />

Lehre kaum die Verwobenheit von Technischem und Sozialem o<strong>de</strong>r die ökonomische,<br />

soziale und ethische Verantwortung von IngenieurInnen. Und drittens drohe <strong>de</strong>r Ansatz<br />

zu einem solchen Allgemeinplatz zu wer<strong>de</strong>n, dass empirische Studien darüber, wie<br />

konkrete Technologien sozial geformt wer<strong>de</strong>n, nicht mehr für notwendig erachtet<br />

wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re an das zweite und das dritte Argument kann die hier vorgelegte<br />

Arbeit anschließen. Doch ist die Auffor<strong>de</strong>rung zur spezifischen Untersuchung von<br />

Technologien in diesem Zusammenhang wesentlich.<br />

Sämtliche Strömungen <strong>de</strong>r konstruktivistischen sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

teilen die vom SST-Ansatz vorgelegte anti-essentialistische Position. Der Vorwurf<br />

<strong>de</strong>s Technik<strong>de</strong>terminismus scheint in diesem wissenschaftlichen Feld ebenso<br />

schwer zu wiegen wie innerhalb <strong>de</strong>r Geschlechterforschung die Kritik, biologistisch zu<br />

argumentieren und Geschlecht zu essentialisieren. 93 Ein Ansatz zu <strong>einer</strong> feministischen<br />

Technikforschung muss über bei<strong>de</strong> Formen <strong>de</strong>s Determinismus und <strong>de</strong>r Essentialisierung<br />

hinausgehen: „Determinism, whether biological or technical, is a conservative<br />

force tending to preserve existing power relations and disguise the possibility for<br />

social change“ (Cockburn/ Ormrod 1993, 8).<br />

Aus <strong>de</strong>r hier verfolgten Perspektive <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik<br />

lässt sich hinzufügen, dass es auch für die Entwicklung eines De-Gen<strong>de</strong>ring-Ansatzes,<br />

<strong>de</strong>r darauf zielt, <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte entgegenzuwirken,<br />

notwendig ist, mit <strong>de</strong>r Abwendung von technik<strong>de</strong>terministischen Positionen und <strong>de</strong>r<br />

reinen Wirkungsforschung mitzugehen. Denn erst dann, wenn die Vorstellung überwun<strong>de</strong>n<br />

wird, dass sich technologische Innovationen von internen Charakteristiken <strong>de</strong>r<br />

Technologie ableiten lassen, können informatische Gestaltungsprozesse analytisch<br />

und konstruktiv in <strong>de</strong>n Blick genommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Dem „Social Shaping of Technology“-Ansatz wur<strong>de</strong> innerhalb <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung vielfach unterstellt, technik<strong>de</strong>terministische Positionen<br />

einfach nur radikal umzukehren und zu behaupten, dass Technik zutiefst sozial sei, wie<br />

Graham Button zusammenfasst: „By stressing how technology is shaped by social<br />

forces, such as economics and gen<strong>de</strong>r, an attempt was ma<strong>de</strong> to ground the technical<br />

in the social. Thus, technology was to be thought of through and through as a social<br />

phenomenon“ (Button 1993, 7, zitiert nach Lohan 2000, 899). Auch gegen Winners<br />

Brückenbeispiel wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vorwurf vorgebracht, eine Form <strong>de</strong>s Essentialismus durch<br />

eine an<strong>de</strong>re zu ersetzen, wie Keith Grint und Steve Woolgar anmerken: „This form of<br />

anti-essentialism turns out to be an attempt to supplant technical <strong>de</strong>terminism with<br />

social and political <strong>de</strong>terminism; it is the politics built into a technology which become<br />

the origin of ‚effects’. The object of critique is technological <strong>de</strong>terminism – not<br />

93 Nina Degele betont, dass in <strong>de</strong>r feministischen Forschung ähnliche „Erkenntnisschübe“ stattgefun<strong>de</strong>n<br />

hätten wie in <strong>de</strong>r soziologischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Technik. Ähnlichkeiten zeigten sich insbeson<strong>de</strong>re<br />

beim Hinterfragen und Überwin<strong>de</strong>n technischer und biologischer Determinismen (vgl. Degele 2002,<br />

98f).<br />

42


technological <strong>de</strong>terminism. For example, in Winner’s (1980) account, it is the bridge<br />

<strong>de</strong>signer’s politics which prevent blacks having access to Jones Beach, not the mere<br />

fact of the material construction. […] Unfortunately, the political <strong>de</strong>sign critique of<br />

essentialism ends up merely replacing one form of essentialism (that technologies are<br />

actually neutral) with another (that technologies are actually political)” (Grint/ Woolgar<br />

1995, 52f). 94<br />

VertreterInnen <strong>de</strong>s „Social Shaping of Technology“-Ansatzes, etwa David Edge,<br />

verteidigen jedoch die Perspektive, <strong>de</strong>m Sozialen im Verhältnis von Technik und<br />

Gesellschaft <strong>de</strong>n Vorrang zu geben. Denn dieser Zugang be<strong>de</strong>ute nicht, die sozialen<br />

Auswirkungen von Technologien aus <strong>de</strong>m Blick zu verlieren. Er wen<strong>de</strong> sich ausschließlich<br />

gegen die Verkürzungen, die mit <strong>de</strong>r einseitigen Fokussierung <strong>de</strong>r Wirkungsforschung<br />

einhergehen. „Social Shaping of Technology“ grün<strong>de</strong> vielmehr auf <strong>de</strong>r<br />

Annahme, dass sich das Verhältnis von Technologie und Gesellschaft als Interaktion<br />

und rekursiver Prozess verstehen lässt. ‚Ursachen’ und ‚Wirkungen’ stün<strong>de</strong>n, wie Edge<br />

ausführlich darstellt, in einem komplexen Wechselverhältnis (vgl. Edge 1995 [1988],<br />

14f).<br />

Die Wissenschaftstheoretikerin Mona Singer führt die Kritik an <strong>de</strong>r Einseitigkeit<br />

techniksoziologischer Erklärungsmo<strong>de</strong>lle weiter. Sie weist darauf hin, dass ein solcher<br />

Ansatz in einem sozial<strong>de</strong>terministischen Sinne reduktionistisch ist, sobald Technologien<br />

„so vorgestellt wer<strong>de</strong>n, dass sie wie Marionetten funktionieren, bloß Stellvertreter<br />

und Projektionsflächen sind, <strong>de</strong>rer sich die Gesellschaft bedient. Diese Perspektive<br />

kommt beson<strong>de</strong>rs in Positionen zum Ausdruck, für die Technologien primär ein Fortsetzung<br />

<strong>de</strong>r Politik mit an<strong>de</strong>ren Mitteln und daher zentrale Schauplätze von<br />

Machtkämpfen sind. Die Interessen <strong>de</strong>r Gewinner bestimmen die Produktion, Distribution<br />

und Konsumption und schreiben sich in die Technologien ein. Die Einschreibungen<br />

von Macht und Herrschaft wer<strong>de</strong>n so verstan<strong>de</strong>n, dass sie zwingend auf die Gesellschaft<br />

zurückwirken und in ihrem Einsatz kein Spielraum für differente Decodierung<br />

und Reinterpretation zulassen“ (Singer 2003, 114).<br />

Dieser Einwand warnt davor, die Konzeption <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von Technologie als<br />

eine fixe Festschreibung ungleicher Geschlechterstrukturen zu verstehen. Während<br />

Winner mit <strong>de</strong>n Brücken Moses’ ein Beispiel anführt, dass es schwerlich vorstellbar<br />

macht, die durch sie verkörperte Ungleichheitsstruktur zu umgehen, sobald das Artefakt<br />

in die Landschaft eingebettet ist, plädiert Singer dafür, Spielräume für<br />

unterschiedliche Interpretationen eines Artefaktes durch die NutzerInnen<br />

hervorzuheben, die auch an<strong>de</strong>re Lesarten als die zwanghafte Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>s<br />

eingeschriebenen Sozialen zulassen.<br />

Singers Kritik bezieht sich jedoch nicht allein auf Studien, die <strong>de</strong>m „Social Shaping“-<br />

Ansatz im engeren Sinne zuzuordnen sind, son<strong>de</strong>rn auch auf solche, die aufzeigen,<br />

94 Diese Verschiebung <strong>de</strong>r Argumentation erinnert an frühe feministische Debatten: Wur<strong>de</strong> dort die Unterscheidung<br />

von sozialem und biologischem Geschlecht ehemals eingeführt, um <strong>de</strong>r Annahme, gesellschaftliche<br />

und empirisch vorfindliche Geschlechterunterschie<strong>de</strong> seien auf biologische, „natürliche“ Differenzen<br />

zurückzuführen, entgegenzuwirken, setzten VertreterInnen <strong>de</strong>s „Social Shaping of Technology“-<br />

Ansatzes die Vorstellung <strong>einer</strong> sozial kontrollierten Gestaltbarkeit von Technologie <strong>de</strong>r technik<strong>de</strong>terministischen<br />

Auffassung <strong>einer</strong> Eigenlogik <strong>de</strong>s Technischen entgegen. Bei<strong>de</strong> Ansätze verankerten jedoch – so<br />

die Kritik – das Primat auf Seiten <strong>de</strong>s Subjektes, <strong>de</strong>s Sozialen, <strong>de</strong>r Politik – sei es in Bezug auf das Verhältnis<br />

von Technik und Gesellschaft o<strong>de</strong>r hinsichtlichtlich <strong>de</strong>r Frage, ob sex o<strong>de</strong>r gen<strong>de</strong>r, d.h. das biologische<br />

o<strong>de</strong>r soziale Geschlecht Ursache <strong>de</strong>r hierarchischen Geschlechterordnung sei. Zu diesen<br />

Parallelen vgl. auch Kapitel 2.<br />

43


dass soziale Verhaltensnormen gegen Technologien austauschbar wer<strong>de</strong>n. „Die<br />

Verkehrsampel ersetzt <strong>de</strong>n Polizisten und steht für die Steuerung und Disziplinierung<br />

<strong>de</strong>r VerkehrsteilnehmerInnen. Technische Artefakte sind <strong>de</strong>mnach Stellvertreter bzw.<br />

‚Leutnants‘ – das heißt diejenigen, die einen Ort im Auftrag von jemand an<strong>de</strong>rs halten<br />

‚lieu- tenants‘“ (Singer 2003, 114) zitiert Singer Latours Position. Bekannt ist sein<br />

Beispiel <strong>de</strong>s Berliner Schlüssels (Latour 1996a [1993]). Ausgangspunkt dieses<br />

Beispiels ist das Problem, dass viele HausbesitzerInnen und BewohnerInnen<br />

wünschen, dass die Haustür über Nacht abgeschlossen ist. Die MieterInnen halten sich<br />

jedoch nicht immer an diesen Teil <strong>de</strong>r Hausordnung. Statt nun aufwendige Überwachungen<br />

und teuere Disziplinierungsstrategien einzusetzen (z.B. eine WärterIn anzustellen<br />

und die Nichtbefolgung zu sanktionieren, bis hin zur Kündigung), wur<strong>de</strong> ein<br />

Schlüssel kreiert, <strong>de</strong>r sich nach <strong>de</strong>m Aufschließen nur dann wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Tür herausziehen<br />

lässt, wenn diese abgeschlossen wird. Bettina Heintz interpretiert dieses Beispiel<br />

dahingehend, dass dieses Artefakt gewissermaßen die Materialisierung <strong>de</strong>s<br />

Befehls ‚Türe immer abschließen‘ sei und zu s<strong>einer</strong> Befolgung zwinge. „Statt Erziehung<br />

und Disziplinierung – ein technischer Sachzwang.“ (Heintz 1994, 13). Das Technische<br />

wird also auch hier als zutiefst Soziales verstan<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung wur<strong>de</strong>n zwei Konzepte entwickelt,<br />

die das Verhältnis von Technik und Gesellschaft stärker miteinan<strong>de</strong>r verwoben konzipieren:<br />

das sozialkonstruktivistische, in <strong>de</strong>n 1980er Jahren von Bijker, Hughes und<br />

Pinch entwickelte „Social Construction of Technology“ (SCOT) sowie noch stärker die<br />

poststrukturalistisch bzw. semiotisch argumentieren<strong>de</strong> Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT),<br />

zu <strong>de</strong>ren Hauptvertretern Michel Callon, Bruno Latour und John Law zählen. Der<br />

Ansatz <strong>de</strong>r „Social Construction of Technology“ ist von <strong>de</strong>r Wissenssoziologie inspiriert<br />

und betont die „interpretative Flexibilität“ von Technologien, die besagt, dass<br />

Technologien keine inhärente Be<strong>de</strong>utung mit festen Grenzen haben. Unterschiedliche<br />

soziale Gruppen, die für die Gestaltung <strong>einer</strong> Technologie relevant sind, gäben einem<br />

Artefakt verschie<strong>de</strong>ne Be<strong>de</strong>utungen. Dabei <strong>de</strong>finierten sich „sozial relevante Gruppen“<br />

darüber, dass sie eine gemeinsame Interpretation <strong>de</strong>s Artefakts teilten.<br />

Ein klassisches Beispiel, anhand <strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>r SCOT-Ansatz eingeführt wur<strong>de</strong>, ist die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>s Fahrrad bis zu <strong>de</strong>r Form, in <strong>de</strong>r wir es heutzutage kennen. Ausgehend<br />

vom Hochrad entwickelten Gruppen wie Frauenvereine, sportbegeisterte junge Männer<br />

o<strong>de</strong>r Ingenieure En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts unterschiedliche Visionen, wie dieses<br />

Artefakt zu nutzen sei. An<strong>de</strong>rs ausgedrückt hatten diese Gruppen, die auf die technologische<br />

Entwicklung Einfluss nahmen, unterschiedliche Problem<strong>de</strong>finitionen. Die einen<br />

sahen darin ein alltägliches Fortbewegungsmittel, die an<strong>de</strong>ren ein Sportgerät o<strong>de</strong>r<br />

einen speziellen Hobbygegenstand. Pinch und Bijker (1987) arbeiteten heraus, dass<br />

das gegenwärtige Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Fahrrads sozial ausgehan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>. Die bis heute<br />

gültige Interpretation <strong>de</strong>s Artefakts entstand durch einen nichtlinearen Aushandlungsprozess<br />

über verschie<strong>de</strong>ne Anfor<strong>de</strong>rungen, die das Fahrrad erfüllen sollte, welche zu<br />

jeweils neuen Varianten <strong>de</strong>s Designs führten. Ein relativ niedriges Fahrrad mit Gummireifen<br />

vermochte zwischen <strong>de</strong>n Ansprüchen an Sportlichkeit und an Sicherheit zu<br />

vermitteln. Bei diesem Mo<strong>de</strong>ll, das sich letztendlich durchsetzen konnte, sah keine <strong>de</strong>r<br />

„sozial relevanten Gruppen“ mehr einen Handlungsbedarf, weitere Verän<strong>de</strong>rungen<br />

vorzunehmen, obwohl dieses nicht die technisch beste Lösung war. Vielmehr seien<br />

alternative Gestaltungsoptionen im Verlauf <strong>de</strong>s Prozesses ausgeschlossen wor<strong>de</strong>n.<br />

44


Den erzielten Konsens über die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Artefakts bezeichnen Pinch und Bijker<br />

als „Schließung“ bzw. „Stabilisierung“ (Pinch/ Bijker 1987, 39f). 95 Sie betonen damit,<br />

dass die Alternativlosigkeit zu einem auf <strong>de</strong>m Markt vorherrschen<strong>de</strong>n Produkt sozial<br />

erzeugt und nicht technisch notwendig ist.<br />

SCOT wen<strong>de</strong>t sich gegen traditionelle technikhistorische Erklärungsmo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung von Technologien, die auf <strong>de</strong>r Annahme grün<strong>de</strong>n, dass technische Innovationsprozesse<br />

ausgehend von <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Ent<strong>de</strong>ckung bis hin zur wirtschaftlichen<br />

Umsetzung ein<strong>de</strong>utigen Pfa<strong>de</strong>n folgen, d.h. vorbestimmte Laufbahnen<br />

hätten. „The i<strong>de</strong>a that technologies have natural trajectories is <strong>de</strong>eply built into the way<br />

we talk. Almost as <strong>de</strong>ep is the notion that any individual technology moves through a<br />

natural life cycle: from pure to applied research, it moves to <strong>de</strong>velopment, and then to<br />

production, marketing, and maturity […] recent studies in the social history and sociology<br />

of technology suggest that these mo<strong>de</strong>ls are quite ina<strong>de</strong>quate. […] they are concerned<br />

to show that there is nothing inevitable about the way in which these evolve.<br />

Rather, they are a product of heterogeneous contingency” (Bijker/ Law 1992, 17).<br />

Technologien wer<strong>de</strong>n damit als Produkt <strong>einer</strong> stets an<strong>de</strong>rs gearteten Zufälligkeit vorgestellt,<br />

die es von <strong>de</strong>r Technikforschung im Konkreten zu untersuchen und zu<br />

rekonstruieren gilt. Damit wird zugleich von <strong>de</strong>r Vorstellung abgerückt, dass<br />

Technologien von einzelnen heroischen Erfin<strong>de</strong>rn hervorgebracht wer<strong>de</strong>n („a result of<br />

a momentous act by heroic inventor“, (Bijker 1995, 270)), son<strong>de</strong>rn vielmehr „as a<br />

gradual construction in the social interaction between and in relevant social groups“<br />

(ebd.) verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n müssen. Die Behauptung Winners, dass die Überführungen<br />

zwischen New York und Long Island vor allem aufgrund <strong>de</strong>r Absichten <strong>de</strong>s<br />

Konstrukteurs und Stadtplaners Moses so niedrig gestaltet wur<strong>de</strong>n, ist auf dieser<br />

theoretischen Grundlage nicht möglich.<br />

Zu <strong>de</strong>n Kernbegriffen <strong>de</strong>s „Social Construction of Technology“, welche diesen<br />

Ansatz von an<strong>de</strong>ren sozialkonstruktivistischen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>m „Social Shaping of<br />

Technology“ unterschei<strong>de</strong>n, gehören die „interpretative Flexibilität“, das Konzept <strong>de</strong>r<br />

„relevanten sozialen Gruppen“ sowie das <strong>de</strong>r „Schließung“. Diese wur<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r<br />

Wissenssoziologie übernommen, um Technikentwicklungsprozesse zu beschreiben. 96<br />

Übernommen wur<strong>de</strong> dabei auch <strong>de</strong>r methodische Zugang, erfolgreiche Technologien<br />

mit <strong>de</strong>nselben Mitteln zu untersuchen wie gescheiterte Projekte, um nicht apriori eine<br />

Überlegenheit o<strong>de</strong>r bessere Angepasstheit <strong>de</strong>r betrachteten Technologie zu unterstellen.<br />

97 SCOT hat sich als produktiv erwiesen um <strong>de</strong>n offenen, kontingenten Charakter<br />

von Technologien zu erklären. Innerhalb <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

sind jedoch zwei wesentliche Kritiken gegen <strong>de</strong>n Ansatz vorgebracht wor<strong>de</strong>n<br />

(vgl. Kline/ Pinch 1996, 767f). Zum einen fokussiert das nützliche Konzept <strong>de</strong>r<br />

interpretativen Flexibilität auf die frühen Phasen <strong>de</strong>s Designs, wobei allerdings angenommen<br />

wird, dass sich die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s technologischen Artefakts im<br />

anschließen<strong>de</strong>n Prozess bis hin zur Nutzung zunehmend stabilisiert. Es wird also nicht<br />

95 Dabei wird die Einigung auf eine Form und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Artefaktes unter verschie<strong>de</strong>nen Gruppen als<br />

„Schließung“ bezeichnet, die innerhalb <strong>einer</strong> Gruppe als „Stabilisierung“.<br />

96 Bezug genommen wur<strong>de</strong> auf das vor allem von Harry Collins entwickelte „empirische Programm <strong>de</strong>s<br />

Relativismus“ (EPOR). Für einen Überblick vgl. etwa Pinch/ Bijker 1987, 26f, Felt et al. 1995, 128f<br />

97 Dieses Symmetrie-Prinzip geht zurück auf das von David Bloor 1976 für die Soziologie <strong>de</strong>s Wissens<br />

vorgeschlagene so genannte „starke Programm“, nach <strong>de</strong>r das als richtig gelten<strong>de</strong>n Wissen mit <strong>de</strong>n gleichen<br />

Metho<strong>de</strong>n untersucht wer<strong>de</strong>n soll wie <strong>de</strong>r als falsch gelten<strong>de</strong>.<br />

45


hinterfragt, was nach <strong>de</strong>r „Schließung“ geschieht, ob die „Black Box“ 98 dann wie<strong>de</strong>r<br />

geöffnet wer<strong>de</strong>n kann und Neu-Interpretationen, z.B. durch die NutzerInnen <strong>de</strong>r<br />

Technologie, möglich wer<strong>de</strong>n. 99 Zweitens wird die mangeln<strong>de</strong> Analyse von Machtstrukturen<br />

kritisiert - ein Argument, welches sich insbeson<strong>de</strong>re anhand <strong>de</strong>r Frage, welche<br />

sozialen Gruppen von <strong>de</strong>n TechnikforscherInnen für die Technologie als relevant<br />

erachtet wer<strong>de</strong>n, entfalten läßt. Die soziale Ordnung, Hierarchien und Herrschaftsverhältnisse,<br />

in <strong>de</strong>nen Technologien entwickelt wer<strong>de</strong>n, stün<strong>de</strong>n bei SCOT kaum zur<br />

Debatte. Die Untersuchungen basierten we<strong>de</strong>r auf <strong>einer</strong> ethischen Perspektive noch<br />

wür<strong>de</strong>n sie ein politisches Interesse verfolgen. Langdon Winner (1993) behauptet etwa,<br />

dass das Ziel sozialkonstruktivistischer Untersuchungen „to look carefully into the inner<br />

workings of real technologies to see what is actually taking place” (Winner 1993, 364),<br />

fehlschlagen müsse, wenn diese Analysen nicht von einem gesellschafts<strong>kritisch</strong>en<br />

Standpunkt aus formuliert wür<strong>de</strong>n. Die VertreterInnen <strong>de</strong>s SCOT-Ansatzes wür<strong>de</strong>n<br />

insofern zwar die Black Box <strong>de</strong>r Technik öffnen, sie dann aber letztendlich leer<br />

vorfin<strong>de</strong>n. 100<br />

Geschlechterverhältnisse wur<strong>de</strong>n im Rahmen <strong>de</strong>s SCOT-Ansatzes bereits in <strong>de</strong>r erwähnten<br />

frühen Studie zur Entstehung <strong>de</strong>s Fahrrads als relevante soziale Gruppe<br />

einbezogen, da das Vorgängermo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Hochra<strong>de</strong>s Frauen als NutzerInnen 101 nicht<br />

sicher genug war. Dennoch brachten feministische TechnikforscherInnen Argumente<br />

vor, welche die drei skizzierten Kritiken zuspitzten und konkretisierten. Erstens schließe<br />

<strong>de</strong>r Fokus <strong>de</strong>s SCOT-Ansatzes auf die frühen Phasen <strong>de</strong>s Technik<strong>de</strong>signs Frauen<br />

strukturell von <strong>de</strong>r Analyse aus. Im Mittelpunkt herkömmlicher Studien stün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb<br />

männliche Macher, Gestalter und Interessensgruppen und ihre technischen Fähigkeiten,<br />

während die Nutzungsphasen, in <strong>de</strong>nen Frauen eine Rolle spielen, außer Acht<br />

gelassen wür<strong>de</strong>n. Feministische Technikforscherinnen hatten diese Kritik in <strong>de</strong>n 1990er<br />

Jahren konstruktiv in eine Reihe neuer Studien umgesetzt (vgl. etwa Cockburn/<br />

Fürst-Dilic 1994, Webster 1995, Lie/ Sørensen 1996). Eines <strong>de</strong>r bekanntesten<br />

Beispiele dieser Art ist die Untersuchung <strong>de</strong>s Mikrowellenherds von Cynthia Cockburn<br />

und Susan Ormrod (1993), in <strong>de</strong>r sie die Vergeschlechtlichung dieser Technologie auf<br />

98 „Unlike the inquiries of previous generations of social thinkers, social constructivism provi<strong>de</strong>s no solid,<br />

systematic standpoint or core of moral concerns from which to criticize or oppose any particular patterns of<br />

technical <strong>de</strong>velopment. Neither does it show any <strong>de</strong>sire to move beyond elaborate <strong>de</strong>scriptions, interpretations<br />

and explanations to discuss what ought to be done” (Winner 1993, 374).<br />

99 Dabei bezeichnet <strong>de</strong>r Term „Black Box“ in <strong>de</strong>r konstruktivistischen Technikforschung die Stabilisierung<br />

<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung eines Artefaktes, während für die Ingenieurwissenschaften darunter die Beschreibung<br />

eines Geräts o<strong>de</strong>r <strong>einer</strong> Technologie in Form von Eingaben und Ausgaben verstan<strong>de</strong>n wird und damit das,<br />

was innerhalb <strong>de</strong>r Black Box passiert, als unwichtig gilt.<br />

100 Eine dritte Kritik an SCOT richtet sich – ähnlich <strong>de</strong>n Vorwürfen gegen <strong>de</strong>n Ansatz <strong>de</strong>s „Social Shaping<br />

of Technology“ – gegen das einschränkte Verständnis <strong>de</strong>s reziproken Verhältnisses von Artefakten und<br />

Sozialem. So wür<strong>de</strong> zwar <strong>de</strong>r Einfluss relevanter sozialer Gruppen auf die technologische Entwicklung<br />

untersucht, nicht aber umgekehrt, wie I<strong>de</strong>ntät und soziale Gruppen durch technologische Prozesse gebil<strong>de</strong>t<br />

und aufrechterhalten wer<strong>de</strong>n. Die Frage nach <strong>de</strong>r Konstituierung von Gruppenzugehörigkeit und<br />

I<strong>de</strong>ntität durch Technologie gilt zwar als Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rat in <strong>de</strong>r feministischen Forschung (vgl. etwa<br />

Winker 2005), jedoch stehen diese Prozesse nicht im Fokus <strong>de</strong>r Untersuchungen dieser Arbeit, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r<br />

Gestaltung von Technologien liegt.<br />

101 Vgl. hierzu die Kontroverse zwischen Nick Clayton 2002a, 2002b und Wiebe Bijker & Trevor Pinch<br />

2002 in „Technology and Culture“, die auf <strong>de</strong>n Unterschied zwischen tatsächlichen und potentiellen NutzerInnen<br />

hinweist: Dort kritisierte Clayton die bei<strong>de</strong>n Autoren <strong>de</strong>r Fahrradstudie auf <strong>de</strong>r Basis historischer<br />

Daten, dass Frauen zu dieser Zeit nicht Fahrrad gefahren seien und <strong>de</strong>shalb keine relevante soziale<br />

Gruppe darstellen wür<strong>de</strong>n. Pinch und Bijker entgegneten, dass Frauen damals durchaus über das Hochrad<br />

geurteilt, <strong>de</strong>n Wunsch nach Radfahren gehegt und sich die Fahrradingenieure um die Konstruktion<br />

„frauentauglicher“ Fahrradtypen bemüht hätten. Sie seien <strong>de</strong>shalb sehr wohl relevant gewesen.<br />

46


je<strong>de</strong>r Stufe <strong>de</strong>s Lebenszyklus (Konzeption, Entwurf, Produktion, Vertrieb, Marketing,<br />

Werbung, Benutzung und Wartung) aufzeigen. Die Technikforscherinnen arbeiteten<br />

dabei ferner heraus, dass das äußere Design <strong>de</strong>r Mikrowelle im Laufe <strong>de</strong>r Zeit einem<br />

„Geschlechtswechsel“ unterzogen wur<strong>de</strong>. Denn das Artefakt zählte zunächst zu <strong>de</strong>n so<br />

genannten „brown goods“, die vorwiegend in <strong>de</strong>n hoch gewerteten und männlich<br />

konnotierten Entertainment-Bereichen <strong>de</strong>r Elektroabteilungen zu fin<strong>de</strong>n waren. Später<br />

wur<strong>de</strong> es als „white good“ konzipiert, womit es zusammen mit Waschmaschinen und<br />

Kühlschränken in <strong>de</strong>m eher weiblich konnotierten Bereich <strong>de</strong>r Hausarbeit verortet<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

Ausgehend von <strong>de</strong>m SCOT-Ansatz legten feministische Technikforscherinnen also<br />

reichhaltige Studien vor, die ein breites Spektrum aufzeigten, auf welchen Ebenen und<br />

in welcher Hinsicht Technologien vergeschlechtlicht sein können. Die insbeson<strong>de</strong>re<br />

von Feministinnen vorgebrachte Kritik an <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Berücksichtigung <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen wur<strong>de</strong> mittlerweile von Vertretern <strong>de</strong>s SCOT-Ansatzes konstruktiv aufgenommen<br />

(vgl. etwa Kline/ Pinch 1996, Bijker/ Bijsterveld 2000). Viele <strong>de</strong>r neueren<br />

Studien <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung stellen NutzerInnen nun in <strong>de</strong>n<br />

Vor<strong>de</strong>rgrund und untersuchen <strong>de</strong>ren Beiträge zur Gestaltung <strong>einer</strong> Technologie (vgl.<br />

etwa Oudshoorn/ Pinch 2003, Rohracher 2005, Rohracher 2006). Darunter fin<strong>de</strong>n<br />

häufig auch Studien Berücksichtigung, welche die Kategorie Geschlecht zum Ausgangspunkt<br />

haben. Eine zu <strong>de</strong>r Mikrowellenstudie vergleichbar umfassen<strong>de</strong> Untersuchung<br />

zum Gen<strong>de</strong>ring von Informationstechnologien liegt bisher jedoch nicht vor.<br />

Die ursprüngliche feministische Kritik, dass SCOT die Geschlechterverhältnisse<br />

ausblen<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, bezog sich jedoch nicht nur auf <strong>de</strong>n primären Untersuchungsgegenstand<br />

<strong>de</strong>r Entwicklungslabore (im Gegensatz zum Nutzungskontext), son<strong>de</strong>rn<br />

auch auf die Unterbewertung „unqualifizierter“, unsichtbar gemachter Tätigkeiten,<br />

welche häufig gera<strong>de</strong> von Frauen ausgeübt wer<strong>de</strong>n. Dadurch wür<strong>de</strong>n Frauen als<br />

soziale Gruppe und ihre vermeintlich spezifischen Zugänge von <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung nicht berücksichtigt, in Winners provokativen Worten<br />

gelten sie als „irrelevante Gruppe“ (vgl. Winner 1993). Dies hätte zur Folge, dass Geschlecht<br />

in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung nicht als eine grundlegen<strong>de</strong><br />

Strukturkategorie verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>. Das Programm sozialwissenschaftlicher Technikforschung<br />

„seems to imply that as long as women do not appear as important actors or<br />

relevant social group, gen<strong>de</strong>r is not a relevant category“ (Berg/ Lie 1995, 344,<br />

Hervorhebung im Orig.). Feministische ForscherInnen hätten immer wie<strong>de</strong>r neu<br />

herausgearbeitet, dass Geschlechterbeziehungen als soziale Konstruktionen in die<br />

Technikgestaltung einfließen und durch sie erzeugt wer<strong>de</strong>n. SCOT erfasse solche<br />

Konstruktionsleistungen jedoch nicht adäquat, wenn Gen<strong>de</strong>r nur als Frauenthema und<br />

nicht als Strukturkategorie behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>, wie Haraway reklamiert: „The effect of the<br />

missing analysis is to treat race and gen<strong>de</strong>r, at best, as a question of empirical,<br />

preformed beings who are present or absent at the scene of action but are not generically<br />

constituted in the practices choreographed in the new theatres of persuasion.<br />

This is a strange aberration, to say at least, in a community of scholars who play<br />

games of epistemological chicken 102 trying to beat each other in the game of showing<br />

102 Unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s „epistemological chicken“ wur<strong>de</strong> 1992 eine Grundsatz<strong>de</strong>batte zwischen VertreterInnen<br />

<strong>de</strong>r Pariser Schule von ANT (Callon/ Latour 1992) und <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Soziologie <strong>de</strong>s<br />

47


how all entities in technoscience are constituted in the action of knowledge production,<br />

not before the action starts” (Haraway 1997, 29).<br />

Dieses Argument konkretisiert die zweite vorgebrachte Kritik, dass Machtstrukturen<br />

von SCOT nicht ausreichend analysiert wür<strong>de</strong>n. Wenn aber Hierarchie- und Herrschaftsverhältnisse<br />

in Bezug auf die Kategorie Geschlecht in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung nicht reflektiert wer<strong>de</strong>n, wür<strong>de</strong> – wie Judy Wajcman treffend<br />

bemerkt – <strong>de</strong>r SCOT-Ansatz zur sozialen Konstruktion von Technologie als “männliche<br />

Kultur” beitragen, anstatt <strong>de</strong>r tradtionellen strukturell-symbolischen Verknüpfung von<br />

Technik mit Männlichkeit entgegenzuwirken (vgl. Wajcman 1994 [1991]).<br />

Feministische ForscherInnen for<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>shalb ein, die Rolle von Technologien bei<br />

<strong>de</strong>r Herstellung von Männlichkeit bzw. von <strong>de</strong>m binären System <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit<br />

genauer zu untersuchen, d.h. neben <strong>de</strong>m „science and technology in the<br />

making“ auch das „gen<strong>de</strong>r in the making“ <strong>einer</strong> sorgfältigen Analyse zu unterziehen.<br />

Jedoch wirft die Verbindung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Perspektiven prinzipielle Probleme auf. So<br />

konstatieren Maria Lohan und Nina Degele, dass grundlegen<strong>de</strong> Differenzen zwischen<br />

konstruktivistischer und feministischer Technikforschung bestehen, die sie in <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaftskultur und im politischen Anspruch begrün<strong>de</strong>t sehen. Der herkömmliche<br />

Konstruktivismus vernachlässige die sozialen Konsequenzen von Technologien und<br />

das Machtungleichgewicht von sozialen Gruppen. Berg und Lie (1995) bezeichneten<br />

ihn <strong>de</strong>shalb als politisch abstinent und inhärent konservativ. Feministische<br />

Technikforschung dagegen operiere mit Konzepten von Macht und Herrschaft, wie<br />

etwa die Studien Cynthia Cockburns vorgeführt hätten. Sie gehe von <strong>einer</strong> Asymmetrie<br />

zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern aus und interessiere sich für die Erklärung ihrer<br />

(technisch vermittelten) Kontinuität statt für technischen Wan<strong>de</strong>l (vgl. Degele 2002,<br />

105; Lohan 2000, 905f).<br />

Feministische Technikforscherinnen, die mit SCOT arbeiten, um empirische Studien<br />

zum Gen<strong>de</strong>ring technischer Artefakte zu erstellen, ignorierten jedoch häufig diesen Wi<strong>de</strong>rspruch.<br />

Um diese Problematik zu umgehen, schlägt Lohan einen “methodischen<br />

Pluralismus” vor: „In contrast to substantive or ontological relativism, structural meanings<br />

may enter the <strong>de</strong>bate, but not in a way in which […] the dice are already loa<strong>de</strong>d.<br />

In this way, structures such as patriarchy are not seen as <strong>de</strong>termining the outset“ (Lohan<br />

2000, 906). Es sei a priori keine spezifische Form <strong>de</strong>r Geschlechterdichotomie<br />

bzw. -hierarchie anzunehmen. Die analytische Kategorie Geschlecht könne so als ein<br />

Ausgangpunkt <strong>de</strong>r Untersuchung dienen, wobei die konkrete Gestalt <strong>de</strong>r Geschlechterdifferenz<br />

eine empirische Frage bliebe. Voraussetzung eines solches Ansatzes sei es,<br />

Geschlecht nicht als feststehend zu begreifen, son<strong>de</strong>rn als Ergebnis eines sozialen<br />

Konstruktionsprozesses, <strong>de</strong>r offen für Verän<strong>de</strong>rung, Variation und Neuverhandlung ist<br />

(vgl. Lohan 2000, 905f).<br />

Ein solcher Zugang entspricht zwar im Wesentlichen <strong>de</strong>n aktuellen Ansätzen <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterforschung. Dennoch bleibt er aus wissenschaftstheoretischer Perspektive<br />

unbefriedigend, solange die Seite <strong>de</strong>r Technologie bzw. <strong>de</strong>s Verhältnisses von Technischem<br />

und Sozialem nicht ebenso als konstruiert angenommen wer<strong>de</strong>n. Das<br />

Konzept <strong>de</strong>r interpretativen Flexibilität und <strong>de</strong>r SCOT-Ansatz im Allgemeinen haben in<br />

wissenschaftlichen Wissens (Collins/ Yearley 1992) <strong>de</strong>r anglo-amerikanischen Tradition geführt, in <strong>de</strong>r<br />

gegensätzliche Auffassungen vornehmlich epistemologisch und ontologisch gewen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.<br />

48


dieser Hinsicht wesentliche Beiträge geleistet. Allerdings stellen sie – im Gegensatz<br />

zum nachfolgend vorgestellten Ansatz <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie – die Grenzziehung<br />

zwischen Technologie und Gesellschaft nicht ausreichend in Frage. Sie gehen<br />

vielmehr grundsätzlich von zwei mehr o<strong>de</strong>r weniger voneinan<strong>de</strong>r getrennten Sphären<br />

aus. Die Herstellung <strong>de</strong>r Trennung zwischen Technischem und Sozialem sowie die<br />

(möglicherweise wi<strong>de</strong>rständige) Materialität <strong>de</strong>s Artefaktes selbst ist bei SCOT nicht<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>r sozialen Konstruktion von Technologie. Insgesamt<br />

sind ausgehend von <strong>de</strong>m Ansatz <strong>de</strong>r „Social Construction of Technology“ produktive<br />

Fallstudien zum Gen<strong>de</strong>ring von Technologien entstan<strong>de</strong>n und relevante Beiträge zur<br />

Theoriebildung über <strong>de</strong>n Zusammenhang von Technik und Geschlecht geleistet<br />

wor<strong>de</strong>n. Dennoch lässt er grundlegen<strong>de</strong> Fragen, die für dieses Kapitel relevant sind,<br />

weiterhin offen und ungelöst.<br />

Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) ist ein Ansatz, <strong>de</strong>r versucht, die<br />

epistemologischen und ontologischen Einseitigkeiten an<strong>de</strong>rer Erklärungsmo<strong>de</strong>lle<br />

technischen Wan<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>s Verhältnisses von Technik und Gesellschaft zu vermei<strong>de</strong>n.<br />

103 Für die Fragestellung dieses Kapitels, das Gen<strong>de</strong>ring von Artefakten theoretisch<br />

zu fundieren, lässt sich die Akteur-Netzwerk-Theorie dahingehend würdigen,<br />

dass diese die sozial- und technik<strong>de</strong>terministischen Verkürzungen <strong>de</strong>r Wirkungsforschung,<br />

<strong>de</strong>s „Social Shaping of Technology“ sowie <strong>de</strong>s „Social Construction of<br />

Technology“-Ansatzes zu überwin<strong>de</strong>n sucht. In<strong>de</strong>m bei ANT die Materialität <strong>de</strong>r Dinge<br />

stärker in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund gerückt wird, lässt sie sich als ein post-konstruktivistischer<br />

bzw. „post-sozialer“ Ansatz (vgl. Degele 2002) bezeichnen. Dabei wird die<br />

Wi<strong>de</strong>rständigkeit <strong>de</strong>r Artefakte jedoch nicht einseitig als ‚das Soziale bestimmen<strong>de</strong>r<br />

Faktor’ betrachtet.<br />

ANT will insgesamt we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Fakten/Artefakten, noch <strong>de</strong>r sozialen Macht o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Diskursen <strong>de</strong>n Vorrang geben, d.h. sich nicht auf das Reale/die Dinge, das Soziale<br />

o<strong>de</strong>r Narrative reduzieren lassen. Statt<strong>de</strong>ssen sollen technische Artefakte, Gesellschaft,<br />

Natur und Diskurse als komplexe, heterogene Netzwerke begriffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Bruno Latour erläutert dies am Beispiel <strong>de</strong>s Ozonlochs: „Das Ozonloch ist zu sozial<br />

und narrativ, um wirklich Natur zu sein, die Strategie von Firmen und Staatschefs ist zu<br />

sehr angewiesen auf chemische Reaktionen, um allein auf Macht und Interessen<br />

reduziert zu wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Diskurs <strong>de</strong>r Ökosphäre ist zu real und sozial, um ganz in<br />

Be<strong>de</strong>utungseffekten aufzugehen. Ist es unser Fehler, wenn die Netze gleichzeitig real<br />

wie die Natur, erzählt wie <strong>de</strong>r Diskurs, kollektiv wie die Gesellschaft sind?“ (Latour<br />

1998 [1991], 14, Hervorhebung im Orig.) Was für ein Phänomen gilt, das gemeinhin als<br />

Teil <strong>de</strong>r Natur zählt, wird zugleich für das Technische angenommen. Es geht in bei<strong>de</strong>n<br />

Fällen darum, <strong>de</strong>n Fallstricken <strong>de</strong>s naiven Realismus, <strong>de</strong>s Technik- und<br />

103 ANT ist kein einheitlicher Theorieansatz, son<strong>de</strong>rn vereint unterschiedliche Zugriffe, die bestimmte<br />

Grundannahmen teilen. Ich beziehe mich hier primär auf die frühen Ausprägungen von ANT, wie sie von<br />

Bruno Latour und Michel Callon in die Diskussion gebracht wur<strong>de</strong>n. Spätere Reformulierungen, die unter<br />

<strong>de</strong>m Begriff „ANT and after“ verhan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>n (vgl. etwa Law/ Hassard 1999) wer<strong>de</strong>n in diesem Kapitel<br />

nicht genauer vorgestellt. Denn es ist hier nicht das Ziel, Theorieentwicklungen zu rekonstruieren, son<strong>de</strong>rn<br />

die Debatten <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung dafür zu nutzen, ein theoretisch fundiertes<br />

Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte zu entwickeln. Jene versuchen jene, die Kritiken an <strong>de</strong>n<br />

frühen Versionen zunehmend zu berücksichtigen, insbeson<strong>de</strong>re die Frage <strong>de</strong>r Verantwortlichkeit. Für eine<br />

Diskussion dieser Unterschie<strong>de</strong> aus feministischer Perspektive, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Fokussierung auf<br />

Stabilität/ Instabilität, vgl. etwa Elovaara 2007.<br />

49


Sozial<strong>de</strong>terminismus, aber auch <strong>de</strong>nen <strong>einer</strong> reduktionistischen Auffassung von<br />

Repräsentation, ohne äußere Referenz und ohne SprecherIn zu entkommen. 104<br />

ANT ist aus so genannten Laborstudien <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen (Natur-<br />

)Wissenschaftsforschung hervorgegangen. Dort hatten – allen voraus – Karin Knorr-<br />

Cetina (1984 [1981]) und Bruno Latour (1987) eingefor<strong>de</strong>rt, dass die Konstruktion<br />

naturwissenschaftlichen Wissens an <strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>s Entstehens zurückverfolgt wer<strong>de</strong>n<br />

muss, um die „Fabrikation <strong>de</strong>r Erkenntnis“ (Knorr-Cetina 1994 [1991]) verstehen zu<br />

können. Die Arbeit von NaturwissenschaftlerInnen solle auf <strong>de</strong>r Basis ethnografischer<br />

Metho<strong>de</strong>n untersucht wer<strong>de</strong>n, die auf <strong>de</strong>m Leitsatz „Follow the actors and the action“<br />

grün<strong>de</strong>n. Laborstudien fokussieren damit – soziologisch gesprochen – auf die<br />

Mikroebene <strong>de</strong>r Erzeugung von wissenschaftlichen „Fakten“ bzw. technischen<br />

Artefakten, die in ihren Entstehungsprozessen untersucht wer<strong>de</strong>n sollen. 105 Zugleich<br />

wird von ANT auch die Makroebene in die Analyse einbezogen. Aus bei<strong>de</strong>n Perspektiven<br />

lautet die grundlegen<strong>de</strong> Frage, welche Mechanismen zu <strong>einer</strong> Schließung<br />

wissenschaftlicher Kontroversen o<strong>de</strong>r heterogener Vorstellungen über ein technisches<br />

Artefakt führen. An<strong>de</strong>rs ausgedrückt soll untersucht wer<strong>de</strong>n, wie technowissenschaftliche<br />

Artefakte zum Han<strong>de</strong>ln gebracht wer<strong>de</strong>n. Dabei wird die Möglichkeit <strong>einer</strong><br />

Trennung von Technischem und Sozialem bzw. von Natur und Gesellschaft<br />

grundsätzlich hinterfragt, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Konstruktionsprozess, <strong>de</strong>r diese Bereiche <strong>de</strong>finiert<br />

und als getrennte hervorbringt, herausgearbeitet wird. Grenzziehungen wie die<br />

zwischen Technik und Gesellschaft sind <strong>de</strong>mnach nicht Voraussetzung und<br />

Ausgangspunkt <strong>de</strong>r Analyse, son<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n als <strong>de</strong>ren Ergebnis verstan<strong>de</strong>n.<br />

In dieser Hinsicht lassen sich starke Parallelen zur Theoriebildung in <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterforschung i<strong>de</strong>ntifizieren, in <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>r 1990er Jahre die Geschlechterdichotomie,<br />

d.h. die dichotome Zweigeschlechtlichkeit „an sich“ in Frage gestellt<br />

wur<strong>de</strong>. So stellte etwa Judith Butler die biologische Unterscheidung in Frauen und<br />

Männer, d.h. „Natur“ als Ergebnis von Diskurs vor (vgl. Butler 1991 [1990]). Gleichzeitig<br />

verwiesen insbeson<strong>de</strong>re Philosoph_innen darauf, dass viele grundlegen<strong>de</strong> Dichotomien<br />

wie Natur-Kultur, Körper-Geist, Gefühl-Vernunft, Passivität-Aktivität auf <strong>einer</strong><br />

symbolischen Ebene zutiefst geschlechtskonnotiert sind (vgl. Gatens 1991, Klinger<br />

1995). Im Zuge <strong>de</strong>r Dekonstruktion solcher „großen Trennungen“, die mit <strong>de</strong>m Trend<br />

zu poststrukturalistischen Theorien in <strong>de</strong>n 1990er Jahren einherging, wur<strong>de</strong> aus<br />

Geschlechterforschungsperspektive versucht, Geschlechtersymbolisierungen subversiv<br />

umzu<strong>de</strong>uten, aber auch Zwischenräume und Alternativen zu Binarität und<br />

Zweigeschlechtlichkeit auszuloten<br />

Im Fokus <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Perspektive stehen dagegen die Gegenüberstellungen<br />

von Natur und Gesellschaft sowie von Mensch und Artefakt. 106 Anstelle von<br />

Dichotomien wer<strong>de</strong>n in ANT Netzwerke analysiert, zu <strong>de</strong>nen so heterogene Elemente<br />

wie physische Materialien (z.B. Bäume, Moleküle o<strong>de</strong>r Brücken), Texte (z.B. Publikatio-<br />

104 Die provokative These, Technologien mit Hilfe <strong>de</strong>r Metapher <strong>de</strong>r „Maschine als Text“ zu begreifen,<br />

hatte Steve Woolgar in die Diskussion in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung gebracht (vgl.<br />

Woolgar 1991b). Latour wen<strong>de</strong>t sich explizit gegen eine solche reduktionistisch-<strong>de</strong>konstruktivistische<br />

Perspektive, die auf Sprachspiele beschränkt ist und Technik letztendlich in Text auflöst (vgl. Latour 1998<br />

[1991], 12).<br />

105 Vgl. hierzu genauer die Ausführungen in Kapitel 5.5.<br />

106 Eine gemeinsame Kritikperspektive von ANT und feministischen Ansätzen ist die erkenntnistheoretische<br />

Unterscheidung in ein aktives Subjekt und ein passives, zu untersuchen<strong>de</strong>s Objekt. Vgl. hierzu die<br />

Ausführungen in Kapitel 3.5.<br />

50


nen), Menschen (ForscherInnen, Regierungen) o<strong>de</strong>r Infrastrukturen und Ökonomien<br />

gehören können. Das methodische Vorgehen besteht darin, die jeweils unterschiedlichen<br />

AkteurInnen in und durch die Netzwerke zu verfolgen. Dabei wird nicht<br />

vorausgesetzt, wo die Grenzlinien zwischen Natur, Technologie und Gesellschaft o<strong>de</strong>r<br />

zwischen Mensch und Maschine genau verlaufen. Vielmehr soll rekonstruiert wer<strong>de</strong>n,<br />

wie <strong>de</strong>ren Zusammenspiel funktioniert und verteilt ist und wie dichotome Trennungen<br />

diskursiv hervorgebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Heike Wiesner (2002) fasst bekannte Studien aus <strong>de</strong>r Wissenschaftsforschung 107<br />

zusammen, anhand <strong>de</strong>rer sie <strong>de</strong>tailliert herausarbeitet, dass Labor- und Netzwerkanalysen<br />

trotz ihres elaborierten Anspruchs häufig auf drei Ebenen „geschlechtsblind“ sind.<br />

Erstens wür<strong>de</strong>n die menschlichen AkteurInnen geschlechtsneutral analysiert. Dies<br />

hätte zur Folge, dass geschlechtsrelevante Aspekte in <strong>de</strong>m beobachteten Produktionsprozess<br />

von Wissen und Artefakten nicht erkannt wer<strong>de</strong>n können. Dazu gehöre beispielsweise<br />

die häufig nachweisbare Ten<strong>de</strong>nz, wissenschaftliche Erfolge von Frauen<br />

bereits in <strong>de</strong>n Laboratorien herunterzuspielen o<strong>de</strong>r gar zu verleugnen, mit entsprechen<strong>de</strong>m<br />

Effekt auf ihre Nennung in Publikationen. Zweitens grenze ein netzwerkanalytischer<br />

Zugriff, <strong>de</strong>r auf die Analysekategorie Geschlecht verzichtet, die Forschungsbeiträge<br />

von Frauen häufig aus, da weibliche Wissenschaftlerinnen seltener in <strong>de</strong>n als<br />

relevant erachteten Netzwerken integriert sind. Wiesner veranschaulicht dies anhand<br />

<strong>de</strong>s von Keller (1995 [1983]) aufgearbeiteten Ent<strong>de</strong>ckungsprozesses <strong>de</strong>r „springen<strong>de</strong>n<br />

Gene“ durch Barbara McClintock, für <strong>de</strong>n sie erst 30 Jahre später <strong>de</strong>n Nobelpreis erhielt.<br />

„[D]er Forschungsverlauf <strong>de</strong>r Arbeiten McClintocks wäre für Latour als Forschungsgegenstand<br />

nicht infrage gekommen bzw. wäre für seinen Netzwerkansatz<br />

irrelevant, da er wenig ‚Science in Action’ beinhaltet, keine Kooperation o<strong>de</strong>r Kontroverse<br />

enthielt, noch <strong>de</strong>r Logik <strong>de</strong>r Anerkennungszyklen folgte. Er dokumentiert dagegen<br />

das immer wie<strong>de</strong>r von Arbeitslosigkeit bedrohte Leben <strong>einer</strong> Naturwissenschaftlerin,<br />

die 30 Jahre lang eine biologische Revolution mit sich herumtrug, für die sich lange<br />

Zeit keine ‚scientific community’ interessierte“ (Wiesner 2002, 145). Eine späte Anerkennung<br />

ihrer Leistungen wie im Fall McClintocks wur<strong>de</strong> Rosalind Franklin, die zusammen<br />

mit <strong>de</strong>n Nobelpreisträgern Crick und Watson an <strong>de</strong>r Entschlüsselung <strong>de</strong>r<br />

DNA-Doppelhelix gearbeitet hatte, nicht zuteil. An ihrem Beispiel zeigt Wiesner einen<br />

dritten Aspekt <strong>de</strong>r Geschlechtsblindheit <strong>de</strong>r Labor- und Netzwerkanalysen auf. Es wür<strong>de</strong><br />

ausschließlich die Kommunikation im Labor, nicht aber <strong>de</strong>ren metaphorischer<br />

Gehalt betrachtet. Wiesner resümiert: „Die Akribie, mit welcher die von mir analysierten<br />

AutorInnen <strong>de</strong>n Konstitutionscharakter wissenschaftlicher Forschungen nachgezeichnet<br />

haben, steht damit im krassen Gegensatz zum Grad <strong>de</strong>r Vernachlässigung <strong>de</strong>r<br />

Kategorie gen<strong>de</strong>r innerhalb dieses Konstitutionsprozesses“ (Wiesner 2002, 181). 108<br />

Insgesamt zeigen Wiesners Studien konkret auf, welchen Beitrag die Geschlechterforschung<br />

leisten kann, um die bereits beim SCOT-Ansatz ausführlich diskutierte mangeln<strong>de</strong><br />

gesellschaftstheoretische Perspektive von ANT in die Netzwerk- und<br />

107 U.a. Knorr-Cetina 1984 [1981] und Latour 1987<br />

108 In ähnlicher Weise argumentiert Gabriele Winker für die techniksoziologische Forschung, allerdings<br />

ohne dass sie konkrete Belege anführt. Geschlechterverhältnisse erhielte dort keine Aufmerksamkeit, da<br />

nur Männer als Entwickler und Projektleiter wahrgenommen wür<strong>de</strong>n. Darüber hinaus fielen Artefakte aus<br />

<strong>de</strong>m techniksoziologischen Fokus, wenn diese nicht als hoch technisiert gelten o<strong>de</strong>r sie diese Zuschreibungen<br />

verlieren wür<strong>de</strong>n und damit nicht mehr so stark mit Männlichkeit verknüpft wären, vgl. Winker<br />

2005, 58.<br />

51


Laborstudien doch noch einzubringen: menschliche AkteurInnen seien vor <strong>de</strong>m Hintergrund<br />

<strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n strukturellen Geschlechterverhältnisse als Frauen und<br />

Männern zu betrachten, es seien spezielle Studien zu <strong>de</strong>n Forschungsbeiträgen von<br />

Frauen durchzuführen sowie die Metaphern, welche die Kommunikation in <strong>de</strong>n Forschungslaboren<br />

durchdringen, aus <strong>einer</strong> feministischen Perspektive zu interpretieren.<br />

Die skizzierten Verkürzungen sind jedoch nicht <strong>de</strong>r einzige Gegenstand <strong>de</strong>r Kritik an<br />

ANT. Häufig entzün<strong>de</strong>n sich die Diskussionen an Latours Konzept <strong>de</strong>r „symmetrischen<br />

Anthropologie“ (Latour 1998 [1991]), welches auf <strong>einer</strong> analytischen Ebene menschlichen<br />

und nicht-menschlichen AkteurInnen <strong>de</strong>nselben Status zuspricht. 109 Dabei wird<br />

die Handlungsmacht nicht <strong>einer</strong> einzelnen (menschlichen) AkteurIn zugeschrieben,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n spezifischen Verbindungen innerhalb dieser Netzwerke. Innerhalb <strong>de</strong>r<br />

hybri<strong>de</strong>n Gebil<strong>de</strong> versuchen die AkteurInnen gemeinsame Definitionen und Be<strong>de</strong>utungen<br />

herstellen und die Interessen an<strong>de</strong>rer AkteurInnen in die eigenen zu übersetzen.<br />

Gelingt die Übersetzung, so können bestimmte AkteurInnen an<strong>de</strong>re für die eigenen<br />

Ziele arbeiten lassen.<br />

Diese Grundgedanken von ANT wur<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>rs umstritten durch eine Fallstudie<br />

Michel Callons vorgeführt, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>m Symmetriekonzept ausgehend Jakobsmuscheln<br />

als Entitäten <strong>de</strong>finierte, mit <strong>de</strong>nen die Fischer auf verschie<strong>de</strong>nen Ebenen ‘verhan<strong>de</strong>ln’<br />

müssten, um sie letztendlich als Beute davontragen zu können. 110 Die Annahme,<br />

dass die Objekte, hier die Jakobsmuscheln, die Fischer anwerben, rief heftige<br />

Kritiken hervor. Einer <strong>de</strong>r Vorwürfe besteht darin, dass ANT <strong>de</strong>n nicht-menschlichen<br />

AkteurInnen, <strong>de</strong>n so genannten Aktanten die Fähigkeit zu intentionalem, zielgerichteten<br />

Han<strong>de</strong>ln unterstellt. 111 Callons Mitstreiter Latour <strong>de</strong>mentierte diese Interpretation<br />

jedoch als ein grundlegen<strong>de</strong>s Missverständnis. Der Begriff <strong>de</strong>s Aktanten sei vielmehr<br />

semiotisch aufzufassen. 112 Ein Aktant rufe lediglich Handlungsaktivität hervor o<strong>de</strong>r ihm<br />

wer<strong>de</strong> Handlungsfähigkeit durch an<strong>de</strong>re zugewiesen. „An actant in ANT is a semiotic<br />

<strong>de</strong>finition that is something that acts or to which is activity granted by others. […] An<br />

actant can literally be anything provi<strong>de</strong>d it is granted to be the source of an action”<br />

(Latour 1996b, 373).<br />

Latour erklärt seine Gedanken über die Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r Artefakte anhand<br />

eines plausibler anmuten<strong>de</strong>n Beispiels als Callon. Er fragt für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>s Tötens mit<br />

<strong>einer</strong> Schusswaffe: Wer ist die AkteurIn: die SchützIn o<strong>de</strong>r die Waffe? Die materialistische<br />

bzw. objektivistische Antwort sei, dass Feuerwaffen töten. Die Waffe tue selbst<br />

etwas aufgrund ihrer materiellen Bestandteile, die sich nicht auf soziale Eigenschaften<br />

<strong>de</strong>r SchützIn reduzieren lasse. Sie mache aus <strong>de</strong>r unschuldigen BürgerIn eine TäterIn.<br />

Die an<strong>de</strong>re verbreitete, soziologische bzw. subjektivistische Position sei, dass die<br />

Menschen töten und nicht die Waffe. Damit wäre letztere nur ein Werkzeug, ein<br />

Medium, ein ganz neutraler Träger für einen dahinter stehen<strong>de</strong>n menschlichen<br />

109<br />

Die Debatte um die Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r Technik ist zugleich für das Konzept <strong>de</strong>r „Hybridobjekte“<br />

relevant, mit <strong>de</strong>m informatische Artefakte in <strong>de</strong>r Einleitung eingeführt wur<strong>de</strong>n.<br />

110<br />

„If the scallops are to be enrolled, they must first be willing to anchor themselves to the collectors” (Callon<br />

1986, 211, zitiert nach Singer 2005, 133).<br />

111<br />

Vgl. etwa Collins/ Yearley 1992<br />

112<br />

Wiesner verweist jedoch darauf, dass dieser „Schulterschluss zur Semiotik“ neue theoretische Probleme<br />

aufwirft. Denn wenn Dinge als Text verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n und umgekehrt, wer<strong>de</strong> die Unterscheidung zwischen<br />

<strong>de</strong>r Repräsentation <strong>de</strong>r Dinge und <strong>de</strong>n Dingen selbst für obsolet erklärt. Dies setzt zugleich die<br />

Trennung zwischen BeobachterIn und beoachteten Objekt und letztendlich die Trennung von Beschreibung<br />

und Erklärung außer Kraft.<br />

52


Willen. 113 Er selbst dagegen behauptet, dass die AkteurIn we<strong>de</strong>r die Waffe, noch die<br />

BürgerIn ist, son<strong>de</strong>rn eine Hybrid-AkteurIn (Aktant), „eine Bürger-Waffe, ein Waffen-<br />

Bürger“ (Latour 2002 [1999], 218) und begrün<strong>de</strong>t dies folgen<strong>de</strong>rmaßen: „Mit <strong>de</strong>r Waffe<br />

in <strong>de</strong>r Hand bist du jemand an<strong>de</strong>res, und auch die Waffe in <strong>de</strong>iner Hand ist nicht mehr<br />

dieselbe […] Nicht länger han<strong>de</strong>lt es sich um die Waffe-im-Arsenal o<strong>de</strong>r die Waffe-in<strong>de</strong>r-Schubla<strong>de</strong><br />

o<strong>de</strong>r die Waffe-in-<strong>de</strong>r-Tasche, nein, jetzt ist es die Waffe-in-<strong>de</strong>iner-<br />

Hand, gerichtet auf jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r um sein Leben schreit. Was für das Subjekt gilt, gilt<br />

auch für das Objekt, was für <strong>de</strong>n Schützen, auch für die zielen<strong>de</strong> Waffe. Der gute Bürger<br />

wird zum Schurken, <strong>de</strong>r Gangster zum Killer, <strong>de</strong>r stumme Revolver zum gebrauchten,<br />

das Sportgerät zum Tötungsinstrument. Die Materialisten wie die Soziologen begehen<br />

<strong>de</strong>nselben Fehler: Sie gehen aus von Wesenseinheiten, <strong>de</strong>m Wesen von Subjekten<br />

o<strong>de</strong>r von Objekten“ (ebd.).<br />

We<strong>de</strong>r Menschen noch Waffen töteten, vielmehr entstehe etwas Drittes. In <strong>de</strong>r<br />

Terminologie <strong>de</strong>r ANT fin<strong>de</strong>t hier eine Übersetzung statt, „eine Verschiebung o<strong>de</strong>r<br />

Versetzung, eine Abweichung, Erfindung o<strong>de</strong>r Vermittlung, die Schöpfung <strong>einer</strong><br />

Verbindung, die in dieser Form vorher nicht da war und in einem bestimmten Maße<br />

zwei Elemente o<strong>de</strong>r Agenten modifiziert“ (Latour 1998 [1991], 34). Menschliche wie<br />

nicht-menschliche AkteurInnen können jeweils eigene Absichten (so genannte Handlungsprogramme)<br />

haben – Ingenieure bezeichneten diese auch als Funktionen. In<br />

ihrer Verbindung entstehe jedoch ein neues Ziel. 114 Handlungen seien damit nicht<br />

durch das Vermögen von Menschen bestimmt, son<strong>de</strong>rn durch das Vermögen <strong>einer</strong><br />

Verbindung von Aktanten. Demzufolge sei auch die Verantwortung für eine Handlung<br />

<strong>de</strong>m Aktanten-Netzwerk zuzuschreiben.<br />

Während die Grundi<strong>de</strong>e, dass Han<strong>de</strong>ln und Funktionalität in <strong>de</strong>r heutigen Technowissenschaftskultur<br />

zwischen menschlichen und nicht-menschlichen AkteurInnen in<br />

komplexer Weise verteilt ist, anhand von Latours Beispiel überzeugend dargelegt ist,<br />

sehen feministische und gesellschaftstheoretisch argumentieren<strong>de</strong> KritikerInnen in <strong>de</strong>r<br />

Verantwortungs- bzw. Machtfrage sowie in <strong>de</strong>r Zuschreibung von Handlungsfähigkeit<br />

an Artefakte ein wesentliches Problem <strong>de</strong>s Latourschen Ansatzes. So plädiert etwa die<br />

feministische Wissenschaftstheoretikerin Mona Singer (2005, 134f) dafür, eine emanzipatorisch<br />

orientierte Epistemologie von <strong>de</strong>r so genannten symmetrischen Anthropologie<br />

<strong>de</strong>zidiert abzugrenzen. Denn diese Sicht, die <strong>de</strong>n Akteurstatus nicht länger an<br />

einen mo<strong>de</strong>rnen Subjektstatus bin<strong>de</strong>t und ein „Parlament <strong>de</strong>r Dinge“ (Latour 2001<br />

[1999]) propagiert, entlasse die Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r Subjekte und damit vor allem<br />

ihre Verantwortlichkeit in Netzwerke, in <strong>de</strong>nen niemand mehr zur Rechenschaft gezogen<br />

wer<strong>de</strong>n könne.<br />

Singer verweist dabei auf ein weiteres vielfach angesprochenes Problem, das<br />

speziell durch Latours Gedankenexperiment eines „Parlaments <strong>de</strong>r Dinge“ hervorgerufen<br />

wer<strong>de</strong>. Dort sollen zwar <strong>de</strong>njenigen, die sonst keine Stimme haben, <strong>de</strong>n<br />

Hybri<strong>de</strong>n und nicht-menschlichen Teilen <strong>de</strong>r Netzwerke, Gehör verschafft wer<strong>de</strong>n.<br />

Allerdings stellt sich – Singer zufolge – die Frage, wer für die Objekte wissenschaft-<br />

113 Latour weist darauf hin, dass die National Rifle Association in <strong>de</strong>n USA die soziologische, eher typisch<br />

linke Position vertreten hatte – vermutlich auch <strong>de</strong>shalb, weil er humorvoll auf die Schwierigkeit, einen moralischen<br />

Standpunkt zu beziehen, aufmerksam machen will.<br />

114 Diese Verschiebung hin zu einem ungewissen Ziel wird in <strong>de</strong>r ANT-Terminologie als „Translation“ be-<br />

zeichnet.<br />

53


licher Erkenntnis und technowissenschaftlicher Produktion stellvertretend sprechen<br />

kann, wenn es nicht die Wissenschafterlnnen selbst sind. „[W]ir können uns we<strong>de</strong>r in<br />

die Position <strong>einer</strong> Wasserlilie, <strong>einer</strong> Jakobsmuschel, eines Eisbären, <strong>einer</strong> Onkomaus<br />

o<strong>de</strong>r eines Wurm-Roboters versetzen. Und in diesem Sinne bleiben wir vom<br />

Standpunkt <strong>de</strong>s wissenschaftlichen Klassifizierens, Feststellens und Urteilens letztlich<br />

immer unter uns.“ (Singer 2005, 139).<br />

Trotz dieses grundlegen<strong>de</strong>n Einwands hat die Frage <strong>de</strong>r „Agency“ <strong>de</strong>r Artefakte<br />

mittlerweile umfangreiche Debatten in Gang gesetzt, die insbeson<strong>de</strong>re von aktuellen<br />

Entwicklungen innerhalb <strong>de</strong>r Informatik immer wie<strong>de</strong>r neu angeheizt wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Techniksoziologen Werner Rammert und Ingo Schultz-Schaeffer (2002) etwa stellen<br />

die Frage: „Können Maschinen han<strong>de</strong>ln?“ erneut und legen einen Sammelband vor, in<br />

<strong>de</strong>m Handlungsfähigkeit von Informationstechnologie anhand von interaktiven Computerspielen,<br />

Multiagentensystemen und fußballspielen<strong>de</strong>n Robotern diskutiert wird. Die<br />

bei<strong>de</strong>n Herausgeber schlagen darin einen graduell nach Kausalität, Kontingenz und<br />

Intentionalität differenzieren<strong>de</strong>n Handlungsbegriff vor, um die neuen Artefakte empirisch<br />

und soziologisch zu untersuchen und dabei zugleich die Probleme, die <strong>de</strong>r ANT-<br />

Ansatz aufgeworfen hat, umgehen zu können (vgl. Rammert/ Schulz-Schaeffer<br />

2002b). 115<br />

Auch <strong>de</strong>r Soziologin und feministischen Technikforscherin Gabriele Winker (2005)<br />

erscheint die Aufhebung <strong>de</strong>r Grenze zwischen Menschen und Artefakten nachvollziehbar.<br />

Dazu führt sie Beispiele aus <strong>de</strong>m alltäglichen Umgang mit <strong>de</strong>m Internet an. Sowohl<br />

bei <strong>de</strong>r Nutzung wie bei <strong>de</strong>r permanenten Weiterentwicklung informationstechnischer<br />

Suchmaschinen bil<strong>de</strong>ten Mensch, Computer und ein Softwareprogramm wie<br />

Google eine Handlungseinheit. Deutlicher noch wiesen ‚persönliche Agenten’, die im<br />

Auftrag von WissenschaftlerInnen neue Fundstellen im Netz suchen, darauf hin, dass<br />

die Unterschie<strong>de</strong> zur menschlichen Suchtätigkeit nicht mehr klar zu bestimmen seien.<br />

Das gelte vor allem dann, wenn sich diese Programme untereinan<strong>de</strong>r absprechen sowie<br />

mit ihren AuftraggeberInnen kooperieren (vgl. Winker 2005, 58). Insofern sei <strong>de</strong>r<br />

analytische Wert <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>r Trennung zwischen Mensch und Maschine nicht<br />

zu unterschätzen. Sie ermögliche es erst, unterschiedliche Formen und Gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Mithan<strong>de</strong>lns abhängig von <strong>de</strong>r Situation und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren menschlichen und nichtmenschlichen<br />

Mitspielen<strong>de</strong>n systematisch und empirisch zu erforschen.<br />

Diese Argumente weisen darauf hin, dass ANT reformuliert wer<strong>de</strong>n muss , um die<br />

Verhältnisse von Mensch und Maschine, insbeson<strong>de</strong>re die Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte zu begreifen. Angesichts technowissenschaftlicher Entwicklungen<br />

erscheint es notwendig, in Fragen <strong>de</strong>r Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r Artefakte eine<br />

differenzierte Position zu beziehen. Speziell die feministischen Kritiken an ANT warnen<br />

davor, <strong>de</strong>n Ansatz unhinterfragt zu übernehmen. Aus <strong>einer</strong> Geschlechterforschungsperspektive<br />

ist vielmehr zu überlegen, wie ANT gesellschafts<strong>kritisch</strong> und feministisch<br />

gedacht und reformuliert wer<strong>de</strong>n kann.<br />

In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n drei Kapiteln 3.4.-3.6. wird die bis hierher skizzierte Konzeption<br />

von ANT zunächst mit Hilfe <strong>de</strong>r Ansätze <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n feministischen Theoretikerinnen<br />

Donna Haraway und Karen Barad weiter entwickelt. Dabei stehen Problematiken <strong>de</strong>r<br />

115 Zur verteilten Handlungsfähigkeit in <strong>de</strong>r Robotik vgl. auch Wiesner 2004, zu <strong>de</strong>r von anthropomorphen<br />

Softwareagenten vgl. Krummheuer 2007<br />

54


Macht- und Geschlechterblindheit ebenso im Mittelpunkt wie die <strong>de</strong>r<br />

Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r Artefakte und die <strong>de</strong>r Verantwortlichkeit. Anschließend wer<strong>de</strong>n<br />

diese Fortführungen vermittelt durch die Arbeiten <strong>de</strong>r Anthropologin und Technikforscherin<br />

Lucy Suchman auf die Informatik angewen<strong>de</strong>t. Diese Ausführungen liefern<br />

insgesamt einen theoretischen Rahmen, <strong>de</strong>r eine Grundlage für das darauf folgend<br />

vorgestellte Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring infomatischer Artefakte darstellt.<br />

3.4. Fa<strong>de</strong>nspiele: Feministische Ansätze, Technowissenschaften und<br />

Gesellschaftskritik<br />

„Cat’s Cradle is about patterns and knots; the game takes great skill and<br />

can result in some serious surprises. One person can build up a large<br />

repertoire of string figures in a single pair of hands, but the cat’s cradle<br />

figures can be passed back and forth on the hands of several players,<br />

who add new moves in the building of complex patterns.” (Haraway 1997,<br />

268).<br />

Übersetzungen zwischen <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie und <strong>de</strong>r Geschlechterforschung<br />

wur<strong>de</strong>n erstmals von Donna Haraway (1995f [1994]) produktiv gemacht. Anhand von<br />

Studien zur Primatologie und Verhaltensbiologie sowie zum Immunsystem (Haraway<br />

1989, 1995e [1986], 1995h [1989]) arbeitete sie mit ihrer eigenen Netzwerktheorie, die<br />

sie als Fa<strong>de</strong>nspiel beschreibt, heraus, welchen Einfluss die vorherrschen<strong>de</strong>strukturellsymbolische<br />

Geschlechterordnung, aber auch geschlechter<strong>kritisch</strong>e gesellschaftliche<br />

Strömungen und feministische VertreterInnen innerhalb <strong>de</strong>r Biologie auf das<br />

genommen haben, was als jeweiliges Fachwissen verhan<strong>de</strong>lt wird.<br />

Haraways Denken wur<strong>de</strong> in Auszügen bereits im zweiten Kapitel vorgestellt. Hervorgehoben<br />

wur<strong>de</strong> dabei ihr Versuch, „mo<strong>de</strong>rne“ Dichotomien wie Natur vs. Kultur,<br />

Belebtes vs. Unbelebtes, Organisches vs. Technisches, die häufig stark vergeschlechtlicht<br />

sind, zu überwin<strong>de</strong>n. Dort wur<strong>de</strong> ihr Ansatz im Kontext feministischer Technikkritiken<br />

ge<strong>de</strong>utet, die sich häufig zwischen euphorischer Begrüßung und kulturpessimistischer<br />

Ablehnung bewegten. Hier dagegen stellt sich die Frage, wie sie das Verhältnis<br />

von Mensch und Maschine, von Technik und Gesellschaft konzipiert und was sie über<br />

die bisher beschriebene sozialwissenschaftliche Techniktheorie hinausgehend beitragen<br />

kann, um theoretische Konzeptionen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte zu entwickeln.<br />

In ihren Schriften befasst sich Haraway mit <strong>de</strong>r Frage, wie sich „Natur“ im Zeitalter<br />

<strong>de</strong>r Technowissenschaften fassen lässt. 116 Da sie diese als materiell-semiotisch und<br />

damit letztendlich zugleich als technisch fasst, lassen sich ihre gesellschafts<strong>kritisch</strong>en<br />

Positionen und ihre Kritikstrategien prinzipiell auf die Informatik übertragen. Für das<br />

Vorhaben, das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte theoretisch zu fundieren, erscheint<br />

vor allem ihre Kritik am „eurozentristischen Anthropozentrismus“ (Haraway 1995g<br />

[1992], 15), am Rationalismus, am Naturalismus und <strong>de</strong>m zugehörigen Humanismus,<br />

die allesamt <strong>de</strong>r Aufklärung und <strong>de</strong>m kapitalistischen Produktionsparadigma verpflich-<br />

116 So trägt etwa ihr erstes bekannt gewor<strong>de</strong>nes Buch <strong>de</strong>n Titel „The Reinvention of Nature“ (1991). Vgl.<br />

dazu auch die Dissertation von Jutta Weber (Weber 2003a), die speziell Naturkonzepte bei Haraway und<br />

in <strong>de</strong>n Technowissenschaften untersucht.<br />

55


tet seien, sinnvoll. 117 In<strong>de</strong>m sie <strong>einer</strong>seits aufzeigt, dass die genannten Ansätze theoretisch<br />

fragwürdig und mit <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n asymmetrischen Geschlechterordnung<br />

eng verbun<strong>de</strong>n sind, und an<strong>de</strong>rseits in ihren Untersuchungen Epistemologie eng mit<br />

Gesellschaftstheorie verbin<strong>de</strong>t, geht sie über die Zugänge <strong>de</strong>r ANT hinaus und gibt<br />

diesen eine politische Wendung.<br />

Haraway teilt viele <strong>de</strong>r Annahmen <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie. 118 Mit <strong>de</strong>m Begriff<br />

<strong>de</strong>r Technoscience setzt sie beispielsweise voraus, dass sich Technologie analytisch<br />

nicht von Gesellschaft, von sozialen, politischen o<strong>de</strong>r ökonomischen Aspekten trennen<br />

lässt. Sie geht davon aus, „dass das, was als menschlich bzw. nicht-menschlich gilt,<br />

nicht per <strong>de</strong>finitionem, son<strong>de</strong>rn nur relational gegeben ist, durch das Engagement in<br />

verorteten, innerweltlichen Begegnungen, wo Grenzen sich herausbil<strong>de</strong>n und Kategorien<br />

sich sedimentieren“ (Haraway 1995f [1994], 141f). Haraway schreibt in ihren<br />

Schriften über Hybri<strong>de</strong>, die Menschliches und Nicht-Menschliches vereinen. Sie nimmt<br />

dabei mancherorts Bezug auf die ANT-Terminologie über AkteurInnen, Agenzien und<br />

Aktanten (vgl. ebd., 141), an<strong>de</strong>rnorts setzt sie <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s „Cyborgs“ ein o<strong>de</strong>r<br />

spricht von „materiell-semiotischen AkteurInnen“.<br />

Während Haraways vielschichtige Figur <strong>de</strong>r Cyborg, die nur in <strong>de</strong>r primären<br />

Deutung für Grenzüberschreitungen zwischen Mensch und Maschine steht, weithin<br />

bekannt ist, erschließt sich ihre spezifische Variante <strong>einer</strong> Netzwerktheorie nicht auf<br />

<strong>de</strong>n ersten Blick. Meines Erachtens am <strong>de</strong>utlichsten formuliert sie diese in ihrem Essay<br />

„The Cat’s Cradle“, in<strong>de</strong>m sie dafür die Metapher <strong>de</strong>s Abnehme- bzw. Fa<strong>de</strong>nspiels<br />

heranzieht. Bei einem solchen Spiel wird üblicherweise ein kreisförmig geschlossener<br />

Fa<strong>de</strong>n um die Finger <strong>einer</strong> Person gelegt, um bestimmte Muster herzustellen. Die MitspielerInnen<br />

haben die Aufgabe, <strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>n so abzunehmen, dass sich komplexe<br />

Überkreuzungen ergeben, ohne das Muster zu zerstören. Dies erfor<strong>de</strong>rt eine gewisse<br />

Kunstfertigkeit und viel Geschick. Das Fa<strong>de</strong>nspiel steht bei Haraway für eine <strong>kritisch</strong>e<br />

Erkenntnisproduktion über die komplexen Zusammenhänge von Technischem,<br />

Mythischem, Textuellem, Politischem, Organischem und Ökonomischem (vgl. Haraway<br />

1995f [1994], 141f). Insofern sei das Abnehmespiel, wie sie betont, letztendlich nichts<br />

an<strong>de</strong>res als eine Metapher für die Akteur-Netzwerk-Theorie (vgl. ebd., 148).<br />

Ihr Mo<strong>de</strong>ll weist dabei einige bemerkenswerte Unterschie<strong>de</strong> zur Latourschen Konzeption<br />

auf. Zum einen ver<strong>de</strong>utlicht es <strong>de</strong>n kollektiven, globalen Charakter von Wissens-<br />

und Technologieproduktion: „Cat’s cradle invites a sense of collective work, of<br />

one person not being able to make all the patterns alone. One does not win a cat’s<br />

cradle; the goal is more interesting and more open-en<strong>de</strong>d than that. It is not always<br />

possible to repeat interesting patterns, and figuring out what happened to result in<br />

117 Dies wur<strong>de</strong> im letzten Kapitel 3.3, wenngleich auf <strong>de</strong>r Grundlage an<strong>de</strong>rer Argumente, dargestellt. Für<br />

eine Untermauerung dieses Aspektes aus <strong>de</strong>r Perspektive feministischer Technikforschung vgl. etwa Saupe<br />

2002, insbeson<strong>de</strong>re 178ff.<br />

118 Die theoretischen Beeinflussungen zwischen Haraway und Latour sind keineswegs als einseitig zu betrachten,<br />

wie Jutta Weber und Heike Wiesner herausgearbeitet haben. Wiesner behauptet mit Verweis auf<br />

Latours frühes Werk „Science in Action“ (1987), in <strong>de</strong>m Begriffe wie „Aktant“ noch eher eine untergeordnete<br />

Rolle spielten, darauf, dass Latour Haraways Grundthesen in seinen ANT-Ansatz ‚übersetzt’, ohne jedoch<br />

auf Haraways Schriften aufmerksam zu machen (Wiesner 2002, 187, Fußnote 525). Auch Weber<br />

führt das asymmetrische Zitationsverhalten an: „Auf ihre seit über 15 Jahren geführte Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

mit <strong>de</strong>r Theorie Latours reagiert dieser kaum. Selbst in seinem Buch „Wir sind nie mo<strong>de</strong>rn gewesen“<br />

(1991), <strong>de</strong>m das Thema <strong>de</strong>s Hybri<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Cyborg zentral ist, belässt er es bei ein o<strong>de</strong>r zwei lapidaren<br />

Literaturverweisen. Und selbst in Pandora’s Hope, das er Donna Haraway gewidmet hat, taucht sie nicht<br />

essentiell auf bzw. gibt es keine Auseinan<strong>de</strong>rsetzung“ (Weber 1998, 710, Fußnote 2).<br />

56


intriguing patterns is an embodied analytical skill. The game is played around the<br />

worlds and can have consi<strong>de</strong>rable cultural significance. Cat’s cradle is both local and<br />

global, distributed and knotted together” (Haraway 1997, 268).<br />

Zweitens dient ihr das Fa<strong>de</strong>nspiel als Metapher für eine gesellschaftspolitisch-feministische<br />

Analyse. Im Vergleich zu Latour liest Haraway die zur Disposition gestellte<br />

Grenzziehung zwischen Mensch und Maschine stets auf <strong>de</strong>r Folie feministischer, antirassistischer,<br />

multikultureller Theorien, die heute unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r „Cultural Studies<br />

of Science and Technology“ 119 zusammengefasst wer<strong>de</strong>n. Denn gera<strong>de</strong> diese<br />

Ansätze hätten „gelehrt, dass es sich nicht von selbst versteht und verstehen sollte,<br />

was als ‚menschlich’ gilt. Dies Prinzip sollte auch auf Maschinen sowie auf nichtmaschinelle,<br />

nicht-menschliche Entitäten im allgemeinen zutreffen“ (Haraway 1995f<br />

[1994], 141f). Wenn also Frauen und an<strong>de</strong>re „inapproriate/d others“ (Min-ha 1986, vgl.<br />

auch Haraway 1995g [1992]) lange Zeit von <strong>de</strong>m ausgeschlossen waren, was als das<br />

Humane <strong>de</strong>finiert wur<strong>de</strong>, gelte es nun zu fragen, welche Aus- und Einschlüsse aktuelle<br />

Grenzziehungen <strong>de</strong>r Technowissenschaften zwischen Mensch und Maschine reproduzieren.<br />

Im Gegensatz zu ANT hat Haraway also die Frage nach <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r Artefakte in<br />

die <strong>de</strong>r hybri<strong>de</strong>n Netzwerke transformiert und sie in ihre Konzeption <strong>de</strong>r Analyse<br />

aktueller Technowissenschaftskultur integriert. Ein wesentlicher Unterschied zu Latours<br />

Netzwerk-Konzeption besteht darin, dass sie <strong>de</strong>n Diskurs bzw. Fa<strong>de</strong>n sozialwissenschaftlicher<br />

Technikforschung mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r „Cultural Studies“ sowie <strong>de</strong>r feministischen<br />

Theorie verknüpft (vgl. ebd., 144ff). In dieser gesellschafts<strong>kritisch</strong>en Wendung grenzt<br />

sie sich explizit von Latour ab: „Shaped by feminist and left science studies, my own<br />

usage [of the term ‚technoscience] both work with and against Latour’s. In Susan Leigh<br />

Star’s terms, I believe it less epistemological, politically, and emotionally powerful to<br />

see that there are startling hybrids of the human and non-human in technoscience –<br />

although I admit to no small amount of fascination – than to ask for whom and how<br />

these hybrids work” (Haraway 1997, 280).<br />

Während Haraway von strukturellen Machtverhältnissen ausgeht, die soziotechnische<br />

Ausschlüsse produzieren, ignoriere Latour soziale Ungleichheit und Herrschaft.<br />

120 Sie wirft ihm und seinen Kollegen vor, dass sie niemals fragten, „wie die<br />

Praktiken männlicher Vorherrschaft o<strong>de</strong>r vieler an<strong>de</strong>rer Systeme struktureller Ungleichheit<br />

in Arbeitsmaschinen ein- und aus ihnen ausgebaut wer<strong>de</strong>n.[…] Ungeachtet ihrer<br />

außergewöhnlichen Schaffensfreu<strong>de</strong> haben die Vermessungen <strong>de</strong>r meisten Gelehrten<br />

<strong>de</strong>r social studies of science sich nicht auf die fruchtbaren Meeresregionen erstreckt,<br />

wo die weltlichen Praktiken <strong>de</strong>r Ungleichheit ans Ufer bran<strong>de</strong>n, in die Buchten<br />

eindringen und die Maßstäbe <strong>de</strong>r Reproduktion wissenschaftlicher Praxis, Artefakte<br />

und Erkenntnis setzen“ (Haraway 1995g [1992], 190, Fußnote 14). Genau diese<br />

119 Sie selbst bezieht sie sich dabei vor allem auf die britischen Cultural Studies, die u.a. in <strong>de</strong>r Tradition<br />

von Marxismus, Psychoanalyse, Hegemonietheorien und <strong>de</strong>r Kritischen Theorie stehen.<br />

120 Haraway geht hier noch weiter, in<strong>de</strong>m sie Latour unterstellt, er wür<strong>de</strong> durch seinen Forschungsansatz<br />

Machtstrukturen reproduzieren: „Latour wants to follow the action in science-in-the-making. Perversely,<br />

however, the structure of heroic action is only intensified in his project – both in the narrative of science<br />

and in the discourse of the science studies scholar” (Haraway 1997, 34).<br />

57


Bereiche sozialer Ungleichheit und die dort funktionieren<strong>de</strong>n Kompetenzübertragungen<br />

sollten ihres Erachtens Gegenstand verschärfter Aufmerksamkeit sein. 121<br />

Haraways Ansatz lässt sich – wie Angelika Saupe hervorhebt – insgesamt als eine<br />

Form <strong>de</strong>r Kritik lesen, „die sich explizit um eine gesellschaftspolitische Techniktheorie<br />

bemüht und einen umfassen<strong>de</strong>n Versuch <strong>de</strong>r gesellschaftstheoretischen Bestimmung<br />

<strong>de</strong>s Verhältnisses von Technik und Geschlecht anvisiert“ (Saupe 2002, 168). Obwohl<br />

dies von Haraway selbst nicht unmittelbar so formuliert wird, bietet gera<strong>de</strong> diese Ausrichtung,<br />

die auf <strong>de</strong>n Perspektiven <strong>de</strong>r feministischen Theorie, <strong>de</strong>r Cultural Studies und<br />

<strong>de</strong>r Science and Technology Studies beruht, direkten Anschluss an das Anliegen dieses<br />

Kapitels. Die Frage, wie Ungleichheitsstrukturen, insbeson<strong>de</strong>re auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r<br />

Kategorie Geschlecht, in die Technowissenschaften eingebaut sind, ist bei Haraway<br />

zentral.<br />

Haraways Ansatz versteht sich jedoch nicht allein als ein analytischer, son<strong>de</strong>rn zugleich<br />

als Vorschlag, „wie wir Schlüsseldiskurse über Technowissenschaft neu gestalten<br />

– verwen<strong>de</strong>n und verknoten – können.“ (Haraway 1995f [1994], 137). Damit wird<br />

eine Vision gesellschaftspolitischer Verän<strong>de</strong>rung angesprochen. Angesichts technowissenschaftlich<br />

konstituierter Lebenswelten, die durch die Komplexe <strong>de</strong>s Militärs, <strong>de</strong>r<br />

globalen Ökonomie, <strong>de</strong>r Umwelt und <strong>de</strong>r Medien gezeichnet sind (vgl. Haraway 1996,<br />

348f), plädiert Haraway für eine Gestaltung von „lebbaren Welten“, sei es in Bezug auf<br />

Natur o<strong>de</strong>r Technologie: „Mein kategorischer Imperativ lautet: alles, was als Natur gilt,<br />

zu verqueeren/ zu verkehren, spezifische normalisierte Kategorien zu durchkreuzen,<br />

nicht um <strong>de</strong>s leichten Schau<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Überschreitung willen, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Hoffnung<br />

auf lebbare Welten“ (Haraway 1995f [1994], 137). Es geht ihr explizit darum, „die Welt<br />

zu verän<strong>de</strong>rn, eine Wahl zu treffen zwischen verschie<strong>de</strong>nen Lebensweisen und<br />

Weltauffassungen. Um dies zu tun, muss man han<strong>de</strong>ln, begrenzt sein, nicht<br />

transzen<strong>de</strong>nt und sauber. Wissensproduzieren<strong>de</strong> Technologien, einschließlich <strong>de</strong>r<br />

Mo<strong>de</strong>llierung von Subjektpositionen und <strong>de</strong>r Wege <strong>de</strong>r Besetzung solcher Positionen,<br />

müssen immer wie<strong>de</strong>r sichtbar und offen für <strong>kritisch</strong>e Eingriffe gemacht wer<strong>de</strong>n“<br />

(Haraway 1996, 362).<br />

Saupe bezeichnet Haraways gesellschaftspolitische Technikkritik insgesamt als ein<br />

„Projekt <strong>de</strong>r Neugestaltung“ (Saupe 1998, 178f), welches darauf zielt, die „‚Objekte <strong>de</strong>s<br />

Hyperproduktionismus, 122 <strong>de</strong>r politischen Visionen und auch <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

Kategorien“ (ebd.) umzuformen. Im Gegensatz zu Latour und seinen Kollegen, die in<br />

121 Eine Erklärung, warum ihre Kollegen sich von gesellschaftspolitischen Problematiken so übertrieben<br />

abgrenzten, liefert Haraway an dieser Stelle gleich mit. Sie neigten „dazu, solche Fragen mit <strong>de</strong>r Versicherung<br />

abzutun, sie wür<strong>de</strong>n in die schlechten alten Zeiten zurückführen, in <strong>de</strong>nen Radikale behaupteten,<br />

die Wissenschaft [und Technik, C.B.] wür<strong>de</strong> gesellschaftliche Beziehungen einfach ‚wi<strong>de</strong>rspiegeln’“ (Haraway<br />

1995g [1992], 190, Fußnote 14). Die Abgrenzung richtet sich also gegen einen latenten Humanismus<br />

und Sozial<strong>de</strong>terminismus wie er am Anfang dieses Kapitels diskutiert wur<strong>de</strong>. Haraway kritisiert, dass ANT-<br />

Vertreter in <strong>de</strong>m Versuch, sozial<strong>de</strong>terministische Techniktheorien zu überwin<strong>de</strong>n, ein „unhinterfragtes,<br />

konsistentes und <strong>de</strong>fensives Vorurteil“ (ebd.) entwickelt hätten, das zu erstaunlichen Fehl<strong>de</strong>utungen einzelner<br />

feministischer Forscherinnen und <strong>de</strong>m blin<strong>de</strong>n Fleck geführt habe, dass feministische Forschungen<br />

nicht wahrgenommen wür<strong>de</strong>n.<br />

122 Haraway beschreibt <strong>de</strong>n „Hyperproduktionismus“ als „beson<strong>de</strong>re Art eines gewaltsamen und reduktiven<br />

Artefaktizismus“ (Haraway 1995g [1992], 15). Sie hält diesen für eine gefährliche Strategie, <strong>de</strong>nn diese<br />

Position lehne die geistreiche Täterschaft aller AkteurInnnen mit Ausnahme <strong>de</strong>s Einen ab. „Das Produktionsparadigma<br />

und seine logische Folge, <strong>de</strong>r Humanismus, lassen sich in einem Satz zusammenfassen:<br />

‚Der Mensch schafft alles, einschließlich s<strong>einer</strong> selbst, aus <strong>de</strong>r Welt heraus, die lediglich Ressource und<br />

Potential für sein Projekt und sein aktives Han<strong>de</strong>ln sein kann.’ Diese Produktionsparadigma han<strong>de</strong>lt vom<br />

Menschen als Werkzeugmacher und -benutzer, <strong>de</strong>ssen höchste technische Produktion er selbst darstellt“<br />

(Haraway 1995g [1992], 16).<br />

58


ihren Schriften auf <strong>de</strong>r analytischen Ebene verbleiben und „rigorosen Wi<strong>de</strong>rstand<br />

gegen das Aufstellen starker Wissensbehauptungen“ (Haraway 1996, 362) leisten,<br />

bietet sie mit ihrer For<strong>de</strong>rung nach „lebbaren Welten“ gleichzeitig Anschlussmöglichkeiten<br />

für das hier verfolgte Anliegen <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte in <strong>de</strong>r<br />

Technikgestaltung. Während sich an<strong>de</strong>re Zugänge gegen normative Setzungen<br />

verwehren, tritt Haraway ein<strong>de</strong>utig für eine feministische Positionierung ein.<br />

Dennoch ist hier sorgfältig zu klären, inwieweit Haraways Zugang über eine grundlegen<strong>de</strong><br />

theoretische Rahmung hinausgehend für die Konzeption <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring und<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte hilfreich sein kann. Das be<strong>de</strong>utet, differenzierter<br />

herauszuarbeiten, welche Form <strong>de</strong>r Gesellschaftskritik sie vertritt, welche Strategien<br />

<strong>de</strong>r Neugestaltung sie vorschlägt, auf welche Bereiche bzw. Dimensionen sie diese<br />

bezieht und wie sie jene konkret in ihrem Werk umsetzt. Dazu möchte ich feministische<br />

Rezeptionen, insbeson<strong>de</strong>re die <strong>de</strong>utschsprachige, heranziehen, in <strong>de</strong>nen Haraways<br />

Politikverständnis äußerst umstritten scheint, und <strong>kritisch</strong>e Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit<br />

ihren Thesen ausführlicher diskutieren. Während beispielsweise Saupe Haraways<br />

Ansatz als eine „Politik <strong>de</strong>r Dekonstruktion technologischer Rationalität“ (vgl. Saupe<br />

2002, 202ff) würdigt, <strong>de</strong>r auf einzigartige Weise Theoriebildung über die Technoscience<br />

mit <strong>einer</strong> politischen Positionierung verbin<strong>de</strong>, kritisieren an<strong>de</strong>re Geschlechterforscherinnen<br />

Wi<strong>de</strong>rsprüche und Leerstellen in ihren gesellschafts- und geschlechtertheoretischen<br />

Grundlagen. Singer wirft Haraway vor, dass sie mit wi<strong>de</strong>rsprüchlichen<br />

Begründungen für eine feministische Kritik arbeite: „Einerseits referiert sie immer wie<strong>de</strong>r<br />

auf Frauen und Geschlechterverhältnisse, an<strong>de</strong>rerseits aber auf ein Verständnis<br />

von Allianzen, das gera<strong>de</strong> diese sozialen und i<strong>de</strong>ntitären Zurechnungen wie<strong>de</strong>rum in<br />

Frage stellt. Einerseits stellte sie epistemologisch und wissenschafts<strong>kritisch</strong> <strong>de</strong>n besseren<br />

Blick von unten, Verantwortung und die Frage nach ‚cui bono’ in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund,<br />

an<strong>de</strong>rerseits aber gäbe es im Lichte <strong>de</strong>r ‚imperialisieren<strong>de</strong>n, totalisieren<strong>de</strong>n, revolutionären<br />

Subjekte vorausgegangener Marxismen und Feminismen’ keine Rückkehr mehr<br />

zu Konzepten eines wi<strong>de</strong>rständigen Kollektivsubjekts“ (Singer 2005, 207). Es bleibe im<br />

Dunkeln, wie die Bestimmung <strong>de</strong>r Marginalisierung erfolgen kann, ohne auf Analysen<br />

struktureller Ungleichheit Bezug zu nehmen und <strong>de</strong>n Blick von unten in einem spezifischen<br />

gesellschaftlichen Kontext zu verorten. 123 Genau diese Unklarheit gehört jedoch<br />

zu Haraways Programm. Sie setzt sich für partiale Perspektiven, Situierung,<br />

Mehr<strong>de</strong>utigkeit und vor allem bewegliche Positionierungen ein (vgl. Haraway 1995d<br />

[1988]).<br />

Vertreterinnen <strong>de</strong>r Hannoveraner Schule, genauer die feministischen Theoretikerinnen<br />

Regina Becker-Schmidt (1998), Gudrun-Axeli Knapp (1998) und Carmen Gransee<br />

(1998, 1999), beanstan<strong>de</strong>n weitere Elemente von Haraways Ansatz, wobei sie von <strong>de</strong>r<br />

für die Kritische Theorie paradigmatischen Kritik am instrumentellen Naturumgang<br />

ausgehen. 124 Zentral ist dabei <strong>de</strong>r Vorwurf <strong>einer</strong> fehlen<strong>de</strong>n Vermittlung <strong>de</strong>r Erkenntnistheorie<br />

mit Gesellschaftstheorie, d.h. <strong>einer</strong> mangeln<strong>de</strong>n Rückbindung ihres epistemologischen<br />

Mo<strong>de</strong>lls an eine ausgearbeitete Vorstellung gesellschaftlicher Machtverhältnisse,<br />

in <strong>de</strong>r Wissenschaft eingebettet ist (vgl. Knapp 2000, 102, Hervorhebung von<br />

123 Dies wer<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re am Beispiel von „women of color“ bzw. die <strong>einer</strong> Chicana-I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>utlich.<br />

Marginalisiertheit dieser Gruppen sei, wie VertreterInnen diese selbst formulierten, kein ausreichen<strong>de</strong>r<br />

Grund für ein feministisches Projekt.<br />

124 Für eine ausführliche Diskussion dieser Vorwürfe vgl. Saupe 2002, 228-246<br />

59


mir). Singer verteidigt Haraway gegenüber dieser Kritik jedoch entschie<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m sie<br />

konstatiert, dass die bis dato mangeln<strong>de</strong> Ausarbeitung nicht Haraway zum Vorwurf gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n könne, son<strong>de</strong>rn ein generelles Problem und ein Ausdruck <strong>de</strong>r Krise<br />

gegenwärtiger Gesellschaftskritik sei (vgl. Singer 2005, 208).<br />

Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Saupe, in<strong>de</strong>m sie vorschlägt, die Analyse<br />

<strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r Kapitalverhältnisse im Zuge Haraways gesellschaftspolitischer Technikkritik<br />

auszubauen (vgl. Saupe 2002, 245). Dabei setzt sie sich differenziert mit <strong>de</strong>n<br />

Argumentationslinien <strong>de</strong>r drei Autorinnen auseinan<strong>de</strong>r, um die Annahmen, auf <strong>de</strong>nen<br />

die Kritik <strong>einer</strong> mangeln<strong>de</strong>n gesellschaftstheoretischen Orientierung in Haraways<br />

Denken basiert, sorgfältig herauszuarbeiten. Insbeson<strong>de</strong>re Becker-Schmidts Kritik<br />

grün<strong>de</strong> etwa implizit darauf, dass Haraway keine historischen, sozialstrukturellen und<br />

empirischen Analysen vorzuweisen habe. Ausgehend von dieser Erkenntnis interpretiert<br />

Saupe die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung als einen „Schulenstreit“, <strong>de</strong>r auf die Abwehr<br />

poststrukturalistischer Perspektiven zielt (vgl. Saupe 2002, 238f). Becker-Schmidt halte<br />

an einem Verständnis von Technik als eindimensionaler technologischer Naturaneignung<br />

fest, das eher traditionelle androzentrische Herrschafts- und Hegemonieprinzipien<br />

reproduziere als zu <strong>de</strong>ren Abschaffung beizutragen. Auf dieser Basis ziehe<br />

Becker-Schmidt die von Haraway immer wie<strong>de</strong>r stark gemachten Gestaltungsmöglichkeiten<br />

grundsätzlich in Zweifel. 125<br />

Dass Haraway technowissenschaftliche Entwicklungen zu un<strong>kritisch</strong> begrüßen<br />

wür<strong>de</strong> und zu euphorisch auf <strong>de</strong>ren Verän<strong>de</strong>rungspotential setze, ist ihr häufig<br />

vorgeworfen wor<strong>de</strong>n. Dazu scheint insbeson<strong>de</strong>re die Rezeption ihrer Schriften<br />

innerhalb <strong>de</strong>r cyberfeministischen Bewegung <strong>de</strong>r 1990er Jahre einen großen Teil<br />

beigetragen zu haben (vgl. etwa Soufoulis 2002, Adam 1997). Diese Position setzt sich<br />

bis heute und sogar in die Veröffentlichungen <strong>de</strong>r feministischen sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung fort. So rückt etwa die renommierte Techniksoziologin Judy<br />

Wajcman die Cyborgfigur in die Nähe jener Hoffnungen auf eine neue soziale<br />

Ordnung, die bereits mit vorangegangen Technologien wie <strong>de</strong>m Telefon o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Elektrizität verbun<strong>de</strong>n waren. „The narrative of technology re<strong>de</strong>fining reality is, after all,<br />

a powerful one with a long lineage. […] One is reluctant to suggest that such an astute<br />

science studies critic has fallen prey to technological <strong>de</strong>terminism, but the cyborg<br />

prescription for progressive politics does place enormous weight on technoscience as a<br />

motor of women’s liberation” (Wajcman 2004, 99). Während die Gesellschaftstheoretikerinnen<br />

<strong>de</strong>r Hannoveraner Schule Haraway eine mangeln<strong>de</strong> gesellschafts<strong>kritisch</strong>e<br />

Fundierung kritisieren, wird von Seiten <strong>de</strong>r Technikforschung <strong>de</strong>r Vorwurf <strong>de</strong>s technologischen<br />

Determinismus in <strong>einer</strong> neuen Form vorgebracht: Neue technowissenschaftliche<br />

Artefakte könnten nicht naiv als Motor gesellschaftlicher und geschlechterpolitischer<br />

Verän<strong>de</strong>rungsprozesse verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Auch wenn diese Lesart eher<br />

als ein Missverständnis von Haraways Schriften verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n muss, wie<br />

125 Saupe versteht Becker-Schmidts Intervention vor <strong>de</strong>m Hintergrund ihrer eigenen These <strong>de</strong>r Verlebendigung<br />

von Technik als Rettungsversuch eines weiblichen Lebendigen: „Bei aller richtigen Absicht, androzentrische<br />

Überheblichkeitsmuster zu entlarven, scheint Becker-Schmidt selbst <strong>de</strong>m Dualismus (und Mythos)<br />

eines weiblich interpretierten „Lebendigen“, welches seinem Gegenteil als männlich repräsentierten<br />

„Technischen“ konträr gegenübersteht, nicht gänzlich zu entkommen. Genau in dieser Reproduktion <strong>de</strong>r<br />

altbekannten Dichotomie von „Leben“ und „Technik“, die sich immer wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r (Voraus-)Setzung <strong>einer</strong><br />

als unhintergehbar verorteten Rationalität verirrt, liegt jedoch m.E. die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Falle. Und genau<br />

diese ist es auch, die Haraway mit ihrer (undogmatischen) Strategie konsequent vermei<strong>de</strong>t“ (Saupe 2002,<br />

241).<br />

60


nachfolgend gezeigt wird, <strong>de</strong>utet <strong>de</strong>r Vorwurf auf ein Argument, mit <strong>de</strong>m sich das in<br />

dieser Arbeit verfolgte Anliegen, ein De-Gen<strong>de</strong>ring durch entsprechend geeignete<br />

Technikgestaltungsmetho<strong>de</strong>n zu erreichen, grundlegend auseinan<strong>de</strong>rsetzen sollte. Es<br />

warnt vor <strong>einer</strong> Sichtweise, Technologien unabhängig von <strong>de</strong>ren gesellschaftlicher<br />

Einbettung und Nutzung als „geschlechter<strong>kritisch</strong>“ o<strong>de</strong>r „emanzipatorisch“ konstruieren<br />

zu können. 126<br />

Haraway ist eine <strong>de</strong>rartig utopische Interpretation ihrer Thesen jedoch nicht<br />

notwendigerweise selbst anzulasten, da sie komplexer argumentiert und neben ihrem<br />

Verweis auf emanzipatorische Potentiale stets auf strukturelle Kontinuitäten von Macht<br />

und Herrschaft in <strong>de</strong>r und durch die Technoscience hingewiesen hat. Im Text<br />

„Anspruchsloser_Zeuge@Zweites_Jahrtausend“ beispielsweise weist sie explizit auf<br />

die „Apparate <strong>de</strong>r kulturellen Produktion“ hin, die im Schoße <strong>de</strong>r Technoscience herangereift<br />

seien: Militär, globale Ökonomie, Umwelt und Medien (vgl. Haraway 1997, 12f),<br />

<strong>de</strong>ren „illegitime Nachkommen“ Cyborgs seien. Dabei wen<strong>de</strong>t sie sich explizit gegen<br />

eine technikeuphorische Deutung, zugleich aber auch gegen kulturpessimistische<br />

Positionen: „Dieser Aufsatz, wie mein ganzes Schreiben, ist viel eher besorgt als<br />

optimistisch. Dennoch könnte es von Vorteil sein zu lernen, unseren Ängsten vor <strong>de</strong>m<br />

Unheil und <strong>de</strong>r Gewissheit, daß es kommen wird, ebenso wie unseren Träumen zu<br />

mißtrauen“ (Haraway 1996, 368f).<br />

Nicht<strong>de</strong>stotrotz <strong>de</strong>utet das verbreitete Missverständnis, das <strong>de</strong>r euphorischen<br />

Rezeption von Haraways Werk zugrun<strong>de</strong> liegt, womöglich auf eine Leerstelle in ihren<br />

politischen Handlungsstrategien hin. Denn es stellt sich die Frage, welche Konzepte<br />

sie vorschlägt, um <strong>de</strong>n angestrebten alternativen Ort lebbarer Welten erreichen und<br />

auch gestalten zu können. Haraway ruft zwar Feministinnen in ihrem Cyborg-Manifest<br />

dazu auf, Verantwortung bei <strong>de</strong>r Neukonstruktion <strong>de</strong>stabilisierter Grenzen zu<br />

übernehmen (vgl. Haraway 1995c [1985], 35ff) und plädiert insofern für eine feministisch-<strong>kritisch</strong>e<br />

Einmischung in die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie.<br />

Jedoch beschränkt sie sich in <strong>de</strong>r Praxis primär auf die Strategie <strong>de</strong>s Geschichten-<br />

Erzählens, die sie <strong>einer</strong>seits <strong>de</strong>r Verfestigung gesellschaftlicher Strukturen, an<strong>de</strong>rseits<br />

<strong>de</strong>r begrüßen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r ablehnen<strong>de</strong>n Vorverurteilung von Technologien entgegensetzt.<br />

„Es gibt keinen Ausweg aus <strong>de</strong>n Geschichten, aber es gibt viele Möglichkeiten, eine<br />

Erzählung zu gestalten […] Deshalb besteht die Arbeit vor allem darin, die Geschichten<br />

zu än<strong>de</strong>rn“ (Haraway 1996, 369). Deutlicher noch wird dieser Vorschlag anhand ihrer<br />

Motivation: „Wie könnten bewohnbare Narrationen über Wissenschaft und Natur<br />

erzählt wer<strong>de</strong>n, ohne die Zerstörungen zu leugnen, die aus <strong>de</strong>r Bindung von Technowissenschaft<br />

an militarisierte und strukturell ungerechte Verhältnisse von Wissenschaft<br />

und Macht entsprungen sind, und ohne die apokalyptischen Geschichten von Gut und<br />

Böse, die auf <strong>de</strong>n Bühnen von ‚Natur’ und ‚Wissenschaft’ gespielt wur<strong>de</strong>n, spiegelbildlich<br />

zu wie<strong>de</strong>rholen“ (Haraway 1995g [1992]), 93)? Alternative Geschichten über die<br />

Funktionsweise <strong>de</strong>r Technoscience sollen kein unvernünftiges Gegenmo<strong>de</strong>ll zur<br />

rationalistischen Wissenschaft und zu Technologien darstellen, son<strong>de</strong>rn die<br />

analytischen Wissenschaften verän<strong>de</strong>rn und Um<strong>de</strong>utungen provozieren (vgl. dazu<br />

Saupe 1998, 181). In diesem Sinne setzt Haraway – wie Weber herausstellt –<br />

vornehmlich auf eine aktive Erkenntnispolitik. Sie „versucht ihre politischen Intentionen,<br />

126 Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Schlusskapitel 6.<br />

61


ihre Visionen und Utopien in Form von ironischen und reflektierten Erzählstrategien zu<br />

ver<strong>de</strong>utlichen, um einen Spielraum für eine öffentliche Diskussion über Natur, über<br />

das, was als Körper und Maschine gilt, zu eröffnen. Sie versteht Wissenschaftskritik<br />

und Erkenntnispolitik vor allem als <strong>kritisch</strong>e Praxis <strong>de</strong>s Geschichtenerzählens mit <strong>de</strong>r<br />

Intention, naive Repräsentationspolitiken offenzulegen und dominante Diskurse zu<br />

verschieben“ (Weber 2000a, 278). Diese Praxis birgt wesentliche Hinweise auf ein De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte, insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>njenigen Bereichen, die wie die<br />

KI-Forschung <strong>de</strong>n Naturwissenschaften nahe stehen. Allerdings reicht diese Perspektive<br />

als Handlungsstrategie in <strong>de</strong>r Informatik nicht aus, wenn es darum gehen soll,<br />

auch die technologischen Produkte (bspw. Anwendungssoftware) <strong>kritisch</strong> zu<br />

verän<strong>de</strong>rn. Insofern ist Wajcman beizupflichten, wenn sie kritisiert: „At times, Haraway<br />

loses sense of how feminists could act to change, or at least redirect technologies,<br />

rather than reconfiguring them in our writings“ (Wajcman 2004, 101).Diese Lücke,<br />

Haraways Ansatz für eine alternative Technikgestaltung konstruktiv nutzen zu können,<br />

hat Saupe zufolge Metho<strong>de</strong>. Denn Haraway vermei<strong>de</strong> es aus Prinzip, normative<br />

Konzepte für pragmatisches Han<strong>de</strong>ln zu formulieren, da diese notwendigerweise selbst<br />

wie<strong>de</strong>r Ausschlüsse produzierten, die Haraways Ansicht nach unakzeptabel wären<br />

(vgl. Saupe 2002, 244).<br />

Um Haraways Ansatz in <strong>einer</strong> Disziplin wie <strong>de</strong>r Informatik, die mit <strong>de</strong>r (auf ihre Art<br />

materiell-semiotischen) Gestaltung von technischen Artefakten und <strong>de</strong>r zugehörigen<br />

Wissensproduktion befasst ist, <strong>de</strong>nnoch umsetzen zu können, ist diese Übersetzungsschwierigkeit<br />

zu lösen und – womöglich auch gegen ihren Anspruch – eine<br />

Konkretisierung ihrer Konzepte für die Informatik vorzunehmen.<br />

Ein weiterer Punkt, <strong>de</strong>r die Inanspruchnahme Haraways für <strong>de</strong>n Zweck dieser Arbeit<br />

erschwert, ist, dass sie sich primär mit biowissenschaftlichen Entwicklungen auseinan<strong>de</strong>rsetzt.<br />

Dieser Fokus ist zwar nicht exklusiv. Im Gegenteil betont sie bereits in ihrem<br />

Cyborg-Manifest stets das Zusammenwirken von biotechnologischen mit informationstechnologischen<br />

Entwicklungen. Ihre bekanntesten Fallstudien jedoch nehmen die Primatologie,<br />

das Immunsystem, und die Soziobiologie in die Kritik. Das macht Haraways<br />

Schriften aus <strong>einer</strong> allgemeinen Geschlechterforschungsperspektive zwar interessant,<br />

sind es doch geschlechtsmarkierte Körper und Mensch-Tier-Überschreitungen, die traditionell<br />

immer wie<strong>de</strong>r dazu dienen mussten, Ordnung erhalten<strong>de</strong>, hierarchische Geschlechtszuschreibungen<br />

zu legitimieren. Jedoch stellt sich die Frage, inwieweit ihre<br />

Herangehensweise, insbeson<strong>de</strong>re da sie bewusst keine pragmatische Metho<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r<br />

Vorgehensweise beschreibt, auf die Informatik anwendbar ist.<br />

So stellt etwa Katherine Hayles heraus, dass sich Informationstechnologien seit <strong>de</strong>r<br />

Veröffentlichung von Haraways Cyborg-Manifest grundlegend verän<strong>de</strong>rt hätten: „In the<br />

years since, new technologies have sprung from the same nexus of forces that gave<br />

birth to the cyborg, most notably the internet and the world-wi<strong>de</strong>-web, along with a host<br />

of networked information <strong>de</strong>vices, including cell phones, sensor networks (including<br />

‚smart dust‘), yielding real-time data flows, RFID (Radio Frequency I<strong>de</strong>ntification) tags,<br />

GPS networks and nana technologies” (Hayles 2006, 159). Für diejenigen, die an <strong>de</strong>r<br />

Analyse dieser Entwicklungen interessiert seien, könne die Cyborg-Figur nicht mehr<br />

dasselbe aufregen<strong>de</strong> Gemisch aus Wi<strong>de</strong>rstand und Ko-Option bieten wie 1986. Hayles<br />

betont, dass die Cyborg-Metapher zwar weiterhin ihren Wert für die Untersuchung<br />

jener materiell-semiotisch Verän<strong>de</strong>rungen habe, die <strong>de</strong>n menschlichen Körper<br />

62


modifizieren und transformieren. Da sie als individuelle Figur verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n muss,<br />

sei die Cyborg jedoch keine angemessene Metapher, um die vernetzte, interkonnektive<br />

Komplexität aktueller Informationstechnologien zu begreifen, die das bislang als<br />

menschlich und individuell verstan<strong>de</strong>ne Kognitive radikal transformiere. Hayles bezeichnet<br />

Haraway Arbeit <strong>de</strong>shalb als „unvollen<strong>de</strong>t“. 127 Meines Erachtens greift Hayles<br />

Kritik hier zu kurz, da sie Haraways Konzept <strong>de</strong>s Fa<strong>de</strong>nspiels ignoriert, das gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n<br />

kollektiven, global vernetzten Charakter von Erkenntnis- und Technologieproduktion<br />

betont. Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r Einwän<strong>de</strong> Hayles erweist sich das oben eingeführte<br />

Fa<strong>de</strong>nspiel letztendlich als die bessere Metapher, um die dynamische Relationalität<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte und menschlicher Akteur_innen theoretisch zu fassen.<br />

Was die Anschlussfähigkeit von Haraways Schriften an die Informatik aber<br />

problematisch macht, ist ihr radikaler Sprachstil, <strong>de</strong>r ihren persönlichen Standpunkt<br />

stets bewusst betont und distanziert-objektivistische Ansprüche <strong>de</strong>r Beschreibung weit<br />

hinter sich lässt. Entsprechend ihrer erkenntnistheoretischen Position überschreitet sie<br />

in ihrer Art <strong>de</strong>s Schreibens traditionelle Trennungen zwischen politischen und Fakten,<br />

Ethik und Wissenschaft, Emotion und Rationalität. Unterschiedliche, auch wi<strong>de</strong>rsprüchliche<br />

Lesarten ihrer Schriften sind beabsichtigt. „Haraways Beschreibungsform unterschei<strong>de</strong>t<br />

sich hierbei eklatant von gewohnten, vor allem sog. (natur-)wissenschaftlichen<br />

Weltbeschreibungen. Denn sie entwickelt eine eigene und oft sehr eigenwillige<br />

Terminologie, die teilweise überzeichnend, die konventionellen Begrifflichkeiten<br />

umformuliert“ (Saupe 2002, 171). Wajcman weist auch darauf hin, dass ihr Schreibstil<br />

tief in <strong>de</strong>r nordamerikanischen Kultur verankert sei und auf ein spezifisches kulturelles<br />

Kapital rekurriere.: “[H]er rhetorical method and eclectic reference points, ranging from<br />

scientific texts to advertisement, paintings, science fiction plots, and her own<br />

experiences, assumes a rea<strong>de</strong>r who is familiar with North American culture. While such<br />

rea<strong>de</strong>rs often find Haraway’s lyrical, irreverent, freely associative ironic style inspiring,<br />

rea<strong>de</strong>rs without the appropriate cultural capital are likely to find it infuriatingly obscure<br />

and impenetrable” (Wajcman 2004, 98). Sie kritisiert damit, dass Haraways Rhetorik<br />

neue Ausschlüsse produziert, die ihrem politischen Anliegen eigentlich entgegenlaufen<br />

müssten. Dieser Feststellung ist ergänzend hinzuzufügen, dass insbeson<strong>de</strong>re auch<br />

LeserInnen <strong>de</strong>rjenigen disziplinären Kulturen, die sich primär natur- und technikwissenschaftlich<br />

exakten Vorgehensweisen zuordnen, in <strong>de</strong>r Regel nicht über das von<br />

Haraway vorausgesetzte kulturelle Wissen verfügen o<strong>de</strong>r es einsetzen wollen. Dies<br />

erschwert nicht nur ein Verständnis Haraways von Seiten <strong>de</strong>r Informatik, son<strong>de</strong>rn<br />

macht eine Umsetzung ihrer Utopien in eine Welt, in <strong>de</strong>r es nicht nur darum geht, neue<br />

Geschichten über die Natur zu erzählen, son<strong>de</strong>rn Artefakte zu konstruieren, <strong>de</strong>ren<br />

Konzeption eine „exakte“ Definitionen und explizite Beschreibungen ihrer<br />

Funktionsweise erfor<strong>de</strong>rt, äußerst schwierig.<br />

Haraway liefert insgesamt einen grundlegen<strong>de</strong>n theoretischen Rahmen, <strong>de</strong>r für die<br />

Untersuchung <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

insbeson<strong>de</strong>re dort, wo in <strong>de</strong>r Informatik bereits traditionelle Dichotomien überschritten<br />

wer<strong>de</strong>n, hilfreich erscheint. Denn im Vergleich zur Akteur-Netzwerk-Theorie, in <strong>de</strong>r<br />

Grenzen zwischen Mensch und Maschine nicht in Bezug auf ihre hierarchisieren<strong>de</strong><br />

Effekten betrachtet wer<strong>de</strong>n, bringt sie die Politik <strong>de</strong>r Netzwerke in die Diskussion<br />

127 „Unfinished Work“ lautet <strong>de</strong>r Titel ihres Beitrags.<br />

63


zurück, bezieht explizit eine gesellschaftstheoretische Position und wen<strong>de</strong>t diese<br />

erkenntnis<strong>kritisch</strong>. Trotz <strong>de</strong>r angeführten Kritikpunkte am Politik- und Technikverständnis<br />

und <strong>de</strong>r Schwierigkeit, ihre Ansätze von <strong>de</strong>n Biowissenschaften auf<br />

Informationtechnologien zu übertragen, wer<strong>de</strong> ich ihrer grundsätzlichen Ausrichtung<br />

netzwerktheoretischen Denkens und politisch-erkenntnis<strong>kritisch</strong>er Intention im Kontext<br />

dieser Arbeit folgen. Ein fundiertes Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte,<br />

das für die Umsetzung von De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategien in <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

offen ist, bedarf jedoch <strong>einer</strong> theoretischen Grundlage, die auch positive Aussagen<br />

zulässt, ohne in einen Positivismus o<strong>de</strong>r Naturalismus zurückzufallen. Eine solche<br />

Konzeption hat stärker zwischen Haraways postmo<strong>de</strong>rn-<strong>de</strong>konstruktivistischer Theorie<br />

und Rhetorik, einschließlich ihrer „Nichtmethodik“, und politisch-erkenntnis<strong>kritisch</strong>en<br />

Ansprüchen zu vermitteln. Zu<strong>de</strong>m sind zugleich realistische Positionen und materielle<br />

Prozesse, die für die Entwicklung von Technologien unvermeidlich sind, zu integrieren.<br />

3.5. „Materiality matters“: Asymmetrie und Verantwortung<br />

Im Vergleich zu Haraways Werk erscheint <strong>de</strong>r Ansatz <strong>de</strong>r Physikerin und Wissenschaftstheoretikerin<br />

Karen Barad leichter für das hier verfolgte Vorhaben, Geschlechterforschung<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Informatik zu fundieren, einsetzbar. Er ist nicht nur <strong>de</strong>shalb<br />

besser anschlussfähig, weil Barad Materie, speziell die physikalische Materialität ins<br />

Spiel bringt, son<strong>de</strong>rn vor allem, weil sie das Wi<strong>de</strong>rständige, das sich <strong>de</strong>r einfachen Logik<br />

von Kausalität, traditionellen Grenzziehungen etc. sperrt, in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Naturwissenschaften<br />

selbst verortet.<br />

Eine wesentliche Leistung Barads besteht darin, ein realistisches Verständnis <strong>de</strong>r<br />

Funktionsweise mo<strong>de</strong>rner Wissenschaften zu entwickeln, das mit konstruktivistischen<br />

Annahmen <strong>de</strong>r Situiertheit von Wissen (auch im Sinne Haraways) vereinbar ist. Dazu<br />

arbeitet sie das Rahmenkonzept „Agential Realism“ (Barad 1996a, 1996b, 2003) aus,<br />

welches sich erkenntnistheoretisch darstellt als „a form of social constructivism that is<br />

not relativist, does not reduce knowledge to power plays or language, and does not reject<br />

objectivity” (Barad 1996b, 186). Dieses Konzept ist durch vier zentrale Thesen<br />

charakterisiert: Erstens grün<strong>de</strong>t und situiert es Wissen in lokaler Erfahrung. Objektivität<br />

wird verkörpert verstan<strong>de</strong>n. Zweitens wird we<strong>de</strong>r das Materielle noch das Kulturelle<br />

bevorzugt. „Agential Reality“ sei im Anschluss an Haraway materiell-kulturell bzw.<br />

materiell-semiotisch zu <strong>de</strong>nken. Der Ansatz erfor<strong>de</strong>rt drittens ein Hinterfragen von<br />

Grenzziehungen und <strong>kritisch</strong>er Reflexivität und er betont viertens die Notwendigkeit<br />

<strong>einer</strong> Ethik <strong>de</strong>r Wissensproduktion (vgl. Barad 1996b, 179).<br />

Barads Konzept <strong>de</strong>s agentialen bzw. akteurzentrierten Realismus lässt <strong>de</strong>utliche<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen und Übereinstimmungen mit Haraways Ansatz erkennen. 128<br />

Bei<strong>de</strong> Autorinnen untersuchen technowissenschaftliche Praktiken, <strong>de</strong>ren Phänomene<br />

bzw. Apparate Materialität und Diskursivität untrennbar vereinen. „[M]ateriality is<br />

discursive (i.e., material phenomena are inseparable from the apparatuses of bodily<br />

production: matter emerges out of and inclu<strong>de</strong>s as part of its being the ongoing<br />

configuration of boundaries), just as discursive practices are always already material<br />

128<br />

Die theoretischen Beeinflussungen zwischen Haraway und Barad sind wechselseitig, vgl. etwa<br />

Haraway 1997, 116ff, Barad 2003, 803 und 808.<br />

64


(i.e., they are ongoing material (re)configurations of the world)“ (Barad 2003, 822).<br />

Barad und Haraway teilen bestimmte theoretische Grundverständnisse wie die<br />

Anerkennung von Hybri<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>s Posthumanen gegenüber anthropozentrischen<br />

Positionen sowie das gesellschafts<strong>kritisch</strong>e Anliegen, traditionelle Grenzziehungen zwischen<br />

Natur und Kultur, zwischen Mensch und Maschine, Subjekt und Objekt zu<br />

rekonfigurieren. Darüber hinaus verbin<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong> Autorinnen gesellschafts<strong>kritisch</strong>feministische<br />

Ansätze mit Erkenntnistheorie. Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschie<strong>de</strong><br />

zu Haraways Ansatz, lassen sich an <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n, sicherlich unvollständigen<br />

Liste ablesen, auf die Barad rekurriert: „Agential realism is an account of technoscientific<br />

and other practices that takes feminist, antiracist, poststructuralist, queer,<br />

Marxist, science studies and scientific insights seriously, building specifically on<br />

important insights from Niels Bohr, Judith Butler, Michel Foucault, Donna Haraway,<br />

Vicky Kirby, Joseph Rouse, and others” (Barad 2003, 810f). Gegenüber Haraway<br />

wer<strong>de</strong>n in diesen Bezügen insbeson<strong>de</strong>re Verschiebungen zu <strong>de</strong>n Queer Studies und<br />

<strong>de</strong>n Theorien <strong>de</strong>r Macht- und Wissensproduktion von Michel Foucault, aber auch hin<br />

zur Reflektion <strong>de</strong>r immanenten Logik <strong>de</strong>r Naturwissenschaften <strong>de</strong>utlich. Barad hat zwar<br />

ebenso wenig wie Haraway eine „ausformulierte“ Gesellschaftstheorie anzubieten,<br />

doch entwickelt sie mit Hilfe von Foucault und Butler ein konkretes Konzept <strong>de</strong>r<br />

Materialisierung von Materie, das zum Verständnis <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von<br />

Technologien äußerst hilfreich erscheint. 129 Darüber hinaus arbeitet sie nicht an <strong>de</strong>r<br />

Grenze von Mensch und Organismus o<strong>de</strong>r über die umstrittenen Biotechnologien,<br />

son<strong>de</strong>rn entwickelt eine Variante <strong>de</strong>s Post-Realismus, die die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Materiellen stärker in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund rückt als es beispielsweise Haraway tut.<br />

Barad schließt an die physikalisch-philosophischen Überlegungen <strong>de</strong>s Physikers<br />

Niels Bohrs zur Quantentheorie an, welche die objektivistischen, <strong>de</strong>terministischen<br />

Auffassungen, die die klassische Newtonsche Physik prägten, hinter sich lasse. Bohr<br />

überwin<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Cartesianischen Schnitt, <strong>de</strong>r Subjekt und Objekt wissenschaftlicher<br />

Untersuchungen klar voneinan<strong>de</strong>r trenne, und verstehe die Objekte und<br />

die Subjekte (bzw. AkteurInnen o<strong>de</strong>r Apparate) wissenschaftlicher Beobachtung als<br />

eine nicht-dualistische Einheit. Das naturwissenschaftliche Experiment sei ein diskontinuierlicher<br />

Prozess, <strong>de</strong>r es nicht ermögliche, zwischen <strong>de</strong>m Objekt und <strong>de</strong>n –<br />

menschlichen o<strong>de</strong>r nicht-menschlichen – Akteur_innen <strong>de</strong>r Beobachtung immanent zu<br />

unterschei<strong>de</strong>n. Der Schnitt zwischen Objekt und <strong>de</strong>n am Beobachtungsprozess aktiv<br />

Beteiligten sei vielmehr hergestellt, agentiell positioniert, beweglich und lokal, mithin<br />

ein „agential cut“ (Barad 1996b: 171, Barad 2003: 815, Barad 2007: 140). Die<br />

Verwicklung von konzeptuellen und physikalischen Aspekten <strong>de</strong>s Messprozesses<br />

erscheint als zentraler Aspekt von Bohrs Erkenntnistheorie. Die physikalischen<br />

Apparate markierten die konzeptuelle Subjekt-Objekt-Trennung und die beschreiben<strong>de</strong>n<br />

Konzepte erhielten ihre Be<strong>de</strong>utung durch <strong>de</strong>n Bezug auf einen spezifischen<br />

physikalischen Apparat. Beobachtete Werte bzw. Messergebnisse seien <strong>de</strong>mzufolge<br />

we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Objekt selbst zuzuschreiben, noch <strong>de</strong>m Messinstrument, d.h. sie sind<br />

we<strong>de</strong>r Ausdruck <strong>einer</strong> beobachtungsunabhängigen Realität, noch ausschließlich durch<br />

die Instrumente und die BeoachterInnen hergestellt und konstruiert. Vielmehr gingen<br />

129 Auf ihre konkrete Konzeption von „Materialisierung“ wer<strong>de</strong> ich Kapitel 3.8. genauer zu sprechen kom-<br />

men.<br />

65


Messapparaturen und beobachtete Objekte/Materie untrennbare Verbindungen ein.<br />

Demzufolge ließen sich Erkenntnistheorie und Ontologiebzw. Wissen und Sein nicht<br />

klar voneinan<strong>de</strong>r trennen. „Reality is not composed of things-in-themselves or thingsbehind-phenomena,<br />

but things-in-phenomena […] phenomena constitute a nondualistic<br />

whole” (Barad 1996b, 176).<br />

Zentral für Barads Ansatz ist die Untrennbarkeit von Sein und Wissen. „Agential<br />

Realism“ ist damit zugleich Epistemologie und Ontologie, in ihren eigenen Worten also<br />

ein „epistem-onto-logischer“ Rahmen (vgl. Barad 1998, 120, Fußnote 1) bzw. eine<br />

„Onto-epistemology – the study of practices of knowing in being“ (Barad 2003, 829).<br />

Agentiale Realität sei jedoch keine feststehen<strong>de</strong> Ontologie, unabhängig von menschlicher<br />

Praxis, son<strong>de</strong>rn kontinuierlich rekonstituiert durch unsere materiell-diskursiven<br />

Interaktionen mit Objekten und Beobachtungstätigkeiten.<br />

Inspiriert von Bohrs epistemologischen Thesen führt Barad <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r “Intra-aktion”<br />

ein – zunächst um festzuhalten, dass gemessene Werte auf Phänomene verwiesen,<br />

die als physikalisch-konzeptuelle Verbindungen zu verstehen sind: „I introduce the<br />

neologism ‚intra-action‘ to signify the inseparability of ‚objects‘ and ‚agencies of observation‘<br />

(in contrast to ‚interaction‘,which reincribes the contested dichotomy)” (Barad<br />

1998, 96). Sie überträgt dieses Konzept <strong>de</strong>r Intra-aktion von <strong>de</strong>r Quantenphysik auf die<br />

Technowissenschaften und ihre sozio-kulturellen Zusammenhänge allgemein, um<br />

fragwürdige dichotome Annahmen über Natur und Kultur bzw. über Subjekt und Objekt<br />

bereits terminologisch zu vermei<strong>de</strong>n und auf Instabilitäten bzw. Handlungsspielräume<br />

hinzuweisen. Dabei begreift sie Handlungsfähigkeit über das mo<strong>de</strong>rne Verständnis<br />

hinausgehend, das diese mit Subjektivität o<strong>de</strong>r Intentionalität verknüpfte, nicht als als<br />

etwas, das man hat, son<strong>de</strong>rn als „enactment“ (Barad 1998, 112). Auf dieser Grundlage<br />

erscheint es ihr nicht nur angemessen, son<strong>de</strong>rn notwendig, neben menschlichen auch<br />

nicht-menschliche und cyborgisierte Formen von Handlungsfähigkeit anzuerkennen<br />

(Barad 1996a, 8).<br />

Barad konzipiert das Verhältnis von menschlichen und nicht-menschlichen<br />

AkteurInnen jedoch nicht im Sinne <strong>einer</strong> symmetrischen Anthropologie Latours, <strong>de</strong>r<br />

darin Haraway im Wesentlichen folgt, 130 son<strong>de</strong>rn begreift die hybri<strong>de</strong>n Verhältnisse als<br />

eine ontologische Asymmetrie. Die Intra-aKtion zwischen menschlichen und nichtmenschlichen<br />

AkteurInnen könne nicht gleichrangig sein, da <strong>de</strong>ren Repräsentation<br />

stets <strong>de</strong>r menschlichen AutorInnenschaft bedürfe: „Agential realism acknowledges the<br />

agency of both subjects and objects without pretending that there is some utopian<br />

symmetrical wholesome dialogue, outsi<strong>de</strong> of human represention.“ (Barad 1996b, 188).<br />

Diese Asymmetrie ist für <strong>de</strong>n Kontext dieser Arbeit <strong>de</strong>r wesentliche Aspekt, <strong>de</strong>r Barads<br />

Ansatz von ANT, aber auch von Haraway unterschei<strong>de</strong>t. Letztere beharrt zwar stets<br />

auf <strong>de</strong>r Anerkennung von Differenz, 131 stellt jedoch nicht in <strong>de</strong>mselben Maße wie Barad<br />

die Gleichrangigkeit von Menschen und materiellen Objekten in Frage. „Nature has<br />

130 Es wäre die These zu überprüfen, ob sich <strong>de</strong>r Unterschied, dass Haraway an <strong>de</strong>r symmetrischen Anthropologie<br />

Latours festhält, während Barad und Suchman (siehe das nächste Kapitel 3.6) sich eher für<br />

ein asymmetrisches Verständnis von Natur und Mensch bzw. Technik und Mensch aussprechen, womöglich<br />

aus <strong>de</strong>n jeweils betrachteten Gegenstandsbereichen (Biologie vs. ingenieurwissenschaftliche Artefakte<br />

o<strong>de</strong>r physikalisiche Phänomene) erklärt.<br />

131 Beispielsweise untersucht Haraway in “The companion species manifesto” die Differenz zwischen Maschinellem<br />

und Tierischem: „[T]he differences between even the most politically correct cyborg and an<br />

ordinary dog matter“ (Haraway 2003, 4).<br />

66


agency, but it does not speak itself to the patient, unobstrusive observer listening for its<br />

cries – there is an important asymmetry with respect to agency: we do the representing<br />

and yet nature is not a passive blank slate awaiting our inscriptions, and to privilege the<br />

material or discursive is to forget the inseparability that characterizes phenomena”<br />

(Barad 1996, 181).<br />

Eine asymmetrische Intra-aktion be<strong>de</strong>utet ihr zufolge nicht, dass die AutorInnenschaft<br />

ausschließlich in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Menschen liegt. Die Welt selbst sei vielmehr<br />

wi<strong>de</strong>rständig: „the world kicks back“ (Barad 1998, 112). Ebenso wenig sei die Wissensproduktion<br />

selbst eine unschuldige Repräsentation <strong>einer</strong> unabhängigen Welt, son<strong>de</strong>rn<br />

äußerst folgenreich. Agentialer Realismus konzentriere sich <strong>de</strong>shalb auf die realen<br />

Konzequenzen, Interventionen, kreativen Möglichkeiten und “responsibilities of<br />

interacting with the world” (Barad 1996a, 8). Denn Realität wer<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m Prozess, die<br />

Welt verständlich und fassbar zu machen, sedimentiert. Und dieser Prozess schließe<br />

bestimmte Praktiken ein und an<strong>de</strong>re nicht. Deshalb seien wir nicht nur verantwortlich<br />

für das Wissen, das wir suchen, son<strong>de</strong>rn zum Teil auch für das, was existiert (vgl.<br />

Barad 1998, 105). Damit insistiert Barad auf einem Begriff von Verantwortung, <strong>de</strong>r sich<br />

auf die Materialität und Be<strong>de</strong>utung naturwissenschaftlicher Phänomene bezieht. Die<br />

Entstehung, Repräsentation und die materiellen Folgen <strong>de</strong>r Phänomene (bzw. Hybri<strong>de</strong><br />

o<strong>de</strong>r Netzwerke) seien(zumin<strong>de</strong>st in Teilen) menschlich gemacht. 132 Damit wer<strong>de</strong>n<br />

explizit politisch-ethische Fragen <strong>de</strong>r Verantwortlichkeit von WissenschaftlerInnen<br />

aufgeworfen. „Agential Realism […] provi<strong>de</strong>s an un<strong>de</strong>rstanding of the nature of<br />

scientific practices which recognizes that objectivity and agency are bound with issues<br />

of responsibility and accountability. We are responsible for what exists, not because it<br />

is an arbitrary construction of choosing, but because agential reality is sedimented out<br />

of particular practices that we have a role in shaping.“ (Barad 1996a, 7)<br />

Dieses Verständnis menschlicher, speziell wissenschaftlicher Verpflichtung, die<br />

materielle Welt verantwortungsvoll zu gestalten, teilt Barad mit <strong>de</strong>n zuvor dargestellten<br />

Ansätzen. Während jedoch Latour Moral auf das Gedankenexperiment eines „Parlaments<br />

<strong>de</strong>r Dinge“ verlegt und sich Haraway darauf konzentriert, die Geschichten, die<br />

wir über die Natur erzählen, (diskursiv) umzuschreiben, fokussiert Barad auf die<br />

Materialität <strong>de</strong>r Dinge und for<strong>de</strong>rt in dieser Hinsicht die Übernahme von Verantwortung<br />

von Seiten <strong>de</strong>r WissenschaftlerInnen ein. Das Potential <strong>kritisch</strong>er Verän<strong>de</strong>rung wird<br />

also nicht anhand <strong>einer</strong> vielschichtig, utopisch-ambivalenten Figur <strong>de</strong>s/<strong>de</strong>r Cyborg o<strong>de</strong>r<br />

eines post-animalistischen Hun<strong>de</strong>s (vgl. Haraway 2003) erklärt, son<strong>de</strong>rn mittels physikalischer,<br />

beobachtbarer Phänomene. Das be<strong>de</strong>utet, dass das Politische, das als<br />

Ansatzpunkt gesellschafts<strong>kritisch</strong>er Intervention gewählt wird, bereits in wissenschaftlichen<br />

Interpretationen über die materielle Natur <strong>de</strong>r Dinge selbst begrün<strong>de</strong>t wird. 133 Es<br />

sind gera<strong>de</strong> diese bei<strong>de</strong>n Aspekte – <strong>de</strong>r Fokus auf die materielle Welt und die Auffor<strong>de</strong>rung,<br />

sie verantwortungsvoll zu gestalten – die ihren Ansatz für das Vorhaben,<br />

Gen<strong>de</strong>ringprozesse in und durch die Informatik theoretisch zu fassen, beson<strong>de</strong>rs attraktiv<br />

machen. Die bisherige Diskussion in diesem Kapitel hat gezeigt, dass sich die<br />

132 Singer fasst treffend zusammen: „WissenschaftlerInnen sind we<strong>de</strong>r das neutrale Sprachrohr <strong>de</strong>r Gesetze<br />

<strong>de</strong>r Natur noch <strong>de</strong>r Gesellschaft, son<strong>de</strong>rn AgentInnen in <strong>de</strong>r Koproduktion von Wissenschaft, Gesellschaft<br />

und Natur“ (Singer 2004, 87).<br />

133 Diese Bezugnahme spiegelt sich auch in einem Schreibstil wi<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r angelehnt an traditionell-philosophische<br />

Diskurse argumentiert und nicht – wie Haraway – mit Science Fiction liebäugelt und von Ironie<br />

durchdrungen ist.<br />

67


Politik materieller Artefakte nicht so simpel wie in Winners Brückenbeispiel vorgestellt<br />

<strong>de</strong>nken lässt, insbeson<strong>de</strong>re wenn technowissenschaftliche Artefakte <strong>de</strong>r Informatik<br />

untersucht wer<strong>de</strong>n sollen, die – wie fußballspielen<strong>de</strong> Roboter, Suchmaschinen o<strong>de</strong>r<br />

Softwareagenten – traditionelle Grenzziehungen zwischen Mensch und Maschine<br />

überschritten haben. 134<br />

An<strong>de</strong>rerseits wird gera<strong>de</strong> von Seiten <strong>kritisch</strong>er InformatikerInnen immer wie<strong>de</strong>r eine<br />

verantwortliche Wissenschafts- und Technologieentwicklung eingefor<strong>de</strong>rt. Informationstechnologien<br />

sollen auf <strong>de</strong>r Basis gesellschaftstheoretischer o<strong>de</strong>r auch feministischer<br />

Ansätze reflektiert und zu gestaltet wer<strong>de</strong>n. Auch in dieser Hinsicht muss festgehalten<br />

wer<strong>de</strong>n, dass allein eine politisch-emanzipatorische Intention <strong>de</strong>r TechnologiegestalterInnen<br />

nicht genügt, um Ungleichheitsstrukturen nicht weiter festzuschreiben.<br />

Für bei<strong>de</strong> Problematiken, die <strong>de</strong>r Materialität und die <strong>de</strong>r Verantwortung, bietet Barad<br />

einen konsistenten Theorierahmen an, <strong>de</strong>r das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

einzuschließen vermag.<br />

Der Wert ihrer Theorie für die Fragestellung dieser Arbeit geht jedoch noch darüber<br />

hinaus. Denn Barad entwickelt einen Ansatz, Prozesse <strong>de</strong>r Materialisierung <strong>de</strong>s<br />

Materiellen zu <strong>de</strong>nken, <strong>de</strong>r für das Verständnis <strong>de</strong>r Einschreibung von Geschlecht und<br />

Sozialem in Technologien produktiv ist. Sie liest dazu Judith Butlers Konzept <strong>de</strong>r<br />

Performativität mit ihrem eigenen Ansatz <strong>de</strong>s „Agential Realism“ gegen und reformuliert<br />

dieses Konzept dabei, in<strong>de</strong>m sie Butlers auf biologische Körper bezogenen Ansatz<br />

auf Materie erweitert. Auf Barads Vorschlag, die technowissenschaftlichen Praktiken<br />

<strong>de</strong>r Produktion von (physikalischen) Phänomenen in einem performativen Sinne zu<br />

verstehen, wer<strong>de</strong> ich weiter unten in <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>r Prozesse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring und<br />

<strong>de</strong>r Materialisierung von technischen Artefakten zurückkommen.<br />

3.6. Mensch-Maschine-Rekonfigurationen: 135 Politik und Neuverteilung von<br />

Handlungsfähigkeit<br />

Die Anthropologin und feministische Technikforscherin Lucy Suchman, <strong>de</strong>ren Ansatz<br />

im Folgen<strong>de</strong>n rezipiert wird, versucht, die Ansätze Latours, Haraways und Barads für<br />

das Verständnis <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-Beziehungen und speziell für die Technologieentwicklung<br />

in <strong>de</strong>r Informatik produktiv zu machen. Dabei lautet die Leitfrage, die ihre<br />

Texte weitgehend durchzieht, „how capacities for action and associated responsibilities<br />

are currently figured at the machine interface, and how they might be imaginatively and<br />

materially reconfigured“ (Suchman 2004, 2). Im Vergleich zu <strong>de</strong>r materiellen Welt physikalischer<br />

Objekte und Apparate Barads und <strong>de</strong>n harmlos anmuten<strong>de</strong>n Objekten ingenieurwissenschaftlicher<br />

Kreativität Latours, wen<strong>de</strong>t sich Suchman <strong>de</strong>m Feld <strong>de</strong>r umstrittenen<br />

intelligenten Artefakte und interaktiven Interfaces zu: angefangen von so<br />

genannt intelligenten Fotokopierern <strong>de</strong>r 1980er Jahre bis hin zu aktuellen Ausprägungen<br />

technowissenschaftlicher Artefakte wie Softwareagenten, ‚Wearables‘, ‚smarten‘<br />

Umgebungen, situierter Robotik, ‚Affective Computing‘ und sozialen Maschinen.<br />

Gegenstand ihrer Untersuchung sind solche informatischen Artefakte, <strong>de</strong>nen bislang<br />

ausschließlich als menschlich gelten<strong>de</strong> Eigenschaften wie Intelligenz, Emotion und<br />

134 Vgl. hierzu auch die Diskussion zur Handlungsfährigkeit von Artefakten in Kapitel 3.3.<br />

135 In Anlehnung an <strong>de</strong>n Titel „Human-Machine Reconfiguations“ (Suchman 2007).<br />

68


soziale Interaktionfähigkeiten zugeschrieben wer<strong>de</strong>n. Sie fokussiert auf ein technowissenschaftliches<br />

Feld, in <strong>de</strong>m traditionelle Grenzziehungen zwischen Mensch und<br />

Maschinen zur Disposition stehen. Ihre Arbeiten können <strong>de</strong>shalb als Pendant zu <strong>de</strong>n<br />

von Haraway untersuchten Grenzziehungen zwischen Mensch und Organismus verstan<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n (vgl. etwa Haraway 1995c [1985], 2008). Die betrachteten<br />

Forschungen und Konstruktionen menschenähnlicher Maschinen erscheinen meines<br />

Erachtens gegenwärtig ebenso provokant wie die von Haraway in ihren frühen Schriften<br />

aufgezeigten Eingriffe in <strong>de</strong>n menschlichen Körper.<br />

Suchman interessiert sich ebenso wie Barad für immanent technowissenschaftliche<br />

Argumentationen. Latour, Haraway und an<strong>de</strong>re Wissenschafts- und TechnikforscherInnen<br />

wollten mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung, die Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r Dinge in <strong>de</strong>n Blick zu<br />

nehmen, auf Forschungslücken in <strong>de</strong>n Sozialwissenschaften aufmerksam machen, die<br />

Rammert mit „Technikvergessenheit <strong>de</strong>r Soziologie“ (Rammert 1998) bezeichnet hat.<br />

Demgegenüber betont Suchman, dass ihre Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Fragen <strong>de</strong>r<br />

„agency“ im Kontext <strong>de</strong>r Technoscience und <strong>de</strong>r Ingenieurwissenschaften beginnt, wo<br />

in Bezug auf wesentliche Aspekte die umgekehrte Situation <strong>de</strong>s ten<strong>de</strong>nziellen<br />

Ausschlusses <strong>de</strong>s Sozialen vorläge: „Far from being exclu<strong>de</strong>d, ‚the technical‘ in<br />

regimes of research and <strong>de</strong>velopment [is] centered, whereas ‚the social‘ is separated<br />

out and relegated to the margins. It is the privileged machine in this context that<br />

creates its marginalized human others“ (Suchman 2007, 269f). Trotz dieses Unterschieds<br />

stellt Suchman eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen mo<strong>de</strong>rnen<br />

Auffassungen von Handlungsfähigkeit, die im Zentrum <strong>de</strong>r Kritik <strong>de</strong>r Science Studies<br />

stehen, und entsprechen<strong>de</strong>n Vorstellungen bei <strong>de</strong>n TechnologiegestalterInnen fest.<br />

Humanistische wie technowissenschaftliche Bestimmungen von „agency“ setzten<br />

unabhängige, singuläre, in sich abgeschlossene Entitäten – seien es Menschen o<strong>de</strong>r<br />

Maschinen – voraus. Es wer<strong>de</strong> in bei<strong>de</strong>n Fällen unterstellt, dass handlungsfähige<br />

Personen und Artefakte eigenständige Individuen seien. Für Suchman liegt das<br />

Problem „intelligenter Artefakte“ und „interaktiver Interfaces“ <strong>de</strong>shalb nicht – wie<br />

insbeson<strong>de</strong>re von <strong>kritisch</strong>en InformatikerInnen immer wie<strong>de</strong>r problematisiert – auf <strong>einer</strong><br />

sprachlichen Ebene, über die <strong>de</strong>n Maschinen Handlungsfähigkeit zugeschrieben<br />

wird, 136 son<strong>de</strong>rn vielmehr auf <strong>de</strong>r konzeptuellen Ebene, die Menschen und Artefakte<br />

als diskrete autonome Entitäten voraussetzt.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re die Projekte zu künstlicher Intelligenz und menschenähnlichen<br />

Maschinen stün<strong>de</strong>n in <strong>einer</strong> Tradition, die Abgrenzung, Trennung und Autonomie statt<br />

Beziehungen und Verbindungen als grundlegen<strong>de</strong> Merkmale <strong>de</strong>s Humanen verstehen.<br />

Der Reiz <strong>de</strong>r Konstruktion menschenähnlicher Maschinen wür<strong>de</strong> damit gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r<br />

Kontinuität <strong>de</strong>r traditionellen dichotomen Auffassungen von Mensch und Maschinen<br />

liegen. „Somewhat paradoxically, these analyses suggest that in this respect it is<br />

precisely the persistence of the mo<strong>de</strong>rnist human/machine divi<strong>de</strong> within the discourse<br />

of intelligent artefacts that makes machine agency so compelling“ (Suchman 2002c, 5).<br />

Suchman bleibt jedoch nicht bei <strong>einer</strong> geisteswissenschaftlichen Kritik <strong>de</strong>r<br />

analysierten informatischen Projekte stehen, son<strong>de</strong>rn bin<strong>de</strong>t diese an die Frage <strong>de</strong>r<br />

Politik <strong>de</strong>r Artefakte einschließlich <strong>de</strong>r Geschlechterverhältnisse zurück. Sie<br />

136 Vgl. etwa Weizenbaum 1994 [1976], Turkle 1998 [1995], Reeves/ Nass 1996 sowie in Bezug auf Chat-<br />

bots Braun 2003.<br />

69


interpretiert die aktuellen technowissenschaftlichen Bemühungen um menschenähnliche<br />

Maschinen als Diskurs über Serviceleistungen in <strong>de</strong>r globalen Dienstleistungsökonomie<br />

(vgl. Suchman 2003, 2007, 206ff) und arbeitet <strong>de</strong>ssen politische<br />

Voraussetzungen heraus. „Although the ‚we‘ who will benefit from smart technologies<br />

may be cast as a universal subject, the very particular locations of those who speak<br />

and those who are (at least implicitly) spoken of inevitably entails marks of class and<br />

gen<strong>de</strong>r and attendant i<strong>de</strong>ntifications. Moreover, the smart machine’s presentation of<br />

itself as the always obliging labor-saving <strong>de</strong>vice erases any evi<strong>de</strong>nce of labor involved<br />

in its production and operation“ (Suchman 2007, 221). Suchman betont damit, dass <strong>de</strong>r<br />

zugrun<strong>de</strong> gelegte Servicegedanke von <strong>de</strong>n Imaginationen eines männlich, weiß und<br />

heterosexuell konnotierten autonomen Subjekts sowie von klassenspezifischen Annahmen<br />

eines Oben und Unten durchdrungen ist. Ferner zeigt sie auf, dass das Konzept<br />

<strong>de</strong>r Dienstleistungstechnologien auf <strong>de</strong>r Ignoranz körperlich-materieller Arbeit grün<strong>de</strong>t,<br />

die vor <strong>de</strong>m Hintergrund gegenwärtig vorherrschen<strong>de</strong>r Geschlechterverhältnisse<br />

vorwiegend von Frauen und zu<strong>de</strong>m global höchstunterschiedlich verteilt ausgeübt<br />

wird.. Deshalb seien die technischen Projekte autonomer Softwareagenten, persönlicher<br />

virtueller Assistenten, Serviceroboter und „Wearables“ als Fortsetzungen sozialer<br />

Ungleichheit einschließlich <strong>de</strong>r hierarchischen Geschlechterordnung zu verstehen.<br />

Suchman ist jedoch nicht nur an <strong>einer</strong> solchen generellen politischen Kritik, wie sich<br />

Menschen und Maschinen konstituieren, interessiert, son<strong>de</strong>rn zugleich an empirischen<br />

Analysen. Was ihren Ansatz gegenüber <strong>de</strong>nen von Haraway und Barad auszeichnet,<br />

die methodische Konzepte vermei<strong>de</strong>n bzw. philosophisch argumentieren, ist, dass sie<br />

mit ihrem empirisch-ethnografischen Zugang auf <strong>de</strong>r Ebene von Metho<strong>de</strong>n implizit<br />

Vorschläge macht, wie Untersuchungen von Mensch-Maschine-Rekonfiguration<br />

erfolgen können. Ihre Studien zur gegenseitigen Konstituiertheit von Menschen und<br />

Artefakten beschreiben zumeist konkrete Interaktionen von NutzerInnen und<br />

informatischen Artefakten. Am bekanntesten sind ihre Vi<strong>de</strong>oanalysen von <strong>de</strong>r<br />

Bedienung „intelligenter“ Kopierer durch Kollegen bei Xerox PARC, die sie in <strong>de</strong>n<br />

1980er Jahren durchgeführt hat (vgl. Suchman 1987). Spätere Studien fokussieren<br />

stärker auf Arbeitsanalysen bestimmter Bereiche, in <strong>de</strong>nen IT eingesetzt wird, wie die<br />

Datenbank <strong>einer</strong> Rechtsanwaltskanzelei (vgl. Suchman 2002a) und das CAD-System<br />

<strong>einer</strong> Bauingenieurin (vgl. Suchman 2000). Suchman nimmt darin auf die theoretischen<br />

Vorgängeransätze von ANT, die mikrosoziologisch orientierte Wissenschaftsforschung<br />

und die Laborstudien Bezug, erweitert diese jedoch um so genannte „work place<br />

studies“ 137 .<br />

Eine empirische Herangehensweise erscheint im Bereich <strong>de</strong>r Informationstechnologien<br />

notwendig, um angesichts <strong>de</strong>r Vielfalt und Diversität <strong>de</strong>r Artefakte ein Verständnis<br />

aktueller „Agencies at the Interface“ von Mensch und Maschine zu gewinnen. Diese<br />

Untersuchungsperspektive kann wichtige Hinweise auf die Ko-Konstruktion von<br />

informatischen Artefakten und Geschlecht liefern und damit für die Analyse <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring, wie im nächsten Kapitel 4 aufgezeigt wird.<br />

Ein weiterer Aspekt, <strong>de</strong>r Suchmans Ansatz für die Fragestellung dieser Arbeit<br />

wertvoll macht, ist ihr Interesse an <strong>de</strong>r Frage, wie Alternativen zu <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>ntifizierten<br />

137 Diese Forschungsrichtung untersucht Arbeit, Technologie und Interaktionen in komplexen Organisationen<br />

an <strong>de</strong>r Schnittstelle von Informatik (u.a. HCI und CSCW) und Soziologie (u.a. Interaktionsanalysen<br />

und Ethnographie); vgl. etwa Luff et al. 2000.<br />

70


estehen<strong>de</strong>n Festschreibungen aussehen können. Es geht ihr explizit um eine<br />

Intervention in gegenwärtige Entwicklungspraktiken und Nutzungsweisen neuer Technologien.<br />

Sie fragt, „how they might be figured and configured differently“ (Suchman<br />

2004, 2). In ihrem Buch „Human-Machine Reconfigurations“ (2007) verweist sie auf<br />

„new resources for thinking about, and acting within, the interface of persons and<br />

things“ (Suchman 2007, 259), in<strong>de</strong>m sie Ansätze aus <strong>de</strong>r Wissenschaftsforschung und<br />

Kunst vorstellt, die im Gegensatz zum Projekt <strong>de</strong>r autonomen, intelligenten Maschinen<br />

einen relationalen, performativen Zugang zu soziomateriellen Phänomenen entwickeln.<br />

Dazu führt sie die Konzepte <strong>de</strong>s „heterogeneous engineering“ (Law 1987), <strong>de</strong>r „ontological<br />

choreographies“ (Cussins 1998), <strong>de</strong>r „artful integration“ (Suchman 2002a) und<br />

<strong>de</strong>s „<strong>de</strong>sign of configurations“ (Aanestad 2003) an, die sie zum Teil anhand<br />

empirischer Untersuchungen veranschaulicht. Diese Konzepte möchte ich genauer in<br />

<strong>de</strong>n Blick nehmen, da sie die von ANT, Haraway und Barad vorgeschlagene, zwischen<br />

Menschen und Maschine neu verteilte, situiert variieren<strong>de</strong> Form <strong>de</strong>r Handlungsfähigkeit<br />

aufzeigen. Der Begriff <strong>de</strong>r heterogenen Ingenieurstätigkeit (vgl. Law 1987)<br />

verweist darauf, dass IngenieurInnen nur dann erfolgreich sind, wenn sie Technologien<br />

nicht nur als solche funktional konstruieren, son<strong>de</strong>rn diese Entwicklungen mit<br />

unterschiedlichen AkteurInnen, Deutungen und Normen in Verbindung bringen. Dazu<br />

können ästhetische Orientierungen gehören, <strong>de</strong>r Wunsch nach Reputation o<strong>de</strong>r auch<br />

altruistische Interessen, die Lebenswelt zu verbessern.<br />

Das zweite Konzept, auf das sich Suchman bezieht, ist das <strong>de</strong>r ‚ontological choreographies‘<br />

(Cussins 1998), mit <strong>de</strong>m sich Charis Cussins gegen die im frühen Feminismus<br />

verbreitete Sicht <strong>de</strong>r Entfremdung <strong>de</strong>s Körpers durch Technologien wen<strong>de</strong>t. Sie<br />

zeichnet am Beispiel <strong>einer</strong> empirischen Untersuchung zur Invitrofertilisation statt<strong>de</strong>ssen<br />

die Beziehungen nach, die Frauen zu <strong>de</strong>n Teilen ihres Körpers, <strong>de</strong>ren Transformation<br />

und Re-Integration im Laufe <strong>de</strong>s Befruchtungsprozesses entwickeln, und<br />

damit auch ihr Verständnis <strong>de</strong>s Selbst. Haraway beschreibt Cussins Vorgehen und<br />

Konzept folgen<strong>de</strong>rmaßen: „As an ethnographer Karis has a won<strong>de</strong>rful ear for hearing<br />

the way people narrate their relationship to variously distributed parts that are and are<br />

not parts of themselves. She talks about ontological choreography, the dance of being<br />

as a verb, a verb that is ireducibly historically specific and semiotically material. It is not<br />

all the time everywhere. It is about these relationalities as they constitute the actors in<br />

their very action, so that the actors are a product of the relationality, and don’t simply<br />

enter into relationships with boundaries more or less intact at the end of the day.“<br />

(Haraway 2000, o.S.). Die Patientinnen bleiben <strong>de</strong>mzufolge in einem relationalen Sinne<br />

weiterhin handlungsfähig.<br />

Als weiteren Beleg dafür, dass das Verhältnis von Menschen und Maschinen an<strong>de</strong>rs<br />

als nach <strong>de</strong>m Prinzip autonomer Personen bzw. autonomer Maschinen zu konzipieren<br />

ist, führt Suchman eine unveröffentlichte Studie von Rachel Prentice über die Technologie<br />

<strong>de</strong>r minimal invasiven Operation an. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass die<br />

operieren<strong>de</strong>n ÄrztInnen in <strong>de</strong>m komplexen Netzwerk von PatientIn, Vi<strong>de</strong>okamera, Monitor<br />

und vielen an<strong>de</strong>ren AkteurInnen entwe<strong>de</strong>r disorientiert sein o<strong>de</strong>r aber die technischen<br />

Instrumente als inkorporierte Erweiterungen ihres eigenen Körpers empfan<strong>de</strong>n<br />

(vgl. Suchman 2007, 265f). Ferner stellt Suchman eine Studie von Margunn Aanestad<br />

(2003) über eine Installation von Lehr-Operationssälen vor, die Teleübertragungen und<br />

Kommunikation mit räumlich entfernten Lernen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Experten ermöglichen solle<br />

71


und von <strong>de</strong>n beteiligten TechnikerInnen und Krankenschwestern offene, evolutionäre<br />

Strategien – statt kontrollorientierter, spezifikationsgetriebenen Vorgehensweisen –<br />

erfor<strong>de</strong>rten, die darauf zielten, Verbün<strong>de</strong>te zu engagieren. Auf dieser Basis plädiert<br />

Aanestad dafür, Technikgestaltung als „<strong>de</strong>sign of configurations“ zu verstehen: „the<br />

creation of a well-working mix of people, practices and artefacts“ (Aanestad 2003, 1).<br />

Ein an<strong>de</strong>res Beispiel, das Suchman anführt, ist ihre eigene Studie über die Arbeit<br />

<strong>einer</strong> Bauingenieurin, die „through the interface“ (Bødker 1991) erfolgt. „Although<br />

CAD 138 might be held up as an exemplar of the abstract representation of concrete<br />

things, for the practicing engineer the story is more complex. Rather than stand in<br />

place of the specific locales – roadways, natural features, built environments, people<br />

and politics – of a project, the CAD system connects the experienced engineer sitting<br />

at her worktable to those things, at the same time that they exceed the system’s representational<br />

capacities. […] Immersed in her work, the CAD interface becomes for the<br />

engineer a simulacrum of the site, not in the sense of a substitute, but rather a place of<br />

work with its own specific materialities“ (Suchman 2007, 279).<br />

Weiter führt sie Projekte im Bereich <strong>de</strong>r digitalen Medien an, die sie als kunstvolle<br />

Integrationen („artful integration“ 139 ) von Personen, Objekten, Räumen, Fantasien,<br />

erinnerten Erfahrungen und Technologien beschreibt, in <strong>de</strong>nen Begegnungen evoziert<br />

und erkun<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n können, ohne zu versuchen, zwischenmenschliche Interaktion zu<br />

replizieren. Dazu wer<strong>de</strong>n die virtuellen Figuren als sich entwickeln<strong>de</strong> Charaktere mit<br />

verän<strong>de</strong>rlichen Biografien, kulturell und materiell spezifischen Erfahrungen, Beziehungen<br />

und Möglichkeiten dargestellt. Mit Hilfe dieser künstlerischen Strategien setzt<br />

Suchman Praktiken <strong>de</strong>r „artful integration“ gegen die vorherrschen<strong>de</strong> Sicht technologischer<br />

Entitäten als einem jeweils homogenen, feststehen<strong>de</strong>n System ab.<br />

Suchman begreift die von ihr vorgestellten Projekte als Gegenmo<strong>de</strong>lle zu <strong>de</strong>m<br />

Konzept <strong>de</strong>s autonomen, rationalen Subjekts, das insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n menschenähnlichen<br />

Maschinen <strong>de</strong>r künstlichen Intelligenzforschung (aber auch an<strong>de</strong>ren Ansätzen<br />

<strong>de</strong>r Informatik) zugrun<strong>de</strong> gelegt ist und mit Männlichkeit, Weißsein, Oberschichtzugehörigkeit<br />

etc. assoziiert wird, wie Feministinnen aufgezeigt haben. Sie liest die<br />

skizzierten Projekte aus <strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>r Technikforschung, Computer Supported<br />

Cooperative Work und Medienkunst auf <strong>de</strong>r Folie von Barads Ansatz als Beispiele<br />

eines neuen Verständnisses <strong>de</strong>r Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine: „‚[T]he<br />

interface‘ becomes a name for a category of contingently enacted cuts always occurring<br />

within sociomaterial practices, that effect ‚person‘ and ‚machine‘ as different<br />

entities, and that in turn enable particular forms of subject-object intra-actions. At the<br />

same time, the singularity of ‚the interface‘ explo<strong>de</strong>s into a multiplicity of more or less<br />

closely aligned, dynamically configured moments of encounter within sociomaterial<br />

configurations, objectified as persons and machines“ (Suchman 2007, 268)<br />

Für Suchman ist entschei<strong>de</strong>nd, wo diese Schnitte in <strong>de</strong>n soziomateriellen Praktiken<br />

jeweils verlaufen, die Menschen und Maschinen als unterschiedlich betreffen, bzw. wo<br />

Grenzen im konkreten Fall gezogen wer<strong>de</strong>n. Denn sie begreift diese Grenzziehungen<br />

als Orte, an <strong>de</strong>nen eine Kritik von Seiten <strong>de</strong>r Wissenschafts- und Technikforschung,<br />

ansetzen kann. Meines Erachtens kann hier ebenso eine alternative Technikgestaltung<br />

138<br />

CAD be<strong>de</strong>utet Computer Ai<strong>de</strong>d Design. Unter diesem Begriff wer<strong>de</strong>n Programme gefasst, die das technische<br />

Zeichnen unterstützen.<br />

139<br />

Vgl. hierzu auch ihre Ausführungen in Suchman 2002a.<br />

72


anschließen. „This work of cutting the network is […] a foundational move in the<br />

creation of sociomaterial assemblages as objects of analysis or intervention“ (ebd.,<br />

283). In <strong>de</strong>n Fällen von Robotern, autonomen Maschinen o<strong>de</strong>r individueller Menschen,<br />

wo die Schranken eng gesetzt wer<strong>de</strong>n, gelte es, <strong>de</strong>n Rahmen zu erweitern: „Our task<br />

as analyst is then to extend then frame, to metaphorically zoom out to a wi<strong>de</strong>r view that<br />

at once acknowledges the magic of effects while explicating the hid<strong>de</strong>n labors and<br />

unruly contingentcies that exceed its bounds.“ (ebd., 283f). Gleichzeitig seien die<br />

Entitäten, Zusammenhänge und Momente ihrer Wirksamkeit historisch und räumlich in<br />

ihren Verbindungen und Netzwerken zu lokalisieren. Um ein gegebenes Arrangement<br />

von Menschen und Artefakten zu verstehen, müssten also die Konfigurationen in<br />

gemeinsamen Geschichte(n) und in <strong>de</strong>n individuellen Biografien <strong>de</strong>r Personen und<br />

Dinge ebenso verortet wer<strong>de</strong>n wie in <strong>de</strong>m erweiterten Netzwerk, das beliebig – aber<br />

sinnvoll – durchschnitten wer<strong>de</strong>n solle in einem praktischen und analytischen Akt <strong>de</strong>r<br />

Grenzziehung, <strong>de</strong>r letztendlich ein höchst politischer ist.<br />

Trennungen seien zwar notwendig, um Be<strong>de</strong>utungen herzustellen, aber – wie Barad<br />

und Haraway betonen – niemals unschuldig. „Because the cuts implied in boundary<br />

work are always agentially positioned rather than naturally occurring, and because<br />

boundaries have real consequences, ‚accountablity is mandotory‘. The accountability<br />

involved is not, however a matter of i<strong>de</strong>ntifying authorship in any simple sense but<br />

rather a problem of un<strong>de</strong>rstanding the effects of particular assemblages and assessing<br />

distributions, for better or worse, that they perform“ (Suchman 2007, 285).<br />

In „Human-Machine Reconfigurations“ (2007) wen<strong>de</strong>t Suchman zwar Barads For<strong>de</strong>rung,<br />

menschliche AutorInnenschaft bei <strong>de</strong>r Entstehung von Messwerten über die<br />

Natur in asymmetrischer Weise anzuerkennen, primär auf ihre eigene wissenschaftliche<br />

Position als Wissenschafts- und Technikforscherin an. 140 Jedoch ist dies aufgrund<br />

<strong>de</strong>r breiten Rezeption ihres frühen Ansatzes in <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenzforschung<br />

eher als eine Verschiebung zu verstehen, die ein von ihrer Seite zusätzliches Anliegen<br />

ausdrückt. Auch ihr langjähriges Engagements für die Entwicklung <strong>de</strong>r Bereiche<br />

„Computer Supported Cooperative Work“ und „Participatory Design“ innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Informatik zeigt, dass sie Verantwortung nicht nur bei <strong>de</strong>njenigen verortet, die die<br />

Analysen <strong>de</strong>r hybri<strong>de</strong>n menschlich-nichtmenschlichen Netzwerke durchführen, d.h. bei<br />

<strong>de</strong>n sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und TechnikforscherInnen, son<strong>de</strong>rn<br />

ebenfalls bei <strong>de</strong>n TechnologiegestalterInnen. In diesem Sinne lässt sich ihr Ansatz<br />

direkt für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte in Anspruch nehmen, das für eine an<strong>de</strong>re<br />

materielle Gestaltung von Technologien plädiert und damit einen Zugang zur<br />

Konstruktion <strong>de</strong>r Artefakte erfor<strong>de</strong>rt. Zugleich gibt Suchman wertvolle Hinweise für die<br />

Analyse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte, die eine notwendige Voraussetzung<br />

<strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring darstellt. Für die Untersuchung <strong>de</strong>r Prozesse, wie Ungleichheit in<br />

Artefakte eingeschrieben wird, die im nächsten Kapitel Gegenstand sind, können wir<br />

140 In <strong>de</strong>r Einleitung ihres Buch legt sie offen, dass die Neuauflage auf eine LeserInnenschaft aus <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Wissenschafts- und Technikforschung gerichtet ist und sie dort die primäre Zielgruppe<br />

<strong>de</strong>s Buches sieht: „Somewhat ironically, my location at PARC and the marketing of the original text<br />

as a contribution in computer science have meant that the book [her first book: Plans and Situated Actions<br />

(1987), Anm. C.B.] received much greater visibility in computing – particularly HCI – and in cognitive<br />

science than either in anthropology or STS. Although I am <strong>de</strong>eply appreciative of that rea<strong>de</strong>rship and the<br />

friends from whom I have learned within those communities, it is as a contribution to science and technology<br />

studies that the present volume is most <strong>de</strong>liberately <strong>de</strong>signed” (Suchman 2007, 7).<br />

73


von ihrem Zugang lernen, dass Trennlinien bei <strong>de</strong>r Analyse von Netzwerken sorgfältig<br />

und verantwortungsvoll zu ziehen sind. Als Geschlechterforscherin in <strong>de</strong>r Informatik<br />

käme es <strong>de</strong>mzufolge nicht nur darauf an, die Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r immergleich erscheinen<strong>de</strong>n<br />

Festschreibung <strong>de</strong>s Geschlechtlichen (o<strong>de</strong>r <strong>einer</strong> an<strong>de</strong>ren Ungleichheitsstruktur)<br />

herauszuarbeiten. Vielmehr sind auch die Grenzziehungen für die Analyse so<br />

vorzunehmen, dass Ambivalenzen und Überschreitungen traditioneller Grenzziehungen<br />

sichtbar und somit Wege zu <strong>einer</strong> alternativen Nutzung und Gestaltung von<br />

Technologien aufgezeigt und offen gehalten wer<strong>de</strong>n können.<br />

Wie Barad legt Suchman Wert darauf, dass diese Brüche und Auflösungen in <strong>de</strong>n<br />

Artefakten und <strong>de</strong>n Technowissenschaften selbst i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n. Sie wen<strong>de</strong>t sich<br />

damit gegen die in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung verbreitete<br />

Ten<strong>de</strong>nz, bei <strong>de</strong>r Analyse stehen zu bleiben, statt beispielsweise dadurch zu intervenieren,<br />

dass <strong>kritisch</strong>e Stimmen innerhalb <strong>de</strong>s untersuchten Bereichs hervorgehoben<br />

und auf diese Weise gestärkt wer<strong>de</strong>n. 141 In <strong>de</strong>n von ihr untersuchten Fel<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r KI<br />

und Informatik zeigten die skizzierten Fallstudien Alternativen zu <strong>de</strong>n üblichen<br />

Vorgehensweisen auf. Zu diesen Neukonzeptionen gehört es, die Beson<strong>de</strong>rheit von<br />

Menschen, Körpern und Artefakten zu berücksichtigen sowie <strong>de</strong>n kulturell-historischen<br />

Praktiken, durch die die Grenze zwischen Mensch und Maschine wie<strong>de</strong>rholt gezogen<br />

wird, nachzugehen, aber auch die Möglichkeiten und die Politik <strong>de</strong>r Neuverteilung<br />

entlang <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-Grenze anzuerkennen. Die Erkundung <strong>de</strong>r Möglichkeiten<br />

<strong>einer</strong> solchen Neuverteilung setzt voraus, nicht bei kategorialen Debatten um<br />

nicht-menschliche Handlungsfähigkeit stehen zu bleiben, da diese Rekonfigurationen<br />

stets soziale Folgen haben. Suchman plädiert dafür, die konkreten Praktiken, durch<br />

welche die Kategorien <strong>de</strong>s Menschlichen und Nichtmenschlichen mobilisiert wer<strong>de</strong>n<br />

und sich ausformen, genauer zu untersuchen. Nicht die Differenz o<strong>de</strong>r Ähnlichkeit von<br />

Mensch und Maschine stehe zur Debatte, son<strong>de</strong>rn die Frage, welche Unterschie<strong>de</strong> in<br />

welcher Situation von Be<strong>de</strong>utung sind: „[W]hen [do] the categories of the human or<br />

machine become relevant, how [are] relations of sameness or difference between them<br />

enacted on particular occasions, and with what discursive and material consequences?“<br />

(Suchman 2007, 2)<br />

Die Politik <strong>de</strong>r Neuverteilung entlang <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-Grenze erfor<strong>de</strong>rt<br />

Suchman zufolge auch, die theoretischen Debatten um menschliche und nichtmenschliche<br />

Handlungsfähigkeit neu zu positionieren. Suchmans Konzept von „Agency“<br />

schließt an die dargestellten Ansätze Wissenschafts- und TechnikforscherInnen an<br />

und lässt sich als reflektierte Übersetzung von Barads asymmetrischen Verständnisses<br />

<strong>de</strong>s Mensch-Maschine-Verhältnisse auf informatische Artefakte begreifen. Sie verdient<br />

im Kontext dieses Kapitels beson<strong>de</strong>re Beachtung.<br />

Suchman geht im Anschluss an Latour, Haraway und an<strong>de</strong>ren davon aus, dass die<br />

Frage, ob Maschinen wie Menschen han<strong>de</strong>ln können, falsch gestellt sei. Denn sie<br />

setzte die Annahme „to be human is to possess agency“ (Suchman 2007, 228) voraus<br />

und wür<strong>de</strong> von dort ausgehend weiter fragen, wem o<strong>de</strong>r was diese Eigenschaften noch<br />

zugestan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n sollten. Statt jedoch zu <strong>de</strong>finieren, was Mensch und was Maschine<br />

sei, stelle sich eher die Frage, was historisch als – menschliche o<strong>de</strong>r nicht-<br />

141 Ein Beispiel für diese Strategie <strong>de</strong>r Sichtbarmachung <strong>kritisch</strong>er Ansätze habe ich in Bath 2009 am Beispiel<br />

von Emotionen in <strong>de</strong>r Softwareagenten- und Interface-Forschung ausgeführt.<br />

74


menschliche – Handlungsfähigkeit bestimmt wur<strong>de</strong> und welche Kriterien dazu bis heute<br />

herangezogen wer<strong>de</strong>n, um Menschlichkeit (in Abgrenzung zu Maschinen o<strong>de</strong>r auch<br />

Tieren) zu <strong>de</strong>finieren (vgl. Suchman 2007, 228). 142 Dazu sei das Verhältnis von<br />

Mensch und Maschine insgesamt als gegenseitige Konstituierung zu begreifen, d.h. als<br />

einen Prozess <strong>de</strong>r gleichzeitigen Verän<strong>de</strong>rung von Mensch und Maschine. Die<br />

Aussage, dass sich Mensch und Artefakte gegenseitig konstituieren, darf ihres Erachtens<br />

jedoch nicht als leere Formel stehen bleiben. Sie be<strong>de</strong>ute vielmehr, die<br />

dynamischen und multiplen Formen <strong>de</strong>r Konstituierung innerhalb spezifischer „sociomaterial<br />

assemblages“ (Suchman 2007, 283) genauer zu untersuchen, aber auch<br />

Fragen <strong>de</strong>r Differenz von Mensch und Maschine, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Asymmetrie<br />

nachzugehen. Denn Gegenseitigkeit hieße nicht notwendigerweise Symmetrie. „My<br />

own analysis 143 suggests that persons and artefacts do not constitute each other in the<br />

same way. In particular, I would argue that we need a rearticulation of symmetry, or<br />

more impartially perhaps, dissymmetry, that somehow retains the recognition of<br />

hybrids, cyborgs and quasi-objects ma<strong>de</strong> visible through science studies, while<br />

simultaneously recovering certain subject-object positionings – even or<strong>de</strong>rings –<br />

among persons and artifacts and their consequences“ (Suchman 2007, 269). Es käme<br />

darauf an, die beson<strong>de</strong>re Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>s Menschen anzuerkennen, ohne<br />

dabei die Differenz zwischen Mensch und Maschine zu essentialisieren. Handlungsfähigkeit<br />

müsse in <strong>de</strong>r Hinsicht neu konzeptualisiert wer<strong>de</strong>n, so dass die spezifische<br />

Verantwortung menschlicher AkteurInnen lokalisierbar bleibt, zugleich aber auch <strong>de</strong>ren<br />

Untrennbarkeit von <strong>de</strong>m soziomateriellen Netzwerk anerkannt wird, durch das bei<strong>de</strong><br />

Seiten konstituiert wer<strong>de</strong>n. Suchman betont, dass die beharrliche Präsenz <strong>de</strong>r<br />

Dichotomie von Designern und Usern im technowissenschaftlichen Diskurs kein<br />

wi<strong>de</strong>rständiges Überbleibsel <strong>de</strong>s Humanismus sei. Vielmehr wür<strong>de</strong> diese die anhalten<strong>de</strong><br />

Asymmetrie zwischen menschlichen und nichtmenschlichen AkteurInnen wi<strong>de</strong>rspiegeln.<br />

„[I]n the case of technological assemblages, persons are those actants who<br />

configure material-semiotic networks, however much we may be simultaneously<br />

incorporated into and through them“ (Suchman 2007, 270).<br />

Suchmans Konzeption zur Handlungsfähigkeit technischer Objekte stellt eine tragfähige<br />

Grundlage für das Vorhaben dar, das Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte theoretisch zu fassen. Denn menschliche und nichtmenschliche<br />

AkteurInnen wer<strong>de</strong>n hier – wie in <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie – in ihren vielfältigen<br />

Verbindungen gedacht, wobei jedoch die kulturell und historisch begrün<strong>de</strong>ten<br />

Differenzen zwischen diesen berücksichtigt und auch vorherrschen<strong>de</strong> Hierarchien<br />

sowie strukturell-symbolische Ordnungen menschlicher Gemeinschaften innerhalb <strong>de</strong>r<br />

je spezifischen Verbindung anerkannt wer<strong>de</strong>n. Damit <strong>de</strong>nkt sie in ihren Ausführungen<br />

zum Problem <strong>de</strong>r (Re-)Konfiguration <strong>de</strong>s Humanen durch die Technowissenschaften<br />

142 Suchman weist darauf hin, das es in <strong>de</strong>n letzten Jahren eine Verschiebung gegeben hat, das Humane<br />

nicht mehr nur in Abgrenzung zu Tieren, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>r Differenz zu Maschinen festzumachen. „Efforts to<br />

establish criteria of humanness (for example, tool use, language ability, symbolic representation) have always<br />

been contentious, challenged principally in terms of capacities of other animals, particularly nonhuman<br />

primates, to engage in various cognate behaviors. More recently the same kinds of criterial arguments<br />

have been ma<strong>de</strong> in support of human-like capabilities of artificially intelligent machines” (Suchman<br />

2007, 228).<br />

143 Damit bezieht sie sich auf ihre eigene, in <strong>de</strong>r Informatik viel rezipierte Studie „Plans and situated ac-<br />

tions“ (Suchman 1987).<br />

75


stets mit, wie sich Politik, Soziales und Geschlecht in informatischen Artefakten<br />

manifestiert. 144<br />

Das Potential ihres Ansatzes liegt meines Erachtens gera<strong>de</strong> darin, von <strong>de</strong>r<br />

komplexen Verwobenheit menschlicher und nicht-menschlicher AkteurInnen auszugehen,<br />

gleichzeitig aber – aufgrund asymmetrischer AutorInnenschaft – die spezifischen<br />

menschlichen (Teil-)Verantwortlichkeiten darin i<strong>de</strong>ntifizieren zu können. Es wird<br />

möglich, die Ansätze <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie mit ihren nützlichen Werkzeugen für<br />

die Untersuchung hybri<strong>de</strong>r Netzwerke zusammen mit Analysen strukturell-symbolischer<br />

Ungleichheit in (menschlichen) Gesellschaften einschließlich <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n<br />

Geschlechterordnung zu <strong>de</strong>nken. Dieses Vorhaben ist bereits bei Haraway angelegt,<br />

erschien allerdings in ihrer Version (wie aufgezeigt) nicht unmittelbar auf die Informatik<br />

anwendbar. Mit Suchmans Ansatz kann dagegen auf Studien, die wie Winners<br />

Brücken auf die Politik <strong>de</strong>r Artefakte verweisen, zurückgegriffen wer<strong>de</strong>n, diesmal<br />

jedoch in einem reformulierten Sinne, <strong>de</strong>r um die in diesem Kapitel skizzierten Diskussionen<br />

ergänzt und bereichert wur<strong>de</strong>. Gegenüber <strong>de</strong>m Social Shaping of Technology-<br />

Ansatz und <strong>de</strong>m Social Construction of Technology-Ansatz wird diesen Einschreibungen<br />

von Ungleichheitsstrukturen und von Geschlecht jedoch ein neuer Platz<br />

zugewiesen, <strong>de</strong>r diese Politiken im Rahmen <strong>de</strong>s jeweiligen komplexen Netzwerks<br />

verortet und ihre Erklärungskraft in <strong>de</strong>r Regel konkretisiert und neu positioniert.<br />

Handlungsfähigkeit auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r feministischen Ansätze Barads und Suchmans<br />

be<strong>de</strong>utet zugleich, die Asymmetrie zwischen Menschen und Maschinen anzuerkennen<br />

und ein verantwortungsvolles Han<strong>de</strong>ln einzufor<strong>de</strong>rn.<br />

Was ist nun insgesamt bis hierher für das Vorhaben gewonnen, ein fundiertes<br />

Konzept <strong>de</strong>r Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte zu entwickeln? Welche Vorteile bringt<br />

es, die Politik <strong>de</strong>r Artefakte und ihre Vergeschlechtichung ausgehend von Winner mit<br />

Hilfe <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung, insbeson<strong>de</strong>re mit Haraway,<br />

Barad und Suchman neu zu <strong>de</strong>nken? Wie lassen sich die Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung,<br />

Macht und Verantwortung in Technikgestaltungsprozessen so konzipieren,<br />

dass sie die dargestellten Verhältnisse von Technischem und Sozialem, von Mensch<br />

und Maschine sowie von Handlungsfähigkeit reflektieren? Und wo bleiben weiterhin<br />

Leerstellen, wenn es darum geht, feministische Interventionen an <strong>de</strong>r Grenze von<br />

Mensch und Maschine auf <strong>de</strong>r analytischen Ebene sowie im Sinne <strong>einer</strong> alternativen<br />

materiellen Gestaltung <strong>informatischer</strong> Artefakte zu konzeptualisieren?<br />

Der bis hierher gewonnene Erkenntnisstand dieses Kapitels lässt sich<br />

folgen<strong>de</strong>rmaßen zusammenfassen: Mit <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie wur<strong>de</strong> ein<br />

Vorschlag gemacht, das Verhältnis von Technik und Gesellschaft in <strong>einer</strong> Weise zu<br />

<strong>de</strong>nken, die technik<strong>de</strong>terministische und sozial<strong>de</strong>terministische Ten<strong>de</strong>nzen in <strong>de</strong>r<br />

Theoriebildung zu vermei<strong>de</strong>n sucht. Allerdings ergab sich aus diesem Ansatz das<br />

weitergehen<strong>de</strong> Problem, wie das Politische in diesem Rahmen verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

kann, da die ANT diese Frage, an <strong>de</strong>r feministische Positionen notwendigerweise<br />

festhalten müssen, nicht ausreichend löst. Anhand <strong>de</strong>r skizzierten feministischen<br />

Konzepte konnte aufgezeigt wer<strong>de</strong>n, wie sich die Verantwortung von Wissenschafts-<br />

und TechnikforscherInnen auf die Bühne <strong>de</strong>r menschlichen und nichtmenschlichen<br />

144 Dies spiegelt sich – wie bereits bemerkt – auch darin wi<strong>de</strong>r, dass sie <strong>kritisch</strong>e Gestaltungsvorhaben in<br />

<strong>de</strong>r Informatik Systeme wesentlich unterstützt und insbeson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>s „Participatory<br />

Design“ und <strong>de</strong>s „Computer Supported Cooperative Work“ wesentlich mitgewirkt hat.<br />

76


AkteurInnen bringen lässt. Dabei hat sich insbeson<strong>de</strong>re Karen Barads Ansatz <strong>de</strong>s<br />

„Agential Realism“ als produktiv erwiesen, <strong>de</strong>r nicht nur die Differenz zwischen<br />

Humanem und Materiellen berücksichtigt, son<strong>de</strong>rn von <strong>einer</strong> ontologischen<br />

Asymmetrie zwischen diesen ausgeht. Suchman wie<strong>de</strong>rum hat Barads und z.T. auch<br />

Haraways Vorstellungen auf informatische Artefakte übertragen und auf dieser Basis<br />

eine Neuformulierung von Handlungsfähigkeit vorgeschlagen, die die Rolle von<br />

TechnikgestalterInnen und NutzerInnen betont, diese aber nicht überbewertet. Voraussetzung<br />

dieses Denkens ist die mit Barad vorgenommene Verschiebung hin zu <strong>einer</strong><br />

erkenntnistheoretischen Position, welche Objektivität im Sinne eines Post-Realismus<br />

versteht und mit konstruktivistischen Ansätzen verbin<strong>de</strong>t. Ein weiterer Gewinn <strong>de</strong>r Inanspruchnahme<br />

dieser feministischen Ansätze besteht darin, dass sie nicht nur eine<br />

Basis für die Analyse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von Artefakten liefern, son<strong>de</strong>rn auf ihre je<br />

spezifische Weise Vorschläge für die diskursiv-materielle Umschreibung <strong>de</strong>r<br />

bestehen<strong>de</strong>n Ungleichheitsverhältnisse machen und damit als Grundlage für die Umsetzung<br />

in ein De-Gen<strong>de</strong>ring-Vorhaben dienen können. Während Haraway primär<br />

dafür plädiert, alternative Geschichte(n) über die Natur- und Technnikwissenschaften<br />

zu erzählen, ermöglichen die Ansätze Barads und Suchmans aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik, praktisch umsetzbare Interventionsmöglichkeiten<br />

in <strong>de</strong>n Artefakten und ihrer technowissenschaftlichen Produktion selbst<br />

auszumachen. Suchman stellt darüber hinaus alternative Konzepte vor, die sich als<br />

Gegenmo<strong>de</strong>lle zu vorherrschen<strong>de</strong>n, männlich konnotierten Subjektpositionen verstehen<br />

lassen. Die Argumente <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie lieferten, reformuliert durch<br />

die Ansätze von Haraway, Barad und Suchman, ein theoretisches Konzept, das<br />

Dualismen wie Technik und Gesellschaft, Mensch und Maschine, Subjekt und Objekt<br />

sowie Konstruktivismus und Realismus überwin<strong>de</strong>t und dabei einen Raum eröffnet,<br />

Strukturen <strong>de</strong>r Ungleichheit und Macht einschließlich <strong>de</strong>r Geschlechterordnung<br />

wahrzunehmen. Zugleich wird es auf dieser Basis möglich, Verantwortlichkeit bei <strong>de</strong>r<br />

materiell-diskursiven Neugestaltung soziomaterieller Praktiken als einen wesentlichen<br />

Bestandteil aktueller Mensch-Maschine-Verhältnisse zu verstehen.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>s entwickelten theoretischen Rahmenkonzepts bleibt jedoch die Frage,<br />

wie Netzwerke, Verbindungen und Strukturen in <strong>de</strong>m Spannungsfeld von<br />

Festschreibung und Verän<strong>de</strong>rung entstehen, weiterhin offen. Insbeson<strong>de</strong>re fehlt <strong>de</strong>m<br />

bis hierher dargestellten Ansatz bislang eine Vorstellung, wie sich <strong>de</strong>r Prozess <strong>de</strong>r<br />

Verwicklung von Technologie als materiell-diskursives Phänomen mit Ungleichheitsstrukturen<br />

und Geschlecht informatikspezifisch begreifen lässt. Um diese Lücke zu<br />

schließen, stelle ich im folgen<strong>de</strong>n Kapitel 3.7 zunächst Konzepte zur Repräsentation<br />

von NutzerInnen aus <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung vor, welche die<br />

Einschreibung <strong>de</strong>s Sozialen und von Geschlecht in Technologiegestaltungs- und -<br />

nutzungsprozessen beschreiben. Da die dort vorgestellten Skript- und Konfigurierungskonzepte<br />

jedoch nicht umfassend genug erscheinen, um Grundlagenforschung und<br />

aktuelle Informatikentwicklungen zu erfassen, bei <strong>de</strong>nen die Grenzen zwischen<br />

Mensch und Maschine zunehmend verschwimmen, wird anschließend eine weitere<br />

grundlegen<strong>de</strong> theoretische Konzeption eingeführt. Es wird dargelegt, wie mit Barads<br />

und Suchmans Konzept <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Materie/Technologie und<br />

Geschlecht, die <strong>de</strong>n Performativitätsbegriff Butlers posthumanistisch transformieren,<br />

eine Konzeptualisierung <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte entwickelt<br />

77


wer<strong>de</strong>n kann, die an die in diesem Kapitel ausgeführte feministische Reformulierung<br />

hybri<strong>de</strong>r Netzwerke anschlussfähig ist und sich – inspiriert durch Suchman – auf die<br />

Informatik übertragen lässt.<br />

3.7. Wie kommt Geschlecht in technische Artefakte „hinein“?<br />

Gen<strong>de</strong>rskripte und Konfigurationen von NutzerInnen<br />

Eines <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung bekanntesten Konzepte,<br />

<strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von Artefakten zu fassen, ist das <strong>de</strong>s „gen<strong>de</strong>r scripts“,<br />

welches von Ellen van Oost (1995) und Nelly Oudshoorn (1996) in die Diskussion<br />

gebracht wur<strong>de</strong> und vor allem durch Els Rommes Studie zur Digitalen Stadt<br />

Amsterdam (vgl. Rommes 2002) bekannt gewor<strong>de</strong>n ist. Dieser Begriff stellt die<br />

Verhältnisse von Gestaltung und Nutzung in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund und berücksichtigt die<br />

Materialität technologischer Artefakte. Das Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>rskripts basiert auf <strong>de</strong>m<br />

Begriff <strong>de</strong>s „Skripts“, <strong>de</strong>r von Ma<strong>de</strong>leine Akrich (1992, 1995) in <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-<br />

Theorie eingeführt wur<strong>de</strong>. Der Skript-Ansatz zielt darauf, zu beschreiben, wie technische<br />

Objekte „participate in building heterogeneous networks that bring together<br />

actants of all types and sizes, whether humans or nonhumans“ (Akrich 1992, 206).<br />

Dabei wird darauf fokussiert, zu verstehen, wie TechnologiegestalterInnen ihre Vorstellungen<br />

über die zukünftigen NutzerInnen und Nutzungen in die technologischen Artefakte<br />

einschreiben. Es wird von <strong>de</strong>r Annahme ausgegangen, dass sie im Laufe <strong>de</strong>s<br />

Technikgestaltungsprozesses stets eine Vielfalt von Visionen entwickeln, die sich<br />

letztendlich in <strong>de</strong>n Artefakten manifestieren. „They construct many different representtations<br />

of these users, and objectify these representations in technical choices“ (Akrich<br />

1995, 168). Diese Konstruktionen <strong>de</strong>r NutzerInnen können auf expliziten Repräsentationstechniken<br />

beruhen, wie beispielsweise auf Marktanalysen, Brauchbarkeitstests<br />

(Usability Tests) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m nachträglichen Feedback auf reale Nutzungssituationen <strong>de</strong>s<br />

technischen Produkts. Sie können allerdings auch auf impliziten Repräsentationstechniken<br />

grün<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>nen die ExpertInnen im Namen <strong>de</strong>r NutzerInnen sprechen.<br />

Dazu gehört beispielsweise <strong>de</strong>r Rückgriff auf persönliche Erfahrungen, bei <strong>de</strong>m die<br />

TechnologiegestalterInnen ihre professionelle Perspektive durch eine Laienperspektive<br />

eintauschen und sich selbst als VertreterIn <strong>de</strong>r NutzerInnen einsetzen (vgl. Akrich<br />

1995, 173). Auf all diesen Wegen versuchen TechnikgestalterInnen, ihre Visionen <strong>de</strong>r<br />

zukünftigen Nutzung <strong>de</strong>r Technologie „einzuschreiben“: „Designers […] <strong>de</strong>fine actors<br />

with specific tastes, competences, motives, aspirations, political prejudices, and the<br />

rest, and they assume that morality, technology, science, and economy will evolve in<br />

particular ways. A large part of the work of innovators is that of ‚inscribing‘ this vision of<br />

(or prediction about) the world in the technical content of the new object. I will call the<br />

end product of this work ‚script‘ or ‚scenario‘.“ (Akrich 1992, 208)<br />

Feministische TechnikforscherInnen erweiterten Akrichs Skript-Konzept um die Analysekategorie<br />

Geschlecht: „Given the heterogeneity of users, <strong>de</strong>signers will consciously<br />

or unconsciously privilege certain representations of users and use over others. When<br />

these representations and the resulting scripts reveal a gen<strong>de</strong>red pattern, we call them<br />

‚gen<strong>de</strong>r scripts‘“ (Rommes 2002, 17f). Ein Gen<strong>de</strong>rskript liegt also dann vor, wenn TechnologiegestalterInnen<br />

ausgehend von <strong>de</strong>r Vielfalt und Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit möglicher<br />

78


Repräsentationen eine Auswahl treffen, die Geschlecht konstituieren<strong>de</strong> Muster<br />

aufweist. Diese Muster <strong>de</strong>r Geschlechtlichkeit können auf symbolischen, strukturellen<br />

o<strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ntitären Ebenen liegen. 145 Rommes unterschei<strong>de</strong>t dabei zwischen expliziten<br />

und impliziten Repräsentationen <strong>de</strong>r NutzerInnen, die durch bewußte bzw. unbewußte<br />

Entscheidungen <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen darüber charakterisiert seien, welche NutzerInnen<br />

und Nutzungsbedingungen in die Technologie eingeschlossen o<strong>de</strong>r auch<br />

ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n. 146 An<strong>de</strong>rs formuliert kann die Kategorie Geschlecht – wie van<br />

Oost (2003) genauer ausführt – in <strong>de</strong>m Sinne ein explizites o<strong>de</strong>r implizites Element <strong>de</strong>s<br />

Technikgestaltungsprozesses sein, dass technische Artefakte zumeist entwe<strong>de</strong>r für<br />

Frauen bzw. Männer o<strong>de</strong>r „für alle“ konzipiert sind. Wer<strong>de</strong>n technische Produkte für<br />

Frauen bzw. für Männer, d.h. für eine bestimmte Zielgruppe, gestaltet, so sei das<br />

Gen<strong>de</strong>ring in <strong>de</strong>r Regel ein expliziter Prozess, durch <strong>de</strong>n bestehen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r gar<br />

stereotypisierte Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit in technische Spezifikationen<br />

übersetzt wür<strong>de</strong>n, die mit <strong>de</strong>n hegemonialen kulturellen Symbolsystemen von<br />

Weiblichkeit bzw. Männlichkeit übereinstimmen. Gen<strong>de</strong>rskripte könnten aber auch aus<br />

impliziten Prozessen hervorgehen, bei <strong>de</strong>nen die Artefakte für „Je<strong>de</strong>/n“ gestaltet<br />

wer<strong>de</strong>n, ohne dass die GestalterInnen spezifische NutzerInnengruppen im Sinn haben.<br />

Feministische TechnikforscherInnen wie Els Rommes haben aufgezeigt, dass dort, wo<br />

Technologie „für alle“ entwickelt wer<strong>de</strong>n soll, die GestalterInnen häufig unbewußt<br />

einseitige männliche NutzerInnenbil<strong>de</strong>r haben und auf hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen<br />

zurückgreifen (vgl. etwa Rommes 2002, Oudshoorn et al. 2004). Sie<br />

folgten häufig <strong>de</strong>r so genannten „I-methodology“ (vgl. Akrich 1995, 173, Rommes 2000,<br />

Oudshoorn/ Pinch 2003a), in<strong>de</strong>m sie sich selbst als potentielle NutzerInnen imaginierten<br />

und <strong>de</strong>mzufolge männlich kodierte Symbole und Kompetenzen in die Artefakte<br />

einschrieben. Darüber hinaus wür<strong>de</strong>n auch die Tests <strong>de</strong>r Produkte oft in ihrem<br />

eigenen, von Männern dominierten Umfeld durchgeführt. „In such cases, the user<br />

representation that <strong>de</strong>signers generate is one-si<strong>de</strong>d, emphasizing the characteristics of<br />

the <strong>de</strong>signers themselves and neglecting the diversity of the envisioned user group.<br />

Configuring the user as ‚everybody‘ in practice often leads to a product that is biased<br />

toward young, white, well-educated male users, reflecting the composition of the<br />

<strong>de</strong>signer’s own group“ (van Oost 2003, 196).<br />

Demnach lassen sich Technologien ausgehend von <strong>de</strong>n ANT-Ansätzen als Akteure<br />

in <strong>de</strong>r konkreten Nutzungssituation auffassen, die bestimmte Interpretationen und<br />

Be<strong>de</strong>utungszuweisungen nahe legen. Häufig führe dies dazu, dass das in <strong>de</strong>m<br />

technischen Artefakt eingeschriebene Gen<strong>de</strong>rskript durch die Nutzung aufrechterhalten<br />

und verfestigt wird. Dies be<strong>de</strong>utet jedoch nicht, dass die NutzerInnen <strong>de</strong>m Skript<br />

bedingungslos ausgeliefert sind und diesem notwendigerweise folgen müssen, um das<br />

Artefakt sinnvoll nutzen zu können. „Clearly the impact of gen<strong>de</strong>r scripts is neither<br />

<strong>de</strong>termined by the artifact nor stable. Gen<strong>de</strong>r is an analytical category, the content of<br />

which is constantly negotiated, and objects with inscribed gen<strong>de</strong>r relations are actors in<br />

these negotiation processes. Obviously, scripts cannot <strong>de</strong>termine the behaviour of<br />

145<br />

Somit greift Rommes auf die dreidimensionale Charakterisierung von Geschlecht zurück, die Sandra<br />

Harding 1990 [1986] vorgeschlagen hat.<br />

146<br />

Dieses Verständnis von Gen<strong>de</strong>rskripten Definition ermöglicht es, nicht nur vergeschlechtlichte Muster ,<br />

son<strong>de</strong>rn Ein- und Ausschlüsse aufgrund weiterer Kategorien in <strong>de</strong>n Blick zu bekommen: „Just as for<br />

gen<strong>de</strong>r, we can analyze the ‚age-scripts‘, the ‚racial scripts‘, the ‚sexual-preference-script‘, the ‚physical<br />

requirements-script‘ or the ‚educatonal-script‘ of a technology“ (Rommes 2002, 18).<br />

79


users, their attribution of meaning or the way they use the object to construct their<br />

i<strong>de</strong>ntity, as this would lead to technological <strong>de</strong>terminism. Users don’t have to accept<br />

the script, it is possible for them to reject or adapt it. Gen<strong>de</strong>r scripts do not force users<br />

to construct specific gen<strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ntities, but scripts surely act invitingly and/or inhibitantly“<br />

(van Oost 2003, 196).<br />

Ein Gen<strong>de</strong>rskript ist <strong>de</strong>mzufolge nicht als ein fixer Ablauf o<strong>de</strong>r eine Vorschrift,<br />

welche die I<strong>de</strong>ntitäten und Handlungen <strong>de</strong>r NutzerInnen im Detail festschreibt, zu<br />

verstehen. Vielmehr charakterisieren Skripte diejenigen Annahmen <strong>de</strong>r GestalterInnen<br />

über <strong>de</strong>n Nutzungskontext, die in <strong>de</strong>r Technologie materialisiert sind und die Nutzung<br />

vorstrukturieren. Sie grenzen damit <strong>de</strong>n Handlungsspielraum ein: „technical objects<br />

<strong>de</strong>fine a framework of action together with the actors and the space in which they are<br />

supposed to act“ (Akrich 1992, 208). Skripte schreiben <strong>de</strong>n NutzerInnen zwar<br />

spezifische Kompetenzen zu und verteilen Verantwortlichkeiten auf NutzerInnen und<br />

Artefakte. Sie sehen bestimmte Handlungsmöglichkeiten vor und ignorieren an<strong>de</strong>re.<br />

Allerdings ist damit nur die von <strong>de</strong>n TechnologiegestalterInnen intendierte Nutzung<br />

beschrieben, <strong>de</strong>r sich die NutzerInnen auch entgegenstellen können. Letzteren wird<br />

Handlungsfähigkeit (agency) zugeschrieben, in<strong>de</strong>m sie das jeweilige Skript akzeptieren<br />

o<strong>de</strong>r auch verän<strong>de</strong>rn bzw. zurückweisen können. Insbeson<strong>de</strong>re dann, wenn die<br />

EntwicklerInnen Repräsentationen von <strong>de</strong>n NutzerInnen konzipieren, die mit <strong>de</strong>n<br />

Kompetenzen, Einstellungen, Handlungen und I<strong>de</strong>ntitätskonzeptionen <strong>de</strong>r tatsächlichen<br />

NutzerInnen nicht übereinstimmen, könnten Akzeptanzprobleme entstehen (vgl.<br />

Akrich 1992). Damit <strong>de</strong>finieren technologische Artefakte zwar die Beziehungen<br />

zwischen menschlichen und nicht-menschlichen AkteurInnen, jedoch ist „this geography<br />

[…] open to question and may be resisted“ (Akrich 1992, 207). Insofern ist das<br />

Konzept <strong>de</strong>s Skriptes nicht als ein eng technik<strong>de</strong>terministisches zu verstehen, welches<br />

die TechnikgestalterInnen als aktiv und die NutzerInnen als passiv konzipiert. Vielmehr<br />

berücksichtigt es die vielfältigen, z.T. auch wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Aneignungsprozesse von<br />

Technologien durch die NutzerInnen, die auch in von <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen nicht<br />

intendierte Formen <strong>de</strong>r Nutzung mün<strong>de</strong>n können. 147<br />

Um technik<strong>de</strong>terministische Positionen zu vermei<strong>de</strong>n, mahnt Akrich an, die<br />

Verhandlungen zwischen GestalterInnen und NutzerInnen, d.h. <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r<br />

Technologieentwicklung, genauer zu untersuchen: „if we are interested in technical<br />

objects and not in chimerae, we cannot be satisfied methodologically with the<br />

<strong>de</strong>signer’s or user’s point of view alone. Instead we have to go back and forth<br />

continually between the <strong>de</strong>signer and the user, between the <strong>de</strong>signer’s projected user<br />

and the real user, between the world inscribed in the object and the world <strong>de</strong>scribed by<br />

its displacement“ (Akrich 1992, 208f, Hervorhebung im Orig.). Um letztere zu<br />

beschreiben, führt sie <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „<strong>de</strong>-scription“ (ebd., 205ff) ein, <strong>de</strong>r die<br />

Rekonstruktionsarbeit charakterisiert, um das kohärente Handlungsprogramm im<br />

147 Heutzutage ist es in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung verbreitet, die unintendierten Nutzungen<br />

genauer in <strong>de</strong>n Blick zu nehmen. So beschreiben Nelly Oudshoorn und Trevor Pinch in ihrer Einleitung<br />

„How Users and Non-Users Matter“: „New uses are always found for familiar technologies. Sometimes<br />

changes in use are dramatic and unexpected. Before September 11, 2001, no one foresaw that an<br />

airliner could be turned by a small number of its occupants into a giant Molotov cocktail. After the Gulf war<br />

of 1991, it was discovered that an effective way to put out oil-rig fires was to strap down captured Mig jets<br />

and blow out the fires using their exhaust. Such examples remind us that we can never take the use of a<br />

technology for granted“ (Oudshoorn/ Pinch 2003b, 1).<br />

80


technologischen Artefakt wie<strong>de</strong>rherzustellen. Diese kann durch die<br />

TechnikforscherInnen o<strong>de</strong>r NutzerInnen erfolgen, welche das jeweilige Skript lesen und<br />

interpretieren bzw. sinnvoll in ihre Interaktion mit <strong>de</strong>r Technologie einzubetten haben.<br />

Während VertreterInnen von ANT die De-Skription stärker auf Seiten <strong>de</strong>r TechnikforscherInnen<br />

verorten (vgl. etwa Akrich/ Latour 1992), versucht Rommes, Skripte als<br />

Vermittlungen zwischen <strong>de</strong>m Gestaltungskontext, in <strong>de</strong>m NutzerInnenrepräsentationen<br />

produziert wer<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>m Nutzungskontext, in <strong>de</strong>m ein soziotechnisches Netzwerk<br />

von (realen) NutzerInnen hergestellt wird, zu verstehen (vgl. Rommes 2002, 16).<br />

Skripte hätten <strong>de</strong>mnach Auffor<strong>de</strong>rungscharakter („affordances“), tragen also durch die<br />

Technologie ein bestimmtes Angebot an die NutzerInnen heran. Jedoch bergen sie<br />

zugleich Einschränkungen <strong>de</strong>r Nutzungsweise, die in <strong>de</strong>m Artefakt in Form technologisch<br />

eingeschränkter Wahlmöglichkeiten inkorporiert sind.<br />

Akrichs Skript-Konzept wur<strong>de</strong> kritisiert, weil es auf das Verhältnis von<br />

GestalterInnen und NutzerInnen von Technologien fokussiert und an<strong>de</strong>re AkteurInnen<br />

<strong>de</strong>s sozio-technischen Netzwerkes, z.B. EntscheidungsträgerInnen, GeldgeberInnen,<br />

JournalistInnen und soziale Bewegungen vernachlässige (vgl. Rommes 2002, 17,<br />

siehe auch Mackay et al. 2000, Oudshoorn/ Pinch 2003a, 9). Dieser Einwand muss bei<br />

<strong>de</strong>r Analyse von Gen<strong>de</strong>ringprozessen in <strong>de</strong>r Tat mitbedacht wer<strong>de</strong>n. Die Vergeschlechtlichung<br />

von Artefakten erfolgt nicht nur auf Seiten <strong>de</strong>r Technologiegestaltung,<br />

son<strong>de</strong>rn innerhalb eines umfassen<strong>de</strong>ren soziotechnischen Netzwerkes, in das auch<br />

NutzerInnen und verschie<strong>de</strong>nste weitere AkteurInnen eingebettet sind. Es ist jedoch<br />

genau <strong>de</strong>r Schwerpunkt Akrichs, <strong>de</strong>n Gestaltungsprozessen von Technologie<br />

nachzugehen, <strong>de</strong>r ihren Ansatz für das hier verfolgte Vorhaben, <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r Artefakte im Kontext <strong>de</strong>r Informatik zu begreifen, attraktiv<br />

macht. Um einen handlungstheoretischen Ansatz für die Informatik zu entwickeln, <strong>de</strong>r<br />

nicht nur auf die Analyse <strong>de</strong>r Gen<strong>de</strong>ringprozesse, son<strong>de</strong>rn auch auf ein De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>de</strong>r Artefakte zielt, ist es notwendig, die Analyse auf die Technikgestaltungsprozesse<br />

zu konzentrieren, ohne aber die Beteiligung und Wirkmächtigkeit an<strong>de</strong>rer AkteurInnen<br />

<strong>de</strong>s sozio-materiellen Netzwerkes zu negieren.<br />

Das Skriptkonzept wur<strong>de</strong> darüber hinaus von feministischer Seite dahingehend kritisiert,<br />

dass es die konkreten Prozesse, durch die Technologien akzeptiert, verän<strong>de</strong>rt<br />

o<strong>de</strong>r abgelehnt wer<strong>de</strong>n, nicht genügend <strong>de</strong>tailliert herausarbeiten wür<strong>de</strong> (vgl. Rommes<br />

2002, 17). So legten implizite, <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess durchdringen<strong>de</strong> Skripte, welche<br />

die Vorlieben, Kompetenzen und Interessen <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen spiegeln, zwar<br />

nahe, dass bestimmte soziale Gruppen (z.B. Ältere, Frauen, Menschen an<strong>de</strong>rer kultureller<br />

o<strong>de</strong>r sozialer Herkunft als die <strong>de</strong>r GestalterInnen) davon abgehalten wer<strong>de</strong>n, die<br />

entsprechen<strong>de</strong> Technologie zu nutzen. Allerdings wür<strong>de</strong>n die spezifischen Mechanismen,<br />

die zu Einschlüssen und Ausschlüssen bestimmter NutzerInnen führten, von<br />

Akrich selbst nicht ausreichend beachtet. Ferner wirft Rommes <strong>de</strong>m Skript-Konzept ein<br />

Blackboxing potentieller Anwen<strong>de</strong>rInnen <strong>de</strong>r Technologie vor. Denn Akrich ginge zwar<br />

von komplexen, vielseitigen NutzerInnen aus, die sich in <strong>einer</strong> heterogenen Vielfalt von<br />

Beziehungen bewegten (vgl. Akrich 1995, 167), jedoch beschreibe sie nicht die Folgen<br />

dieser jeweiligen Verortungen. Die Grün<strong>de</strong> und Konsequenzen für NutzerInnen und<br />

Nicht-NutzerInnen seien sorgfältig zu analysieren. Gera<strong>de</strong> aufgrund <strong>de</strong>r angenommenen<br />

Diversität <strong>de</strong>r NutzerInnen stelle sich die Frage, welche sozialen Gruppen eine<br />

Technologie so annehmen, wie sie von <strong>de</strong>n TechnologiegestalterInnen intendiert war,<br />

81


und welche diese neu formen, sich an<strong>de</strong>rs aneignen o<strong>de</strong>r auch ablehnen. Akrichs<br />

Ansatz ignoriere jedoch , dass bestimmte Technologien von <strong>einer</strong> großen Gruppe<br />

potentieller NutzerInnen nicht akzeptiert und genutzt wer<strong>de</strong>. Das Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>rskripts<br />

beansprucht, dieser Kritik Rechnung zu tragen (vgl. Rommes 2002, 17).<br />

Rommes ist sich <strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>r Reproduktion von Geschlechterdifferenz durchaus<br />

bewusst, wenn sie sich auf soziologische Konzepte wie Connells Begriff <strong>de</strong>r „hegemonialen<br />

Männlichkeit“ (Connell 1987) bezieht: “[A] gen<strong>de</strong>r script will rarely be the result<br />

of conscious attempts of <strong>de</strong>signers to exclu<strong>de</strong> certain users. Rather, it will be the result<br />

of unconscious repetitions and reiterations of the hegemonic masculine norm” (Rommes<br />

2002, 19). Sie nutzt diesen Ansatz, um geschlechtliche Konnotationen <strong>de</strong>s Wissens,<br />

<strong>de</strong>r Vorlieben, Fähigkeiten und Bedürfnisse, die in <strong>de</strong>r Technologie normalisiert<br />

sind, zu beschreiben. Dabei geht sie davon aus, dass TechnikgestalterInnen zu solchen<br />

Skripten tendieren, die hegemoniale Männlichkeit repräsentieren, während sie<br />

ihres Erachtens nicht dazu neigten, Weiblichkeit o<strong>de</strong>r untergeordnete, alternative Formen<br />

von Männlichkeit in die Artefakte einzuschreiben. Das heiße jedoch nicht, dass<br />

Frauen als Gruppe o<strong>de</strong>r bestimmte Gruppen von Frauen aufgrund <strong>de</strong>ssen tatsächlich<br />

von <strong>de</strong>r Nutzung ausgeschlossen seien. „More likely, it means that some women have<br />

to adjust more, have to work har<strong>de</strong>r, in or<strong>de</strong>r to be able to use a certain technology in<br />

present society. A gen<strong>de</strong>r script analysis can thus be specified as a study of ‚mechanisms<br />

of adjustment‘ or the failure to adjust between the technology and a potential<br />

user. It is about who has to ‚adjust‘ more, who has to pay the price for not fitting the<br />

norm that is reproduced in the artifact“ (Rommes 2002, 19). Das be<strong>de</strong>utet, dass<br />

menschliche AkteurInnen, die hegemonial-männlichen Normennicht entsprechen, mehr<br />

Arbeit leisten müssen, um sich an die Bedingungen anzupassen, die die Nutzung <strong>de</strong>r<br />

Technologie erfor<strong>de</strong>rt. Eine Analyse von Gen<strong>de</strong>rskripten ziele <strong>de</strong>mnach auf die<br />

Untersuchung <strong>de</strong>r „Mechanismen <strong>de</strong>r Anpassung“ (Akrich 1992, 207). Um das Konzept<br />

<strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>rskriptes in <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>r bis hierher geführten Diskussion <strong>de</strong>s Kapitels<br />

einzuordnen, lässt sich zusammenfassen:<br />

Es geht bei <strong>de</strong>n Gen<strong>de</strong>rskripten nicht, wie in <strong>de</strong>n am Anfang dieses Kapitels<br />

dargestellten gängigen Interpretationen von Winners Brückenbeispiel, darum, dass ein<br />

sozialer Ausschluss absichtsvoll produziert wer<strong>de</strong>n soll, son<strong>de</strong>rn um einen impliziten<br />

Gen<strong>de</strong>ringprozess. Ebenso wenig wird dieses Skriptals ein zwangsläufig zu befolgen<strong>de</strong>r<br />

Ablauf gedacht In<strong>de</strong>m das Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>rskripts die Handlungsfähigkeit von<br />

NutzerInnen in <strong>de</strong>n Blick nimmt, betont es, dass sie das Skript variieren können – sei<br />

es im Sinne <strong>einer</strong> Anpassung, Ablehnung o<strong>de</strong>r <strong>einer</strong> modifizierten Aneignung. Damit<br />

wird <strong>de</strong>r Annahme, dass sich die expliziten o<strong>de</strong>r implizierten Gestaltungsziele eins-zueins<br />

in Auswirkungen <strong>de</strong>r Technologie umsetzen, entgegen getreten. We<strong>de</strong>r die<br />

Technologie noch die ausgegrenzte soziale Gruppe (z.B. bestimmte Gruppen von<br />

Männern o<strong>de</strong>r Frauen) wird essentialisiert. Das Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept richtet sich somit<br />

gegen Vorstellungen <strong>einer</strong> intentionalen Einschreibung von Ungleichheit in<br />

Technologie durch die TechnikgestalterInnen, die sich wie die Diskussion um Winners<br />

Thesen zeigte, als Verkürzungen erwiesen haben.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>s Spektrums von Ansätzen sozialwissenschaftlicher Technikforschung,<br />

welche die Verhältnisse zwischen Technologien und Gesellschaft zu fassen suchen,<br />

lässt sich das Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept aufgrund <strong>de</strong>s Rekurses auf das Skript-Konzept<br />

Akrichs im Rahmen <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie verorten. Mit <strong>de</strong>r expliziten Zielse-<br />

82


tzung, die Ein- und Ausschlüsse zu analysieren, welche eine Technologie hervorbringt,<br />

schließt es jedoch eher an feministische Ansätze, die für eine Verantwortlichkeit <strong>de</strong>r<br />

TechnikforscherInnen wie auch <strong>de</strong>r TechnologiegestalterInnen plädieren, als an ANT<br />

selbst an. Die Konsequenzen von Einschreibungsprozessen wer<strong>de</strong>n als politische<br />

verstan<strong>de</strong>n, da sie Verhaltensweisen normalisieren und die Zuständigkeiten von NutzerInnen<br />

und technischen Objekten neu verteilen. Akrich (1992) bezeichnet diese bei<strong>de</strong>n<br />

Aspekte als „moral <strong>de</strong>legation“ an die Technologie und als „geography of responsibilities“<br />

(Akrich 1992, 207). Ein weiterer Aspekt <strong>de</strong>s Politischen <strong>de</strong>r Artefakte bzw.<br />

Netzwerke wird integriert, in<strong>de</strong>m das Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>rskripts auch die Nichtnutzung<br />

als eine politische Konsequenz von Technologien versteht und diejenigen, die<br />

(implizit) ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n, in das Blickfeld <strong>de</strong>r Analyse rückt. Das Gen<strong>de</strong>rskript-<br />

Konzept bezieht zwar nicht explizit Position in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r symmetrischen Anthropologie.<br />

Da es jedoch <strong>de</strong>n Fokus auf die Nutzungssituationen und die Agency <strong>de</strong>r Nutzer-<br />

Innen legt, lässt sich das Konzept allerdings im Sinne <strong>einer</strong> asymmetrischen Sicht auf<br />

das Verhältnis zwischen Menschen und Artefakten (um)<strong>de</strong>uten, so wie es Barad und<br />

Suchman vorgeschlagen haben.<br />

Technologien wer<strong>de</strong>n im Gen<strong>de</strong>rskript-Ansatz als politische Projekte angesehen.<br />

Denn bereits Akrich hielt fest, dass die Prozesse <strong>de</strong>r Einschreibung zu <strong>de</strong>m Ergebnis<br />

führten, dass technische Artefakte Skripte enthalten, welche Strukturen <strong>de</strong>r Ungleichheit<br />

zementieren und unsichtbar machen o<strong>de</strong>r auch aufbrechen können: „It makes<br />

sense that technical objects have political strength. They may change social relations,<br />

but they also stabilize, naturalize and <strong>de</strong>politicize, and translate them into other media.<br />

After the event, the processes involved in building up technical objects are concealed.<br />

The causal links they established are naturalized“ (Akrich 1992, 222). Akrich betont<br />

hier <strong>einer</strong>seits <strong>de</strong>n festschreiben<strong>de</strong>n Charakter eines technologischen Skripts, <strong>de</strong>r<br />

primär durch die Unsichtbarmachung bzw. Naturalisierung eingeschriebener gesellschaftlicher<br />

Strukturen zustan<strong>de</strong> kommt. An<strong>de</strong>rerseits weist sie aber auch auf die<br />

Möglichkeit <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung sozialer Beziehungen in diesem Prozess hin.<br />

Einschreibungen können damit einem normativen, emanzipatorischen Anspruch<br />

folgen. Genau dieser Doppelcharakter, die Festschreibung <strong>de</strong>r Kategorie Geschlecht<br />

durch Technologien analysieren zu können und zugleich für eine potentielle<br />

Umgestaltung offen zu sein, macht <strong>de</strong>n Ansatz für die Konzeptualisierung von<br />

Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozessen attraktiv.<br />

Soweit betrachtet sprechen viele Argumente dafür, im Rahmen dieser Arbeit <strong>de</strong>r<br />

Analyse von Gen<strong>de</strong>ringprozessen <strong>informatischer</strong> Artefakte sowie ihrem De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

das Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept zugrun<strong>de</strong> zu legen. Denn es setzte wesentliche Aspekte, die<br />

bislang als theoretische Voraussetzung herausgearbeitet wur<strong>de</strong>n, konzeptuell um.<br />

Dass es bereits in Fallstudien über Informationstechnologien, speziell Digitaler Stadtinformationssysteme<br />

(vgl. etwa Rommes 2002), eingesetzt wur<strong>de</strong>, zeigt, dass sich das<br />

Konzept für dieses Vorhaben eignet. Dennoch birgt das Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept drei<br />

wesentliche Probleme. Erstens wird <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Skripts an sich, d.h. ohne <strong>de</strong>n<br />

differenzierten Theoriebezug, auf <strong>de</strong>n er aufbaut, häufig naiv als Prozess <strong>de</strong>r<br />

Einschreibung <strong>de</strong>s Sozialen (bzw. von Geschlecht) in Technik missverstan<strong>de</strong>n.<br />

Zweitens bleiben Fallstudien, die mit <strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept arbeiten, häufig hinter<br />

<strong>de</strong>n theoretischen Ansprüchen <strong>de</strong>s Konzeptes zurück. Und drittens ist das Konzept<br />

stark auf solche informatische Artefakte beschränkt, die für <strong>de</strong>n direkten Anwendungs-<br />

83


kontext entwickelt wer<strong>de</strong>n, so dass es Gen<strong>de</strong>ringprozesse, die nicht im Nutzungszusammenhang<br />

entstehen, nicht in <strong>de</strong>n Blick zu nehmen vermag. Diese Probleme<br />

wer<strong>de</strong>n weiter unten ausführlich diskutiert.<br />

Das erste Problem tritt insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Informatik auf, wo <strong>de</strong>r Skriptbegriff eine<br />

wohl<strong>de</strong>finierte Be<strong>de</strong>utung erhalten hat. Dort bezeichnen Skripte kleine Programme, die<br />

ein striktes Protokoll darstellen, bei <strong>de</strong>m je<strong>de</strong>r noch so kleine Schritt <strong>de</strong>s technischen<br />

Systems sowie <strong>de</strong>r Bedienung <strong>de</strong>r Technologie im Vorhinein festgelegt wird. Deshalb<br />

ist zu vermuten, dass <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>rskripts in <strong>de</strong>r Informatik eher in <strong>de</strong>m Sinne<br />

verstan<strong>de</strong>n wird, dass ein männlicher Entwickler seine persönliche Absicht <strong>de</strong>r<br />

Geschlechtsfestlegung o<strong>de</strong>r -diskrimierung mehr o<strong>de</strong>r weniger bewusst in das Artefakt<br />

einschreibt – ganz wie dies auch bei Winners Brücken angenommen wur<strong>de</strong>. O<strong>de</strong>r sie<br />

nehmen an, dass <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichungsprozess, <strong>de</strong>r durch ein Gen<strong>de</strong>rskript<br />

beschrieben wird, allein auf die Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>rjenigen, die die Technologie<br />

gestalten, zurückzuführen ist. Trotz aller Bemühungen Akrichs, <strong>de</strong>n Interpretationen<br />

absichtsvoller o<strong>de</strong>r essentialistischer Einschreibung entgegenzuwirken, wird <strong>de</strong>r Skript-<br />

Begriff auch im allgemeinen Verständnis oft eher technik<strong>de</strong>terministisch gelesen.<br />

Gegen seine Deutung als ein striktes Protokoll hat auch ihr expliziter Vergleich mit<br />

einem Drehbuch für einen Film, das mehr o<strong>de</strong>r weniger genau von <strong>de</strong>n Akteuren<br />

ausgeführt wird, wenig ausrichten können: „like a film script, technical objects <strong>de</strong>fine a<br />

framework of action together with the actors and the space in which they are supposed<br />

to act“ (Akrich 1992, 208).<br />

Soziologische TechnikforscherInnen wie Gabriele Winker kritisieren tatsächlich<br />

einen latenten Essentialismus <strong>de</strong>s Skript- bzw. Gen<strong>de</strong>rskriptkonzepts. So wer<strong>de</strong> in<br />

diesen vorausgesetzt, was es aus <strong>einer</strong> konstruktivistischen Position heraus erst zu<br />

untersuchen gelte: „Artefakte, die unhinterfragt als Technik bezeichnet wer<strong>de</strong>n.“ (Winker<br />

2005, 56). Es bliebe unklar, „was konkret in sozialen Interaktionen geschieht, in<br />

<strong>de</strong>nen es zur Herausbildung von Geschlechtsi<strong>de</strong>ntitäten über die Konstruktion von<br />

Technik und zur Produktion vergeschlechtlichter Technik kommt“ (ebd., 57). Das Wie<br />

<strong>de</strong>r Konstruktionsprozesse von Geschlecht gelte es zukünftig zu bearbeiten. Sie sieht<br />

darin jedoch ein Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rat, das sich in <strong>de</strong>r Geschlechterforschung zeige.<br />

Während sich damit die Kritik an <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Konzeptualisierung <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichungsprozesse relativiert, bliebe <strong>de</strong>r Vorwurf <strong>de</strong>s Technik<strong>de</strong>terminismus<br />

und -essentialismus weiterhin bestehen.<br />

Läge das Problem nur auf <strong>einer</strong> terminologischen Ebene, so ließe sich, um Missverständnisse<br />

zu vermei<strong>de</strong>n, ein an<strong>de</strong>rer Terminus verwen<strong>de</strong>n. Dazu bieten sich die Begriffe<br />

<strong>de</strong>r „Konfiguration“ o<strong>de</strong>r – wie Suchman vorschlägt – <strong>de</strong>r „Re-Konfiguration“ an.<br />

Tatsächlich hat <strong>de</strong>r Technikforscher Steve Woolgar mit <strong>de</strong>m „Configuring the User“<br />

(Woolgar 1991b) ein ähnliches Konzept wie Akrich vorgestellt, das auf Vorgehensweisen,<br />

die technologische Artefakte <strong>de</strong>n NutzerInnen nahe legen, fokussiert: „[B]y<br />

setting parameters for the user’s actions, the evolving machine effectively attempts to<br />

configure the user“ (Woolgar 1991b, 61). Das Konzept <strong>de</strong>r Konfigurierung <strong>de</strong>r Nutzer-<br />

Innen ist aus seinen Untersuchungen zur Metapher „Maschine als Text“ hervorgegangen,<br />

die auf die Dekonstruktion von Maschinen als Objekten zielen. „The i<strong>de</strong>a is to begin<br />

with the supposition that the nature and capacity of the machine is, at least in principle,<br />

interpretatively flexible. This then sets the frame for an examination of the processes<br />

of construction (writing) and use (reading) of the machine; the relation between<br />

84


ea<strong>de</strong>rs and writers is un<strong>de</strong>rstood as mediated by the machine and by interpretations of<br />

what the machine is, what it’s for, what it can do. To suggest that machines are texts is,<br />

of course, to <strong>de</strong>construct <strong>de</strong>finitive versions of what machines can do“ (Woolgar 1991b,<br />

60).<br />

Woolgar geht damit von einem semiotischen Ansatz aus, <strong>de</strong>r die Untersuchung <strong>de</strong>r<br />

Herstellung von Be<strong>de</strong>utungen von Zeichen auf technische Objekte überträgt. NutzerIn<br />

wer<strong>de</strong>n als LeserInnen konzipiert, die versuchen, <strong>de</strong>n Text zu <strong>de</strong>kodieren, <strong>de</strong>n<br />

TechnikgestalterInnen <strong>de</strong>r Technologie eingeschrieben, d.h. kodiert haben.<br />

Technologie (Text) stellt <strong>de</strong>mzufolge – wie auch in vielen medienwissenschaftlichen<br />

Ansätzen – eine wesentliche Funktion <strong>de</strong>r Verknüpfung von GestalterInnen (AutorInnen)<br />

und NutzerInnen (LeserInnen) dar. Woolgars Verständnis <strong>de</strong>r NutzerInnen betont<br />

die interpretative Flexibilität <strong>de</strong>r Artefakte und fragt nach Prozessen <strong>de</strong>r Schließung<br />

und <strong>de</strong>r Stabilisierung von Technologie – eine Perspektive, die die VertreterInnen <strong>de</strong>s<br />

SCOT-Ansatzes bereits konzeptuell in die sozialwissenschaftliche Technikforschung<br />

eingebracht hatten. Während SCOT jedoch die Aushandlungen zwischen sozial<br />

relevanten Gruppen in <strong>de</strong>n Mittelpunkt stellt, fokussiert Woolgar auf Prozesse <strong>de</strong>r<br />

Gestaltung, welche die interpretative Flexibilität <strong>de</strong>r Technologie beschränken.<br />

NutzerInnen wür<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m Sinne konfiguriert, dass ihre Möglichkeit Maschinen zu „lesen“<br />

durch die jeweilige Konzeption, Entwicklung und Gestaltung <strong>de</strong>r Technologie<br />

gelenkt wer<strong>de</strong>n. Die Konfiguration <strong>de</strong>r NutzerInnen umfasse „<strong>de</strong>fining the i<strong>de</strong>ntity of<br />

the putative users, and setting constraints upon their likely future actions“ (Woolgar<br />

1991b, 59). Damit wird Technikgestaltung als ein Prozess <strong>de</strong>r sozialen Konstruktion<br />

von NutzerInnen begriffen, <strong>de</strong>r zugleich das Ausmaß <strong>de</strong>rjenigen Handlungen festlegt,<br />

die die Maschine zulässt, und damit die Grenzen zwischen NutzerInnen und<br />

Maschinen bestimmt.<br />

Woolgar entwickelte das Konzept <strong>de</strong>r Konfigurierung von NutzerInnen in <strong>de</strong>n 1980er<br />

Jahren anhand von ethnografischen Studien bei einem Hersteller von Personalcomputern<br />

über <strong>de</strong>ren Untersuchungen zur Gebrauchstauglichkeit. In diesen zeigte<br />

sich, dass verschie<strong>de</strong>ne Gruppen und Individuen an <strong>de</strong>r sozialen Konstruktion <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen beteiligt waren, wie etwa Hardware-IngenieurInnen, ProduktingenieurInnen,<br />

ProjektmanagerInnen, Verkaufspersonal, technischer Support, Finanz- und<br />

Controlling- sowie Rechtsabteilungen, die jeweils unterschiedliche und zeitlich variieren<strong>de</strong><br />

Vorstellungen davon hatten „what the user is like“ (ebd., 81). Das Wissen über<br />

die NutzerInnen war in <strong>de</strong>r Firma ungleich verteilt. Diejenigen, <strong>de</strong>ren Tätigkeit stärker<br />

auf die NutzerInnen ausgerichtet war (beispielsweise technische RedakteurInnen, die<br />

die technische Dokumentation erstellten, o<strong>de</strong>r die MitarbeiterInnen <strong>de</strong>s technischen<br />

Supports), beklagten ein mangeln<strong>de</strong>s Wissen über die NutzerInnen auf Seiten<br />

ingenieurwissenschaftlicher Abteilungen. Letztere dagegen warnten davor, die Sichtweisen<br />

<strong>de</strong>r NutzerInnen zu ernst zu nehmen, da sie die Technologie nicht verstün<strong>de</strong>n<br />

und <strong>de</strong>shalb nicht wüssten, was sie sich von <strong>de</strong>m Artefakt wünschten und erwarteten.<br />

Die Technologie solle besser an <strong>de</strong>n Entwicklungen <strong>de</strong>s Marktes und an <strong>de</strong>r Zukunft<br />

<strong>de</strong>r Informationstechnologien ausgerichtet wer<strong>de</strong>n. NutzerInnen wur<strong>de</strong>n innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Firma also nicht als eine kohärente Gruppe bestimmt. Daraus zog Woolgar <strong>de</strong>n<br />

Schluss, dass die Geschichte von Technologieentwicklungsprojekten eher als<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung innerhalb eines soziotechnischen Netzwerkes zu lesen sei,<br />

welches die NutzerInnen konfiguriere (d.h. <strong>de</strong>finiere, befähige und beschränke).<br />

85


Auf <strong>de</strong>n ersten Blick scheint <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Konfigurierung von NutzerInnen für <strong>de</strong>n<br />

Zweck, die Geschlecht festschreiben<strong>de</strong> Wirkung von Artefakten zu charakterisieren,<br />

gut geeignet. Er legt essentialistische o<strong>de</strong>r technik<strong>de</strong>terministische Mißinterpretationen<br />

weniger nahe als Akrichs Skriptbegriff. Die Vorstellung <strong>einer</strong> „Konfigurierung <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen“ führt nicht so leicht dazu, einen absichtsvollen Vorgang <strong>de</strong>r Einschreibung<br />

von Ungleichheit in die technischen Artefakte anzunehmen. Allerdings wird <strong>de</strong>m<br />

Konzept vorgeworfen, dass es die Konfigurierung <strong>de</strong>r NutzerInnen als einen einseitigen<br />

Prozess verstehe (vgl. Mackay et al. 2000, Oudshoorn/ Pinch 2003a). Es sei symmetrisch<br />

zu berücksichtigen, dass auch die NutzerInnen Arbeit <strong>de</strong>r Dekodierung (<strong>de</strong>s Textes,<br />

<strong>de</strong>r Maschine) leisteten, und außer<strong>de</strong>m anzuerkennen, dass nicht nur NutzerInnen,<br />

son<strong>de</strong>rn umgekehrt auch die TechnikgestalterInnen – durch die NutzerInnen wie<br />

durch die Organisation, für die sie arbeiten – konfiguriert wür<strong>de</strong>n. 148 Im Vergleich dazu<br />

beschreibt das Skript-Konzept sowohl TechnikgestalterInnen wie NutzerInnen als aktiv<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>.<br />

Der für <strong>de</strong>n Kontext hier entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Vorteil <strong>de</strong>s Skript-Konzepts gegenüber <strong>de</strong>r<br />

„Konfigurierung von NutzerInnen“ liegt darüber hinaus darin, dass es bereits umfangreich<br />

für die Gen<strong>de</strong>ranalyse eingesetzt wur<strong>de</strong>, während das von Woolgar vorgeschlagene<br />

Analyseverfahren bislang nicht intensiv für die Untersuchung von Prozessen <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring und De-Gen<strong>de</strong>ring genutzt wird. Um in dieser Arbeit von <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r<br />

Konfigurierung von NutzerInnen ausgehen zu können, muss zunächst die Frage<br />

beantwortet wer<strong>de</strong>n, wie Geschlecht darin gefasst wer<strong>de</strong>n kann. Aufgrund dieser<br />

bisherigen Leerstelle erscheint <strong>de</strong>r Skript- bzw. Gen<strong>de</strong>rskript-Begriff für diese Arbeit<br />

besser geeignet als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Konfigurierung, auch wenn bei<strong>de</strong> Ansätze konzeptuell<br />

starke Ähnlichkeiten aufweisen.<br />

Mit ihrem Begriff <strong>de</strong>r „Mensch-Maschine-Rekonfigurationen“ geht Suchman davon<br />

aus, dass die Verhältnisse von Mensch und Maschine gegenwärtig in einem<br />

umfassen<strong>de</strong>ren Sinne gestaltet wer<strong>de</strong>n als von Woolgar angenommen, <strong>de</strong>r<br />

ausschließlich auf die Konfigurierung <strong>de</strong>r NutzerInnen fokussiert. Sie zielt zugleich<br />

darauf, <strong>de</strong>n Prozess als Rekonfiguration, d.h. Umgestaltung zu begreifen, die sie<br />

<strong>einer</strong>seits analytisch, an<strong>de</strong>rerseits visionär-<strong>kritisch</strong> fasst. „My aim […] is to rethink the<br />

intracate, and increasingly intimate, configurations of the human and the machine“<br />

(Suchman 2007, 1). Für das Ziel <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit, auf ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r<br />

Artefakte hinzuwirken, ist diese Perspektive attraktiv. Eine notwendige Voraussetzung,<br />

Verän<strong>de</strong>rung in dieser Weise <strong>de</strong>nken zu können, ist es jedoch, herkömmliche<br />

festgefahrene Vorstellungen von TechniknutzerInnen, TechnikgestalterInnen und <strong>de</strong>ren<br />

Verhältnissen aufzugeben. So bemängelt etwa Suchman an <strong>de</strong>m Konzept <strong>de</strong>r Konfigurierung<br />

<strong>de</strong>r NutzerInnen und <strong>de</strong>m Skript-Konzept, diese wür<strong>de</strong>n trotz ihrer sorgfältigen<br />

Aufmerksamkeit für die Kontingenzen von Gestaltung und Nutzung „leave in place an<br />

overrationalized figure of the <strong>de</strong>signer as actor, and an overestimation of the ways and<br />

the extend to which <strong>de</strong>finitions of users and use can be inscribed into an artifact“<br />

(Suchman 2007, 192). Woolgar und Akrich wür<strong>de</strong>n vermutlich zustimmen, dass es<br />

148 Woolgars Konzept – wie auch das Skriptkonzept – wird kritisiert vorgeworfen, dass es die Sichtweise<br />

auf die Frage, wer an <strong>de</strong>r Konfigurationsarbeit beteiligt ist, auf TechnikgestalterInnen und die in <strong>de</strong>r<br />

herstellen<strong>de</strong>n Firma vertretenen AkteurInnen verenge. Nachfolgen<strong>de</strong> Ansätze erweiterten das jeweilige<br />

Konzept um die Beteiligung von JournalistInnen, öffentlichen Einrichtungen, PolitikerInnen und sozialen<br />

Bewegungen, aber auch die von NutzerInnen; vgl. hierzu die Beiträge in Oudshoorn/ Pinch 2003a sowie<br />

Mackay et al. 2000.<br />

86


we<strong>de</strong>r eine feste Perspektive <strong>de</strong>r GestalterInnen auf die NutzerInnen gibt, noch<br />

Imaginationen von NutzerInnen und Nutzung vollständig und in kohärenter Form in die<br />

technischen Artefakte eingeschrieben wer<strong>de</strong>n könnten. 149 Suchman schlägt vor, die<br />

Vorstellungen <strong>de</strong>r GestalterInnen von <strong>de</strong>n NutzerInnen <strong>einer</strong>seits spezifischer in <strong>de</strong>n<br />

vielfältigen Räumen, Imaginationen, Erfor<strong>de</strong>rnissen und Praktiken professionellen<br />

Designs zu verorten sowie an<strong>de</strong>rerseits allgem<strong>einer</strong> in folgen<strong>de</strong>m Sinne zu verstehen:<br />

„artifacts are characterized by greater open-en<strong>de</strong>dness and in<strong>de</strong>terminancy with<br />

respect to the question of how they might be incorporated into use. The ‚user‘ is, in<br />

other words, more vaguely figured, the object more <strong>de</strong>eply ambiguous“ (Suchman<br />

2007, 193). Sie kritisiert damit genau genommen, dass we<strong>de</strong>r das Skript-Konzept noch<br />

das <strong>de</strong>r „Konfigurierung <strong>de</strong>r NutzerInnen“ <strong>de</strong>r eigenen theoretischen Grundlegung, <strong>de</strong>r<br />

Akteur-Netzwerk-Theorie, genügend gerecht wer<strong>de</strong>n. Denn ANT zufolge müsste das,<br />

was als Artefakt o<strong>de</strong>r wer als NutzerIn gilt, sowie <strong>de</strong>ren situierte Grenzziehungen<br />

sorgfältig rekonstruiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Mit ihrem Begriff <strong>de</strong>r „Mensch-Maschine-Rekonfiguration“ im Titel ihres Buches formuliert<br />

Suchman (2007) meines Erachtens zumin<strong>de</strong>st indirekt noch eine weitere, viel<br />

grundlegen<strong>de</strong>re Kritik an Akrichs und auch Woolgars Konzepten. Denn dieser Begriff<br />

umfasst die Frage nach <strong>de</strong>n aktuellen Rekonfigurationen <strong>de</strong>s Humanen in und durch<br />

Technologientwicklungen, die weit über die Konfiguration <strong>de</strong>r NutzerInnen hinausgeht<br />

und insbeson<strong>de</strong>re für die Analyse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte aufschlussreich<br />

ist, konnte doch aus feministischer Perspektive anhand von Definitionen <strong>de</strong>s<br />

Menschlichen historisch immer wie<strong>de</strong>r aufgezeigt wer<strong>de</strong>n, dass das menschliche Subjekt<br />

als ‚männlich‘ gedacht wird 150 . So betrachtet reichen Konzepte, die auf die Repräsentation<br />

von NutzerInnen durch die GestalterInnen fokussieren, selbst wenn sie als<br />

flexibel und situiert verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, nicht aus, um Gen<strong>de</strong>ringprozesse <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte umfassend zu konzeptualisieren. Akrichs und Woolgars Begriffe<br />

vermögen solche Einschreibungen, die sich nicht auf eine konkrete Anwendung, einen<br />

spezifischen Nutzungskontext o<strong>de</strong>r eine einzelne NutzerInnengruppe beziehen, nicht<br />

zu charakterisieren. Informatik lässt sich jedoch nicht allein auf Software- und Anwendungsentwicklung<br />

reduzieren. Die Disziplin umfasst zugleich die Entwicklung von<br />

Metho<strong>de</strong>nwissen, von Grundlagenforschung und Konzepten, die nicht notwendigerweise<br />

sofort auf eine praktische Umsetzung zielen. Beson<strong>de</strong>rs provokativ erscheinen dabei<br />

diejenigen Technologien, die traditionelle Grenzziehungen zwischen Mensch und<br />

Maschine verschieben und neu konfigurieren o<strong>de</strong>r tief greifen<strong>de</strong> Eingriffe in das versprechen,<br />

was wir „sehen“ und wahrnehmen bzw. wie wir <strong>de</strong>nken, fühlen und sozial<br />

interagieren. Dazu gehören beispielsweise informatische Mo<strong>de</strong>llierungsmetho<strong>de</strong>n wie<br />

die Objektorientierte Analyse und Design, Repräsentationen und Klassifikationen von<br />

Information wie etwa durch das Semantic Web und mittels Ontologien o<strong>de</strong>r übergreifen<strong>de</strong><br />

Projekte wie das <strong>de</strong>r menschenähnlichen Maschinen in <strong>de</strong>r Künstlichen Intelli-<br />

149 Vgl. hierzu Stewart und Williams, die in ähnlicher Weise argumentieren, wenn sie behaupten, dass das<br />

Skript- und das Konfigurierungskonzept auf <strong>de</strong>r Sichtweise grün<strong>de</strong>ten, „that <strong>de</strong>sign incorporates a comprehensive<br />

representation of the inten<strong>de</strong>d users, their purposes and the context of use“ (Stewart/ Williams<br />

2005, 46, Hervorhebung im Orig.). Sie begrüßen zwar die zunehmen<strong>de</strong> Ten<strong>de</strong>nz zur Anwen<strong>de</strong>rInnenorientierung,<br />

allerdings sei die Falle <strong>de</strong>s so genannten Gestaltungstrugschlusses zu vermei<strong>de</strong>n: „the<br />

presumption that the primary solution to meeting users needs is to build ever more extensive knowledge<br />

about the specific context and purposes of various users into technology <strong>de</strong>sign“ (ebd., 44).<br />

150 Vgl. etwa Bußmann/ Hof 2005 sowie speziell für die Subjektkonzeption in <strong>de</strong>r Philosophie Klinger 2005.<br />

87


genzforschung. Auch in diesen informatischen Artefakten können Vorstellungen über<br />

„<strong>de</strong>n Menschen“, über bestimmte Personengruppen, über „die Welt“ o<strong>de</strong>r einen ihrer<br />

Ausschnitte, d.h. wissenschaftstheoretische Setzungen und ontologische Aussagen<br />

enthalten sein, die sich bei genauerer Betrachtung zwar als vergeschlechtlicht erweisen,<br />

aber nicht mit <strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept erfasst wer<strong>de</strong>n können, das<br />

ausschließlich auf die Nutzung zentriert ist.<br />

Um das Gen<strong>de</strong>ring auch auf dieser Ebene fassen zu können, ist es nicht nur<br />

notwendig, <strong>de</strong>n theoretischen Rahmen so zu erweitern, wie er in <strong>de</strong>n voraus gegangenen<br />

Kapiteln 3.4 bis 3.6 entwickelt wur<strong>de</strong>. Vielmehr ist hier zugleich ein differenzierteres<br />

Verständnis von Vergeschlechtlichungsprozessen gefragt. Aufgrund <strong>de</strong>r bisherigen<br />

Diskussionen in diesem Kapitel ist also ein Ansatz gesucht, <strong>de</strong>r die gleichzeitige<br />

Produktion von Technologie und Geschlecht erklärt, ohne auf <strong>einer</strong> essentialistischen<br />

Unterscheidung zwischen Menschen und Maschinen zu beruhen (d.h. <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Lage<br />

ist, zu analysieren, wie sowohl Menschen und Maschinen als auch die Verteilung von<br />

Handlungsfähigkeit zwischen ihnen konstituiert wer<strong>de</strong>n), <strong>de</strong>r gleichzeitig <strong>de</strong>n politischen<br />

Charakter von Artefakten anerkennt (d.h. unter an<strong>de</strong>rem <strong>de</strong>ren Vergeschlechtlichung)<br />

und darüber hinaus Vorschläge zur (feministischen) Intervention in soziomaterielle<br />

bzw. materiell-diskursive Praktiken <strong>de</strong>r Technowissenschaften (d.h. zum De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring informationstechnologischer Artefakte) zu machen vermag. Barads Konzept<br />

<strong>de</strong>s Agential Realism zusammen mit Suchmans Überlegungen zu <strong>de</strong>n Mensch-<br />

Maschine-Rekonfigurationen liefern dafür eine Basis, die nun um ein Konzept zu<br />

ergänzen und konkretisieren ist, welches <strong>de</strong>n Prozess und die Prozesshaftigkeit <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte zu erfassen vermag.<br />

3.8. Posthumanistische Performativität und Ko-Materialisierung von<br />

Technologie und Geschlecht<br />

Die Grundi<strong>de</strong>e für das Verständnis <strong>de</strong>r Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Artefakten,<br />

die ich im Folgen<strong>de</strong>n vorschlagen möchte, besteht darin, diese Prozesse<br />

performativ aufzufassen. Zentral ist dabei <strong>de</strong>r Rückgriff auf Judith Butlers Konzept <strong>de</strong>r<br />

Performativität, welches die allmähliche Verfestigung von biologischen Körpern als<br />

Frauen o<strong>de</strong>r Männer durch das für alle Beteiligten zwangsläufige Zitieren von Normen<br />

beschreibt. Während Butlers Performanzbegriff, <strong>de</strong>r die Theatralität von Handlungen<br />

betont und eine gewisse Wahlfreiheit <strong>de</strong>r Selbstrepräsentation in Aussicht stellt, hinterfragt<br />

ihr Performativitätsbegriff die Vorstellung eines autonom und intentional han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />

Subjekts. Gen<strong>de</strong>r performativ zu verstehen heißt, keine Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität<br />

„hinter“ <strong>de</strong>n Ausdrucksformen von Geschlecht anzunehmen. I<strong>de</strong>ntität wer<strong>de</strong> vielmehr<br />

gera<strong>de</strong> durch diese Äußerungen erst hervorgebracht. „So what I’m trying to do is think<br />

about performativity as that aspect of discourse that has the capacity to produce what it<br />

names. […] Then I take a further step, through the Derri<strong>de</strong>an rewriting of Austin, and<br />

suggest that this production actually always happens through a certain kind of<br />

repetition and recitation. […] Performativity is the discursive mo<strong>de</strong> by which ontological<br />

effects are installed” (Butler 1994, 34). Butler versteht also biologische Körper im<br />

Anschluss an Derrida nicht als Substrat, son<strong>de</strong>rn als Effekt von Diskurs und Praxis <strong>de</strong>r<br />

Signifikation. Sie stellt damit die in <strong>de</strong>r Frauen- und Geschlechterforschung lange Zeit<br />

88


vorherrschen<strong>de</strong> analytische Unterscheidung zwischen Sex (biologisches Geschlecht)<br />

und Gen<strong>de</strong>r (sozio-kulturelles Geschlecht) prinzipiell infrage, 151 die ein biologisches<br />

Geschlecht annimmt und in großen Teilen <strong>de</strong>r feministischen Theorie dazu diente,<br />

sozio-kulturelle Unterschie<strong>de</strong> und hierarchische Verhältnisse zwischen Frauen und<br />

Männern davon getrennt zu betrachten, sie in ihrer historischen Konstituiertheit zu<br />

rekonstruieren und ihnen entgegenzuwirken. Biologische Geschlechtskörper gelten<br />

Butler <strong>de</strong>mgegenüner nicht als <strong>de</strong>r Sprache vorgängig und nicht als ursächlich für<br />

Geschlechterdifferenzen und -hierarchien, son<strong>de</strong>rn entstün<strong>de</strong>n erst in und durch<br />

diskursive Praktiken.<br />

Wenn es jedoch keine vordiskursive Geschlechterdifferenz gibt, so stellt sich die<br />

Frage, wie die natürlich erscheinen<strong>de</strong> Geschlechterordnung, das Zweigeschlechtlichkeitssystem<br />

entstan<strong>de</strong>n ist und hergestellt wird. Nach Butler ist Geschlecht durch <strong>de</strong>n<br />

kulturellen Produktionsapparat hervorgebracht, <strong>de</strong>r Denksysteme, Sprachregeln, wissenschaftliche<br />

Diskurse und politische Interessen umfasst. Darauf, dass sie selbst<br />

dabei Maschinen und Technowissenschaften nicht integriert, wird im Folgen<strong>de</strong>n noch<br />

einzugehen sein. Soziales Geschlecht wer<strong>de</strong> aufgrund verwischter Machtsedimentierungen<br />

als biologisches gedacht. Diskurse können damit körperlich-materielle<br />

Gestalt annehmen. Das Performativitätskonzept verweist damit insgesamt auf die Fähigkeit<br />

sprachlicher Diskurse, körperliche Materialität zu produzieren.<br />

Butler setzt im Prozess <strong>de</strong>r Materialisierung bestehen<strong>de</strong>r Normen we<strong>de</strong>r ein ursprüngliches<br />

Original dieser Normen voraus, noch die Möglichkeit <strong>einer</strong> perfekten<br />

Kopie, welche dieses eigentliche Original unverfälscht wie<strong>de</strong>rgibt. Vielmehr bestehe<br />

Geschlecht „aus <strong>einer</strong> Kette von Resignifizierungen […], <strong>de</strong>ren Ursprung und En<strong>de</strong><br />

nicht feststehen und nicht feststellbar sind“ (Butler 1998 [1997], 27). Soziale Normen<br />

müssen ihr zufolge in <strong>einer</strong> ständigen Wie<strong>de</strong>rholung aktualisiert wer<strong>de</strong>n, um erhalten<br />

zu bleiben. „Daß diese ständige Wie<strong>de</strong>rholung notwendig ist, zeigt, dass die Materialisierung<br />

nie ganz vollen<strong>de</strong>t ist, dass die Körper sich nie völlig <strong>de</strong>n Normen fügen, mit<br />

<strong>de</strong>nen ihre Materialisierung erzwungen wird“ (Butler 1995 [1993], 21). Butler verweist<br />

damit auf <strong>de</strong>n kontingenten, provisorischen und gestalteten Charakter von biologischen<br />

Körpern, <strong>de</strong>ren Geschlechtzuweisung gelingen, aber auch fehlschlagen kann.<br />

Wesentlich für das Konzept <strong>de</strong>r Performativität ist <strong>de</strong>mnach, dass Geschlecht nicht<br />

in einem einzelnen Akt entsteht, son<strong>de</strong>rn als „ständig wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong> und zitieren<strong>de</strong><br />

Praxis“ (Butler 1995 [1993], 22) aufzufassen ist. Das be<strong>de</strong>utet, dass Geschlecht keine<br />

feststehen<strong>de</strong> Größe ist, son<strong>de</strong>rn stets durch eine ritualisierte Wie<strong>de</strong>rholung und durch<br />

Zitieren, d.h. durch <strong>de</strong>n Bezug auf vorangegangene Äußerungen von Geschlecht,<br />

wie<strong>de</strong>rhergestellt wird. „Wenn eine performative Äußerung vorläufig erfolgreich ist (und<br />

ich schlage vor, dass ‚Erfolg‘ immer nur vorläufig ist), dann […] nur <strong>de</strong>swegen, weil die<br />

(Sprech-)Handlung frühere (Sprech-)Handlungen echogleich wie<strong>de</strong>rgibt und die Kraft<br />

<strong>de</strong>r Autorität durch die Wie<strong>de</strong>rholungen o<strong>de</strong>r durch das Zitieren <strong>einer</strong> Reihe vorgängiger<br />

autoritativer Praktiken akkumuliert“ (Butler 1995 [1993], 299, Hervorhebung im<br />

Orig.). Die performative Äußerung wird erst dann als solche erkennbar und effizient<br />

wirksam, wenn sie sich auf das jeweilig vorherrschen<strong>de</strong> System gesellschaftlich anerkannter<br />

Normen bezieht, zu <strong>de</strong>m insbeson<strong>de</strong>re das normativ-kulturelle Konstrukt <strong>de</strong>r<br />

151 Vgl. Butler 1991 [1990]; für eine zusammenfassen<strong>de</strong> Darstellung <strong>de</strong>r so genannten Sex-Gen<strong>de</strong>r-<br />

Debatte siehe auch Knapp 2000.<br />

89


heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit gehört. Normen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mzufolge nie auf die<br />

gleiche Weise zitiert. Eine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Kontexts <strong>einer</strong> Äußerung verän<strong>de</strong>rt auch<br />

<strong>de</strong>ssen Be<strong>de</strong>utung, kann diese außer Kraft setzen o<strong>de</strong>r auch die Norm verän<strong>de</strong>rn. Die<br />

Möglichkeit <strong>kritisch</strong>er Intervention bzw. Subversion von Geschlechternormen lässt sich<br />

damit in <strong>de</strong>r Zitatförmigkeit verorten. Dabei ist jedoch zu be<strong>de</strong>nken, dass Wi<strong>de</strong>rständigkeit<br />

gegenüber <strong>de</strong>n vorherrschen<strong>de</strong>n Konventionen in Form von Be<strong>de</strong>utungsverschiebungen<br />

bereits als Teil <strong>de</strong>s Performativen integriert und damit <strong>de</strong>r Macht immanent ist.<br />

Butlers Konzept <strong>de</strong>r Performativität ist breit rezipiert wor<strong>de</strong>n und hat verschie<strong>de</strong>ne<br />

Strömungen <strong>de</strong>r feministischen Theoriebildung inspiriert, die sich mit <strong>de</strong>r Konstitution<br />

biologischer Körper beschäftigen. Das Körpergeschlecht gilt auf dieser Grundlage als<br />

ständig neu hervorgebracht durch performative Akte, wobei sich die Körper selbst in<br />

diesem Prozess erst materialisieren. Diese Vorstellung wird neuerdings von feministischen<br />

Naturwissenschafts- und Technikwissenschaftsforscherinnen aufgegriffen, um<br />

die Materialisierung und Vergeschlechtlichung von nicht-menschlichen Körpern, insbeson<strong>de</strong>re<br />

Materie und Technologie zu beschreiben. In <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

mit Vorschlägen von Winker, Barad und Suchman möchte ich abschließend<br />

ein Konzept <strong>de</strong>r Gen<strong>de</strong>ring von Artefakten entwickeln, das Butlers Performativitiätskonzept<br />

nutzt und für die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit tragfähig macht.<br />

Gabriele Winker entwickelt ein Konzept <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technik und<br />

Geschlecht. Dabei geht sie in Anlehnung an Butlers Ansatz davon aus, dass aus<br />

Artefakten nicht automatisch „Technik“ wird, „son<strong>de</strong>rn – vergleichbar <strong>de</strong>m vergeschlechtlichten<br />

Körper – Artefakte erst im Diskurs technisiert, als High-Tech-Produkte<br />

hervorgebracht und damit mächtig, beachtenswert und im Zuge <strong>de</strong>ssen männlich<br />

konnotiert wer<strong>de</strong>n“ (Winker 2005, 59). Technische bzw. technisierte Artefakte wür<strong>de</strong>n<br />

somit zusammen mit Geschlechtlichkeit durch zitatförmige Wie<strong>de</strong>rholungen <strong>einer</strong><br />

diskursiven Ordnung erzeugt. Menschliche und nicht-menschliche Entitäten erhielten<br />

damit gleichzeitig eine (beispielsweise vergeschlechtlichte) Gestalt.<br />

Mit <strong>de</strong>m Konzept <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technik und Geschlecht möchte<br />

Winker das in <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung vorherrschen<strong>de</strong> Verständnis<br />

<strong>de</strong>r Ko-Konstruktion als wechselseitige Einwirkung von sozialen Prozessen<br />

und technischen Artefakten transformieren. Es soll die analytische Trennung von<br />

Menschen und Maschinen aufheben und statt<strong>de</strong>ssen die Gleichzeitigkeit <strong>de</strong>r<br />

Materialisierung von Technik und Geschlecht betonen. Darüber hinaus grenzt Winker<br />

<strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung <strong>de</strong>zidiert gegen das Skriptkonzept ab. Denn<br />

Gen<strong>de</strong>rskripte liefen Gefahr, mit vorgängigen Technik- und Geschlechtsstereotypen zu<br />

operieren und auf Essentialismen zurückzugreifen. Butlers Performativitätskonzept<br />

dagegen wen<strong>de</strong> sich gegen die Vorstellung, dass sich Normen in die Oberfläche <strong>de</strong>s<br />

Körpers einschreiben. Normen entstün<strong>de</strong>n erst durch Diskurse und ihre wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong><br />

performative Praxis, was Winker zufolge ebenso für die Ko-Materialisierung von technisierten<br />

Körpern und vergeschlechtlichten Artefakten gelte. Materialisierung sei kein<br />

absichtsvoller, auf festgelegte Wirkungen zielen<strong>de</strong>r Akt, son<strong>de</strong>rn – wie Butler bereits<br />

betonte – ein Prozess, „<strong>de</strong>r im Laufe <strong>de</strong>r Zeit stabil wird, so dass sich die Wirkung von<br />

Begrenzung, Festigkeit und Oberfläche herstellt, <strong>de</strong>n wir Materie nennen“ (Butler 1995<br />

[1993], 32).<br />

Die Vorstellung, Geschlecht mit Butler als performativen Prozess <strong>de</strong>r<br />

Materialisierung aufzufassen, birgt (z.B. gegenüber <strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept) <strong>de</strong>n<br />

90


Vorteil, die Vergeschlechtlichung technischer Artefakte breit fassen zu können und<br />

„das Wer<strong>de</strong>n“ von Technologie auch in Bezug auf die Grundlagenforschung und Leitbil<strong>de</strong>r<br />

von Technikgestaltung einzuschließen. Winker selbst fokussiert in ihrer Studie<br />

jedoch weniger auf die technischen Artefakte und <strong>de</strong>ren Entwicklungsprozesse, die in<br />

dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen, son<strong>de</strong>rn analysiert primär die sprachlichen<br />

Diskurse und Handlungspraxen, die das Internet umgeben. Sie sieht ihre Aufgabe als<br />

Forscherin darin, „zur Verschiebung von Gen<strong>de</strong>r-Internet-Diskursen beizutragen,<br />

anstatt sie in performativen Akten zu wie<strong>de</strong>rholen und reifizieren“ (Winker 2005, 64),<br />

und stellt damit <strong>de</strong>n Nutzungskontext und die diesen umgeben<strong>de</strong> Diskurse in <strong>de</strong>n<br />

Vor<strong>de</strong>rgrund, die dazu führen, dass technischen Objekten Männlichkeit zugeschrieben<br />

wird, in <strong>de</strong>m sie „High Tech“ als <strong>de</strong>klariert wer<strong>de</strong>n. Deshalb birgt ihr Ansatz zwar<br />

wertvolle Hinweise dafür, wie die Ko-Materialisierung von Technologie und Geschlecht<br />

in <strong>de</strong>r Informatik <strong>de</strong>nkbar ist. Für das hier angestrebte Ziel, Gen<strong>de</strong>ringprozesse <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte theoretisch zu fundieren, erscheinen diese Ausführungen allerdings<br />

noch nicht weitreichend genug, da sie mit <strong>de</strong>n Geschlechter-Internet-Debatten im<br />

Bereich <strong>de</strong>s Diskursiven verbleiben<br />

Im Unterschied zu Winker richtet Barad die Aufmerksamkeit uf die Prozesse <strong>de</strong>r<br />

Materialisierung <strong>de</strong>s Materiellen. Mit <strong>de</strong>r „posthumanistischen Performativität“ (Barad<br />

2003) hat sie meines Erachtens das für das in diesem Kapitel verfolgte Vorhaben bisher<br />

am weitesten theoretisch ausgearbeitete Konzept vorgelegt. Posthumanistische<br />

Performativität baut zwar unter an<strong>de</strong>rem auf <strong>de</strong>m Butlerschen Performativitätskonzept<br />

auf, strebt jedoch <strong>de</strong>ssen materialistische, naturalistische und posthumanistische<br />

Reformulierung an (vgl. Barad 2003, siehe auch Barad 1998). Auch wenn sie primär<br />

von physikalische Objekten und Erkenntnissen ausgeht, lässt sich ihr Ansatz gut auf<br />

die Prozesse <strong>de</strong>r Technikgestaltung übertragen.<br />

Barad würdigt zunächst Butlers Vorstellung, Materie und Körper als „a process of<br />

materialization that stabilizes over time to produce the effect of boundary, fixity, and<br />

surface“ (Barad 1998, 90) zu begreifen. Denn diese habe einen wesentlichen Beitrag<br />

dazu geleistet, Körper als sozial konstruierte zu verstehen. Allerdings kritisiert sie, dass<br />

<strong>de</strong>r Prozess <strong>de</strong>r Materialisierung dabei auf das Diskursive beschränkt bleibt. „[W]hile<br />

Butler’s temporal account of materialization displaces matter as a fixed and permanently<br />

boun<strong>de</strong>d entity, its temporality is analyzed only in terms of how discourse comes to<br />

matter. It fails to analyze how matter comes to matter” (Barad 1998, 90f, Hervorhebung<br />

im Orig.).<br />

Am Beispiel <strong>de</strong>r Ultraschalltechnologie zeigt Barad auf, dass es prinzipielle Unterschie<strong>de</strong><br />

gibt zwischen technologisch vermittelten und diskursiven Materialisierungsprozessen,<br />

<strong>de</strong>nn Geschlechtszuschreibungen nach <strong>de</strong>r Geburt grün<strong>de</strong>ten auf an<strong>de</strong>ren<br />

Voraussetzungen als solche, die vermittelt durch Ultraschallbil<strong>de</strong>r an Föten vorgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n. We<strong>de</strong>r die Produktion noch die Interpretation <strong>de</strong>r Ultraschallbil<strong>de</strong>r seien<br />

einfach materiell, vielmehr erfor<strong>de</strong>rten bei<strong>de</strong> hoch spezialisierte Formen <strong>de</strong>r Wissensgenerierung.<br />

„Producing a ‚good‘ ultrasound image is not as simple as snapping a<br />

picture; neither is reading one“ (Barad 1998, 101). Demzufolge materialisiert sich<br />

Geschlecht materiell-diskursiv.<br />

Nach Barad gibt Butlers Ansatz keine Einsichten o<strong>de</strong>r Werkzeuge an die Hand, wie<br />

materielle Dimensionen und materielle Beschränkungen Materialisierungsprozessen<br />

verstan<strong>de</strong>n und beschrieben wer<strong>de</strong>n können. Sie unterstelle das Materielle als gege-<br />

91


en statt seine Konstituiertheit begrifflich zu fassen. „What about the material limits: the<br />

material constraints and exclusions, the material dimension of agency, and the material<br />

dimensions of regulatory practices? Doesn’t an account of materialization that is attentive<br />

only to discursive limits reincribe this very dualism by implicitly reinstalling materiality<br />

in a passive role?“ (Barad 1998, 90f) Barad nimmt Butler also an, dass sie aufgrund<br />

ihres sprachphilosophischen Zugangs ihrer diskurstheoretisch bedingten<br />

Ignoranz materieller Prozesse <strong>de</strong>r Materie eine passive Rolle zuschreibe, anstatt diese<br />

als aktiv Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> und am Prozess <strong>de</strong>r Materialisierung Partizipieren<strong>de</strong> zu konzeptualisieren.<br />

Dies sei jedoch ein Rückfall in die für die Natur- und Technikwissenschaften<br />

typischen Repräsentationsansätze, die auf <strong>de</strong>r Cartesianischen Trennung von Subjekt<br />

und Objekt im Prozess <strong>de</strong>r Erkenntnisgewinnung basieren. Den Glauben an eine<br />

solche Möglichkeit, die „Dinge“ repräsentieren zu können, betrachtet Barad eher als<br />

historischen Zufall <strong>de</strong>nn als logische Notwendigkeit. Es sei eine cartesianisch geprägte<br />

Denkgewohnheit, welche durch <strong>de</strong>n ansonsten weitgehend post-repräsentationalistischen<br />

Zugang Butlers geistere und <strong>de</strong>n Blick auf die Materialisierungprozesse von<br />

Materie verstelle (vgl. Barad 1998, 90f, Barad 2003, 821, Fußnote 26).<br />

Barad versucht, diese Verengung von Butlers Konzept <strong>de</strong>r Performativität zu überwin<strong>de</strong>n,<br />

in<strong>de</strong>m sie mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r posthumanistischen Performativität einen<br />

„robust account of the materialization of all bodies – ‚human‘ and ‚non-human‘ – and<br />

the material-discursive practices by which their differential constitutions are marked“<br />

(Barad 2003, 810) vorlegt. Es gelingt ihr, das Konzept <strong>de</strong>r Materialisierung von<br />

biologischen Körpern, die sie mit Butler als Zitation von Normen begreift, auf Materie<br />

zu übertragen, in<strong>de</strong>m sie das Butlersche Performativitätskonzept mit ihrem eigenen<br />

theoretischen Ansatz <strong>de</strong>s „Agential Realism“ gegenliest. Auf dieser Basis liefert sie<br />

<strong>einer</strong>seits einen Ansatz, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Intra-Aktion ein Verständnis <strong>de</strong>s<br />

Verhältnisses von materiellen und diskursiven Phänomenen zur Verfügung stellt und<br />

<strong>de</strong>r nicht-menschliche wie menschliche Formen <strong>de</strong>r Handlungsfähigkeit in ihrer<br />

asymmetrischen Relation umfasst. 152 An<strong>de</strong>rerseits trägt er zu einem „un<strong>de</strong>rstanding of<br />

the precise causal nature of productive practices that takes account of the fullness of<br />

matter’s implications in ongoing historicity“ (Barad 2003, 810) bei.<br />

Barad entwickelt also auf <strong>de</strong>r Grundlage von Butlers Ansatz ein performatives Verständnis<br />

<strong>de</strong>s Prozesses, wie sich Materialtiät und Geschlecht gleichzeitig materialisieren,<br />

welches sich für die Konzeptualisierung <strong>de</strong>r Gen<strong>de</strong>ringprozesse von technischen<br />

Artefakten in dieser Arbeit hervorragend eignet. Zum einen wer<strong>de</strong>n auf diese<br />

Weise we<strong>de</strong>r Materie bzw. technische Artefakte noch Geschlechtlichkeit essentiell<br />

gedacht. Sie gelten vielmehr als Wie<strong>de</strong>rholungen von Handlungen und nicht als<br />

‚natürliche‘ o<strong>de</strong>r ‚unausweichliche‘ Materialisierungen. Dabei wer<strong>de</strong>n sie jedoch<br />

ebensowenig in Diskurs aufgelöst. Denn Barads ‚Ansatz <strong>de</strong>r posthumanistischen<br />

Performativität erkennt zugleich die Be<strong>de</strong>utsamkeit und Wi<strong>de</strong>rständigkeit <strong>de</strong>s Materiellen<br />

an. Zum an<strong>de</strong>ren lässt sich mit <strong>de</strong>m Konzept <strong>de</strong>r posthumanistischen<br />

Performativität eine Vergeschlechtlichung von Technologien <strong>de</strong>nken, die noch im<br />

Wer<strong>de</strong>n begriffen sind. Dies erscheint für das Vorhaben, das Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte<br />

konzeptionell zu entwickeln, von Vorteil, da auch dabei auf Prozesse <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

fokussiert wird, d.h. auf Entwicklungen, die noch nicht abgeschlossen und<br />

152 Vgl. hierzu auch Kapitel 3.6.<br />

92


verfestigt sind. Barads Ansatz vermag ferner – wie angestrebt – Materialisierungen von<br />

Technik und Geschlecht zu erfassen, die sich nicht auf NutzerInnen o<strong>de</strong>r die<br />

Nutzungssituationen beschränken, wie dies beim Skriptkonzept vorausgesetzt wird,<br />

son<strong>de</strong>rn legt eine fundierte theoretische Basis dafür vor, wie sich das Verständnis <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung auf „technologies in the making“, die in <strong>de</strong>r Informatik häufig<br />

vorliegen, erweitern lässt. Allerdings befasst sich Barad selbst nicht explizit mit<br />

Technologien, son<strong>de</strong>rn fokussiert auf Materie bzw. materielle Objekte.<br />

Suchman zeigt, dass sich die Konzepte <strong>de</strong>r posthumanistischen Performativität und<br />

<strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technologien und Geschlecht, so wie sie von Winker<br />

ange<strong>de</strong>utet und von Barad theoretisch begrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n, auf Produkte, Metho<strong>de</strong>n und<br />

Vorgehensweisen in <strong>de</strong>r Informatik übertragen lassen. Dabei lenkt Suchman <strong>de</strong>n Blick<br />

zwar weniger auf das Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte als auf die Neu-Verteilung von Handlungsfähigkeit,<br />

<strong>de</strong>nnoch geben ihre Ausführungen wesentliche Hinweise darauf, wie<br />

sich <strong>de</strong>r Transfer weiter <strong>de</strong>nken lässt. Suchman greift zur Beschreibung <strong>de</strong>s Prozesses<br />

<strong>de</strong>r Technologiegestaltung nicht auf Barad o<strong>de</strong>r Winker zurück, son<strong>de</strong>rn auf Butlers<br />

Performativitätskonzept. „Butler’s argument that sexed and gen<strong>de</strong>red bodies are<br />

materiallized over time through the reiteration of norms is suggestive for a view of technology<br />

construction as a process of materialization through a reiteration of form“<br />

(Suchman 2007, 272). So wie Butler behauptet, dass das körperliche Geschlecht eine<br />

dynamische Materialisierung ständig umkämpfter Geschlechternormen sei, können<br />

Dinge bzw. Objekte als Materialisierungen <strong>einer</strong> mehr o<strong>de</strong>r weniger umstrittenen normativen<br />

Gestaltung von Materie verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Nach<strong>de</strong>m bereits die Konstitution<br />

<strong>de</strong>s Subjekts für die feministische Theoriebildung zentral gewesen sei, käme es nun<br />

darauf an, auch die Objekte in <strong>einer</strong> Matrix historisch und kulturell konstitutierter<br />

Möglichkeiten zu verorten, die notwendigerweise ständig performativ wie<strong>de</strong>rholt<br />

wer<strong>de</strong>n. „Technologies like bodies, are both produced and <strong>de</strong>stabilized in the course of<br />

these reiterations“ (Suchman 2007, 272).<br />

Ausgehend von dieser Grundi<strong>de</strong>e lässt sich die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte in <strong>de</strong>m Sinne <strong>de</strong>nken, dass während <strong>de</strong>s Technologiegestaltungsprozesses,<br />

aber auch bei <strong>de</strong>r Nutzung auf Geschlechternormen zurückgegriffen wird, diese dabei<br />

allerdings zugleich jeweils neu zitiert wer<strong>de</strong>n. Da die Gestaltung von Informationstechnologien<br />

selbst zumeist explizit als ein iterativer Prozess organisiert wirdund das<br />

Produkt im gesamten Lebenszyklus stets verän<strong>de</strong>rbar bleibt, gibt es dabei immer<br />

wie<strong>de</strong>r Möglichkeiten, die bestehen<strong>de</strong> strukturell-symbolische Geschlechterordnung zu<br />

reproduzieren o<strong>de</strong>r zu unterlaufen. Mit Haraway, Barad und Winker lässt sich dieser<br />

Prozess als ein materiell-diskursiver verstehen, in <strong>de</strong>m Geschlecht und Informationstechnologie<br />

ko-materialisiert wer<strong>de</strong>n. Bei <strong>de</strong>m so gefassten Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte ist jedoch ausgehend von <strong>de</strong>r Akteur-Netzwerk-Theorie und ihren feministischen<br />

Reformulierungen zu berücksichtigen, dass technische Objekte stets in einem<br />

Netzwerk menschlicher und nicht-menschlicher AkteurInnen situiert sind. Diese<br />

spezifischen Verbindungen wie auch die darin vorgenommenen I<strong>de</strong>ntifikationen <strong>de</strong>s<br />

Technischen und Nicht-Technischen, d.h. die durch Netzwerke selbst hergestellten<br />

Einschlüsse und Ausschlüsse können dabei ebensovergeschlechtlicht sein. Im Anschluss<br />

an Barad sind menschliche und nicht-menschliche AkteurInnen in diesem<br />

Netzwerk nicht jedoch als gleichberechtigt anzunehmen, son<strong>de</strong>rn die spezifische<br />

menschliche Autorschaft, die insbeson<strong>de</strong>re auch bei <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen zu ver-<br />

93


orten ist, als asymmetrisch anzuerkennen. Diese Anerkennung be<strong>de</strong>utet jedoch zugleich<br />

– aus <strong>einer</strong> erkenntnistheoretischen, feministischen und gesellschafts<strong>kritisch</strong>en<br />

Perspektive – verantwortliches Han<strong>de</strong>ln von <strong>de</strong>njenigen einzufor<strong>de</strong>rn, die an <strong>de</strong>m<br />

performativen Prozess <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technologie und Geschlecht<br />

beteiligt sind. Suchman zufolge besteht die Herausfor<strong>de</strong>rung vor allem darin, dabei<br />

keine erneuten Festschreibungen vorzunehmen, son<strong>de</strong>rn die Netzwerke als Effekt<br />

andauern<strong>de</strong>r, aber umstrittener soziomaterieller Praktiken zu verstehen: „The point to<br />

the end is not to assign agency either to persons or to things but to i<strong>de</strong>ntify the<br />

materialization of subjects, objects, and the relation between them as an effect, more<br />

or less durable and contestable, of ongoing sociomaterial practices“ (Suchman 2007,<br />

286).<br />

Nach diesen Ausführungen zur Materialisierung von Geschlecht und Technik lässt<br />

sich nun ein Ausblick auf die Möglichkeit <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

formulieren. Denn Suchman ruft explizit zu <strong>einer</strong> <strong>kritisch</strong>en Technikgestaltung auf, die<br />

auf <strong>de</strong>n Ansätzen von Haraway und Barad basiert und sich als eine Form <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

von Artefakten verstehen lässt. Sie schlägt zwei allgemeine Strategien vor, wie<br />

sich dieses Ziel beför<strong>de</strong>rn lässt: „accountable cuts“ und „expanding frames“ lauten<br />

dazu ihre bei<strong>de</strong>n Schlüsselkonzepte (Suchman 2007, 283). 153 Ihr erster Vorschlag<br />

besteht darin, die analytischen Trennlinien, sogenannte Schnitte (cuts), welche<br />

menschliche und nichtmenschliche AkteurInnen hervorbringen, verantwortungsvoll zu<br />

ziehen und dabei die Zuständigkeiten innerhalb <strong>de</strong>s heterogenen Netzwerks stets<br />

<strong>kritisch</strong> reflektierend zu verteilen. Es geht ihr darum, auf diese Weise soziomaterielle<br />

Assemblages zu erzeugen, die als Objekte <strong>de</strong>r Analyse und <strong>de</strong>r Intervention dienen<br />

können. 154 Was Suchman in ihrem Text primär von sozialwissenschaftlichen TechnikforscherInnen<br />

einfor<strong>de</strong>rt, lässt sich auf die Gestaltung von Technologien übertragen.<br />

Ein Ansatz <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring sollte <strong>de</strong>mnach im Kontext <strong>de</strong>r heterogenen Netzwerke<br />

die Trennlinien so ziehen, dass Ambivalenzen und Überschreitungen traditioneller<br />

Grenzen (zwischen Mensch und Maschine o<strong>de</strong>r zwischen spezifischen Verkörperungen<br />

von Geschlecht) <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n. Die tatsächlichen Wirkungen und Ergebnisse<br />

<strong>kritisch</strong>-feministischer Eingriffe lassen sich dabei zwar – wie wir gesehen haben – nicht<br />

notwendigerweise absichtsvoll emanzipatorisch, <strong>de</strong>mokratisch, befähigend etc.<br />

steuern, wohl aber lässt sich in diesem Sinne versuchen, die Gestaltung von<br />

Technologie in eine <strong>kritisch</strong>-verantwortungsvolle Richtung zu lenken, die hierarchisieren<strong>de</strong>n<br />

Festschreibungen von Geschlecht entgegenwirkt.<br />

Die zweite Strategie, die Suchman vorschlägt, zielt auf eine Erweiterung <strong>de</strong>s<br />

Rahmens, <strong>de</strong>r durch die oft eng geführten Grenzen <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung in <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

beschränkt wird. Die <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Annahmen<br />

sollen aus <strong>einer</strong> gesellschafts<strong>kritisch</strong>en Perspektive hinterfragt, neu gestaltet und<br />

erweitert wer<strong>de</strong>n. Dies setzt zunächst die Analyse <strong>de</strong>r Grenzziehungsarbeit voraus,<br />

welche TechnologiegestalterInnen vornehmen, um die von ihnen kreierten Artefakte als<br />

153 Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Kapitel 3.6 über Mensch-Maschine-Rekonfigurationen.<br />

154 Hier nimmt Suchman implizit Bezug auf Barads Begriff <strong>de</strong>s „agential cut“, <strong>de</strong>n letztere mit Hilfe <strong>de</strong>s Begriffs<br />

<strong>de</strong>r Intra-aktion erklärt: „A specific intra-action (involving a specific material configuration of the ‚apparatus<br />

of observation‘) enacts an agential cut (in contrast to a Cartesian cut – an inherent distinction –<br />

between subject and object) effecting a separation between ‚subject‘ and ‚object‘. That is, the agential cut<br />

enacts a local resolution within the phenomena of the inherent ontological in<strong>de</strong>terminancy“ (Barad 2003,<br />

815).<br />

94


solche zu konstruieren und abzugrenzen. Z.B. soll versteckte, nicht mehr sichtbare<br />

Arbeit herausgestelt wer<strong>de</strong>n, die häufig gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>njenigen AkteurInnen zugeschrieben<br />

o<strong>de</strong>r von ihnen ausgeführt wird, die sozio-kulturell als „Frauen“ gelten. Ebenso sollen,<br />

wi<strong>de</strong>rspenstige Kontingenzen, die die vermeintlichen Grenzen <strong>de</strong>s Rahmens überschreiten,<br />

<strong>de</strong>utlich gemacht wer<strong>de</strong>n. Dadurch entstehe eine neue Sichtweise auf Menschen<br />

und Maschinen, in <strong>de</strong>r diese durch spezifische, aber sich untereinan<strong>de</strong>r ständig<br />

verschieben<strong>de</strong> Netzwerke in ihrer Rekonfiguration stabilisiert wer<strong>de</strong>n. „The alternative<br />

perspective suggested here takes persons and machines as contingently stabilized<br />

through particular, more or less durable, arrangements whose reiteration and/or reconfiguration<br />

is the cultural or political project of <strong>de</strong>sign in which we are all continuously<br />

implicated. Responsibility on this view is met neither through control nor abdication but<br />

in ongoing practical, critical, and generative acts of engagement“ (Suchman 2007,<br />

285f).<br />

Wie solche alternativen Perspektiven aussehen können, führt Suchman selbst am<br />

Beispiel menschenähnlicher Maschinen, Roboter und an<strong>de</strong>rer Cyborgs vor, die häufig<br />

auf <strong>de</strong>m Vorverständnis <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenzforschung aufbauen, dass<br />

menschliche Eigenschaften in die Maschine hinein abzubil<strong>de</strong>n seien. Dazu führt sie<br />

<strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „Rematerialisierung“ von Körper und Subjektivität durch Technologie<br />

ein, mit <strong>de</strong>m sie wi<strong>de</strong>rständige, zu vorherrschen<strong>de</strong>n Vorgehensweisen <strong>de</strong>r Technikgestaltung<br />

entgegen gesetzte Formen umschreibt: „Framed not as the importation of<br />

mind into matter, but as the rematerialization of bodies and subjectivities in ways that<br />

challenge familiar assumptions about the naturalness of normative forms robots, and<br />

cyborg figures more generally, become sites for change rather than just for further<br />

reiteration“ (Suchman 2007, 275). Ausgehend von <strong>de</strong>r Vorstellung, dass sich Technologie<br />

und Geschlecht ko-materialisieren, lässt sich das De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte mit Suchman als eine Rematerialisierung begreifen, die darauf zielt,<br />

Verschiebungen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung von Geschlecht sowie von Mensch-Maschine-Grenzen<br />

zu produzieren.<br />

3.9. Resümee: Wie lässt sich das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

theoretisch konzipieren?<br />

Ziel dieses Kapitels war die Konzeption eines Ansatzes, <strong>de</strong>r das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte auf eine theoretisch fundierte Basis stellt. Da je<strong>de</strong>r Ansatz, <strong>de</strong>r versucht<br />

die Vergeschlechtlichung von Technologie zu fassen, explizit o<strong>de</strong>r implizit auf<br />

einem Verständnis <strong>de</strong>s Verhältnisses von Technik und Gesellschaft beruht, wur<strong>de</strong>n<br />

dazu zunächst grundlegen<strong>de</strong> Ansätze <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

daraufhin inspiziert, welchen Beitrag sie zu <strong>de</strong>m Vorhaben leisten können. Denn gera<strong>de</strong><br />

die sozialwissenschaftliche Technikforschung hat in <strong>de</strong>n letzten zwei Deka<strong>de</strong>n elaborierte<br />

Ansätze entwickelt, wie sich die Verwobenheit von Technik und Gesellschaft<br />

begreifen lässt. Die Diskussionen ver<strong>de</strong>utlichten, dass die Politik <strong>de</strong>r Artefakte und<br />

damit zugleich die Einschreibung <strong>de</strong>r Ungleichheitsstruktur Geschlecht in Technologie<br />

komplexer gedacht wer<strong>de</strong>n muss als sie als einen absichtsvollen Vorgang anzunehmen,<br />

bei <strong>de</strong>r GestalterInnen ihre Vorurteile direkt in <strong>de</strong>r Maschine materialisieren und<br />

Ungleichheiten somit auf Dauer stellen. Aus <strong>einer</strong> konstruktivistischen Sicht gilt es<br />

95


vielmehr, Essentialisierungen dieser Art zu vermei<strong>de</strong>n. Ebenso sind bekannte<br />

Verkürzungen im Verständnis von Technologie und Gesellschaft zu vermei<strong>de</strong>n, welche<br />

die frühen Ansätze sozialwissenschaftlicher Technikforschung prägten, wie etwa<br />

technik<strong>de</strong>terministische o<strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>terministische Positionen. Deshalb wur<strong>de</strong> hier<br />

stärker auf diejenigen Ansätze zurückgegriffen, die mit Konzepten von heterogenen<br />

Netzwerken, Cyborgs und Hybri<strong>de</strong>n arbeiten und von <strong>einer</strong> gegenseitigen Konstituierung<br />

<strong>de</strong>s Technischen und <strong>de</strong>s Sozialen ausgehen. Dazu gehören die Akteur-Netzwerk-Theorie<br />

sowie ihre Weiterentwicklungen durch feministische Theoretikerinnen,<br />

insbeson<strong>de</strong>re durch Donna Haraway. Als beson<strong>de</strong>rs produktiv erwies sich <strong>de</strong>r Ansatz<br />

<strong>de</strong>s „Agential Realism“ von Karen Barad, <strong>de</strong>r über Verengungen <strong>de</strong>s Realismus wie<br />

<strong>de</strong>s Konstruktivismus hinausgeht. Sie verortet <strong>kritisch</strong>-politischen Wi<strong>de</strong>rstand bzw.<br />

feministische Interventionen – im Gegensatz zu Haraway – in <strong>de</strong>n Technowissenschaften<br />

selbst und geht von <strong>einer</strong> ontologischen Asymmetrie zwischen menschlichen<br />

und nicht-menschlichen AkteurInnen aus. Lucy Suchman hat diese Theorie auf die<br />

Informatik und ihre Artefakte übertragen. Ihr Begriff <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-<br />

Rekonfiguration for<strong>de</strong>rt eine <strong>kritisch</strong>e Umgestaltung <strong>de</strong>r Verhältnisse von Mensch und<br />

Technologie ein, für die sie in ihren Arbeiten bereits existieren<strong>de</strong> Beispiele anschaulich<br />

anführt. Alle drei Autorinnen – Haraway, Barad und Suchman – zielen mit ihren<br />

feministischen Ansätzen auf ein verantwortliches Han<strong>de</strong>ln und eine alternative<br />

Gestaltung von Technologie durch Technowissenschaften. Auf dieser Basis habe ich<br />

im Laufe <strong>de</strong>r Abschnitte 3.1 bis 3.6 ein theoretisches Rahmenkonzept entwickelt,<br />

� das nicht auf <strong>einer</strong> essentialistischen Unterscheidung zwischen Menschen und<br />

Artefakten beruht – und damit eine Analyse ermöglicht, wie Menschen und Artefakte<br />

konstituiert sind und wie Handlungsfähigkeit zwischen diesen verteilt ist,<br />

� das gleichzeitig davon ausgeht, dass technische Artefakte politisch sind – und auf<br />

dieser Grundlage Vergeschlechtlichung in <strong>de</strong>n Blick bekommt,<br />

� und das neue Formen <strong>de</strong>r feministisch-gesellschafts<strong>kritisch</strong>en Intervention in soziomateriellen<br />

bzw. materiell-diskursiven technowissenschaftlichen Praktiken zu<br />

entwickeln und damit ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte zu konzeptualisieren<br />

vermag.<br />

Was <strong>de</strong>r mit Haraway, Barad und Suchman vorgeschlagene theoretische Rahmen<br />

noch offen lässt, wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n letzten Teilen 3.7. und 3.8. dieses Kapitels konkretisiert.<br />

Es wur<strong>de</strong>n Konzepte vorgestellt, wie Geschlecht in informatische Artefakte eingeschrieben<br />

wird, d.h. wie sich <strong>de</strong>r Prozess <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte verstehen lässt. Zurückgegriffen wur<strong>de</strong> dabei zunächst auf Ansätze <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung wie Skripte, Gen<strong>de</strong>rskripte und Konfigurierungen<br />

von NutzerInnen, die Vorstellungen von Technikgestalten<strong>de</strong>n über NutzerInnen<br />

und Nutzungsweisen konzeptualisieren. Dabei erwies sich insbeson<strong>de</strong>re das Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept<br />

als nützlich, um die Prozesse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von Artefakten differenzierter<br />

zu begreifen. Dennoch birgt auch dieses Konzept Engführungen, ist theoretisch<br />

verkürzend und vermag somit nicht, <strong>de</strong>n zuvor entwickelten theoretischen Rahmen<br />

auszufüllen. Mit Hilfe von Barads Konzept ‚posthumanistischer Performativität‘ ließ sich<br />

das Gen<strong>de</strong>ring von Artefakten jedoch reformulieren. Auf die Informatik angewandt ist<br />

dieses Konzept – wie es Suchman vorschlägt, allerdings nicht ausführt – sowohl in <strong>de</strong>r<br />

96


Lage, die Vergeschlechtlichung von Anwendungssoftware und Nutzungsoberflächen zu<br />

erfassen als auch die Vergeschlechtlichung von „technologies in the making“ in <strong>de</strong>n Laboren<br />

<strong>de</strong>r Informatik theoretisch zu begreifen, die überkommene Grenzziehungen zwischen<br />

menschlicher und nichtmenschlicher Handlungsträgerschaft bzw. zwischen Sozialem<br />

und Technischem unterlaufen. Es geht damit über die in <strong>de</strong>r feministischen<br />

Technikforschung übliche Interpretation <strong>de</strong>r „Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht“<br />

hinaus, die als gegenseitige, aber analytisch trennbare Formung betrachtet<br />

wird. Denn Prozesse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von Materialem/ Objekten/ technischen Artefakten<br />

wer<strong>de</strong>n als eine Ko-Materialisierung verstan<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r sich die Materialisierung von<br />

Artefakten und <strong>de</strong>ren Vergeschlechtlichung nicht mehr voneinan<strong>de</strong>r trennen lassen.<br />

Posthumanistische Performativität bleibt nicht – wie Butlers entsprechen<strong>de</strong>s Konzept –<br />

bei Diskursen und damit an <strong>de</strong>r Oberfläche <strong>de</strong>s Körperlich-Materiellen stehen: „matter<br />

is not simply ‚a kind of citationality‘, the surface effect of human bodies, or the end product<br />

of linguistic or discursive acts. Material constraints and exclusions and the material<br />

dimensions of regulatory practices are important factors in the process of materialization“<br />

(Barad 2003, 273).<br />

Insgesamt vermögen die Konzepte <strong>de</strong>r posthumanistischen Performativität und Ko-<br />

Materialisierung von Technik und Geschlecht Prozesse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte zu konzeptualisieren, ohne diese wie beim Skriptkonzept auf Repräsentationen<br />

von NutzerInnen und damit auf die Entwicklung von Anwendungstechnologien zu<br />

verengen. Darüber hinaus lässt sich dieses Verständnis <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von<br />

Technologie in das theoretische Rahmenkonzept einordnen, das in diesem Kapitel<br />

erarbeitet wur<strong>de</strong>. Denn es<br />

� erfasst die Neuverteilung von Handlungsfähigkeit zwischen menschlichen und<br />

nicht-menschlichen AkteurInnen und lässt traditionelle Dichotomien hinter sich,<br />

ohne in technik<strong>de</strong>terministische o<strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>termininistische Positionen<br />

zurückzufallen,<br />

� begreift das Gen<strong>de</strong>ring dabei we<strong>de</strong>r auf Basis eines essentialistischen Geschlechterverständnisses<br />

noch als ausschließlich diskursiv konstruiert, son<strong>de</strong>rn als einen<br />

Prozess <strong>de</strong>r Materiell-Werdung mit und durch technische Artefakte, die<br />

Regulierungen unterliegen und materielle Beschränkungen aufweisen,<br />

� ermöglicht die Beschreibung von alternativen Technikgestaltungsprozessen, die als<br />

Ausgangspunkte für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte dienen können. Als<br />

beson<strong>de</strong>rs produktiv erwies sich in dieser Hinsicht Suchmans Begriff <strong>de</strong>r Rematerialisierung,<br />

<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> auch wi<strong>de</strong>rständige Formen <strong>de</strong>r Technologiegestaltung umfassen<br />

kann, sowie ihre strategischen Vorschläge zu verantwortungsvollen<br />

Schnitten und Rahmenerweiterungen.<br />

Mit diesem Ansatz, Geschlecht und Technologie als performative Ko-Materialisierung<br />

zu <strong>de</strong>nken, wird eine Fundierung für das folgen<strong>de</strong> Kapitel vorgelegt, in <strong>de</strong>m konkrete<br />

Fallstudien <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte beschrieben und Mechanismen<br />

<strong>de</strong>r zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Prozesse herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n. Viele Studien, auf<br />

die ich mich darin beziehen wer<strong>de</strong>, sind zwar im Rahmen eines an<strong>de</strong>ren theoretischen<br />

Paradigmas entstan<strong>de</strong>n, das häufig eher mit <strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>rskript-Konzept kompatibel ist.<br />

Jedoch verweist das in diesem Kapitel vorgestellte Konzept <strong>de</strong>r „posthumanistischen<br />

97


Performativät“ auf Leerstellen und Verkürzungen in diesen Untersuchungen, weshalb<br />

diese Studien zugleich neu interpretiert und weiter entwickelt wer<strong>de</strong>n. Es ermöglicht<br />

darüber hinaus, informatische Grundlagenforschung und Technologien aus <strong>einer</strong><br />

feministischen Perspektive zu untersuchen, die keine klaren Grenzen zwischen<br />

Nutzung und Gestaltung voraussetzen und die auf Konfigurationen, zugleich aber auch<br />

Rekonfigurationen <strong>de</strong>s Mensch-Maschine-Verhältnisses <strong>de</strong>uten.<br />

98


Kapitel 4 Die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte: Fallstudien,<br />

Dimensionen und Mechanismen<br />

In diesem Kapitel wird gezeigt, dass und wie die Produkte, Grundannahmen und<br />

Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Informatik vergeschlechtlicht sind. Hauptziel <strong>de</strong>s Kapitels ist eine<br />

systematische Bestandsaufnahme und Analyse <strong>de</strong>r Prozesse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring. Es sollen<br />

Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

herausgearbeitet und anhand ausgewählter Fallstudien ausführlich vorgestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Dazu wird hauptsächlich auf Studien aus <strong>de</strong>r feministischen Wissenschafts- und<br />

Technikforschung, zum Teil auch auf Untersuchungen <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in<br />

<strong>de</strong>r Informatik, zurückgegriffen. Dort, wo es sich anbietet, wer<strong>de</strong>n erste Ansätze potentieller<br />

Strategien zur Entgegenwirkung <strong>de</strong>r erkannten Vergeschlechtlichungsprozesse<br />

diskutiert. Auf diese wird im Kapitel 5 zurückgegriffen.<br />

In Abschnitt 4.0. wer<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Basis von Untersuchungen zu Spracherkennungssoftware,<br />

Tastatur, <strong>de</strong>m Gerät „Computer“ und <strong>de</strong>m Zweigeschlechtlichkeit konstituieren<strong>de</strong>n<br />

Design von Rasierapparaten drei Dimensionen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

technischer Artefakte herausgearbeitet, die das verbleiben<strong>de</strong> Kapitel strukturieren<br />

wer<strong>de</strong>n. Die erste Dimension, die in Abschnitt 4.1. beschrieben wird, umfasst Problem<strong>de</strong>finitionen<br />

und Annahmen, die <strong>de</strong>r Technologie zugrun<strong>de</strong> liegen und gesellschaftlichsoziale<br />

Ausschlüsse bei ihrer Nutzung produzieren. Zunächst wird anhand <strong>de</strong>s USamerikanischen<br />

Girls-Game-Movement <strong>de</strong>r 1990er Jahre diskutiert, ob solche Ausschlüsse<br />

auf implizites Design „von und für Männer“ (4.1.1.) zurückzuführen und ob<br />

sie durch ein „Design for the Girl“ (4.1.2.) zu verhin<strong>de</strong>rn sind. Anschließend wer<strong>de</strong>n<br />

Vergeschlechtlichungen von Technologien im Sinne eines strukturell erschwerten<br />

Zugangs zur Nutzung für bestimmte Personengruppen an <strong>de</strong>n Beispielen „intelligenter<br />

Häuser“ (4.1.3.) und „digitaler Städte“ (4.1.4.) ver<strong>de</strong>utlicht. Dabei wird die so genannte<br />

„I-methodology“, nach <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen sich selbst unhinterfragt als NutzerInnen<br />

<strong>de</strong>r Produkte imaginieren und dadurch ihre eigenen Selbstverständnisse,<br />

Werte, Vorlieben etc. in <strong>de</strong>r Technologie vergegenständlichen, als ein Mechanismus<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Technologien i<strong>de</strong>ntifiziert.<br />

Gegenstand <strong>de</strong>s Abschnitts 4.2. ist die zweite herausgearbeitete Dimension <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Technologien: die Digitalisierung strukturell-symbolischer<br />

Ungleichheit. Darunter wer<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>ne Aspekte <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n<br />

Geschlechterordnung, die technologisch fortgeschrieben wer<strong>de</strong>n, zusammengefasst.<br />

Dazu gehört erstens die Einschreibung geschlechtsstereotyper Vorstellungen über<br />

Kompetenzen <strong>de</strong>r NutzerInnen, beispielsweise die Formel „Sekretärinnen sind qua<br />

Geschlecht technisch inkompetent“, die einem frühen Textverarbeitungssystem als<br />

NutzerInnenbild eingeschrieben ist (4.2.1.). Zweitens können geschlechtlich kodierte<br />

Strukturen wie die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung, wenn sie im Anwendungsfeld<br />

vorliegen, in Softwaresystemen festgeschrieben wer<strong>de</strong>n (4.2.2.). Häufig wird<br />

drittens „invisible work“, d.h. bestimmte Aspekte von Tätigkeiten, die häufig von Frauen<br />

ausgeübt o<strong>de</strong>r ihnen zugeschrieben wer<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>r Softwareentwicklung ignoriert und<br />

<strong>de</strong>shalb technisch nicht unterstützt. Anhand von Dokumentationstätigkeiten in<br />

Rechtsanwaltskanzleien und Pflegearbeit im Krankenhaus wird diskutiert, inwiefern das<br />

Sichtbarmachen unsichtbarer Arbeit dieser Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung entgegenwirken<br />

kann (4.2.3.) o<strong>de</strong>r dazu führt, sie zu automatisieren, so wie etwa Callcenter-<br />

99


Arbeit in <strong>de</strong>r Dienstleistunggesellschaft zunehmend von virtuellen Assistentinnen<br />

übernommen wird (4.2.4.). Als vierter und letzter Aspekt <strong>de</strong>r Fortschreibung von<br />

Differenz und Ungleichheit in Technologien wird die explizite Repräsentation von<br />

geschlechtlich markierten Körpern am Beispiel von Avataren, Figuren in Computerspielen<br />

und anthropomorphen Softwareagenten diskutiert (4.2.5.). Sämtliche <strong>de</strong>r in<br />

Abschnitt 4.2. beschriebenen Formen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung sind mit unreflektierten<br />

hegemonialen Vorstellungen über Frauen, Männer, vermeintlich geschlechtsspezifische<br />

Kompetenzen und gesellschaftliche Arbeitsteilung verbun<strong>de</strong>n.<br />

In Abschnitt 4.3. wer<strong>de</strong>n Formalismen, Grundlagen und Grundlagenforschungen <strong>de</strong>r<br />

Informatik untersucht. Dabei wer<strong>de</strong>n Prozesse <strong>de</strong>r Formalisierung, Klassifizierung und<br />

Dichotomisierung, die zwar „an sich“ neutral, objektiv und „unschuldig“ erscheinen, in<br />

ihrem Resultat und Gebrauch jedoch (geschlechter-)politisch wirksam sind, als dritte<br />

Dimension <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte i<strong>de</strong>ntifiziert. Der Abschnitt<br />

4.3.1. führt zunächst in die Geschlechterpolitik <strong>de</strong>s Formalen ein und diskutiert<br />

erste Beispiele. Dazu gehören Algorithmen und Schwellenwerte, die Geschlechterdifferenzen<br />

sichtbar o<strong>de</strong>r unsichtbar machen, Klassifikationen in Informationssystemen,<br />

die Ausschlüsse <strong>de</strong>sjenigen Wissens herstellen, das „weiblich“ konnotiert ist, o<strong>de</strong>r in<br />

Technologie eingeschriebene Ontologien, die Macht- und damit Geschlechterverhältnisse<br />

verstärken können. Zugleich wird das Potential verschie<strong>de</strong>ner Konzeptionen<br />

feministischer Objektivität für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>s Formalen ausgelotet. Abschnitt<br />

4.3.2. fokussiert stärker auf epistemologische und ontologische Aspekte <strong>de</strong>s Formalen.<br />

Dabei wird etwa nachgewiesen, dass das Subjekt <strong>de</strong>s Wissens, das in Informationssystemen<br />

repräsentiert ist, ein vergeschlechtlichtes sein kann. Ferner wird aufgezeigt,<br />

dass in <strong>de</strong>r Informatik dominante Mo<strong>de</strong>llierungsmetho<strong>de</strong>n gera<strong>de</strong> diejenigen Bereiche,<br />

die – wie beispielsweise das Körperliche, Soziale, Emotionale – traditionell <strong>de</strong>m<br />

„Weiblichen“ zugeordnet wer<strong>de</strong>n, nicht zu erfassen vermag. In Abschnitt 4.3.3. wer<strong>de</strong>n<br />

geschlechtsmarkierte Dualismen wie Nutzung-Gestaltung, Körper-Geist und Emotion-<br />

Rationalität analysiert, die Technologien bzw. <strong>de</strong>r Informatik zugrun<strong>de</strong> liegen. Anhand<br />

von Softwareentwicklung, verhaltensbasierter Robotik und anthropomorphen<br />

Softwareagenten wird die Reichweite möglicher De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategien wie die<br />

Anerkennung und Integration <strong>de</strong>s jeweils Ausgegrenzten sowie die Dekonstruktion von<br />

Dichotomien diskutiert. Abschnitt 4.4. fasst schließlich die in Kapitel 4 herausgearbeiteten<br />

Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte zusammen.<br />

4.0. Von „guten Beispielen“ zu Dimensionen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte<br />

Von „best practice“-Beispielen ist heutzutage in vielen Bereichen die Re<strong>de</strong> – von <strong>de</strong>r<br />

Agenda 21 über die Gesundheitsbildung bis hin zur Vereinbarkeit von Beruf und<br />

Familie. Dabei wird in <strong>de</strong>r Regel davon ausgegangen, dass ein anschauliches Beispiel<br />

überzeugen<strong>de</strong>r ist als die umfassen<strong>de</strong> Beschreibung eines Vorhabens. Ziel dieses<br />

Kapitels ist es, die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte aufzuzeigen. Auch<br />

hierfür lässt sich zunächst nach „guten Beispielen“ fragen. Gute Beispiele für die<br />

Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte müssten <strong>de</strong>r üblichen Logik folgend<br />

100


jedoch eher als „worst practice“-Beispiele bezeichnet wer<strong>de</strong>n, da sie zeigen, wie<br />

Technologiegestaltung zur Reproduktion <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n strukturell-symbolischen<br />

Geschlechterordnung beiträgt. Das Kriterium „gut“ ist bei diesen Beispielen dagegen<br />

daran anzusetzen, ob sie das Anliegen, <strong>de</strong>konstruktive Ansätze <strong>de</strong>r Geschlechterforschung<br />

in <strong>de</strong>r Informatik zu begrün<strong>de</strong>n und zu implementieren, forcieren. Ein Problem<br />

<strong>de</strong>r Suche nach guten Beispielen besteht darin, dass bislang nur vereinzelt<br />

anschauliche Beispiele für die Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r Technikentwicklung in <strong>de</strong>r<br />

Informatik vorliegen.<br />

Eines <strong>de</strong>r wenigen eingängigen Beispiele, das auch von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sbildungsministerin<br />

<strong>de</strong>s Kabinetts Merkel angeführt wur<strong>de</strong> (vgl. Schavan 2007), ist das <strong>de</strong>r<br />

frühen Spracherkennungssysteme. Von diesen Systemen wird wie<strong>de</strong>rholt berichtet,<br />

dass sie nicht in <strong>de</strong>r Lage waren, „Frauenstimmen“ aufgrund ihrer gegenüber „Männerstimmen“<br />

höheren Frequenzen gut zu erkennen (vgl. etwa Bührer/ Schraudner 2006,<br />

6). 155 Für das Beispiel lassen sich zwar kaum wissenschaftliche Belege fin<strong>de</strong>n. Doch<br />

es illustriert, dass Artefakte entstehen können, die im Effekt Frauen als soziale Gruppe<br />

konstituieren, versämtlichen und von <strong>de</strong>r Nutzung dieser Technologie ausschließen,<br />

wenn Vergeschlechtlichungsprozesse in <strong>de</strong>r Entwicklung von Technologien nicht<br />

<strong>kritisch</strong> reflektiert wird. Mit Hilfe dieses Beispiels lässt sich leicht – auch auf <strong>einer</strong><br />

politischen statt auf <strong>einer</strong> ausschließlich wissenschaftlichen Ebene – dafür argumentieren,<br />

dass Konstruktionen von Geschlecht in <strong>de</strong>r Technikgestaltung zu berücksichtigen<br />

sind. Es bleibt allerdings bei <strong>de</strong>r Verankerung <strong>de</strong>r Kategorie Geschlecht in als strikt<br />

binär angenommenen körperlichen Differenzen stehen und erfasst damit – wenn<br />

überhaupt – nur einen sehr kleinen Teil jenes Gegenstands, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Geschlechterforschung<br />

verhan<strong>de</strong>lt wird.<br />

Um das Ausmaß <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte aufzuzeigen, sind weitere<br />

Belege notwendig, die auf strukturell-symbolische Dimensionen von Vergeschlechtlichungsprozessen<br />

verweisen. Darüber hinaus sind zugleich die Erkenntnisse, die im<br />

letzten Kapitel auf <strong>einer</strong> theoretischen Ebene über die Verhältnisse von Technik und<br />

Gesellschaft gewonnen wur<strong>de</strong>n, auf die gesuchten Beispiele anzuwen<strong>de</strong>n, ist doch<br />

dort anhand <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>r Brücken, mit <strong>de</strong>nen Winner die Politik <strong>de</strong>r Artefakte<br />

plausibel gemacht hat, <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n, dass sein Ansatz theoretische Fallstricke<br />

birgt, die es für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Artefakten ebenso zu vermei<strong>de</strong>n<br />

gilt. Der hohe Anspruch, wonach die gesuchten Beispiele <strong>einer</strong>seits einfach und<br />

anschaulich sein und an<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>n aktuellen Forschungsstand <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen<br />

Technikforschung sowie <strong>de</strong>r Geschlechterforschung wi<strong>de</strong>rspiegeln sollten,<br />

erscheint somit ambivalent o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st schwer einlösbar. 156<br />

155 Martina Schraudner (2006, 7) führt aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Informatik ein weiteres leicht vermittelbares<br />

Beispiel an. Eine Zweigeschlechtlichkeit voraussetzen<strong>de</strong> und reproduzieren<strong>de</strong> Befragung von SeniorInnen<br />

im Vorfeld <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s Haushaltroboters „Car-O-Bot“ generalisierte als Ergebnis, dass die soziale<br />

Gruppe „Männer“ sich von <strong>de</strong>m Artefakt Hilfe bei Haushalttätigkeiten wünschten, während die soziale<br />

Gruppe „Frauen“ darin eine Unterstützung für die Körperpflege suchten. Diese unterschiedlichen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen an eine (imaginierte) Technologie zu berücksichtigen, kann aus marktwirtschaftlichen<br />

Grün<strong>de</strong>n sicherlich hilfreich sein und <strong>de</strong>n Verkauf und das Marketing entsprechen<strong>de</strong>r Produkte för<strong>de</strong>rn.<br />

Allerdings geben sie keine wissenschaftliche Erklärung, worauf diese vergeschlechtlichte Differenzierung<br />

und Konstituierung sozialer Gruppen basieren und warum sie durch ein entsprechen<strong>de</strong>s Design von<br />

Technologien fortgeschrieben wer<strong>de</strong>n sollten.<br />

156 Deutlicher wird diese Schwierigkeit, „gute Beispiele“ für die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte zu fin<strong>de</strong>n, anhand <strong>de</strong>r Kriterien, die ich inspiriert von <strong>de</strong>r Stellung von Beispielen in <strong>de</strong>r<br />

Mathematik und theoretisch begrün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r sozialkonstruktivistischen Geschlechter-Technik-Forschung<br />

101


Bevor ich weiter unten auf die Diskussion „guter Beispiele“ zurückkomme wer<strong>de</strong> und<br />

die Strukturierung <strong>de</strong>s Kapitels erläutere, wer<strong>de</strong>n zunächst techniksoziologische<br />

Fallstudien zur Tastatur, die bis heute die gängigste Schnittstelle zu Computern<br />

darstellt, zum Gerät „Computer“ sowie zum technischen Design von Rasierapparaten<br />

vorgestellt, die als Kandidaten für solche guten Beispiele gelten können. Anhand dieser<br />

Fallanalysen wer<strong>de</strong>n Dimensionen <strong>de</strong>r Vergeschlechtichung <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

herausgearbeitet.<br />

Die Schreibmaschinentastatur stellt für Nina Degele (2002, 51) eine prominentes<br />

Beispiel dar, das in <strong>de</strong>r Techniksoziologie einen ähnlichen Rang einnähme wie<br />

Winners Brückenbeispiel. Die historische Entwicklung <strong>de</strong>s Artefakts steht in diesem<br />

Feld primär für das Festhalten an <strong>einer</strong> frühen technischen Lösung trotz existieren<strong>de</strong>r<br />

funktional besserer Alternativmo<strong>de</strong>lle. An diesem Beispiel lässt sich zugleich die<br />

Vergeschlechtlichung von (informations-)technologischen Artefakten vorführen. Buhr<br />

und Buchholz (1999) berichten von verschie<strong>de</strong>nen Alternativen bei <strong>de</strong>r Entwicklung<br />

von Schreibmaschinen auf <strong>de</strong>m Weg zu <strong>de</strong>r bis heute üblichen QWERTY-Tastatur. 157<br />

Es gab Vorschläge, die Tasten kreisförmig anzuordnen, an <strong>de</strong>r Klaviatur zu orientieren<br />

o<strong>de</strong>r sie wie die Stachel eines Igels zu konzipieren, bis 1867 ein Prototyp mit<br />

vierreihiger Tastatur entstand. Die Anordnung <strong>de</strong>r Tasten wur<strong>de</strong> zunächst daran<br />

ausgerichtet, dass die am häufigsten gebrauchten Buchstaben von <strong>de</strong>n damals als am<br />

kräftigsten angenommenen Fingern bedient wer<strong>de</strong>n konnten. Da sich dabei allerdings<br />

die Typenhebel <strong>de</strong>r Tasten häufig verhakten, än<strong>de</strong>rte man das Arrangement<br />

dahingehend, dass die oft gebrauchten Buchstaben weit auseinan<strong>de</strong>r gelegt wur<strong>de</strong>n.<br />

Das spezifische Design <strong>de</strong>r QWERTY-Tastatur ist damit primär auf mechanische<br />

Gesichtspunkte zurückzuführen.<br />

Obwohl die Ergonomie dieser Anordnung seither immer wie<strong>de</strong>r als schlecht<br />

reklamiert wur<strong>de</strong> und seit 1936 eine messbar bessere Alternative zur Verfügung<br />

stand, 158 hielt man seither <strong>de</strong>nnoch an <strong>de</strong>m etablierten Mo<strong>de</strong>ll fest. Selbst mit <strong>de</strong>m<br />

Beginn <strong>de</strong>s PC-Zeitalters, als eine weitere historische Chance zur grundlegen<strong>de</strong>n<br />

Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Designs bestand, wur<strong>de</strong> das QWERTY-Prinzip beibehalten. Dieses<br />

Beispiel weist somit darauf hin, dass die Durchsetzung <strong>einer</strong> bestimmten Technologie<br />

nicht notwendigerweise auf eine technisch-funktionale Überlegenheit zurückzuführen<br />

ist, son<strong>de</strong>rn auf frühe organisatorische Weichenstellungen.<br />

Eine feministische Analyse <strong>de</strong>r beteiligten AkteurInnen zeigt, dass die Geschlechterverhältnisse<br />

bei dieser anfänglichen Festlegung eine wesentliche Rolle gespielt hatten.<br />

aufgestellt habe. Gute Beispiele sollten i<strong>de</strong>alerweise 1. allgemein verständlich, plausibel und eingängig<br />

sein, 2. sich nicht auf die „Frauenfrage“ reduzieren lassen (<strong>de</strong>nn sonst wären die Gleichstellungsbeauftragten<br />

zuständig), 3. nicht <strong>de</strong>m Vorurteil „Feminismus = Geschlechterkampf“ Vorschub leisten (<strong>de</strong>nn<br />

sonst wären sie wissenschaftlich nicht ernst zu nehmen), 4. das Zweigeschlechtlichkeitssystem nicht<br />

zementieren (<strong>de</strong>nn sonst wür<strong>de</strong>n sie sowohl <strong>de</strong>m aktuellen Stand <strong>de</strong>r Geschlechterforschung nicht<br />

Rechnung tragen als auch innerhalb <strong>de</strong>r Informatik angreifbar sein), 5. sich nicht auf die Auswirkungen<br />

von Technisierung beschränken (<strong>de</strong>nn sonst wür<strong>de</strong>n viele TechnikwissenschaftlerInnen die Frage auf<br />

SozialwissenschaftlerInnen abzuwälzen versuchen statt sich selbst mit Vergeschlechtlichungsprozessen<br />

auseinan<strong>de</strong>rzusetzen), 6. die Unabhängigkeit <strong>de</strong>r konkreten Form betonen (<strong>de</strong>nn sonst wären<br />

PraktikerInnen zuständig, welche äußerliche, (geschlechts-)differenzieren<strong>de</strong> und spezifizieren<strong>de</strong> Formen<br />

umbauen könnten, ohne dass die Technologie selbst o<strong>de</strong>r ihre theoretischen Grundlagen davon betroffen<br />

wären), und 7. wissenschafts- und technikentwicklungsimmanent argumentieren und für die Informatik<br />

bzw. Technikwissenschaften relevant sein; vgl. Bath 2002b.<br />

157 QWERTY bezeichnet die Tastenfolge <strong>de</strong>r zweiten Reihe <strong>einer</strong> Standardtastatur.<br />

158 Degele berichtet von Untersuchungen, nach <strong>de</strong>nen die alternative Tastatur die Schreibgeschwindigkeit<br />

um 40% gesteigert habe; vgl. Degele 2002, 51.<br />

102


Buhr und Buchholz (1999) weisen auf groß angelegte Werbekampagnen hin, die nach<br />

Aussagen <strong>de</strong>r Hersteller En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts, als die ersten Schreibmaschinen<br />

industriell hergestellt wur<strong>de</strong>n, notwendig gewor<strong>de</strong>n waren, weil es keinen Markt für<br />

diese Geräte gab. Die Kampagnen zielten <strong>einer</strong>seits darauf, die – damals vorwiegend<br />

männlichen und gut bezahlten – Stenographen als Nutzer zu gewinnen. An<strong>de</strong>rerseits<br />

wur<strong>de</strong> versucht, die Attraktivität <strong>de</strong>s Geräts mit Hilfe erotisch-verführerischer<br />

Vorführdamen zu steigern, womit zugleich die leichte Bedienbarkeit <strong>de</strong>monstriert<br />

wer<strong>de</strong>n sollte. Die erste Werbestrategie war in <strong>de</strong>m Sinne erfolgreich, dass sich<br />

Wettbewerbe im Schnellschreiben nach kurzer Zeit großer Beliebtheit erfreuten und<br />

viele Stenographen hierfür eine sportliche Lei<strong>de</strong>nschaft entwickelten. Dies ließe sich<br />

als Anekdote verstehen, hätte nicht diese Nutzergruppe <strong>de</strong>r Stenographen die<br />

QWERTY-Tastatur <strong>de</strong>n Herstellern als Norm vorgeschlagen, um gleiche Ausgangsbedingungen<br />

bei <strong>de</strong>n Wettbewerben zu schaffen. Die Festschreibung <strong>de</strong>r Tastatur<br />

erfolgte <strong>de</strong>mnach aufgrund <strong>de</strong>r übereinstimmen<strong>de</strong>n Interessenlagen von Schreibmaschinenherstellern<br />

und wettschreiben<strong>de</strong>n Stenographen, die zur Zeit <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong><br />

vorwiegend Männer waren. Buhr und Buchholz skizzieren die Konsequenzen<br />

dieser Festschreibung folgen<strong>de</strong>rmaßen: „Dieser Standard wur<strong>de</strong> auch dann<br />

beibehalten, als sich die Einsatzbedingungen gravierend geän<strong>de</strong>rt hatten. Als <strong>de</strong>r<br />

Glanz <strong>de</strong>r Wettbewerbe verblasst war und das Maschineschreiben zur wenig spektakulären,<br />

dafür aber umso mühsameren alltäglichen schlechtbezahlten Frauenarbeit<br />

wur<strong>de</strong>, fehlte <strong>de</strong>n Herstellen<strong>de</strong>n das Interesse, eine dafür besser geeignete Tastatur zu<br />

konstruieren“ (Buhr/ Buchholz 1999, 182). Damit übergehen Buhr und Buchholz<br />

jedoch, dass die das berufliche Stenographieren <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> dominieren<strong>de</strong>n<br />

Männer sich ebenso aus spezifischen sozialen, ethnischen und religiösen Milieus<br />

rekrutierten wie die das spätere berufliche Stenographieren dominieren<strong>de</strong>n Frauen.<br />

Unter Absehung von <strong>de</strong>r Komplexität <strong>de</strong>s historisch je konkreten Zusammenspiels von<br />

Geschlecht mit an<strong>de</strong>ren sozialen Differenzierungs- und Hierarchisierungsmustern<br />

reduzieren Buhr und Buchholz die soziale Prägung <strong>de</strong>r Tastatur auf die schlichte<br />

binäre Logik „männlich“/„weiblich“. Sie rekonstruieren und reflektieren also nicht die<br />

Konstitution von Zweigeschlechtlichkeit, son<strong>de</strong>rn reproduzieren sie.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz macht das Beispiel für die hier diskutierte Frage <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

von Technologie auf mehrere Aspekte aufmerksam: Erstens zeigt die<br />

Fallstudie, dass als „männlich“ und „weiblich“ angenommene Konnotationen von Artefakten<br />

kulturell-historischen Wandlungen unterliegen. Dabei können Technologien<br />

auch „Geschlechtswechsel“ vollziehen, in<strong>de</strong>m sich strukturell verän<strong>de</strong>rt, wer diese<br />

vorwiegend nutzt und bedient (beim Beispiel <strong>de</strong>r Schreibmaschinentastatur war ein<br />

Wan<strong>de</strong>l vom Sekretär zur Sekretärin festzustellen). Die Studie schließt insofern bei<br />

aller Begrenztheit an Erkenntnisse <strong>de</strong>r neueren Geschlechterforschung an, nach <strong>de</strong>r<br />

Geschlecht und die Vergeschlechtlichung technischer Artefakte keine außersoziale und<br />

feststehen<strong>de</strong> Größe ist, die in als außerhistorisch gedachten Körper verankert<br />

angenommen wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn sie wer<strong>de</strong>n als sozial konstruiert verstan<strong>de</strong>n. Sie weist<br />

darauf hin, dass vergeschlechtlichte Zuweisungen zu bestimmten Artefakten kulturell<br />

und historisch situiert sind – ebenso wie die Technologie selbst.<br />

103


Zweitens lenkt das Beispiel <strong>de</strong>n Blick darauf, dass eine bestimmte als<br />

geschlechtshomogen angenommene NutzerInnengruppe die „Schließung“ 159 technischer<br />

Optionen beför<strong>de</strong>rn und damit ein alternatives Design ausschließen kann. Buhr<br />

und Buchholz folgern daraus, dass die Kategorie Geschlecht Einfluss auf die<br />

Entwicklung, Durchsetzung, Stabilisierung bestimmter Ausformungen von Technologien<br />

sowie ihrer möglichen Neugestaltung hat. Es wur<strong>de</strong> jedoch kein ein<strong>de</strong>utiger<br />

Ausschluss von Frauen hinsichtlich <strong>de</strong>s Zugangs zur Technologie nachgewiesen, etwa<br />

aufgrund <strong>de</strong>r Ausblendung von Frauenkörpern bei <strong>de</strong>r Technologieentwicklung, wie<br />

dies bei <strong>de</strong>n zuvor thematisierten Spracherkennungssystemen vom politisch dominanten<br />

und Zweigeschlechlichkeit reproduzieren<strong>de</strong>n Diskurs angenommen wird. Vielmehr<br />

legt die Studie zur Tastatur die These nahe, dass Hersteller technischer Geräte die (ab<br />

einem bestimmten Zeitpunkt) das berufliche Stenographieren dominieren<strong>de</strong>n Frauen<br />

als NutzerInnengruppen nicht ernst genug genommen haben, um ihre Produkte für<br />

diese spezifische Gruppe nutzungsfreundlich weiter zu entwickeln.<br />

Die Tätigkeit <strong>de</strong>s Maschineschreibens, die sich relativ schnell nach <strong>de</strong>n von<br />

bestimmten Männern dominierten Wettbewerben zu <strong>einer</strong> typischen „Frauenarbeit“<br />

entwickelt hatte, wur<strong>de</strong> mit dieser Verschiebung abgewertet. Die Fallstudie zur<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Schreibmaschinentastatur, welche die bis heute die gängigste<br />

Schnittstelle zu Computern darstellt, verweist damit drittens auf eine weitere Ebene <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung von Artefakten: die Verknüpfung von Technologien mit<br />

Zweigeschlechtlichkeit konstituieren<strong>de</strong>r und festschreiben<strong>de</strong>r Arbeitsteilung und <strong>de</strong>r<br />

gleichzeitigen geringen Wertschätzung von als „weiblich“ imaginierten Tätigkeiten bzw.<br />

<strong>de</strong>r Abwertung entsprechen<strong>de</strong>r Fähigkeiten. Sie bestätigt damit die Erkenntnisse <strong>de</strong>r<br />

(berufs-)soziologischen Geschlechterforschung, dass <strong>einer</strong>seits als „Frauenarbeit“<br />

typisierte Arbeit häufig schlecht bezahlt ist und einen niedrigen Status besitzt (Wetterer<br />

1992, 1995) und an<strong>de</strong>rerseits gera<strong>de</strong> technische Kompetenzen eine wesentliche Rolle<br />

in <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit konstituieren<strong>de</strong>n Ausdifferenzierung von Professionen<br />

spielen.<br />

Nach Cynthia Cockburns (1988 [1986]) historisch-empirischen Untersuchungen<br />

unterschiedlicher Berufsbereiche sei das Technische – unabhängig von <strong>de</strong>n konkreten<br />

Inhalten <strong>de</strong>r Tätigkeit – stets als männlich symbolisiert, während die horizontale wie<br />

vertikale geschlechtliche Segregation von Berufen durch Neu<strong>de</strong>finition und<br />

Fragmentierung von Arbeitsprozessen aufrechterhalten bleibe. Ausgangspunkt und<br />

Ergebnis <strong>de</strong>r von ihr betrachteten Prozesse ist eine hierarchische Differenzierung in<br />

Frauen als Techniknutzerinnen und Männer als Technikentwickler. Das Beispiel <strong>de</strong>r<br />

Tastatur zeige, dass Frauen strukturell die Seite <strong>de</strong>r Bedienung von Technologie im<br />

Gegensatz zu <strong>de</strong>ren Gestaltung zugewiesen wird, die hier zusätzlich durch eine<br />

schlechte Ergonomie erschwert wird. 160 Insgesamt habe die historisch vorherrschen<strong>de</strong><br />

Geschlecht konstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung damit die Formung <strong>de</strong>r Schreibmaschinentastatur<br />

beeinflusst und diese wie<strong>de</strong>rum zu einem späteren Zeitpunkt bestätigt, als<br />

159 Zum Begriff <strong>de</strong>r „Schließung“ vgl. Kapitel 3.3.<br />

160 Die Studie essentialistisch auf die Aussage zu verkürzen, dass „Männer“ aufgrund ihres<br />

angenommenen Spiel- und Wettbewerbstriebs sich auch mit <strong>einer</strong> schlechteren Ergonomie begnügten und<br />

„Frauen“ im Umkehrschluss eine gute Usability beson<strong>de</strong>rs nötig hätten, wäre sicherlich eine<br />

Missinterpretation; vgl. hierzu auch 4.1.1.<br />

104


Schreibtätigkeit zu einem von bestimmten Gruppen von Frauen dominierten Beruf<br />

gewor<strong>de</strong>n war.<br />

Ein weiteres, bekanntes Beispiel <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Technologien ist die<br />

Metapher <strong>de</strong>s Computers und seine frühe mediale Inszenierung. Als das erste Gerät,<br />

die ENIAC (Electronical Numerical Integrator and Calculator), 1946 konstruiert wur<strong>de</strong>,<br />

bezeichnete <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Computers primär Personen, zumeist Frauen, die auf <strong>de</strong>r<br />

Basis <strong>einer</strong> Ausbildung in Mathematik mit <strong>de</strong>r mühsamen Arbeit <strong>de</strong>s Berechnens und<br />

Lösens mathematischer Gleichungen beschäftigt waren. Als konsequente Fortsetzung<br />

dieser Tätigkeit übernahmen diese später auch die Programmierung <strong>de</strong>r ersten<br />

elektronischen Maschinen. Ellen van Oost (2000) zufolge verlor <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s<br />

Computers in <strong>de</strong>n 1950er und 1960er Jahren diese frühe Be<strong>de</strong>utung menschlicher<br />

bzw. weiblicher Rechnerinnen. Sie zeigt ferner anhand <strong>einer</strong> Medienanalyse<br />

nie<strong>de</strong>rländischer Zeitungen auf, dass <strong>de</strong>r Computer während dieser Zeit als<br />

„Denkmaschine“ sozial konstruiert wur<strong>de</strong>. Einen wesentlichen Anteil an dieser<br />

Um<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Begriffs Computer hätte die vorherrschen<strong>de</strong> Metapher <strong>de</strong>s Elektronengehirns.<br />

Da das Gehirn und das Denken traditionell als männlich betrachtet wer<strong>de</strong> (im<br />

Gegensatz zum weiblichen Körper o<strong>de</strong>r zu mit Frauen assoziierten Gefühlen), habe<br />

das Gerät Computer damit zugleich eine männliche Konnotation erhalten. Darüber<br />

hinaus wur<strong>de</strong>n Programmierer in <strong>de</strong>n Medien als männliche Meister imaginiert, die mit<br />

<strong>de</strong>r noch unvertrauten, mysteriös erscheinen<strong>de</strong>n Maschine umzugehen vermochten,<br />

sowie als Künstler o<strong>de</strong>r sogar als Magier vorgestellt, die wie Klavierspieler auf <strong>de</strong>r<br />

Maschine spielten. „All these images refer to programming as an activity saturated with<br />

virtuosity. Explicit elements of the virtuosity are high status, expense, mystery, danger,<br />

and mastery – all elements that symbolise masculinity in our society“ (van Oost 2000,<br />

13). Die Gehirnmetapher und <strong>de</strong>r Pathos <strong>de</strong>r Genialität trugen ihres Erachtens<br />

wesentlich dazu bei, dass <strong>de</strong>r Computer und die Programmierarbeit männlich<br />

konnotiert wur<strong>de</strong>n. Van Oost betont damit die symbolische Ebene <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung von Technologien.<br />

In <strong>einer</strong> weiteren Studie legt sie dar, dass ein Gen<strong>de</strong>ring auf symbolischer Ebene<br />

Auswirkungen auf die konkrete Ausformung und Funktionalität <strong>einer</strong> Technologie<br />

haben kann (van Oost 2003). Am Beispiel <strong>de</strong>r Gestaltung von Rasierapparaten <strong>de</strong>r<br />

nie<strong>de</strong>rländischen Firma Philips rekonstruiert sie die Ausdifferenzierung von Zweigeschlechtlichkeit<br />

konstituieren<strong>de</strong>n Produktlinien und ihre jeweiligen Merkmale. Philips<br />

entwickelte seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1930er Jahre elektrische Rasierer für Männer, 1950 kamen<br />

Produkte für Frauen hinzu. In diesen frühen Zeiten waren die Produkte fast baugleich.<br />

Der Ladyshave unterschied sich von <strong>de</strong>m für Männer intendierten Mo<strong>de</strong>ll primär durch<br />

das äußere Design, etwa die Farbe pink und eine rote Hülle sowie leicht unterschiedliche<br />

Rasierköpfe. Erst En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1950er Jahre wur<strong>de</strong>n Rasierer für Frauen in<br />

Form eines großen Lippenstifts entwickelt und mit einem parfümbetupften Kissen<br />

ausgestattet, um <strong>de</strong>n Geruch <strong>de</strong>s Öls <strong>de</strong>s Rasierermotors zu verbergen. Damit sollte –<br />

so van Ooosts These – die Assoziation <strong>de</strong>s Rasierers mit einem Schönheitsprodukt<br />

und Kosmetik hervorgerufen wer<strong>de</strong>n – eine Strategie, die später mit <strong>de</strong>m Produkt <strong>de</strong>s<br />

„Ladyshave beauty set“ (1979) und mit <strong>de</strong>m unter <strong>de</strong>r Dusche benutzbaren „Wet & Dry<br />

Ladyshave“ (1994) fortgesetzt wur<strong>de</strong>. Im Vergleich dazu wur<strong>de</strong> beim Design <strong>de</strong>s<br />

Rasierers für Männer <strong>de</strong>r technische Charakter stark betont. Die anfänglichen<br />

elfenbeinfarbenen und run<strong>de</strong>n Formen machten in <strong>de</strong>n 1970er Jahren schwarz und<br />

105


metallic sowie einem kantigen Design Platz. Zu<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> die Integration neuester<br />

technologischer Entwicklungen im Innern <strong>de</strong>s Gerätes später durch einen Aufkleber<br />

<strong>de</strong>utlich sichtbar gemacht.<br />

Die zweigeschlechtliche Differenzierung blieb jedoch nicht auf das äußere Design<br />

und das Marketing <strong>de</strong>r Rasierapparate beschränkt, son<strong>de</strong>rn umfasste zugleich technische<br />

Funktionalitäten. Männer bekamen technische Informationen aus <strong>de</strong>m Inneren<br />

<strong>de</strong>s Gerätes über ein elektronisches Display übermittelt und konnten das Gehäuse<br />

durch Schrauben öffnen. Demgegenüber wur<strong>de</strong>n die Ladyshaves ohne Display und<br />

ohne Schrauben geliefert, so dass ein Öffnen <strong>de</strong>s Gerätes ohne weitgehen<strong>de</strong> Zerstörung<br />

nicht möglich war. Van Oost schließt daraus, dass das Design <strong>de</strong>r Rasierapparate<br />

für Männer die Männern zugeschriebene Ten<strong>de</strong>nz zu Kontrolle und technologischer<br />

Kompetenz stützte, während durch die Gestaltung <strong>de</strong>r für Frauen gedachten Mo<strong>de</strong>lle<br />

<strong>de</strong>r technische Charakter verschleiert wer<strong>de</strong>n sollte. „The script of the Ladyshaves<br />

hi<strong>de</strong>s the technology for its users both in a symbolic way (by presenting itself as a<br />

beauty set) and in a physical way (by not having screws that would allow the <strong>de</strong>vice to<br />

be opened). The Ladyshave’s <strong>de</strong>sign trajectory was based on a representation of<br />

female users as technophobic“ (van Oost 2003, 206). Die Analyse <strong>de</strong>r Gen<strong>de</strong>rskripte in<br />

Rasierern zeige, dass eine enge Verknüpfung von Männern mit technologischer<br />

Kompetenz im Design festgeschrieben wur<strong>de</strong>. Insofern spiegelten Rasierer<br />

vorherrschen<strong>de</strong> Geschlechtersymbole und -i<strong>de</strong>ntitäten. Sie trügen damit jedoch<br />

zugleich zu <strong>einer</strong> Normalisierung von Zweigeschlechtlichkeit im Sinne von „weiblichen“<br />

und „männlichen“ Umgangsweisen in Bezug auf Technologien bei. „The Philips<br />

shavers not only reflected this gen<strong>de</strong>ring of technological competence, they too<br />

constructed and strengthened the prevailing gen<strong>de</strong>ring of technological competence.<br />

… the gen<strong>de</strong>r script of the Ladyshave inhibits (symbolic and material) the ability of<br />

women to see themselves as interested in technology and technologically competent,<br />

whereas the gen<strong>de</strong>r script of the Philishaves invites men to see themselves that way.<br />

In other words: Philips not only produces shavers but also gen<strong>de</strong>rs“ (van Oost 2003,<br />

206).<br />

Nun gehören Rasierapparate nicht zu <strong>de</strong>n Informationstechnologien. Jedoch weist<br />

van Oosts Fallstudie darauf hin, dass Geschlecht konstituieren<strong>de</strong> Nutzungsvorstellungen<br />

über Inszenierungen von Technologien in <strong>de</strong>n Medien o<strong>de</strong>r Marketingstrategien<br />

von Herstellerfirmen hinaus in die Funktionalität technischer Artefakte Eingang fin<strong>de</strong>n,<br />

wodurch wie<strong>de</strong>rum strukturelle Dimensionen von Geschlecht in <strong>de</strong>r Nutzung reproduziert<br />

wer<strong>de</strong>n. Ihre Untersuchung veranschaulicht somit <strong>de</strong>n Zirkel <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von<br />

Technologien im Sinne <strong>einer</strong> zitatförmigen Bezugnahme auf Geschlechtersymbolismen<br />

und das performative Neuhervorbringen von Geschlechterdifferenz und Geschlechterungleichheit<br />

durch technische Artefakte. Dennoch ist dies kein zwangsläufiger Prozess.<br />

Bereits im letzten Kapitel wur<strong>de</strong> diskutiert, dass NutzerInnen <strong>einer</strong> in die Technologie<br />

eingeschriebenen Repräsentation <strong>de</strong>r Nutzungsvorgabe nicht notwendigerweise folgen<br />

müssen. Besitzerinnen von Rasierern für Frauen wer<strong>de</strong>n nicht gezwungen, <strong>de</strong>n<br />

technischen Charakter <strong>de</strong>s Gerätes abzulehnen. Sie können vielmehr, wie van Oost<br />

selbst erläutert, das Skript verweigern (z.B. in<strong>de</strong>m sie einen Männerrasierer benutzen<br />

o<strong>de</strong>r sich nicht rasieren) o<strong>de</strong>r es modifizieren (z.B. in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Ladyshaver doch<br />

öffnen).<br />

106


Die NutzerInnen können jedoch – wie eine weitere empirische Studie von Merete<br />

Lie (1995) zeigt – ihre Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität ebenso auf an<strong>de</strong>re Symbole und Merkmale<br />

grün<strong>de</strong>n als <strong>de</strong>njenigen, die von <strong>de</strong>m Gen<strong>de</strong>rskript <strong>de</strong>r Technologie aufgerufen<br />

wer<strong>de</strong>n. Lie interessierte, inwieweit <strong>de</strong>r Personalcomputer ein Symbol für Männlichkeit<br />

darstellt. Sie führte ihre Untersuchungen ca. 1990 in <strong>einer</strong> norwegischen Dienstleistungsfirma<br />

durch, die Maschinen für landwirtschaftliche Betriebe, Ersatzteile, aber<br />

auch Dünger und Futter vertreibt. Interviews mit MitarbeiterInnen verschie<strong>de</strong>ner<br />

Abteilungen ver<strong>de</strong>utlichten, dass <strong>de</strong>m Artefakt Personalcomputer in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Abteilungen unterschiedliche und vergeschlechtliche subjektive Be<strong>de</strong>utungen zugeschrieben<br />

wur<strong>de</strong>. Der Gruppe <strong>de</strong>r Verkäufer, die ausschließlich aus Männern bestand<br />

und die Kun<strong>de</strong>n mit Ersatzteilen von Maschinen versorgte, erschien <strong>de</strong>r Computer<br />

unwichtig und uninteressant. Ihre Tätigkeit war stark an die Kenntnis <strong>de</strong>r spezifischen<br />

Landmaschinen gebun<strong>de</strong>n, die sie sich im Zuge ihrer Sozialisation auf <strong>de</strong>m Land<br />

informell angeeignet hatten. Diese Mitarbeiter konnten ihr Wissen nicht von <strong>de</strong>n Landmaschinen<br />

auf <strong>de</strong>n Computer übertragen, <strong>de</strong>r ihnen als eine „closed box“ erschien und<br />

damit eher als Büroausstattung galt <strong>de</strong>nn als Maschine. Computertätigkeit schrieben<br />

sie <strong>de</strong>n Sekretärinnen und <strong>de</strong>n im Büro angestellten Frauen zu, während sie die eigene<br />

Kompetenz in Bezug auf die Landmaschinen als Zeichen ihrer Männlichkeit inszenierten.<br />

Die zwei weiteren MitarbeiterInnengruppen, die Lie in ihrer Studie beschreibt,<br />

bestätigten dagegen die simplifizierte traditionelle Formel, dass Computer männlich<br />

und unweiblich seien. Den Männern im mittleren Management <strong>de</strong>r Firma diente <strong>de</strong>r<br />

Computer als zentrales Objekt ihrer Aufgaben <strong>de</strong>r Planung und Organisationsentwicklung.<br />

Das Artefakt wur<strong>de</strong> nicht mit Routinearbeiten in Verbindung gebracht – und damit<br />

mit Weiblichkeit assoziiert –, son<strong>de</strong>rn galt ihnen als ein Arbeitsmittel, um Überblick<br />

über die Firma zu gewinnen, um Entscheidungen zu treffen und die eigenen Fähigkeiten<br />

zu erweitern. Die im Büro angestellten Frauen wie<strong>de</strong>rum empfan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Computer<br />

als faszinierend. Sie sahen in <strong>de</strong>m Gerät bisher unvorstellbare Möglichkeiten. Die Büroangestellten<br />

waren also durchaus am Computer interessiert, aber betrachteten<br />

diesen nicht als <strong>de</strong>n „ihren“. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Männern im mittleren Management,<br />

die sich die Potentiale anzueignen versuchten, lag das „Innere“ <strong>de</strong>r Maschine<br />

außerhalb ihrer Reichweite.<br />

Die Studie belegt die enorme Flexibilität symbolischer Geschlechter<strong>de</strong>utungen von<br />

Computern. Welche Botschaften das Artefakt übermittelt, hängt stark von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität<br />

<strong>de</strong>r jeweiligen NutzerInnen ab, von ihrer konkreten Tätigkeit im Betrieb und allgem<strong>einer</strong><br />

von <strong>de</strong>n kulturellen Prägungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Während die<br />

Männer aus <strong>de</strong>m Management und die im Büro angestellten Frauen die in Bezug auf<br />

herkömmliche Technologien üblichen Geschlechter-Inszenierungen weitgehend reproduzierten,<br />

grün<strong>de</strong>ten die Ersatzteilverkäufer ihre Männlichkeit auf einem Technikverständnis<br />

von mechanischen Maschinen, das <strong>de</strong>n Bezug auf <strong>de</strong>n Computer überflüssig<br />

macht. „In this case study we found that to some men mastering of mechanical<br />

machinery and manual skills are most important to their pri<strong>de</strong> as workers. The<br />

computer cannot represent the qualities which are central to these men. Once<br />

intellectual capacities linked to organizational power are emphasized, however, the<br />

computer works as an expression of such attributes. Here, these different symbolic<br />

expressions seem to work si<strong>de</strong> by si<strong>de</strong>.” (Lie 1995, 391) Die These, dass <strong>de</strong>r Computer<br />

symbolisch als „männlich“ konnotiert ist, be<strong>de</strong>utet Lie zufolge nicht, dass sämtliche<br />

107


Männer diese Technologie beherrschen und darüber ihre Maskulinität bestätigen.<br />

Neben (bzw. unter) <strong>de</strong>r hegemonialen Männlichkeit (Connell 1987) existierten auch<br />

weniger dominante Formen „typischer Männlichkeit“, beispielsweise jene, die sich auf<br />

einen an<strong>de</strong>ren Typ technologischer Artefakte – in Lies Fallstudie die Landmaschinen<br />

anstelle <strong>de</strong>s Computers – beziehen. Ihre Studie ver<strong>de</strong>utlicht, dass das Verständnis <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung von Technologien auf <strong>einer</strong> symbolischen Ebene ausdifferenziert<br />

wer<strong>de</strong>n muss. Technische Artefakte symbolisieren nicht entwe<strong>de</strong>r „Männlichkeit“ o<strong>de</strong>r<br />

„Weiblichkeit“. Vielmehr zeigt das Beispiel, dass es verschie<strong>de</strong>ne „Männlichkeiten“ und<br />

verschie<strong>de</strong>ne Symbolisierungsformen von Männlichkeiten gibt. Unterschiedliche<br />

Symbolisierungsformen von Männlichkeiten können sich sogar wi<strong>de</strong>rsprechen und<br />

ausschließen. Lie arbeitet heraus, dass Geschlecht, Klasse und Position im Produktionsprozess<br />

eng zusammenspielen. Hinsichtlich <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifizierung mit <strong>de</strong>m Artefakt<br />

liegt eine größere Nähe zwischen Management (d.h. Männern <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n<br />

Klasse) und Verwaltung (d.h. Frauen <strong>de</strong>r intermediären Klasse <strong>de</strong>r Angestellten) vor<br />

als als zwischen <strong>einer</strong> dieser Gruppen mit <strong>de</strong>n landwirtschaftlichen Technikern (d.h.<br />

Männern <strong>de</strong>r Arbeiterklasse). Während sich die höher Positionierten positiv auf Computer<br />

beziehen, wenngleich auf unterschiedliche Weise, grenzen sich die Arbeiter vom<br />

Computer ab und bil<strong>de</strong>n ihre Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität anhand <strong>de</strong>s Umgangs mit<br />

Landmaschinen heraus. Im Ergebnis zeigt sich die Priorität von Klasse und Position im<br />

Produktionsprozess gegenüber Geschlecht im Sinne <strong>einer</strong> verengten Geschlechterdifferenz-Perspektive.<br />

Vergeschlechtlichung muss <strong>de</strong>shalb in Bezug auf an<strong>de</strong>re Kategorien<br />

sozialer Ungleichheit als intersektional o<strong>de</strong>r inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt begriffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die bisher angeführten Fallstudien ver<strong>de</strong>utlichen <strong>einer</strong>seits, dass die Prozesse <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring von Technologien zu vielschichtig, komplex und variabel sind, um im Sinne<br />

eines fest gefügten, dichotomen Geschlechterverständnisses interpretiert wer<strong>de</strong>n zu<br />

können. An<strong>de</strong>rerseits setzt insbeson<strong>de</strong>re Lies Untersuchung <strong>de</strong>n zuvor diskutierten<br />

Analysen, die auf die Vergeschlechtlichung durch und während <strong>de</strong>r Gestaltung von<br />

Artefakten fokussieren, die Perspektive <strong>de</strong>r NutzerInnen und <strong>de</strong>ren Aneignung o<strong>de</strong>r<br />

Ablehnung <strong>de</strong>r Geschlechtseinschreibung entgegen. Damit liefern die diskutierten<br />

Beispiele insgesamt eine Reihe von Grün<strong>de</strong>n dafür, warum es so schwierig ist, „gute<br />

Beispiele“ für die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte anzugeben. Das<br />

Gen<strong>de</strong>ring von Technologien kann nicht auf die Seite <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

beschränkt wer<strong>de</strong>n. Materielle, strukturelle und symbolische Dimensionen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

fin<strong>de</strong>n ebenso während <strong>de</strong>r Verbreitung, <strong>de</strong>m Marketing und <strong>de</strong>r<br />

Nutzung statt. Ferner lassen sich aus <strong>de</strong>n Fallstudien keine einfachen dualistischen<br />

Muster ableiten. Klare Muster wie <strong>de</strong>r Ausschluss von Frauen von <strong>de</strong>r Nutzung <strong>de</strong>r<br />

Technologie (beispielsweise bei <strong>de</strong>r Spracherkennungssoftware), <strong>de</strong>r <strong>einer</strong> ein<strong>de</strong>utigen<br />

Benachteiligung von in typischen Frauenberufen Tätigen durch das konkrete Design<br />

(wie bei <strong>de</strong>r Schreibmaschinentastatur) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>einer</strong> klaren männlichen Symbolisierung<br />

von Artefakten (wie in <strong>de</strong>n Anfangszeiten <strong>de</strong>s Computern) erwiesen sich bereits<br />

bei <strong>de</strong>r hier skizzierten Zusammenschau von Fallbeispielen als flexibler und brüchiger<br />

als dass sie in das dichotome Zweigeschlechtlichkeitssystem einzuordnen wären, das<br />

bei <strong>de</strong>r Interpretation häufig vorherrscht. Vielmehr wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass nicht nur die<br />

Verknüpfungen von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit mit bestimmten Artefakten<br />

Wandlungen unterliegen, son<strong>de</strong>rn auch die Geschlechtlichkeit selbst, die nicht in einem<br />

einfachen, dualistischen Schema verortbar ist. Die Kategorie Geschlecht ist ebenso<br />

108


wie die Geschlechter-Technik-Verhältnisse und damit das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte variabel und historisch-kulturell situiert.<br />

Für die Fragestellung <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte erweisen<br />

sich die betrachteten Fallstudien als wertvoll, insofern <strong>de</strong>r Blick sowohl auf die<br />

Kontinuität <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring gerichtet ist als auch auf die Variabilität und Instabilität <strong>de</strong>r<br />

Geschlechter-Technik-Verhältnisse. Die Zusammenschau <strong>de</strong>r bisher angeführten<br />

Beispiele zeigt, dass auf vielen Ebenen Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte stattfin<strong>de</strong>n. Sie geben damit wichtige Hinweise, worauf <strong>de</strong>r<br />

analytische Blick zu richten ist, um ein Gen<strong>de</strong>ring von neuen Technologien zu<br />

i<strong>de</strong>ntifizieren, die bisher noch nicht untersucht wur<strong>de</strong>n. Im Folgen<strong>de</strong>n wird <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>r<br />

Fokus von <strong>de</strong>n „guten Beispielen“ allgem<strong>einer</strong> auf die Dimensionen <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung informationstechnologischer Artefakte verschoben.<br />

Bis hierher lassen sich die Prozesse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring entlang von drei Fragen verorten:<br />

1. Kann die Ignoranz von Geschlechtsdifferenzierungen – unabhängig davon, ob<br />

diese wie bei <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>r Spracherkennungssysteme als körperlich begrün<strong>de</strong>t<br />

angenommen o<strong>de</strong>r auch sozial-kulturell verortet wer<strong>de</strong>n – zu einem Ausschluss<br />

bestimmter Gruppen von <strong>de</strong>r Nutzung <strong>einer</strong> Technologie führen?<br />

2. Kann die Arbeit, die mit einem informationstechnologischen Artefakt bzw.<br />

Computersystem unterstützt o<strong>de</strong>r automatisiert wer<strong>de</strong>n soll, Merkmale Ggeschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung aufweisen und diese Differenzierung durch Technologie<br />

weiter verstärken? Ein wesentlicher Faktor geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Markierungen<br />

bestimmter Tätigkeiten besteht darin, welche Fähigkeiten dazu explizit o<strong>de</strong>r implizit<br />

vorausgesetzt wer<strong>de</strong>n und wie diese wie<strong>de</strong>rum in Bezug auf Status, Macht und<br />

Bezahlung anerkannt o<strong>de</strong>r auch abgewertet wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Können <strong>de</strong>m Artefakt bzw. <strong>de</strong>r mit diesem verbun<strong>de</strong>nen Tätigkeit vorherrschen<strong>de</strong><br />

„Männlichkeiten“ o<strong>de</strong>r „Weiblichkeiten“ zugeschrieben wer<strong>de</strong>n, beispielsweise durch<br />

entsprechen<strong>de</strong> gesellschaftlich-kulturelle Symbolisierung auf <strong>einer</strong> medialen Ebene<br />

o<strong>de</strong>r durch Marketing, Verpackung und Design von Funktionalität? Auf diese Weise<br />

wird das vorherrschen<strong>de</strong> System <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit gestützt o<strong>de</strong>r auch<br />

unterminiert. Dabei ist zu bemerken, dass strukturelle und symbolische Dimensionen<br />

eng miteinan<strong>de</strong>r verflochten sind und <strong>de</strong>shalb im Folgen<strong>de</strong>n nicht weiter differenziert<br />

wer<strong>de</strong>n sollen. 161<br />

In dieser Kategorisierung <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von Technologien ist allerdings <strong>de</strong>r<br />

spezifische Charakter aktueller Informationstechnologien und ihrer Gestaltung noch<br />

nicht berücksichtigt. Ein Aspekt <strong>informatischer</strong> Artefakte, <strong>de</strong>r diese gegenüber an<strong>de</strong>ren<br />

Technologien auszeichnet, besteht in <strong>de</strong>r Rolle, die diesen beim Zugang zu<br />

161 Die entwickelte Taxonomie <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von Technologien entspricht grob <strong>de</strong>m Raster, das Nelly<br />

Oudshoorn 1996 vorgeschlagen hat, wenn sie konstatiert, dass Gen<strong>de</strong>rskripte in viererlei Hinsicht<br />

problematisch sein können: „they can ‚<strong>de</strong>legate different competencies and responsibilities to men and<br />

women; they can reinforce differences between female and male work; they can normalize stereotypical<br />

male and female behaviour and they can create barriers for the accessability of technology“ (Oudshoorn<br />

1996, zitiert nach Rommes 2002, 18). In m<strong>einer</strong> Klassifizierung habe ich die ersten bei<strong>de</strong>n Kategorien von<br />

Oudshoorns Gen<strong>de</strong>rskripten, die Zuweisung geschlechtsdifferenzieren<strong>de</strong>r Kompetenzen und Verantwortungen<br />

sowie die Verstärkung geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung, aufgrund ihrer engen<br />

Verknüpfung zusammengefasst. Vergleiche hierzu auch <strong>de</strong>n Aufsatz Bath 2003, in <strong>de</strong>m ich eine erste<br />

Version <strong>de</strong>r Systematisierung von Prozessen, durch die Informationstechnologien vergeschlechtlicht<br />

wer<strong>de</strong>n, entwickelt hatte.<br />

109


Informationen und <strong>de</strong>ren Strukturierung und Verbreitung zukommt. Mit <strong>de</strong>m Übergang<br />

in die Informations- bzw. Wissensgesellschaft wer<strong>de</strong>n in Technologien verkörperte<br />

Machtverhältnisse nicht mehr nur über Arbeitssysteme hergestellt, son<strong>de</strong>rn zunehmend<br />

auch in verschie<strong>de</strong>nen Informationssystemen sowie in Methodiken ihrer Herstellung<br />

inkorporiert. Es gilt <strong>de</strong>mnach zu untersuchen, inwieweit auch das in informationstechnischen<br />

Systemen repräsentierte Wissen zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r strukturellsymbolischen<br />

Geschlechterordnung beiträgt. Aus <strong>einer</strong> feministischen Perspektive<br />

beson<strong>de</strong>rs relevant erscheint dabei die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r spezifischen Klassifizierung und<br />

Formalisierung von Informationen, die Ein- und Ausschlüsse auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>s Wissens<br />

und <strong>de</strong>r Subjekte <strong>de</strong>s Wissens produziert, welche als Politik <strong>de</strong>r Artefakte<br />

bezeichnet wer<strong>de</strong>n kann. 162 Denn in die ontologischen Vorannahmen von Abstraktion,<br />

Mo<strong>de</strong>llierung, aber auch <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Informationssystementwicklung gehen<br />

Wissensordnungen und Macht, mithin die bestehen<strong>de</strong> Geschlechterordnung in die<br />

Konstitution <strong>de</strong>r Artefakte ein. Diese Probleme führen zu wissenschaftstheoretischen<br />

Fragen, 163 welche quer zu <strong>de</strong>n bisher i<strong>de</strong>ntifizierten Kategorien <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

von Technologien liegen und <strong>de</strong>shalb zu ergänzen sind.<br />

Eine weitere Beson<strong>de</strong>rheit <strong>informatischer</strong> Artefakte besteht in ihrer Interaktivität und<br />

Flexibilität, die diese in <strong>de</strong>r Nutzung wie auch <strong>de</strong>r eingeschriebenen Funktionalität<br />

aufweisen. Während die bisher entwickelte Taxonomie für die I<strong>de</strong>ntifikation <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring relativ feststehen<strong>de</strong>r Artefakte nützlich erscheint, stößt sie insbeson<strong>de</strong>re bei<br />

<strong>de</strong>n neueren, mit Ansätzen <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenz ausgestatteten Technologien,<br />

die – wie im Kapitel 3 vorgestellt – „lernen“, sich verän<strong>de</strong>rn bzw. „anpassen“ können<br />

und Handlungsträgerschaft zwischen Mensch und Maschine neu verteilen, auf<br />

Grenzen. Der Ansatz, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n theoretischen Grundlagen <strong>de</strong>r Ko-Konstruktion von<br />

Geschlecht und Technik beruht, erscheint geeignet, das Gen<strong>de</strong>ring von Schreibmaschinentastaturen,<br />

Computern o<strong>de</strong>r Rasierapparaten (bzw. die Politik von Brücken)<br />

nachzuweisen, allerdings bleiben die Gen<strong>de</strong>rdimension von mit KI ausgestatteten Softwareprodukten<br />

und an<strong>de</strong>ren informatischen Artefakten auf dieser Basis schwer<br />

greifbar. Die Qualität dieser Artefakte erfor<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>mgegenüber eine differenzierte<br />

Analyse epistemologischer Dimensionen, <strong>de</strong>r zugrun<strong>de</strong> gelegten ontologischen<br />

Setzungen sowie <strong>de</strong>r Konzeptionen <strong>de</strong>s Humanen, d.h. anthropologischer Annahmen.<br />

Hier wie bei <strong>de</strong>r Untersuchung von Wissenstechnologien erscheinen Erkenntnisse <strong>de</strong>r<br />

feministischen Theorie und Epistemologie sowie die Geschlechter<strong>de</strong>batten um <strong>de</strong>n<br />

Körper produktiv. Um diesen Charakteristiken <strong>informatischer</strong> Artefakte Rechnung zu<br />

tragen, ergänze ich die bisherige Taxonomie <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung um die<br />

Dimension <strong>de</strong>r Geschlechterpolitik und Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen. 164<br />

162 Bereits an dieser Stelle <strong>de</strong>utet sich eine generelle Problematik von Taxonomien an. Intendiert als<br />

Zusammenfassung disjunkter Kategorien, die <strong>de</strong>n Gegenstandsbereich vollständig ab<strong>de</strong>cken sollen,<br />

lassen sich die einzelnen Dimensionen in realiter selten trennscharf voneinan<strong>de</strong>r abgrenzen. Je nach<strong>de</strong>m,<br />

wo die Grenzen <strong>de</strong>s Gegenstandsbereiches gezogen wer<strong>de</strong>n (z.B. ausschließlich Nutzungsrepräsentionen<br />

o<strong>de</strong>r auch epistemologische Annahmen), können Kategorien hinzu gehören o<strong>de</strong>r auch nicht.<br />

163 Beispielsweise auf die Frage <strong>de</strong>r Objektivität.<br />

164 Eine weitere Schwierigkeit, informatische Artefakte mit Hilfe <strong>de</strong>r entwickelten Taxonomie zu<br />

beforschen, ergibt sich aus <strong>de</strong>m historischen Charakter <strong>de</strong>r bisher diskutierten Fallstudien. Die Historizität<br />

<strong>de</strong>r betrachteten Technologien <strong>de</strong>utet darauf, dass das Gen<strong>de</strong>ring von Artefakten erst im Rückblick<br />

erkennbar ist. VertreterInnen eines konservativen Wissenschaftsverständnisses erklären dieses<br />

Phänomen häufig dadurch, dass sozialwissenschaftlich Forschen<strong>de</strong> eine gewisse Distanz zu ihrem<br />

Gegenstand benötigen, um soli<strong>de</strong>, nicht-involvierte Untersuchungen durchführen zu können.<br />

Demgegenüber vertrete ich hier mit Bezug auf Ansätze feministischer Theorie, welche die<br />

110


Folgen<strong>de</strong> Dimensionen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung informationstechnologischer Artefakte<br />

wer<strong>de</strong>n somit in einzelnen Abschnitten ausführlich beschrieben und anhand von<br />

Fallstudien veranschaulicht:<br />

1. Problem<strong>de</strong>finitionen und Annahmen, die gesellschaftlich-soziale Ausschlüsse<br />

produzieren,<br />

2. die Digitalisierung strukturell-symbolischer Geschlechterungleichheit,<br />

3. Geschlechterpolitik und die Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen.<br />

Dabei wur<strong>de</strong>n Studien über symbolische Aspekte <strong>de</strong>s Vergeschlechtlichung, die im<br />

Effekt zur Normalisierung <strong>de</strong>s Zweigeschlechtlichkeitssystems beitragen, <strong>de</strong>m zweiten<br />

Abschnitt zugeordnet (4.2.5), da hierzu nur wenige Untersuchungen aus <strong>de</strong>r Informatik<br />

und <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung vorliegen.<br />

Meine Darstellung orientiert sich zwar häufig an <strong>de</strong>r historischen Entwicklung von<br />

Informationstechnologien sowie ihrer <strong>kritisch</strong>en Reflexion in <strong>de</strong>n Ansätzen feministischer<br />

Informatikerinnen und feministischer TechnikforscherInnen. Jedoch verstehen<br />

sich meine Ausführungen primär als ein Ansatz zur Systematisierung <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichungsprozesse<br />

von IT. Dabei wird das weitergehen<strong>de</strong> Ziel, <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

entgegenzuwirken, stets im Blick behalten. Sofern anhand <strong>de</strong>r<br />

skizzierten Fallstudien bereits I<strong>de</strong>en bzw. sogar Systeme entwickelt wur<strong>de</strong>n, die<br />

Alternativen zu <strong>de</strong>n vergeschlechtlichten Technologien und Prozessen darstellen und<br />

damit Hinweise auf ein De-Gen<strong>de</strong>ring geben, wer<strong>de</strong>n diese hier ansatzweise diskutiert.<br />

4.1. Access <strong>de</strong>nied!? Problem<strong>de</strong>finitionen und Annahmen, die soziale<br />

Ausschlüsse produzieren<br />

Der Ausschluss von Frauen o<strong>de</strong>r <strong>einer</strong> an<strong>de</strong>ren spezifischen Gruppe „An<strong>de</strong>rer“ von <strong>de</strong>r<br />

Nutzung <strong>einer</strong> Technologie ist ein starkes Argument für die Berücksichtigung von Geschlechter-<br />

und Diversity-Aspekten bei <strong>de</strong>r Technologiegestaltung. Lässt sich ein<br />

Gen<strong>de</strong>ring „by <strong>de</strong>sign“ (vgl. Green et al. 1993a) für technologische Artefakte<br />

überzeugend nachweisen, so ruft dies vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>s Imperativs<br />

angestrebter Geschlechtergerechtigkeit gemeinhin Wi<strong>de</strong>rspruch hervor. Allerdings<br />

beruht die Behauptung, dass eine Technologie in <strong>de</strong>m Sinne vergeschlechtlicht ist,<br />

dass Frauen <strong>de</strong>r Zugang und die Nutzung versperrt bleiben, auf Annahmen, die <strong>einer</strong><br />

Objektivitätsannahmen als nicht mögliche Positionen kritisieren, die These, dass es nicht fehlen<strong>de</strong><br />

Distanz, son<strong>de</strong>rn die mangeln<strong>de</strong> Fixierung <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s ist, die die Analyse neu aufkommen<strong>de</strong>r<br />

Technologien erschwert. Gera<strong>de</strong> die Informatik ist von <strong>einer</strong> Dynamik geprägt, die eine für die sorgfältige<br />

Erforschung notwendige Eingrenzung und Festlegung oft unpraktikabel macht. Im angloamerikanischen<br />

Raum wer<strong>de</strong>n Technologien <strong>de</strong>shalb primär ethnografisch erforscht (vgl. hierzu die im Kapitel 3.3<br />

skizzierten Labor- und Netzwerkstudien-Ansätze sowie Kapitel 5.6). Dabei wird jedoch in <strong>de</strong>r Regel<br />

vorausgesetzt, dass die untersuchten Technologien bereits in <strong>de</strong>r Nutzung sind. Ein Teil <strong>de</strong>r auf ein<br />

Gen<strong>de</strong>ring zu befragen<strong>de</strong>n Technologien befin<strong>de</strong>t sich allerdings noch nicht in <strong>de</strong>r kommerziellen<br />

Anwendung. Sie wur<strong>de</strong>n bisher nicht in <strong>de</strong>n Kontext <strong>de</strong>r Nutzung gestellt, son<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n noch konzipiert,<br />

mo<strong>de</strong>lliert, sind mithin – ähnlich wie die Grundlagenforschung – „technologies in the making“.<br />

Die Erkenntnis, dass Analysen neuer Technologien <strong>de</strong>n technologischen Entwicklungen stets hinterher<br />

hinken, stellt das vorliegen<strong>de</strong> Vorhaben hier vor große Herausfor<strong>de</strong>rungen. Denn die Vergeschlechtlichung<br />

<strong>de</strong>r Artefakte soll nicht nur zum Selbstzweck analysiert wer<strong>de</strong>n. Vielmehr sollen die Ergebnisse<br />

hier in Vorschläge mün<strong>de</strong>n, wie diese Prozesse durch eine entsprechen<strong>de</strong> Gestaltung vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

können. Um geeignete De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesse in <strong>de</strong>r Technologiegestaltung zu initiieren, müssen die<br />

Analysen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung jedoch höchst aktuell sein o<strong>de</strong>r sich auf die gegenwärtig konzipierten<br />

Artefakte übertragen lassen. Auf diese Problematik wer<strong>de</strong> ich im nächsten Kapitel zurückkommen.<br />

111


grundlegen<strong>de</strong>n Reflexion bedürfen. Zum einen basiert sie – wie im letzten Kapitel<br />

ausgehend von Winners Brückenbeispiel ausführlich diskutiert wur<strong>de</strong> – häufig auf<br />

einem verengten Verständnis von Technologie, ihrer gesellschaftlichen Situierung und<br />

Ko-Konstitution mit sozialen Prozessen. Zum an<strong>de</strong>ren setzt die These <strong>de</strong>s Ausschlusses<br />

voraus, dass es ein o<strong>de</strong>r mehrere Merkmale gibt, welche die von <strong>de</strong>m Gebrauch<br />

<strong>de</strong>r jeweiligen Technologie Ausgeschlossenen charakterisieren und von <strong>de</strong>n Eingeschlossenen<br />

abzugrenzen vermögen. Im Folgen<strong>de</strong>n wird am Beispiel <strong>de</strong>r Kategorie<br />

Geschlecht diskutiert, inwiefern eine solche Klassifikation geschlechtertheoretisch<br />

haltbar ist, strategisch sinnvoll sein kann o<strong>de</strong>r besser verworfen wer<strong>de</strong>n sollte.<br />

Kann bei <strong>de</strong>r Definition von Grenzen auf statistisch ungleich verteilte, auf <strong>de</strong>n<br />

Körper bezogene Aspekte zurückgegriffen wer<strong>de</strong>n, so lässt sich leicht argumentieren.<br />

Rachel Weber (1999) weist etwa auf das Beispiel <strong>de</strong>s Flugzeugcockpits hin, das<br />

bestimmte Körpergrößen <strong>de</strong>r PilotIn wie Sitzhöhe, Armlänge, Gewicht erfor<strong>de</strong>rt, um<br />

eine adäquate Bedienung und sichere Kontrolle <strong>de</strong>r Instrumente zu ermöglichen. Im<br />

Fall US-amerikanischer Militärflugzeuge waren Grenzwerte so festgelegt, dass sie<br />

maximal von 5% <strong>de</strong>r kleinsten Männer unterschritten und von 5% <strong>de</strong>r größten Männer<br />

überschritten wur<strong>de</strong>n. Diese Richtlinie schloss ihrer Untersuchung zufolge allerdings<br />

ca. 65% <strong>de</strong>r kleinsten und 5% <strong>de</strong>r größten Frauen von <strong>einer</strong> Pilotinnenkarriere bei <strong>de</strong>r<br />

Navy o<strong>de</strong>r Airforce aus. Dies kann als ein Fall <strong>de</strong>r Geschlechterblindheit in <strong>de</strong>r<br />

Technologieentwicklung betrachtet wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Bezug auf physische<br />

Merkmale evi<strong>de</strong>nt erscheint. Eine solche Begründung <strong>de</strong>s Ausschlusses erscheint<br />

überzeugend, sofern <strong>de</strong>n statistischen Daten Glauben geschenkt wird und ihre<br />

Gültigkeit auf <strong>de</strong>n betrachteten kulturell-historischen Raum beschränkt bleibt.<br />

Vergleichbare Argumentationen lassen sich jedoch in <strong>de</strong>r Informatik nur äußerst<br />

selten anführen. Denn die Nutzung <strong>informatischer</strong> Artefakte ist nur in Einzelfällen an<br />

materielle Bedingungen gekoppelt. Abgesehen vom Bereich <strong>de</strong>r Benutzungsschnittstellen<br />

sind dort Fragen <strong>de</strong>r Körperlichkeit eher irrelevant. In <strong>einer</strong> Disziplin, die sich historisch<br />

auf das Artefakt <strong>de</strong>s Computers bezieht, <strong>de</strong>r früh als „Elektronengehirn“ (vgl. van<br />

Oost 2000, Coy 1992) und später als „Fließband im Kopf“ (vgl. Heintz 1993) charakterisiert<br />

wur<strong>de</strong>, lässt sich nur selten auf körperliche Geschlechterunterschie<strong>de</strong> rekurrieren,<br />

um damit auf soziale Ausschlüsse von <strong>de</strong>r Nutzung aufmerksam zu machen. Frühe<br />

Spracherkennungssysteme und ihre Orientierung an als „männlich“ gedachten<br />

Stimmfrequenzen wer<strong>de</strong>n womöglich <strong>de</strong>shalb so häufig zitiert, weil sich für die<br />

Informatik kaum ein an<strong>de</strong>res einschlägiges Beispiel mit Bezug auf Geschlechtskörper<br />

fin<strong>de</strong>n lässt.<br />

Soll ein Ausschluss aufgrund <strong>de</strong>r spezifischen Gestaltung <strong>informatischer</strong> Hardware<br />

o<strong>de</strong>r Software nachgewiesen wer<strong>de</strong>n, so wird in <strong>de</strong>r Regel mit sozialen Unterschie<strong>de</strong>n<br />

zwischen <strong>de</strong>n sozialen Großgruppen „Frauen“ und „Männer“ argumentiert. In diesem<br />

Abschnitt diskutiere ich Studien, die eine Ausgrenzung von Frauen von <strong>de</strong>r Nutzung<br />

<strong>einer</strong> Technologie konstatieren. Dabei unterschei<strong>de</strong> ich Untersuchungen, die auf die<br />

Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r NutzerInnen rekurrieren von solchen, die sich auf die<br />

Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r DesignerInnen beziehen. Die ersteren begrün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n<br />

Ausschluss von Frauen mit als „geschlechtsspezifisch“ angenommenen Interessen,<br />

Vorlieben o<strong>de</strong>r kognitiven Fähigkeiten, die bei <strong>de</strong>r Nutzung relevant seien (Abschnitte<br />

4.1.1. und 4.1.2.). Die letzteren behaupten, dass das jeweilige informatische Artefakt<br />

<strong>de</strong>shalb vergeschlechtlicht sei, weil die Entwickler (i.d.R. Männer) aufgrund ihrer als<br />

112


einheitlich angenommenen Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität nur solche Probleme und Lösungen in<br />

<strong>de</strong>n Blick bekommen, die ihrem eigenen und ebenfalls als einheitlich angenommenen<br />

lebensweltlichen Hintergrund entsprechen. Der implizite Selbstbezug, mit <strong>de</strong>m sich die<br />

TechnologiegestalterInnen als NutzerInnen imaginieren, habe gravieren<strong>de</strong> Auswirkungen<br />

erstens auf die Problem<strong>de</strong>finition, die <strong>de</strong>r Technologie zugrun<strong>de</strong> liegt, d.h. darauf,<br />

welche Technologien entworfen wer<strong>de</strong>n sollen (Abschnitt 4.1.3.) und zweitens auf die<br />

kontinuierlichen Designentscheidungen, d.h. auf die konkrete Gestalt, welche die<br />

Technologie im Laufe <strong>de</strong>s Entwicklungsprozesses erhält (Abschnitt 4.1.4.).<br />

4.1.1. Vom impliziten Design „von und für Männer“: Haben Frauen an<strong>de</strong>re<br />

Vorlieben und Fähigkeiten bei <strong>de</strong>r Nutzung?<br />

Beispiele für das Argument <strong>de</strong>s Ausschlusses von Technologien, die auf zweigeschlechtlich<br />

differenzierte Vorlieben bei <strong>de</strong>r Nutzung <strong>informatischer</strong> Produkte<br />

rekurrieren, sind primär aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Human-Computer-Interaction-Forschung<br />

(HCI) bekannt. Eine oft angeführte Thematik stellt dabei die Formgebung <strong>de</strong>r Interaktionselemente<br />

auf <strong>de</strong>r Bildschirmoberfläche dar. Der renommierte US-amerikanische<br />

User-Interface-Designer und Usability-Forscher Aaron Marcus etwa schlug 1993 zwei<br />

unterschiedliche Gestaltungen grafischer Benutzungsoberflächen zur Formatierung<br />

von Texten vor: die eine gedacht für weiße US-amerikanische Frauen, die an<strong>de</strong>re<br />

sollte europäische erwachsene männliche Intellektuelle ansprechen (vgl. Abbildung 1).<br />

Seinen Entwürfen lag die Annahme zugrun<strong>de</strong>, europäische erwachsene männliche<br />

Intellektuelle wür<strong>de</strong>n „suave prose, a restrained treatment of information <strong>de</strong>nsity, and a<br />

classical approach to font selection (e.g. the use of serif type in axial symmetric layouts<br />

similar to those found in elegant bronze European building i<strong>de</strong>ntification signs)“<br />

(Marcus 1993 nach Preece et al. 2002, 144) mögen, während weiße Amerikanerinnen<br />

„prefer a more <strong>de</strong>tailed presentation, curvilinear shapes and the absence of some more<br />

brutal terms … favored by male engineers.“ (ebd.). Marcus ging zwar nicht so weit zu<br />

behaupten, dass das kantig-eckige Design dazu tendierte, weiße Amerikanerinnen von<br />

<strong>de</strong>r Nutzung fernzuhalten, jedoch legt sein Ansatz diesen Schluss nahe. Die von ihm<br />

zugrun<strong>de</strong> gelegten Hypothesen hielten allerdings <strong>einer</strong> empirischen Überprüfung nicht<br />

stand. Tests mit NutzerInnen belegten vielmehr, dass das für weiße amerikanische<br />

Frauen intendierte Design <strong>de</strong>r Benutzungsoberfläche von sämtlichen Versuchspersonen<br />

stark abgelehnt wur<strong>de</strong> (Teasley et al. 1994 zitiert nach Preece et al 2002).<br />

Unabhängig vom Geschlecht favorisierten diese durchweg das für europäische<br />

erwachsene männliche Intellektuelle entwickelte User-Interface. Damit wur<strong>de</strong> die weit<br />

verbreitete Auffassung, 165 dass Frauen run<strong>de</strong> und gekrümmte gegenüber kantigeckigen<br />

Formen bevorzugen wür<strong>de</strong>n, für <strong>de</strong>n Kontext <strong>de</strong>r Benutzungsoberflächen<br />

wi<strong>de</strong>rlegt. Das Beispiel zeigt, dass immer wie<strong>de</strong>r ernst gemeinte Vorschläge zur<br />

Zweigeschlechtlichkeit konstituieren<strong>de</strong>n Gestaltung von Interfaces - explizit „für<br />

Frauen“ o<strong>de</strong>r explizit „für Männer“ - entstehen, <strong>de</strong>ren Geschlechtervorstellungen jedoch<br />

<strong>einer</strong> empirischen Überprüfung nicht standhalten können.<br />

165 Die Frage, ob Frauen run<strong>de</strong> Formen bei <strong>de</strong>r Interface-Gestaltung bevorzugen wür<strong>de</strong>n, ist mir bei<br />

Vorträgen (insbeson<strong>de</strong>re vor internationalem Informatikpublikum) häufig gestellt wor<strong>de</strong>n.<br />

113


Abbildung 1: (a) Das für weiße amerikanische Frauen intendierte User-Interface (b) Das für europäische,<br />

erwachsene, männliche Intellektuelle gedachte Design (Abbildung nach Preece 2002, 145)<br />

Während dieser Gestaltungsversuch auf unbestätigten Annahmen über<br />

zweigeschlechtlich differenzierte Vorlieben beruhte, grün<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>re Ansätze auf<br />

wissenschaftlichen Untersuchungen, welche Unterschie<strong>de</strong> zwischen Frauen und<br />

Männern behaupten. Laura Beckwith und Margaret Burnett (2004) ziehen beispielsweise<br />

eine Reihe empirischer Ergebnisse aus <strong>de</strong>r (lern-)psychologischen Forschung<br />

und <strong>de</strong>m Marketing heran, um „Gen<strong>de</strong>r HCI“ als Teilgebiet <strong>de</strong>r Human-Computer-<br />

Interaction-Forschung zu reklamieren. Ihr Ziel ist es, gegen ein Design von Software,<br />

das eine <strong>de</strong>r Geschlechtsgruppen „Männer“ und „Frauen“ ausschließt, zu<br />

argumentieren. Sie entwickeln eine Taxonomie von Unterschie<strong>de</strong>n zwischen diesen<br />

sozialen Großgruppen, die sie für die EndnutzerInnen-Programmierung als relevant<br />

erachten. Darin fassen sie weit verbreitete und teils empirisch bestätigte Differenzannahmen<br />

über Selbstvertrauen, NutzerInnenführung und Motivation zusammen:<br />

Frauen hätten aufgrund geringeren Selbstvertrauens im Umgang mit <strong>de</strong>m Computer<br />

und einem an<strong>de</strong>ren Risikoverhalten weniger Interesse als Männer, neue Funktionalitäten<br />

eines Programms auszuprobieren, während Männer wegen Selbstüberschätzung<br />

fehlerhafte Ergebnisse nicht erkennen wür<strong>de</strong>n. Weitere Unterschie<strong>de</strong> bestün<strong>de</strong>n<br />

in Lernstilen, Problemlösungsstrategien und <strong>de</strong>r Art wie sie Informationen nutzten, die<br />

eine zweigeschlechtlich differenzieren<strong>de</strong> Unterstützung durch Software erfor<strong>de</strong>rlich<br />

machten. So wür<strong>de</strong>n Männer im Gegensatz zu Frauen nicht dazu neigen, ausführliche<br />

Erklärungen und Hilfefunktionen zu nutzen, son<strong>de</strong>rn eher heuristisch mit <strong>de</strong>r Software<br />

arbeiten, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Aufwand und Informationsumfang für einfache Aufgaben<br />

minimierten und nur bei komplexeren Aufgaben zu <strong>einer</strong> aufwendigen Strategie hin<br />

wechselten. Ferner sei es für Frauen ein Motivationsfaktor, sich mit Technologie zu<br />

beschäftigen, wenn diese für an<strong>de</strong>re Menschen nützlich ist o<strong>de</strong>r die Kommunikation<br />

114


und Zusammenarbeit unterstützt, während Männer technologische Artefakte um ihrer<br />

selbst Willen spannend fän<strong>de</strong>n und einfach daran Spaß hätten (Beckwith/ Burnett<br />

2004, vgl. hierzu auch Margolis et al. 1999). Die referierten Differenzen wer<strong>de</strong>n zu<br />

Teilaspekten <strong>de</strong>r Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität erklärt. Nicht diskutiert wird dabei, ob sie aus<br />

an<strong>de</strong>ren als geschlechtlichen Faktoren resultieren. Da Beckwith und Burnett diese<br />

Erkenntnisse aus <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n psychologischen und wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Literatur beziehen, ist häufig unklar, wie die konstatierten Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n<br />

Geschlechtsgruppen in Software repräsentiert sein können und aufgrund <strong>de</strong>ssen zu<br />

Ein- bzw. Ausschlüssen führen. 166 Vor allem aber bleibt offen, welchen Effekt diese<br />

informationstechnischen Repräsentationen auf verschie<strong>de</strong>ne NutzerInnen unter verschie<strong>de</strong>nen<br />

Umstän<strong>de</strong>n tatsächlich haben und ob dabei womöglich an<strong>de</strong>re Kategorien<br />

als die <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit wirksam sind. Es gibt verschie<strong>de</strong>ne Hinweise darauf,<br />

dass das Frauen unterstellte geringe Interesse an einem explorativen, spielerischtüfteln<strong>de</strong>n<br />

Umgang mit neuen Funktionalitäten womöglich stärker mit <strong>de</strong>m Maß an<br />

Erfahrungen in <strong>de</strong>r Computernutzung korreliert als generell zu <strong>einer</strong> Frage <strong>de</strong>r<br />

Zugehörigkeit vergeschlechtlichter Großgruppen erklärt wer<strong>de</strong>n kann. 167 Das be<strong>de</strong>utet,<br />

dass sich die essentialistischen Thesen <strong>de</strong>s Ansatzes bereits immanent wi<strong>de</strong>rlegen<br />

lassen.<br />

In ähnliche Legitimationsschwierigkeiten wie die Untersuchungen, die auf <strong>de</strong>r<br />

Annahme zweigeschlechtlich differenzierter Vorlieben grün<strong>de</strong>n, geraten diejenigen<br />

Studien, die sich auf die populärwissenschaftliche Behauptung beziehen, dass Frauen<br />

geringere Fähigkeiten bei <strong>de</strong>r räumlichen Orientierung in <strong>de</strong>r physischen Welt hätten<br />

als Männer und dabei an<strong>de</strong>re Navigationsstrategien verwen<strong>de</strong>ten. 168 Geschlechterunterschie<strong>de</strong><br />

bestün<strong>de</strong>n diesen essentialistischen Auffassungen zufolge vor allem<br />

darin, dass Frauen sich im realen Raum primär an Landmarken (z.B. Gebäu<strong>de</strong>,<br />

Telefonzellen) und Richtungswechseln im Wegverlauf (z.B. „nach <strong>de</strong>m Hotel links<br />

abbiegen“) orientierten, während Männer eher Übersichtswissen besäßen, d.h. eine<br />

landkartenähnliche mentale Repräsentation hätten, bei <strong>de</strong>r Himmelsrichtungen und<br />

räumliche o<strong>de</strong>r zeitliche Entfernungsangaben wesentlich sind. Sigrid Schmitz (1997)<br />

zeigte jedoch, dass auch viele Männer zumeist eine Routenstrategie mit Landmarken<br />

nutzen wür<strong>de</strong>n, wenn sie sich ängstlich und unsicher fühlten, während erkundungserfahrene<br />

Frauen gern Übersichtsstrategien einsetzten (vgl. auch Schmitz/ Nikoleyczik<br />

2004 sowie Grunau 2004). Navigationsstrategien im realen Raum wären <strong>de</strong>mzufolge<br />

166 In späteren Studien begannen die Autorinnen ihre Hypothesen anhand von Problemlösungssoftware<br />

(Excel) und Data Mining zu testen. Dabei ergab sich häufig ein differenzierteres Bild. „An assumption in<br />

much work on gen<strong>de</strong>r differences in computing is that males’ behaviors are reasonably well matched to<br />

today’s problem-solving features […], but the situation is not black and white. For example, in our studies<br />

males’ tinkering patterns have been often more counterproductive to their problem-solving effectiveness<br />

than females’ tinkering patterns […]“ (Beckwith et al. 2006). Auch wenn dabei das Schema, dass Männer<br />

mit <strong>de</strong>m Computer besser umgehen können, aufgebrochen wird, bleiben die Autorinnen <strong>de</strong>m Interpretationssystem<br />

dichotomer Zweigeschlechtlichkeit verhaftet.<br />

167 Vgl. etwa http://www.sigis-ist.org sowie Knapp 1989 und Bath 2000<br />

168 Die Behauptung, dass Geschlechterdifferenzen in kognitiven Fähigkeiten (z.B. Navigation) auf Unterschie<strong>de</strong><br />

zwischen <strong>de</strong>n Gehirnen von Frauen und Männern zurückgeführt wer<strong>de</strong>n können, sind insbeson<strong>de</strong>re<br />

durch die populärwissenschaftlichen Interpretation kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse<br />

durch Alan und Barbara Pease bekannt gewor<strong>de</strong>n; vgl. Pease/ Pease 2000. Kritische Positionen gegenüber<br />

solchen biologistischen Vorstellungen wur<strong>de</strong>n sowohl von Biologinnen und Psychologinnen (vgl. etwa<br />

Quaiser-Pohl/ Jordan 2004) als auch aus <strong>de</strong>r Perspektive feministischer Naturwissenschaftskritik formuliert<br />

(vgl. etwa Schmitz 2004).<br />

115


weniger durch die Kategorie Geschlecht bestimmt als durch Faktoren wie Erfahrung,<br />

Sicherheitsgefühl und Orientierungsängstlichkeit.<br />

Dennoch sind solche geschlechterstereotypen Thesen auf die Navigation im Internet<br />

und in virtuellen Umgebungen übertragen wor<strong>de</strong>n. Im Gegensatz zu oben skizzierten<br />

Ansätzen zu zweigeschlechtlich differenzierten Vorlieben, die Erkenntnisse aus <strong>de</strong>r<br />

(Lern-)Psychologie und <strong>de</strong>m Marketing hypothetisch auf <strong>de</strong>n Umgang mit Computern<br />

transferierten, liegen hierzu jedoch bereits empirische Tests mit NutzerInnen vor.<br />

McDonald und Spencer (2000) etwa fan<strong>de</strong>n in Bezug auf die verwen<strong>de</strong>ten<br />

Navigationsstrategien im Internet ähnliche binär vergeschlechtlichte Unterschie<strong>de</strong> wie<br />

diejenigen, die simplifiziert für <strong>de</strong>n physischen Raum konstatiert wor<strong>de</strong>n sind. So<br />

dienten <strong>de</strong>n Frauen unter <strong>de</strong>n Versuchspersonen ihrer Studie auch im Web<br />

Landmarken als Orientierungspunkte, während Männer zuvor festgelegten Routen<br />

folgten. Im Gegensatz zu stereotypen Ergebnissen <strong>de</strong>r Untersuchungen über <strong>de</strong>n<br />

realen Raum seien die Frauen allerdings effizienter, die gestellten Suchaufgaben zu<br />

erfüllen, obwohl die Männer auch hier ein größeres Selbstvertrauen hätten. An<strong>de</strong>re<br />

Untersuchungen zur Orientierung in Virtual Reality-bzw. 3D-Umgebungen konnten<br />

dagegen we<strong>de</strong>r die Frauen zugeschriebene Landmarken-/Routenstrategie bestätigen<br />

noch binär vergeschlechtlichte Unterschie<strong>de</strong> feststellen (vgl. etwa Brehm et al. 2004,<br />

Ardito et al. 2006). Die empirischen Daten zur Navigation durch virtuelle Räume sind<br />

<strong>de</strong>mnach ebenso wi<strong>de</strong>rsprüchlich wie ihr Bezug auf die Raumorientierung in <strong>de</strong>r<br />

physischen Welt und von <strong>de</strong>r Fragestellung und <strong>de</strong>n Vorannahmen <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Studie abhängig. Auch in diesem Bereich setzen auch die Studien unreflektierte<br />

Annahmen über Geschlechterdifferenzen und ein binäres, normatives Zweigeschlechtlichkeitssystem<br />

voraus und reproduzieren diese empirisch.<br />

Ein weiteres Feld, in <strong>de</strong>m auf binäre Vorstellungen von Geschlechterdifferenzen<br />

zurückgegriffen wird, ist das <strong>de</strong>r Computer- und Vi<strong>de</strong>ospiele. 169 Ausgangspunkt dieser<br />

Studien in ist zumeist die Frage, warum Jungen bereits im Kin<strong>de</strong>salter ein stärkeres<br />

Interesse an Computerspielen haben als Mädchen und dieser Beschäftigung tatsächlich<br />

auch mehr Zeit widmen – ein Phänomen, das seit vielen Jahren empirische<br />

Bestätigung fin<strong>de</strong>t. 170 Als Antwort wird zumeist ein vielfältiges Spektrum geschlechtsi<strong>de</strong>ntitärer<br />

Merkmale angeführt: Mädchen benutzten <strong>de</strong>n Computer eher als Werkzeug<br />

als zum Spielen. Sie bevorzugten Lernspiele gegenüber reinen Unterhaltungsspielen.<br />

Wenn sie sich mit Computerspielen beschäftigen, so probierten sie gern neue Rollen,<br />

Charaktere und Handlungsweisen aus sowie Spiele mit unterschiedlichem Ausgang.<br />

Es käme ihnen darauf an, Erfahrungen zu machen. Mädchen spielten gern Spiele mit<br />

starken weiblichen Figuren, die ihrer eigenen Lebenswelt ähnlich sind. Wichtig sei,<br />

dass sie sich zu <strong>de</strong>n Figuren in Beziehung setzen können, am besten so wie zu ihrer<br />

besten Freundin, und dass sie Entscheidungen selbst treffen können. Sie favorisierten<br />

Spiele, die sie mit an<strong>de</strong>ren online o<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m gleichen Computer gemeinsam spielen<br />

169 Die einzige Differenz zwischen Vi<strong>de</strong>ospielen und Computerspielen besteht darin, dass Vi<strong>de</strong>ospiele auf<br />

speziellen Konsolen (z.B. Nintendo o<strong>de</strong>r Sega) gespielt wer<strong>de</strong>n. Ich wer<strong>de</strong> sie im Folgen<strong>de</strong>n nicht weiter<br />

gehend unterschei<strong>de</strong>n.<br />

170 Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass ich hier vorwiegend historische Ansätze<br />

zusammenfasse. Da die darin verwen<strong>de</strong>ten Argumente immer wie<strong>de</strong>r neu zitiert wer<strong>de</strong>n (vgl. etwa<br />

Kimpeler 2006, Graner Ray 2004), erscheint mir eine geschlechtertheoretische Diskussion notwendig. Ich<br />

möchte darauf hinweisen, dass es mittlerweile jedoch auch <strong>de</strong>konstruktivistische Ansätze im Bereich <strong>de</strong>r<br />

Computerspiele gibt; vgl. etwa Flanagan 2002 sowie die in Kapitel 5.5 dargestellten feministisch<br />

motivierten Fallbeispiele zum „Mind Scripting“ und „Value Sensitive Design“.<br />

116


können und die die Online-Kommunikation mit <strong>de</strong>n MitspielerInnen unterstützen.<br />

Mädchen bevorzugten realistische Schauplätze gegenüber Science Fiction- und<br />

Fantasy-Szenarien. Spiele, welche die Immersion auf mehreren Ebenen beför<strong>de</strong>rten,<br />

Ent<strong>de</strong>ckungen ermöglichten und starke Handlungsstränge haben, wären für Mädchen<br />

beson<strong>de</strong>rs geeignet, während sie gewalttätige Spiele sowie Kämpfe zwischen Gut und<br />

Böse ablehnten. Im Gegensatz dazu ginge es <strong>de</strong>n Jungen primär darum zu<br />

konkurrieren, ihr Ziel sei Gewinn. Jungen wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mentsprechend lineare Spiele<br />

vorziehen, mit einem einzigen richtigen Lösungsweg und ein<strong>de</strong>utig gutem o<strong>de</strong>r<br />

schlechtem Ausgang: „die and start over“. Sie mochten herausragen<strong>de</strong> Hel<strong>de</strong>n mit<br />

übermenschlichen Fähigkeiten. Wichtig sei ihnen Geschwindigkeit und Action im Spiel<br />

(vgl. etwa Agosto 2004, Jenkins 2001, Cassell/ Jenkins 1998, Jantzen/ Jensen 1993).<br />

Auch im Bereich <strong>de</strong>r Computerspiele wer<strong>de</strong>n somit häufig Zweigeschlechtlichkeit<br />

konstituieren<strong>de</strong> Vorlieben und zweigeschlechtlich differieren<strong>de</strong> kognitive Fähigkeiten<br />

vorausgesetzt und durch sozialwissenschaftliche Untersuchungen wie<strong>de</strong>rhergestellt.<br />

Für die Fragestellung dieser Arbeit interessanter erscheinen <strong>de</strong>mgegenüber Untersuchungen,<br />

<strong>de</strong>nen zufolge die strikt binär orientierten Auffassungen über Geschlecht<br />

beim Umgang mit Computerspielen von <strong>de</strong>n DesignerInnen reproduziert wer<strong>de</strong>n und<br />

sich <strong>de</strong>shalb im Design wi<strong>de</strong>rspiegelten. Erste Hinweise dafür lieferte bereits 1987 eine<br />

empirische Studie, in <strong>de</strong>r LehrerInnen gefragt wer<strong>de</strong>n, Computerspiele für Mädchen<br />

o<strong>de</strong>r Jungen bzw. allgemein für Kin<strong>de</strong>r zu entwerfen (vgl. Huff/ Cooper 1987, Huff<br />

2002). Diese Aufgabe führte dazu, dass die allgemein für Kin<strong>de</strong>r kreierten Spiele<br />

<strong>de</strong>nen glichen, die für die Jungen gedacht waren, während die Versuchspersonen bei<br />

<strong>de</strong>r Konzeption von Computerspielen für Mädchen stark auf die angeführten<br />

stereotypen Annahmen <strong>de</strong>r An<strong>de</strong>rsartigkeit zurückgriffen. Anhand dieses Beispiels wird<br />

das Zusammenwirken <strong>de</strong>r symbolischen Ebene mit <strong>de</strong>r materialen Reproduktion von<br />

Geschlecht in <strong>de</strong>r Technologieentwicklung sichtbar, das zur Herstellung <strong>de</strong>s Zweigeschlechtlichkeitssystems<br />

beiträgt – ein Aspekt <strong>de</strong>s Prozesses, <strong>de</strong>r im letzten Kapitel als<br />

Ko-Materialisierung von Technik und Geschlecht angesprochen wor<strong>de</strong>n ist. Teils<br />

reduzierte o<strong>de</strong>r überzeichnete Vorstellungen über Geschlechterdifferenzen fließen in<br />

das Design von Software ein und bringen diese Unterschie<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>rum erneut hervor,<br />

nicht nur in <strong>de</strong>r positivistisch-sozialwissenschaftlichen Beschreibung, wie bereits<br />

ausgeführt wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>r Nutzung selbst. In diesem zirkulären<br />

Bestätigungsprozess hegemonialer Geschlechterbil<strong>de</strong>r spielen auch Werbestrategien<br />

eine wesentliche Rolle.<br />

4.1.2. Gegenbewegungen: Design for „the girl“?<br />

Viele <strong>kritisch</strong>e InformatikerInnen sehen <strong>de</strong>n Grund für das konstatierte Phänomen,<br />

dass Mädchen seltener Computerspiele nutzen und an<strong>de</strong>re Arten von Spielen bevorzugen,<br />

zumeist darin, dass Computerspiele für Jungen und Männer gestaltet und<br />

vermarktet wer<strong>de</strong>n (vgl. Subrahmanyam/ Greenfield 1998). Sie kritisieren damit, dass<br />

Mädchen und Frauen qua Design <strong>de</strong>r Technologie von <strong>de</strong>r Nutzung ausgeschlossen<br />

sind. Gegen diese einseitige Ausrichtung formierte sich in <strong>de</strong>n 1990er Jahren eine<br />

Gegenbewegung. Justine Cassell (2003) berichtet von verschie<strong>de</strong>nen Initiativen in <strong>de</strong>n<br />

USA, die Computerspiele speziell für Mädchen entwickelten und versuchten, sich die<br />

im letzten Abschnitt skizzierten Erkenntnisse über binär vergeschlechtlichte<br />

117


Differenzen dabei zu Nutze zu machen. Zu diesem sogenannten „Girls’ Games<br />

Movement“ 171 zählten feministisch orientierte Unternehmerinnen, die explizit zum<br />

Empowerment <strong>de</strong>r nächsten Generation von Frauen beitragen wollten. Ihr Ziel war es,<br />

Mädchen für Computerspiele zu interessieren, welches sie häufig mit <strong>de</strong>m Gleichheitsargument<br />

begrün<strong>de</strong>ten, dass junge Frauen durch Beschäftigung mit Computerspielen<br />

Fähigkeiten im Umgang mit <strong>de</strong>m Gerät erwerben wür<strong>de</strong>n, die für eine spätere gut<br />

bezahlte Beruftätigkeit notwendig wären. Einige Vertreterinnen <strong>de</strong>s „entrepreneurial<br />

feminism“ (Cassell/ Jenkins 1998, 14) sahen Computerspiele als einen Bereich an, in<br />

<strong>de</strong>m konventionelle und stereotype Vorstellungen von Weiblichkeit untergraben wer<strong>de</strong>n<br />

können. An<strong>de</strong>ren Firmen dagegen, die sich gleichfalls auf die skizzierten<br />

Geschlechterdifferenzforschungen beriefen, ging es jedoch keineswegs um feministische<br />

Ziele. Sie ent<strong>de</strong>ckten vielmehr in Computerspielen für Frauen einen noch nicht<br />

erschlossenen Markt, <strong>de</strong>r durch die neue Zielgruppe ökonomische Vorteile versprach.<br />

Das erste bekannte Computerspiel für Mädchen war „Barbie Fashion Designer“ <strong>de</strong>r<br />

Firma Mattel. Diese Software gab <strong>de</strong>n NutzerInnen die Möglichkeit, Kleidung für die<br />

Barbiepuppe zu gestalten, eine virtuelle Barbie damit anzuklei<strong>de</strong>n und auf einen<br />

virtuellen Laufsteg zu schicken. Später konnte das Design <strong>de</strong>r Kleidung auf einem<br />

speziellen Stoff ausgedruckt wer<strong>de</strong>n, um es dann auszuschnei<strong>de</strong>n, zusammenzunähen<br />

und <strong>de</strong>r physischen Barbie anziehen zu können. „Barbie Fashion Designer“ ist <strong>de</strong>shalb<br />

kein Spiel „an sich“, kein „game qua game“ wie Subrahmanyarn/ Greenfield (1998)<br />

betonen, son<strong>de</strong>rn ein Accessoir für das materiale Spiel mit Barbiepuppen. Es ist eine<br />

Software, die sich in ein bereits bestehen<strong>de</strong>s Spiel mit physischen Puppen einpasst.<br />

Dieses Design bestätigt vorherrschen<strong>de</strong> stereotype Geschlechterkonzeptionen <strong>de</strong>s<br />

Umgangs mit <strong>de</strong>m Computer, ohne dabei jedoch emanzipatorische Absichten zu<br />

verfolgen. Das „Spiel“, das 1996 auf <strong>de</strong>n Markt gebracht wur<strong>de</strong>, verkaufte sich bereits<br />

in <strong>de</strong>n ersten zwei Monaten 500.000 Mal. Es war damit zu dieser Zeit auf <strong>de</strong>m USamerikanischen<br />

Markt erfolgreicher als je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re Computerspiel für Kin<strong>de</strong>r.<br />

Die Interface-Designerin und Medientheoretikerin Brenda Laurel, 172 die Mitte <strong>de</strong>r<br />

1990er Jahre die Start-Up-Firma Purple Moon grün<strong>de</strong>te, fühlte sich dagegen schon<br />

eher <strong>de</strong>m feministischen „Girls’ Games Movement“ verpflichtet. Sie produzierte<br />

Computerspiele mit Mädchen und Frauen als Spielfiguren, gestaltet als „friendship<br />

adventures for girls“, in die eine Reihe von Annahmen über Interessen von Mädchen<br />

(z.B. Tagebuch schreiben, Horoskop lesen, Quiz über Romanzen lösen) eingingen.<br />

Laurel betonte vielfach, dass das Design ihrer Spiele auf empirischen Studien über<br />

Mädchen und ihre Spielmotivationen basiere, sie selbst hatte in <strong>einer</strong> umfangreichen<br />

Untersuchung 1000 junge Frauen in <strong>de</strong>n USA befragt. In feministischen Kreisen<br />

provozierte Laurel mit <strong>de</strong>r Bemerkung: „I agreed that whatever solution the research<br />

suggested, I’d go along with it. Even if it meant shipping products in pink boxes” (Laurel<br />

zitiert nach Jenkins 2001, o.S.). Damit ging es ihr weniger um die Verpackung als<br />

171 Die Herausbildung <strong>de</strong>s feministisch orientierten „Girls’ Games Movement“ scheint ein einmaliges, auf<br />

<strong>de</strong>n US-amerikanischen Raum beschränktes Phänomen zu sein. So wur<strong>de</strong> etwa im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

umfangreichen Studie SIGIS (Strategies of Inclusion, Gen<strong>de</strong>r and the Information Society) von k<strong>einer</strong><br />

vergleichbaren Bewegung im europäischen Kontext berichtet; vgl. Faulkner 2004, Faulkner/ Lie 2007<br />

sowie http://www.sigis-ist.org. Da jedoch insbeson<strong>de</strong>re die aktuelle <strong>de</strong>utsche Fraunhofer-Studie „Discover<br />

Gen<strong>de</strong>r“ (vgl. Bührer/ Schraudner 2006, Schraudner/ Lukoschat 2006 sowie Kapitel 2.2) strukturell<br />

vergleichbar argumentiert, wird die Entwicklung <strong>de</strong>s „Girls’ Games Movement“ im Folgen<strong>de</strong>n diskutiert.<br />

172 In <strong>de</strong>r Informatik ist Laurel vor allem durch ihr Buch „Computers as Theatre“ (1991) bekannt, das als<br />

<strong>einer</strong> <strong>de</strong>r ersten Beiträge zur Medieninformatik betrachtet wer<strong>de</strong>n kann.<br />

118


primär um die Frage, wie ein feministisches Anliegen – Mädchen <strong>de</strong>n Umgang mit<br />

Computern zu erleichtern und generell zu stärken – transportiert wer<strong>de</strong>n kann. Im<br />

Gegensatz zu <strong>de</strong>r behüteten Welt <strong>de</strong>r Barbiepuppen, sollten die Mädchen in Laurels<br />

Spielwelten stärker <strong>de</strong>n realen Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Lebens ausgesetzt wer<strong>de</strong>n:<br />

„Our characters exhibit loyalty, honor, love, and courage. They also struggled with<br />

gossip, jealousy, cheating, lipstick, smoking, exclusion, racism, poverty, materialism<br />

and broken homes. When we had to choose, we sacrificed political correctness in or<strong>de</strong>r<br />

to meet the girls where they were, in the realities of their own lives.” (ebd.). Die Purple<br />

Moon Website war äußerst populär, dagegen scheiterten die Computerspiele <strong>de</strong>r Firma<br />

auf <strong>de</strong>m Markt, sie wur<strong>de</strong> schließlich von <strong>de</strong>m US-amerikanischen Spielekonzern<br />

Mattel aufgekauft, <strong>de</strong>r u.a. Barbiepuppen produziert.<br />

Das „Girls’ Games Movement“ wur<strong>de</strong> vielerorts scharf kritisiert und hält <strong>de</strong>r hier<br />

eingenommenen geschlechtertheoretischen Perspektive nicht stand (vgl. etwa Cassell/<br />

Jenkins 1998, Deuber-Mankowski 2007). Dabei ist jedoch zunächst zu fragen, aus<br />

welcher Position heraus die Kritik geäußert wird. Denn Jenkins (2001) weist darauf hin,<br />

dass die Argumente, die sich mit <strong>de</strong>m Scheitern von Computerspielen für Mädchen am<br />

Markt legitimieren, häufig im Sinne eines Backlash gegen Feminismen gerichtet sind.<br />

Demgegenüber ist meines Erachtens trotz <strong>de</strong>s ökonomischen Misserfolgs und trotz <strong>de</strong>r<br />

noch auszuführen<strong>de</strong>n theoretische Einwän<strong>de</strong> zu würdigen, dass mit <strong>de</strong>m „Girls’ Games<br />

Movement“ ein Raum im Bereich <strong>de</strong>r Computertechnologien entstan<strong>de</strong>n war, in <strong>de</strong>m<br />

mit Hilfe entsprechen<strong>de</strong>n Designs von Technologien bewusst versucht wur<strong>de</strong>, emanzipatorische<br />

Ziele zu implementieren. Die Entwicklungen waren von Frauen initiiert, die<br />

sich aktiv gegen <strong>de</strong>n Ausschluss von Mädchen als NutzerInnen zu richten versuchten,<br />

<strong>de</strong>r ihres Erachtens durch die vorherrschen<strong>de</strong>, implizit an Jungen orientierte<br />

Gestaltung von Computerspielen fortgeführt wor<strong>de</strong>n wäre.<br />

Trotz <strong>de</strong>r gut gemeinten Absichten ist das Geschlechterverständnis dieser<br />

feministischen Designbewegung grundsätzlich zu problematisieren. Denn es greift<br />

zumeist auf eine fragwürdige Geschlechterdifferenzforschung zurück und versucht, das<br />

empirisch zu verifizieren, was <strong>de</strong>n kritisierten „Computerspielen von und für Jungs“ als<br />

implizites Selbst- und Alltagsverständnis bereits eingeschrieben ist. Ein solches<br />

„Design von und für Mädchen“ basiert damit auf <strong>de</strong>nselben Voraussetzungen, auf <strong>de</strong>m<br />

das verworfene Design grün<strong>de</strong>te: <strong>de</strong>r binären geschlechtsein<strong>de</strong>utigen Interpretation<br />

von Jungen und Mädchen im Verhältnis zu Technologien. So interviewten etwa<br />

Cornelia Brunner, Dorothy Bennett, and Margaret Honey (1998) für ihre Studie<br />

insgesamt nur 24 Personen und gaben auf dieser Basis strikt geschlechterdualistische<br />

Interpretationen an: „Frauen sehen Technik als ein Werkzeug“, „Männer sehen sie als<br />

Waffe“, „Frauen wollen sie für die Kommunikation nutzen“, „Männer wollen sie zur<br />

Kontrolle benutzen“ etc. Für viele technische Entwicklungen, die im Rahmen <strong>de</strong>s „Girls’<br />

Games Movement“ entstan<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong>n primär solche Studien herangezogen, die<br />

ausschließlich auf binäre Geschlechterunterschie<strong>de</strong> fokussierten und an<strong>de</strong>re<br />

Differenzen vernachlässigten. Die Artefakte bringen damit starke Generalisierungen<br />

über Mädchen hervor, diese wer<strong>de</strong>n als eine homogen-monolithische Gruppe<br />

verstan<strong>de</strong>n. Die Studien wie auch die Computerspiele konstruieren ein „universelles<br />

Mädchen“, das in <strong>de</strong>r Regel implizit und unreflektiert als westlich, weiß, heterosexuell<br />

und aus <strong>de</strong>r Mittelschicht stammend vorausgesetzt wird. Auf diese Weise stellt die mit<br />

<strong>de</strong>m Design intendierte Inklusion von Mädchen in die Gruppe von<br />

119


ComputerspielerInnen erneute Ausschlüsse her, <strong>de</strong>nn diejenigen, die <strong>de</strong>r als „normales<br />

Mädchen“ gesetzten Norm nicht entsprechen, wer<strong>de</strong>n nicht angesprochen. Soziale und<br />

kulturelle Unterschie<strong>de</strong>, welche die aktuelle Geschlechterforschung unter <strong>de</strong>m Begriff<br />

<strong>de</strong>r Intersektionalität in ihrem Zusammenspiel mit <strong>de</strong>r Kategorie Geschlecht verhan<strong>de</strong>lt,<br />

wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Konzeption <strong>de</strong>r für Mädchen intendierten Spiele ignoriert. 173<br />

Das Problem besteht damit zum einen darin, dass mit Bezug auf wissenschaftliche<br />

Untersuchungen ein normatives Verständnis von „Mädchen“ hervorgebracht wird. Es<br />

ließe sich jedoch einwen<strong>de</strong>n, dass die empirischen Studien nur sozialwissenschaftlich<br />

fundiert durchgeführt und interpretiert wer<strong>de</strong>n müssten, dann wür<strong>de</strong>n sie die<br />

tatsächlichen Zugänge und Umgangsweisen mit Computerspielen in ihrer Vielfalt<br />

wi<strong>de</strong>rspiegeln. Dazu könnte sicherlich auch ein Blick auf an<strong>de</strong>re Differenzen beitragen.<br />

Genau dies hatte Laurel jedoch versucht, allerdings ist ihr feministischer Ansatz auf<br />

<strong>de</strong>m Spielemarkt (im Gegensatz zu Laurels erfolgreichen Webseiten) ökonomisch<br />

fehlgeschlagen. Es sei jedoch kein Zufall, wie Justine Cassell und Henry Jenkins in<br />

ihrem Buch „From Barbie to Mortal Combat“ betonen, dass Mädchen an<strong>de</strong>re Spiele<br />

bevorzugten und die Produkte rosa o<strong>de</strong>r lila verpackt zugeschickt bekommen wollen. „<br />

[S]uch <strong>de</strong>sires are manufactured by the toy industry itself long before the researchers<br />

get a chance to talk with the girls and find out ‚what girls really want from<br />

technology‘“(Cassell/ Jenkins 1998, 19). Ein zweites Problem liegt <strong>de</strong>mzufolge darin,<br />

dass sozialwissenschaftlich ermittelte Erkenntnisse nur die bereits zuvor festgeschriebenen<br />

„Interessen von Mädchen“ spiegeln und damit primär sozial geprägte und<br />

erwünschte Antworten repräsentieren. Auch die Eltern, die Computerspiele kaufen,<br />

sind von diesen Vorannahmen nicht frei. Insofern weisen empirische Metho<strong>de</strong>n<br />

Grenzen auf, wenn es hier nicht nur darum gehen soll, das Bestehen<strong>de</strong> zu erkun<strong>de</strong>n,<br />

um es technologisch adäquat zu bedienen, son<strong>de</strong>rn das Design von Technologie<br />

emanzipatorisch auszurichten.<br />

Ein drittes Problem besteht darüber hinaus in <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit<br />

konstituieren<strong>de</strong>n Differenzierung <strong>de</strong>s Designs selbst. Darauf <strong>de</strong>utet die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s Computerspiels „The SIMS“ <strong>de</strong>r Firma Maxis, für das Jenkins (2001) herausarbeitet,<br />

dass es genau die Kriterien erfüllt, die als „weibliche“ Zugänge zur elektronischen<br />

Spielewelt gelten. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>r Strategie <strong>de</strong>s „Girls’ Games Movement“<br />

wird „The SIMS“ jedoch we<strong>de</strong>r als ein „Spiel für Mädchen“ vermarktet, noch grün<strong>de</strong>t es<br />

auf einem „Design for the girl“. Auf diese Weise scheint es <strong>de</strong>m Problem, vermeintliche<br />

Eigenschaften von Mädchen in <strong>einer</strong> geschlechternormativen Weise durch Technologie<br />

zu reproduzieren und festzuschreiben, zu entkommen. Und tatsächlich wird diesem<br />

auch ein großer Markterfolg bei Mädchen bestätigt. 174 Ist ein auf Geschlecht<br />

173 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass für Jungen seit langer Zeit unterschiedliche<br />

Produkte angeboten wer<strong>de</strong>n. Der Spielemarkt hat sich für diese Zielgruppe relativ stark ausdifferenziert.<br />

So lassen sich hier beispielsweise Abenteuerspiele, Actionspiele, Sportspiele, Rollenspiele, Denk- bzw.<br />

Logikspiele, Labyrinthspiele, Strategiespiele und Fahrzeugsimulatoren unterschei<strong>de</strong>n.<br />

174 Dass ein geschlechterdifferenzieren<strong>de</strong>s Design – entgegen <strong>de</strong>r Intention <strong>de</strong>s „Girls’ Games Movement“<br />

– nicht zum gewünschten Erfolg bei Mädchen und Frauen führt, darauf <strong>de</strong>uten die neueren Entwicklungen<br />

im Computerspiel-Design. So berichten etwa Henry Jenkins und Justine Cassell (2008) rückblickend auf<br />

die Debatten <strong>de</strong>r 1990er Jahre von großen Verän<strong>de</strong>rungen aufgrund <strong>de</strong>r partizipativen Kultur, die sich in<br />

diesem Bereich durchgesetzt hat: „Very little time was spent […] discussing game content or the efforts of<br />

the mainstream game industry to reach female consumers. Rather, the focus had shifted onto participatory<br />

culture, onto the social dynamics that emerged as players created their own i<strong>de</strong>ntities and communities<br />

within massively multiplayer online games, onto the ways that players were modifying existing games to<br />

serve alternative purposes, onto workshops that were teaching young people game <strong>de</strong>sign skills, and onto<br />

120


eflektieren<strong>de</strong>s Design ohne explizite Bezugnahme auf Mädchen bzw. Frauen in <strong>de</strong>r<br />

Vermarktung also ein Weg, ansonsten ausgegrenzte NutzerInnen einzuschließen ohne<br />

dabei erneut Stereotype herzustellen? Dieser Frage wird im folgen<strong>de</strong>n Kapitel 5 weiter<br />

nachgegangen. Ebenso wird dort diskutiert, ob und unter welchen Umstän<strong>de</strong>n ein<br />

„Design für Frauen“ <strong>de</strong>nnoch sinnvoll sein kann, um Ausschlüsse von <strong>de</strong>r Nutzung<br />

abzuwen<strong>de</strong>n, und wie sich dabei Festschreibungen von Geschlechterdifferenzannahmen<br />

vermei<strong>de</strong>n lassen. Zuvor wer<strong>de</strong>n jedoch noch weitere Studien vorgestellt, die das<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte aufzeigen, zunächst solche, die mit <strong>de</strong>m Ausschluss<br />

von Frauen von <strong>de</strong>r Nutzung argumentieren.<br />

4.1.3. Von Männern <strong>de</strong>finierte Probleme: Worauf geben technische Lösungen<br />

Antworten?<br />

Eine weitere Ebene <strong>de</strong>s Ausschlusses von Frauen durch das Design, die Studien <strong>de</strong>r<br />

Geschlechter-Technik-Forschung anführen, ist die <strong>de</strong>r Problem<strong>de</strong>finitionen. Dabei wird<br />

in <strong>de</strong>r Regel angenommen, dass Technikentwicklung primär von <strong>einer</strong> spezifischen,<br />

homogenen Gruppe von Männern getragen wird, die für politische und ökonomische<br />

Entscheidungen <strong>de</strong>r Technologieentwicklung ebenso verantwortlich sind wie dafür,<br />

welche Forschung geför<strong>de</strong>rt und welche Technologien entwickelt wer<strong>de</strong>n sollen. Die<br />

technischen Produkte seien auf verschie<strong>de</strong>nen Stufen <strong>de</strong>r Technologieentwicklung von<br />

<strong>de</strong>n Perspektiven dieser Menschen stark beeinflusst. Ihre Erfahrungen, ihre Lebenswelt<br />

und Lebenssituation, ihre Werte und Selbstverständnisse prägten die technischen<br />

Artefakte maßgeblich. 175 Dies gelte nicht nur für die bewussten Entscheidungen<br />

darüber, was in <strong>de</strong>r Technologie explizit repräsentiert sein, d.h. was sie leisten soll,<br />

son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re für die blin<strong>de</strong>n Flecken. Implizite Annahmen, die Ausschlüsse<br />

produzierten, seien bereits in <strong>de</strong>n Visionen und Leitbil<strong>de</strong>rn sowie in <strong>de</strong>n Vorstellungen,<br />

wofür und für wen die Technologie intendiert ist, verankert. 176<br />

Die Wissenschaftstheoretikerin Londa Schiebinger diagnostiziert Ausgrenzungen in<br />

<strong>de</strong>n Hintergrundannahmen, welche sie als ‚Selbstverständlichkeiten‘ charakterisiert, die<br />

so harmlos erscheinen, dass sie in <strong>einer</strong> Gemeinschaft von Fachleuten nicht mehr<br />

wahrgenommen wer<strong>de</strong>n. „Diese Annahmen sichern grundlegen<strong>de</strong> Arbeitsweisen, wozu<br />

ein gewisses Maß an Konsens gehört, das sich auf Problem<strong>de</strong>finitionen, die Annehmbarkeit<br />

<strong>de</strong>r Lösungen, geeignete Techniken [...] erstreckt. Formelle und informelle<br />

Ausschlüsse aus <strong>de</strong>r Gemeinschaft schützen die Annahmen und bekräftigen sie. In <strong>de</strong>r<br />

Abwesenheit abweichen<strong>de</strong>r Auffassungen wer<strong>de</strong>n Forschungsprogramme oft ganz<br />

unbewußt und unbeabsichtigt von sozialen Werten und Praktiken strukturiert.“<br />

research initiatives that resulted in the production of games for use in the classroom. Today’s gamers grew<br />

up in an area of consumer-produced content all around – web pages, blogs, music sampling and mashing.<br />

If the game industry would not produce the kinds of games women wanted to play, they would simply<br />

make their own“ (Jenkins/ Cassell 2008, o.S.)<br />

175 Vgl. hierzu auch das Skriptkonzept Akrichs und Rommes (siehe Kapitel 3.7), das zum Verständnis, wie<br />

technologischen Artefakte Barrieren gegenüber bestimmten NutzerInnen eingeschrieben wer<strong>de</strong>n können,<br />

die Analyse <strong>de</strong>r NutzerInnnen semiotisch darauf wen<strong>de</strong>t, wie TechnologiegestalterInnen sich diese<br />

vorstellen.<br />

176 Die Problemstellungen, auf die technische Lösungen Antworten geben, wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n TechnologieentwicklerInnen<br />

nicht notwendigerweise angeführt. Zwar zwingt die Forschungsför<strong>de</strong>rung die Antragstellen<strong>de</strong>n<br />

zunehmend dazu, ihre Forschung und Entwicklung mit einem gesellschaftlichen Nutzen zu<br />

begrün<strong>de</strong>n. Doch wird gera<strong>de</strong> im Bereich <strong>de</strong>r Informationstechnologien häufig generell von einem<br />

ökonomischen Nutzen ausgegangen, <strong>de</strong>r nicht im Einzelfall legitimiert wer<strong>de</strong>n muss.<br />

121


(Schiebinger 1999, 205). Daraus resultierten Einseitigkeiten in <strong>de</strong>r Auswahl und Definition<br />

wissenschaftlicher Probleme, auf die eine Reihe von Beispielen aus <strong>de</strong>m Bereich<br />

<strong>de</strong>r Naturwissenschaften und Medizin verwiesen, die in <strong>de</strong>n letzten drei Deka<strong>de</strong>n von<br />

feministischen ForscherInnen angeführt wur<strong>de</strong>n. Evelyn Fox Keller veranschaulichte<br />

geschlechterdifferenzieren<strong>de</strong> Verzerrungen anhand <strong>de</strong>r Forschung zur Empfängnisverhütung.<br />

Diese habe sich vornehmlich auf solche Techniken konzentriert, die von<br />

Frauen anzuwen<strong>de</strong>n seien, anstatt darauf hinzuwirken, die Verantwortung für die<br />

Verhütung „geschlechtergerecht“ im Sinne <strong>de</strong>r Binarität hegemonialer Zweigeschlechtlichkeit<br />

zu verteilen und in Metho<strong>de</strong>n, die Männer nutzen können, zu investieren (vgl.<br />

Keller 1989 [1982], 282f) Auf <strong>einer</strong> allgemeinen Ebene kritisiert Schiebinger, dass in<br />

<strong>de</strong>n 1990er Jahren in <strong>de</strong>n USA umfangreiche Ressourcen in das Human-Genom-<br />

Projekt geflossen seien, während diese für gesellschaftlich notwendigere Projekte<br />

fehlten. Die Biologin Ruth Hubbard behauptet sogar, dass die einseitige För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Genforschung und Molekularbiologie im Grun<strong>de</strong> die Gesundheit gefähr<strong>de</strong>, da sie die<br />

Aufmerksamkeit und Ressourcen von <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Armut und Unternährung<br />

abziehe. Sie plädiert für soziale und politische Maßnahmen, um Arbeitsplätze zu<br />

schaffen, für einen Min<strong>de</strong>st-Lebensstandard zu sorgen und diesen zu gewährleisten<br />

(vgl. Hubbard 1995 nach Schiebinger 1999, 211). Demzufolge ist Wissenschaft<br />

gesellschaftlich, historisch und sozial zu kontextualisieren, um eine <strong>kritisch</strong>e Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

darüber führen zu können, was sinnvolle und legitime Fragestellungen<br />

von Forschung und Entwicklung sein sollen und welche Antworten darauf jeweils<br />

adäquat erscheinen.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r enormen öffentlichen wie privatwirtschaftlichen Ressourcen, die in<br />

die Software-Entwicklung und Forschungsför<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Informatik 177 fließen, sind die<br />

„Hintergrundannahmen“ <strong>informatischer</strong> Vorhaben zu hinterfragen. Voraussetzung dafür<br />

ist es, die Problem<strong>de</strong>finitionen, Visionen und Leitbil<strong>de</strong>r, auf <strong>de</strong>nen technische Lösungen<br />

beruhen, herauszuarbeiten, wozu Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung<br />

nützlich sein können. GeschlechterforscherInnen haben hierzu Fallstudien<br />

vorgelegt.<br />

So rekonstruiert Anne-Jorunn Berg (1999 [1994]) am Beispiel von drei Prototypen<br />

„intelligenter Häuser“ die Motivationen <strong>de</strong>r Hersteller, die in die Entwicklung dieser<br />

Artefakte eingeflossen sind.Dabei bestand ihr Untersuchungsinteresse primär in <strong>de</strong>r<br />

Frage, wie Hausarbeit – so, wie sie auf Grundlage <strong>de</strong>r sich seit <strong>de</strong>n 1950er Jahren verfestigten<br />

mo<strong>de</strong>rnen Arbeitsteilung in Mittelklassehaushalten hauptsächlich von Frauen<br />

geleistet wird – in <strong>de</strong>n technischen Entwürfen repräsentiert ist und welche KonsumentInnen<br />

die Designer als Zielgruppe ihres Produkts annehmen. Berg analysierte<br />

dazu <strong>einer</strong>seits die existieren<strong>de</strong>n Prototypen und ihre Werbebroschüren. An<strong>de</strong>rerseits<br />

führte sie Interviews mit <strong>de</strong>n Entwicklern durch.<br />

Auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r technischen Implementierung konnte sie keine Bezugnahme auf<br />

Haushaltstätigkeiten feststellen, <strong>de</strong>nn die Funktionalitäten beschränkten sich auf die<br />

Bereiche Energie, Sicherheit, Kommunikation, Unterhaltung und Umwelt. Das Ziel <strong>de</strong>r<br />

technischen Entwicklungsarbeit schien ausschließlich auf die zentralisierte Kontrolle<br />

und Regulierung dieser Bereiche zu fokussieren, für die im Einzelnen bereits<br />

177 Insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Bereich <strong>de</strong>r Forschungsför<strong>de</strong>rung sollte sich mit <strong>de</strong>r hier angesprochenen Thematik<br />

intensiv auseinan<strong>de</strong>rsetzen und in entsprechen<strong>de</strong> För<strong>de</strong>rinstrumente und Begutachtungsverfahren<br />

einfließen lassen.<br />

122


technologische Lösungen vorlagen. Nur eines <strong>de</strong>r Projekte verfolgte die weiter<br />

gehen<strong>de</strong> Vision eines „intelligenten Hauses“ als „a house you can talk to, a house that<br />

answers in different voices, where every room can be adjusted to your changing<br />

moods, a house that is a servant, adviser and friend to each individual member of the<br />

household“ (Berg 1999 [1994], 305). Dieser Traum schien zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Untersuchung<br />

allerdings weit von <strong>de</strong>r Realisierung entfernt. Die Werbeprospekte priesen die<br />

Häuser damit an, dass die EigentümerInnen nicht mehr darüber nach<strong>de</strong>nken müssten,<br />

„how things are done“; das Haus soll eines sein, „which will take care of me“. Ein<br />

weiteres Mo<strong>de</strong>ll wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Bild eines Roboters beworben, <strong>de</strong>r <strong>einer</strong> Mutter<br />

Frühstück serviert. Im Begleittext heißt es: „We are not replacing Mommy with a robot.<br />

We are representing i<strong>de</strong>as on how to <strong>de</strong>sign, build and use a home in new ways that<br />

can reduce drudgery while increasing comfort, convenience and security“ (Mason 1983<br />

zitiert nach Berg 1999, 308).<br />

Das Zitat ließe vermuten, dass die neue Technologie auch darauf ziele, die<br />

angesprochene „Plackerei“ mit <strong>de</strong>r Hausarbeit zu verringern, informationstechnisch zu<br />

unterstützen und zumin<strong>de</strong>st zu erleichtern. In <strong>de</strong>n Funktionalitäten fand sich von<br />

diesem Anspruch jedoch nichts wie<strong>de</strong>r. Bergs Interviews lieferten ebenso wenig<br />

Hinweise darauf, dass die Entwickler Hausarbeit berücksichtigt hatten. Während eine<br />

<strong>de</strong>r untersuchten Firmen darauf verwies, dass diese eher eine Sache <strong>de</strong>r „white goods<br />

producers“ sei, wur<strong>de</strong> beim zweiten Hersteller betont, dass das Licht in ihrem Haus<br />

automatisch angehe, wenn die Hausfrau mit vollen Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Raum betritt. Im dritten<br />

Prototypen fand sich ein „gourmet autochef“, <strong>de</strong>r jedoch nur Kochrezepte vorschlug.<br />

Berg kritisiert, dass die Entwickler keine Vorstellung von <strong>de</strong>r Vielfalt und <strong>de</strong>n<br />

materiellen Notwendigkeiten von Hausarbeit hätten, insbeson<strong>de</strong>re zeitrauben<strong>de</strong> und<br />

körperlich anstrengen<strong>de</strong> Aufgaben wür<strong>de</strong>n ignoriert. Die Studie bestätigt <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>n<br />

Verdacht, dass das in informatischen Artefakten Ausgeschlossene häufig genau das<br />

ist, was als „weiblich“ o<strong>de</strong>r als „Frauenarbeit“ gilt.<br />

Insgesamt setzten die Hersteller <strong>de</strong>r untersuchten intelligenten Häuser zwar implizit<br />

voraus, dass ihre Prototypen geschlechtsneutral seien. Allerdings zeigt Bergs Analyse,<br />

dass bereits bei <strong>de</strong>r Konzeption Annahmen über Geschlecht konstituieren<strong>de</strong> und<br />

hierarchisieren<strong>de</strong> gesellschaftliche Strukturen eingeschrieben waren. Es han<strong>de</strong>lt sich<br />

hier – im Vergleich zur geschlechtlichen Segregation von Erwerbsarbeit, die im folgen<strong>de</strong>n<br />

Abschnitt 4.2. ausführlicher diskutiert wird – um die Ausgrenzung von Haus- und<br />

Reproduktionsarbeit, auf <strong>de</strong>ren gesellschaftliche Ignoranz und Unterbewertung feministische<br />

Forschungen seit mehreren Jahrzehnten aufmerksam machten. Bergs Studie<br />

weist darauf hin, dass dieser Ausgrenzungsprozess <strong>de</strong>r als „weiblich“ gelten<strong>de</strong>n<br />

Bereiche auch bei <strong>de</strong>r Entwicklung von Technologien wirksam ist und dadurch vergeschlechtlichte<br />

Technologien entstehen. Jedoch geht ihre Studie über geschlechtersoziologische<br />

Analysen hinaus, da sie <strong>de</strong>n Blick zugleich auf die an <strong>de</strong>r Konstruktion<br />

von Technologien beteiligten Menschen lenkt. Bergs Interviews <strong>de</strong>cken auf, dass sich<br />

die Entwickler am ehesten selbst als potentielle Käufer imaginieren: „It’s the technology-as-such,<br />

the way artefacts function in technical terms, that fascinates the<br />

<strong>de</strong>signers. […] the target consumer is implicitly the technical-interested man, not unlike<br />

the stereotype of the computer hacker“ (Berg 1999, 308). Dadurch, dass die Entwickler<br />

<strong>einer</strong> weitgehend homosozialen Gruppe von Technikbegeisterten angehörten, die <strong>de</strong>m<br />

weit verbreiteten Vorurteil über Informatiker entspricht, wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Rückgriff auf das<br />

123


eigene Selbstverständnis zu einem Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Technologie führen. Es seien<br />

Wünsche, Träume und Visionen von bestimmten Gruppen Informatik betreiben<strong>de</strong>r<br />

Männer, die in <strong>de</strong>n betrachteten Prototypen intelligenter Häuser vergegenständlicht<br />

sind. 178 Die Unsichtbarkeit und mangeln<strong>de</strong> Unterstützung gewöhnlicher Haushaltstätigkeiten<br />

ist <strong>de</strong>mnach eng verknüpft mit <strong>de</strong>r Implementierung von Funktionalitäten, die<br />

<strong>de</strong>n Entwicklern aus <strong>de</strong>r Perspektive ihres spezifischen lebensweltlichen Erfahrungsraums<br />

heraus als sinnvoll und wünschenswert erscheinen. 179 Dass eine solche Einschreibung<br />

persönlicher Träume <strong>de</strong>r Entwickler in die Artefakte möglich war, lässt<br />

darauf schließen, dass diese die potentiellen KundInnen ihres Produktes nicht<br />

hinreichend in <strong>de</strong>n Blick bekommen haben. Berg betont, dass die von ihr befragten<br />

Hersteller intelligenter Häuser in <strong>de</strong>n Interviews nicht in <strong>de</strong>r Lage waren, die Zielgruppe<br />

ihres Angebots genauer zu charakterisieren. „Anyone and everyone“ schien die<br />

einhellige Antwort <strong>de</strong>r Firmen auf die Frage nach möglichen KundInnen, die nur in<br />

einem <strong>de</strong>r drei Fälle stereotyp als „Kleinfamilie“ mit männlichem Ernährer spezifiziert<br />

wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Die Studie rekonstruiert die <strong>de</strong>n intelligenten Häusern zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Problem<strong>de</strong>finition<br />

als eine „männlich“ geprägte. Sie gerät damit in die bereits diskutierte Problematik<br />

<strong>de</strong>r Reifizierung von Zweigeschlechtlichkeit durch die Frauen- und Geschlechterforschung<br />

selbst hinein. Es erscheint zwar durchaus gerechtfertigt, auf die Ausgrenzung<br />

von Hausarbeit und ihrer materiellen Bedingungen in <strong>de</strong>r technischen Konzeption<br />

hinzuweisen, die beispielsweise in Bergs rhetorischer Nachfrage „Does nobody change<br />

the sheets? Is that meal not cooked and are the dishes not washed afterwards? Are<br />

those possessions never dusted?“ (Berg 1999, 309) zum Ausdruck kommt. In<strong>de</strong>m Berg<br />

diesen <strong>kritisch</strong>en Hinweis jedoch mit <strong>de</strong>r Behauptung einleitet, dass sicherlich je<strong>de</strong><br />

Hausfrau danach fragen wür<strong>de</strong>, nimmt sie eine fragwürdige Zuweisung <strong>de</strong>r ignorierten<br />

Tätigkeiten (d.h. <strong>de</strong>r Sorge für das Zuhause) an „die Hausfrau“ vor. Gleichzeitig<br />

zementiert ihre Beschreibung <strong>de</strong>r Technikgestalter <strong>de</strong>n Mythos vom männlichen<br />

Hacker. 180 Was sie <strong>de</strong>n Konstrukteuren intelligenter Häuser vorwirft – „lack of support<br />

for changes in the domestic sexual division of labour“ – ist ihr selbst auf <strong>einer</strong><br />

symbolischen Ebene anzulasten. Sie setzt in ihrer Studie die bestehen<strong>de</strong> gesellschaftliche<br />

Arbeitsteilung voraus und schreibt diese allerdings mit ihrer Zuweisung von<br />

Hausarbeit an Frauen fort, statt die hegemoniale Geschlechter-Technik-Verknüpfung<br />

<strong>kritisch</strong> zu rekonstruieren.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz weist Berg auf blin<strong>de</strong> Flecken bei <strong>de</strong>r Technologieentwicklung hin,<br />

die aus unreflektierten Selbstverständnissen <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen und ihren Leitbil<strong>de</strong>rn<br />

resultieren. Der Wert ihrer Studie besteht darin, dass sie das, was Longino als<br />

„Hintergrundannahmen“ (Longino 1990) bei <strong>de</strong>r Entstehung und Produktion von<br />

Wissen und Technologien bezeichnet, am Beispiel intelligenter Häuser aufzeigt. Mit<br />

Bergs Untersuchung lässt sich <strong>einer</strong>seits argumentieren, dass die DesignerInnen<br />

178<br />

Zu dieser so genannten „I-Methodology“ vgl. auch die Ausführungen <strong>de</strong>s letzten Kapitels 3 sowie die<br />

<strong>de</strong>s nächsten Abschnitts 4.1.3.<br />

179<br />

Dass sich an <strong>de</strong>n Implementierungen „intelligenter Häuser“ in dieser Hinsicht seither wenig geän<strong>de</strong>rt<br />

hat, zeigen Harald Rohrachers Untersuchungen von NutzerInnen. Darunter fan<strong>de</strong>n sich vorwiegend<br />

technisch interessierte Männer. Ferner kritisierten die BewohnerInnen, dass traditionelle<br />

Haushaltstätigkeiten nicht genügend technisch unterstützt wür<strong>de</strong>n; vgl. Rohracher 2006, 249ff.<br />

180<br />

Geschlechterforscherinnen in <strong>de</strong>r Informatik bemühen sich seit langem darum, die Disziplin von <strong>de</strong>m<br />

verengten Bild zu befreien, dass dort ausschließlich technikzentrierte Vorgehensweisen und<br />

Programmierkompetenz gefragt seien; vgl. etwa Erb 1996, Maaß/ Wiesner 2006.<br />

124


Anfor<strong>de</strong>rungen und Bedürfnisse verschie<strong>de</strong>ner zukünftiger BewohnerInnen in die<br />

Entwicklung intelligenter Häuser einbeziehen sollten, ohne dabei wie<strong>de</strong>rum stereotyp<br />

geschlechtliche Festschreibungen (z.B. Frauen mit Hausfrauen gleichzusetzen) vorzunehmen.<br />

Dass nicht notwendigerweise Frauen und Kin<strong>de</strong>r befragt wer<strong>de</strong>n müssen, um<br />

eine fehlen<strong>de</strong> Unterstützung von Hausarbeit zu i<strong>de</strong>ntifizieren, son<strong>de</strong>rn primär solche<br />

Menschen, die an<strong>de</strong>re Selbstverständnisse haben als die Designer, zeigt<br />

beispielsweise eine Erhebung <strong>de</strong>r Fraunhofer-Gesellschaft zu <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen an<br />

einen Pflegeroboter. Dieser Studie zufolge wünschten sich Senioren Unterstützung bei<br />

<strong>de</strong>r Haushaltsführung, Seniorinnen dagegen bei <strong>de</strong>r Körperpflege (Schraudner 2006, 7,<br />

siehe auch Rainfurth 2006).<br />

Nimmt man Longinos Kritik ernst, so genügt es für eine <strong>kritisch</strong>e Reflexion <strong>de</strong>r<br />

Problem<strong>de</strong>finitionen, die <strong>einer</strong> Technologie zugrun<strong>de</strong> liegen, jedoch nicht, allein nach<br />

<strong>de</strong>n Zielgruppen und <strong>de</strong>n Lebenssituationen potentieller NutzerInnen zu fragen, für die<br />

<strong>de</strong>r Einsatz <strong>de</strong>r informatischen Produkte explizit gedacht o<strong>de</strong>r implizit vorausgesetzt ist.<br />

Vielmehr stellt sich zugleich die Frage, ob diese Technologie gesellschaftlich<br />

wünschenswert ist und welche (Um-)Orientierung <strong>de</strong>r technologischen Entwicklung<br />

sinnvoll o<strong>de</strong>r gar notwendig erscheint. Es gilt also die <strong>de</strong>m technischen Artefakt<br />

zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Problemstellung zu problematisieren. Wer wird von <strong>einer</strong> (neuen)<br />

Technologie profitieren? Wessen „Träume“ wer<strong>de</strong>n dabei erfüllt? Die implizit<br />

angestrebten Nutzungsoptionen lassen sich aus <strong>einer</strong> <strong>kritisch</strong>en Perspektive mit <strong>de</strong>n<br />

gegenwärtig relevanten gesellschaftlichen und globalen Problemen konfrontieren. Es<br />

wäre dann jeweils zu prüfen, inwiefern informationstechnologische Entwicklungen <strong>de</strong>n<br />

anstehen<strong>de</strong>n gesellschaftlichen Aufgaben gewachsen sind, ob sie anstreben, zu <strong>de</strong>ren<br />

Lösung beizutragen o<strong>de</strong>r auf „Nebenschauplätzen“ agieren und womöglich an an<strong>de</strong>rer<br />

Stelle neue Probleme evozieren. Dabei könnte sich im Fall intelligenter Häuser ergeben,<br />

dass in Richtung ressourcenschonen<strong>de</strong>r Energieversorgung (d.h. im Hinblick auf<br />

das gesellschaftliche Ziel <strong>de</strong>r Nachhaltigkeit) bereits Fortschritte gemacht wur<strong>de</strong>n, aber<br />

für das Erreichen <strong>de</strong>s Ziels <strong>de</strong>r Geschlechtergerechtigkeit, insbeson<strong>de</strong>re hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Verteilung materieller Hausarbeitstätigkeiten, noch immer ein hoher Forschungsbedarf<br />

angezeigt ist. 181 Geschlechterforschung kann in diesem Prozess <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en<br />

Überprüfung <strong>einer</strong> zukünftigen Technologie – wie Bergs Analyse zeigt – als ein „Eye-<br />

Opener“ (Weller 2002) fungieren, <strong>de</strong>r Leerstellen in <strong>de</strong>r technischen Entwicklung<br />

ver<strong>de</strong>utlicht, die nicht nur entlang <strong>de</strong>r Geschlechterordnung verortet sind, son<strong>de</strong>rn auf<br />

Einschreibungen weiterer Differenzen in <strong>de</strong>r Technologie verweist.<br />

4.1.4. „I-Methodology“:„Configuring the user as everybody“ o<strong>de</strong>r Design für<br />

<strong>de</strong>n Entwickler?<br />

Eine dritte Variante von Studien zum Ausschluss von Frauen durch das spezifische<br />

Design <strong>de</strong>r Technologie argumentiert gleichfalls mit <strong>de</strong>r Ignoranz von vornehmlich<br />

Männern als Entscheidungsträger und Entwickler gegenüber <strong>de</strong>r An<strong>de</strong>rsartigkeit<br />

gewöhnlicher NutzerInnen, insbeson<strong>de</strong>re von Frauen. Dabei wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technologie<br />

181 In diesem Kontext verdienen historische Studien zu Haushaltstechnologien Beachtung, <strong>de</strong>nen zufolge<br />

die Einführung unterstützen<strong>de</strong>r technischer Geräte (z.B. <strong>de</strong>r Waschmaschine) nicht dazu geführt hat, dass<br />

sich die für Haushaltstätigkeiten aufgewen<strong>de</strong>te Zeit statistisch verringert hat, son<strong>de</strong>rn sich vielmehr höhere<br />

Hygienestandards durchsetzten; vgl. etwa Schwartz Cowan 1983, 1985.<br />

125


eingeschriebene Barrieren nicht – wie im letzten Abschnitt – auf <strong>de</strong>r Ebene unreflektierter<br />

Problem<strong>de</strong>finitionen, die einen sozialen Ausschluss nach sich ziehen, thematisiert,<br />

son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>n Zugängen und Interaktionsverhalten <strong>de</strong>r NutzerInnen. So betont<br />

etwa Susanne Maaß: „GestalterInnen haben die Definitionsmacht darüber, was<br />

‚richtige’ und ‚falsche’ Eingaben bzw. Interpretationen von Ausgaben sind, und normieren<br />

damit die zulässigen Verhaltensweisen <strong>de</strong>r BenutzerInnen. Menschen, die ihr<br />

Verhalten nicht entsprechend ausrichten können, weil sie nicht über die vorausgesetzten<br />

Fähigkeiten, Fertigkeiten und kulturellen Gewohnheiten, über Erfahrungen,<br />

Zeit, Geduld und Motivation, über Geräte, Geld o<strong>de</strong>r soziale Netzwerke verfügen,<br />

können die Software nicht für ihren Zweck nutzen. Sie wer<strong>de</strong>n durch die Technikgestaltung<br />

ausgegrenzt“ (Maaß 2003, 216).<br />

Aus Untersuchungen wie <strong>de</strong>rjenigen Anne-Jorunn Bergs über intelligente Häuser<br />

lässt sich zwar schließen, dass die „I-Methodology“ häufig eine <strong>de</strong>r Ursachen <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring ist. Allerdings bleibt dabei offen, wie Annahmen <strong>de</strong>r EntwicklerInnen, dass<br />

NutzerInnen dieselben Interessen und Fähigkeiten hätten wie sie selbst, als<br />

Selbstverständnisse in die vielfältigen Entscheidungen über ein Artefakt und seine<br />

spezifische Gestalt einfließen und welche Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung dabei en<br />

<strong>de</strong>tail wirksam sind. Deshalb erscheinen aus <strong>einer</strong> analytischen Perspektive gera<strong>de</strong><br />

solche technologischen Artefakte von beson<strong>de</strong>rem Interesse, die mit <strong>de</strong>m Ziel<br />

größtmöglicher Inklusion verschie<strong>de</strong>nartiger NutzerInnen antreten – jedoch in dieser<br />

Absicht scheitern. Denn die Differenz zwischen <strong>de</strong>m Anspruch <strong>de</strong>s Einschlusses und<br />

<strong>de</strong>s Resultat <strong>de</strong>s Ausschlusses verspricht, diejenigen Mechanismen innerhalb <strong>de</strong>s<br />

Technikgestaltungsprozesses aufzu<strong>de</strong>cken, die bei <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte am Werke sind.<br />

Ein solches Fallbeispiel, das in <strong>de</strong>r feministischen Technikforschung gut dokumentiert<br />

wur<strong>de</strong>, ist die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte <strong>de</strong>r digitalen Stadt<br />

Amsterdam 182 (vgl. Rommes et al. 1999, Rommes 2000, 2002, Oudshoorn et al. 2004).<br />

Diese wur<strong>de</strong> Mitte <strong>de</strong>r 1990er Jahre aufgebaut, um <strong>de</strong>n Amsterdamer BürgerInnen<br />

nach <strong>de</strong>m Vorbild <strong>de</strong>r US-amerikanischen „Freenets“ freien Zugang zu Informationen<br />

zu bieten und öffentliche politische Debatten über das Internet zu evozieren. Anhand<br />

umfangreicher ethnografischer Untersuchungen zeigen Rommes, van Oost und<br />

Oudshoorn auf, dass die EntwicklerInnen und politischen EntscheidungsträgerInnen<br />

mit <strong>de</strong>r elektronischen Plattform zunächst das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Stärkung <strong>de</strong>r Demokratie<br />

verban<strong>de</strong>n. Die digitale Stadt sollte ein Ort wer<strong>de</strong>n, an <strong>de</strong>m je<strong>de</strong> und je<strong>de</strong>r innerhalb<br />

eines nicht-hierarchischen Raumes kommunizieren kann. Der Slogan „Zugang für alle“<br />

(„XS4all“) stand nicht nur für die Hoffnung, dass die neue Technologie dazu beitragen<br />

könne, <strong>de</strong>mokratische Strukturen zu verbessern, son<strong>de</strong>rn zugleich für das bei <strong>de</strong>n<br />

DesignerInnen vorherrschen<strong>de</strong>, explizite NutzerInnenbild „je<strong>de</strong> und je<strong>de</strong>r“. Im Gegensatz<br />

zu <strong>de</strong>n Entwicklern intelligenter Häuser, <strong>de</strong>ren Vorstellungen von <strong>de</strong>n NutzerInnen<br />

– wie Berg dargelegt hatte – implizit waren, wur<strong>de</strong> die Inklusionsi<strong>de</strong>e von <strong>de</strong>n<br />

InitiatorInnen <strong>de</strong>r digitalen Stadt Amsterdam explizit vertreten. Anfangs bestand <strong>de</strong>r<br />

Anspruch darin, dass auch diejenigen, die noch keine Erfahrungen im Umgang mit<br />

Computern hatten an <strong>de</strong>r neuen Technologie teilhaben können sollten.<br />

182 <strong>de</strong> Digitale Stad (DDS).<br />

126


Die empirischen Untersuchungen <strong>de</strong>s Entwicklungsprozesses <strong>de</strong>r digitalen Stadt<br />

Amsterdam zeigten allerdings, dass und vor allem wie dieses Ziel <strong>de</strong>r Nutzungsfreundlichkeit<br />

durch die „I-Methodology“ unterlaufen wur<strong>de</strong>. So wur<strong>de</strong> beispielsweise die<br />

Metapher <strong>de</strong>r Stadt, auf <strong>de</strong>r die Benutzungsoberfläche basierte und die eine leichte Bedienbarkeit<br />

för<strong>de</strong>rn sollte, von <strong>de</strong>n GestalterInnen weniger konsequent umgesetzt als<br />

mit <strong>de</strong>r US-amerikanischen Software intendiert. Zwar ist bei <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s Interface<br />

eine technische Sprache vermie<strong>de</strong>n und sind fast alle Begriffe ins Nie<strong>de</strong>rländische<br />

übersetzt wor<strong>de</strong>n, jedoch blieb die Tastensteuerung dabei aus Zeitgrün<strong>de</strong>n sprachlich<br />

unverän<strong>de</strong>rt. Noch schwerwiegen<strong>de</strong>re Konsequenzen hatte es, dass das Entwicklungsteam<br />

das System um sechs weitere, zuvor nicht vorgesehene Softwarepakete<br />

ergänzte. Diese funktional-technische Erweiterung machte die Bedienung <strong>de</strong>r<br />

Benutzungsoberfläche viel komplexer als die <strong>de</strong>r ursprünglichen Software, da die<br />

Tasten in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Teilprogrammen nun unterschiedliche Funktionen hatten.<br />

Zu<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> implizit erwartet, dass die NutzerInnen selbst ihren Weg durch die<br />

digitale Stadt fän<strong>de</strong>n und im Zweifelsfall eine „trial and error“-Strategie anwen<strong>de</strong>ten,<br />

<strong>de</strong>nn das Hilfemenü erschien erst nach vier Schritten auf <strong>de</strong>r Bildschirmoberfläche.<br />

Dieses Design setzte voraus, dass die NutzerInnen bereits wussten, wie Menüs und<br />

Baumstrukturen funktionieren, so dass auf diese Weise die Zielgruppe <strong>de</strong>r wenig o<strong>de</strong>r<br />

gar nicht erfahrenen NutzerInnen ten<strong>de</strong>nziell ausgegrenzt wur<strong>de</strong>.<br />

Oudshoorn, Rommes und Stienstra ver<strong>de</strong>utlichen, dass die angeführten Designentscheidungen<br />

auf <strong>de</strong>r I-Methodology basieren – „a <strong>de</strong>sign practice in which <strong>de</strong>signers<br />

consi<strong>de</strong>r themselves as representative of the user“ (ebd., 41). So habe etwa <strong>de</strong>r Autor<br />

<strong>de</strong>s Handbuchs seine eigenen Erfahrungen zugrun<strong>de</strong> gelegt: „I have <strong>de</strong>cribed how I<br />

learned it myself“ (ebd., 42). Ebenso wür<strong>de</strong> die Strategie <strong>de</strong>s „trial and error“ <strong>de</strong>n<br />

Lernstil <strong>de</strong>r EntwicklerInnen wi<strong>de</strong>rspiegeln. Dieser Stil sei jedoch unter Frauen seltener<br />

anzutreffen als unter Männern. Insofern sei <strong>de</strong>m System ein „gen<strong>de</strong>r bias“ eingeschrieben.<br />

Neben diesen Verschiebungen auf <strong>de</strong>r Technikgestaltungsebene, die von<br />

<strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>s Zugangs für alle wegführten, wur<strong>de</strong>n die in Bibliotheken, in<br />

Seniorenhäusern, im Rathaus, in Museen und an<strong>de</strong>rnorts aufgestellten öffentlichen<br />

Terminals ab Mitte <strong>de</strong>r 1990er Jahre wie<strong>de</strong>r abgebaut (Oudshorn et al. 2004, 40). 183<br />

Gleichzeitig wur<strong>de</strong> das System auf eine grafische Benutzungsoberfläche umgestellt,<br />

die eine umfangreiche technische Ausstattung auf <strong>de</strong>m zu dieser Zeit neuesten Stand<br />

<strong>de</strong>r Technik erfor<strong>de</strong>rte, 184 welche nur wenige private NutzerInnen besaßen. Damit<br />

bewirkte <strong>de</strong>r Abbau öffentlicher Zugänge einen weiteren, <strong>de</strong>r Absicht eines „Design für<br />

alle“ entgegen gesetzten Ausschluss von NutzerInnen, insbeson<strong>de</strong>re von Frauen.<br />

Darüber hinaus verfolgten, wie die Autorinnenherausarbeiteten, auch die politischen<br />

Entscheidungsträger und InitiatorInnen <strong>de</strong>r digitalen Stadt Amsterdam ab Mitte <strong>de</strong>r<br />

1990er Jahre neue Ziele. Statt nutzungsfreundlich sollte das System primär innovativ<br />

sein und zum Trendsetter für an<strong>de</strong>re digitale Städte wer<strong>de</strong>n. Verschiebungen auf <strong>de</strong>r<br />

Mikroebene <strong>de</strong>r Technikgestaltung gingen somit einher mit Verschiebungen auf <strong>de</strong>r<br />

183 Als Begründung für die Beseitigung <strong>de</strong>r Terminals wur<strong>de</strong>n nicht nur ökonomische Grün<strong>de</strong> angegeben<br />

(z.B. die hohen Wartungskosten) o<strong>de</strong>r dass nicht die neueste, innovativste Technologie repräsentiert sei,<br />

son<strong>de</strong>rn vor allem, dass das Aufstellen an <strong>de</strong>n öffentlichen Plätzen unerwünschte NutzerInnen anzog:<br />

„‚They sat there for hours without or<strong>de</strong>ring anything‘; ‚they gave a tramp-image‘; and ‚they ma<strong>de</strong> the<br />

surroundings look ‚untidy‘“ (Oudshoorn et al. 2004, 40).<br />

184 Gebraucht wur<strong>de</strong>n eine bestimmte Software, ein genügend schneller Rechner, ein Farbmonitor und ein<br />

schnelles Mo<strong>de</strong>m.<br />

127


Makroebene politischer Entscheidungen, die allesamt das Ziel <strong>de</strong>s Zugangs für alle<br />

unterminierten.<br />

Oudshoorn et al. (2004) vergleichen die digitale Stadt Amsterdam mit <strong>de</strong>r kommerziellen<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r virtuellen Stadt New Topia, die in etwa zeitgleich bei <strong>de</strong>r Firma<br />

Philips entstand. New Topia basierte bewusst auf <strong>einer</strong> an<strong>de</strong>ren Technologie als <strong>de</strong>m<br />

Computer und Mo<strong>de</strong>m, um Assoziationen mit <strong>einer</strong> jungen, männerdominierten<br />

Hackerszene und damit Ausschlüsse zu vermei<strong>de</strong>n. Die Nutzung erfor<strong>de</strong>rte nur einen<br />

Fernseher und Telefon, d.h. Geräte, die so gut wie alle Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>rInnen besaßen.<br />

Jedoch berücksichtigten die EntwicklerInnen dabei nicht, dass für die Anwendung<br />

letztendlich auf die Technologie <strong>de</strong>s Teletexts zurückgegriffen wur<strong>de</strong>, die weitaus<br />

seltener von Frauen und älteren Menschen genutzt wur<strong>de</strong> als von verschie<strong>de</strong>nen<br />

Gruppen von Männern und <strong>de</strong>shalb einen strukturellen Ausschluss markierte. Damit<br />

konnten Oudshoorn et al. (2004) auch hier eine nicht intendierte Ausgrenzung auf <strong>de</strong>r<br />

Ebene <strong>de</strong>r benötigten Hardware nachweisen.<br />

Ein weiterer Unterschied zum Gestaltungsprozess <strong>de</strong>r digitalen Stadt Amsterdam<br />

bestand darin, dass die EntwicklerInnen von New Topia Tests mit NutzerInnen durchführten,<br />

zunächst nur mit MitarbeiterInnen <strong>de</strong>r eigenen Firma, nach <strong>de</strong>r Genehmigung<br />

als Patent auch mit einem breiteren Spektrum an Fernsehzuschauern. Dabei wur<strong>de</strong><br />

primär das technische Funktionieren überprüft. Erst ein dritter umfangreicher Usability-<br />

Test <strong>de</strong>s Prototypen zeigte schließlich, dass die von <strong>de</strong>n GestalterInnen intendierte<br />

Zielgruppe nicht <strong>de</strong>njenigen entsprach, die sich von <strong>de</strong>r Technologie angesprochen<br />

fühlten. Denn New Topia wur<strong>de</strong> diesen Testergebnissen zufolge primär von Männern<br />

genutzt, insbeson<strong>de</strong>re von weniger gebil<strong>de</strong>ten, 18- bis 35-jährigen Singles, die keinen<br />

eigenen Computer besaßen. Ferner zeigten Interviews, dass speziell Hausfrauen und<br />

RentnerInnen kein Interesse an <strong>de</strong>n Unterhaltungsangeboten und Spielen hatten,<br />

son<strong>de</strong>rn sich Informationen wünschten, z.B. über regionale Veranstaltungen. Daraufhin<br />

wur<strong>de</strong>n durch das Projektteam neue Zielgruppen <strong>de</strong>finiert, die mit an<strong>de</strong>ren, zu<br />

integrieren<strong>de</strong>n Informationsangeboten angesprochen wer<strong>de</strong>n sollten: Hausfrauen,<br />

RentnerInnen und Arbeitslose. Grundlegen<strong>de</strong>re Verän<strong>de</strong>rungen im Design, die aus<br />

<strong>de</strong>m letzten Test abgeleitet wer<strong>de</strong>n konnten, fan<strong>de</strong>n zu diesem Zeitpunkt, da <strong>de</strong>r<br />

Prototyp bereits fest stand, jedoch nicht mehr statt. 185<br />

In ihrer Zusammenschau <strong>de</strong>uteten die bei<strong>de</strong>n Fallstudien darauf hin, dass „configuring<br />

the user as everybody is an ina<strong>de</strong>quate strategy to account for the diversity of<br />

users. Both case studies show how <strong>de</strong>signers failed to operationalize this user<br />

representation into more specific <strong>de</strong>sign requirements. Our reconstructions of the<br />

<strong>de</strong>sign practices of the DDS and New Topia show a huge gap between the objective to<br />

<strong>de</strong>sign for everybody and the actual strategies, which did not adjust for differences in<br />

interest and skills among users. Due to this lack of differentiation and the use of the Imethodology,<br />

the virtual cities were <strong>de</strong>signed not for everybody but primarily for men”<br />

(ebd., 54).<br />

185 Aufgrund <strong>de</strong>r Ergebnisse <strong>de</strong>s dritten Tests sollten zunächst auch junge Mädchen als Zielgruppe aufgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n. Teenager erschienen jedoch letztendlich aus ökonomischen Interessen uninteressant,<br />

dass die Nutzung hohen Telefonkosten verursachte, die die jungen Mädchen nicht aufzubringen<br />

vermögen.<br />

128


Aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s Vorhabens <strong>kritisch</strong>er bzw. feministischer Technikgestaltung<br />

zeigen die bei<strong>de</strong>n ethnografischen Fallstudien, dass es nicht genügt, ausschließlich ein<br />

breites Spektrum von NutzerInnen bei <strong>de</strong>r Problem<strong>de</strong>finition <strong>einer</strong> Technologie anzustreben,<br />

wie Bergs Studie intelligenter Häuser vermuten ließe. Selbst wenn die<br />

Zielvorstellung darin besteht, dass eine Technologie „von je<strong>de</strong>r und je<strong>de</strong>m“ genutzt<br />

wer<strong>de</strong>n können soll, manifestieren sich häufig soziale Ausschlüsse im Laufe <strong>de</strong>s<br />

technischen Gestaltungsprozesses – sei es, dass an<strong>de</strong>re politische Interessen in <strong>de</strong>n<br />

Vor<strong>de</strong>rgrund treten und sich durchsetzen (z.B. Innovation), bestimmte implizite<br />

Annahmen über die Hardware <strong>de</strong>n Zugang zur Technologie beschränken (z.B. Teletext<br />

o<strong>de</strong>r Computer mit grafischer Benutzungsoberfläche) o<strong>de</strong>r die „I-Methodology“ bei<br />

bestimmten Designentscheidungen so stark durchschlägt, dass die inkludieren<strong>de</strong><br />

Absicht unterlaufen wird. 186 Das be<strong>de</strong>utet, dass auf je<strong>de</strong>r Stufe <strong>de</strong>s Designs von Technologie<br />

eine gesellschafts<strong>kritisch</strong>e und geschlechtertheoretische Analyse notwendig<br />

ist, wenn es darum gehen soll, Technologien einschließend zu gestalten. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

das letzte Fallbeispiel <strong>de</strong>r kommerziellen virtuellen Stadt New Topia <strong>de</strong>utet darauf hin,<br />

dass Tests mit NutzerInnen ein erster Schritt sein können, um nicht intendierte<br />

Ausschlüsse von NutzerInnen zu i<strong>de</strong>ntifizieren, zumin<strong>de</strong>st wenn diese Tests früh im<br />

Entwicklungsprozess durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Diese Erkenntnis erscheint nützlich und<br />

spricht für <strong>de</strong>n grundlegen<strong>de</strong>n Ansatz <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit, Metho<strong>de</strong>n für<br />

einefeministische Technikgestaltung zu entwickeln, die im nächsten Kapitel vorgestellt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz ist <strong>de</strong>r Zugang von Rommes, Oudshoorn und Stienstra zugleich<br />

<strong>einer</strong> geschlechtertheoretisch <strong>kritisch</strong>en Analyse zu unterziehen, die auf Verkürzungen<br />

verweist. Die Autorinnen verorten sich in <strong>de</strong>r feministischen konstruktivistischen Technikforschung.<br />

187 Damit unterschei<strong>de</strong>t sich ihr Vorgehen <strong>de</strong>utlich von <strong>de</strong>m zur Essentialisierung<br />

von Geschlecht neigen<strong>de</strong>n Ansatz, „geschlechtsspezifische“ Vorlieben in <strong>de</strong>r<br />

Nutzung von Technologien anzunehmen und damit Zweigeschlechtlichkeit zu reproduzieren,<br />

<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Abschnitten 4.1.1. und 4.1.2. vorgestellt wur<strong>de</strong>. Ebenso vermei<strong>de</strong>n<br />

sie die unzulässige Gleichsetzung von Frauen mit Hausfrauen, zu <strong>de</strong>r Bergs Analyse<br />

im vorangegangen Abschnitt 4.1.3. tendiert. Um das anhand <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n virtuellen Städte<br />

beobachtete Design und die diesem zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Entscheidungen als<br />

„männliche“ charakterisieren zu können, führen sie dieses jedoch direkt auf die<br />

Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen zurück: „Since the project teams of<br />

New Topia and DDS consisted mainly of men, and the few women involved in the<br />

<strong>de</strong>sign of the DDS largely adopted a masculine <strong>de</strong>sign style, the interests and<br />

competencies inscribed in the <strong>de</strong>sign were predominantly masculine. The fact that the<br />

DDS and New Topia failed to attract the audience they inten<strong>de</strong>d to reach must<br />

therefore also be un<strong>de</strong>rstood in terms of the gen<strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ntity of the <strong>de</strong>signers.“ (Oudshoorn<br />

et al. 2004, 53). Dieses Argument birgt – wie Catharina Landström (2007) betont<br />

– eine „analytische Asymmetrie“. Die Schlussfolgerung, dass die Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität<br />

<strong>de</strong>r Designer die beschriebenen Effekte produziert, erscheint inkonsistent, wenn die<br />

Autorinnen behaupten, dass sich die Frauen einen „männlichen Gestaltungsstil“ angeeignet<br />

hätten. Denn die „männliche“ Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität wird dabei als ein stabiler<br />

186 Auch die Annahmen über die Hardware lassen sich als „I-Methodology“ <strong>de</strong>uten, wird doch von <strong>de</strong>n<br />

Designern angenommen, dass NutzerInnen dieselbe neueste Hardware besitzen wie sie selbst.<br />

187 Vgl. Kapitel 2.1.<br />

129


Faktor unterstellt, <strong>de</strong>r die Kraft besäße, das Design <strong>de</strong>r Technologie zu bestimmen. Die<br />

„weiblichen“ Ingenieurinnen verfügten <strong>de</strong>mgegenüber nicht über eine gleich starke<br />

Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität, da sie sich an die erfor<strong>de</strong>rliche Männlichkeit anpassten, während<br />

die „weibliche“ Position <strong>de</strong>r Nicht-NutzerInnen wie<strong>de</strong>rum durch ihre Geschlechteri<strong>de</strong>ntität<br />

<strong>de</strong>terminiert sei. So betrachtet läuft <strong>de</strong>r ansonsten produktive Ansatz von<br />

Rommes, Oudshoorn und Stienstra Gefahr, Geschlecht entlang traditioneller Achsen<br />

<strong>de</strong>s Geschlechter-Technik-Verhältnisses als gegeben anzunehmen. Wenn diese Kategorie<br />

jedoch als ein unverän<strong>de</strong>rliches Element vorausgesetzt wird, kann sie nur als<br />

Ursache <strong>de</strong>r Gestalt sozial konstruierter Technologie fungieren. Demgegenüber reklamiert<br />

Landström eine „doppelt konstruktivistische Analyse“, die <strong>de</strong>n Blick darauf zu<br />

lenken vermag, dass in <strong>de</strong>m Prozess <strong>de</strong>r Konstruktion von Technologie und von<br />

NutzerInnenbil<strong>de</strong>rn auch das Geschlecht <strong>de</strong>r IngenieurInnen mit hergestellt wird. „This<br />

is something Oudshoorn, Rommes and Stienstra hint at in their observations of female<br />

software <strong>de</strong>signers, who do things in the same way as their male colleagues do, but it<br />

does not influence their conclusion. To address this they would have to approach<br />

gen<strong>de</strong>r not as an i<strong>de</strong>ntity trait that comes from the individual and <strong>de</strong>termines their<br />

relationship with others, but as something emerging in the processes in which people<br />

and technology enmeshed“ (Landström 2007, 10).<br />

Insgesamt lässt sich festhalten, dass Studien, die mit <strong>de</strong>m Ausschluss bestimmter<br />

NutzerInnen durch das Design von Technologien argumentieren, wertvolle Hinweise<br />

darauf geben, wie Technologiegestaltungsprozesse organisatorisch, methodisch und<br />

theoretisch so ausgerichtet wer<strong>de</strong>n können, dass sie eine größere Vielfalt von Menschen<br />

ansprechen. Dabei wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass für <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>r Ausgrenzung<br />

sorgfältige empirische Studien notwendig ist, das nachvollziehbar macht, warum<br />

gewisse NutzerInnen strukturell ausgegrenzt wer<strong>de</strong>n. Solche Begründungen lieferte<br />

beispielsweise die Studie zu <strong>de</strong>n digitalen Städten, um aufzuzeigen, dass <strong>de</strong>r Zugang<br />

von Ressourcen (z.B. Hardware) abhängt, über die nicht alle Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>rInnen zu <strong>de</strong>r<br />

betrachteten Zeit verfügten, insbeson<strong>de</strong>re nicht die weiblichen. Sobald die Studien<br />

jedoch versuchen, einen durchaus kritikwürdigen Ausgrenzungsprozess als Ausschluss<br />

„von Frauen“ zu begrün<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r auf einem „männlichen Design“ beruht, greifen<br />

sie auf fest gefügte Geschlechtsi<strong>de</strong>ntitäten von NutzerInnen und von TechnologiegestalterInnen<br />

zurück – eine Festschreibung, die aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Gen<strong>de</strong>r<br />

Studies äußerst problematisch ist, da ein einheitliches, feststehen<strong>de</strong>s Subjekt<br />

angenommen wird. Während die Konstruktion abstrakter Vorlieben und Interessen von<br />

Frauen bereits auf <strong>de</strong>n ersten Blick als unzulässige Setzung aufgezeigt wer<strong>de</strong>n kann<br />

und auch die Reduktion von Frauen auf Hausfrauen zweifelhaft erscheint, ver<strong>de</strong>utlichen<br />

die differenzierteren Studien aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r feministischen<br />

Technikforschung, wie schwierig es ist, eine konstruktivistische Perspektive konsequent<br />

beizubehalten. Um <strong>de</strong>m Argument <strong>de</strong>s Ausschlusses Nachdruck zu verleihen,<br />

tendieren sie dazu, in Technologie inkorporierte Ungerechtigkeit auf eine abstrakte<br />

Basis von feststehen<strong>de</strong>r, einheitlicher Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität zu grün<strong>de</strong>n und Geschlechterdifferenz<br />

dort herzustellen, wo es gar nicht notwendig ist. Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Ko-Produktion<br />

von Technik und Geschlecht ernst zu nehmen, wür<strong>de</strong> dagegen be<strong>de</strong>uten, <strong>de</strong>n<br />

unterstellten Ursache-Wirkungszusammenhang umzukehren. Nicht die Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität<br />

<strong>de</strong>r Designer wäre dann verantwortlich für das „männliche Design“ <strong>de</strong>r<br />

Technologie. Vielmehr stellten die TechnologiegestalterInnen auch ihre eigene<br />

130


Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität während <strong>de</strong>s Technologiegestaltungsprozesses ständig erneut<br />

her. Dabei kann es zu Bestätigungen <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Geschlechter-Technik-Ordnung<br />

kommen, aber auch zu Brüchen und Verschiebungen, die es differenziert zu untersuchen<br />

gilt. Der Ansatz <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technik und Geschlecht, <strong>de</strong>r im<br />

letzten Kapitel theoretisch dargelegt wur<strong>de</strong>, ruft dazu auf, <strong>de</strong>r Versuchung zu<br />

wi<strong>de</strong>rstehen, das politisch gerechtfertigte Argument <strong>de</strong>s Ausschlusses mit fest<br />

gefügten binären geschlechtlichen I<strong>de</strong>ntitäten von Subjekten und Objekten zu<br />

begrün<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Technologien als<br />

einen Prozess <strong>de</strong>r gleichzeitigen und gegenseitigen Konstitution <strong>de</strong>r beteiligten<br />

Subjekte (DesignerInnen und NutzerInnen) und Objekte (informatische Artefakte) zu<br />

begreifen.<br />

.<br />

4.2. Digitale Materialisierung strukturell-symbolischer Ungleichheit:<br />

geschlechtlich markierte Arbeitsplätze, Kompetenzen und Körper<br />

Neben <strong>de</strong>m Ausschluss von Frauen als NutzerInnen besteht eine zweite Form <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung von Technologie in <strong>de</strong>r Einschreibung Zweigeschlechtlichkeit<br />

konstituieren<strong>de</strong>r Kompetenzen und geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung in<br />

informatische Artefakte. Während die im letzten Abschnitt 4.1. betrachteten Studien<br />

kritisierten, dass Frauen zugeschriebene Vorlieben und Fähigkeiten sowie die<br />

beschränkte Verfügbarkeit von Ressourcen in Bezug auf <strong>de</strong>n Umgang mit <strong>de</strong>m<br />

Computer im Design <strong>de</strong>r Technologie nicht berücksichtigt wur<strong>de</strong>n, wird im Folgen<strong>de</strong>n<br />

die Fort- und Festschreibung bestehen<strong>de</strong>r Ungleichheitsstrukturen im Erwerbsleben via<br />

Technologie in <strong>de</strong>n Blick genommen. Dabei beschränke ich mich auf die Ansätze,<br />

welche die technische Unterstützung so genannter „Frauenarbeitsplätze“ analysieren.<br />

In<strong>de</strong>m Erwerbstätigkeiten im Mittelpunkt stehen, die vorwiegend von Frauen ausgeübt<br />

wer<strong>de</strong>n, rekurriert dieser Abschnitt weniger auf vermeintliche Merkmale von Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität<br />

(bzw. Fragen <strong>de</strong>r Konstitution <strong>de</strong>r Subjekte), son<strong>de</strong>rn fokussiert auf<br />

die strukturellen Dimensionen <strong>de</strong>r Geschlechterverhältnisse.<br />

Studien, die auf dieser Ebene Gen<strong>de</strong>ringprozesse nachweisen, stehen in <strong>einer</strong><br />

langen Tradition. Bereits En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1970er Jahre, als Personalcomputer zunehmend an<br />

Arbeitsplätzen Einzug hielten, fingen gesellschafts<strong>kritisch</strong> orientierte SozialwissenschaftlerInnen<br />

an, Zusammenhänge zwischen Klassengegensätzen und neuen Technologien<br />

zu untersuchen. Es wur<strong>de</strong> befürchtet, dass die Einführung von Computern im<br />

Rahmen kapitalistischer Produktionsverhältnisse dazu beitragen wür<strong>de</strong>, Arbeit zu fragmentieren,<br />

Löhne zu drücken und eine stärkere Kontrolle über die Beschäftigten zu<br />

erhalten. Vertreterinnen <strong>de</strong>s sozialistischen Feminismus wiesen darauf hin, dass im<br />

Zuge dieser Entwicklungen insbeson<strong>de</strong>re die Arbeit von Frauen betroffen war. Sie argumentierten,<br />

dass durch die neuen Technologien „geschlechtsspezifische“ Arbeitsteilung<br />

hergestellt und zementiert wür<strong>de</strong>. Insbeson<strong>de</strong>re in Bezug auf die Büroarbeit wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Verdacht geäußert, dass die traditionelle Segregation von Schreibarbeit und Sachbearbeitung<br />

auf die computergestützte Textproduktion übertragen wer<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Arbeitsplätze<br />

wegrationalisiert wür<strong>de</strong>n.<br />

131


Die organisatorische Neustrukturierung von Arbeitsprozessen im Zuge <strong>de</strong>r Einführung<br />

von Computer- und Informationssystemen ist in <strong>de</strong>r Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r<br />

Informatik, die auf die Analyse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte fokussiert, <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r am<br />

umfangreichsten untersuchten Bereiche. 188 In <strong>de</strong>n 1980er und 1990er Jahren stand<br />

dabei nicht nur die Büroarbeit im Mittelpunkt (vgl. u.a. Webster 1993, 1995, 1996, Winker<br />

1995, Clement 1991, 1993, Vehviläinen 1991) son<strong>de</strong>rn auch die Tätigkeiten von<br />

Krankenschwestern (vgl. u.a. Wagner 1989, 1991, 1993, Feldberg 1993, Gregory<br />

2000) 189 und Bibliotheksangestellten (vgl. etwa Green et al. 1993b). Denn diese Berufe<br />

wer<strong>de</strong>n nicht nur vorwiegend von Frauen ausgeübt, son<strong>de</strong>rn weisen Merkmale typischer<br />

„Frauenarbeit“ auf: Während Schreibarbeit aufgrund ihrer Monotonie und Routine<br />

als „weiblich“ gilt, wer<strong>de</strong>n Pflegeberufe aufgrund <strong>de</strong>s Charakters, für an<strong>de</strong>re Sorge zu<br />

tragen (care), stark mit „Weiblichkeit“ assoziiert. Demgegenüber sind Bibliothekstätigkeiten<br />

Dienstleistungen, die weitgehend hinter <strong>de</strong>n Kulissen ablaufen und aufgrund<br />

<strong>de</strong>ssen als typische „Frauenarbeit“ betrachtet wer<strong>de</strong>n. 190<br />

Ausgangspunkt <strong>de</strong>r frühen feministischen Studien war die Frage, welchen Einfluss<br />

<strong>de</strong>r Einsatz von Computern auf die Erwerbsarbeit in frauentypischen Tätigkeitsbereichen<br />

hat. Diese gingen zunächst von technikpessimistischen bzw. entfremdungstheoretisch<br />

geprägten Erwartungshaltungen aus. Bei <strong>de</strong>r Entwicklung von Krankenhausinformationssystemen<br />

etwa bestand das <strong>kritisch</strong>e Argument darin, dass Krankenschwestern<br />

durch die Einführung von IT von ihrer eigentlichen Aufgabe, <strong>de</strong>r Pflege<br />

<strong>de</strong>r Kranken, abgehalten wür<strong>de</strong>n. Dieses nahm Bezug auf die Aussagen <strong>de</strong>s Pflegepersonals,<br />

das die eigene Tätigkeit primär als Sorge um die PatientInnen <strong>de</strong>finierte, die<br />

einen ständigen direkten Kontakt erfor<strong>de</strong>rte (vgl. Wilson 2002). Aus <strong>einer</strong> konstruktivistischen<br />

Geschlechter- und Technikforschungsperspektive erscheinen diese Aussagen<br />

jedoch fragwürdig, nicht nur, weil sie dazu neigen, von Krankenschwestern als<br />

<strong>einer</strong> homogenen Gruppe von Frauen auszugehen. In<strong>de</strong>m sie einen Dualismus von<br />

zwischenmenschlicher Interaktion und <strong>de</strong>r Interaktion mit <strong>de</strong>r Maschine herstellen, <strong>de</strong>r<br />

geschlechtlich markiert ist, laufen sie vielmehr Gefahr die dichotome Geschlechterkonstruktion<br />

zu reproduzieren, welche das hegemoniale Geschlechter-Technik-Verhältnis<br />

aufrechterhält: nämlich die Annahme, dass Frauen (in diesem Fall Krankenschwestern)<br />

mit Menschen und nicht mit Maschinen arbeiteten. 191<br />

Im Bereich <strong>de</strong>r Büroarbeit war die Ausgangssituation – und damit die Argumentation<br />

– etwas an<strong>de</strong>rs gelagert. Dort bestand in <strong>de</strong>n 1980er Jahren die Befürchtung primär<br />

darin, dass die vorwiegend von Frauen geleistete Schreibtätigkeit durch die Computerisierung<br />

<strong>de</strong>qualifiziert, standardisiert und in eine monotone Fließbandarbeit umstrukturiert<br />

wür<strong>de</strong>. „Word processing, it was argued, was a mechanism for the introduction<br />

of Taylorism into the office and as such, would be associated with the <strong>de</strong>gradation,<br />

188 Darauf verweisen unter an<strong>de</strong>rem die Namen <strong>de</strong>r internationalen Konferenzen: „Women, Work, and<br />

Computerization“ (seit 1984), aber auch <strong>de</strong>r Fachgruppe „Frauenarbeit und Informatik“ <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Gesellschaft für Informatik e.V. (seit 1987).<br />

189 In Deutschland haben vor allem Christiane Floyd, Anita Krabbel, Sabine Ratuski und Ingrid Wetzel<br />

umfangreiche Studien über Krankenhausinformationssysteme durchgeführt; vgl. etwa Floyd et al. 1997.<br />

Allerdings war ihr Ansatz stärker durch evolutionäre Systementwicklungsmetho<strong>de</strong>n als durch eine<br />

Geschlechterperspektive motiviert.<br />

190 Dabei ist die symbolische Ebene geschlechtlicher Zuschreibungen schwer von <strong>de</strong>r strukturellen zu<br />

trennen, nach <strong>de</strong>r diese Berufe tatsächlich fast nur von Frauen ausgeübt wer<strong>de</strong>n und sie zugleich<br />

benachteiligt wer<strong>de</strong>n.<br />

191 Vgl. hierzu auch die Kritik an <strong>de</strong>r Herstellung stereotyper Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität durch die Studien selbst,<br />

die im letzten Abschnitt 4.1. diskutiert wur<strong>de</strong>.<br />

132


<strong>de</strong>skilling and intensification of office work.“ (Webster 1993, 115). Eine dritte Kritik<br />

richtete sich dagegen, dass durch die Einführung von Software Arbeitsplätze überflüssig<br />

wür<strong>de</strong>n, insbeson<strong>de</strong>re die von Frauen.<br />

Untersuchungen aus <strong>de</strong>r feministischen (Technik-)Soziologie fokussierten somit in<br />

<strong>de</strong>n 1980er und frühen 1990er Jahren primär auf die Auswirkungen <strong>de</strong>s Computereinsatzes<br />

auf die Arbeit und das Leben von Frauen. Diese Orientierung tendiert jedoch<br />

zu technik<strong>de</strong>terministischen Positionen, <strong>de</strong>nen zufolge das Technische das Soziale<br />

bestimmt. Sie versteht Frauen als Opfer, somit wird Geschlecht letztendlich essentialisiert.<br />

Kritische InformatikerInnen dagegen strebten eher danach, Technologien so<br />

zu gestalten, dass sie bestehen<strong>de</strong>n hierarchischen und vergeschlechtlichten Ungleichheitsstrukturen<br />

in <strong>de</strong>n von ihnen betrachteten Bereichen entgegenwirken. Sie saßen<br />

damit häufig <strong>de</strong>nselben Annahmen auf, <strong>de</strong>m Technik<strong>de</strong>terminismus wie <strong>de</strong>m binären<br />

Geschlechteressentialismus, nur dass diese nun positiv gesellschaftsverän<strong>de</strong>rnd<br />

gewen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n. Studien, welche im Gegensatz zu diesen bei<strong>de</strong>n Linien Einschreibungen<br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung in Informationstechnologien sorgfältig<br />

empirisch nachweisen, ohne bei <strong>de</strong>r verallgem<strong>einer</strong>n<strong>de</strong>n Analyse <strong>de</strong>r Folgen für<br />

Frauen stehen zu bleiben o<strong>de</strong>r sofort auf eine alternative Technikgestaltung zu zielen,<br />

sind relativ rar. In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Abschnitten arbeite ich aus <strong>de</strong>m vorhan<strong>de</strong>nen<br />

Material <strong>informatischer</strong> und techniksoziologischer Fallstudien heraus, auf welche<br />

Weise die hegemoniale geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung in informationstechnologischen<br />

Artefakten repräsentiert ist und welche Aspekte sich dabei unterschei<strong>de</strong>n<br />

lassen. Ich i<strong>de</strong>ntifiziere zunächst drei 192 verschie<strong>de</strong>ne Facetten dieses Gen<strong>de</strong>ring, die<br />

ich ausführlicher diskutieren wer<strong>de</strong>:<br />

1. die ambivalente Konfigurierung von NutzerInnen durch Software als Frauen (4.2.1.)<br />

2. die Einschreibung bestehen<strong>de</strong>r geschlechtlich kodierter Strukturen und<br />

Hierarchieverhältnisse in Informationstechnologien (bspw. die Festschreibung <strong>de</strong>r<br />

Hierarchie zwischen ÄrztInnen und Krankenschwestern) (4.2.2.) und<br />

3. das Ausblen<strong>de</strong>n so genannter unsichtbarer Arbeit aus <strong>de</strong>r informatischen<br />

Mo<strong>de</strong>llierung (4.2.3)<br />

4. In einem vierten Abschnitt über neuere Studien zur Dienstleistungsökonomie,<br />

insbeson<strong>de</strong>re zum Einsatz von Informationstechnologien in Callcentern (4.2.4.), lege<br />

ich dar, dass diese Erkenntnisse <strong>de</strong>r feministischen Technikforschung zur geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n<br />

Arbeitsteilung noch immer höchst aktuell sind.<br />

5. Der fünfte Abschnitt (4.2.5.) greift die Repräsentation vergeschlechtlichter Körper auf<br />

<strong>de</strong>n Bildschirmoberflächen auf, die aufgrund verbesserter Grafik und Animation möglich<br />

gewor<strong>de</strong>n sind und bisher vor allem kultur- und medienwissenschaftlich diskutiert<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

192 Eine weitere Ebene <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte besteht in <strong>de</strong>r Hierarchisierung <strong>de</strong>s<br />

Wissens, das in Informationssysteme eingeschrieben ist. So gelten beispielsweise die Diagnosen von<br />

ÄrztInnen mehr als die <strong>de</strong>r KrankenpflegerInnen, obwohl letztere <strong>de</strong>n direkten Kontakt zu <strong>de</strong>n PatientInnen<br />

und Erfahrungen im Umgang mit diesen haben. Dieses Ungleichheitsverhältnis bil<strong>de</strong>t sich oft auch in<br />

Krankenhausinformationssystemen ab. Die Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>s Wissens im Krankenhaus trägt zwar<br />

zur geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n Arbeitsteilung bei, es wird hier jedoch allgem<strong>einer</strong> unter <strong>de</strong>r dritten<br />

Kategorie <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte, <strong>de</strong>r epistemologische Voraussetzungen <strong>de</strong>r<br />

Mo<strong>de</strong>llierung und Strukturierungen von Wissen, verhan<strong>de</strong>lt.<br />

133


4.2.1. Die ambivalente Konfigurierung von NutzerInnen als Frauen<br />

Die erste Ebene <strong>de</strong>r Einschreibung geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung und<br />

Kompetenzen knüpft an die im letzten Abschnitt diskutierten impliziten Vorstellungen<br />

<strong>de</strong>r DesignerInnen über die NutzerInnen an. Eine mangeln<strong>de</strong> Klarheit und eine<br />

fehlen<strong>de</strong> experimentelle Überprüfung von Annahmen über <strong>de</strong>n AdressatInnenkreis<br />

eines Produktes kann jedoch nicht nur dazu führen, dass NutzerInnenbil<strong>de</strong>r in die<br />

Software eingeschrieben wer<strong>de</strong>n, die zum Ausschluss bestimmter potentieller NutzerInnen<br />

bspw. bestimmter Gruppen von Frauen beitragen, wie im letzten Abschnitt<br />

aufgezeigt wur<strong>de</strong>. Es wer<strong>de</strong>n dadurch häufig auch implizite Zuschreibungen<br />

geschlechtsstereotyper Fähigkeiten und Qualifikationen sowie stillschweigen<strong>de</strong> Festschreibungen<br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung vorgenommen.<br />

Jeanette Hofmann (1997, 1999) hat in <strong>einer</strong> historischen Studie aufgezeigt, in<br />

welchem Ausmaß unreflektierte Annahmen über zukünftige NutzerInnen, ihr<br />

Geschlecht und ihre (technischen) Kompetenzen die Designentscheidungen von<br />

Technologen bestimmen. Sie untersuchte dazu drei Textverarbeitungssysteme, welche<br />

die Entwicklung von Benutzungsoberflächen als Schnittstellen zwischen Mensch und<br />

Computer seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1970er Jahre wi<strong>de</strong>rspiegeln. Anhand von Interviews sowie<br />

Originaldokumenten rekonstruierte sie die jeweiligen Vorstellungen <strong>de</strong>r SoftwareentwicklerInnen<br />

von ihren Adressaten. Sie legt damit die <strong>de</strong>r Gestaltung von Textverarbeitung<br />

zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n impliziten NutzerInnenbil<strong>de</strong>r offen.<br />

Hofmann betrachtet als erstes Beispiel menügesteuerte Textautomaten (<strong>de</strong>n IBM-<br />

Displaywriter von 1980 bzw. 1984 und <strong>de</strong>n Wang WPS von 1976 bzw. Wang Writer<br />

von 1981), die sie als „eine Art Zwitterprodukt aus Schreibmaschine und Computer“<br />

(Hofmann 1997, 75) beschreibt. Maschine und Programm stellen dabei eine fest<br />

verdrahtete Einheit dar. Die Tätigkeit <strong>de</strong>s Schreibens ist im Textautomaten als eine<br />

Abfolge von Auswahlprozeduren simuliert, organisiert nach <strong>de</strong>m „verb-noun approach“.<br />

Die Schreibkraft hatte zunächst aus <strong>de</strong>m Menü auszuwählen, was sie mit <strong>de</strong>m Text zu<br />

tun beabsichtigt (verb), um daran anschließend <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n Textkörper (noun) zu<br />

bestimmen. 193 In diese Sequenzen waren zusätzliche Menüs, Abfragen und<br />

Auffor<strong>de</strong>rungen eingebaut, die sich <strong>de</strong>r gemachten Angaben vergewissern und<br />

systembedingte Pausen erzeugen. Da Textautomaten <strong>de</strong>n NutzerInnen eine strikt<br />

sequentielle und hierarchische Handlungsabfolge abverlangten, die nicht durchbrochen<br />

o<strong>de</strong>r umgangen wer<strong>de</strong>n konnten, galten diese Systeme für AnfängerInnen als<br />

beson<strong>de</strong>rs gut geeignet. „We wanted to make something for the really dummy user<br />

who doesn’t have any i<strong>de</strong>a of the technology“ (nach Hofmann 1999, 227) beschreibt<br />

<strong>de</strong>r damalige leiten<strong>de</strong> Systemgestalter bei Wang die <strong>de</strong>r Entwicklung zugrun<strong>de</strong><br />

liegen<strong>de</strong> Intention.<br />

Nicht nur je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nkbare Bedienungsfehler war ausgeschlossen, einige <strong>de</strong>r<br />

untersuchten Systeme verwehrten <strong>de</strong>n Schreibkräften sogar <strong>de</strong>n Zugriff auf das eigene<br />

Produkt, in<strong>de</strong>m Texte zwar erstellt und editiert, jedoch nicht kopiert, umbenannt o<strong>de</strong>r<br />

gelöscht wer<strong>de</strong>n konnten. Der Ansatz führte vor <strong>de</strong>m Hintergrund damaliger Rechenkapazität<br />

nicht nur zu <strong>einer</strong> extremen Langsamkeit <strong>de</strong>s computergestützten<br />

193 Im Gegensatz dazu funktionieren die heutzutage gängigen Textverarbeitungssysteme nach <strong>de</strong>m „nounverb“-Prinzip,<br />

bei <strong>de</strong>m zunächst <strong>de</strong>r Textabschnitt ausgewählt wird, um dann entschei<strong>de</strong>n zu können,<br />

welcher „Befehl“ auf diesen angewandt wer<strong>de</strong>n soll.<br />

134


Schreibens, son<strong>de</strong>rn hielt die NutzerInnen dauerhaft „dumm“: „Die imaginierte<br />

Adressatin <strong>de</strong>s Textautomaten erweist sich als ewige Anfängerin, <strong>de</strong>ren technische<br />

Kompetenz so gering erschien, dass durch unproduktives Schreiben entstehen<strong>de</strong><br />

Kosten niedriger veranschlagt wur<strong>de</strong>n als jene durch mögliches Fehlverhalten“<br />

(Hofmann 1997, 78).<br />

Wür<strong>de</strong> allein dieses Fallbeispiel herangezogen, so läge eine ein<strong>de</strong>utige Folgerung<br />

auf <strong>de</strong>r Hand: Softwareentwickler reproduzieren und verstärken sogar die bestehen<strong>de</strong><br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung durch konkrete Gestalt <strong>de</strong>r IT, in diesem Fall<br />

die Funktionalität <strong>de</strong>r Technologie und das User-Interface-Design. Denn Geschlecht<br />

wird durch die menügesteuerten Textautomaten gleich in einem doppelten Sinne strukturell<br />

hergestellt. Einerseits dadurch, dass als Frauen angenommene Schreibkräfte<br />

aufgrund <strong>de</strong>r „Idiotensicherheit“ <strong>de</strong>s Programms als technologisch inkompetent<br />

unterstellt wer<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>rerseits wer<strong>de</strong>n sie zugleich in <strong>de</strong>r betrieblichen Hierarchie<br />

niedrig gehalten, in<strong>de</strong>m sie keine Entscheidungsbefugnis über das Produkt ihrer<br />

Tätigkeit erhalten und Möglichkeiten <strong>de</strong>s Lernens und <strong>de</strong>r technischen Weiterbildung<br />

ausgeschlossen sind.<br />

Demgegenüber kommt im zweiten Fallbeispiel, Textverarbeitungsprogrammen mit<br />

Tastatursteuerung (WordStar von 1978 und WordPerfect von 1979), ein ganz an<strong>de</strong>res<br />

Bild von Frauen als Schreibkräften zum Ausdruck. Denn es wird ihnen dort die<br />

Fähigkeit „blind“ tippen zu können unterstellt und zugleich für die Simulation <strong>de</strong>s<br />

Schreibens genutzt. In<strong>de</strong>m die Editierfunktionen wie auch das Wechseln zwischen<br />

Schreib- und Editiermodus durch Kombinationen von Buchstaben- und Steuerungstasten<br />

realisiert waren, konnten die Schreibkräfte ihre Hän<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Tastatur belassen<br />

und brauchten ihren Schreibfluss nur geringfügig zu unterbrechen. Auf Gedächtnishilfen<br />

wie Menüs wur<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s Programms ebenso verzichtet wie auf<br />

langwierige Frage-Antwort-Dialoge. Vorkehrungen gegen mögliche „Dummheiten“ <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen beschränkten sich im Wesentlichen auf ein Design, bei <strong>de</strong>m häufig<br />

genutzte Funktionen durch einfache, folgenreiche Aktionen dagegen wie das Löschen<br />

durch eher schwere Erreichbarkeit <strong>de</strong>r Tastenkombinationen realisiert waren.<br />

Gegenüber Fehlbedienungen wur<strong>de</strong>n hier also keine beson<strong>de</strong>ren Präventionen<br />

getroffen.<br />

Daraus lässt sich ablesen, dass die Schreibkräfte <strong>de</strong>n EntwicklerInnen nicht – wie<br />

im Fall <strong>de</strong>r Textautomaten – als technisch min<strong>de</strong>rbemittelt galten, son<strong>de</strong>rn als qualifiziert<br />

und eigenständig. Das Programm stellte aufgrund <strong>de</strong>r komplexen Programmsyntax<br />

und s<strong>einer</strong> teils wenig eingängigen Kodierung von Funktionalitäten hohe Erwartungen<br />

an die Lernbereitschaft <strong>de</strong>r NutzerInnen. Die Bedienung war eher an <strong>de</strong>rjenigen<br />

von ProgrammiererInnen orientiert, wie sich einem Interview mit <strong>de</strong>m Informatiker van<br />

Dam entnehmen lässt: „Once you memorize the key combinations – people on ‚VI‘ or<br />

‚Emacs‘ 194 are good at theat – it can go much faster than experienced [operators<br />

working on] word processors“ (nach Hofmann 1999, 232). Als NutzerInnen wur<strong>de</strong>n<br />

professionelle Typistinnen angenommen, <strong>de</strong>ren Haupttätigkeit zuvor im Maschinenschreiben<br />

bestand. Das Nutzerbild ist das <strong>einer</strong> „technischen Expertin“.<br />

194 Der VI (Visual Interface) und Emacs sind frühe Texteditoren, die primär von Unix- und Linux-Nutzer-<br />

Innen und ProgrammiererInnen gebraucht wur<strong>de</strong>n. Charakteristisch ist, dass sie in verschie<strong>de</strong>nen Modi<br />

funktionieren, <strong>de</strong>r VI hat beispielsweise einen Befehls-, einen Einfügemodus und einen Kommandozeilenmodus.<br />

135


Die Studie zeigt, dass auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s gleichen Adressatinnenkreises, hier<br />

<strong>de</strong>r Gruppe von Frauen als Schreibkräfte, stark differieren<strong>de</strong> Softwareentwürfe<br />

entstehen können. Die Unterschie<strong>de</strong> lassen sich vor allem an Kompetenzen, welche<br />

die EntwicklerInnen <strong>de</strong>r Zielgruppe zuschreiben, und an <strong>de</strong>n Vorsichtsmaßnahmen<br />

gegenüber möglichen Fehlbedienungen ablesen. Im ersten Fall wer<strong>de</strong>n die User als<br />

als Frauen „konfiguriert“, 195 <strong>de</strong>nn die Umsetzung <strong>de</strong>r Interpretation dieses Nutzerbil<strong>de</strong>s<br />

strukturiert und beschränkt ihre Handlungsoptionen im Sinne hegemonialer<br />

Geschlechterkonstruktionen. Im zweiten Fall wird die Verknüpfung von technischer<br />

Inkompetenz und „Weiblichkeit“ aufgebrochen. Dem Design liegt implizit die Annahme<br />

zugrun<strong>de</strong>, dass die als Schreibkräfte tätigen Frauen einen ähnlichen Umgang mit <strong>de</strong>m<br />

Computer hätten, wie die als Programmierer tätigen Männer. Die <strong>de</strong>r Software eingeschriebenen<br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n NutzerInnenbil<strong>de</strong>r, die <strong>de</strong>n Individuen beson<strong>de</strong>re<br />

Kompetenzen zu- o<strong>de</strong>r abschreiben, variieren somit stark. Auf <strong>einer</strong> strukturellen<br />

Ebene betrachtet, bleibt das zweigeschlechtlich differenzierte Konzept <strong>de</strong>r Schreibarbeit<br />

jedoch auch bei <strong>de</strong>m zweiten Fallbeispiel erhalten. „The traditional division of<br />

labour within writing, which separates the process of composing text from that of<br />

typing, became the mo<strong>de</strong>l for the <strong>de</strong>sign of word processing software.“ (Hofmann 1999,<br />

224). Sowohl die menügesteuerten Textautomaten wie die tastaturgesteuerte Textverarbeitung<br />

setzen voraus, dass die Schreibkräfte ausschließlich tippen, während <strong>de</strong>r<br />

kreative Akt <strong>de</strong>s Schreibens <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Hierarchie höher stehen<strong>de</strong>n WissensarbeiterInnen,<br />

zumeist Männern überlassen bleibt. Hofmann führt allerdings ein weiteres<br />

Beispiel an, bei <strong>de</strong>r auch diese Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung technischer Artefakte<br />

aufgeweicht wird.<br />

Die dritte von ihr untersuchte Textverarbeitungssoftware (<strong>de</strong>r Xerox Star Computer<br />

von 1981) basiert auf <strong>einer</strong> grafischen Benutzungsoberfläche. 196 Im Vergleich zu <strong>de</strong>n<br />

stark strukturieren<strong>de</strong>n Menüs und <strong>de</strong>r Tastatursteuerung <strong>de</strong>r vorangegangenen<br />

Beispiele wer<strong>de</strong>n hier die als wesentlich betrachteten Funktionen <strong>de</strong>r Textproduktion<br />

durch bildhaften Symbole (Icons) dargestellt. Die Entwickler beschränkten das<br />

Ausdrucksvermögen auf wenige Operationen wie „move“, „copy“, „<strong>de</strong>lete“, und „again“,<br />

<strong>de</strong>ren grafische Darstellung ein geringes Erinnerungsvermögen von Seiten <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen erfor<strong>de</strong>rt. Komplexere Funktionen wie das Suchen/Ersetzen, die im tastaturgesteuerten<br />

Programm zur Verfügung stan<strong>de</strong>n, waren hier nicht vorgesehen. Denn<br />

die Zielgruppe <strong>de</strong>s Programms waren „Manager“ und Wissensarbeiter, die we<strong>de</strong>r über<br />

eine eigene Sekretärin verfügten noch Zeit hätten und Willens wären, die Eigenheiten<br />

komplizierter Betriebssysteme o<strong>de</strong>r Textverarbeitungsprogramme zu studieren (vgl.<br />

Hofmann 1997, 89). „Star’s <strong>de</strong>signers assumed that the target users were interested in<br />

getting their work done and not at all interested in computers. Another important<br />

assumption was that Star’s users would be casual, occasional users rather than people<br />

who spent most of their time at the machine. This assumption led to the goal of having<br />

Star easy to learn and remember“ (Johnson 1989, 11, nach Hofmann 1999, 236)<br />

195<br />

Das Verständnis, dass NutzerInnen konfiguriert wer<strong>de</strong>n, geht auf Woolgar 1991b zurück. Vgl. hierzu<br />

genauer die Ausführungen in Kapitel 3.7.<br />

196<br />

Der Star Computer, von <strong>de</strong>m hier die Re<strong>de</strong> ist, wur<strong>de</strong> bereits 1981 von Xerox auf <strong>de</strong>n Markt gebracht.<br />

Er war <strong>de</strong>r erste kommerzielle Rechner, <strong>de</strong>r zur Bedienung die sogenannte „direkte Manipulation“ nutzte.<br />

Dieses Konzept <strong>de</strong>r Benutzungsoberflächen wur<strong>de</strong> von Apple und Windows übernommen und ist bis<br />

heute gängig.<br />

136


Hofmann bezeichnet diese Zielgruppe als „Gelegenheitsschreiber“ bzw. als<br />

„Dilettanten“ (Hofmann 1999, 233).<br />

Während mit Hilfe <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren bei<strong>de</strong>n betrachteten Textverarbeitungsprogramme<br />

die vorgefun<strong>de</strong>ne, geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung von Denken und Tippen in<br />

<strong>de</strong>n Büros abgebil<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, setzte das Design <strong>de</strong>s Xerox Star Computers eine neue<br />

Konzeption <strong>de</strong>s Schreibens technisch um, die von Doug Engelbarts Vision inspiriert<br />

war, dass innovative Systeme „<strong>de</strong>signed for augmenting human intellectual capabilities“<br />

(Engelbart 1984, 1, nach Hofmann 1999, 237) sein sollten. Es ging nicht mehr nur<br />

um die routineförmige Erstellung und Bearbeitung von Texten, vielmehr sollte die<br />

Software nun primär kreative Tätigkeiten wie das Planen, Analysieren und Entwerfen<br />

unterstützen. Statt Automatisierung wur<strong>de</strong> versucht, die Augmentation (Erweiterung)<br />

zum neuen Leitbild <strong>de</strong>r Software- und Systementwicklung einzusetzen.<br />

Hofmanns Studie zu frühen Textverarbeitungssystemen zeigt insgesamt, dass die<br />

Kategorie Geschlecht auf die Gestaltung <strong>de</strong>r Benutzungsoberflächen einen stark<br />

entwicklungsleiten<strong>de</strong>n, zugleich jedoch wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Einfluss hat. Denn zwei <strong>de</strong>r<br />

drei betrachteten Systeme brechen mit <strong>de</strong>r hegemonialen Gleichsetzung von Technikkompetenz<br />

mit Männlichkeit. Insgesamt jedoch spiegeln die Differenzen zwischen <strong>de</strong>n<br />

Textverarbeitungssystemen nicht nur verschie<strong>de</strong>ne, geschlechtlich konnotierte NutzerInnenbil<strong>de</strong>r<br />

wi<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn auch Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r prinzipiellen Konzeption und<br />

Organisation von Textverarbeitung. Während die ersten bei<strong>de</strong>n Fallbeispiele von <strong>de</strong>r<br />

zur dieser Zeit vorherrschen<strong>de</strong>n geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n Arbeitsteilung in <strong>de</strong>n<br />

Büros ausgingen und diese durch die erneute Mo<strong>de</strong>llierung verfestigten, setzte sich<br />

das dritte Fallbeispiel davon ab. Bemerkenswert ist, dass gera<strong>de</strong> letztere I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r<br />

grafischen Benutzungsoberflächen, die sich durchgesetzt hatte und bis heute<br />

dominiert, an als „männlich“ imaginierten Wissensarbeitern orientiert war. Die dieser<br />

Zielgruppe unterstellten Bedürfnisse und Fähigkeiten wur<strong>de</strong>n generalisiert, so dass ein<br />

icon-basiertes, nutzungsfreundliches User-Interface als geschlechtsneutral gilt.<br />

Insgesamt zeigt die Analyse Hofmanns zwei Vergeschlechtlichungsprozesse von<br />

Technologien auf. Die NutzerInnen können <strong>einer</strong>seits durch die Software als Frauen<br />

konfiguriert wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m die Bedienung entlang <strong>de</strong>r „Frauen“ zugeschriebenen Kompetenzen<br />

eingeschränkt wird. An<strong>de</strong>rerseits vermögen Technologien die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Arbeitsteilung fortzusetzen, in<strong>de</strong>m strukturelle Bedingungen (wie die<br />

Trennung und Hierarchisierung von Wissens- und Schreibarbeit) in die Software eingeschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n. Die empirischen Untersuchungen weisen allerdings <strong>de</strong>utlich darauf<br />

hin, dass das Gen<strong>de</strong>ring in <strong>de</strong>r Zusammenschau betrachtet ambivalent und wi<strong>de</strong>rsprüchlich<br />

ist. Technologien bestätigen o<strong>de</strong>r durchbrechen die gesellschaftliche<br />

Arbeitsteilung, je nach<strong>de</strong>m, welche Artefakte und welcher Kontext betrachtet wer<strong>de</strong>n<br />

und ob <strong>de</strong>r Blick auf die Zuschreibung geschlechtlich markierter Kompetenzen o<strong>de</strong>r auf<br />

die strukturellen Ebenen <strong>de</strong>s Geschlechterverhältnisses gerichtet wird. Insofern ruft<br />

Hofmanns Untersuchung indirekt dazu auf, sorgfältige empirische Fallstudien durchzuführen<br />

statt etwa generalisiert davon auszugehen, dass Textverarbeitung im Büro zur<br />

Rationalisierung o<strong>de</strong>r Dequalifizierung von Frauen als Schreibkräfte führt. Ziel solcher<br />

Analysen wäre <strong>de</strong>mnach eine Differenzierung, Kontextualisierung und Situierung von<br />

Technologie.<br />

137


4.2.2. Festschreibung geschlechtlich kodierter Strukturen in und durch IT:<br />

Von „Shaping women’s work“ 197 zu Machtverhältnissen zwischen <strong>de</strong>n<br />

AkteurInnen<br />

Eine weitere Variante <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte ist in <strong>de</strong>r<br />

betrieblichen Organisation von Arbeit verortet und in <strong>de</strong>n kulturellen Vorstellungen, die<br />

mit <strong>de</strong>m Einsatz von Technologie verknüpft wer<strong>de</strong>n. Dies belegt die empirische Studie<br />

von Gabriele Winker (1995), die sich primär gegen die frühen, feministischen Argumente<br />

wen<strong>de</strong>te, dass <strong>de</strong>r Einsatz von Informationstechnologie in erster Linie zum<br />

Abbau von Arbeitsplätzen führen wür<strong>de</strong>. Winker zeigte anhand <strong>de</strong>r Untersuchung von<br />

Schreibarbeitsplätzen in <strong>de</strong>r Bremischen Verwaltung auf, dass die Rationalisierungseffekte<br />

<strong>de</strong>r Computerisierung aus <strong>einer</strong> feministischen Perspektive insgesamt differenziert<br />

zu beurteilen sind. Negativ bewertet wer<strong>de</strong>n müssten die Auswirkungen, die zu<br />

einem Wegfall von Arbeitsplätzen o<strong>de</strong>r gar ganzen Berufsgruppen durch Automatisierung<br />

führten. Davon seien jedoch diejenigen Entwicklungen zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />

welche die Geschlechterhierarchie eher aufweichen, beispielsweise in<strong>de</strong>m sie Sekretärinnen<br />

Aufstiegschancen bieten o<strong>de</strong>r sie von <strong>de</strong>r Monotonie <strong>de</strong>r Schreibtätigkeit ein<br />

Stück weit entlasten.<br />

Im Bremer Fall sollte die Einführung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>zentralen Informationssystems aufgrund<br />

<strong>einer</strong> Dienstvereinbarung durch ein Konzept qualifizierter Mischarbeit begleitet wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese Organisationsform be<strong>de</strong>utet, dass die SachbearbeiterInnen einen Teil <strong>de</strong>r<br />

Schreibarbeiten selbst übernehmen, während die Schreibkräfte über Technologie vermittelt<br />

die Möglichkeit erhielten, neben <strong>de</strong>m Schreiben auch an<strong>de</strong>re, qualifizierte<br />

Arbeiten (z.B. Sach- und Verwaltungstätigkeiten) auszuführen. Ziel dieser strukturellen<br />

Maßnahme war es <strong>einer</strong>seits, <strong>de</strong>n Abbau von Arbeitsplätzen, insbeson<strong>de</strong>re jener von<br />

Frauen zu verhin<strong>de</strong>rn. An<strong>de</strong>rerseits sollte <strong>de</strong>r hohen Gesundheitsbelastung durch<br />

Schreibarbeit entgegengewirkt wer<strong>de</strong>n, die sich aus <strong>de</strong>r spezifischen Merkmalen dieser<br />

Tätigkeit ergaben – <strong>de</strong>r starken Zerglie<strong>de</strong>rung von Arbeit, <strong>de</strong>r sich wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong>n<br />

Tätigkeiten, einförmigen Bewegungsabläufe, <strong>de</strong>r hohen Arbeitsgeschwindigkeit und<br />

wenig inhaltlicher Abwechslung bei hoher Konzentration. 198<br />

Winkers empirische Untersuchung zeigte jedoch, dass <strong>de</strong>r Plan qualifizierter Mischarbeit<br />

für die meisten Arbeitsplätze nicht umgesetzt wor<strong>de</strong>n ist. Die Tätigkeit <strong>de</strong>r<br />

Schreibarbeiterinnen bestand weiterhin maßgeblich darin, Texte für Dritte zu schreiben,<br />

nur das Arbeitsmittel än<strong>de</strong>rte sich. Winker beobachtete allerdings einen neuen<br />

Arbeitsstil in <strong>de</strong>r Interaktion mit <strong>de</strong>n Vorgesetzten, <strong>de</strong>r sich aus <strong>de</strong>n Potentialen informationstechnischer<br />

Textverarbeitung ergab (z.B. die Möglichkeit nachträglicher und<br />

mehrfacher Än<strong>de</strong>rungen von Textentwürfen), welche letztendlich zu höheren Belastungen<br />

für die Schreibkräfte und neuen Anfor<strong>de</strong>rungen an die Gestaltung <strong>de</strong>r Texte<br />

führten. Immerhin gelang es, bei einem Viertel <strong>de</strong>r ehemaligen Schreibkräfte<br />

tatsächlich eine qualifizierte Mischarbeit umzusetzen. Einige stiegen sogar ganz in die<br />

Sachbearbeitung auf. Winker zeigte auf, dass die erfolgreiche Einführung <strong>de</strong>s arbeitsorganisatorischen<br />

Konzeptes im Zuge <strong>de</strong>s Technikeinsatzes auf zwei Voraussetzungen<br />

grün<strong>de</strong>te. Es wur<strong>de</strong> von einem hohen Rationalisierungspotential durch IT ausgegangen<br />

und zugleich angenommen, dass die SachbearbeiterInnen und Vorgesetzten<br />

197 So <strong>de</strong>r Titel <strong>einer</strong> Monografie von Juliet Webster 1996.<br />

198 Diese Merkmale gelten als Kennzeichen typischerweise Frauen zugeschriebener Arbeit.<br />

138


Texte zunehmend selbst am Computer schreiben. Dort, wo diese bei<strong>de</strong>n Bedingungen<br />

erfüllt waren, ist die von <strong>de</strong>r Verwaltung angestrebte Mischarbeit erfolgreich umgesetzt<br />

wor<strong>de</strong>n. Die Studie zeigt, dass <strong>de</strong>r Einsatz von IT an Arbeitsplätzen stets an eine<br />

Umstrukturierung von Arbeit gebun<strong>de</strong>n ist, durch die bestehen<strong>de</strong> schlechte Bedingungen<br />

für Frauen in diesen Tätigkeiten aufrechterhalten o<strong>de</strong>r verschärft wer<strong>de</strong>n können.<br />

Die strukturelle geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>mnach für viele<br />

Schreibkräfte zementiert, konnte aber auch für einige aufgrund gewerkschaftlicher<br />

Aushandlung aufgeweicht wer<strong>de</strong>n. Damit bestätigt Winkers Studie die Aussage Websters,<br />

dass die Büroarbeit vor und nach <strong>de</strong>m Computereinsatz hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

strukturellen Bedingungen starke Kontinuitäten aufweist: “[W]e have seen the<br />

continuation of different patterns of work organization which have been shaped less by<br />

purely technological influences, than by long-term management practices in particular<br />

firms, strategies of control of women’s work, national economic and local labour market<br />

conditions, and in this context, corporate objectives in introducing new technologies”<br />

(Webster 1993, 115f). Die Festschreibung bzw. das Unterlaufen geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung ließ sich diesen Beobachtungen zufolge stärker auf organisatorische<br />

Maßnahmen zurückführen als auf die Technologie und ihre Funktionalitäten.<br />

Insofern liegt hier keine Einschreibung von Geschlecht in informatische Artefakte im<br />

engeren Sinne vor.<br />

Der betrieblich-organisatorische Kontext und die jeweiligen gesellschaftlichen<br />

Zusammenhänge stehen jedoch häufig in enger Wechselwirkung mit <strong>de</strong>r spezifischen<br />

Gestaltung von Software. So zeigt etwa Ina Wagner (1989, 1991) anhand <strong>einer</strong><br />

umfangreichen internationalen Vergleichsstudie von Krankenhausinformationssystemen<br />

auf, wie stark Technologien von kulturell-organisatorischen Rahmenbedingungen<br />

geprägt sein können. Wagner arbeitet heraus, dass <strong>de</strong>n Krankenhausinformationssystemen<br />

län<strong>de</strong>rspezifisch jeweils sehr unterschiedliche Vorstellungen <strong>de</strong>r sozialen<br />

Organisation von Pflege und eingeschrieben sind. Während das von ihr untersuchte<br />

US-amerikanische Krankenhausinformationssystem auf Kostenminimierung und Rationalisierung<br />

ausgerichtet war und in s<strong>einer</strong> Architektur verschie<strong>de</strong>ne Funktionen und<br />

Akteursinteressen integrierte, zerfiel das französische in ein Patienteninformationssystem,<br />

ein Verwaltungssystem und ein Pflegeinformationssystem. Beson<strong>de</strong>rs das<br />

französische Pflegeinformationssystem ist hinsichtlich <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

von IT beachtenswert. Denn es diente primär dazu, die Belastungen<br />

<strong>de</strong>s (vorwiegend von Frauen gestellten) Pflegepersonals zu erfassen, um <strong>de</strong>n<br />

Stationen eigene Personalplanungen zu ermöglichen. Dabei waren die Pflegehandlungen,<br />

die elektronisch dokumentiert wer<strong>de</strong>n sollten, von <strong>de</strong>n NutzerInnen nicht – wie<br />

im US-amerikanischen System – im Einzelnen zu spezifizieren. Statt<strong>de</strong>ssen wur<strong>de</strong> pro<br />

Krankheitstyp von <strong>einer</strong> fiktiven Arbeitsbelastung ausgegangen, die von <strong>de</strong>n PflegerInnen<br />

im Vorhinein gemeinsam ausgehan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n ist. Dies hatte <strong>de</strong>n Effekt, dass in<br />

<strong>de</strong>r Zuordnung <strong>de</strong>r Pflegehandlungen durch das Pflegepersonal Spielräume<br />

zugelassen waren ebenso wie Ausnahmen von standardisierten Verfahren <strong>de</strong>r Pflege<br />

ermöglicht wur<strong>de</strong>n. Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Untersuchung hatte allein das Stationspersonal<br />

Zugriff auf das Pflegeinformationssystem, doch soll die Verwaltung bereits <strong>de</strong>n Wunsch<br />

nach Datenzugang geäußert haben.<br />

Das französische System ist ein Beispiel dafür, dass Technologien <strong>de</strong>r betrieblichen<br />

und zweigeschlechtlich geprägten Hierarchie bis zu einem gewissen Grad entgegen-<br />

139


wirken können. Denn es unterstützt die Interessen <strong>de</strong>r Krankenschwestern, in<strong>de</strong>m es<br />

<strong>de</strong>ren hohe Arbeitsbelastung dokumentierte. In dieser Zielsetzung <strong>de</strong>s Systems<br />

spiegelte sich – Wagner zufolge – die politische Erfahrung vorangegangener Streiks<br />

<strong>de</strong>s Pflegepersonals wi<strong>de</strong>r (vgl. Wagner 1991, 285). Trotz<strong>de</strong>m ist es bemerkenswert,<br />

dass bestehen<strong>de</strong> strukturelle Verhältnisse in diesem Fall abgeschwächt wer<strong>de</strong>n konnten.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re vor <strong>de</strong>m Hintergrund aktueller Maßnahmen <strong>de</strong>r Rationalisierung <strong>de</strong>s<br />

Gesundheitssystems erscheint es erstaunlich, dass sich die Krankenhausverwaltung<br />

nach Aushandlungsprozessen damit zufrie<strong>de</strong>n gab, dass sie ausschließlich zusammengefasste,<br />

<strong>de</strong>-individualisierte Daten erhalten wür<strong>de</strong>n (vgl. Wagner 1993, 299).<br />

Diese lokale Intransparenz ermöglichte <strong>de</strong>m Pflegepersonal ein relativ selbstverantwortliches,<br />

situiertes Han<strong>de</strong>ln im Umgang mit <strong>de</strong>n PatientInnen.<br />

Im Gegensatz dazu entspricht das US-amerikanische System stärker <strong>de</strong>n Erwartungen<br />

aus heutiger Perspektive. Dort wur<strong>de</strong>n die Handlungsmöglichkeiten <strong>de</strong>r<br />

Pflegen<strong>de</strong>n durch einen universell-normieren<strong>de</strong>n Katalog von Pflegedienstleistungen<br />

beschränkt. Kontingenz und Ambiguität im Umgang mit <strong>de</strong>n Kranken sollte mit Hilfe<br />

dieser Festschreibungen ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n. Auf diese Weise wur<strong>de</strong> auch die<br />

Position <strong>de</strong>r PatientInnen geschwächt, speziell <strong>de</strong>rer, <strong>de</strong>ren Krankheiten nicht „<strong>de</strong>r<br />

Norm entsprechen“. Der US-amerikanische Ansatz folgte <strong>de</strong>m Leitbild <strong>de</strong>r Effizienz.<br />

Ausgehend von <strong>de</strong>m Primat <strong>de</strong>r Kostenkontrolle und Rationalisierung 199 wur<strong>de</strong>n<br />

Managementkriterien festgeschrieben, die über <strong>de</strong>n Technologieeinsatz im Krankenhaus<br />

etabliert wer<strong>de</strong>n sollten.<br />

In <strong>de</strong>n technischen Produkten spiegelten sich neben <strong>de</strong>n Machtverhältnissen im<br />

Anwendungsfeld, <strong>de</strong>m Gesundheitssystem, zugleich die Machtverhältnisse <strong>de</strong>s<br />

zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Software-Entwicklungsprozesses, an <strong>de</strong>m – im Gegensatz zu <strong>de</strong>m<br />

französischen System – das Pflegepersonal nicht beteiligt wur<strong>de</strong>. Während im USamerikanischen<br />

System offenbar eine starke Krankenhausverwaltung im Hintergrund<br />

stand und die Software zu <strong>de</strong>ren Vorteil „top-down“ entwickelt wur<strong>de</strong>, fand in Frankreich<br />

ein technokratischer Schulterschluss zwischen PolitikerInnen, ÄrztInnen und <strong>de</strong>r<br />

Verwaltung statt, <strong>de</strong>r zu <strong>einer</strong> größeren Balance <strong>de</strong>r Akteursinteressen führte und<br />

zugleich <strong>de</strong>n Einsatz partizipativer Entwicklungsverfahren ermöglichte. Die Studie<br />

dokumentiert damit, dass <strong>de</strong>r methodische Zugang zur Softwareentwicklung beeinflusst,<br />

ob das Informationssystem die bestehen<strong>de</strong> geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung<br />

technisch fortsetzt o<strong>de</strong>r unterläuft. Wird ein System – wie im französischen Fall<br />

– partizipativ entwickelt, so besteht die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen wenigstens<br />

für einzelne Gruppen, die strukturell benachteiligt sind, zu verbessern. 200<br />

Wagners Studie ver<strong>de</strong>utlicht insgesamt, wie stark gesellschaftlich-soziale und<br />

organisatorische Rahmenbedingungen die Architektur, Entwicklung und Ausprägung<br />

<strong>de</strong>r technischen Artefakte bestimmen. Die Krankenhausinformationssysteme sind<br />

geprägt von <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>r AkteurInnen und ihrer jeweiligen Machtverhältnisse<br />

untereinan<strong>de</strong>r sowie von Annahmen über die Organisation von Arbeit, die innerhalb<br />

199 Ina Wagner verweist 1993 mit Feldbergs Studien darauf, dass eine Kostenkontrolle und -reduktion<br />

durch <strong>de</strong>n IT-Einsatz im Krankenhaus zwar ein starkes Bild darstellt, das allerdings nicht empirisch belegt<br />

wer<strong>de</strong>n konnte (Wagner 1993, 297).<br />

200 Es wird im folgen<strong>de</strong>n Kapitel 5 jedoch noch weiter zu diskutieren sein, ob eine Partizipation von Frauen<br />

als NutzerInnen am Systementwicklungsprozess für ein Aufbrechen Zweigeschlechtlichkeit konstituieren<strong>de</strong>r<br />

und hierarchisieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung ausreicht bzw. welche Bedingungen dafür notwendig ist.<br />

140


<strong>de</strong>s jeweiligen nationalen Gesundheitssystems situiert sind. 201 Mit diesen Vorstellungen<br />

schreiben sich gesellschaftliche Strukturverhältnisse in die Artefakte ein, welche die<br />

weithin vorherrschen<strong>de</strong> geschlechterhierarchische Ordnung bestätigen o<strong>de</strong>r auch<br />

abschwächen können. Die län<strong>de</strong>rspezifischen Differenzen lassen sich in Bezug auf<br />

strukturell-symbolische Dimensionen von Geschlecht <strong>de</strong>uten. Das französische System<br />

gesteht <strong>de</strong>n KrankenpflegerInnen zwar eine im Vergleich zur Situation in <strong>de</strong>n USA<br />

autonome Stellung gegenüber <strong>de</strong>r Verwaltung zu. Doch än<strong>de</strong>rt dies nichts an <strong>de</strong>r<br />

geringen gesellschaftlichen Anerkennung und Bezahlung ihrer Tätigkeit. Diese<br />

Möglichkeit relativ selbstbestimmten Arbeitens ließe vermuten, dass damit zugleich<br />

eine Stärkung <strong>de</strong>r KrankenpflegerInnen in <strong>de</strong>m zweigeschlechtlich kodierten Verhältnis<br />

gegenüber <strong>de</strong>n ÄrztInnen verbun<strong>de</strong>n sei. In <strong>de</strong>m konkreten Fall relativierte sich diese<br />

Erwartung allerdings durch die Fragmentierung <strong>de</strong>s Systems. Da das Programm für die<br />

Pflegeleistungen wie auch das für die ÄrztInnen für <strong>de</strong>n lokalen Gebrauch bestimmt<br />

war, wur<strong>de</strong> die strukturell hohe Position von ÄrztInnen nicht in Frage gestellt. Das USamerikanische<br />

System setzt dagegen auf Transparenz, mit <strong>de</strong>r die Hoffnung verbun<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>, dass sie traditionelle Machtgefälle im Gesundheitswesen und darüber<br />

hinaus abschwächen könnte. „Wenn etwa das ärztliche Machtmonopol geschwächt,<br />

Entscheidungen sowie Allokation von Ressourcen durchsichtiger, Patientendaten in<br />

je<strong>de</strong>m Winkel <strong>de</strong>r Organisation transportiert und Pflegetätigkeiten ‚verwissenschaftlicht‘<br />

wer<strong>de</strong>n, so berührt dies nicht nur die im Krankenhaus Beschäftigten, son<strong>de</strong>rn alle, als<br />

potentielle Patienten und als engagierte Bürger“ (Wagner 1989, 275).<br />

Selbst wenn die konkreten Aussagen <strong>de</strong>r Studie heutzutage, knapp 20 Jahre später,<br />

sicherlich keine Gültigkeit mehr haben, legen die empirischen Analysen generell dar,<br />

dass die Krankenhausinformationssysteme unter an<strong>de</strong>ren gesellschaftlichen Bedingungen<br />

ganz an<strong>de</strong>rs hätten konstruiert wer<strong>de</strong>n können als diejenigen, die wir mittlerweile<br />

kennen. Vom heutigen Standpunkt aus ist jedoch festzustellen, dass die erhofften<br />

Strukturverän<strong>de</strong>rungen auch hinsichtlich <strong>de</strong>r zweigeschlechtlich kodierten Machtverhältnisse<br />

ausgeblieben sind und statt<strong>de</strong>ssen eine weitreichen<strong>de</strong> Ökonomisierung <strong>de</strong>s<br />

Gesundheitswesens unter neoliberalen Vorzeichen stattgefun<strong>de</strong>n hat.<br />

Das Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte und die Mechanismen, die in diesen<br />

Prozessen zum Tragen kommen, sind komplex, ebenso wie ihre Geschlechterimplikationen<br />

vielschichtig und ambivalent einzuschätzen sind. Die Vergleichsstudie<br />

über Krankenhausinformationssysteme zeigt, dass Aspekte <strong>de</strong>r in IT manifestierten<br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n Arbeitsteilung in kulturell geprägten Vorstellungen <strong>de</strong>r<br />

involvierten Tätigkeiten, in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Anerkennung <strong>de</strong>s Berufs, strukturellsymbolischen<br />

Machtverhältnissen unter <strong>de</strong>n AkteurInnen sowie in <strong>de</strong>r spezifischen<br />

Situation im untersuchten Betrieb liegen, die sich überlagern und verstärken o<strong>de</strong>r auch<br />

gegenseitig entlasten und damit entkräften können. Es kann nicht simpel davon<br />

ausgegangen wer<strong>de</strong>n, dass InformatikerInnen bestehen<strong>de</strong> Strukturen geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung stets nachbil<strong>de</strong>n und dieses Mo<strong>de</strong>ll in das Informations-<br />

201 Insofern sind diese Studien sind nicht – wie etwa Rammert et al. 1998, 10 verengt interpretieren – als<br />

reine Wirkungsforschung zu verstehen, welche die sozialen und organisatorischen Folgen <strong>de</strong>s Einsatzes<br />

von Informationssystemen, z.B. für die Schreibkräfte o<strong>de</strong>r Krankenpflegerinnen, einzuschätzen versucht.<br />

Vielmehr heben sie die Abhängigkeit technologischer Entwicklungen von ihrem sozialen Kontext hervor<br />

und verweisen damit auf die soziale Formung bzw. Konstruktion von Technologien.<br />

141


system hinein abbil<strong>de</strong>n. 202 In einem heterogenen Netzwerk von AkteurInnen ist<br />

Technologie nicht einfach Verstärker bereits existieren<strong>de</strong>r Verhältnisse. Strukturelle<br />

Instrumente <strong>de</strong>r Organisationsentwicklung (z.B. die Einführung von Mischarbeit) o<strong>de</strong>r<br />

partizipative Verfahren <strong>de</strong>r Softwareentwicklung (z.B. die Beteiligung von KrankenpflegerInnen)<br />

verweisen auf Strategien <strong>de</strong>r Intervention, die das Potential besitzen, <strong>de</strong>r<br />

Festschreibung von Ungleichheitsstrukturen durch Technologien entgegenzuwirken.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz bleibt zunächst festzuhalten, dass Strukturen geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung, die bereits vor <strong>de</strong>r Einführung von IT im Anwendungsfeld<br />

bestan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r im Zuge <strong>de</strong>r Technikgestaltung re-etabliert wur<strong>de</strong>n, häufig erneut in<br />

informationstechnologische Artefakte eingeschrieben wer<strong>de</strong>n. Insofern wirken<br />

Technologien mit an <strong>de</strong>r Aufrechterhaltung struktureller Macht- und Hierarchieverhältnisse.<br />

Die Fallstudien ver<strong>de</strong>utlichen ferner, dass die Software, die im Erwerbsarbeitsbereich<br />

zur Unterstützung o<strong>de</strong>r Automatisierung von Tätigkeiten eingesetzt wird,<br />

neben hierarchischen Organisationsstrukturen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

auch auf Definitionen von Arbeit grün<strong>de</strong>t, welche diese normieren und festschreiben<br />

können. Die Bestimmung von Arbeit durch IT wird im folgen<strong>de</strong>n Abschnitt<br />

unter <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Perspektive ihrer Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit<br />

sowie <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen geschlechterbinären Konnotation beleuchtet. Damit wird<br />

eine dritte Variante <strong>de</strong>r Einschreibung Zweigeschlechlichkeit konstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung in Software aufgezeigt, zugleich aber auch weitere Optionen <strong>de</strong>r<br />

Intervention gegen die Festschreibung diskutiert.<br />

4.2.3. „Invisible Work “ und <strong>de</strong>r Versuch, „Frauenarbeit“ sichtbar zu machen<br />

„What counts as work is a matter of <strong>de</strong>finition“ (Star/ Strauss 1999, 9)<br />

Die Frage, was Arbeit ist, wie sie funktioniert und inwieweit sie sich formal beschreiben<br />

lässt, wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Informatik thematisiert, seit <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n war, dass Arbeit<br />

durch die Produkte <strong>informatischer</strong> Tätigkeit wesentlich mitgestaltet wird (vgl. etwa Coy<br />

1992). Dabei zeigte sich relativ früh, dass die (explizite) informationstechnologische<br />

Mo<strong>de</strong>llierung ein tief gehen<strong>de</strong>s Verständnis erfor<strong>de</strong>rt, was an <strong>de</strong>n Arbeitsplätzen<br />

tatsächlich passiert und wie bestimmte Aufgaben unter z.T. komplexen Bedingungen<br />

konkret ausgeführt wer<strong>de</strong>n. Eine grundsätzliche Schwierigkeit, Arbeit, „so wie sie ist“<br />

o<strong>de</strong>r wie sie sein sollte, angemessen informationstechnologisch zu erfassen und zu<br />

mo<strong>de</strong>llieren, lässt sich darauf zurück führen, dass viele Tätigkeiten, die zum Funktionieren<br />

von Arbeit beitragen, ‚unsichtbar‘ sind. 203 Insbeson<strong>de</strong>re das Fachgebiet<br />

„Computer Supported Cooperative Work“ (CSCW), <strong>de</strong>ssen Forschungen auf eine<br />

angemessene Unterstützung kooperativer Arbeitsformen gerichtet sind, beschäftigt<br />

sich mit <strong>de</strong>r Frage, inwieweit ‚unsichtbare Arbeit‘ i<strong>de</strong>ntifiziert, mo<strong>de</strong>lliert und damit<br />

sichtbar gemacht wer<strong>de</strong>n kann und soll. Aus dieser Perspektive fassen Bonnie Nardi<br />

202 In <strong>de</strong>r Wirtschaftsinformatik wird von Re-Organisationsprozessen gesprochen und damit vorausgesetzt,<br />

dass je<strong>de</strong> Technologieeinführung an Arbeitsplätzen die Abläufe und strukturellen Zusammenhänge dieser<br />

Tätigkeiten neu organisiert.<br />

203 Vor allem arbeitswissenschaftliche und soziologische Ergebnisse wiesen darauf hin, dass eine gute<br />

Kenntnis dieser ‚invisible work‘ notwendig ist, um Informationstechnologie so zu gestalten, dass sie<br />

Arbeitsprozesse unterstützt o<strong>de</strong>r automatisiert.<br />

142


und Yrjö Engeström die mit <strong>de</strong>m Phänomen <strong>de</strong>r ‚invisible work‘ verbun<strong>de</strong>ne<br />

Problematik zusammen: „Much work is visible. It yields to being mapped, flow charted,<br />

quantified, measured. When planning for restructuring or new technology, visible work<br />

is the focus of attention. […], so efforts to restructure center on how visible work can be<br />

manipulated, redrawn, reorganized, automated or supported with new technology. But<br />

a growing body of empirical evi<strong>de</strong>nce <strong>de</strong>monstrate that there is more to work than is<br />

captured in flow charts and conventional metrics“ (Nardi/ Engeström 1999, 1).<br />

Demnach sind nur gewisse Teilbereiche von Arbeit sichtbar und lassen sich mit Hilfe<br />

formaler Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Informatik erfassen. An<strong>de</strong>re Tätigkeiten, die oft gera<strong>de</strong> wesentlich<br />

zu einem „reibungslosen“ Ablauf beitragen, sind dagegen innerhalb <strong>de</strong>r Organisation<br />

kaum wahrnehmbar. „[T]he better the work is done, the less visible is it to those<br />

who benefit from it.“ (Suchman 1995, 58) beschreibt Suchman dieses Phänomen.<br />

Hinzu kommt, dass die Aspekte unsichtbarer Arbeit oft nicht einmal von <strong>de</strong>n Beteiligten<br />

selbst formuliert wer<strong>de</strong>n können. Arbeit ist somit für unterschiedliche AkteurInnen als<br />

solche erkennbar – o<strong>de</strong>r nicht.<br />

Nardi und Engeström unterschei<strong>de</strong>n insgesamt vier Typen unsichtbarer Arbeit: 1.<br />

Arbeit, die an unsichtbaren Orten geleistet wird (z.B. die <strong>de</strong>r BibliothekarInnen), 2.<br />

Arbeit, die als Routine o<strong>de</strong>r manuelle Tätigkeit betrachtet wird, doch durchaus ein<br />

qualifiziertes Wissen und Problemlösungsfähigkeiten erfor<strong>de</strong>rt (z.B. die <strong>de</strong>r TelefonoperatorInnen),<br />

3. Arbeit, die von „unsichtbaren“ Menschen ausgeführt wird (etwa im<br />

Bereich persönlicher Dienstleistungen) und 4. informelle Arbeitsprozesse, die zwar<br />

nicht Teil <strong>einer</strong> formalen Stellenbeschreibung sind, wohl aber zum Funktionieren von<br />

Arbeit wesentlich sind (z.B. informelle Gespräche, Humor) (vgl. ebd.). 204 Diese<br />

Charakterisierung <strong>de</strong>utet darauf hin, dass unsichtbare Arbeit häufig Frauenarbeit ist.<br />

Zwei <strong>de</strong>r vier Kategorien wer<strong>de</strong>n durch einen typischen Frauenberuf veranschaulicht<br />

(Bibliothekarin, Telefonoperateurin), eine weitere rekurriert auf die Zweigeschlechtlichkeit<br />

konstituieren<strong>de</strong> Trennung von Produktions- und Reproduktionsarbeit, wobei letztere<br />

gering geschätzt und häufig als un(ter)bezahlte Frauenarbeit ausgeübt wird (so<br />

genannte Hausarbeit und private Pflege-/Dienstleistungen). Die vierte Kategorie ist auf<br />

<strong>einer</strong> symbolischen Ebene als „weiblich“ kodiert (Kommunikationsfähigkeit, „Klatsch“).<br />

GeschlechterforscherInnen verweisen seit langem darauf, dass häufig gera<strong>de</strong> diejenige<br />

Arbeit unsichtbar ist, die vorwiegend von Frauen geleistet o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m als „weiblich“<br />

angenommenen Rollenverhalten zugeschrieben wird (vgl. etwa Star 1991a, Suchman/<br />

Jordan 1989). Die Korrelation von Frauenarbeit und Unsichtbarkeit ist zwar nicht<br />

ungebrochen, beispielsweise gilt auch die als „männlich“ konnotierte Tätigkeit von<br />

TechnikerInnen als unsichtbar (vgl. Shapin 1989). Dennoch kann sie strukturell als ein<br />

Element geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Segregation <strong>de</strong>s Arbeitsmarktes und von Tätigkeiten<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, die in <strong>de</strong>r Regel mit geringer Bezahlung, Anerkennung und<br />

Status verbun<strong>de</strong>n sind. Die Verschiebung <strong>de</strong>s analytischen Blickwinkels von <strong>de</strong>r<br />

204 Aus <strong>einer</strong> an<strong>de</strong>ren, stärker theorieorientierten Perspektive unterschei<strong>de</strong>n Susan Leigh Star und Anselm<br />

Strauss drei Ebenen <strong>de</strong>s Verhältnisses von sichtbarer und unsichtbarer Arbeit: 1. creating a non-person<br />

(das Produkt <strong>de</strong>r Arbeit ist sichtbar, die Arbeiten<strong>de</strong>n dagegen nicht), 2. disembedding background work<br />

(die Arbeiten<strong>de</strong>n sind sichtbar, dagegen nicht ihre geleistete Arbeit) und 3. abstracting and manipulation of<br />

indicators (dabei sind bei<strong>de</strong>, die Arbeiten<strong>de</strong>n und ihre Arbeit, unsichtbar); vgl. Star/ Strauss 1999, 15ff. Es<br />

wür<strong>de</strong> hier jedoch über das Anliegen <strong>de</strong>r Systematisierung <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Informationstechnologien<br />

hinausführen, verschie<strong>de</strong>ne Klassifizierungen unsichtbarer Arbeit ausführlicher zu<br />

diskutieren.<br />

143


geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n Arbeitsteilung zur unsichtbaren Arbeit birgt <strong>de</strong>n Vorteil,<br />

dass nicht bereits von Seiten <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong> gemeinten Untersuchung heraus a priori eine<br />

erneute Festschreibung von Geschlecht auf <strong>de</strong>r strukturellen Ebene vorgenommen<br />

wird. Dennoch verweist Susan Leigh Star letztendlich auf unsichtbare Frauenarbeit als<br />

Form <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Arbeitsteilung, wenn sie nach <strong>de</strong>r Repräsentation von<br />

Arbeit bei <strong>de</strong>r Entwicklung von Informationstechnologien fragt: „Whose work is it that<br />

gets represented? How formal can or should that work become in representation?<br />

What’s the role of behind-the-scenes and <strong>de</strong>valued labor in the manufacture of<br />

knowledge?“ (Star 1991a, 82). 205<br />

Suchman (1996) ging diesen Fragen anhand <strong>einer</strong> Fallstudie zum Einsatz eines<br />

Dokumentenmanagementsystems innerhalb <strong>einer</strong> großen Rechtsanwaltskanzlei nach.<br />

In dieser Firma fand sie eine klare geschlechterdifferenzieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung vor. Die<br />

RechtsanwältInnen waren vorwiegend Männer. Dagegen wur<strong>de</strong>n die für <strong>de</strong>n Einsatz<br />

<strong>de</strong>s Dokumentenmanagementsystems in <strong>de</strong>r Firma notwendigen Tätigkeiten, genannt<br />

‚litigation support‘, von Frauen durchgeführt. Deren Hauptaufgabe bestand in <strong>de</strong>r<br />

Erstellung eines Datenbankin<strong>de</strong>x, die <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>einer</strong> großen Zahl von Dokumenten<br />

sicherstellte. Der systematische Zugang zu <strong>de</strong>n Rechtsfällen und die strukturierte<br />

Suche innerhalb <strong>de</strong>s Systems stellte zwar eine grundlegen<strong>de</strong> Voraussetzung für<br />

die Tätigkeit <strong>de</strong>r RechtsanwältInnen dar. Jedoch fand die Kodierung <strong>de</strong>r Daten für das<br />

System bei <strong>de</strong>n RechtsanwältInnen keine Anerkennung. Sie betrachteten diese als<br />

eine Routinetätigkeit, die keinen Verstand benötige. Der ‚litigation support‘ war<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Organisation unter <strong>de</strong>n bestehen<strong>de</strong>n Machtverhältnissen unsichtbar,<br />

auch in <strong>de</strong>m Sinne, dass er in ein an<strong>de</strong>res Stockwerk <strong>de</strong>r Kanzlei ausgelagert war. Um<br />

Kosten zu sparen, schlugen die RechtsanwältInnen vor, diese Tätigkeiten zu automatisieren<br />

o<strong>de</strong>r an einen an<strong>de</strong>ren Standort zu verlagern.<br />

Tatsächlich trug die qualifizierte Kodierung <strong>de</strong>r Dokumente, wie Suchman mittels<br />

ethnografischer Verfahren herausarbeitete, wesentlich zum reibungslosen Funktionieren<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwaltskanzlei bei. Sie erfor<strong>de</strong>rte ein umfangreiches Wissen, fundierte<br />

Interpretationen, Urteilskraft und unabhängige Entscheidungen, um die jeweiligen<br />

Dokumente referenzieren und für die Suche in <strong>de</strong>r Datenbank geeignet verknüpfen zu<br />

können. Im Gegensatz zu ihrer mangeln<strong>de</strong>n Anerkennung in <strong>de</strong>r Firma stellte diese<br />

Tätigkeit also eine qualifizierte Form <strong>de</strong>r Wissensarbeit dar, die <strong>de</strong>r Soziologe Anselm<br />

Strauss als „Artikulationsarbeit“ (vgl. Strauss 1985, 1993) bezeichnet hat. 206 Suchman<br />

wirft damit die Frage auf, welche Deskriptionen <strong>de</strong>r betrachteten Arbeitsprozesse<br />

ArbeitswissenschaftllerInnen, TechnikforscherInnen und InformatikerInnen <strong>de</strong>r Firma<br />

liefern sollen und wie sie sich mit Hilfe dieser Beschreibungen innerhalb <strong>de</strong>r<br />

bestehen<strong>de</strong>n Macht- und Organisationsstrukturen verorten. So musste sich Suchman<br />

205 Sie gibt drei Grün<strong>de</strong> an, warum für diese Fragen für die Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r Informatik<br />

relevant sind: “Our knowledge and work have been ma<strong>de</strong> invisible in the public record, yet that ‚invisible<br />

work’ contributes to any venture; women have as a group <strong>de</strong>veloped a set of skills for juggling real-time<br />

work that escape formal representation but are essential to knowledge work; as ‘the Other’, we have had<br />

access to informal ways of knowing, including the simultaneous knowledge of being insi<strong>de</strong>rs and<br />

outsi<strong>de</strong>rs.” (Star 1991a, 81). Heutzutage lässt sich zwar aus feministisch-konstruktivistischer Perspektive<br />

nicht mehr so ungebrochen von <strong>einer</strong> homogenen Gruppe von Frauen sprechen, wie Star es hier tut.<br />

Dennoch sind die angesprochenen Problematiken <strong>de</strong>s Unsichtbarmachens von Frauenarbeit, ihrer<br />

formalen Repräsentierbarkeit und <strong>de</strong>r Potentiale von Grenzüberschreitungen zwischen Zugehörigkeit und<br />

Außenseitertum für die Wissensrepräsentation in Informationssystemen noch immer offen.<br />

206 Für weitere Arbeiten, Artikulationsarbeit in Technikgestaltungsprozessen zu unterstützen, vgl. Schmidt/<br />

Bannon 1992 sowie Suchman 1996.<br />

144


etwa entschei<strong>de</strong>n, ob sie auf die Seite <strong>de</strong>r beschäftigten Frauen stellen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m<br />

Wunsch <strong>de</strong>r RechtsanwältInnen, die interne Abteilung <strong>de</strong>r Kanzlei abzubauen, folgen<br />

wollte.<br />

Suchman spricht an an<strong>de</strong>rer Stelle von <strong>einer</strong> „Politik <strong>de</strong>r Repräsentation“ (Suchman<br />

1995, 34), die mit je<strong>de</strong>r Systemgestaltung zur Unterstützung bzw. Automatisierung von<br />

Arbeit einhergeht. Denn dabei wird zwangsläufig eine spezifische Konstellation von<br />

sichtbarer und unsichtbarer Arbeit wie<strong>de</strong>rherstellt bzw. neu produziert. Ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r<br />

Punkt dabei sei, wer die Definitionsmacht darüber besitzt o<strong>de</strong>r für sich in<br />

Anspruch nimmt, was als wertvolle Arbeit gilt und welche abgewertet wird. Wer<br />

bestimmt, welche Tätigkeiten gut bezahlt und welche als informelle Hintergrundarbeit<br />

abqualifiziert wer<strong>de</strong>n? Vor allem stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise diejenigen,<br />

die Arbeitsprozesse beobachten und mo<strong>de</strong>llieren, auf die strukturelle Entwicklung<br />

dieser Prozesse <strong>kritisch</strong> Einfluss nehmen können. Denn die Außenperspektive auf die<br />

untersuchte Organisation, die ArbeitswissenschaftllerInnen, TechnikforscherInnen und<br />

InformatikerInnen mitbringen, verspricht zunächst, in existieren<strong>de</strong>n Macht- und<br />

Geschlechterverhältnissen intervenieren und für die Betroffenen Partei ergreifen zu<br />

können.<br />

Suchman gelang es auf einfühlsame Weise, <strong>de</strong>n RechtsanwältInnen <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s<br />

‚litigatation support‘ für die Kanzlei zu ver<strong>de</strong>utlichen. Es wur<strong>de</strong> damit nicht nur die von<br />

Frauen in <strong>de</strong>r Firma geleistete Arbeit sichtbarer und damit aufgewertet, son<strong>de</strong>rn später<br />

aufgrund von Initiativen <strong>de</strong>r Betroffenen selbst möglich, <strong>de</strong>ren Arbeitsplätze vor <strong>de</strong>m<br />

Outsourcing zu bewahren (vgl. Suchman 2002a). Der Fall zeigt, dass formale<br />

Beschreibungen von Arbeit, seien sie von InformatikerInnen o<strong>de</strong>r ArbeitswissenschaftlerInnen<br />

erstellt, nicht „unschuldig“ sind. Vielmehr liefern diese häufig Entscheidungskriterien<br />

dafür, ob bestimmte Arbeitsplätze abgebaut und verlagert o<strong>de</strong>r im Zuge technologischer<br />

Prozesse durch eine entsprechen<strong>de</strong> Software unterstützt wer<strong>de</strong>n – und<br />

damit die bestehen<strong>de</strong> geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung aufrechterhalten o<strong>de</strong>r<br />

unterlaufen wird.<br />

Die prinzipielle I<strong>de</strong>e, unsichtbare Arbeit, die typischerweise und überproportionalvon<br />

Frauen geleistet wird, durch Sichtbarmachung im Zuge von Technologieentwicklungsprozessen<br />

aufzuwerten, wur<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r 1980er und 1990er Jahren vielfach<br />

proklamiert. Die bekanntesten Studien über <strong>de</strong>n Versuch <strong>einer</strong> solchen Intervention<br />

liegen wie<strong>de</strong>rum aus <strong>de</strong>m Feld <strong>de</strong>r Krankenhausinformationssysteme vor. In diesem<br />

Bereich war – wie bereits in <strong>de</strong>n im vorangehen<strong>de</strong>n Abschnitt skizzierten Fallstudien<br />

ange<strong>de</strong>utet – mit <strong>de</strong>r Einführung von IT vor etwa 20 Jahren eine grundlegen<strong>de</strong><br />

Transformation eines traditionellen Frauenberufes zu beobachten. „‚What nurses really<br />

do‘ has for a long time been <strong>de</strong>fined as being to a large extent interactive, interpretive,<br />

intuitive, shared and collaborative with strong experiential basis.“ (Wagner 1993, 295)<br />

Im Zuge <strong>de</strong>r IT-Einführung wur<strong>de</strong>n, wie anhand <strong>de</strong>r Fallstudien zu <strong>de</strong>n Krankenhausinformationssystemen<br />

bereits dargestellt wur<strong>de</strong> (vgl. Abschnitt 4.2.2.), im Tätigkeitsprofil<br />

<strong>de</strong>r Krankenpflege Managementkompetenzen integriert. Die neue professionelle<br />

I<strong>de</strong>ntität erfor<strong>de</strong>rte zunehmend organisatorische und administrative Aufgaben. 207<br />

Gleichzeitig stellte die angestrebte Verwissenschaftlichung <strong>de</strong>r Pflege einen Ansatz-<br />

207 Während diese Studien in Abschnitt 4.2.2. als Beleg für die Einschreibung geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung in Informationssysteme ge<strong>de</strong>utet wur<strong>de</strong>, wer<strong>de</strong>n in diesem Abschnitte Ansätze zur Sichtbarmachung<br />

„unsichtbarer Arbeit“ diskutiert.<br />

145


punkt dar, um <strong>de</strong>r Fortschreibung hierarchischer Strukturen durch <strong>de</strong>n IT-Einsatz<br />

entgegenzuwirken.<br />

Geoffrey Bowker und Susan Leigh Star begleiteten während <strong>de</strong>r 1980er Jahre eine<br />

Initiative von Pflegewissenschaftlerinnen und Krankenpflegerinnen in <strong>de</strong>n USA, die<br />

gemeinsam eine „Nursing Intervention Classification“ (NIC) entwickelten (vgl. Bowker/<br />

Star 2000, 229f). In diesem Klassifikationssystem sollten sämtliche Pflegehandlungen,<br />

die nicht von <strong>de</strong>n ÄrztInnen vorgenommen wer<strong>de</strong>n, aufgeführt und beschrieben wer<strong>de</strong>n.<br />

Es wur<strong>de</strong> partizipativ mit <strong>de</strong>m Pflegepersonal entwickelt. Die Einträge reichten<br />

von „Airway Management“ (d.h. Unterstützung <strong>de</strong>r PatientInnen beim Atmen, einschießlich<br />

<strong>de</strong>s Einsatzes von Atemtechnologien und Medikamenten) bis hin zur<br />

spirituellen Unterstützung, die als „assisting the patient to feel balance and connection<br />

with a greater power“ (vgl. Bowker/ Star 2000, 235) <strong>de</strong>finiert wur<strong>de</strong>. Je<strong>de</strong> einzelne<br />

Kategorie wur<strong>de</strong> kurz charakterisiert, verschie<strong>de</strong>ne mögliche Pflegeleistungen angegeben<br />

sowie weiterführen<strong>de</strong> Literatur.<br />

Bowker und Star fassen insgesamt drei Ziele <strong>de</strong>s Vorhabens zusammen. Erstens<br />

sollte ein Korpus wissenschaftlichen Wissens über die Pflege produziert wer<strong>de</strong>n.<br />

Zweitens ging es darum, <strong>de</strong>n Tätigkeitsbereich mit <strong>de</strong>r Etablierung und Anerkennung<br />

von Pflegearbeit als einem Bereich wissenschaftlichen Wissens zu professionalisieren<br />

und professionelle Autonomie zu garantieren. Ein drittes Argument bestand darin, dass<br />

die Pflege mit <strong>de</strong>n damals noch neuen Informationstechnologien Schritt halten sollte,<br />

die bereits in medizinische Berufe anfingen einzudringen. Da sich das Repräsentationsmedium<br />

wan<strong>de</strong>lte, „it was important to be able to talk about nursing in a language<br />

that computers could un<strong>de</strong>rstand, else nursing would not be represented at all in the<br />

future. It would risk being even further marginalized than it is at present.“ (vgl. Bowker/<br />

Star 2000, 237)<br />

Die angestrebte Verwissenschaftlichung <strong>de</strong>r Pflege 208 setzte an<br />

berufssoziologischen Erkenntnissen über Professionalisierungsprozesse an. Deutlich<br />

wird dies anhand <strong>de</strong>r Pflegehandlung „Humor“. 209 In <strong>de</strong>m von Bowker und Star<br />

untersuchten Klassifikationssystem ist eine Analyse, was es heißt, humorvoll zu sein,<br />

enthalten sowie ein theoretisches Konzept, was Humor bei <strong>de</strong>n PatientInnen bewirken<br />

soll. Dazu wird die „Pflegehandlung Humor“ in verschie<strong>de</strong>ne Teilaspekte unterglie<strong>de</strong>rt.<br />

Das Pflegepersonal solle zunächst bestimmen, welche Art von Humor die PatientIn<br />

schätzt und wie sie o<strong>de</strong>r er typischerweise darauf reagiert (z.B. Lachen o<strong>de</strong>r Lächeln),<br />

um dann geeignete Themen auszuwählen, welche bei <strong>de</strong>m Individuum eine<br />

entsprechen<strong>de</strong> Reaktion hervorzurufen vermögen, o<strong>de</strong>r Verspieltheit und Albernheit<br />

unterstützen etc. Im Klassifikationssystem sind unter <strong>de</strong>r Kategorie „Humor“ fünfzehn<br />

Teilaktivitäten aufgeführt, die wissenschaftlich relevant erscheinen. „A feature tra<strong>de</strong>tionally<br />

attached to the personality of the nurse (being a cheerful and supportive<br />

person) is now attached through the classification to the job <strong>de</strong>scription as an<br />

intervention that can be accounted for“ (Bowker/ Star 2000, 233ff). Um <strong>de</strong>r impliziten<br />

Erwartungshaltung, dass KrankenpflegerInnen stets fröhlich zu sein und die<br />

PatientInnen aufzubauen haben, entgegenzuwirken, wur<strong>de</strong> Humor in die Arbeitsbe-<br />

208 Vgl. hierzu auch das im letzten Abschnitt von Wagner 1989, 1991 skizzierte US-amerikanische System.<br />

209 Die “Nursing Intervention Classification” <strong>de</strong>finiert die Pflegehandlung Humor folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />

„Facilitating the patient to perceive, appreciate, and express what is funny, amusing, or ludicrous in or<strong>de</strong>r<br />

to establish relationship“ (Bowker/ Star 2000, 233).<br />

146


schreibung aufgenommen. Damit wird auf Tätigkeiten, die bisher als persönliche<br />

Eigenschaften und selbstverständliche Voraussetzungen für die Ausübung eines<br />

Pflegeberufs galten, im Sinne ihrer Professionalisierung aufmerksam gemacht. Das<br />

Beispiel ver<strong>de</strong>utlicht, dass mit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifizierung von Pflegeleistungen eine<br />

statusrelevante und monetäre Anerkennung von Tätigkeiten erhofft wur<strong>de</strong>, die <strong>de</strong>m<br />

sich mehrheitlich aus Frauen zusammensetzen<strong>de</strong>n Pflegepersonal bislang qua<br />

Geschlecht (und nicht qua Ausbildung) zugeschrieben wur<strong>de</strong>.<br />

Ingesamt sollte mit Hilfe <strong>de</strong>r „Nursing Intervention Classification“ (NIC) ein Bereich<br />

bislang generalisierend Frauen zugeschriebener Arbeit symbolisch wie materiell aufgewertet<br />

wer<strong>de</strong>n. Es galt, bisher gering bewertete bzw. wenig wahrgenommene<br />

Tätigkeiten im Zuge <strong>de</strong>r IT-Entwicklung sichtbar zu machen und in Status und<br />

Bezahlung zu erhöhen. Die beteiligten Krankenschwestern waren zuversichtlich, dass<br />

die elektronische Dokumentation ihrer Tätigkeiten dazu beitragen wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Aufwand<br />

und die Komplexität von Pflegearbeit transparent zu machen. Bereits Wagner stellte<br />

jedoch ernüchternd fest, dass „the reality of computerized care plans – even when the<br />

nurses themselves have a voice in their <strong>de</strong>velopment – may lag far behind this i<strong>de</strong>a,<br />

given the authority structures in hospitals. With management focusing on care plans as<br />

instruments that may help them with their legal and accreditation issues, and nurses<br />

having to continue documenting their work […], care plans cannot unfold their<br />

potential.“ (Wagner 1993, 305). Das Argument, dass ökonomische Bewertung und<br />

Arbeitsbedingungen dadurch verbessert wer<strong>de</strong>n könnten, dass die Komplexität <strong>de</strong>r<br />

Arbeit und Kompetenz <strong>de</strong>r Krankenpflegerinnen sichtbar wird, drohe sich also ins<br />

Gegenteil zu verkehren, sobald es in die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Managements gerät (vgl. Wagner<br />

1989, 174ff). Ein besserer Status <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s Pflegepersonals wur<strong>de</strong> bis heute<br />

nicht erreicht.<br />

Bowker und Star verweisen darüber hinaus auf fundamentale Probleme, die <strong>de</strong>r<br />

Versuch, spezifische Formen und Inhalte von Arbeit sichtbar zu machen, beinhaltet.<br />

Ein Problem bestehe darin, dass es – politisch betrachtet – nicht per se erstrebenswert<br />

sein muss, unsichtbare Tätigkeiten durch Technikeinsatz sichtbar zu machen. Denn die<br />

Unsichtbarkeit bestimmter Aspekte von Arbeit innerhalb eines IT-Systems führe häufig<br />

dazu, die Selbstbestimmung <strong>de</strong>r Arbeiten<strong>de</strong>n über die konkrete Ausführung ihrer Tätigkeiten<br />

zu erhalten. Eine Ambivalenz gegenüber einem zwar <strong>kritisch</strong> gemeinten, aber<br />

letztendlich verkürzten Imperativ <strong>de</strong>r Sichtbarmachung ergäbe sich ferner aus <strong>de</strong>r vereinfachten<br />

Kontrollmöglichkeit <strong>de</strong>r Arbeiten<strong>de</strong>n durch das Management, die durch eine<br />

elektronische Sichtbarkeit von Arbeit beför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n kann. Vor allem aber ließe sich<br />

durch die explizite Beschreibung von Tätigkeiten die Taylorisierung von Arbeit forcieren.<br />

Im Fall <strong>de</strong>r Pflegearbeit bestehe etwa die Gefahr, dass die ungelernten Tätigkeiten<br />

aus <strong>de</strong>m Aufgabenbereich <strong>de</strong>r Krankenpflege heraus genommen wer<strong>de</strong>n, die<br />

Profession ihre Autonomie verliert und <strong>de</strong>r „common sense“ im Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r KrankenpflegerInnen<br />

durch festgeschriebene, rigi<strong>de</strong> Formeln <strong>de</strong>r Arbeitsausführung ersetzt<br />

wird (vgl. Bowker/ Star 2000, 30).<br />

Die Pflege steht somit – wie Wagner betont – in einem „Spannungsfeld zwischen<br />

<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Pflegeprofession angestrebten Verwissenschaftlichung ihrer Tätigkeit und<br />

ihrer Standardisierung und damit auch Entwertung“ (Wagner 1989, 175). Die<br />

Fallstudien zur Professionalisierung und Verwissenschaftlichung <strong>de</strong>r Krankenpflege<br />

zeigen, dass eine Sichtbarmachung von Arbeit in Informationssystemen nicht<br />

147


notwendigerweise dazu führt, Machtpositionen und vergeschlechtlichte Hierarchien<br />

abzuschwächen. Es kann we<strong>de</strong>r davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n, dass Intransparenz<br />

einzig dazu dient, strukturelle Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Noch lässt sich generell<br />

annehmen, dass InformatikerInnen mit gesellschafts<strong>kritisch</strong>er o<strong>de</strong>r feministischer<br />

Intention tatsächlich via Technikgestaltung strukturelle Verbesserungen – beispielsweise<br />

im Sinne <strong>einer</strong> Aufhebung o<strong>de</strong>r Abschwächung geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung – für die Beteiligten erreichen können. 210 Ob die Sichtbarmachung von<br />

Tätigkeiten dazu beiträgt, dass Arbeitsplätze (wie im Fall <strong>de</strong>r Kodierung von<br />

Rechtsfällen in <strong>einer</strong> Kanzlei) erhalten bleiben, die ansonsten abgebaut wür<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r<br />

zur Kontrolle und Taylorisierung von Arbeitsschritten führt (wie im Fall <strong>de</strong>r Krankenhausinformations-<br />

und Klassifikationssysteme zu befürchten ist), lässt sich nicht<br />

allgemein beantworten, son<strong>de</strong>rn nur im Einzelfall überprüfen. 211 Wichtig erscheint<br />

insgesamt, im Rahmen von Technikgestaltung zunächst eine Sensibilität dafür zu entwickeln,<br />

dass die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit bestimmter Tätigkeiten in informatischen<br />

Artefakten eine Zweigeschlechtlichkeit konstituieren<strong>de</strong> Segregation <strong>de</strong>s<br />

Arbeitsmarktes verstärken kann.<br />

4.2.4. Geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung in <strong>de</strong>r<br />

Dienstleistungsgesellschaft: Callcenter-Arbeit und virtuelle<br />

AssistentInnen<br />

Mit <strong>de</strong>r Entwicklung hin zur Dienstleistungsgesellschaft fin<strong>de</strong>n sich sämtliche bis<br />

hierher i<strong>de</strong>ntifizierten Mechanismen <strong>de</strong>r Reproduktion geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung durch Informationstechnologien wie<strong>de</strong>r. Aktuell beobachten lassen sich<br />

im Bereich <strong>de</strong>s Kun<strong>de</strong>nservice zum einen die Konfigurationen <strong>de</strong>r NutzerInnen durch<br />

Technologie als „weiblich“, zum zweiten die Aufrechterhaltung von Machtstrukturen<br />

durch Arbeitsorganisation, Standardisierung und Technisierung sowie drittens die<br />

Unsichtbarkeit von Servicetätigkeiten, wie nachfolgend ausgeführt wird. Dienstleistungen<br />

wur<strong>de</strong>n überwiegend von Frauen ausgeführt und wer<strong>de</strong>n diesen zugleich auf <strong>einer</strong><br />

symbolischen Ebene zugeschrieben. So korrespondieren die für <strong>de</strong>n Kun<strong>de</strong>nservice<br />

als erfor<strong>de</strong>rlich gelten<strong>de</strong>n Fähigkeiten wie Kommunikativität, Einfühlungsvermögen und<br />

Fürsorglichkeit mit genau <strong>de</strong>n Eigenschaften, die weithin als „weiblich“ gelten.<br />

Vorgesetzte wünschen sich Angestellte, die bereit sind, <strong>de</strong>n KundInnen Service und<br />

selbstlose Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei wird häufig davon ausgegangen, dass<br />

Frauen die verlangten sozialen Fähigkeiten qua Geschlecht mitbringen. In diesem<br />

Sinne lässt sich behaupten, dass eine bestimmte Form von „Weiblichkeit“ die<br />

210 Das Beispiel <strong>de</strong>r „Nursing Intervention Classification“ verweist darüber hinaus auf ein weiteres<br />

fundamentales Problem, das mit <strong>de</strong>m Versuch, unsichtbare Arbeit sichtbar zu machen einhergeht: die<br />

Problematik <strong>de</strong>r Grenzen von Formalisierbarkeit. Dieses Argument ist jedoch eher ein<br />

wissenschaftstheoretisch-epistemologisches und wird <strong>de</strong>shalb im folgen<strong>de</strong>n Kapitel 4.3. diskutiert.<br />

211 Die Tätigkeit <strong>de</strong>r Kodierung von Rechtfällen gehört zum 2. Typ unsichtbarer Arbeit nach <strong>de</strong>r eingangs<br />

skizzierten Klassifizierung von Nardi/ Engeström. Sie wird als Routine o<strong>de</strong>r manuelle Tätigkeit betrachtet,<br />

die tatsächlich jedoch ein qualifiziertes Wissen und Problemlösungsfähigkeiten erfor<strong>de</strong>rt. Die Pflegeleistung<br />

Humor dagegen ist ein informeller Arbeitsprozess, <strong>de</strong>r bisher zwar nicht Teil <strong>de</strong>r formalen<br />

Stellenbeschreibung ist, <strong>de</strong>nnoch notwendig zum Funktionieren von Arbeit beiträgt. Sie zählt damit zum 4.<br />

Typ unsichtbarer Tätigkeit. Zur Arbeit, die an unsichtbaren Orten geleistet wird (1. Typ); vgl. die Ausführungen<br />

zu <strong>de</strong>n Callcenter-AgentInnen im nächsten Abschnitt, zur Arbeit, die von „unsichtbaren“ Menschen<br />

ausgeführt wird (3. Typ), die Diskussion um Softwareagenten dort.<br />

148


Marktanfor<strong>de</strong>rung schlechthin in <strong>de</strong>r gegenwärtigen fortgeschrittenen Dienstleistungsgesellschaft<br />

darstellt (vgl. etwa Woodfield 1998 nach Belt et al. 2002).<br />

Ein relativ gut untersuchter Bereich <strong>de</strong>r Dienstleistungsarbeit, in <strong>de</strong>m die engen<br />

Zusammenhänge von Arbeitsanfor<strong>de</strong>rungen, Technikgestaltung und Geschlecht aufgezeigt<br />

wur<strong>de</strong>n, ist die Tätigkeit von Callcenter-AgentInnen. Tatsächlich sind die in Callcentern<br />

Beschäftigten mehrheitlich Frauen, selbst wenn ihr Anteil je nach Branche<br />

variiert. So fin<strong>de</strong>n sich in Großbritannien, Irland und <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n Hotlines<br />

für Computerservices knapp 50% Frauen und bis zu 80% im Finanzdienstleistungsbereich<br />

(vgl. Belt et al 2002). 212 Dass die Callcenter-AgentInnen in <strong>de</strong>r Regel Teilzeit<br />

arbeiten, 213 verfestigt die Vorstellung von einem „Frauenarbeitsplatz“. Ferner bestehen<br />

für die Callcenter-AgentInnen kaum berufliche Entwicklungs- o<strong>de</strong>r betrieblichen<br />

Aufstiegsmöglichkeiten. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass hier eine Frauen<br />

typisieren<strong>de</strong> Tätigkeit vorliegt. Den empirischen Studien zufolge legen die BetreiberInnen<br />

von Callcentern wenig Wert auf formale Abschlüsse. Statt<strong>de</strong>ssen sind kommunikative<br />

Kompetenzen und Spaß am Telefonieren gefor<strong>de</strong>rt. Für <strong>de</strong>n Kun<strong>de</strong>nkontakt<br />

erwartet wür<strong>de</strong> ein „Lächeln in <strong>de</strong>r Stimme“ – eine Fähigkeit, die insbeson<strong>de</strong>re<br />

„Frauen“ unterstellt wird. Demgegenüber sei das notwendige technische Wissen auf<br />

die Kenntnis gängiger PC-Software reduziert (vgl. Maaß 2003). Angesichts dieser<br />

Ausgangslage stellt sich die Frage, ob die in Callcentern eingesetzte Technologie – wie<br />

in <strong>de</strong>n in Kapitel 4.2.2. und 4.2.3. dargestellten Studien – die vorherrschen<strong>de</strong><br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung reproduziert.<br />

Die technische Infrastruktur von Callcentern umfasst in <strong>de</strong>r Regel ein Anrufverteilsystem,<br />

Datenbanken mit Informationen über Produkte und ggf. AuftraggeberIn/<br />

Unternehmen sowie ein Customer-Relationsship-Management-System (CRM), das die<br />

Kun<strong>de</strong>nhistorie enthält. Die Callcenter-AgentInnen müssen während ihrer Tätigkeit<br />

zwischen <strong>de</strong>r Software mit ihren Möglichkeiten und Einschränkungen, <strong>de</strong>n organisatorischen<br />

Bedingungen und <strong>de</strong>m Verhalten <strong>de</strong>r KundInnen vermitteln. Die Anfor<strong>de</strong>rung<br />

besteht darin, dass sie „diese Softwaresysteme routiniert bedienen, an <strong>de</strong>n richtigen<br />

Stellen Eingaben machen, Systemausgaben schnell erfassen, sachgerecht interpretieren<br />

und ins Gespräch umsetzen [müssen]“ (Maaß 2003, 224). Dabei wird <strong>de</strong>r<br />

Spielraum <strong>de</strong>r Beschäftigten organisatorisch durch die Standardisierung <strong>de</strong>r Dienstleistung<br />

eingeschränkt, beispielsweise durch Regelungen über die Gesprächsdauer,<br />

Vorgaben zur Gesprächsführung bis hin zu festgelegten Gesprächsskripten mit<br />

wörtlichen Formulierungen (vgl. ebd., 225).<br />

Diese Reglementierungen wer<strong>de</strong>n häufig in die Software eingeschrieben und von<br />

dieser zugleich überwacht. Insofern lässt sich die These aufstellen, dass die technische<br />

Infrastruktur die AgentInnen als „Frauen“ konfiguriert. In ihr sind die typischen<br />

Merkmale von für Frauen als typisch angenommenen Tätigkeiten materiell-technisch<br />

manifestiert: Sie drängt die AgentInnen in eine passive, abhängige Rolle und verengt<br />

<strong>de</strong>ren Arbeit zu <strong>einer</strong> sich wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong>n Routinetätigkeit, bei <strong>de</strong>r sie keine Kontrolle<br />

über ihre eigene Arbeit besitzen. Bei dieser Konfigurierung von <strong>einer</strong> für Frauen als<br />

typisch angenommenen Tätigkeit durch Software und Arbeitsorganisation wird jedoch<br />

nicht mehr – wie beim von Hofmann untersuchten Textautomaten – auf das Bild <strong>de</strong>r<br />

212 In Deutschland sind Frauen – nach Maaß 2003– im Mittel zu zwei Dritteln in Callcentern vertreten.<br />

213 Es heißt, dass diese Tätigkeit nur maximal 4-5 Stun<strong>de</strong>n täglich leistbar ist; vgl. Maaß 2003, 220.<br />

149


„technisch inkompetenten Frau“ zurückgegriffen (vgl. hierzu auch Kapitel 4.2.1.).<br />

Vielmehr wer<strong>de</strong>n hier Arbeitsabläufe <strong>de</strong>r Callcenter-AgentInnen durch die Technologie<br />

als <strong>de</strong>qualizierte Fließband- bzw. Fabrikarbeit strukturiert (vgl. etwa Belt et al. 2002,<br />

22). Statt geschlechtlich konnotierter Kompetenz (bzw. Inkompetenz) wird hier eine<br />

spezifische prozessuale Struktur <strong>de</strong>r Arbeit in <strong>de</strong>r Technologie festgeschrieben, die<br />

<strong>de</strong>n Arbeitsplatz zu einem „typischen Frauenarbeitsplatz“ konfiguriert.<br />

Der technisch vorgegebene Arbeitsablauf erweist sich empirischen Studien zufolge<br />

jedoch als ein stark i<strong>de</strong>alisierter. Die organisatorischen und technischen Bedingungen<br />

erschweren die Nutzung <strong>de</strong>r Software. So weisen Maaß, Theissing und Zallmann<br />

(2002) aus <strong>einer</strong> arbeitspsychologischen Perspektive starke Belastungen bei <strong>de</strong>r<br />

Callcenterarbeit nach, die durch Wi<strong>de</strong>rsprüche zwischen <strong>de</strong>n rigi<strong>de</strong>n betrieblichen<br />

Vorgaben und <strong>de</strong>n Flexiblitätsanfor<strong>de</strong>rungen von Seiten <strong>de</strong>r KundInnen entstehen. Die<br />

Callcenterarbeit sei geprägt durch starken Zeitdruck (z.B. quantitative Vorgaben zu<br />

Anzahl und Dauer von Gesprächen) und hohe Konzentrationsanfor<strong>de</strong>rungen, die sich<br />

u.a. aufgrund <strong>de</strong>r gleichzeitigen Arbeit in zwei unterschiedlichen Kontexten (Kun<strong>de</strong>ngespräch<br />

und Systembedienung) ergäbe. Die Konzentrationsfähigkeit <strong>de</strong>r AgentInnen<br />

wer<strong>de</strong> zum einen durch die technische Infrastruktur enorm erschwert, da sie gravieren<strong>de</strong><br />

ergonomische Mängel aufweise. Denn die Callcenter-Software sei „einseitig an <strong>de</strong>r<br />

sachlichen Aufgabe orientiert und berücksichtigt die sozialen und kommunikativen<br />

Aspekte ihrer Bearbeitung nicht. Die Interaktion mit KundInnen wird wie ein rein<br />

sachlogisch bestimmter Datenaustausch behan<strong>de</strong>lt, nicht aber als ein sozialer Prozess<br />

mit all seinen Unwägbarkeiten und Aktionsmöglichkeiten“ (Maaß et al. 2002, 8).<br />

Aufgrund mangeln<strong>de</strong>r Flexibilität behin<strong>de</strong>re die Software die Kun<strong>de</strong>ninteraktion. Sie sei<br />

damit nicht „interaktionsangemessen“ (Maaß et al. 2002). Die <strong>de</strong>r Software zugrun<strong>de</strong><br />

liegen<strong>de</strong> Annahme, dass Callcenter-Tätigkeit durch simple Routine geprägt sei, mithin<br />

eine für Frauen als typisch angenommenene Arbeit darstelle, erwies sich somit in <strong>de</strong>r<br />

Praxis als kontraproduktiv.<br />

An<strong>de</strong>re Studien zum Dienstleistungsbereich betonen einen zweiten Aspekt, <strong>de</strong>r die<br />

Konzentration auf die Arbeit stark beeinflusst. Für die interaktive Dienstleistungstätigkeit<br />

sei auch Emotionsarbeit notwendig. (vgl. etwa Hampson/ Junor 2005). Emotionsarbeit<br />

lässt sich <strong>de</strong>finieren als „effort, planning and control nee<strong>de</strong>d to express<br />

organisationally <strong>de</strong>sired emotions during interpersonal transaction“ (Morris/ Feldmann<br />

1996, 987, zitiert nach: ebd., 174). Das Konzept geht zurück auf die renommierte<br />

Studie Hochschilds (1983), die am Beispiel <strong>de</strong>r Tätigkeit von Stewar<strong>de</strong>ssen erstmals<br />

aufzeigte, dass von Angestellten bei ihrer alltäglichen Arbeit häufig erwartet wird,<br />

bestimmte Emotionen öffentlich zu zeigen, die die Beschäftigten jedoch selbst nicht<br />

notwendigerweise fühlten. Dies kann enormen Stress verursachen und zu<br />

entsprechen<strong>de</strong>n gesundheitlichen Belastungen führen (vgl. Zapf 2002 für einen Überblick).<br />

Denn gera<strong>de</strong> im Dienstleistungsbereich gerät die von Seiten <strong>de</strong>s Managements<br />

erwünschte emotionale Reaktion <strong>de</strong>r DienstleisterIn häufig in Wi<strong>de</strong>rspruch mit <strong>de</strong>n<br />

KundInnenanfor<strong>de</strong>rungen. Die o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Beschäftigte hat dann drei Möglichkeiten zu<br />

reagieren, von <strong>de</strong>nen keine attraktiv erscheint. Entwe<strong>de</strong>r vertritt sie/er die Sicht <strong>de</strong>s<br />

Managements auf Kosten persönlicher Integrität und nimmt Spannungen mit <strong>de</strong>r<br />

KundIn in Kauf. O<strong>de</strong>r sie/er stellt sich auf die Seite <strong>de</strong>r KundIn, womit sie Spannungen<br />

mit <strong>de</strong>m Management riskiert bis hin zur eigenen Entlassung. Die dritte Möglichkeit<br />

besteht darin, die Interaktion mit <strong>de</strong>r KundIn möglichst kurz zu halten und <strong>de</strong>m<br />

150


vorgegebenen Skript entsprechend durchzuführen, um somit <strong>de</strong>n emotionalen<br />

Aufwand zu reduzieren. Hampson und Junor sprechen hierbei von einem „strategic<br />

disengagement“ (Hampson/ Junor 2005, 176).<br />

In Callcentern dominiert <strong>de</strong>n empirischen Untersuchungen zufolge die zweite Strategie.<br />

Die Beschäftigten gewinnen Zufrie<strong>de</strong>nheit mit <strong>de</strong>r Arbeit primär dadurch, dass sie<br />

versuchen, möglichst hochqualitative Dienstleistungsarbeit zu erbringen (vgl. Belt et al.<br />

2002, 29). Auch die von Wray-Bliss (2001) interviewten Callcenter-AgentInnen betonen<br />

die emotionale Qualität ihrer Arbeit. Sie nutzen damit <strong>de</strong>n Diskurs <strong>de</strong>s „Dienstes an <strong>de</strong>r<br />

KundIn“, um <strong>de</strong>r im Management vorherrschen<strong>de</strong>n Auffassung, dass Service<br />

ausschließlich anhand <strong>einer</strong> hohen Anzahl beantworteter Anrufe zu messen sei, ihre<br />

eigene Definition entgegenzusetzen. Das Argument dient <strong>de</strong>n Beschäftigten folglich<br />

dazu, die eigenen Fähigkeiten zu bekräftigen und einen gewissen Grad an Autonomie<br />

zu wahren. An dieser Stelle wird <strong>de</strong>utlich, dass die Frage, was „guter Service“ im<br />

Callcenter darstellt, eine politische ist. Die technische Infrastruktur (in diesem Fall die<br />

Anrufverteilanlage, die zugleich die Dauer und Anzahl <strong>de</strong>r Anrufe einzelner AgentInnen<br />

protokolliert) lässt sich als Antwort darauf lesen. Sie wirkt daran mit, Machtstrukturen<br />

im Callcenter aufrechtzuerhalten. Eine <strong>de</strong>rartige Absicherung von Ungleichheitsverhältnissen<br />

erfolgt insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>r Callcenter-Arbeit, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Frauenanteil<br />

hoch ist, <strong>de</strong>nn die Hotlines <strong>de</strong>r Computerservices, in <strong>de</strong>nen Männer stärker<br />

vertreten sind, haben zumeist weniger strikte Vorgaben bei <strong>de</strong>r Anrufbearbeitung.<br />

Insofern wird auch im Bereich <strong>de</strong>r Callcenter ten<strong>de</strong>nziell die bestehen<strong>de</strong><br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung durch Technologie untermauert.<br />

In sozialwissenschaftlichen Analysen <strong>de</strong>r Callcenter-Arbeit wird nicht nur die<br />

Konfigurierung von NutzerInnen als „Frauen“ (bzw. <strong>de</strong>r Konfiguration <strong>de</strong>s Arbeitsplatzes<br />

als „Frauenarbeitsplatz“) und die Aufrechterhaltung von Machtstrukturen<br />

thematisiert. Ebenso wird dort <strong>de</strong>r dritte in diesem Abschnitt i<strong>de</strong>ntifizierte Aspekt <strong>de</strong>r<br />

Einschreibung gesellschaftlicher Strukturen in die Software, die Unsichtbarkeit von<br />

Tätigkeiten, diskutiert (vgl. etwa Hampson/ Junor 2005, Maaß/ Rommes 2007). Dabei<br />

zeigte sich jedoch, dass die Ergebnisse differenzierter sind als auf die einfache Formel<br />

reduziert wer<strong>de</strong>n zu können, dass „Frauenarbeit“ unsichtbar sei und <strong>de</strong>shalb we<strong>de</strong>r<br />

gesellschaftlich-ökonomisch anerkannt noch von <strong>de</strong>r Software angemessen unterstützt<br />

wer<strong>de</strong>. Nach Belt et al. (2002) wird beispielsweise die Kommunikationsfähigkeit<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Firma hoch gewertet, obwohl sie speziell von <strong>de</strong>n BetreiberInnen häufig<br />

als Eigenschaft von „Frauen“ naturalisiert wird.<br />

Außerhalb <strong>de</strong>r Callcenter dagegen bestätigt sich das traditionelle Bild, <strong>de</strong>nn dort<br />

wird die fachliche kommunikative Kompetenz <strong>de</strong>r AgentInnen, die sie sich eigenen<br />

Angaben zufolge hart erarbeitet haben, eher nicht wahrgenommen. Sie gilt gemeinhin<br />

als einfache und unqualifizierte Tätigkeit. Insofern ist die Komplexität <strong>de</strong>r Callcenter-<br />

Arbeit in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Wahrnehmung „unsichtbar“ (vgl. Belt et al. 2002, 31). 214<br />

Noch weniger nach außen hin sichtbar scheint die Emotionsarbeit, die Callcenter-<br />

AgentInnen leisten, <strong>de</strong>nn für diese existiert nicht einmal ein Diskurs innerhalb <strong>de</strong>s<br />

Callcenter-Managements. Sie wird ebenso wie die Fähigkeit zu kommunizieren als<br />

214 Belt et al. 2002 sehen zwar Hinweise darauf, dass die vermeintlich „weiblichen“ Sozialkompetenzen<br />

sichtbarer, breiter anerkannt und vergütet wer<strong>de</strong>n, da sie zunehmend klarer als für die Callcenter-Arbeit<br />

erlernbare Fähigkeiten kategorisiert und formal bestimmt wer<strong>de</strong>n. Dennoch scheint dies bisher wenig am<br />

gesellschaftlichen Bild <strong>de</strong>r Tätigkeit zu än<strong>de</strong>rn.<br />

151


Eigenschaft von „Frauen“ angesehen. Damit wer<strong>de</strong>n erworbene Fertigkeiten als „geschlechtsspezifische<br />

Persönlichkeitsmerkmale“ abgewertet und zugleich <strong>de</strong>ren geringe<br />

Honorierung legitimiert. An dieser Herabwürdigung än<strong>de</strong>rt auch <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong><br />

Technikeinsatz im Callcenter nichts, <strong>de</strong>r prinzipiell zu <strong>einer</strong> symbolischen Aufwertung<br />

dieser Dienstleistungsarbeit führen könnte. Denn die erfor<strong>de</strong>rliche technische Kompetenz<br />

für diese Tätigkeiten wird (abgesehen von Computerhotlines) nur in <strong>de</strong>r<br />

rountinemäßigen Bedienung von Software gesehen und <strong>de</strong>shalb eher gering<br />

geschätzt.<br />

Ebenso wie Pflege durch mangeln<strong>de</strong> Wahrnehmung und Wertschätzung zunächst<br />

nicht in Krankenhausinformationssystemen repräsentiert war (vgl. Abschnitt 4.2.2.)<br />

spiegelt sich die Unsichtbarkeit kommunikativer Fähigkeiten und emotionaler Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an die Callcenter-AgentInnen in <strong>de</strong>r Software wie<strong>de</strong>r. Demgegenüber zeigten<br />

die differenzierten Arbeitsanalysen im Callcenter, dass die Software übersichtlich,<br />

effizient und flexibel gestaltet sein muss, um die vielfältigen Gesprächsverläufe, d.h.<br />

die Interaktion <strong>de</strong>r Callcenter-AgentInnen mit <strong>de</strong>n KundInnen angemessen unterstützen<br />

zu können (vgl. Maaß et al. 2002). 215 Maaß Arbeiten in diesem Bereich zielen<br />

darauf, die verborgenen sozialen und technischen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Callcenter-<br />

Tätigkeit sichtbar zu machen und das Bild <strong>de</strong>r einfachen, unqualifizierten Callcenter-<br />

Arbeit, das <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Wahrnehmung <strong>de</strong>r dabei benötigten Kompetenzen bei <strong>de</strong>n<br />

SoftwaregestalterInnen zugrun<strong>de</strong> liegt, zu <strong>de</strong>konstruieren. „It seems that earlier<br />

<strong>de</strong>velopers of the software had overlooked or ignored the complicatedness of the work<br />

done by call center agents. Hence, they have tried to capture and standardise parts of<br />

the work that were too complicated to be formalised and standardised“ (Maaß/<br />

Rommes 2007, 105f). Dass HCI-ExpertInnen und Softwareanbieter die Komplexität <strong>de</strong>r<br />

Callcenter-Arbeit bisher unterschätzt haben, führen Maaß und Rommes (2007) auf <strong>de</strong>n<br />

„gen<strong>de</strong>r bias“ in <strong>de</strong>n analytischen Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Informatik zurück. Die herkömmlichen<br />

Instrumente <strong>de</strong>r Anfor<strong>de</strong>rungsanalyse fokussierten primär auf die Bereiche <strong>de</strong>r<br />

Produktions- und Büroarbeit, in <strong>de</strong>nen komplexe Interaktionen kaum eine Rolle<br />

spielten. Zur Ermittlung von Anfor<strong>de</strong>rungen in Bereichen, in <strong>de</strong>nen Interaktions- und<br />

Emotionsarbeit zentral sind, lägen jedoch keine adäquaten Analysemetho<strong>de</strong>n vor (vgl.<br />

Maaß/ Rommes 2007, 102). Die gesellschaftliche Unsichtbarkeit von Tätigkeiten, die<br />

als „weiblich“ gelten – beispielsweise Haus-, Familien- o<strong>de</strong>r personenbezogene Dienstleistungsarbeit<br />

–spiegele sich somit im informatischen Metho<strong>de</strong>nkanon wie<strong>de</strong>r. In <strong>de</strong>r<br />

Folge sind diese Tätigkeiten in <strong>de</strong>r Software nicht repräsentiert und wer<strong>de</strong>n eher behin<strong>de</strong>rt<br />

als technisch angemessen unterstützt. 216 Die GestalterInnen von Callcenter-<br />

Software seien damit ebenso geschlechtsblind wie die informatischen Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Anfor<strong>de</strong>rungsanalyse (vgl. ebd., 206).<br />

215 Eine für die Interaktion mit <strong>de</strong>n KundInnen angemessene Software wür<strong>de</strong> zwar die kommunikativen<br />

Aspekte <strong>de</strong>r Callcenter-Tätigkeit unterstützen. Jedoch stellt sich die Frage, wie Emotionsarbeit durch<br />

Software sichtbar gemacht und möglichst stressfrei gestaltet wer<strong>de</strong>n kann; vgl. hierzu auch die Diskussion<br />

um die Pflegeleistung Humor im Klassifikationssystem NIC in Kapitel 4.2.2.<br />

216 Maaß und Rommes 2007 verweisen in diesem Kontext auf ein Produktivitätsparadox, das Star und<br />

Strauss 1999 bereits allgemein für die unsichtbare Arbeit i<strong>de</strong>ntifiziert hatten. Dadurch, dass <strong>de</strong>r<br />

Interaktionsspielraum <strong>de</strong>r Callcenter-AgentInnen bei <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r Software ignoriert wür<strong>de</strong>,<br />

benötigen die Callcenter-AgentInnen statt <strong>de</strong>r erhofften Einsparung eher mehr Arbeitszeit z.B. für die<br />

Nachbearbeitung eines Telefonates, um die technischen Defizite auszugleichen, wenn sie eine hohe<br />

Dienstleistungsqualität aufrechterhalten möchten.<br />

152


Diese Argumentation läuft Gefahr, „männliches Design“ o<strong>de</strong>r einen „gen<strong>de</strong>r bias“ in<br />

<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n – ähnlich wie die Untersuchungen zur „I-methodology“ (vgl. Kapitel<br />

4.1.4.) – <strong>einer</strong> durch Technologie festgeschriebenen „weiblichen Sphäre“ gegenüberzustellen.<br />

Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n dargestellten Analysen <strong>de</strong>r digitalen Städte wird hier<br />

jedoch nicht auf eine Geschlechtsi<strong>de</strong>ntität im Sinne „weiblicher“ Eigenschaften o<strong>de</strong>r<br />

Fähigkeiten rekurriert und damit eine empirisch nicht haltbare Annahme reproduziert,<br />

son<strong>de</strong>rn auf existieren<strong>de</strong> Strukturen <strong>de</strong>r Ungleichheit. Aus <strong>einer</strong> gesellschafts<strong>kritisch</strong>en<br />

und feministischen Perspektive erscheint es weiterhin notwendig, die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Segregation <strong>de</strong>s Arbeitsmarktes und ihren Erhalt durch technische<br />

Artefakte am konkreten Fall empirisch nachzuweisen, damit die damit einhergehen<strong>de</strong>n<br />

Prozesse <strong>de</strong>r Kritik zugänglich gemacht und verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n können. Dabei besteht<br />

die Herausfor<strong>de</strong>rung aus Sicht <strong>de</strong>r konstruktivistischen Gen<strong>de</strong>rforschung darin,<br />

strukturelle Ungleichheiten herauszuarbeiten, ohne dabei erneute Zuschreibungen an<br />

typische „Frauenarbeit“ (z.B. Callcenter-Tätigkeit) und „Männerarbeit“ (z.B. Technikgestaltung)<br />

vorzunehmen. Eine Möglichkeit <strong>de</strong>r Vermittlung, die diesen Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

zwar nicht vollständig löst, besteht darin, Abstraktionen von jeweiligen Tätigkeiten als<br />

solche aufzu<strong>de</strong>cken. So zielen beispielsweise Maaß’ Untersuchungen auf eine<br />

Dekonstruktion <strong>de</strong>s Bilds <strong>de</strong>r simplen, unqualifizierten Callcenter-Arbeit.<br />

Dass diese Strategie <strong>de</strong>r Dekonstruktion gera<strong>de</strong> in Kontext <strong>de</strong>r Callcenter-Arbeit<br />

sinnvoll und notwendig sein kann, darauf <strong>de</strong>uten neuere Ten<strong>de</strong>nzen zur Automatisierung<br />

von Beratungstätigkeiten, die auf solchen reduktionistischen Vorstellungen<br />

basieren. Um <strong>de</strong>n KundInnen besseren Service zu bieten, wer<strong>de</strong>n seit einigen Jahren<br />

auf kommerziellen Websites Chatbots und menschenähnlich verkörperte Softwareagenten<br />

als virtuelle AssistentInnen eingesetzt. Diese sollen die vermeintlich einfachen<br />

Tätigkeiten von Callcenter-AgentInnen ersetzen o<strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong> sozio-technische<br />

Systeme ergänzen. Ein Hauptziel ist die Einsparung von Kosten gegenüber <strong>de</strong>r<br />

teureren face-to-face-Dienstleistung. Ferner wird erhofft, dass die Softwareagenten die<br />

Kun<strong>de</strong>nbindung steigern und das Markenzeichen stärken. Die virtuellen DienstleisterInnen<br />

erweitern existieren<strong>de</strong> Marketing- und Verkaufsfunktionen von<br />

Onlinediensten. Sie führen KundInnen durch <strong>de</strong>n Online-Kaufprozess o<strong>de</strong>r übermitteln<br />

personalisierte Werbebotschaften. Sie geben medizinische Auskünfte und beraten in<br />

Kreditfragen o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Einrichtung von Girokonten. Die Charaktere auf <strong>de</strong>m<br />

Bildschirm sind 24 Stun<strong>de</strong>n am Tag für die KundInnen da, sie wer<strong>de</strong>n nicht mü<strong>de</strong>, sind<br />

immer gleich freundlich, auch wenn sie es mit anstrengen<strong>de</strong>n KäuferInnen zu tun<br />

haben o<strong>de</strong>r rauh behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Sie repräsentieren somit die perfekte DienstleisterIn.<br />

Angesichts <strong>de</strong>ssen stellt sich die Frage, inwiefern die für <strong>de</strong>n offline<br />

Dienstleistungsbereich (und speziell Callcenter) herausgearbeiteten geschlechtsstereotypen<br />

Vorstellungen auch durch diese neue Technologie reproduziert wer<strong>de</strong>n.<br />

Eva Gustavsson (2005) hat eine Reihe dieser neuen „Angestellten“ <strong>de</strong>r Serviceindustrie<br />

empirisch untersucht. 217 Es interessierte sie primär, inwieweit die virtuellen<br />

DienstleisterInnen die Geschlechtsstereotype und die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Arbeitsteilung <strong>de</strong>r realen Welt abbil<strong>de</strong>ten. Dabei stellte sie bereits auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r<br />

äußerlichen Repräsentation bemerkenswerte Geschlechtsunterschie<strong>de</strong> fest. So war die<br />

217 Sie fand zwischen 2001 und 2003 im Internet ca. 50 anthropomorphe virtuelle AssistentInnen, von<br />

<strong>de</strong>nen sie 30 „interviewte“, d.h. sie führte mit diesen Figuren mittels eines halbstandardisierten Leitfa<strong>de</strong>ns<br />

einen „Chat“.<br />

153


Mehrzahl <strong>de</strong>r als „männlich“ symbolisierten virtuellen Charaktere (13 von 15)<br />

fotorealistisch dargestellt, während es unter <strong>de</strong>n als „weiblich“ symbolisierten nur 5 von<br />

22 waren. Die fotorealistischen virtuellen „Männer“ trugen Anzüge, repräsentierten IT-<br />

und Finanzberater, Beamte, Ärzte und Manager, die „Männer“ verkörpern<strong>de</strong>n Comicfiguren<br />

waren dagegen im Dienstleistungsbereich tätig, etwa im Restaurantbetrieb o<strong>de</strong>r<br />

in <strong>de</strong>r Schönheitsindustrie. Auf Seiten <strong>de</strong>r virtuellen „Frauen“ arbeiteten die fotorealistischen<br />

als virtuelle Beraterinnen und Verkäuferinnen, die fotounrealistischen waren im<br />

Kun<strong>de</strong>ndienstleistungsbereich beschäftigt, etwa im Finanz-, Gesundheits- o<strong>de</strong>r<br />

städtisch-kommunalen Service (vgl. Gustavsson 2005, 408). Während viele <strong>de</strong>r<br />

„Männer“ repräsentieren<strong>de</strong>n virtuellen Assistenten Individuen darstellte, die in <strong>de</strong>r<br />

gesellschaftlichen und organisatorischen Hierarchie hochrangige Positionen beklei<strong>de</strong>n,<br />

übte die Mehrzahl <strong>de</strong>r „Frauen“ repräsentieren<strong>de</strong>n virtuellen AssistentInnen primär<br />

anonyme Dienstleistungsarbeit aus. Damit bestätigt sich die Annahme, dass die bestehen<strong>de</strong><br />

gesellschaftlich-hierarchische Arbeitsteilung direkt auf die Welt <strong>de</strong>r virtuellen<br />

Angestellten <strong>de</strong>r Dienstleistungsindustrie übertragen wird.<br />

Ferner zeigten „Interviews“ mit <strong>de</strong>n virtuellen Charakteren, dass die fotorealistischen<br />

Figuren zumeist auf eine reale Lebenswelt rekurrieren konnten. Sie gaben an, Familie,<br />

Hobbies und an<strong>de</strong>re Interessen als die Arbeit zu haben. Im Vergleich dazu verorteten<br />

sich die fotounrealistischen Figuren ausschließlich in <strong>de</strong>r Online-Welt. Sie sprachen<br />

nicht über sich selbst, hatten keine persönlichen Beziehungen und keine eigene<br />

I<strong>de</strong>ntität. „All they cared about was work. […] There seems to be a ten<strong>de</strong>ncy towards<br />

the perfect (female) employee and away from virtual personalities […] The perfect<br />

worker is being cleansed from personhood and from social influences, which can be<br />

<strong>de</strong>duced from the restrictions in personal repertoire and a growing unwillingness to<br />

chat“ (Gustavsson 2005, 412). Das empirische Material zeigt, dass sich die „Frauen“<br />

repräsentieren<strong>de</strong>n fotounrealistischen virtuellen AssistentInnen stärker <strong>de</strong>r Arbeit<br />

widmen als die an<strong>de</strong>ren Figuren. Sie wur<strong>de</strong>n als die besseren Dienstleistungsangestellten<br />

programmiert: jung und engagiert bei <strong>de</strong>r Arbeit, preiswert und je<strong>de</strong>rzeit<br />

zugänglich.<br />

Die stereotype Auffassung, dass Frauen natürlicherweise für Dienstleistungs-,<br />

Interaktions- und Emotionsarbeit geeignet seien, wird <strong>de</strong>mzufolge in <strong>de</strong>n Online-<br />

Repräsentation nicht nur wie<strong>de</strong>rholt und bestätigt, son<strong>de</strong>rn zugespitzt, da es mit einem<br />

sexistischen Bild von „Frauen“ zugeschriebener Arbeit überlagert wird. Gezeigt wird<br />

hier nicht – wie in pornografischen Darstellungen offline o<strong>de</strong>r online üblich – eine Frau,<br />

die je<strong>de</strong>rzeit für Sex verfügbar ist und hingebungsvoll alle nur er<strong>de</strong>nklichen erotischen<br />

Wünsche erfüllt. Vielmehr bietet sie ihre Dienste nun im Servicebereich an, wo sie<br />

wie<strong>de</strong>rum für die KundInnen allzeit bereit ist, sie berät und ihnen je<strong>de</strong>n Dienstleistungswunsch<br />

erfüllt, <strong>de</strong>vot und altruistisch, aber ohne einen angemessenen Lohn und<br />

arbeitsrechtliche Absicherungen einzufor<strong>de</strong>rn. Für virtuelle Männer scheint eine solche<br />

aufopfern<strong>de</strong> Haltung nicht überzeugend, sie wer<strong>de</strong>n mit einem an<strong>de</strong>ren gesellschaftlichen<br />

Status ausgestattet und wür<strong>de</strong>n sich die beschriebenen Arbeitsbedingungen<br />

vermutlich nicht gefallen lassen. Insofern bil<strong>de</strong>n virtuelle AssistentInnen im Dienstleistungsbereich<br />

die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung <strong>einer</strong>seits ab. An<strong>de</strong>rerseits<br />

verstärken sie diese, in<strong>de</strong>m sie ein längst überholt geglaubtes Bild von „Frauen“<br />

herstellen, nach <strong>de</strong>m sich diese selbst als abhängig, unterwürfig und für <strong>de</strong>n Service<br />

an <strong>de</strong>n KundInnen zuständig inszenieren.<br />

154


Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die These von Maaß und Rommes bestätigt, dass<br />

Dienstleistungen, im Callcenter o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rswo, tatsächlich weitaus komplexere<br />

Tätigkeiten sind als von <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen gedacht und mo<strong>de</strong>lliert. Denn dann<br />

bestün<strong>de</strong> die Chance, dass diese binär vergeschlechtlichten Angebote virtueller<br />

AssistentInnen von <strong>de</strong>r Masse <strong>de</strong>r KundInnen nicht angenommen wer<strong>de</strong>n. Dass das<br />

Konzept <strong>de</strong>r virtuellen AssistentIn als perfekter DienstleisterIn bereits gescheitert sein<br />

könnte, darauf <strong>de</strong>utet, dass mittlerweile einige <strong>de</strong>r virtuellen BeraterInnen vom Netz<br />

genommen wur<strong>de</strong>n. Insgesamt lässt sich jedoch nicht darauf vertrauen, dass marktinterne<br />

Mechanismen <strong>de</strong>r Zementierung geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung<br />

entgegenwirken und sich Einschreibungen in die Technik von selbst regulieren wer<strong>de</strong>n.<br />

Im Gegensatz dazu zeigen sämtliche <strong>de</strong>r in diesem Abschnitt vorgestellten Studien<br />

eher eine Kontinuität <strong>de</strong>r Verstärkung bestehen<strong>de</strong>r gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen<br />

durch Technologien.<br />

4.2.5. Explizite Repräsentation <strong>de</strong>s Geschlechtskörpers: Avatare, Spielfiguren<br />

und anthropomorphe Softwareagenten<br />

Die virtuellen Assistentinnen bringen eine weitere Dimension möglicher Vergeschlechtlichung<br />

und Normalisierung technischer Artefakte ins Spiel, die mit <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n<br />

Rechenleistung und besseren grafischen Performanz von Computern vor allem im<br />

letzten Jahrzehnt möglich gewor<strong>de</strong>n ist: die Repräsentation geschlechtlicher Körper auf<br />

<strong>de</strong>r Bildschirmoberfläche einschließlich ihrer Animation. Wur<strong>de</strong> die Vergeschlechtlichung<br />

digitaler Figuren bis hierher auf <strong>de</strong>r Folie geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung,<br />

d.h. auf <strong>einer</strong> strukturellen Ebene diskutiert, so soll die Frage nach <strong>de</strong>m<br />

Aufbrechen o<strong>de</strong>r Zementieren dichotomer Geschlechtsmuster nun stärker auf symbolische<br />

Ebenen gewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, wo sie sich aufgrund <strong>de</strong>s verbesserten technischen<br />

Potentials neu stellt. Reproduzieren digitale Verkörperungen vorherrschen<strong>de</strong> Vorstellungen<br />

von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ o<strong>de</strong>r weichen sie jene auf? Bedienen<br />

sie vornehmlich <strong>de</strong>n „männlichen Blick“ o<strong>de</strong>r bieten sie I<strong>de</strong>ntifikationsmöglichkeiten für<br />

Frauen? Wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Auseinan<strong>de</strong>rfallen von gelebtem und digital verkörpertem<br />

Geschlecht tatsächlich Grenzüberschreitungen, Neuentwürfe und Verwirrungen<br />

möglich o<strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong> binäre Muster eher noch verstärkt?<br />

Unter diesem Fragenkomplex lassen sich zumin<strong>de</strong>st drei verschie<strong>de</strong>ne Technologien<br />

analysieren: Figuren aus Computerspielen, Avatare, mit Hilfe <strong>de</strong>rer sich NutzerInnen<br />

in weiteren virtuellen Räumen selbst einen Körper geben können, und anthropomorphe<br />

Softwareagenten, die <strong>de</strong>n NutzerInnen auf <strong>de</strong>m Bildschirm gegenüber treten.<br />

Die Vielfalt <strong>de</strong>r unterschiedlichen Settings virtueller Umgebungen, in <strong>de</strong>nen Avatare<br />

und Spielfiguren mittlerweile eingesetzt wer<strong>de</strong>n, hat eine Masse von (größtenteils<br />

quantitativ ausgerichteten) Untersuchungen hervorgebracht, die in direkter o<strong>de</strong>r<br />

indirekter Weise die Kategorie Geschlecht in <strong>de</strong>n Blick nehmen. Darunter lassen sich<br />

Studien zum Aussehen und Auftreten <strong>de</strong>r Avatare, zur Wahl <strong>de</strong>r Avatare durch die<br />

NutzerInnen, zur Wahrnehmung, Akzeptanz und Überzeugungsfähigkeit <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

155


Charaktere sowie solche, die auf <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess <strong>de</strong>r Figuren zielen,<br />

unterschei<strong>de</strong>n. 218<br />

Am bekanntesten sind Analysen <strong>de</strong>r Geschlechtsrepräsentation „weiblicher“ Computerspielheldinnen,<br />

so genannter „Sheroes“, wie Birgit Richard (2004) diese bezeichnet<br />

hat. Allen voran gilt Lara Croft als eine „kulturelle Ikone“ (Deuber-Mankowski 2001),<br />

kaum eine an<strong>de</strong>re Figur wur<strong>de</strong> in feministischen Diskussionen so kontrovers diskutiert.<br />

„Sie gilt vor allem in radikalfeministischen Kreisen aufgrund ihrer weiblichen Körperformen<br />

als Saboteurin <strong>de</strong>r Emanzipation. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite repräsentiert sie aufgrund<br />

<strong>de</strong>s toughen Durchsetzungsvermögens auch eine zeitgenössische weibliche Ikone, an<br />

<strong>de</strong>r sich viele Frauen orientieren“ (Richard 2004, 7). Sehen die einen in Lara Croft eine<br />

Ermächtigungsphantasie, die nicht nur Frauen als Rollenmo<strong>de</strong>ll dienen kann, son<strong>de</strong>rn<br />

auch Männer zu einem Geschlechtsrollentausch einlädt, kritisieren an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n<br />

übersexualisierten Frauenkörper bzw. die Zurschaustellung „digitaler Beauties“ generell<br />

(vgl. etwa Deuber-Mankowski 2001, Schl<strong>einer</strong> 2001). Gegenstand <strong>de</strong>r Analyse von<br />

Lara Croft ist ferner die Intersektionalität von Gen<strong>de</strong>r und Race bzw. die Frage nach<br />

<strong>de</strong>r Repräsentation von Transnationalität (vgl. etwa Pritsch 2000). Weitere Untersuchungen<br />

fokussieren dagegen stärker auf die zahlreichen Schwestern, die die<br />

Kunstfigur seit <strong>de</strong>r Veröffentlichung <strong>de</strong>r ersten Version 1996 bekommen hat (Richard et<br />

al. o.J.). Dort wird nach <strong>de</strong>r Autonomie, die <strong>de</strong>n „weiblichen“ Charakteren in Computerspielen<br />

verliehen wird, nach <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>ntifikationsmöglichkeiten für Frauen als Nutzerinnen<br />

o<strong>de</strong>r nach möglichen Verschiebungen und Variationen in <strong>de</strong>r kulturellen Kodierung<br />

von Geschlecht gefragt, die durch diese eröffnet wer<strong>de</strong>n. Es geht darum, „polyvalente<br />

Be<strong>de</strong>utungshorizonte“ und „Möglichkeiten <strong>einer</strong> autonomen weiblichen Schaulust ohne<br />

männlichen Blick“ zu i<strong>de</strong>ntifizieren. Richard zufolge reicht die Rezeption <strong>de</strong>r Heldinnen<br />

von purer Konsumption bis hin zu <strong>einer</strong> subversiven Haltung, wobei sich häufig eine<br />

aktive Aneignung beobachten lasse, welche die vorhan<strong>de</strong>nen Markierungen wie die<br />

Überbetonung <strong>de</strong>s „Weiblichen“ transformiere, um eine I<strong>de</strong>ntifikation zu ermöglichen<br />

(ebd.). Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n oben beschriebenen Studien (vgl. die Kapitel 4.1.1. und<br />

4.1.2), die nach Erklärungen suchten, warum sich Mädchen und Frauen weniger für<br />

Computerspiele interessieren als Jungen und Männer, steht in <strong>de</strong>n kulturwissenschaftlichen<br />

Studien eher das Potential zur Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n geschlechterdichotomen<br />

Blickkonstellation im Mittelpunkt: „Men look and women appear“, wobei die<br />

Studien häufig eher ambivalente Ergebnisse liefern. Aufgrund ihrer vielschichtigen<br />

Resultate erscheinen diese <strong>de</strong>konstruktivistischen Ansätze nicht leicht umsetzbar in<br />

Vorschläge zur „besseren“ Konstruktion <strong>de</strong>r Figuren. 219 Dennoch stellen diese<br />

218 Darüber hinaus fin<strong>de</strong>n sich vereinzelt auch psychologisch-kognitionswissenschaftliche<br />

Untersuchungen, die vom Umgang mit Avataren auf Menschen rückschließen. So ergab etwa die<br />

empirische Studie von Kleinsmith et al. 2006, dass Frauen die Emotionen, die durch die Körperhaltungen<br />

von 3D-Avatare ausgedrückt wur<strong>de</strong>n, besser erkannten als Männer. Die AutorInnen schließen daraus auf<br />

vergleichbare zweigeschlechtlich differenzierte Effekte beim Erkennen menschlichen Körperausdrucks.<br />

219 Jutta Weber und ich haben in Bezug auf „soziale Maschinen“ argumentiert, dass sich die<br />

Vielschichtigkeit, die kulturwissenschaftlichen und insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>konstruktivistischen Ansätzen<br />

zugrun<strong>de</strong> liegt, schwer in regelbasierte, <strong>de</strong>terministische Computersysteme übersetzen lassen, da<br />

informatische Artefakte eher mit einem regelhaften sozialen Verhalten kompatibel sind: „Every socially<br />

intelligent machine we can dream of is still based on rule-oriented behavior. Therefore it is rule-oriented<br />

social behavior that is at the core of theoretical approaches, concepts and practices of software agent<br />

researchers and roboticists. The kind of rule might differ in diverse strands of AI, but a standardization of<br />

human behavior is a precondition for every computer mo<strong>de</strong>l and software application“ (Weber/ Bath 2007,<br />

59).<br />

156


differenzierten Analysen insgesamt wichtige Argumentationshilfen dafür zur Verfügung,<br />

dass das Design <strong>de</strong>r Computerspielfiguren aus <strong>einer</strong> Geschlechterforschungsperspektive<br />

stärker reflektiert wer<strong>de</strong>n muss.<br />

In ihren Implikationen für die Informatik ein<strong>de</strong>utiger erscheinen <strong>de</strong>mgegenüber<br />

soziologisch bzw. psychologisch verankerte Studien zu Avataren, mit <strong>de</strong>nen sich<br />

NutzerInnen nicht nur in Multi-User-Spielen, son<strong>de</strong>rn auch in Zusammenarbeitsumgebungen<br />

verkörpern können. Valeska Lübke (2005) untersuchte beispielsweise Bil<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Kategorie Fantasie auf <strong>de</strong>r ältesten <strong>de</strong>utschen Website über Avatare,<br />

www.avatarpage.<strong>de</strong>, und stellt fest, dass die Figuren hinsichtlich ihrer grafischen<br />

Repräsentation vornehmlich Stereotype bedienen. So hätten über die Hälfte <strong>de</strong>r<br />

Männer repräsentieren<strong>de</strong>n Avatare eine Gesichtsbehaarung und wiesen eine ernste<br />

und kämpferische Mimik auf. Viele seien darüber hinaus mit Waffen o<strong>de</strong>r Werkzeugen<br />

ausgerüstet. Demgegenüber hätten mehr als 80% <strong>de</strong>r Frauen repräsentieren<strong>de</strong>n<br />

Avatare langes Haar, knapp die Hälfte trage tief ausgeschnittene Kleidung und sei<br />

stark geschminkt. Auch die Mimik <strong>de</strong>r Figuren sei zweigeschlechtlich geprägt. Die<br />

Mehrzahl <strong>de</strong>r Avatarfrauen blicke lächelnd, freundlich o<strong>de</strong>r lasziv. Zwar wer<strong>de</strong> eine<br />

nicht geringe Anzahl Frauen repräsentieren<strong>de</strong>r Avatare entgegen <strong>de</strong>n vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

Geschlechtserwartungen kämpferisch inszeniert, jedoch bedienten diese virtuellen<br />

Figuren an<strong>de</strong>re „weibliche“ Stereotype umso mehr (Lübke 2005, 77f). Avatarkörper<br />

müssten zwar – insbeson<strong>de</strong>re innerhalb <strong>de</strong>r Kategorie Fantasie – nicht notwendigerweise<br />

mit bestehen<strong>de</strong>n materiellen Körperlichkeiten korrespondieren, so könnten<br />

Frauen mit Brusthaaren, Muskeln und Lanzen ausgestattet wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Männer sich<br />

mit Brüsten, Klei<strong>de</strong>rn und langen Haaren präsentieren. Jedoch zeigt Lübkes<br />

Bildanalyse, dass sich die Konstruktion <strong>de</strong>r Avatare eher an vorherrschen<strong>de</strong>n Stereotypen<br />

orientiert, welche oft sogar noch überzeichnet wür<strong>de</strong>n.<br />

Während diese Untersuchung auf das Aussehen <strong>de</strong>r Avatare fokussiert, fragen<br />

an<strong>de</strong>re Studien danach, welches Avatargeschlecht Frauen und Männer als NutzerInnen<br />

wählen bzw. wie sie dieses gestalten. Demnach statteten sowohl Frauen wie auch<br />

Männer ihre Avatare in Spielszenarien mit „männlich“ kodiertem Anfor<strong>de</strong>rungsprofil<br />

vorwiegend mit maskulinen Eigenschaften und in solchen mit weiblichem Anfor<strong>de</strong>rungsprofil<br />

überwiegend mit femininen Eigenschaften aus (vgl. Trepte 2009) Dennoch<br />

wür<strong>de</strong>n sowohl Frauen wie auch Männer generell dazu tendieren, Avatare <strong>de</strong>r eigenen<br />

Genusgruppe zu wählen. Daraus schließen die AutorInnen, dass bei <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>s<br />

Avatars in <strong>de</strong>r Regel eine Mischstrategie verfolgt wer<strong>de</strong>, bei <strong>de</strong>r zwischen Anfor<strong>de</strong>rungsprofil<br />

<strong>de</strong>s Spiels und Anlehnung an die geschlechtliche Verortung <strong>de</strong>r NutzerIn<br />

abgewogen wer<strong>de</strong>. Weitere empirische Untersuchungen belegen ferner, dass sehr<br />

spezifische Repräsentationen <strong>de</strong>s Selbst bevorzugt wer<strong>de</strong>n und diese Muster je nach<br />

Kontext, Land und Kultur variieren. In <strong>einer</strong> Internet-basierten Flirtumgebung etwa<br />

wählten KroatInnen eher extrovertierte digitale Charaktere, die BritInnen dagegen introvertierte,<br />

während die Grenze zwischen introvertierten und extrovertierten StellvertreterInnen<br />

in Österreich entlang <strong>de</strong>r Geschlechtergrenzen verlief (vgl. Krenn/ Gstrein<br />

2006). Die NutzerInnen <strong>de</strong>r untersuchten Online-Flirtgemeinschaft inszenierten sich als<br />

„friends and family loving, home oriented females and two groups of males, the one<br />

group characterizes as friends and family loving, serious worker and good spouses<br />

(CRO, AUT), and the other one are impulsive, action and technical oriented individuals<br />

(UK).“ (ebd. 4).<br />

157


Diese konservative, <strong>de</strong>m vorherrschen<strong>de</strong>n System <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit<br />

konforme Repräsentation <strong>de</strong>s Selbst ist sicherlich <strong>de</strong>m speziellen Zweck <strong>de</strong>r<br />

Onlineumgebung, <strong>de</strong>m Flirten und Kennenlernen von PartnerInnen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Genusgruppe, geschul<strong>de</strong>t. Jedoch fin<strong>de</strong>t sich ebenso wenig in <strong>de</strong>r Interaktion mit<br />

virtuellen Menschen ein Durchbrechen vorherrschen<strong>de</strong>r Geschlechterarrangements<br />

und <strong>de</strong>r heterosexuellen Norm. So ermittelten De Angeli und Brahnam (2006), dass<br />

„weiblich“ kodierte Chatterbots fast doppelt so häufig auf sexuelle Themen angesprochen<br />

wer<strong>de</strong>n wie „männlich“ dargestellte Figuren, wobei erstere häufig aggressive<br />

Angebote bekämen, die bis an Vergewaltigungen grenzten und sexuelle Phantasien<br />

evozierten. Die Autorinnen werfen am En<strong>de</strong> die Frage auf, welchen Effekt die<br />

Stereotype, die <strong>de</strong>n virtuellen Menschen eingeschrieben seien, auf die Wahrnehmung<br />

realer Menschen haben wer<strong>de</strong>n: „would the increase in disinhibition extend to real<br />

women?“ (ebd., 4).<br />

Genau diese Frage verweist bereits auf Grenzen solcher aufs Empirische beschränkten<br />

Studien, welche die Problematik <strong>de</strong>r Übergänge zwischen Körperempfin<strong>de</strong>n<br />

(Leib) und Körperverständnissen <strong>einer</strong>seits und Körperrepräsentationen im Netz<br />

an<strong>de</strong>rerseits offen lassen. Um die Resultate <strong>de</strong>r Analysen vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>s in<br />

dieser Arbeit gewählten Ansatzes lesen zu können, bedürften sie sowohl <strong>einer</strong> klaren<br />

Kontextualisierung als auch <strong>einer</strong> tiefer gehen<strong>de</strong>n Theoretisierung. Zum einen sind die<br />

Rahmenbedingungen <strong>de</strong>r jeweiligen Studie genau klarzustellen (Wur<strong>de</strong> ein Abenteuerspiel<br />

untersucht, eine virtuelle Umgebung, in <strong>de</strong>r das primäre Ziel in Kommunikation<br />

und Kontakt besteht o<strong>de</strong>r geht es um eine professionelle Zusammenkunft im beruflichen<br />

Kontext, über die Geschäftliches geklärt wer<strong>de</strong>n soll? 220 Ist <strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>r<br />

Untersuchung eine pädagogische AgentIn, eine persönliche AssistentIn o<strong>de</strong>r eine<br />

MarketingberaterIn? In welchem kulturellen Kontext fand die Untersuchung statt? Wie<br />

war die Gruppe <strong>de</strong>r Testpersonen zusammengesetzt?) Zum zweiten ist darzulegen,<br />

welche Wahlmöglichkeiten die NutzerInnen bei <strong>de</strong>r Gestaltung ihres Avatars haben<br />

(Tritt ihnen ein „fertiger“ virtueller Mensch gegenüber, gibt es klar <strong>de</strong>finierte Spielcharaktere<br />

o<strong>de</strong>r eine Reihe vorgefertigter, digitaler StellvertreterInnen, die zur Auswahl<br />

stehen? Können diese modifiziert wer<strong>de</strong>n? Mit welchem Aufwand? O<strong>de</strong>r ist es möglich,<br />

mit selbst kreierten Figuren am Spiel teilzunehmen?). Ferner sind Fragestellungen und<br />

theoretische Grundlagen <strong>de</strong>r Untersuchung offen zu legen (Soll die mangeln<strong>de</strong><br />

Attraktivität eines Spiels/ von Computerspielen generell für Frauen nachgewiesen<br />

wer<strong>de</strong>n? Wird die Nutzung aus <strong>einer</strong> Perspektive <strong>de</strong>r <strong>de</strong>/konstruktivistischen<br />

Geschlechterforschung o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r von Geschlechterdifferenz 221 untersucht? Geht es<br />

primär um eine Analyse o<strong>de</strong>r um eine bessere – z.B. technische und grafische –<br />

Gestaltung <strong>de</strong>r Avatare? Und zu welchem Zweck? 222 Wird „Qualität“ dabei eher anhand<br />

220 Es ist anzunehmen, dass im beruflichen Kontext weitaus geschlechtsneutralere virtuelle Stellvertreter-<br />

Innen gewählt wer<strong>de</strong>n als im Kontext von Abenteuerspielen.<br />

221 Am Beispiel <strong>de</strong>r Hirnforschung wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n „publication bias“ (Dickersin/ Min 1993) hingewiesen,<br />

dass Resultate empirischer Studien, die signifikante Unterschie<strong>de</strong> zwischen Männern und Frauen belegen,<br />

nicht nur in populären Medien, son<strong>de</strong>rn auch in Fachzeitschriften eher veröffentlicht wer<strong>de</strong>n als solche, die<br />

auf einen Nicht-Unterschied, also eine Egalität hinweisen; vgl. dazu Nikoleyczik 2004, 139.<br />

222 Khan und De Angeli 2007 berichten etwa von <strong>einer</strong> Studie (Baylor 2004) über als „weiblich“ inszenierte<br />

AgentInnen, die Ingenieure darstellen und gleichzeitig sehr attraktiv und extrovertiert inszeniert sind. Der<br />

Autorin zufolge sollen diese das Interesse von Stu<strong>de</strong>ntInnen an <strong>de</strong>n Ingenieurwissenschaften signifikant<br />

gesteigert haben im Vergleich zu <strong>de</strong>r eher stereotypen Darstellung eines unansehnlichen und sehr<br />

158


kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse, empirischer Nutzungsstudien o<strong>de</strong>r<br />

feministischer bzw. zweigeschlechtlichkeits<strong>kritisch</strong>er Ziele festgemacht?)<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s Konzepts <strong>de</strong>r posthumanistischen Performativität von Geschlecht<br />

lässt sich die Kritik an <strong>de</strong>n Studien, die ihren Gegenstand objektivistisch verhan<strong>de</strong>ln, 223<br />

jedoch noch weiter treiben, gehen diese doch sowohl auf Seiten <strong>de</strong>r untersuchten<br />

Avatare als auch auf Seiten <strong>de</strong>r befragten NutzerInnen stets von <strong>einer</strong> klaren Zweigeschlechtlichkeit<br />

aus. 224 Mit <strong>de</strong>n in Kapitel 3 entwickelten theoretischen Grundlagen<br />

wäre dagegen zu fragen, wie Technik und Geschlecht „gemacht wer<strong>de</strong>n“ und diese<br />

Prozesse ineinan<strong>de</strong>r verzahnt sind, wie auch Clau<strong>de</strong> Drau<strong>de</strong> betont: „when it comes to<br />

gen<strong>de</strong>r and related issues within the field of ECA 225 <strong>de</strong>sign one way of addressing<br />

these is to ask for example how men in contrast to women <strong>de</strong>al with the agent – or<br />

which pre<strong>de</strong>termined gen<strong>de</strong>r or ethnicity the <strong>de</strong>signer should ascribe to the agent for<br />

best results […] Another way of approaching gen<strong>de</strong>r, however, is to look at the role of<br />

the productive character of gen<strong>de</strong>r and other categories play within <strong>de</strong>sign engineering<br />

processes themselves“ (Drau<strong>de</strong> 2006, o.S.). Es gilt somit zu fragen, welches (explizite<br />

o<strong>de</strong>r implizite) Wissen über Geschlecht und Körper in die Konstruktion <strong>de</strong>r<br />

informatischen Artefakte eingeht und auf welchen epistemologisch-ontologischen<br />

Prämissen die technische Gestaltung beruht.<br />

Im Bereich <strong>de</strong>r HCI und Informatik dominieren gemäß <strong>de</strong>r wissenschaftstheoretischen<br />

Grundhaltung eher quantitativ ausgerichtete Studien, die auf die Wahrnehmung<br />

und Akzeptanz ausgewählter Prototypen, Bil<strong>de</strong>r und Charaktere bei <strong>de</strong>n NutzerInnen<br />

fokussieren. Inspiriert von <strong>de</strong>r „Computer are social actors“-These wird dabei häufig<br />

davon ausgegangen, dass Menschen mit Computern umgehen, so als ob sie mit Menschen<br />

interagieren wür<strong>de</strong>n (vgl. Reeves/ Nass 1996, Nass et al. 1997). 226 Insbeson<strong>de</strong>re<br />

eine menschliche Gestalt auf <strong>de</strong>m Bildschirm trage dazu bei, dass NutzerInnen<br />

eine persönliche Beziehung zum technischen Artefakt aufzubauen vermögen (vgl. etwa<br />

Biocca 1997, Schroe<strong>de</strong>r 2002). Eine essentielle Frage dieser Forschungsrichtung ist,<br />

welche Merkmale, Eigenschaften und Darstellungen die Avatare glaubwürdig und<br />

überzeugend erscheinen lassen – sei es, um sie als Verkörperungen <strong>de</strong>r InteraktionspartnerInnen<br />

zu akzeptieren o<strong>de</strong>r ihnen als BeraterInnen im Marketing zu vertrauen<br />

bzw. von ihnen als TutorInnen im ELearning zum Lernen motiviert zu wer<strong>de</strong>n. Was<br />

verleiht <strong>de</strong>n virtuellen Figuren <strong>de</strong>n Anschein <strong>de</strong>r Lebendigkeit, Natürlichkeit und<br />

Menschlichkeit?<br />

In <strong>de</strong>r Forschung zu anthropomorphen Softwareagenten wird mittlerweile davon<br />

ausgegangen, dass die Kategorie Geschlecht – wie bei zwischenmenschlichen Interak-<br />

introvertierten virtuellen Nerds. Sie verfolgt damit offenbar ein an<strong>de</strong>res Ziel als die Glaubwürdigkeit <strong>de</strong>r<br />

Figur herzustellen.<br />

223 Dabei ist häufig zu beachten, dass diese Untersuchungen mit nur <strong>einer</strong> geringen Anzahl von<br />

Testpersonen durchgeführt wur<strong>de</strong>n, die noch dazu meist Studieren<strong>de</strong> <strong>de</strong>s entsprechen<strong>de</strong>n Faches sind,<br />

und damit nicht die suggerierte Repräsentativität erfüllen. Dies wird mittlerweile jedoch im Feld selbst<br />

bereits thematisiert, vgl. etwa Isbister/ Doyle 2004.<br />

224 Beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich wird dies etwa anhand <strong>de</strong>s Ergebnisses <strong>einer</strong> Studie, dass Männer als<br />

Testpersonen als „weiblich“ repräsentierte Avatare überzeugen<strong>de</strong>r fän<strong>de</strong>n und Frauen die als „männlich“<br />

repräsentierten virtuellen Figuren, vgl. Zanbaka et al. 2006.<br />

225 ECAs steht für „Embodied Conversational Agents“, die hier als anthropomorphe Softwareagenten<br />

bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Für eine Definition von ECAs vgl. etwa Cassell et al. 2000.<br />

226 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass <strong>de</strong>r betrachtete Forschungsstrang gera<strong>de</strong> nicht auf<br />

kultur- und medienwissenschaftliche Erkenntnisse rekurriert, die an eine geschlechtertheoretische<br />

Perspektive anschlussfähig wären, son<strong>de</strong>rn vielmehr auf die Psychologie und Kognitionswissenschaften.<br />

159


tion – auch in <strong>de</strong>r Interaktion zwischen Mensch und Computer und <strong>de</strong>r computervermittelten<br />

Kommunikation eine wesentliche Rolle spielt. Empirischen Untersuchungen<br />

zufolge seien virtuelle Menschen, <strong>de</strong>ren grafisches Erscheinungsbild stark<br />

vergeschlechtlicht ist, überzeugen<strong>de</strong>r als androgyne bzw. geschlechtslose Wesen,<br />

Tiere o<strong>de</strong>r Phantasiefiguren. „An avatar may only be perceived to be anthropomorphic<br />

if its gen<strong>de</strong>r is clearly indicated“ (Nowak/ Rauh 2005, o.S.). Mehr noch scheint die<br />

erkennbare Geschlechtlichkeit für die Attraktivität und Glaubwürdigkeit <strong>de</strong>r Figuren<br />

wichtiger als <strong>de</strong>ren Menschenähnlichkeit: „Previous research has implied that anthropomorphism<br />

would be the main predictor of credibility or attractiveness, but this was<br />

not the case in the present study. Avatars that were more anthropomorphic were<br />

perceived to be more attractive and credible, and people were most likely to choose to<br />

be represented by them. The strongest predictor, however, was the <strong>de</strong>gree of<br />

masculinity and feminity (lack of androgyny) of an avatar. Further, those images with<br />

strong gen<strong>de</strong>r indications (either more masculine or more feminine) were perceived as<br />

more anthropomorphic than images (human or not) without strong indications of<br />

gen<strong>de</strong>r“ (ebd., o.S.).<br />

Verschie<strong>de</strong>ne Studien <strong>de</strong>uten darauf hin, dass insbeson<strong>de</strong>re stereotype Geschlechtsrepräsentationen<br />

die künstliche Figur glaub- und vertrauenswürdiger machen,<br />

ihr mithin Menschlichkeit verleihen (Morena et al. 2002, Lee 2003, Kim et al. 2007).<br />

Dazu passt, dass als „weiblich“ inszenierte Figuren darin als effektiver gelten, Frustrationen<br />

bei <strong>de</strong>n NutzerInnen zu reduzieren (vgl. Hone 2006).<br />

Analysen anthropomorpher Softwareagenten zeigen ferner, dass die Designer <strong>de</strong>r<br />

Figuren hinsichtlich <strong>de</strong>r Überzeugungsfähigkeit unterschiedliche Meßlatten anlegen,<br />

<strong>de</strong>nn die „weiblich“ kodierten Agenten wer<strong>de</strong>n sehr viel häufiger photorealistisch<br />

dargestellt als ihre als „männlich“ dargestellteh Pendants (vgl. etwa Khan/ De Angeli<br />

2007). 227 Dies steht nur scheinbar im Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n Ergebnissen von<br />

Gustavsson 2005, die im letzten Abschnitt 4.2.4. dargestellt wur<strong>de</strong>n. Denn Gustavsson<br />

untersuchte primär kommerzielle Webseiten, bei <strong>de</strong>nen die virtuellen Menschen als<br />

DienstleisterInnen auftreten, während Khan und De Angeli auf wissenschaftliche<br />

Quellen und die dort entwickelten Prototypen fokussierten. Repräsentierten die<br />

fotounrealistischen Agentinnen eher die anonyme, unsichtbare Dienstleistungsarbeit,<br />

d.h. das gesellschaftliche Muster geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung, so lassen<br />

sich die fotorealistischen Darstellungen als Ausdruck eines allgemeinen sexistischen<br />

Frauenbilds lesen. Letzteres wird auch in Studien über Computerspiele belegt, in<br />

<strong>de</strong>nen Jugendliche, egal welchen Geschlechts, als Repräsentanten ihrer Selbst<br />

insbeson<strong>de</strong>re hypersexualisierte „weiblich“ inszenierte Avatare bevorzugten (vgl.<br />

Waern et al. 2005). Dass die Überzogenheit <strong>de</strong>r „weiblich“kodierten Körperdarstellung<br />

nicht infrage gestellt wird, spiegelt <strong>de</strong>n Autorinnen zufolge wi<strong>de</strong>r, dass hypersexualisierte<br />

Frauendarstellungen u.a. durch ihre Verbreitung im öffentlichen Raum, wie <strong>de</strong>r<br />

Werbung, zur vorherrschen<strong>de</strong>n Norm bei <strong>de</strong>r Repräsentation von Frauen gewor<strong>de</strong>n<br />

seien. Allgemeine Vorstellungen über stereotype Personen (z.B. die Tussi o<strong>de</strong>r die<br />

zugeknöpfte Lehrerin) prägten die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Figuren auf <strong>de</strong>m Bildschirm,<br />

227 Dabei unterschei<strong>de</strong>n Khan und De Angeli vier verschie<strong>de</strong>ne Gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Anthropomorphisierung: a) Cartoonzeichnungen,<br />

die z.T. zu karikaturistischen Darstellungen neigen b) 2-dimensionale Zeichnungen, c)<br />

3-dimensionale Repräsentationen und d) photorealistische Darstellungen, vgl. Khan/ De Angeli 2007, 150.<br />

160


<strong>de</strong>nen aufgrund ihres Aussehens und ihrer Kleidung oft eine entsprechen<strong>de</strong> stereotype<br />

Persönlichkeit zugeschrieben wer<strong>de</strong> (vgl. Larsson/ Nerén 2005).<br />

Sämtliche <strong>de</strong>r bis hierher rezipierten empirischen Untersuchungen belegen somit<br />

eine Fortsetzung vorherrschen<strong>de</strong>r geschlechtsstereotyper Muster auf <strong>de</strong>r Bildschirmoberfläche,<br />

die teilweise noch überzeichnet wer<strong>de</strong>n. Sie lassen sich jedoch im besten<br />

Falle als Rekonstruktionen <strong>de</strong>r Herstellung von Geschlecht lesen, nicht aber als<br />

Untersuchungen <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technik und Geschlecht, da von bereits<br />

vorgefertigten, feststehen<strong>de</strong>n technischen Artefakten ausgegangen wird.<br />

Als eine <strong>de</strong>r wenigen Ausnahmen geht Sara John (2006) über solche NutzerInnenstudien<br />

und Analysen <strong>de</strong>r äußerlichen Erscheinung von Avataren hinaus, in<strong>de</strong>m sie die<br />

übersexualisierten Figuren zurück zu ihrem Entstehungsort verfolgt. Anhand von Beobachtungsstudien<br />

in <strong>de</strong>r Spieleindustrie konnte sie aufzeigen, dass Entwickler in ihrem<br />

Bestreben, das beste Abenteuerspiel zu entwickeln, Männer repräsentieren<strong>de</strong> Charaktere<br />

anatomisch korrekt gestalteten (im Gegensatz zu einem Superhel<strong>de</strong>n-Design) und<br />

darüber im Team Einstimmigkeit bestand, während sich über die Darstellung <strong>de</strong>r<br />

einzigen eine Frau repräsentieren<strong>de</strong>n Figur ein Disput entspann. Die Figur sollte<br />

attraktiv und sexy sein, jedoch entsprach k<strong>einer</strong> <strong>de</strong>r realistisch gezeichneten Entwürfe<br />

diesem Anspruch <strong>de</strong>r Entwickler. Am En<strong>de</strong> fand <strong>de</strong>r Grafik<strong>de</strong>signer zwar einen<br />

„character that looked tremendously good“ (John 2006, o.S.). Nichts<strong>de</strong>stotrotz seien<br />

ihre Beine verlängert und verzerrt, d.h. anatomisch inkorrekt dargestellt wor<strong>de</strong>n, um die<br />

Figur – so John – letztendlich an männliche Phantasien und <strong>de</strong>n implizit als männlich,<br />

weiß und heterosexuell imaginierten Nutzer anzupassen.<br />

Angesichts möglicher Rückwirkungen solcher Darstellungen auf das eigene<br />

Körperverständnis und die Körperwahrnehmung, die in <strong>de</strong>r heutigen Zeit nicht<br />

unabhängig von <strong>de</strong>n Versprechen <strong>de</strong>r chirurgischen Schönheitsindustrie gesehen<br />

wer<strong>de</strong>n können (vgl. etwa Es<strong>de</strong>rs 2003, 196), erscheint eine <strong>kritisch</strong>e feministische<br />

Intervention in die gängigen Praktiken technischer Konstruktion virtueller Verkörperungen<br />

dringend notwendig. Einige <strong>de</strong>r referierten Studien schlagen <strong>de</strong>shalb vor, eine<br />

Vielfalt von Körpermo<strong>de</strong>llen zur Selbstrepräsentation anzubieten sei: „<strong>de</strong>signers should<br />

continue to provi<strong>de</strong> a variety of choices. This would not only increase user satisfaction,<br />

but also could provi<strong>de</strong> useful information about people in online interactions. Finally,<br />

providing minorities, such as Hispanic and African American, choices of avatars that<br />

match their ethnicity or race make them feel more comfortable and may also help to<br />

prevent marginalizing minorities and other disenfranchised groups in online<br />

environments by making them obvious, visible participants“ (Nowak/ Rauh 2005, o.S.).<br />

An<strong>de</strong>re Empfehlungen an die DesignerInnen richten sich gegen die übersexualisierten<br />

Figuren und regen statt<strong>de</strong>ssen zu <strong>einer</strong> geschlechtsneutraleren Darstellung an. 228<br />

Solche Vorschläge erscheinen zunächst als ein guter Ausgangspunkt für ein alternatives<br />

Design, das auf ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r Artefakte zielt. Allerdings gehen sie<br />

ebenfalls von einem fertigen technischen Produkt aus statt vom Herstellungsprozess<br />

und beschränken sich auf die äußerliche Gestalt. Nicht berücksichtigt wer<strong>de</strong>n dabei<br />

performative Aspekte <strong>de</strong>r Avatare, die über die sprachliche (i.d.R. textbasierte)<br />

Interaktion mit <strong>de</strong>n Figuren Geschlecht herzustellen vermögen. Auf dieser Folie rückt<br />

228 Beispielsweise empfehlen Heike Wiesner et al. 2004a, b in ihrem Leitfa<strong>de</strong>n zum Gen<strong>de</strong>rmainstreaming<br />

in ELearning-Umgebungen, virtuelle AssistentInnen, Avatare und Comicfiguren zweigeschlechtlich ausgewogen<br />

zu repräsentieren und geschlechtsneutrale Figuren zu wählen.<br />

161


Lübke im Vergleich zu <strong>de</strong>n plakativen Beispielen <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Körpers durch<br />

die plastische Chirurgie weniger spektakuläre, womöglich jedoch tiefer gehen<strong>de</strong><br />

Wirkungen von Avataren auf das Körperempfin<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Blick. Sie argumentiert, dass<br />

bereits die textbasierte Kommunikation im Internet Effekte auf <strong>de</strong>r leiblich-sinnlichen<br />

Ebene hätte: „Virtuelle Erfahrungen wirken auf gelebte Körper: sie beeinflussen die<br />

Körperoberflächengestaltung und berühren die leiblich-affektive Körperebene. […] In<br />

<strong>de</strong>m Moment, in <strong>de</strong>m ‚Daten‘ in <strong>de</strong>r leiblich-subjektiven Körperdimension Platz fin<strong>de</strong>n,<br />

in <strong>de</strong>m Moment sind sie auch sinnlich erfahrbar und lassen die Grenzen zwischen<br />

Virtualität und Realität fragwürdig erscheinen.“ (Lübke 2005, 80)<br />

Angesichts dieser Erkenntnisse, die durch die (feministische) kultur- und medienwissenschaftliche<br />

Forschung gestützt wer<strong>de</strong>n, 229 stellt sich zum einen die Frage, ob<br />

Leitfä<strong>de</strong>n mit einfachen Regeln, wie Technologien gestaltet wer<strong>de</strong>n sollten, genügen,<br />

um aus <strong>einer</strong> Geschlechterforschungsperspektive unerwünschte Effekte auf das Erleben<br />

– im virtuellen wie im realen Raum – zu vermei<strong>de</strong>n. 230 Zum zweiten bleibt offen,<br />

inwiefern durch die virtuelle Verkörperung nicht nur eine Zementierung <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n<br />

strukturell-symbolischen Geschlechterordnung stattfin<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn ein Aufbrechen<br />

zweigeschlechtlicher Muster möglich wird.<br />

Lübkes Analyse textbasierter und verkörperter Kommunikation geht insgesamt von<br />

<strong>de</strong>n frühen, euphorischen feministischen Debatten um das Internet aus, in <strong>de</strong>nen das<br />

neue Medium als ein Experimentierraum und „Laboratorium für I<strong>de</strong>ntitätskonstruktionen“<br />

gefeiert wur<strong>de</strong> (vgl. hierzu auch Kapitel 2.2.). Denn schon lange bevor verkörperte<br />

Repräsentationen <strong>de</strong>r NutzerInnen technisch möglich waren, hatte Amy Bruckman das<br />

Internet, insbeson<strong>de</strong>re textbasierte Chats und MUDs, 231 als eine „I<strong>de</strong>ntitätswerkstatt“<br />

beschrieben, in <strong>de</strong>m das Erproben neuer sozialer Rollen möglich gewor<strong>de</strong>n ist (vgl.<br />

Bruckman 1992). Dieses Spiel mit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität hat auch vor <strong>de</strong>n ansonsten streng<br />

gehüteten Geschlechtergrenzen nicht halt gemacht, wie die Option <strong>de</strong>s virtuellen<br />

Gen<strong>de</strong>r-Swappings bzw. Gen<strong>de</strong>r-Bendings, <strong>de</strong>m Auftreten im Netz mit <strong>einer</strong> neuen<br />

geschlechtlichen o<strong>de</strong>r sexuellen I<strong>de</strong>ntität, belegt. Mitte <strong>de</strong>r 1990er Jahre griffen<br />

Feministinnen diese Verheißungen auf. Seither wur<strong>de</strong> das Internet immer wie<strong>de</strong>r als<br />

ein i<strong>de</strong>aler Raum beschworen, in <strong>de</strong>m überkommene Geschlechts- und Sexualitätskonzeptionen<br />

endgültig überwun<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Körper wie auch Geschlechtlichkeit reinszeniert<br />

wer<strong>de</strong>n könne (vgl. Bruckman 1993, Reid 1994, Stone 1995). Mit <strong>de</strong>m<br />

Aufkommen digitaler Verkörperung, welche die textbasierte Kommunikation um eine<br />

non-verbale Ebene <strong>de</strong>r Interaktion ergänzt, stellt sich – wie auch Lübke im Einklang mit<br />

<strong>de</strong>m hier gewählten performativen Ansatz betont – die Frage, ob hier eine „Welt nach<br />

<strong>de</strong>n Geschlechtern“ entsteht, neu. „Die ‚digitalen Sprecher‘ bieten sich […] an, subversiv<br />

die alltagstheoretischen Grundannahmen <strong>einer</strong> bipolar, heterosexuell organisierten<br />

Geschlechterwelt in Frage zu stellen. Als Neuschaffungen jenseits <strong>de</strong>r Kategorie<br />

Mensch, könnten sie als frei von irdischen Geschlechterkonstruktionen und<br />

Körperkonzepten konstruiert wer<strong>de</strong>n. Legt man die Butlerschen Annahmen zu Grun<strong>de</strong>,<br />

besitzen konversationsfähige Avatare das Potential, Repetitionen zu variieren und<br />

229<br />

Vgl. etwa Stone 1991, Featherstone/ Burrows 1995, Esposito 2003.<br />

230<br />

Diese Frage wird im nächsten Kapitel 5 über die Möglichkeiten <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring wie<strong>de</strong>r ausgegriffen<br />

und ausführlicher diskutiert.<br />

231<br />

MUDs= Multi User Dungeons (o<strong>de</strong>r Domains) sind Rollenspiele, die auf einem zentralen Server laufen<br />

und über das Internet vermittelt von mehreren Anwen<strong>de</strong>rInnen gleichzeitig gespielt wer<strong>de</strong>n können.<br />

162


normative Geschlechterrituale aufzubrechen, weil sie, so <strong>de</strong>nn es ihre Programmierung<br />

erlaubt, ihr ‚Innen‘ nicht auf ihre ‚Erscheinung’ anpassen müssen“ (Lübke 2005, 180).<br />

Lübke hat nicht nur das Aussehen verkörperter Chatbots genauer untersucht,<br />

son<strong>de</strong>rn ihr interaktives Gesprächsverhalten aus <strong>einer</strong> Geschlechtsperspektive empirisch<br />

qualitativ überprüft. Dabei wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass die Charaktere stark vergeschlechtlichte<br />

Interaktionsmuster zeigen. Der „männlich“ inszenierte Agent begegnete<br />

Frauen sehr freundlich, ebenso wie sein Flirtverhalten vorherrschen<strong>de</strong>n Stereotypen<br />

über Männer entsprach. Dagegen verhielt er sich Männern gegenüber eher<br />

kumpelhaft. Während er auf das Thema Homosexualität „politisch korrekt“ reagierte,<br />

kam in seinen anzüglichen Witzen, die sich vornehmlich auf Frauen bezogen, ein<br />

Sexismus zum Ausdruck, <strong>de</strong>r längst überholt geglaubte Klischees wie<strong>de</strong>r aufleben ließ.<br />

Die „weiblich“ inszenierte Agentin dagegen war mit Ermunterungsfloskeln,<br />

Hilfsangeboten, Selbstherabsetzungen und Abschwächungen (z.B. „ich glaube“), <strong>de</strong>r<br />

Verwendung <strong>de</strong>s Konjunktivs sowie fragen<strong>de</strong>n Gesprächseröffnungen ein „typisch<br />

weiblicher“ Sprachstil einprogrammiert. Sie errötet, zeigt Emotionen und verweigert die<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit sexuell bela<strong>de</strong>nen Themen. Im Vergleich zum „männlichen“<br />

Chatbot, <strong>de</strong>r humorvoll auf Beschimpfungen reagierte, setzte sie sich we<strong>de</strong>r zur Wehr,<br />

noch leitete sie Ausweichmanöver ein, wenn sie mit Vulgärausdrücken attackiert<br />

wur<strong>de</strong>. Ihre Hintergrundgeschichte zeichnet darüber hinaus aufgrund <strong>de</strong>r Zufrie<strong>de</strong>nheit<br />

mit ihren Rollen als Partnerin und Mutter ein Bild heiler Familienwelt, womit sie Lübke<br />

zufolge eine Persönlichkeit verkörpert, die Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse<br />

beim Gegenüber weckt (ebd., 197). Die einzige Irritation in Bezug auf vorherrschen<strong>de</strong><br />

Glaubensvorstellungen bestün<strong>de</strong> darin, dass sie 24 Stun<strong>de</strong>n am Tag arbeitet und die<br />

Erziehungsarbeit ihrem Mann überließ. Ihre Repräsentation ergänze die bereits<br />

an<strong>de</strong>rorts i<strong>de</strong>ntifizierten Weiblichkeitsmuster <strong>de</strong>s „unnatürlichen Supermo<strong>de</strong>lls“ und <strong>de</strong>r<br />

„Business-Frau“ (vgl. Bath 2001a) um ein weiteres für virtuelle Frauen typisches: <strong>de</strong>n<br />

„unscheinbaren Charakter“ (Lübke 2005, 214). 232<br />

Die bei<strong>de</strong>n untersuchten AgentInnen entsprechen in ihrem „doing gen<strong>de</strong>r“ somit<br />

zwar nicht überzogenen, wohl aber allgemein vorherrschen<strong>de</strong>n Geschlechtervorstellungen.<br />

Lübke arbeitet ferner heraus, dass die Figuren zugleich menschlich erscheinen<br />

und I<strong>de</strong>ntifikationspotentiale für die NutzerInnen bieten. Die Menschlichkeit <strong>de</strong>s „weiblich“<br />

inszenierten Charakters wer<strong>de</strong> durch ihren Familienbezug unterstützt, während<br />

die „männlich“ inszenierte Figur von <strong>einer</strong> gescheiterten Beziehung und s<strong>einer</strong><br />

Einsamkeit berichtete und gera<strong>de</strong> durch offen gelegte Schwächen Sympathie hervorrufe.<br />

Ferner sei <strong>de</strong>m Interaktionsverhalten <strong>de</strong>s virtuellen Mannes (namens Leo) eine<br />

Orientierung an Erwartungs-Erwartungen einprogrammiert, die <strong>de</strong>n Anschein, mit<br />

einem menschlichen Gegenüber zu kommunizieren, verstärkt: „Leo erwartet, dass <strong>de</strong>r<br />

User/ die Userin erwartet, dass Leo erwartet, dass er sein Verhalten vom Verhalten<br />

<strong>de</strong>s Users/ <strong>de</strong>r Userin abhängig macht. Es zeigt sich, dass die Grenzen zwischen<br />

menschlicher Kommunikation und Mensch-Maschine-Kommunikation fließend wer<strong>de</strong>n.“<br />

(Lübke 2005, 207). Die Autorin schließt daraus, dass <strong>de</strong>n anthropomorphen<br />

232 Bemerkenswert, wenngleich nicht erstaunlich erscheint ferner, dass sich <strong>de</strong>r äußerlich geschlechtsneutrale<br />

Charakter, <strong>de</strong>r als Computer dargestellt wur<strong>de</strong>, bei genauerer Betrachtung als „typisch männlich“ erwies.<br />

Er zeigte ein sehr selbstsicheres und dominantes Verhalten. Sein Sprachregister verweist auf einen<br />

machtorientierten und kompetitiven Sprachstil. Lübke wertet dies als einen Beleg für die „Männlichkeit“ <strong>de</strong>s<br />

Computers, vgl. Lübke 2005, 216.<br />

163


Softwareagenten aus <strong>einer</strong> soziologischen Sicht ein zumin<strong>de</strong>st „episodischer<br />

Akteursstatus“ zuzusprechen ist. 233<br />

Sie hält in Bezug auf die Grenzüberschreitungen fest, dass die Übergänge zwischen<br />

Mensch und Maschine zunehmend verschwimmen. Künstliche Menschen wür<strong>de</strong>n<br />

offenbar nicht als eine Bedrohung wahrgenommen, son<strong>de</strong>rn könnten vielmehr als ein<br />

Indiz dafür gewertet wer<strong>de</strong>n, dass die Verwischung <strong>de</strong>r Grenze zwischen Mensch und<br />

Maschine, Natur und Kultur eine akzeptable ist (vgl. ebd., 223). Demgegenüber wer<strong>de</strong><br />

die Grenze zwischen „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ von <strong>de</strong>n technischen Artefakten<br />

streng überwacht – und das, obwohl im virtuellen Raum prinzipiell Geschlechterkonzeptionen<br />

jenseits <strong>de</strong>r alltagstheoretischen Vorstellungen möglich wären. 234 Die Realität<br />

<strong>de</strong>r im Netz verfügbaren Avatare zeigt allerdings – wie Lübkes Analyse und die ihrer<br />

KollegInnen ver<strong>de</strong>utlichten – alles an<strong>de</strong>re als Hoffnungen auf eine „Post-gen<strong>de</strong>r-Welt“<br />

an. 235 Mit <strong>de</strong>r Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Maschine wer<strong>de</strong>n we<strong>de</strong>r<br />

vorherrschen<strong>de</strong> Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“, noch das Zweigeschlechtlichkeitsmo<strong>de</strong>ll<br />

an sich in Frage gestellt. 236 Bis hierher lässt sich somit<br />

insgesamt festhalten, dass Geschlecht nicht nur – wie in anfangs in diesem Kapitel 4.2.<br />

ver<strong>de</strong>utlicht wur<strong>de</strong> – vermittelt über Strukturen gesellschaftlicher Arbeitsteilung und<br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Kompetenzzuschreibung in informatische Artefakte<br />

eingeschrieben, son<strong>de</strong>rn zugleich explizit als Geschlechtskörper in informatischen<br />

Artefakten repräsentiert wird. Wie am Beispiel von Avataren, Spielfiguren und<br />

künstlichen Menschen aufgezeigt, kann es auch direkt in Form von Annahmen über<br />

das Aussehen von Frauen und Männern sowie über ihr typisches Verhalten<br />

reproduziert wer<strong>de</strong>n.<br />

An dieser Stelle ist ausgehend vom Konzept <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung von Technik<br />

und Geschlecht weiter zu fragen, auf welchen Konzeptionen von Menschlichkeit die<br />

Artefakte basieren, wie diese entstehen und dabei mit <strong>de</strong>r Kategorie Geschlecht<br />

verschränkt wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re aus <strong>einer</strong> Perspektive, die auf ein De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

von Technologien zielt, erscheint „a closer look at the productive character of gen<strong>de</strong>r<br />

itself before one applies it to the construction of technological artefacts“ (Drau<strong>de</strong> 2006,<br />

o.S.) unabdingbar. Solche Analysen erscheinen, wie Drau<strong>de</strong> weiter betont, höchst<br />

relevant vor <strong>de</strong>m Hintergrund, dass I<strong>de</strong>ntität in und durch Technologien konstruiert<br />

wird: „On the one hand, technology incorporates up to date un<strong>de</strong>rstandings of what is<br />

regar<strong>de</strong>d as human, of how social interactions are established and how communities<br />

233 Zur Diskussion <strong>de</strong>r Handlungsfähigkeit von technischen Artefakten vgl. Latour 1998 [1991], 2002<br />

[1999], Rammert/ Schulz-Schaeffer 2002a sowie die Ausführungen in <strong>de</strong>n Abschnitten 3.3 bis 3.6 und die<br />

dort angegebene Literatur.<br />

234 Beispielsweise hatte ich in Bath 2001a vorgeschlagen, Avatare zu konstruieren, die ihre Zugehörigkeit<br />

zu <strong>einer</strong> Genusgruppe während <strong>de</strong>r Interaktion wechseln (ggf. auch häufiger) o<strong>de</strong>r unterschiedliche<br />

Geschlechtsmarkierungen miteinan<strong>de</strong>r kombinieren (z.B. ein weiblicher Körper mit Bart und tiefer<br />

Stimme).<br />

235 Veronika Eisenrie<strong>de</strong>r 2003 kommt in ihrer empirischen Untersuchung <strong>de</strong>s Habitats WorldsAway zu<br />

einem ähnlichen Ergebnis, allerdings vor <strong>de</strong>m Hintergrund eines weniger elaborierten Bezugs auf<br />

Gen<strong>de</strong>rtheorien und die Mensch-Maschine-Grenzziehungen.<br />

236 Interessant erscheint, dass in manchen virtuellen Welten stärker an vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

Geschlechterkonstruktionen festgehalten wird als an <strong>de</strong>r heterosexuellen Norm, wie eine Studie über das<br />

Computerspiel The Sims belegt: „[The analysis] of the game has shown that it goes far beyond charges of<br />

‚widow dressing‘ that are often ma<strong>de</strong> in mainstream media’s treatment of gays, lesbians, and bisexuals<br />

[…] Avatar creation, while fixing gen<strong>de</strong>r and skin sha<strong>de</strong>, leaves sexuality untouched and therefore<br />

unmarked.“ (Consalvo 2003, 33), Die Autorin schließt daraus, dass in The Sims eine queere Welt<br />

entworfen wird: „Sexual orientation in The Sims is set adrift – <strong>de</strong>tached from i<strong>de</strong>ntity or essence – it is<br />

something one does rather than what one is“ (ebd., 34).<br />

164


work – on the other hand, technology itself influences these un<strong>de</strong>rstandings since it<br />

incorporates certain choices that have been favored over others.“ (ebd., o.S.) Demnach<br />

wäre <strong>de</strong>tailliert zu untersuchen, welche Konzepte von Interaktion, Kommunikation,<br />

Sozialität und Geschlecht <strong>de</strong>n virtuellen Verkörperungen eingeschrieben sind, wie<br />

diese bislang menschlichen Fähigkeiten mo<strong>de</strong>lliert und formalisiert wer<strong>de</strong>n und auf<br />

welchen wissenschaftstheoretischen Annahmen die technologische Gestaltung beruht.<br />

Ein solcher Zugang verweist praktisch-empirisch auf ethnografische Untersuchungen<br />

<strong>de</strong>s Forschungsfelds anthropomorpher Softwareagenten und theoretisch auf Fragen<br />

<strong>de</strong>r Epistemologie und Ontologie. Bisher haben jedoch erst wenige Studien versucht,<br />

solche <strong>de</strong>r Technologie eingeschriebenen (impliziten o<strong>de</strong>r expliziten) Konzepte an <strong>de</strong>n<br />

Ort ihrer Herstellung zurückzuverfolgen, so wie das John (2006) am Beispiel <strong>de</strong>r<br />

grafischen Verkörperung „weiblich“ inszenierter Figuren in Computerspielen vorgeführt<br />

hat. 237 Über die Avatare und Softwareagenten hinausgehend wird im nächsten<br />

Abschnitt 4.3 diskutiert, auf welche Weise und wie eng Abstraktion, Klassifizierung und<br />

Formalisierung mit <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r Geschlechter bei <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte verknüpft sind. Im Zuge <strong>de</strong>ssen wird auch die Diskussion über die<br />

Verkörperung, Sozialität und Menschenähnlichkeit <strong>de</strong>r Maschinen auf <strong>de</strong>r Basis<br />

feministischer Theorie und Erkenntnispolitik weiter geführt. 238<br />

4.3. Klassifizieren, Abstrahieren und Formalisieren: (Geschlechter-)Politik<br />

und Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen<br />

„The computer scientist’s world is a world of nothing but abstractions“<br />

(Colburn 2004, 322)<br />

Die Frage <strong>de</strong>r Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, die im letzten Abschnitt in Bezug auf<br />

Tätigkeiten diskutiert wur<strong>de</strong>, die primär von Frauen ausgeübt und diesen<br />

zugeschrieben wer<strong>de</strong>n, wird in diesem Abschnitt wie<strong>de</strong>r aufgenommen. Im Zentrum<br />

steht dabei jedoch nicht primär die Diskussion von (Arbeits-)Handlungen, die<br />

formalisiert wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn von Un-/Sichtbarkeiten bei <strong>de</strong>r Repräsentation von<br />

Wissen und <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s Formalisierens selbst. Nachfolgend wer<strong>de</strong>n Wissensrepräsentationen,<br />

Informationssysteme und das Wissen um das Formalisieren in <strong>de</strong>r<br />

Informatik auf jeweilige Prämissen hin untersucht. Mithin wer<strong>de</strong>n das Formale und<br />

<strong>de</strong>ssen Gebrauch sowie die Prozesse und die Subjekte <strong>de</strong>r Formalisierung ins<br />

Zentrum <strong>de</strong>r feministischen wissenschafts- und gesellschaftstheoretischen Kritik<br />

gestellt. Es wird damit eine weitere wesentliche Dimension <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte beschrieben.<br />

Die Informatik lässt sich als eine Disziplin verstehen, die sich primär mit Abstraktion,<br />

Klassifikation und Formalisierung befasst. Statische und dynamische Strukturen eines<br />

237 Ausnahmen hierzu im <strong>de</strong>utschsprachigen Raum bil<strong>de</strong>n das Dissertationsprojekt von Clau<strong>de</strong> Drau<strong>de</strong><br />

sowie das Forschungsprojekt „Sozialität mit Maschinen. Anthropomorphisierung und Vergeschlechtlichung<br />

in aktueller Agenten- und Robotikforschung“ am Institut für Wissenschaftstheorie <strong>de</strong>r Universität Wien, das<br />

2004-2006 von österreichischen Bun<strong>de</strong>sministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>.<br />

238 Siehe hierzu etwa Bath 2006a, wo ich verschie<strong>de</strong>ne Konzepte herausgearbeitet hatte, wie Sozialität mit<br />

Maschinen in <strong>de</strong>r „sozialen“ Softwareagentenforschung und Robotik verstan<strong>de</strong>n, formalisiert und in<br />

virtuellen Menschen bzw. sozialen Robotern simuliert wird.<br />

165


Anwendungsbereichs wer<strong>de</strong>n zunächst i<strong>de</strong>ntifiziert und explizit beschrieben sowie<br />

mo<strong>de</strong>lliert, um Prozesse durch Software unterstützen o<strong>de</strong>r sie automatisieren zu<br />

können. Diese Vorstellung <strong>informatischer</strong> Vorgehensweisen spiegelt sich in <strong>de</strong>r Lehre<br />

an Informatik-Fachbereichen <strong>de</strong>r Universitäten wi<strong>de</strong>r: „One of the main things computer<br />

science stu<strong>de</strong>nts are taught is to see structures and to discern recurrent structures in<br />

various areas – to see the same in the diverse. They are trained in abstraction and<br />

formal <strong>de</strong>scription“ (Maaß/ Rommes 2007, 97f, Hervorhebung C.B.). InformatikerInnen<br />

seien dadurch beson<strong>de</strong>rs geübt und effizient darin, Ähnlichkeiten zu erkennen und das<br />

zu übersehen, was an <strong>de</strong>m betrachteten Fall das Beson<strong>de</strong>re sein könnte.<br />

Die Komplexität realweltlicher Probleme soll mit Hilfe ein<strong>de</strong>utiger Formalismen<br />

gemeistert wer<strong>de</strong>n. Crutzen versteht dies als die dominante Grundhaltung in <strong>de</strong>r<br />

Softwaretechnik, die einen zentralen Bereich <strong>de</strong>r Informatik darstellt. Software-<br />

IngenieurInnen versuchten, „die Kompliziertheit <strong>de</strong>r realen Welt und die Mehr<strong>de</strong>utigkeit<br />

zu überwin<strong>de</strong>n (kolonisieren). ‚Abstrahieren‘, ein Fundament vieler Mo<strong>de</strong>lliermetho<strong>de</strong>n<br />

wie Generalisierung, Klassifizierung, Spezialisierung, Teilung und Trennung (zwecks<br />

Strukturierung), wird als unvermeidbar gesehen, um dynamische Weltprozesse in<br />

bereitgelegten Mo<strong>de</strong>llierungsstrukturen abzubil<strong>de</strong>n und diese in das Han<strong>de</strong>ln zu<br />

transformieren. ICT-Professionals entwerfen nicht, son<strong>de</strong>rn verwen<strong>de</strong>n stabilisierte<br />

Metho<strong>de</strong>n und Theorien.“ (Crutzen 2007, 40). InformatikerInnen formalisieren <strong>de</strong>mnach<br />

nicht nur „Realweltliches“, um Software zu konstruieren, son<strong>de</strong>rn zugleich <strong>de</strong>n Prozess<br />

dieser Mo<strong>de</strong>llierungen. Die Softwaretechnik zielt darauf, Vorgehensweisen bei <strong>de</strong>r<br />

informatischen Formalisierung und Gestaltung selbst in formalen Mo<strong>de</strong>llen zu<br />

spezifizieren.<br />

KritikerInnen <strong>de</strong>s Formalen machen <strong>de</strong>mgegenüber seit vielen Deka<strong>de</strong>n auf die<br />

Kontingenzen und die Situiertheit realweltlicher Probleme aufmerksam. Darauf verweisen<br />

insbeson<strong>de</strong>re Diskussionen um die Künstliche Intelligenz-Forschung, in <strong>de</strong>r<br />

Wissen, menschliches Denken und Han<strong>de</strong>ln zum Gegenstand <strong>de</strong>r Formalisierung<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n. Neuere Richtungen <strong>de</strong>r KI reagieren auf diese primär von philosophischer<br />

Seite erhobenen Einwän<strong>de</strong> und versuchen zunehmend, das Zufällige, Situierte<br />

o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rweitig bisher als nicht formalisierbar Gelten<strong>de</strong> zu beschreiben und zu simulieren.<br />

Abstraktion, Klassifizierung und Formalisierung sind somit innerhalb <strong>de</strong>r Informatik<br />

sowohl in <strong>de</strong>r Softwaretechnik als auch in <strong>de</strong>r KI zentral, wobei das eine Gebiet<br />

auf die formale Repräsentation von Tätigkeiten und Strukturen eines Gegenstandsbereichs<br />

und von Vorgehensweisen bei <strong>de</strong>r Erstellung von Software zielt, während das<br />

an<strong>de</strong>re versucht, wissenschaftliches und allgemeines Wissen, menschliche Eigenschaften,<br />

Denkweisen und Handlungen formal darzustellen. Die Problematiken und<br />

Grenzen dieser Prozesse wer<strong>de</strong>n zum Teil auch innerhalb <strong>de</strong>r Disziplin umstritten<br />

diskutiert. Viele <strong>de</strong>r konträren Positionen in diesen Debatten lassen sich zumeist grob<br />

auf eine <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Theorielinien zurückführen.<br />

Historisch betrachtet ist das Formale in <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne zunächst als etwas Positives<br />

verstan<strong>de</strong>n und ihr emanzipatorisches Potential herausgestellt wor<strong>de</strong>n. Die Klarheit<br />

und Deutlichkeit, Rationalität und Effizienz formaler Repräsentation – so das seit <strong>de</strong>r<br />

Aufklärung vorherrschen<strong>de</strong> Versprechen, das zugleich Wissenschaft, Technologie und<br />

das Formale selbst zu legitimieren versucht – könne von unbewussten Beschränkungen<br />

und <strong>de</strong>r Herrschaft all <strong>de</strong>ssen befreien, was einstmals als natürlich,<br />

selbstverständlich o<strong>de</strong>r (gott-)gegeben galt. Demgegenüber kritisierten VertreterInnen<br />

166


postmo<strong>de</strong>rnen Denkens das Formale eher als Beschränken<strong>de</strong>s. Formale<br />

Repräsentationen konstituierten Subjekte, in<strong>de</strong>m sie ihnen bestimmte Denk- und<br />

Handlungsweisen aufzwingen. Insofern sei Formalisierung ein Akt <strong>de</strong>r Gewalt.<br />

Mo<strong>de</strong>rate Versionen dieser Denkrichtung wiesen auf Wi<strong>de</strong>rsprüche zwischen <strong>de</strong>m<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r Formalisierung und s<strong>einer</strong> Repräsentation hin und machten auf<br />

Grenzen <strong>de</strong>r Formalisierbarkeit aufmerksam. Im Folgen<strong>de</strong>n wird diskutiert, wie diese<br />

Argumentationen seit <strong>de</strong>n 1980er Jahren von <strong>kritisch</strong>en InformatikerInnen und<br />

sozialwissenschaftlichen TechnikforscherInnen aufgenommen und in Bezug auf<br />

Informatik, Computer- und Informationssysteme ausgeführt wur<strong>de</strong>n.<br />

Frühe SkeptikerInnen beriefen sich gegenüber <strong>de</strong>m Formalen auf mathematische<br />

Theorien, die das formalistische Programm und <strong>de</strong>ssen Allgemeingültigkeit in Grenzen<br />

verwiesen (vgl. etwa Star 1991a). Der Logiker Kurt Gö<strong>de</strong>l hatte bereits 1936 gezeigt,<br />

dass eine vollständige, wi<strong>de</strong>rspruchsfreie Formalisierung eines Gegenstandsbereiches,<br />

<strong>de</strong>r die Theorie <strong>de</strong>r natürlichen Zahlen umfasst, prinzipiell nicht möglich sei. Genauer<br />

bewies er diese Unmöglichkeit mit mathematischen Mitteln. Wenn jedoch nicht einmal<br />

die natürlichen Zahlen formalisierbar sind, dann <strong>de</strong>utet dies darauf, dass auch viele<br />

weitere Bereiche <strong>einer</strong> formalen Repräsentation nicht zugänglich sind.<br />

Einen Beleg für das formal Nichtrepräsentierbare sah <strong>de</strong>r Philosoph und<br />

Phänomenologe Hubert Dreyfus (1972, 1992) im „knowing how“ (prozedurales<br />

Wissen), das er vom „knowing that“ (<strong>de</strong>klaratives Wissen) unterschied und damit die<br />

Differenz verschie<strong>de</strong>ner Typen von Wissen betonte. Er kritisierte die frühen symbolorientierten<br />

Ansätze <strong>de</strong>r KI, weil sie <strong>de</strong>n Fokus ausschließlich auf das <strong>de</strong>klarative,<br />

explizite 239 Wissen legten, welches sich in Form logischer Aussagen und Regeln<br />

repräsentieren lässt, und das prozedurale und verkörperte Wissen vernachlässige.<br />

VertreterInnen differenzfeministischer Positionen unterstrichen, dass das „Wissen wie“,<br />

welches <strong>de</strong>r Formalisierung unzugänglich erscheint, häufig ein praktisches Erfahrungswissen<br />

sei, das insbeson<strong>de</strong>re Frauen hätten (vgl. Dalmiya/ Alcoff 1993, Belenki et al.<br />

1989 [1986]). Ein Beispiel dafür, dass ein großer Teil <strong>de</strong>s Wissens nicht sprachlich<br />

erfasst und nie<strong>de</strong>rgeschrieben, geschweige <strong>de</strong>nn formalisiert wer<strong>de</strong>n könne, sei etwa<br />

das <strong>de</strong>r frühen Hebammen. „Historically, much of the skill of midwifery in the Western<br />

world before the present day was of this sort. Knowledge and skills were han<strong>de</strong>d on<br />

orally and by watching and doing […] The skill of midwives was based on an<br />

accumulated body of beliefs and experience of the community of experts of childbirth,<br />

much like science, but unlike the scientific knowledge the practitioners were women<br />

and the knowledge was not written down. Traditional midwifery clearly emphasized<br />

practical experience over propositional knowledge“ (Adam 1995, 367f). 240 Solche<br />

Formen <strong>de</strong>s Wissens wür<strong>de</strong>n jedoch we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Medizin als adäquates, legitimes<br />

wissenschaftliches Wissen anerkannt noch von InformatikerInnen, die formalisieren,<br />

wahrgenommen und mo<strong>de</strong>lliert. Insofern schließe die formale Repräsentation<br />

wesentliche Aspekte <strong>de</strong>s Wissens „vom in-<strong>de</strong>r-Welt-sein“, insbeson<strong>de</strong>re das<br />

239 Die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen hat Michael Polanyi 1985 eingeführt.<br />

Beispiele für implizites Wissen sind etwa das Fahrradfahren, blin<strong>de</strong>s Tippen o<strong>de</strong>r die Fähigkeit, einen<br />

Nagel in die Wand zu schlagen, d.h. Fähigkeiten, die häufig ein erlerntes Körperwissen (z.B. das<br />

Gleichgewicht zu halten) erfor<strong>de</strong>rten.<br />

240 Zur historischen Herausbildung „wissenschaftlichen Wissens“ über Frauenkörper unter Ausblendung<br />

und Abwertung von Hebammenwissen vgl. Ehrenreich/ English 1978.<br />

167


Erfahrungswissen von Frauen, aus. Die cartesianisch geprägte Auffassung von Wissen<br />

bringe <strong>de</strong>shalb eine geschlechtlich kodierte Wissenshierarchie hervor.<br />

Auch an<strong>de</strong>re Kritiken am Formalismus griffen zunächst primär auf theoretische<br />

Argumente zurück. So hinterfragten frühe VertreterInnen <strong>einer</strong> feministischen Analyse<br />

<strong>de</strong>r Mathematik die Allgemeingültigkeit und die angestrebte Überzeitlichkeit von<br />

Formalismen: „Das Bedürfnis, immer und überall überzeugend zu sein […], die Suche<br />

nach <strong>einer</strong> die Spreu vom Weizen son<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Form, die eine wahrheitsgetreue<br />

Überlieferung mathematischer Aussagen an kommen<strong>de</strong> Generationen gewährt […],<br />

sind die Wunschvorstellungen, die das Fundament <strong>de</strong>r formalistischen Haltung bil<strong>de</strong>n.<br />

Wir erkennen darin <strong>de</strong>n Willen, <strong>de</strong>r Zeit die Stirn zu bieten und die ewige Sehnsucht<br />

nach Ewigkeit. Die Zeit, o<strong>de</strong>r vielmehr ihre Negation, spielt darin die Hauptrolle. Die<br />

mathematischen Erkenntnisse sollen in eine Form gezwängt wer<strong>de</strong>n, die sie vor <strong>de</strong>n<br />

Schä<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r stetig ablaufen<strong>de</strong>n Zeit in Schutz nehmen soll“ (Frougny/ Peiffer 1985,<br />

73). Diejenigen, die sich nicht <strong>de</strong>m Formalen verschrieben hätten – nach <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n<br />

1980er Jahren vorherrschen<strong>de</strong>n feministischen Ansätzen insbeson<strong>de</strong>re Frauen –,<br />

hätten an<strong>de</strong>re Erfahrungen mit Zeit, mithin ein an<strong>de</strong>res Zeitgefühl, das dieser<br />

formalistischen Haltung wi<strong>de</strong>rspräche. Dem Vorhaben formaler Repräsentation seien<br />

somit maskulinistische Sehnsüchte eingeschrieben wie die <strong>de</strong>r Überwindung von<br />

Raum und Zeit.<br />

Die Haupteinwän<strong>de</strong> gegen Formalisierung und in <strong>de</strong>r Informatik dominante<br />

Praktiken <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation bestan<strong>de</strong>n insgesamt darin, dass das<br />

repräsentierte Wissen unvollständig sei, da es primär hegemoniale Wissensformen und<br />

-bestän<strong>de</strong> umfasse und <strong>de</strong>ren historische wie kulturell-soziale Situiertheit nicht berücksichtige.<br />

Viele Aspekte <strong>de</strong>r realen Welt, speziell die als „weiblich“ markierten, wür<strong>de</strong>n<br />

nicht formalisiert o<strong>de</strong>r seien prinzipiell nicht formalisierbar. In diesem Sinne als sperrig<br />

erwiesen sich auch in <strong>de</strong>r Informatik immer wie<strong>de</strong>r das verkörperte Wissen, das „tacit<br />

knowledge“, die Kreativität menschlicher Handlungen, das Chaotisch-Ungeordnete,<br />

das „Irrationale“ o<strong>de</strong>r das Emotionale, wie die folgen<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n, informatikbezogenen<br />

Beispiele praktisch aufzeigen.<br />

Suchman macht in ihrem Werk „Plans and Situated Action“ (1987) auf die<br />

Schwierigkeit aufmerksam, situiertes Han<strong>de</strong>ln zu formalisieren. Dabei stellt sie nicht<br />

nur die Möglichkeit infrage, einen bestimmten Typ von Wissen und Handlung, wie etwa<br />

das verkörperte Wissen, formal zu repräsentieren, son<strong>de</strong>rn bezieht grundsätzlich<br />

gegen die damaligen Ansätze <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenz-Forschung Stellung. Sie kritisiert<br />

die in <strong>de</strong>r symbolorientierten KI und <strong>de</strong>n Kognitionswissenschaften weit verbreitete<br />

Annahme, dass menschliches Han<strong>de</strong>ln darin bestün<strong>de</strong>, vorgefertigte mentale<br />

Pläne auszuführen. Menschen wür<strong>de</strong>n jedoch üblicherweise in ihrem Han<strong>de</strong>ln nicht<br />

formalen Regeln folgen, d.h. Regeln als eine ausführbare Spezifikation nutzen, son<strong>de</strong>rn<br />

abhängig vom Kontext und seinen spezifischen Bedingungen eigene Vorgehensweisen<br />

entwickeln. Sie han<strong>de</strong>lten nicht so, dass sie zunächst formale, abstrakte Pläne<br />

und Ziele aufstellten, um diese anschließend geregelt und zielgerichtet auszuführen.<br />

Vielmehr nutzten sie dynamische und situierte Improvisationen. Es sei zwar möglich,<br />

dass rationale Pläne einen Bezugsrahmen und eine Ressource für dynamische und<br />

situierte Improvisationen darstellten, aber in Interaktion mit <strong>de</strong>r konkreten, kontingenten<br />

Umgebung wür<strong>de</strong>n sie dann stets <strong>de</strong>n sich än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Gegebenheiten angepasst.<br />

Kognitive Prozesse stellten <strong>de</strong>mzufolge ein situiertes Unterfangen dar. Suchman<br />

168


argumentiert, dass technische Systeme, die auf einem verengten Verständnis von<br />

Handlung als zuvor festgelegter Spezifikation basieren, die im Individuum stattfin<strong>de</strong>t,<br />

<strong>de</strong>shalb notwendigerweise fehlschlagen müssten. Sie zeigt dieses Scheitern <strong>de</strong>s<br />

formalen Konzepts von Plänen in <strong>de</strong>r KI empirisch überzeugend anhand ethnografischer<br />

Analysen <strong>de</strong>r Benutzung erster „intelligenter“ Kopierer auf, <strong>de</strong>ren frühe Prototypen<br />

in <strong>de</strong>n 1980er Jahren in Xerox Parc entwickelt wur<strong>de</strong>n. Ihr Konzept <strong>de</strong>r ‚situated<br />

action‘ lässt sich als prinzipielle Kritik an <strong>de</strong>r Vorstellung verstehen, dass menschliches<br />

Denken und Han<strong>de</strong>ln vollständig spezifiziert wer<strong>de</strong>n kann. 241<br />

Das zweite Beispiel, das auf Grenzen <strong>de</strong>r Formalisierbarkeit verweist, führt auf die<br />

Repräsentation und Sichtbarmachung <strong>de</strong>r Tätigkeit von Krankenschwestern zurück, die<br />

in Kapitel 4.2.3. bereits als unsichtbare Arbeit diskutiert wor<strong>de</strong>n ist. Bowker und Star<br />

(1999) ver<strong>de</strong>utlichen die Schwierigkeit, diese Pflegehandlungen explizit zu beschreiben<br />

und informatisch zu formalisieren, plakativ am Beispiel <strong>de</strong>s Humors. Die Pflegehandlung<br />

Humor wird in <strong>de</strong>r von ihnen untersuchten „“Nursing Intervention Classification“<br />

(NIC, vgl. 4.2.3) <strong>de</strong>finiert als: „Facilitating the patient to perceive, appreciate, and<br />

express what is funny, amusing, or ludicrous in or<strong>de</strong>r to establish relationship“ (Bowker/<br />

Star 2000, 233). Das Klassifikationssystem grün<strong>de</strong>t auf <strong>einer</strong> Analyse <strong>de</strong>ssen, was es<br />

für eine KrankenpflegerIn be<strong>de</strong>utet humorvoll zu sein, und auf <strong>einer</strong> Theorie, was<br />

Humor bei <strong>de</strong>n PatientInnen bewirkt: Das Pflegepersonal solle zunächst bestimmen,<br />

welche Art von Humor die PatientIn schätzt, wie sie o<strong>de</strong>r er typischerweise darauf<br />

reagiert (Lachen o<strong>de</strong>r Lächeln) und dann ein geeignetes Thema und entsprechen<strong>de</strong><br />

Interaktionsformen auswählen, welche bei <strong>de</strong>m Individuum die gewünschte Reaktion<br />

hervorzurufen vermag, beispielsweise Verspieltheit und Albernheit. Im Klassifikationssystem<br />

wer<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>r Kategorie <strong>de</strong>r Pflegehandlung „Humor“ fünfzehn Teilaktivitäten<br />

angeführt, die aufgrund wissenschaftlicher Literatur als relevant gelten. Bowker und<br />

Star bemerken, dass es jedoch unklar sei, wie diese Handlungen einem zeitlichen<br />

Verlauf zuzuordnen wären, <strong>de</strong>nn KrankenpflegerInnen könnten humorvoll sein, selbst<br />

wenn sie mit an<strong>de</strong>ren Tätigkeiten beschäftigt sind. Es bestehe sogar eine explizite<br />

Erwartungshaltung, dass das Pflegepersonal stets Humor haben solle. Sie problematisieren<br />

allerdings noch grundsätzlicher: „How can one capture humor as a <strong>de</strong>liberate<br />

nursing intervention? Does sarcasm, irony or laughter count as a nursing intervention?<br />

How to reimburse humor; how to measure this kind of care? No one would dispute its<br />

importance, but it is by its nature a situated and subjective action“ (ebd., 247). Bowker<br />

und Star verweisen anhand <strong>de</strong>r Situiertheit und Subjektivität von Humor nicht nur auf<br />

Grenzen <strong>de</strong>r Repräsentierbarkeit von Pflegehandlungen – sei es im Klassifikationssystem<br />

o<strong>de</strong>r s<strong>einer</strong> technischen Realisierung als Informationssystem. Vielmehr gibt ihr<br />

Einwand Hinweise darauf, dass Formalisierung häufig auch eine (wissenschaftliche)<br />

Messbarkeit <strong>de</strong>s Formalisierten voraussetzt und <strong>de</strong>ssen Einbettung in eine ökonomische<br />

Logik von Wert und Tausch impliziert. Insofern be<strong>de</strong>ute Nichtformalisierbarkeit<br />

bestimmter lebensweltlicher Bereiche, dass diese nicht vom vorherrschen<strong>de</strong>n politischökonomischen<br />

System vereinnahmt wer<strong>de</strong>n können.<br />

241 Mike Robinson bezeichnet Suchmans wissenschaftlichen Beitrag als „Unmöglichkeitstheorem“: „there<br />

can be no apriori or algorithmic connection between any particular plan and any specific action“ (Robinson<br />

1991, 15). Dass dieses Theorem jedoch in <strong>de</strong>n meisten Software- und Informationsystem-<br />

Entwicklungsprozessen ignoriert wer<strong>de</strong>, stießen diese Projekte an Grenzen.<br />

169


Feministische Ansätze, die von dieser Form <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstands ausgehend<br />

argumentieren, tendieren allerdings häufig dazu, das Formale vollständig abzulehnen.<br />

Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r Fragestellung dieser Kapitels ist eine solche grundsätzliche<br />

Kritik zwar ebenso wie die bisher skizzierten Argumente, die auf die Grenzen <strong>de</strong>r<br />

Formalisierung aufmerksam machen, anzuerkennen. Denn viele Phänomene, die von<br />

InformatikerInnen <strong>de</strong>terministisch, geschlossen und kausal beschrieben wer<strong>de</strong>n, sind<br />

offenbar kontingenter, kreativer und situierter als sie in <strong>de</strong>n informatischen Mo<strong>de</strong>llen<br />

und Informationssystemen repräsentiert wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re, wenn dabei menschliches<br />

Denken, Han<strong>de</strong>ln und soziale Interaktion formalisiert wer<strong>de</strong>n soll. Insofern ist<br />

eine fundierte Diskussion <strong>de</strong>r Tücken und Grenzen <strong>de</strong>s Formalisierens auf <strong>de</strong>r Basis<br />

traditioneller Erkenntnistheorie, die das Auseinan<strong>de</strong>rklaffen vom Objekt und s<strong>einer</strong><br />

Repräsentation beleuchtet – aufgrund prinzipieller Schranken o<strong>de</strong>r nicht adäquater<br />

Formalisierung – notwendig, um informatische Tätigkeit gesellschafts<strong>kritisch</strong> bzw.<br />

feministisch zu reflektieren.<br />

Da diese Arbeit darauf zielt, auf Basis <strong>einer</strong> <strong>kritisch</strong>en Analyse von Gen<strong>de</strong>ringprozessen<br />

Vorschläge für eine alternative Gestaltung von Informationstechnologien vorzulegen,<br />

sind diese Ansätze zu konkretisieren und konstruktiv zu wen<strong>de</strong>n. Allgemeine<br />

Kritiken am Formalen bleiben <strong>de</strong>n konkreten Nachweis ihres politischen Charakters<br />

schuldig. Interessant erscheint <strong>de</strong>mgegenüber die <strong>kritisch</strong>e Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit<br />

Abstraktion und Formalisierung, die zeigt, dass die untersuchten formalen Artefakte in<br />

<strong>de</strong>r Informatik politisch sind bzw. genauer zur Geschlechterpolitik beitragen. Dazu sind<br />

grundlegen<strong>de</strong> Annahmen, die in die Formalisierung eingehen und <strong>de</strong>m in Informationssystemen<br />

Repräsentierten Be<strong>de</strong>utung geben, darzulegen. Die Untersuchung zugrun<strong>de</strong><br />

liegen<strong>de</strong>r Ontologien und Epistemologie ist <strong>de</strong>shalb zentral. Insofern schließe ich mich<br />

<strong>de</strong>r Position John Bowers an, <strong>de</strong>r konstatiert: „Repeatingly pointing out the limits of<br />

formalism is not always helpful in either un<strong>de</strong>rstanding the nature of formalism or in<br />

making progress in system <strong>de</strong>sign“ (Bowers 1992, 239).<br />

Bowers führt ein weiteres Argument gegen die allgemeinen Formalismuskritiken an:<br />

viele von diesen basieren auf <strong>einer</strong> essentialistischen Vorstellung von menschlichen<br />

Handlungen. Sie setzen ein spezifisch Menschliches (o<strong>de</strong>r wie wir am Beispiel verkörperten<br />

Hebammenwissens gesehen haben, ein spezifisch „Weibliches“) voraus – eine<br />

Annahme, die auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s im ersten Teil dieser Arbeit herausgearbeiteten theoretischen<br />

Rahmens nicht haltbar erscheint. Solche Argumentationen gehen von <strong>einer</strong><br />

spezifischen Definition menschlichen Han<strong>de</strong>lns aus und schreiten damit fort, dass<br />

diese nicht mit <strong>de</strong>m Formalisierten übereinstimmt, um dann häufig mit <strong>de</strong>r Kritik dort<br />

stehen zu bleiben. Nicht infrage gestellt wird damit <strong>de</strong>r Dualismus von Formalem und<br />

Nichtformalem, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Argument zugrun<strong>de</strong> liegt. Eine Analyse <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung<br />

von Technologie/Formalem und Gesellschaft/Geschlecht, wie sie in dieser Arbeit<br />

angestrebt wird (vgl. Kapitel 3), wür<strong>de</strong> jedoch be<strong>de</strong>uten, die Entstehung <strong>de</strong>r Polarisierung<br />

von Nichtformalem, Situiertem, Beson<strong>de</strong>rem, Kontigentem und zu Interpretieren<strong>de</strong>m<br />

<strong>einer</strong>seits und Formalem, Abstraktem, Durchgeplantem, Deterministischem,<br />

Deskriptivem an<strong>de</strong>rerseits sorgfältig zu rekonstruieren und die gesellschaftlichen<br />

Implikationen dieser Dualismen sichtbar zu machen. Der Dualismus selbst wäre<br />

<strong>de</strong>mnach als Effekt sozialer Konstruktionsprozesse nachzuzeichnen (vgl. hierzu auch<br />

Kapitel 2).<br />

170


Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n drei wesentliche und eng miteinan<strong>de</strong>r verwobene<br />

Perspektiven diskutiert, die Ausgangspunkte feministischer Kritiken am Formalen, an<br />

Formalismen und <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation in <strong>de</strong>r Informatik sind und waren:<br />

1. die Politik <strong>de</strong>s Formalen, die Ausschlüsse, Machtverhältnisse sowie politische<br />

Entscheidungen ver<strong>de</strong>ckt, Handlungen <strong>de</strong>r NutzerInnen beschränkt und dazu eine<br />

angeblich neutrale Sicht als einzige und objektive etabliert (Abschnitt 4.3.1.)<br />

2. die Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen, die diejenigen, die das Formale entwickeln,<br />

unsichtbar macht, jedwe<strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>s Subjekts auf <strong>de</strong>n Akt <strong>de</strong>s Formalisierens<br />

negiert und es damit ermöglicht, bestimmte Ontologien zu etablieren (Abschnitt 4.3.2.),<br />

sowie<br />

3. <strong>de</strong>r Dualismus von Formalem vs. Nichtformalem selbst und an<strong>de</strong>ren Dichotomien,<br />

die eine symbolische Hierarchie fortführen, die stark vergeschlechtlicht sind (Abschnitt<br />

4.3.3.).<br />

Die damit verbun<strong>de</strong>nen Einschreibungen von Geschlecht in informatische Artefakte<br />

wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Abschnitten ausführlich dargestellt und auf <strong>de</strong>r Folie<br />

feministischer Theorie und Erkenntniskritik diskutiert.<br />

4.3.1. Politik <strong>de</strong>s Formalen<br />

„[A]s feminists we are led to battle with abstractions in several ways:<br />

noting that they are historically specific, not timeless; groun<strong>de</strong>d in male<br />

experience, not universal; biased, not neutral. We want to make what the<br />

abstractions have hid<strong>de</strong>n, visible“ (Star 1991a, 82)<br />

John Bowers (1992) plädierte als <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r ersten in <strong>de</strong>r Informatik dafür, <strong>de</strong>n<br />

politischen Charakter <strong>de</strong>s Formalen anzuerkennen. Er knüpft dabei an <strong>de</strong>n berühmten<br />

Aufsatz Langdon Winners (1999 [1980]) an. „[B]y addressing formalisms of the sort that<br />

are used in the <strong>de</strong>sign or implementation of computer systems, or are employed in the<br />

analysis of human action and thought – frequently in ways which make human capacities<br />

computable and simulatable“ (ebd., 233) erweitert er <strong>de</strong>ssen Behauptung, dass<br />

Artefakte politisch sind: „formalisms too can be seen to have politics“ (ebd.).<br />

Formalismen im Gebrauch: Geschlechter-Dichotomie aufgrund von<br />

Schwellenwerten?<br />

Um seine These <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r Formalismen formulieren zu können, führt Bowers die<br />

grundlegen<strong>de</strong> Unterscheidung ein zwischen „Formalismen in Gebrauch“ und Formalismen,<br />

wie sie in <strong>de</strong>r Mathematik und Informatik verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Letztere <strong>de</strong>finiert er<br />

in Anlehnung an mathematische Formulierungen als spezifische Repräsentationssysteme.<br />

Ein Formalismus erzeuge bestimmte Repräsentationen, in<strong>de</strong>m Regeln auf ein<br />

Vokabular angewandt wer<strong>de</strong>n. Dabei repräsentierten die Elemente, aus <strong>de</strong>nen das<br />

Vokabular bestehe, und die Terme, aus <strong>de</strong>nen die Regeln aufgebaut seien, menschliche<br />

o<strong>de</strong>r maschinelle Handlungen. 242 Sowohl das Vokabular als auch die Regeln<br />

wer<strong>de</strong> aus endlich vielen separaten Elementen zusammengesetzt. Die Regeln<br />

beschrieben komplexe Operationen, die aus einfacheren Komponenten aufgebaut<br />

242 Diese Definition ist bewusst so gewählt, dass sie Programmiersprachen, Techniken <strong>de</strong>r<br />

Datenverwaltung sowie Notations- und Repräsentationsschemata umfasst.<br />

171


sind, o<strong>de</strong>r sie formulierten eine zeitliche Ordnung, entlang <strong>de</strong>rer Handlungen<br />

ausgeführt wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Ereignisse stattfin<strong>de</strong>n sollen. Da nur bestimmte<br />

Repräsentationen erlaubt seien, be<strong>de</strong>ute Formalisieren zwischen <strong>de</strong>m Gesetzmäßigen<br />

und <strong>de</strong>m Gesetzwidrigen zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Bowers betont, dass jedoch verschie<strong>de</strong>ne praktische Bedingungen erfüllt sein<br />

müssten, damit diese Formalismen erfolgreich angewandt wer<strong>de</strong>n können. Funktionieren<strong>de</strong><br />

„Formalismen im Gebrauch“ erfor<strong>de</strong>rten unter an<strong>de</strong>rem ein Zentrum 243 (z. B. ein<br />

Chip-Design-Labor, ein staatliches Statistikbüro o<strong>de</strong>r einen Softwareworkshop) sowie<br />

zuverlässige, disziplinierte VermittlerInnen, welche die formalen Repräsentationen<br />

erfassten, sammelten und <strong>de</strong>m Zentrum zugänglich machten. Ferner wür<strong>de</strong>n Re-<br />

Repräsentationstechniken 244 benötigt, welche die Lücke zwischen <strong>de</strong>m Objekt und<br />

s<strong>einer</strong> formalen Repräsentation schrittweise überbrückten und nachvollziehbar<br />

machten. Formalismen seien laut Latour „unverän<strong>de</strong>rlich mobile Elemente“ (Latour<br />

2006 [1986]), die Raum und Zeit überbrücken können und dabei <strong>de</strong>r Stabilisierung von<br />

Artefakten, Theorien, Machtverhältnissen etc. dienen. Es seien Artefakte, die zwischen<br />

verschie<strong>de</strong>nen Welten reisen können, ohne zu verschwin<strong>de</strong>n und sich auf dieser Reise<br />

nicht wesentlich verän<strong>de</strong>rn. Gleichzeitig könnten sie an an<strong>de</strong>ren Orten vorgestellt und<br />

in diesem neuen Kontext durchaus verstan<strong>de</strong>n sowie mit an<strong>de</strong>ren Dingen verknüpft<br />

wer<strong>de</strong>n (vgl. Latour 1987, 237-241). 245 So verstan<strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Gebrauch von<br />

Formalismen Praktiken, welche die Kombinierbarkeit, Dauerhaftigkeit, Mobilität von<br />

Repräsentationen erhöhen. Darüber hinaus sei eine optische Konsistenz <strong>de</strong>r formalen<br />

Repräsentation notwendig.<br />

Bowers zufolge erhielten Formalismen ihre Klarheit, Ausdrucksstärke und<br />

Vertrauenwürdigkeit erst aufgrund solcher praktischer Bedingungen <strong>de</strong>s Gebrauchs: „If<br />

these practical conditions obtain, then we say that our formalisms are clear, explicit,<br />

precise, trustworthy and other terms of epistemological values. […] Clarity and the rest<br />

are, I conjecture, not properties intrinsic to formalisms which can somehow be read off<br />

from their <strong>de</strong>finitions“ (Bowers 1992, 250). Das Formale könne somit erst dadurch <strong>de</strong>r<br />

Kritik zugänglich gemacht wer<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>r Kontext eines Formalismus, <strong>de</strong>r diesen<br />

zum Funktionieren bringt, in Betracht gezogen wird. Das Politische <strong>de</strong>s Formalen zeige<br />

sich erst in <strong>de</strong>n Praktiken <strong>de</strong>s Gebrauchs.<br />

In<strong>de</strong>m er „Formalismen im Gebrauch“ ins Spiel bringt, gelingt es Bowers, Parallelen<br />

aufzuzeigen zwischen Formalisierung und traditionellen Formen zentralisierter Machtausübung:<br />

„In short, the concentration and combination of representations in the one<br />

place permits action at a distance. In many respects […] this is the political problem of<br />

power: how is it possible to gather enough resources at the one place to have a<strong>de</strong>quate<br />

influence over all other places?“ (Bowers 1992, 251). Formalismen erscheinen<br />

auf <strong>de</strong>r Grundlage ihres Gebrauches auf mehreren Ebenen als hochpolitisch. Zunächst<br />

implizierten sie ein grundlegen<strong>de</strong>s politisch-militärisches Strategem: sehen zu können,<br />

ohne selbst gesehen zu wer<strong>de</strong>n. Wie und von wem formalisiert wird, bleibe unsichtbar.<br />

243 Bowers nimmt hierin Bezug auf Bruno Latours Begriff <strong>de</strong>r „centres of calculation“ (Latour 1987, 232ff).<br />

244 Im Zentrum, wo die Repräsentationen zusammengeführt sind, wer<strong>de</strong>n diese ausgewählt, transformiert<br />

und kombiniert, d.h. re-repräsentiert. Der Term „Re-Repräsentation“ wur<strong>de</strong> von Gerson/ Star 1986<br />

eingeführt, um die Komplexität <strong>de</strong>s Verhältnisses zwischen Objekt und formaler Repräsentation zum<br />

Ausdruck zu bringen.<br />

245 Latour selbst fasst dies pointiert zusammen: „what we call formalism is the acceleration of displacement<br />

without transformation“ (Latour 1986, 23).<br />

172


Ferner hätten Formalismen die Funktion, Unsicherheiten bei <strong>de</strong>r Produktion rhetorisch<br />

überzeugen<strong>de</strong>r Repräsentationen von Welt auszuräumen. Wenn diese Unsicherheiten<br />

jedoch daraus hervorgingen, dass sich <strong>kritisch</strong>en Stimmen gegenüber <strong>de</strong>m formal<br />

Gesetzten erhoben haben, „then formalization is simply a matter of silencing dissent on<br />

a grand scale“ (Bowers 1992, 252). Formalismen wür<strong>de</strong>n darüber hinaus die Arbeit<br />

unsichtbar machen, die zu ihrer Entstehung führt. 246 Sie seien dann als gewaltsam zu<br />

bezeichnen, wenn <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>s Formalisierens und die Subjekte, die diese erstellten,<br />

ignoriert wür<strong>de</strong>n und zugleich Mythen über ihre Macht, Allgemeingültigkeit und Aussagekraft<br />

erzählt wer<strong>de</strong>n.<br />

Wenn aber Formalismen tatsächlich benutzt wer<strong>de</strong>n, beispielsweise in Form ihrer<br />

Manifestation in einem Computerprogramm, so brächten sie die NutzerInnen dazu, ihre<br />

Handlungs- und Entscheidungsfreiheit an <strong>de</strong>n Formalismus abzugeben, d.h. an diejenigen,<br />

die <strong>de</strong>n Formalismus aufgestellt haben, zu <strong>de</strong>legieren. Anwen<strong>de</strong>rInnen vertrauten<br />

somit <strong>de</strong>njenigen Interpretationen und Prozeduren, die die InformatikerInnen hervorgebracht<br />

haben und vorgeben wür<strong>de</strong>n. Das Problematische am Formalisieren, Mo<strong>de</strong>llieren<br />

und Abstrahieren besteht <strong>de</strong>mzufolge darin, dass diese Tätigkeit in mehrfacher Hinsicht<br />

politisch ist, jedoch in <strong>de</strong>r Informatik als neutral aufgefasst wird. Deshalb bedarf<br />

es <strong>de</strong>r sorgfältigen Rekonstruktion <strong>de</strong>s Politischen im „Formalen im Gebrauch“.<br />

Bowers theoretische Konzeption ermöglicht es, klare Verknüpfungen zwischen <strong>de</strong>m<br />

Formalen und <strong>de</strong>r Kategorie Geschlecht herzustellen. Ein äußerst überzeugen<strong>de</strong>s<br />

Beispiel, wie Formalismen im Gebrauch dichotome Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit<br />

hervorbringen können, liegt aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Hirnforschung vor. Dort<br />

wer<strong>de</strong>n mit Hilfe von computertomografischen Verfahren Bil<strong>de</strong>r von Hirnarealen und<br />

ihren Aktivierungsmustern erzeugt, die insbeson<strong>de</strong>re in ihren populärwissenschaftlichen<br />

Interpretationen häufig als Abbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>s Gehirns gesehen wer<strong>de</strong>n. Da<br />

diese Bil<strong>de</strong>r zunehmend für das Argument genutzt wer<strong>de</strong>n, die Annahme kognitiver<br />

Differenzen zwischen Frauen und Männern biologisch zu begrün<strong>de</strong>n, zeigten feministische<br />

Naturwissenschaftskritikerinnen die zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n formalen Konstruktionsprozesse<br />

auf. So liegen Sigrid Schmitz zufolge zwischen <strong>de</strong>n Daten <strong>de</strong>s Scanners<br />

und <strong>de</strong>m konstruierten Bild eine Reihe von informationstechnischen Berechnungen und<br />

computergrafischen Verfahrensschritten: „Zur Bildrekonstruktion aus Streudaten, zur<br />

Bereinigung <strong>de</strong>r Daten von Rauscheffekten, zur Segmentierung und zur 3D-Bildrekonstruktion<br />

wird eine inzwischen fast unüberschaubare Menge von Berechnungsverfahren<br />

eingesetzt […]. Diese Verfahren wer<strong>de</strong>n von unterschiedlichen Laboratorien in<br />

unterschiedlichen Kombinationen angewandt, und dies stellt eines <strong>de</strong>r größten<br />

Probleme für die vergleichen<strong>de</strong> Analyse dar. Denn im Verlauf <strong>de</strong>r Konstruktionsprozesse<br />

wird eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen, was ins Bild hineinkommt, was<br />

weggelassen wird, was hervorgehoben wird o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Hintergrund tritt“ (Schmitz<br />

2004, 12). Die Kliniken und Institutionen, in <strong>de</strong>nen via Tomografie Bil<strong>de</strong>r vom Gehirn<br />

erzeugt wer<strong>de</strong>n, können <strong>de</strong>mnach mit Bowers bzw. Latours Begriffsapparat als<br />

„Zentren <strong>de</strong>r Berechnung“ aufgefasst wer<strong>de</strong>n. Auch die Kombinierbarkeit,<br />

Dauerhaftigkeit und Mobilität <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen zum Einsatz kommen<strong>de</strong>n<br />

246 Vgl. hierzu auch <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Abschnitt 4.3.2., in <strong>de</strong>m die Subjekte <strong>de</strong>r Formalisierungsarbeit in<br />

<strong>de</strong>n Mittelpunkt <strong>de</strong>r Betrachtung gerückt wer<strong>de</strong>n.<br />

173


Formalismen wird anhand dieser knappen Beschreibung bereits <strong>de</strong>utlich. 247 Die<br />

Produkte <strong>de</strong>r Berechnung, die erzeugten Bil<strong>de</strong>r vom Gehirn, weisen schließlich eine<br />

optische Konsistenz auf, die mittlerweile durch <strong>de</strong>ren Verbreitung in <strong>de</strong>n populären<br />

Medien weithin bekannt ist. Insofern lassen sich computertomografische Bil<strong>de</strong>r vom<br />

Gehirn im engeren Sinne als Formalismen im Gebrauch verstehen. Schmitz weist<br />

weiter darauf hin, dass entlang <strong>de</strong>s beschriebenen Konstruktionsprozesses eine<br />

Vielzahl von Entscheidungen von <strong>de</strong>n Forschen<strong>de</strong>n getroffen wird, die über das im<br />

konstruierten Bild Sichtbare und Unsichtbare entschei<strong>de</strong>n. Dass diese Entscheidungen<br />

im Effekt nicht neutral sind, zeigt eine Untersuchung von Anelis Kaiser, Esther Kuenzli<br />

und Cordula Nitsch (2004) auf. Sie wies nach, dass es von <strong>de</strong>r Wahl eines statistischen<br />

Schwellenwertes bei <strong>de</strong>r Berechnung von Gruppenbil<strong>de</strong>rn abhängt, ob<br />

Geschlechterunterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Asymmetrie <strong>de</strong>r Sprachareale sichtbar wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />

verschwin<strong>de</strong>n (vgl. hierzu auch Kaiser et al. submitted sowie Schmitz 2004, 13).<br />

Zusammen mit <strong>de</strong>n Ergebnisse von Schmitz erweist sich die betrachtete Sichtbarkeit<br />

o<strong>de</strong>r Unsichtbarkeit von Geschlechterdifferenz als eine Konstruktion, die aus <strong>einer</strong><br />

Reihe relativ willkürlicher Entscheidungen über Berechnungsverfahren und Schwellenwerte<br />

aufgebaut ist. Die Autorinnen entkräften damit nicht nur das weit verbreitete<br />

Vorurteil, dass Frauen sprachbegabter seien und dies hirnphysiologisch begründbar<br />

ist, 248 son<strong>de</strong>rn wi<strong>de</strong>rlegen die Annahme, dass Formalismen in <strong>de</strong>r Anwendung<br />

geschlechtsneutral seien.<br />

Erfahrung in Klassifikationen und Standards: Die moralische Ordnung <strong>de</strong>s<br />

Wissens in Informationssystemen<br />

Die Politik <strong>de</strong>s Formalen hat, wie bis hierher <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n ist, verschie<strong>de</strong>ne<br />

Facetten. Sie beginnt nicht erst dann, wenn die von Bowers charakterisierten mathematischen<br />

Formalismen und Softwareprogramme o<strong>de</strong>r die von Schmitz skizzierten<br />

Algorithmen ins Spiel kommen. Vielmehr entschei<strong>de</strong>n häufig bereits die vorausgehen<strong>de</strong>n<br />

Prozesse <strong>de</strong>r Standardisierung und Klassifizierung grundlegend über Zugehörigkeit<br />

o<strong>de</strong>r Ausschluss, über die Bevorzugung bestimmter Handlungen und die<br />

Benachteilung an<strong>de</strong>rer Repräsentationen. Bowker und Star (1999) haben eine Reihe<br />

von technischen Standards und Klassifikationssystemen 249 untersucht und <strong>de</strong>ren<br />

politische, soziale und individuelle Konsequenzen aufgezeigt. 250 Sie gehen davon aus,<br />

247 Für eine ausführlichere, aber <strong>de</strong>nnoch allgemein verständliche Beschreibung <strong>de</strong>r eingesetzten<br />

formalen Verfahren vgl. etwa Schmitz 2003, 224ff.<br />

248 Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n im Feld bekannten Erkenntnissen zeigte eine weitere Untersuchung bilaterale<br />

Muster bei Frauen und laterale Muster bei Männern auf, vgl. Kaiser et al. 2007.<br />

249 Sie diskutieren die internationale Klassifizierung von Krankheiten (ICD), die Klassifizierung von Rasse<br />

in Zeiten <strong>de</strong>r Apartheid in Südafrika und die von Arbeitspraktiken von KrankenpflegerInnen (NIC), auf die<br />

hier bereits ausführlich Bezug genommen wur<strong>de</strong>.<br />

250 Bowker und Star unterschei<strong>de</strong>n Standards von Klassifikation und geben folgen<strong>de</strong> Definition: „A<br />

classification is a spatial, temporal or spatio-temporal segmentation of the world.” (Bowker/ Star 1999, 10).<br />

I<strong>de</strong>alerweise erfüllt ein Klassifikationssystem folgen<strong>de</strong> Bedingungen: 1. ist es wi<strong>de</strong>rspruchsfrei und hat<br />

klare Prinzipien, wie es anzuwen<strong>de</strong>n sei. 2. schließen sich die Kategorien gegenseitig aus. 3. ist das<br />

System vollständig. Bowker und Star bemerken jedoch, dass sie kein funktionieren<strong>de</strong>s Klassifikationssystem<br />

beobachten konnten, das diese „simplen“ Kriterien erfüllt, und bezweifeln, dass es ein solches<br />

jemals geben kann (vgl. ebd., 10ff). Demgegenüber verstehen sie Standards als Regeln für die Produktion<br />

von (diskursiven o<strong>de</strong>r materiellen) Objekten, über die eine Übereinkunft in mehreren „communities of<br />

practice“ hergestellt wor<strong>de</strong>n ist. Standards übersetzten zwischen Raum, Zeit und heterogenen Maßstäben<br />

und wür<strong>de</strong>n zumeist von juristischen Institutionen aufgestellt. Wichtig sei zu bemerken, dass sich nicht<br />

immer <strong>de</strong>r beste technische Standard durchsetzt (vgl. hierzu etwa die Diskussion <strong>de</strong>r QWERTY-Tastatur<br />

174


dass Klassifizierungen und Standardisierungen von Wissen sich zunehmend in<br />

technologischen Infrastrukturen manifestieren, von <strong>de</strong>nen Software- und Informationssysteme<br />

wesentliche Bestandteile sind. Dass diese Ordnungsschemata häufig<br />

Ausdruck dahinter liegen<strong>de</strong>r sozialer Aushandlungsprozesse sind, <strong>de</strong>monstrierten<br />

bereits einfache Klassifizierungen und Standards. So <strong>de</strong>uteten beispielsweise<br />

Telefonbücher, die für verheiratete heterosexuelle Paare nur <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Mannes<br />

angeben, auf eine heteronormative, androzentrische Gesellschaftsordnung, während<br />

die Auflistung <strong>de</strong>r „Gay and Lesbian Pri<strong>de</strong> Para<strong>de</strong>“ unter <strong>de</strong>n üblichen, jährlichen<br />

Veranstaltungen <strong>de</strong>r Stadt auf eine zunehmen<strong>de</strong> öffentliche Akzeptanz von Homosexualität<br />

verwiese, die über Deka<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Aktivismus und <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

erkämpft wor<strong>de</strong>n ist (vgl. Bowker/ Star 1999, 56f). Klassifizierungen und Standards<br />

sind <strong>de</strong>mnach nicht gegeben, son<strong>de</strong>rn gemacht. Ihre Herstellung folgt dabei<br />

bestimmten Kriterien, die selbst oft unsichtbar sind und <strong>de</strong>ren moralische und ethische<br />

Dimension verbergen. „[S]tandards and classification schemes do not always obviously<br />

intersect those variables and processes familiar to us in analyzing human interaction:<br />

gen<strong>de</strong>r, race, status, career, power, innovation trajectories, and so forth“ (Star 2002,<br />

110) Die Schwierigkeit besteht hier ebenso wie bei <strong>de</strong>n Formalismen darin, das<br />

Verborgene aufzu<strong>de</strong>cken. Um das Politische und Geschlechtliche in Klassifikationen<br />

und Standards zu rekonstruieren, schlägt Star nicht nur vor, <strong>de</strong>n Gebrauch dieser<br />

Schemata zu untersuchen. Sie hält <strong>de</strong>taillierte ethnografische Analysen für<br />

notwendig. 251<br />

Abgesehen von <strong>de</strong>m hier bereits ausführlich erörterten Klassifikationssystem NIC für<br />

Pflegehandlungen sowie <strong>einer</strong> Untersuchung zum Chip<strong>de</strong>sign, die allerdings wenig<br />

Gen<strong>de</strong>rrelevanz hat, liegen von Susan Leigh Star keine Fallstudien aus <strong>de</strong>m Umfeld<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte vor. Allerdings wur<strong>de</strong>n ihre theoretischen Ausführungen über<br />

die zum Schweigen gebrachten Stimmen bei <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation und die<br />

Unsichtbarkeit dieser Prozesse (vgl. Star 1991a) in feministischen Kreisen <strong>de</strong>r<br />

Informatik breit rezipiert. Darin erzählt sie die Geschichte ihrer eigenen Allergie gegenüber<br />

rohen und halbgegarten Zwiebeln, um zu ver<strong>de</strong>utlichen, dass selbst harmlos<br />

erscheinen<strong>de</strong> Abweichungen vom Standard für diejenigen, die nicht dazugehören, Ausschlüsse<br />

darstellen und <strong>de</strong>shalb politische Wirkungen haben können. Mit ihrer Zwiebelallergie<br />

machte sie bei beispielsweise McDonald‘s die Erfahrung, dass sie eine<br />

dreiviertel Stun<strong>de</strong> auf ihr Essen warten musste, wenn sie es „ohne Zwiebeln“ bestellte.<br />

Schneller käme sie dagegen zu einem Essen, wenn sie die Zwiebeln von ihrem Burger<br />

abkratzte, da <strong>de</strong>r hoch standardisierte Produktionsapparat von Hamburgern nicht in <strong>de</strong>r<br />

Lage sei, Ausnahmefälle zu behan<strong>de</strong>ln. Doch auch in renommierten Restaurants hätte<br />

sie häufig Probleme, da ihr die kleine Abweichung vom Üblichen nicht abgenommen<br />

wür<strong>de</strong>: „one of the most robust cross-cultural, in<strong>de</strong>ed cross-class, cross-national<br />

phenomena I have ever encountered is a curious reluctance by waiters to believe that I<br />

am allergic to onions“ (Star 1991b, 35). An<strong>de</strong>rs als etwa für salzfreie, koschere o<strong>de</strong>r<br />

am Anfang <strong>de</strong>s Kapitels). Trotz<strong>de</strong>m hätten Standards eine erhebliche Trägheit, sie zu verän<strong>de</strong>rn sei<br />

schwer und teuer, vgl. Bowker/ Star 1999, 13.<br />

251 Star weist darauf hin, dass wissenschaftliche Standards und Klassifikationen häufig aus kontroversen,<br />

intra- und interdisziplinären Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen hervorgingen und betont: „The job of an ethnographer<br />

of scientific practice and the information contained within […] is to raise the second- and third-or<strong>de</strong>r<br />

questions about the existence and nature of the whole classification scheme, the taken-for-granted tools<br />

used in intra- and interdisciplinary communication“ (Star 2002, 116).<br />

175


vegetarische Kost, gäbe es keine beachtenswerte Nachfrage nach Speisen für<br />

Menschen mit Zwiebelallergien. Die Anekdote steht für <strong>de</strong>n Ausschluss all <strong>de</strong>rer, die<br />

vom vorgegebenen Standard auf unsichtbare, ungewöhnliche o<strong>de</strong>r stigmatisierte<br />

Weise abweichen.<br />

Ein typisches Vorgehen in <strong>de</strong>r Informatik, mit <strong>de</strong>rartigen Ausnahmefällen umzugehen,<br />

besteht darin, diese zu i<strong>de</strong>ntifizieren, zu spezifizieren und in das technische<br />

System zu integrieren: es wer<strong>de</strong>n neue Menüoptionen hinzugefügt, barrierefreie Webseiten<br />

konstruiert, beson<strong>de</strong>re Hilfen angeboten o<strong>de</strong>r eine Form <strong>de</strong>r nutzerInnenzentrierten<br />

Gestaltung von Technologie angewandt. In <strong>de</strong>n letzten Jahren lässt sich in <strong>de</strong>r<br />

Informatik zunehmend eine Politik <strong>de</strong>s Einschlusses beobachten, um <strong>de</strong>n vielfältigen<br />

möglichen Beson<strong>de</strong>rheiten von NutzerInnen gerecht wer<strong>de</strong>n zu können. Zu diesen<br />

Anspruch von InformatikerInnen bemerkt Star ironisch: „They make it seem as if the<br />

matter of technology were expanding the exhaustive search for ‚special needs‘ until<br />

they are all tailored or customized“ (Star 1991b, 36). Flexibilität sei ein machtvolles<br />

Versprechen, das insbeson<strong>de</strong>re im Bereich wissensbasierter Technologien vorherrschen<br />

wür<strong>de</strong>. Star warnt jedoch vor <strong>de</strong>r Chimäre unendlicher Flexibilität. Denn<br />

Universalitätsbehauptungen seien eine Illusion, mit <strong>de</strong>ren Hilfe stets Ausschlüsse<br />

herstellt wür<strong>de</strong>n, ggf. auch neue, die zuvor nicht beachtet wor<strong>de</strong>n sind. Zu<strong>de</strong>m stün<strong>de</strong>n<br />

Standards <strong>de</strong>m Phänomen multipler I<strong>de</strong>ntitäten gegenüber. Denn Menschen wür<strong>de</strong>n<br />

nicht nur eine einzige, feststehen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>ntität haben, son<strong>de</strong>rn gleichzeitig unterschiedlichen<br />

sozialen Welten angehören. Standards wür<strong>de</strong>n jedoch die gelebte Erfahrung<br />

vielfältiger Zugehörigkeit, aber auch multipler Marginalisierung nicht gerecht. So könnten<br />

<strong>einer</strong>seits vorgegebene Handlungsanweisungen aufgrund <strong>de</strong>r einen Zugehörigkeit<br />

mit <strong>de</strong>n Standards <strong>einer</strong> an<strong>de</strong>ren sozialen Welt für ein und dieselbe Person kollidieren.<br />

An<strong>de</strong>rerseits gäbe es Menschen, die in einem Klassifikationssystem, das zwei und nur<br />

zwei Optionen anbietet, nicht verortbar seien. Star erläutert die nichtmögliche<br />

Zuordnung anhand <strong>einer</strong> transsexuellen Person in <strong>de</strong>r Phase ihrer Transition.<br />

Transsexuelle hätten in <strong>de</strong>n USA ohne körperlich-operativen Geschlechtswan<strong>de</strong>l im<br />

gewählten Geschlecht zwei Jahre lang überzeugend zu leben, bevor ihr körperlicher<br />

Geschlechtswan<strong>de</strong>l legitim sei und ggf. von <strong>de</strong>r Krankenkasse bezahlt wür<strong>de</strong>. 252 In<br />

dieser Zeit vor ihrer Operation seien Transsexuelle we<strong>de</strong>r Frau noch Mann, son<strong>de</strong>rn<br />

befän<strong>de</strong>n sich in <strong>einer</strong> „Hochspannungszone“ <strong>de</strong>r Nicht-Zugehörigkeit, die Star als<br />

„Nullpunkt“ zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Polen großer Dichotomien wie Frau/Mann,<br />

Gesellschaft/Technik, entwe<strong>de</strong>r/o<strong>de</strong>r versteht. Um ihre Argumentation zuzuspitzen,<br />

bringt Star an dieser Stelle die Erfahrung von Folter ins Spiel, die die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r<br />

Gefolterten auszuradieren vermag. Folter und angeblich universelle wissensbasierte<br />

Systeme wiesen eine frappieren<strong>de</strong> Ähnlichkeit auf, auch wenn bei letzteren keine<br />

252 Die formalen Regelungen und Rahmenbedingungen geschlechtlicher Transition sind kultur- und<br />

län<strong>de</strong>rspezifisch unterschiedlich. In Deutschland etwa verlangte das Transsexuellengesetz bis vor<br />

Kurzem, dass eine AntragstellerIn, die sich nicht <strong>de</strong>m im Geburtsregister festgestellten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m<br />

„an<strong>de</strong>ren“ Geschlecht zugehörig fühlt, „seit min<strong>de</strong>stens drei Jahren unter <strong>de</strong>m Zwang“ stehen muss, ihren<br />

Vorstellungen entsprechend zu leben, vgl. <strong>de</strong> Silva 2005, 260. Der Gesetzgeber weist <strong>de</strong>r Medizin zu,<br />

einen Fall von Transsexualität festzustellen, vgl. ebd., 259. Die <strong>de</strong>utschen Standards zur Behandlung und<br />

Begutachtung von Transsexuellen empfehlen vor <strong>de</strong>r Indikation zur Hormonbehandlung u.a. einen<br />

einjährigen Alltagstest, in <strong>de</strong>r / die Transperson das Leben im gewünschten Geschlecht erprobt. Im<br />

Vereinigten Königreich hingegen schreibt das „Gen<strong>de</strong>r Recognition Act“ vor, dass die/<strong>de</strong>r AntragstellerIn<br />

bis zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Antragstellung zwei Jahre im „erworbenen“ Geschlecht gelebt haben muss, vgl. <strong>de</strong><br />

Silva 2007, 86. Der ggf. anfallen<strong>de</strong> medizinische Aspekt wird im Gesetz nicht näher vorgeschrieben.<br />

176


Gewalt vorzukommen scheint: „A set of uncertainties is translated into certainty, old<br />

i<strong>de</strong>ntities are discar<strong>de</strong>d, and the focus of the world is narrowed into a set of facts. …<br />

We always have elements of uncertainty about the personal world of another,<br />

especially about pain and suffering“ (Star 1991a, 89). Durch <strong>de</strong>n Vergleich von<br />

wissensbasierten Systemen mit <strong>einer</strong> harmlosen Zwiebelallergie o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r krassen<br />

Erfahrung von Folter wur<strong>de</strong> ein Muster <strong>de</strong>utlich: „Standardized representations seem to<br />

insist on annihilating our personal experience, and there is the suffering“ (ebd.).<br />

Während Bowers von <strong>einer</strong> Gewalt formaler Repräsentationen sprach, die aus <strong>de</strong>m<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch zwischen <strong>de</strong>m politischen Charakter und vermeintlicher Objektivität von<br />

Formalismen resultierte, macht Star darauf aufmerksam, dass bereits unschuldig<br />

erscheinen<strong>de</strong> Standards und Klassifizierungen Lei<strong>de</strong>n hervorbringen können. Dies ist<br />

ein wichtiger Hinweise für InformatikerInnen, die ständig solche Klassifizierungen<br />

vornehmen und Standards als Basis informationstechnologischer Systeme entwickeln.<br />

Insgesamt konkretisiert Star anhand <strong>de</strong>s Allergiebeispiels theoretische Argumente,<br />

die bereits in <strong>de</strong>r Diskussion um das prozedurale Wissen („knowing how“) und <strong>de</strong>klarative<br />

Wissen („knowing that“) am Anfang dieses Kapitels 4.3 angesprochen wur<strong>de</strong>n.<br />

Formalisierung produziere Ausschlüsse von Wissensbestän<strong>de</strong>n und -formen. Stars<br />

Beispiele erzeugen eine Sensibilität für die Inkongruenzen zwischen Wissensformationen,<br />

die Bestimmtes sichtbar und an<strong>de</strong>res unsichtbar machen, und für multiplen<br />

I<strong>de</strong>ntitäten bzw. multiplen Marginalisierungen – eine grundlegen<strong>de</strong> Erkenntnis für<br />

InformatikerInnen, die Wissen und Information durch technische Informationssysteme<br />

gestalten.<br />

Sarah Willis (1997) untersuchte <strong>de</strong>n Zusammenhang von Wissensordnungen (d.h.<br />

Präsenz/Absenz bei <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation) und <strong>de</strong>r Geschlechterordnung konkret<br />

anhand eines klinischen Informationssystems namens HIPPOCRATES. 253 Dabei<br />

versteht sie die Politik von Informationssystemen als „set of sanctioning practices that<br />

are concerned with or<strong>de</strong>r, with what can represented, how and by whom“ (Willis 1997,<br />

156). Ihre Rekonstruktion <strong>de</strong>r Ordnungspraktiken, die zu <strong>de</strong>m in HIPPOCRATES<br />

repräsentierten Wissen führten, zeigt, dass das System auf <strong>de</strong>r Grundannahme beruht,<br />

dass „Information“ <strong>de</strong>n Schlüssel zum Gesundheitswesen darstellt und ihr ein<br />

objektiver ökonomischer Wert zugeschrieben wird. Das Grundkonzept Information, sein<br />

Management und seine Nutzung zur Argumentation konstituierten – Willis zufolge –<br />

eine neue Ordnung <strong>de</strong>s klinischen und pflegerischen Wissens, die zwischen rationalen<br />

und informellen Anteilen <strong>de</strong>s medizinischen Wissens differenziert. Ihre Analyse <strong>de</strong>r<br />

Informationen, die in <strong>de</strong>m System präsent und die dort abwesend sind, macht die<br />

wesentlichen Grenzziehungen sichtbar, auf <strong>de</strong>nen HIPPOCRATES beruht: „In making<br />

distinctions between conceptual and other types of medical information, Hippocrates<br />

differentiates between ‚real‘ medical knowledge (i.e. that which can be separated from<br />

the body and represented formally in an information system as universally accepted<br />

facts about the clinical world) and general medical information which relies on context<br />

(and hence is not always real or true)“ (Willis 1997, 156). HIPPOCRATES enthält<br />

aufgrund seines Repräsentationsmechanismus somit nur das anerkannte medizinische<br />

Wissen, das auf diese Weise privilegiert wird gegenüber an<strong>de</strong>ren Wissensformen.<br />

253 HIPPOCRATES ist ein klinisches Informationssystem, das Mitte <strong>de</strong>r 1990er Jahre im Rahmen eines<br />

EU-Projekts mit einem Dutzend europäischer PartnerInnen entwickelt wur<strong>de</strong>.<br />

177


Letztere wer<strong>de</strong>n nicht formalisiert und dargestellt. Britta Schinzel sieht darin eine<br />

Transformation vom Spezifischen und Empirischen zum Allgemeinen, Logisch-<br />

Kausalen und Theoretischen, das <strong>de</strong>n Effekt hätte, „daß Kausalitäten erzeugt und<br />

suggeriert wer<strong>de</strong>n, wo vielleicht gar keine sind, daß Konzepte von Ökonomie und<br />

Effizienz eingeschleust wer<strong>de</strong>n, wo vorher an<strong>de</strong>rs optimiert wur<strong>de</strong> und daß die<br />

Gesundheitspflege vielleicht Konzepten gehorchen muß, die ihr eigentlich fremd sind.<br />

Hier wer<strong>de</strong>n heterogene Einheiten von Informationen und Ereignissen in <strong>de</strong>r Pflege<br />

kontrollierbar und homogener gemacht, so daß sie eine vereinfachte, aber gangbare<br />

Repräsentation bil<strong>de</strong>n“ (Schinzel 1999, 79).<br />

Willis geht davon aus, dass <strong>de</strong>m beschriebenen formalen Zugang zur Welt eine<br />

bestimmte Form <strong>de</strong>r Macht eingeschrieben ist, die sie mit Latour als „moralische<br />

Ordnung“ bezeichnet. 254 Dabei be<strong>de</strong>utet Moral, dass <strong>de</strong>n Ordnungspraktiken, welche<br />

die Unterscheidung o<strong>de</strong>r Grenzziehung konstituierten, ein Sinn, etwa <strong>de</strong>r Erhalt von<br />

Machtbeziehungen zugrun<strong>de</strong> liegt, <strong>de</strong>r allerdings herauszuarbeiten ist. Im Fall von<br />

HIPPOCRATES sei die konstituierte moralische Ordnung vergeschlechtlicht, da nur<br />

das formale und medizinisch anerkannte Wissen im Informationssystem repräsentiert<br />

ist, während an<strong>de</strong>re, eher als „weiblich“ konnotierte Formen medizinischer Information,<br />

die erst in <strong>de</strong>r sprachlichen Umschreibung Be<strong>de</strong>utung gewinnen, ausgeschlossen sind.<br />

Das Informationssystem basiere <strong>de</strong>shalb auf <strong>de</strong>r Präsenz männlich“ geprägter Rationalität.<br />

Willis zeigt somit, dass auch die vermeintliche Abwesenheit von Geschlechterverhältnissen<br />

in <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation als Einschreibung von Geschlecht in Informationssysteme<br />

aufgefasst wer<strong>de</strong>n kann. Informationssysteme als rational, wertfrei und<br />

geschlechtsneutral auszuweisen, sei „a political strategy that makes it possible for<br />

political discourses to <strong>de</strong>ny or manage their politicality“ (Willis 1997, 159). Ein von<br />

<strong>de</strong>ssen Entstehung abstrahieren<strong>de</strong>s Informationssystem leugne somit die Politik s<strong>einer</strong><br />

Erzeugung und <strong>de</strong>r damit etablierten Wissensordnung. Ähnlich wie bei <strong>de</strong>r Wahl von<br />

Algorithmen und Grenzwerten in <strong>de</strong>r Hirnforschung, die zu <strong>einer</strong> naturwissenschaftlich<br />

legitimierten Konstruktion binärer Geschlechterdifferenz auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Kognition<br />

führen kann, bleiben hier sozial wirksame Entscheidungen, die <strong>de</strong>r technischen<br />

Entwicklung zugrun<strong>de</strong> liegen, unter <strong>de</strong>m Deckmantel <strong>de</strong>s als objektiv <strong>de</strong>klarierten<br />

technischen Systems verborgen.<br />

Willis‘ Argumentation scheint auf <strong>de</strong>n ersten Blick ein ähnliches Problem<br />

aufzuwerfen, wie die Fallstudien aus <strong>de</strong>m Abschnitt 4.1, die – um einen Ausschluss<br />

von Frauen belegen zu können – auf klare, feststehen<strong>de</strong> Definitionen Eigenschaften<br />

o<strong>de</strong>r Fähigkeiten von Frauen zurückgreifen müssen und damit selbst Zweigeschlechtlichkeit<br />

und Geschlechterhierarchisierungen essentialisieren. Während dort jedoch mit<br />

<strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rung im Zugang zu Technologien für bestimmte Subjekte strukturell argumentiert<br />

wur<strong>de</strong>, diskutiert Willis das Sichtbare und Unsichtbare, die Inklusion und<br />

Exklusion auf <strong>einer</strong> symbolischen Ebene. Das in <strong>de</strong>m System Repräsentierte und<br />

damit Bevorzugte, d.h. das Rationale und das, was als medizinisch anerkanntes Wissen<br />

gilt, sei „männlich“ konnotiert. Der Ausschluss <strong>de</strong>s „Weiblichen“ liegt in diesem Fall<br />

somit primär im Bereich <strong>de</strong>r Zuschreibungen und Be<strong>de</strong>utungen. Das schließt jedoch<br />

nicht aus, dass formale Wissensrepräsentationen im Gebrauch ebenso an <strong>de</strong>r<br />

254 Unter <strong>einer</strong> moralischen Ordnung versteht Latour „a world view which embodies notions about the<br />

character and capacity of different entities, the relationship between them, their relative boun<strong>de</strong>dness, and<br />

the associated patterns of rights and responsibilities“ (Latour 1987, 66).<br />

178


Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r strukturellen Geschlechterhierarchie mitwirken, vielmehr hängt<br />

die symbolische Geschlechterordnung eng mit <strong>de</strong>r strukturellen zusammen (vgl. hierzu<br />

auch Scheich 1993 sowie Saupe 2002). 255<br />

Vergegenständlichte Ontologien: Verstärker von Macht- und<br />

Geschlechterverhältnissen<br />

Ein im Bereich <strong>de</strong>s „Computer Supported Cooperative Work“ (CSCW) viel diskutiertes<br />

System, an <strong>de</strong>m sich das Argument <strong>de</strong>r Verfestigung bestehen<strong>de</strong>r Geschlechterverhältnisse<br />

gut veranschaulichen lässt, ist THE COORDINATOR, ein frühes Email-<br />

System für <strong>de</strong>n Einsatz in Organisationen, das von Terry Winograd und Fernando<br />

Flores (1989 [1986]) auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r Sprechakttheorie entwickelt wur<strong>de</strong> (vgl. Austin<br />

1961). Das System konstituiert zwar keine Wissensordnung. Es basiert jedoch auf<br />

<strong>einer</strong> Ontologie <strong>de</strong>r Kommunikation, in<strong>de</strong>m es <strong>de</strong>n NutzerInnen explizite Kategorien<br />

von Sprechakten zur Verfügung stellt, mit <strong>de</strong>ren Hilfe sie ihre Kommunikationsabsicht<br />

formulieren können. Die NutzerInnen erhalten die Möglichkeit, auf regelmäßig wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong><br />

Muster <strong>de</strong>r Kommunikation in <strong>de</strong>r Organisation zurückzugreifen wie beispielsweise<br />

Anfragen, Zusagen o<strong>de</strong>r Abschlusserklärungen. Winograd und Flores<br />

sehen <strong>de</strong>n Vorteil <strong>de</strong>s Systems und s<strong>einer</strong> zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Ontologie darin, dass<br />

es <strong>de</strong>n NutzerInnen die Struktur <strong>de</strong>r Sprache, mit <strong>de</strong>r sie im Unternehmen<br />

kommunizieren, bewusst macht. Es hätte insofern eine aufklärerische und die Kommunikation<br />

vereinfachen<strong>de</strong> Funktion: „By teaching people an ontology of linguistic action,<br />

groun<strong>de</strong>d in simple, universal distinctions such as those of requesting and promising,<br />

we find that they become more aware of these distinctions in their everyday work and<br />

life situations. They can simplify their <strong>de</strong>alings with others, reduce time and effort spent<br />

in conversations that do not result in action, and generally manage actions in a less<br />

panicked, confused atmosphere“ (Flores et al. 1988, 158). Die Absicht, die die<br />

Entwickler mit <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s Systems verfolgen, lässt sich <strong>de</strong>mnach als eine<br />

emanzipatorische verstehen.<br />

Suchman (1994) weist jedoch darauf hin, dass sich hinter Kategorien wie „Anfrage“<br />

o<strong>de</strong>r „Versprechen“ in <strong>de</strong>r Praxis hochkomplexe Phänomene stehen, welche die<br />

Entwickler als zu einfach konzipiert hätten. Sie kritisiert, dass „the adoption of speech<br />

act theory as a foundation of systems <strong>de</strong>sign […] carries with it an agenda of discipline<br />

and control over organisation member’s actions.“ (Suchman 1994, 178). Das Kategoriensystem<br />

hätte die Funktion, Grenzen sozialer I<strong>de</strong>ntität zu kontrollieren und die<br />

Subjekte (im Sinne Foucaults) zu disziplinieren. 256 Diese soziale Differenzierung müsse<br />

von <strong>de</strong>n NutzerInnen für die sinnvolle Nutzung übernommen wer<strong>de</strong>n. die Die<br />

Anwendung <strong>de</strong>s Systems setze <strong>de</strong>ren Selbstdisziplinierung bei <strong>de</strong>r Kommunikation<br />

voraus. Flores et al. (1988) wür<strong>de</strong>n selbst darlegen, dass ihr System in <strong>de</strong>njenigen<br />

255 Dieser Zusammenhang wird spätestens „im Gebrauch“ formaler Wissensrepräsentationen <strong>de</strong>utlich. Im<br />

betrachteten Fall <strong>de</strong>s medizinischen Informationssystems korreliert etwa <strong>de</strong>r Ausschluss <strong>de</strong>s „weiblich“<br />

konnotierten nichtformalen medizinischen Wissens damit, dass alternative Medizin und Wellness<br />

vorwiegend von Frauen angeboten und genutzt, jedoch vom Gesundheitssystem nicht honoriert wer<strong>de</strong>n.<br />

256 Es wäre spannend, Informations- und Softwaresysteme weitergehend mit Foucault als „Technologien<br />

<strong>de</strong>s Selbst“ zu untersuchen und sie als Subjektivierungsformen im Rahmen soziotechnischer<br />

Machtverhältnisse zu verstehen. Im Kontext dieser Arbeit wäre dazu jedoch zunächst ein theoretisches<br />

Konzept zu entwickeln, wie dieser Ansatz in Bezug auf die Konstruktionsphase gedacht wer<strong>de</strong>n kann. Für<br />

eine Deutung von Internet- und Kommunikationstechnologien als „Technologien <strong>de</strong>s vernetzten Selbst“<br />

(Paulitz 2005), vgl. auch Paulitz/ Weber 1999.<br />

179


Organisationen am erfolgreichsten ist, in <strong>de</strong>nen die Machtverhältnisse stabil sind und<br />

die NutzerInnen sich im Klaren darüber sind, welche Position und Macht sie dort innehaben.<br />

„We are primarily <strong>de</strong>signing for settings in which the basic parameters of<br />

authority, obligation and cooperation are stable“ (Flores et al 1988, 168). Daraus<br />

schließt Suchman: „Rather than being a tool for collaborative production of action, in<br />

other words, THE COORDINATOR on this account is a tool for the reproduction of an<br />

established social or<strong>de</strong>r“ (Suchman 1994, 186). Suchmans Argumentation folgend<br />

reproduziert das System – entgegen <strong>de</strong>r emanzipatorischen Absicht <strong>de</strong>r Entwickler –<br />

bestehen<strong>de</strong> soziale Ordnungen. Das gilt auch für geschlechtshierarchische Strukturen.<br />

THE COORDINATOR vermag womöglich die NutzerInnen zum Nach<strong>de</strong>nken über und<br />

zum klaren Definieren von Kommunikationsabsichten zu bringen, jedoch verhin<strong>de</strong>re<br />

das System, die eigene Machtposition o<strong>de</strong>r existieren<strong>de</strong> Geschlechterverhältnisse<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Organisation zu reflektieren. Die Winograd und Flores intendierten<br />

selbstreflexiven Effekte bei <strong>de</strong>n NutzerInnen umfassen somit keine gesellschafts<strong>kritisch</strong>e<br />

und feministische Reflexion auf die eigene Position, son<strong>de</strong>rn stün<strong>de</strong>n <strong>einer</strong><br />

solchen eher entgegen. Insofern ließe sich THE COORDINATOR als ein „Verstärker“<br />

bestehen<strong>de</strong>r Herrschaftsverhältnisse und Geschlechterhierarchien verstehen.<br />

An<strong>de</strong>re KritikerInnen <strong>de</strong>s Systems verweisen darauf, dass die NutzerInnen<br />

gezwungen wür<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Ontologie <strong>de</strong>s Systems zu folgen, wenn sie es anwen<strong>de</strong>n<br />

wollen. Dieses Phänomen hat Bowers (1992) als „Delegation“ (<strong>de</strong>r NutzerInnen an das<br />

System) beschrieben. Dieser Begriff suggeriert, dass NutzerInnen stets aktiv, bewusst<br />

und rational entschei<strong>de</strong>n, ob sie die Ontologie anerkennen und benutzen o<strong>de</strong>r ablehnen<br />

wollen (und beispielsweise ein an<strong>de</strong>res System benutzen) – eine Voraussetzung,<br />

die bei <strong>de</strong>r Anwendung im Arbeitskontext in <strong>de</strong>r Regel nicht gegeben sein wird und<br />

auch in <strong>de</strong>r privaten Nutzung stark von <strong>einer</strong> technischen Expertise abhängt. Crutzen<br />

(2007) dagegen spricht von einem (durch die GestalterInnen) „bereitgelegten Han<strong>de</strong>ln“<br />

und sieht darin eine Beschränkung <strong>de</strong>r Handlungsfähigkeit von NutzerInnen, sofern für<br />

diese Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Artefaktes nicht mehr möglich sind o<strong>de</strong>r<br />

erschwert wer<strong>de</strong>n. „Die Annahmen <strong>de</strong>r Hersteller wer<strong>de</strong>n im bereit gelegten Han<strong>de</strong>ln<br />

<strong>de</strong>s künstlichen Produktes vorab eingebettet. Die Interpretation und Repräsentation ist<br />

teils erledigt, bevor das Produkt gebrauchsfertig ist und die Tätigkeiten <strong>de</strong>r künstlichen<br />

Aktoren stattfin<strong>de</strong>n. Die Art, wie ein künstlicher Aktor interpretiert und repräsentiert,<br />

hängt somit nicht nur von <strong>de</strong>r Benutzeraktivität, son<strong>de</strong>rn auch vom bereitgelegten<br />

Han<strong>de</strong>ln ab, welches vorab konstruiert wur<strong>de</strong>.“ (Crutzen 2007, 40). An dieser Stelle ist<br />

zu bemerken, dass sich das Konzept <strong>de</strong>s bereitgelegten Han<strong>de</strong>lns von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s<br />

Skripts (vgl. Kapitel 3.7) grundlegend unterschei<strong>de</strong>t. Denn das durch die Designer<br />

bereitgelegte Han<strong>de</strong>ln umfasst mehr als nur implizite und explizite NutzerInnenrepräsentationen.<br />

Es beruht vielmehr häufig durch <strong>de</strong>n Bezug auf eine wissenschaftlich anerkannte<br />

Theorie (in <strong>de</strong>m von Suchman angeführten Beispiel die Sprechakttheorie) auf<br />

<strong>einer</strong> scheinbar objektiven Darstellung <strong>de</strong>r Interaktion zwischen NutzerInnen und Artefakt.<br />

Aufgrund <strong>einer</strong> solchen Ontologie <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns bzw. Interagierens wird das Han<strong>de</strong>ln<br />

– Crutzen zufolge – zu <strong>einer</strong> festgefahrenen Routine, die nicht mehr verhan<strong>de</strong>lbar<br />

bleibt o<strong>de</strong>r geän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n kann. 257<br />

257 Crutzen bezieht sich dabei auf John Dewey, <strong>de</strong>r zwischen Gewohnheiten und Routinen unterschei<strong>de</strong>t.<br />

Gewohnheiten entstün<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m Menschen aus <strong>de</strong>n Wirkungen lernten, die ihre Handlungen in<br />

bestimmten Situationen haben. Sie führten „in Interaktionswelten, durch Wie<strong>de</strong>rholung und Imitation, zu<br />

180


Suchmans Kritik an THE COORDINATOR geht über die Standpunkte Bowers und<br />

Crutzens, die entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n NutzerInnen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n GestalterInnen <strong>de</strong>r technischen<br />

Systeme die volle Verantwortung übergeben, hinaus. Denn sie betont, dass technische<br />

Systeme selbst dann Herrschaftsverhältnisse verfestigen können, wenn die TechnologiegestalterInnen<br />

emanzipatorische Ziele verfolgen. Diese sind auch dann wirksam,<br />

wenn <strong>de</strong>m Gegenstand <strong>de</strong>r Formalisierung, <strong>de</strong>r Ontologie (hier <strong>de</strong>r Sprechakttheorie),<br />

zunächst keine explizite Hierarchisierung eingeschrieben ist, die durch die Technologie<br />

reproduziert o<strong>de</strong>r verstärkt wür<strong>de</strong> (vgl. hierzu Kapitel 4.2.2). Strukturelle Machtverhältnisse<br />

durch Technologie wären vielmehr mit <strong>de</strong>n durch Technologie vorgegebenen<br />

Denk- und Handlungsweisen und <strong>de</strong>n Selbstdisziplinierungen <strong>de</strong>r NutzerInnen verwoben.<br />

Die Prozesse <strong>de</strong>r Einschreibung von Macht, Herrschaft und Geschlecht seien<br />

<strong>de</strong>mzufolge häufig sehr viel komplexer als sie aus <strong>einer</strong> <strong>kritisch</strong> intendierten Perspektive<br />

(<strong>de</strong>r Informatik) erscheinen.<br />

Die Geschlechterpolitik <strong>de</strong>s Formalen, speziell von Klassifikationen, Standards und<br />

Informationssystemen, weist somit insgesamt zwar im Effekt starke Ähnlichkeiten zu<br />

<strong>de</strong>n zuvor vorgestellten Prozessen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring von Artefakten auf. So ver<strong>de</strong>utlichen<br />

die Fallbeispiele und Diskussionen bis hierher, dass durch Formalisierung und Abstraktion<br />

in <strong>de</strong>r Informatik <strong>kritisch</strong>e Stimmen und an<strong>de</strong>re Zugänge ausgeblen<strong>de</strong>t, das<br />

Unsichtbare o<strong>de</strong>r Schwerformalisierbare ausgeschlossen, menschliche Handlungsfähigkeit<br />

durch Technologie eingeschränkt und Machtverhältnisse verstärkt wer<strong>de</strong>n.<br />

Jedoch setzt die Kritik in diesem Kapitel 4.3 auf <strong>einer</strong> allgem<strong>einer</strong>en Ebene als <strong>de</strong>r<br />

bisherigen an, in<strong>de</strong>m das Formale als Bedingung <strong>de</strong>r Möglichkeit <strong>de</strong>s Ausschlusses<br />

und als Voraussetzung <strong>de</strong>r Einschreibung von Herrschaftsstrukturen in die Technologie<br />

begreifbar wird. Dabei geht es nicht mehr direkt darum, dass bestimmte Gruppen von<br />

Männern, aber insbeson<strong>de</strong>re von Frauen als Anwen<strong>de</strong>rInnen bei <strong>de</strong>r Nutzung behin<strong>de</strong>rt<br />

o<strong>de</strong>r Geschlechterungleichheitsverhältnisse in informatischen Artefakten festgeschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n können (vgl. Kapitel 4.1. und 4.2.), son<strong>de</strong>rn um die grundsätzliche<br />

Auffassung von <strong>de</strong>r Objektivität und Neutralität <strong>de</strong>s Formalen, die zur Ignoranz <strong>de</strong>s<br />

Kontexts, sozialer Hierarchie und Ungleichheit führt. Das Problematische <strong>de</strong>s<br />

Formalisierens besteht somit im politischen Charakter von „Formalismen im<br />

Gebrauch“. Deren Politik kann jeweils nur anhand von konkreten Beispielen bzw.<br />

empirischen Fallstudien untersucht und aufgezeigt wer<strong>de</strong>n. Solche Analysen sind<br />

wie<strong>de</strong>rum Voraussetzung dafür, das Formale „an sich“ zu <strong>de</strong>konstruieren, welche<br />

aufgrund <strong>de</strong>r Negation <strong>de</strong>s Politischen durch Objektivität gewissermaßen eine<br />

(Geschlechter-)Politik zweiter Ordnung etabliert. Diese Dekonkstruktion und Re-Kontextualisierung<br />

<strong>de</strong>s Formalen erfor<strong>de</strong>rt jedoch neue wissenschaftstheoretische Grundlagen<br />

für die Wissensrepräsentation und Informatik.<br />

Konzeptionen feministischer Objektivität für die Informatik?<br />

Gegenüber <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Informatik vorherrschen<strong>de</strong>n Objektivitätsi<strong>de</strong>al haben feministische<br />

Theoretikerinnen wie Star, Crutzen und Suchman Parteilichkeit, Kontextualisierung<br />

und Situierung von Wissen eingefor<strong>de</strong>rt, womit sie sich auf <strong>de</strong>n Ansatz Donna<br />

Regeln und Traditionen, wobei <strong>de</strong>r repräsentieren<strong>de</strong> Aktor nicht mehr wahrgenommen wird und […]<br />

gedankenlos benutzt wird. Der Unterschied zwischen gewohntem Han<strong>de</strong>ln und Routine ist, dass<br />

Gewohnheiten än<strong>de</strong>rbar bleiben und losgelassen wer<strong>de</strong>n können. Gewohntes Han<strong>de</strong>ln ist in diesem Sinne<br />

‚verlässlich‘, weil dieses Han<strong>de</strong>ln verhan<strong>de</strong>lbar bleibt“ (Crutzen 2007, 39).<br />

181


Haraways beziehen. Haraways Figur <strong>de</strong>r Cyborg, die in unterschiedlichen Welten<br />

zuhause ist, eröffnet eine Perspektive, das Verhältnis von Formal-Technischem und<br />

multiplen I<strong>de</strong>ntitäten neu zu <strong>de</strong>nken als einen Raum, in <strong>de</strong>m Vielstimmigkeit, heterogene<br />

Zugehörigkeit und Nichtzuordnung erlaubt sind. Star zufolge ginge es darum,<br />

eine reichhaltige Theorie zu entwickeln, die „multiple membership, maintaining the<br />

‚high tension’ zone while acknowledging the cost of maintaining it, the cost of<br />

membership in multiple arenas, multivocality and translation“ (Star 1991b, 49)<br />

zusammenbringt.<br />

Bezogen auf die Informatik schlagen die drei Autorinnen Gegenkonzepte zu <strong>de</strong>r<br />

aufgezeigten epistemologischen Strategie <strong>de</strong>r Politisierung und Vergeschlechtlichung<br />

von Artefakten durch Formalisierung vor: eine Rekonstruktion <strong>de</strong>s Abstraktionsprozesses<br />

mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Sichtbarmachung heterogener Erfahrungen (Star 1991a, b), das<br />

Zulassen von Zweifel und Unsicherheit durch die Herstellung „transformativ-<strong>kritisch</strong>er<br />

Räume“ (Crutzen 2000, 2003) sowie das Konzept „lokaler Verantwortlichkeit („located<br />

accountability“) (Suchman 2002a). Diese Konzeptionen sind zwar teils miteinan<strong>de</strong>r<br />

verwoben, setzen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte, die ich nachfolgend kurz<br />

darstellen und diskutieren will.<br />

Der erste Ansatz zielt auf eine fundierte Analyse <strong>de</strong>s Formalisierungsprozesses,<br />

welche das verborgene Politische <strong>de</strong>s Formalen im Gebrauch wie<strong>de</strong>r sichtbar macht.<br />

Für einen solchen Zugang plädiert insbeson<strong>de</strong>re Susan Leigh Star, die in <strong>de</strong>r Tradition<br />

<strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung und <strong>de</strong>s symbolischen Interaktionismus<br />

steht und sich stark auf <strong>de</strong>n Soziologen Anselm Strauss bezieht. Ihr empirisch-ethnografischer<br />

Ansatz wur<strong>de</strong> bereits in diesem Abschnitt sowie in 4.2.3. bei <strong>de</strong>r Diskussion<br />

unsichtbarer Arbeit ausführlich dargestellt. Doch auch an<strong>de</strong>re feministische VertreterInnen<br />

for<strong>de</strong>rn eine Re-Kontextualisierung <strong>de</strong>s Formalen, die <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>s „disembedding“<br />

(Wagner 1994) bewusst macht als einen, bei <strong>de</strong>m die formalen Objekte von<br />

ihrem ursprünglichen lokalen Kontext und sozialen Verhältnissen getrennt wer<strong>de</strong>n. Die<br />

analytische Re-Konstruktion dieser sozialen und politischen Bedingungen <strong>de</strong>s Formalen<br />

ist sicherlich ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Schritt und notwendige Voraussetzung, um die<br />

Wissensrepräsentation und die Informationssysteme an<strong>de</strong>rs zu gestalten, liefert allerdings<br />

noch keine konkreten Vorgehensweisen für die Gestaltung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte im Sinne eines „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red <strong>de</strong>sign“.<br />

Jedoch führt Star im Kontext ihres Zwiebelallergiebeispiels mit <strong>de</strong>r Partialität und<br />

Situiertheit von Wissen eine Erkenntnishaltung ein, die jenseits <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Informatik<br />

vorherrschen<strong>de</strong>n Objektivitätsi<strong>de</strong>als liegt. Sie argumentiert, dass insbeson<strong>de</strong>re Frauen<br />

Erfahrungen mitbrächten, die für ein besseres Verständnis <strong>de</strong>r Gestaltung und Nutzung<br />

von Wissensrepräsentationen notwendig sind: „This is for three reasons: historically,<br />

our knowledge and work have been ma<strong>de</strong> invisible in the public record, yet we now<br />

recognize that there are a myriad of ways in which invisible work contributes to any<br />

venture; 2) we have as a group <strong>de</strong>veloped a set of skills for juggling real-time work that<br />

escape formal representation but are essential to knowledge; and 3) as a<br />

disenfranchised group, we have access to some informal ways of knowing, including<br />

the knowledge of ourselves and the other, simultaneously.” (Star 1991a. 82). Ein solch<br />

euphorischer Bezug auf „Frauen“ und ihre beson<strong>de</strong>ren, für wissensbasierte Systeme<br />

nützlichen Erfahrungen und Standpunkte erscheint vor <strong>de</strong>m Hintergrund aktueller<br />

feministischer Epistemologie (vgl. etwa Singer 2005) als unhaltbar, da er implizit <strong>de</strong>n<br />

182


Erfahrungshorizont <strong>einer</strong> weißen Mittelklassefrau unterstellt. Wenn jedoch Stars<br />

Aussage nicht essentialistisch, son<strong>de</strong>rn eher konstruktivistisch als eine Frage nach<br />

Ein- und Ausschlüssen bei <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation und -produktion aufgefasst wird,<br />

so lässt sich diese Interpretation durchaus auch heutzutage noch als Grundlage eines<br />

feministischen Ansatzes zur formalen Wissensrepräsentation verstehen. Für einen solchen<br />

Zugang wäre somit zentral, Unsichtbares im repräsentierten Wissen, aber auch<br />

im Prozess formaler Repräsentation aufzu<strong>de</strong>cken, das Wi<strong>de</strong>rständige gegenüber <strong>de</strong>m<br />

Formalen anzuerkennen und sich dabei die Erfahrung gleichzeitigen Insi<strong>de</strong>r- und<br />

Outsi<strong>de</strong>r-Seins, die aus partieller Zugehörigkeit und partieller Marginalisierung resultiert,<br />

zunutze zu machen.<br />

Crutzen dagegen wi<strong>de</strong>rsteht <strong>de</strong>r Versuchung, <strong>de</strong>m traditionellen System<strong>de</strong>sign eine<br />

auf eine vermeintlich gemeinsame Erfahrung von Frauen zurückgeführte <strong>kritisch</strong>e<br />

Haltung entgegenzusetzen. Sie bezieht sich statt<strong>de</strong>ssen auf <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Zweifels,<br />

welchen sie <strong>de</strong>m Philosophen und Vertreter <strong>de</strong>s amerikanischen Pragmatismus John<br />

Dewey entlehnt, um eine <strong>kritisch</strong>e Perspektive zu entwickeln. Zweifel und Unsicherheit<br />

sind Crutzen zufolge wesentlich für die Konstitution offener Interaktionsräume, für die<br />

sie das Konzept <strong>de</strong>s „transformativen <strong>kritisch</strong>en Raumes“ einführt. In diesem Konzept<br />

begreift Crutzen Zweifel als eine Brücke zwischen <strong>de</strong>m offensichtlichen Han<strong>de</strong>ln und<br />

möglicher Än<strong>de</strong>rungen gewohnter Handlungsweisen. Zweifel sei in <strong>de</strong>r Interaktion<br />

situiert und ließe sich mit Dewey primär als <strong>kritisch</strong>es Denken verstehen. Auf dieser<br />

Grundlage gedacht seien Zweifel an Repräsentationen in offenen Interaktionsräumen<br />

möglich und „can be effective in a change of acting itself and in a change of the results<br />

of that acting: the interpretations and representations. The ‚preferred‘ reading of representations<br />

can be negotiated. There is space between interpretation and representation.<br />

Differences and different meaning constructing processes are respected. In<br />

rooms where differences are present, truth is an ongoing conversation and a process<br />

of disclosure and not a correspon<strong>de</strong>nce to reality. Truth is then a mere construction of<br />

actors being in an interaction. Rooms in interaction worlds, where actions of questions<br />

and doubting are present, which have the potential to change their habits and routines<br />

in their interaction, I will call ‚transformative critical rooms‘“ (Crutzen 2003, 93). Insofern<br />

verlässt Crutzen das Feld cartesianischer Objektivität o<strong>de</strong>r Wahrheit und negiert die<br />

Möglichkeit, dass die Welt objektiv abgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n kann. Das dazu von ihr vorgeschlagene<br />

Mittel <strong>de</strong>s Zweifelns dürfe jedoch nicht zu weit gehen, schließlich bräuchten<br />

Menschen Selbstverständliches, um ihre alltägliche Lebenswelt handhaben zu können.<br />

Sie können nicht ständig ihre gesamte Umgebung und je<strong>de</strong>s Gegenüber hinterfragen,<br />

son<strong>de</strong>rn benötigten Routinen und Verlässliches, das gegeben ist und ohne nachzu<strong>de</strong>nken<br />

benutzt wer<strong>de</strong>n kann. Deshalb sei das Herstellen und Unterstützen <strong>kritisch</strong>er<br />

transformativer Räume – auch mittels Technologie – stets ein „Balancieren zwischen<br />

<strong>einer</strong> Verstarrung in Routine und <strong>einer</strong> Verstarrung in Unentschlossenheit, wenn zu viel<br />

Unsicherheit auftritt“ (Crutzen 2007, 44).<br />

Suchmans Kritik an <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Informatik vorherrschen<strong>de</strong>n Konzeptionen von<br />

Objektivität richtet sich primär gegen die Designer-NutzerInnen-Dichotomie, die zum<br />

einen <strong>de</strong>m traditionellen „<strong>de</strong>sign from nowhere“ inhärent eingeschrieben ist in Form<br />

<strong>de</strong>s Mythos vom genialen Schöpfer und technologischen Konstrukteur, <strong>de</strong>m passive<br />

RezipientInnen <strong>de</strong>s Geschaffenen gegenüber gestellt wer<strong>de</strong>n. Zum an<strong>de</strong>ren wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Dualismus durch die in <strong>de</strong>r Informatik häufig zu beobachten<strong>de</strong> unparteiisch-losgelöste<br />

183


Intimität 258 aufrechterhalten, bei <strong>de</strong>r „<strong>de</strong>tachment (from other sites) and intimacy (within<br />

their own) of the scientific and technical communities“ eng miteinan<strong>de</strong>r verknüpft seien:<br />

„<strong>de</strong>tached intimacy … characterizes much of scientific and technological work, through<br />

the joint creation of an elaborate social world within which one can be <strong>de</strong>eply engaged,<br />

but which remains largely self-referential, cut-off from others who might seriously<br />

challenge aspects of the community’s practice“ (Suchman 2002a, 95).<br />

Demgegenüber schlägt Suchman das Konzept lokaler Verantwortlichkeit vor, mit<br />

<strong>de</strong>m sie sich auf Haraways Begriff <strong>de</strong>s parteilichen, verorteten und <strong>kritisch</strong>en Wissens<br />

bezieht: „Feministische Objektivität han<strong>de</strong>lt von begrenzter Verortung und situiertem<br />

Wissen und nicht von Transzen<strong>de</strong>nz und <strong>de</strong>r Spaltung in Subjekt und Objekt. Vielleicht<br />

gelingt es uns so, eine Verantwortlichkeit dafür zu entwickeln, zu welchem Zweck wir<br />

zu sehen lernen.“ (Haraway 1995d [1988], 82). Die Frage nach <strong>de</strong>m Zweck „for what<br />

we learn how to see” ergänzt Suchman durch „for what we learn how to build”, um<br />

Haraways Erkenntniskritik und Plädoyer für Verantwortlichkeit explizit auf die Technologieproduktion<br />

beziehen zu können. Auf dieser Basis plädiert sie für eine neue Grundlage<br />

technologischer Integration, die nicht auf <strong>einer</strong> universellen Sprache grün<strong>de</strong>t,<br />

son<strong>de</strong>rn auf partiellen Übersetzungen. Diese Übersetzungsarbeit beziehe sich nicht<br />

nur auf die offensichtliche Trennung von Gestaltung und Nutzung, son<strong>de</strong>rn erfor<strong>de</strong>re<br />

zugleich die vielfältigen Unterschie<strong>de</strong> innerhalb bei<strong>de</strong>r spezialisierten Welten zu<br />

berücksichtigen. Ziel sei „not the creation of discrete, intrinsically meaningful objects,<br />

but the cultural production of new forms of material practice“ (Suchman 2002a, 99). Zu<br />

<strong>einer</strong> solchen Praxis gehöre beispielsweise, die Objekte in die Umgebungen ihrer<br />

intendierten Nutzung zu bringen statt sie in speziell dafür eingerichteten Usability-<br />

Laboren zu testen. Heterogenität in technischen Systemen solle insgesamt mehr<br />

Wertschätzung entgegen gebracht wer<strong>de</strong>n. Diese könne jedoch nicht durch<br />

hegemoniale und hierarchisieren<strong>de</strong> Strategien erreicht wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn vielmehr durch<br />

Praktiken <strong>de</strong>r „artful integration“. 259<br />

Die skizzierten feministischen Ansätze stellen nicht nur Gegenkonzepte zu <strong>de</strong>n in<br />

<strong>de</strong>r Informatik üblichen Abstraktionen auf Basis traditioneller Objektivitätsverständnisse<br />

dar, die zu einem Prozess, <strong>de</strong>n Star als Naturalisierung bezeichnet, „[t]he process of<br />

stripping away the contingencies of an object’s creation and its situated nature“ (Star<br />

1994 nach Bratteteig/ Verne 1997, 44) und damit letztendlich zu <strong>einer</strong> Negation <strong>de</strong>s<br />

Politischen und Geschlechtlichen führt. Sie wen<strong>de</strong>n sich zugleich gegen die in <strong>de</strong>r<br />

informatischen Wissensrepräsentation und Systemgestaltung vorherrschen<strong>de</strong><br />

Epistemologie, die im folgen<strong>de</strong>n Abschnitt <strong>kritisch</strong> diskutiert wird.<br />

258 Mit <strong>de</strong>m Konzept <strong>de</strong>r „losgelösten Intimität“ bezieht sich Suchman auf Ina Wagner, die drei <strong>de</strong>r<br />

gleichzeitigen Distanz und Involviertheit zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Prozesse herausgearbeitet hat: <strong>de</strong>r<br />

organisatorische Egozentrismus, <strong>de</strong>r auf die „Autopoesis“ wissenschaftlich-technischer Gemeinschaften<br />

verweist, die angebliche Gemeinschaftlichkeit, nach <strong>de</strong>r die geteilte Realität Selbstverständnisse für das<br />

Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Einzelnen herstellt, sowie die De-Realisierung mittels <strong>einer</strong> Umgebung, beispielsweise eines<br />

Labors, <strong>einer</strong> mathematischen Theorie o<strong>de</strong>r eines Computerbildschirms, durch die eine Distanz von <strong>de</strong>n<br />

praktischen Dingen <strong>de</strong>s Lebens erzeugt wird, vgl. Wagner 1994.<br />

259 Weitere Ansatzpunkte für eine Transformation <strong>de</strong>r Gestaltung/Nutzung von Technologien im Sinne<br />

<strong>einer</strong> „located accountability“ sieht Suchman im Erkennen <strong>de</strong>r vielfältige Formen sichtbarer und<br />

unsichtbarer Arbeit bei <strong>de</strong>r Nutzung/ Gestaltung von Technologie, in <strong>de</strong>r eigenen Verortung innerhalb <strong>de</strong>s<br />

komplexen Netzes von Verbindungen und Verantwortlichkeit für unsere eigene Partizipation, in einem<br />

Verständnis von Nutzung als Rekontextualisierung von Technologie sowie im Akzeptieren <strong>de</strong>s begrenzten<br />

Kontrolle je<strong>de</strong>r einzelnen AkteurIn über die Gestaltung/Nutzung von Technologie, vgl. Suchman 2002a.<br />

184


4.3.2. Epistemologie und Ontologie <strong>de</strong>s Formalen<br />

Klassische Fragen <strong>de</strong>r Erkenntnistheorie, z.B. wie wir Erkenntnisse gewinnen, d.h.<br />

wissen können, welches Wissen als wahr gilt und welche Kriterien dafür herangezogen<br />

wer<strong>de</strong>n sollten, wur<strong>de</strong>n in diesem Abschnitt 4.3 bereits gestreift. Stand im vorherigen<br />

Abschnitt die Problematik im Vor<strong>de</strong>rgrund, dass Formalismen die ontologischen<br />

Voraussetzungen, politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Folgen kaschieren<br />

und damit <strong>de</strong>n eigenen politischen Charakter verleugnen können, so wird im<br />

folgen<strong>de</strong>n Abschnitt <strong>de</strong>r Fokus auf zwei grundlegen<strong>de</strong> Fragen <strong>de</strong>r feministischen<br />

Epistemologie verschoben: welches Wissen gilt als legitim und wer ist das Subjekt<br />

dieses Wissens? Insbeson<strong>de</strong>re die zweite Frage unterschei<strong>de</strong>t feministische Ansätze<br />

zur Epistemologie von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r traditionellen Erkenntnistheorie. Feministische<br />

Theoretikerinnen wie Harding, Longino, Haraway und Hayles haben auf verschie<strong>de</strong>ne<br />

Weisen darauf aufmerksam gemacht, dass Wissen stets vom Subjekt <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />

abhängt, von <strong>de</strong>ssen kulturellen Kontext, sozialen Status, Körperlichkeit, mithin von <strong>de</strong>r<br />

Subjektivität <strong>de</strong>r/<strong>de</strong>s Erkennen<strong>de</strong>n geprägt ist. Diese Einsicht wur<strong>de</strong> vom Mainstream<br />

erkenntnistheoretischer Ansätze, etwa Richard Foley, ignoriert und ein universelles<br />

Subjekt <strong>de</strong>s Wissens unterstellt.<br />

In Bezug auf die erste Frage erläutert Alison Adam (1995, 1998) die klassische,<br />

durch die Naturwissenschaften geprägte epistemologische Sicht. Dieser gilt nur dasjenige<br />

Wissen als legitim, das durch formale Sätze <strong>de</strong>r Form „S knows that p“ dargestellt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Dabei repräsentiert S das wissen<strong>de</strong> Subjekt, während p ein Teil<br />

propositionalen Wissens ist, welches das Subjekt kennt („weiß“). „The archetypal<br />

knowers, authors of scientific research, are supposed to be anonymous – the individual<br />

is always abstract. […] all knowing is taken to be just as objective. Thus the i<strong>de</strong>al<br />

knower is ‚nowhere‘ and un<strong>de</strong>rstandably this has been criticized by feminists as both<br />

containing a <strong>de</strong>ep gen<strong>de</strong>r bias and as also highly implicated in projects of gen<strong>de</strong>r<br />

domination.”“ (Adam 1995, 362) Die Problematik eines solchen nicht situierten, scheinbar<br />

unparteiischen Standpunkts bestehe nicht nur darin, dass es einen in diesem<br />

Sinne i<strong>de</strong>alen Beobachter nicht gibt, vielmehr setze dieser das I<strong>de</strong>al implizit mit einem<br />

u.a. weißen, westlichen, bürgerlichen, nichtbehin<strong>de</strong>rten und heterosexuellen Mann als<br />

souveränem Beobachter gleich, womit untergeordnete Gruppen davon abgehalten wer<strong>de</strong>n,<br />

sich an <strong>de</strong>r Herstellung von Wissen gleichrangig zu beteiligen. Ein universelles<br />

Subjekt <strong>de</strong>s Wissens sei eine Illusion, die einen perspektivlosen Blick vom Nirgendwo<br />

(‚view from nowhere‘) unterstelle.<br />

Die zweite problematische Annahme, die <strong>de</strong>r herkömmlichen erkenntnistheoretischen<br />

Sicht <strong>de</strong>s „S knows that p“ zugrun<strong>de</strong> liegt, ist die <strong>de</strong>s autonomen Erkenntnissubjekts.<br />

Feministische Theoretikerinnen wie Helen Longino kritisieren, dass Wissen nicht<br />

im „Besitz“ Einzelner, son<strong>de</strong>rn ein kollektives Unternehmen sei. Dem passiven cartesianischen<br />

Erkenntnissubjekt, das als EmpfängerIn und SammlerIn von Wissen konzipiert<br />

wird, setzen sie entgegen, dass Wissen in sozialen Gruppen und interpersoneller<br />

Erfahrung verortet ist. Um Überzeugungen und Wissen entwickeln zu können, sei ein<br />

Gegenüber notwendig, das Wissen um und über an<strong>de</strong>re. Die Diskussion <strong>de</strong>s Zwiebelallergie-Beispiels<br />

hat bereits darauf verwiesen, dass nicht nur ein Wissen und ein Weg<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnis als legitim gelten können. Es ver<strong>de</strong>utlicht, dass vielfältige, heterogene<br />

Erkenntnisse und Wege <strong>de</strong>r Erkenntnis erlaubt sein und zugelassen wer<strong>de</strong>n sollten.<br />

185


Das Subjekt <strong>de</strong>s Wissens in <strong>einer</strong> Enzyklopädie gesun<strong>de</strong>n Menschenverstands<br />

In <strong>de</strong>r Informatik erscheinen Fragen <strong>de</strong>r Konstitution von Wissen und <strong>de</strong>r<br />

erkennen<strong>de</strong>n (bzw. Wissen konstruieren<strong>de</strong>n) Subjekte insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>r Untersuchung<br />

von Vergeschlechtlichungsprozessen in <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenzforschung<br />

relevant. „In looking at the manner in which gen<strong>de</strong>r is inscribed in AI, as AI is so much<br />

to do with knowledge and the simulation of knowing, a clear view of the ways […] in<br />

which the subject of the knowledge, or the knower is ren<strong>de</strong>red visible or invisible, are<br />

both crucial to an un<strong>de</strong>rstanding of how gen<strong>de</strong>r is involved in the <strong>de</strong>sign and building of<br />

AI systems“ (Adam 1998, 29). 260 Für die Fragestellung dieses Kapitels erscheint Alison<br />

Adams Ansatz wesentlich, nimmt sie mit <strong>de</strong>r KI doch einen wesentlichen Bereich <strong>de</strong>r<br />

Informatik in <strong>de</strong>n Blick, <strong>de</strong>r bis heute in feministischen Kritiken noch immer stark<br />

unterbeleuchtet ist.<br />

Eine ihrer überzeugendsten Fallstudien bezieht sich auf CYC, ein wissensbasiertes<br />

System über das Alltagswissen, das ab 1984 unter <strong>de</strong>r Leitung von Douglas Lenat 261 in<br />

<strong>de</strong>n USA entwickelt wur<strong>de</strong> und über zehn Jahre hinweg hohe Summen an Forschungsför<strong>de</strong>rung<br />

erhielt. CYC basierte auf <strong>de</strong>m klassischen symbolorientierten Ansatz <strong>de</strong>r KI,<br />

<strong>de</strong>r auf die Nachbildung rationalen Denkens fokussiert und annimmt, dass eine<br />

vollständige Repräsentation von Wirklichkeit (bzw. zumin<strong>de</strong>st eines Anwendungsbereiches)<br />

möglich ist. 262 Die Vision dieses System bestand darin, eine Wissensdatenbank<br />

zu erstellen, die sämtliches Wissen enthält, das als „gesun<strong>de</strong>r Menschenverstand“ gilt.<br />

Damit sollten die Unzulänglichkeit herkömmlicher Expertensysteme und Wissensdatenbanken,<br />

ausschließlich Aussagen über sehr begrenzte, klar spezifizierte Anwendungsbereiche<br />

machen zu können, kompensiert wer<strong>de</strong>n. „Common sense is viewed as some<br />

kind of substratum that serves to facilitate more complex reasoning by providing basic<br />

or obvious information nee<strong>de</strong>d […] The rationale behind formalizing common sense is<br />

that the information contained in the substratum can help to find or make connections<br />

between information contained in expert systems and other kinds of programs, for<br />

instance word processors, spreadsheets, and internet provi<strong>de</strong>rs.“ (Sherron 2000, 112).<br />

Die Entwickler stellten sich vor, dass das einmal ausgereifte System später mit <strong>de</strong>r<br />

Mehrzahl neu verkaufter Computer mitgeliefert wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, so wie etwa Microsoft<br />

Windows auf <strong>de</strong>n meisten Rechnern vorinstalliert ist, um die Systeme mit <strong>de</strong>r Intelligenz<br />

gesun<strong>de</strong>n Menschenverstands aufrüsten zu können.<br />

Um <strong>de</strong>n gesun<strong>de</strong>n Menschenverstand zu formalisieren, gingen die Konstrukteure<br />

folgen<strong>de</strong>rmaßen vor: Zunächst sollten sämtliche Gegenstän<strong>de</strong> dieser Welt durch<br />

260 Der Kontext <strong>de</strong>s Zitats lässt darauf schließen, dass Adams hier eine standpunktheoretische Perspektive<br />

einnimmt, die ein „spezifisches Wissen von Frauen“ voraussetzt und gerenalisiert. Jedoch betont sie<br />

an an<strong>de</strong>rer Stelle die „multiplicity of women’s ways of knowledge“, die feministische Epistemologie<br />

gegenüber traditionellen Ansätzen, die auf eine vereinheitlichte Theorie <strong>de</strong>s Wissens fokussierten,<br />

charakterisiere (Adam 2000, 104) Eine solche Sicht multipler Wissenszugänge und -konstruktionen ist mit<br />

<strong>de</strong>n in Kapitel 3 dargelegten theoretischen Grundlagen dieser Arbeit besser vereinbar als ein essentialistischer<br />

Ansatz.<br />

261 Der indische Informatiker Ramanathan V. Guha war <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong>n Leiter <strong>de</strong>s Projekts.<br />

Interessanterweise arbeitet er heutzutage bei Google. Diese personelle Kontinuität gibt erste Hinweise<br />

darauf, dass die mittlerweile mehr als zehn Jahre alten feministischen Kritiken womöglich auch in <strong>de</strong>n<br />

gegenwärtigen Formen <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation, z.B. bei Suchmaschinen, relevant sind. Auf die<br />

Aktualität <strong>de</strong>r skizzierten Ansätze wer<strong>de</strong> ich weiter unten kurz zurückkommen.<br />

262 Auf Ansätze <strong>de</strong>r „neueren“ KI, die versuchen, „Embodiment“, Situiertheit o<strong>de</strong>r Emotionen zu erfassen,<br />

komme ich später zurück, vgl. hierzu Abschnitt 4.3.3.<br />

186


ein<strong>de</strong>utige formale Repräsentationen beschrieben wer<strong>de</strong>n, um anschließend die<br />

Zusammenhänge zwischen diesen Repräsentationen genauer zu spezifizieren. Dieses<br />

„Wissen“ war in Form prädikatenlogischer Aussagen zu formulieren. Das System<br />

ermöglicht dann mittels formaler Regeln Schlussfolgerungen über die gespeicherten<br />

Zusammenhänge zu ziehen sowie Plausibilitätskontrollen durchzuführen. Das repräsentierte<br />

Wissen ließe sich auf die Weise automatisch erweitern.<br />

Feministische Theoretikerinnen wie Adam (1995, 1998) arbeiteten die Voraussetzungen<br />

<strong>de</strong>s Systems heraus. CYC beruhe auf <strong>de</strong>r Annahme, dass Menschen eine<br />

umfangreiche Bibliothek <strong>de</strong>s Alltagswissens besitzen, das in Form formaler Aussagen<br />

und Regeln ausgedrückt wer<strong>de</strong>n kann. Das be<strong>de</strong>ute jedoch <strong>einer</strong>seits, dass sämtliche<br />

Menschen in ein und <strong>de</strong>rselben Realität leben und darin übereinstimmen, was zu<br />

dieser dazugehört und ausgeschlossen ist, „be they a professor, a waitress, a six-yearold<br />

child, or even a lawyer“ (Lenat/ Guha 1990 nach Adam 1998, 85). Es wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>mzufolge<br />

ein universelles Subjekt <strong>de</strong>s Wissens vorausgesetzt. An<strong>de</strong>rerseits impliziere<br />

die Inanspruchnahme <strong>de</strong>r Prädikatenlogik, dass das im System repräsentierte Wissen<br />

wi<strong>de</strong>rspruchsfrei ist und keine gegensätzlichen Auffassungen enthalten kann. „Cyc is<br />

<strong>de</strong>veloped within a frame of reference which assumes, at bottom, that it is possible to<br />

access a real world about which we will all agree […]. In other words Cyc’s <strong>de</strong>sign is<br />

built on this one element of foundationalist epistemology at least“ (Adam 1998, 86).<br />

Aufgrund <strong>de</strong>ssen erscheint es interessant, wie das System mit wi<strong>de</strong>rsprüchlichen<br />

Aussagen umgeht: „what if my common sense disagrees with your common sense,<br />

whose is to be chosen?“ (Adam 1995, 360). Als eine Lösung dafür sieht das System<br />

vor, dass Aussagen entwe<strong>de</strong>r als „Wissen“ (knowledge) gelten o<strong>de</strong>r eher als<br />

„Vorstellung“ bzw. „Überzeugung“ (belief) markiert wer<strong>de</strong>n können, wobei <strong>de</strong>m Wissen<br />

allerdings ein höherer Status zugestan<strong>de</strong>n wird als <strong>de</strong>n markierten Aussagen. Die<br />

Differenzierung etabliert somit eine Wissenshierarchie, welche wie<strong>de</strong>rum die Frage<br />

aufwirft, wer im Zweifelsfall darüber entschei<strong>de</strong>t, ob eine Aussage als Wissen gilt o<strong>de</strong>r<br />

als „belief“ abqualifiziert wird. Abgesehen von <strong>de</strong>m angeführten Zitat, das ein universelles<br />

Erkenntnissubjekt unterstellt, konnte Adam kaum einen expliziten Hinweis darauf<br />

fin<strong>de</strong>n, welches Subjekt <strong>de</strong>s Wissens die Konstrukteure von CYC implizit annehmen.<br />

An dieser Stelle wur<strong>de</strong> jedoch <strong>de</strong>utlich, dass es letztendlich die Konstrukteure selbst<br />

sind, die über entsprechen<strong>de</strong> Entscheidungsmacht verfügen. Insofern bil<strong>de</strong>ten die in<br />

CYC als „Wissen“ repräsentierten Aussagen „TheWorldAsTheBuil<strong>de</strong>rsofCycBelieveIt-<br />

ToBe“ (Adam 1995, 364). Adam resümmiert über die vergeschlechtlichten Einschreibungen<br />

und Wirkungen <strong>de</strong>s Systems: „Middle-class male professional knowledge<br />

informs TheWorldAsTheBuil<strong>de</strong>rsofCycBelieveItToBe and hopes that such a world<br />

might be available in a global knowledge base as a form of epistemological<br />

imperialism“ (Adam 1995, 365).<br />

Adams Analyse zufolge stellt CYC ein Para<strong>de</strong>beispiel für die Übersetzung herkömmlicher<br />

rationalistischer Epistemologie in ein technisches System dar, an <strong>de</strong>m sich<br />

viele Aspekte feministischer Epistemologien, von <strong>de</strong>r Kritik am universalen Wissenssubjekt<br />

bis hin zu <strong>de</strong>r am ‚view from nowhere‘, exemplifizieren lassen. CYC umfasst<br />

primär das kognitive Wissen weißer, heterosexueller, gebil<strong>de</strong>ten Mittelstandsmänner<br />

westlicher Prägung und grenzt u.a. „embodied and skilled knowledge“ von <strong>einer</strong><br />

Repräsentation aus. Mit <strong>de</strong>r Konstitution <strong>einer</strong> Wissensordnung wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m System<br />

Machtverhältnisse und eine (Geschlechter-)Politik eingeschrieben: „Cyc ignores<br />

187


minority views, the quiter voices, and allows the majority voice to speak for everyone“<br />

(Sherron 2000, 114). O<strong>de</strong>r wie Adam es ausdrückt: „Cyc’s mo<strong>de</strong>ls of the world are<br />

hegemonic mo<strong>de</strong>ls – unconsciously reflecting the views of the powerful, privileged<br />

positions.“ (Adam 1998, 86)<br />

Auch über <strong>de</strong>n Ausschluss von Perspektiven hinausgehend erscheinen die<br />

Grundannahmen von CYC hochproblematisch. Denn was als gesun<strong>de</strong>r Menschenverstand<br />

gilt, verän<strong>de</strong>rt sich über die Zeit und differenziert sich kulturell sehr stark aus. Die<br />

Systementwickler nehmen jedoch nicht wahr, dass <strong>de</strong>r Gegenstand ihrer Formalisierung<br />

von <strong>einer</strong> Vielzahl von Faktoren wie Kultur, Alter, Klasse, Geschlecht, sexuelle<br />

Orientierung etc., d.h. von <strong>de</strong>r spezifischen Verortung <strong>de</strong>s Wissenssubjekts abhängt.<br />

Noch heikler erscheint Adam jedoch, dass normative Aussagen in das System<br />

hineingeraten, beispielsweise darüber, wie bestimmte Menschen (z.B. Frauen, Männer,<br />

Kin<strong>de</strong>r, ethnische Min<strong>de</strong>rheiten etc.) zu sein haben o<strong>de</strong>r wie sie zu behan<strong>de</strong>ln sind –<br />

und dies nicht reflektiert wird. Das formale Regelsystem droht, solche Normierungen<br />

und Stereotypisierungen noch weitergehend zu verstärken. Insofern wirft das System<br />

Fragen <strong>de</strong>r Moral und Verantwortung auf: „Do the buil<strong>de</strong>rs of Cyc wish to mirror and<br />

maintain existing prejudices and inequity or should their system be <strong>de</strong>liberately<br />

<strong>de</strong>signed to expose unfairness and inequality?“ (Adam 1995, 364)<br />

Adam formuliert diese Frage geschickt, in<strong>de</strong>m sie sich auf die Wünsche <strong>de</strong>r<br />

Entwickler konzentriert. Eine Antwort auf diese Frage lässt offen, ob im System<br />

repräsentierte Vorurteile o<strong>de</strong>r Ungleichheitsstrukturen diese im Gebrauch tatsächlich<br />

reproduzieren. Adam vermei<strong>de</strong>t damit die Falle, von <strong>einer</strong> eins-zu-eins Übersetzung<br />

<strong>de</strong>r Intentionen von Designern in Auswirkungen <strong>de</strong>s Systems auszugehen. 263 Wenn sie<br />

von <strong>einer</strong> Abbildung <strong>de</strong>r Realität im System ausginge, so wür<strong>de</strong> sie die Verantwortung<br />

einseitig <strong>de</strong>n Entwicklern zuzuweisen. Dies be<strong>de</strong>utet, <strong>de</strong>n von feministischen<br />

Theoretikerinnen als inhärent „männlich“ <strong>de</strong>konstruierten Mythos <strong>de</strong>s autonomen<br />

Subjekts erneut hervorzuholen und zu bestätigen. Adam weist jedoch selbst auf <strong>de</strong>n<br />

„more diffuse sense of responsibility“ (Adam 1998, 97) hin, <strong>de</strong>r sich aus <strong>einer</strong> Aktor-<br />

Netzwerk-Perspektive ergibt. Sie wen<strong>de</strong>t dieses Verständnis kollektiver Verantwortung<br />

<strong>de</strong>r beteiligten AkteurInnen jedoch nicht auf ihre Analyse <strong>de</strong>r Konstruktion von CYC an,<br />

son<strong>de</strong>rn erklärt nur lapidar dass CYC <strong>de</strong>n Problemen traditioneller Epistemologie zum<br />

Opfer fallen wür<strong>de</strong>, die die moralischen Dimensionen menschlichen Problemlösens<br />

nicht erfassen könne (ebd.).<br />

Während Adam das System CYC letztendlich aus <strong>einer</strong> ethischen Perspektive<br />

interpretiert, fragt Catherine Sherron danach, wie sich die feministischen Kritiken formal-technisch,<br />

d.h. in <strong>de</strong>r Logik <strong>de</strong>r Konstrukteure umsetzen ließen. Ihrem Ansatz<br />

zufolge sei ein wissensbasiertes System zu konstruieren, das die Vorstellung von<br />

einem einheitlichen gesun<strong>de</strong>n Menschenverstands hinter sich lässt und statt<strong>de</strong>ssen<br />

heterogene, insbeson<strong>de</strong>re unterrepräsentierte Stimmen o<strong>de</strong>r die von Marginalisierten<br />

das System integriert. Es seien alternative Erklärungen zu repräsentieren, die vom<br />

Standard abweichen. Ferner solle die Verortung <strong>de</strong>r Konstrukteure offen gelegt, d.h.<br />

<strong>de</strong>ren Hintergrundannahmen und Charakteristiken aufge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n. Sherron schlägt<br />

zugleich vor, wie diese Vorstellungen praktisch umgesetzt wer<strong>de</strong>n könnten. Um<br />

263 Diese Perspektive wur<strong>de</strong> in Kapitel 3 <strong>einer</strong> <strong>kritisch</strong>en Analyse unterzogen, vgl. insbeson<strong>de</strong>re Kapitel<br />

3.2.<br />

188


vielfältige, auch wi<strong>de</strong>rsprüchliche Versionen gesun<strong>de</strong>n Menschenverstands in CYC zu<br />

repräsentieren, böte die KI mit ihrem Konzept <strong>de</strong>r Mikrotheorien bereits eine Lösung<br />

an, <strong>de</strong>nn diese „can represent different points of view, levels of granularity, cultural<br />

differences, age differences, time periods, corporate cultures, etc.“ (vgl. Russell/ Norvig<br />

1995 nach Sherron 2000, 117). Um auch <strong>de</strong>n zweiten Anspruch zu erfüllen, solle je<strong>de</strong><br />

Mikrotheorie ihrer EntwicklerIn entsprechend markiert wer<strong>de</strong>n, was zugleich die<br />

Verantwortung <strong>de</strong>r EntwicklerInnen för<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>. Damit bringt sie einen Vorschlag<br />

ein, <strong>de</strong>r im Rahmen <strong>de</strong>s technisch Machbaren liegt. Dieser löst jedoch nur einen Teil<br />

<strong>de</strong>r Probleme, welche die feministische Epistemologie aufgeworfen hat. So legt das<br />

von Sherron gedachte System we<strong>de</strong>r die Situierung <strong>de</strong>r EntwicklerIn/AutorIn einschließlich<br />

ihrer Hintergrundannahmen offen, noch wird verkörpertes und an<strong>de</strong>res<br />

implizites Wissen in das System eingebun<strong>de</strong>n, das sich nicht in Form logischer<br />

Aussagen fassen lässt und – so die differenzfeministische Kritik – häufig „weiblich“<br />

konnotiertes Wissen ist.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz machen Sherrons technische Empfehlungen auf eine generelle<br />

Ten<strong>de</strong>nz in <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation und Entwicklung von Informationstechnologien<br />

aufmerksam. Im Rückblick auf ein System, <strong>de</strong>ssen Konzept vor mehr als zwanzig<br />

Jahren entstan<strong>de</strong>n ist, wird <strong>de</strong>utlich, dass zumin<strong>de</strong>st einzelne Aspekte <strong>de</strong>r<br />

feministischen Kritik in <strong>de</strong>n aktuellen technologischen Ansätzen berücksichtigt scheinen.<br />

So versteht sich etwa die Internet-Enzyklopädie Wikipedia umfassen<strong>de</strong>r noch als<br />

CYC als ein „Versuch das gesamte Wissen <strong>de</strong>r Welt zu sammeln und je<strong>de</strong>rmann<br />

zugänglich zu machen“. 264 Mit <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>s kollaborativen Publizierens basiert die<br />

Technologie <strong>de</strong>r Wikis 265 grundlegend auf <strong>de</strong>r Annahme, dass Wissen nicht individuell<br />

durch ein autonomes Wissenssubjekt (eine ExpertIn), son<strong>de</strong>rn zutiefst sozial verfasst<br />

ist und ausgehan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n muss. 266 Dabei ist ein Teil <strong>de</strong>r Aushandlungsprozesse<br />

darüber, was als legitimes Wissen anerkannt wird, sichtbar, die bei CYC im Verborgenen<br />

geblieben sind, da in Wikipedia die Trajektorie <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rungen eines Artikels<br />

abrufbar ist. Diese Sichtbarkeit umfasst sowohl die früheren Versionen eines Artikels<br />

als auch die jeweiligen AutorInnen, die kenntlich gemacht sind. Dennoch beharrt<br />

Wikipedia, wie Vetter (2006) zurecht betont, auf <strong>de</strong>m Grundsatz <strong>de</strong>r Neutralität von<br />

Wissen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m für viele GeschlechterforscherInnen wichtigen Prinzip <strong>de</strong>r Kennzeichnung<br />

<strong>de</strong>r eigenen Zugehörigkeit (z.B. zu <strong>einer</strong> wissenschaftlichen Schule, Denkrichtung,<br />

disziplinären Perspektive o<strong>de</strong>r zu auch bestimmten sozialen Gruppen) wi<strong>de</strong>r-<br />

264 Vgl. http://<strong>de</strong>.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiRea<strong>de</strong>r/Wikipedia_Kapitel_1 (letzter Zugriff am<br />

5.2.2008); dabei sollen die Artikel „ausschließlich be<strong>de</strong>utsames Wissen aus belegten und zuverlässigen<br />

Quellen enthalten. Der Name Wikipedia setzt sich zusammen aus wikiwiki, <strong>de</strong>m hawaiischen Wort für<br />

‚schnell‘, und ‚encyclopedia‘, <strong>de</strong>m englischen Wort für ‚Enzyklopädie‘. Ein Wiki ist eine Webseite, <strong>de</strong>ren<br />

Seiten je<strong>de</strong>rmann leicht und ohne technische Vorkenntnisse direkt im Internetbrowser än<strong>de</strong>rn kann.“<br />

(http://<strong>de</strong>.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Über_Wikipedia, letzter Zugriff am 5.2.2008)<br />

265 Im Informatik-Spektrum wer<strong>de</strong>n Wikis folgen<strong>de</strong>rmaßen charakterisiert: „Ein Wiki ist ein webbasiertes<br />

System, das das kollaborative Verfassen und Aktualisieren von Webseiten ermöglicht. Die wichtigsten<br />

Eigenschaften von Wikis sind die Offenheit, welche es je<strong>de</strong>m Benutzer erlaubt, an <strong>de</strong>r Erstellung von<br />

Inhalten teilzunehmen, und die Flexibilität bezüglich <strong>de</strong>r unterschiedlichen Arbeitsweisen verschie<strong>de</strong>ner<br />

Benutzer, ohne einen technologischen Zwang auszuüben.“ (Schaffert et al. 2007, 434) Wikis gehören zu<br />

<strong>de</strong>r Klasse <strong>de</strong>r „Social Software“, die sich epistemologisch vom Konstrukt <strong>de</strong>s cartesianischen individuellen<br />

und autonomen Wissenssubjektes abgewandt haben.<br />

266 Das in Wikipedia repräsentierte Wissen bleibt darüber hinaus nicht auf prädikatenlogische Ausdrücke<br />

beschränkt, son<strong>de</strong>rn erlaubt eine sprachliche Beschreibung, die je nach Wissensgebiet mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

wissenschaftlich orientiert ist. Ob das ausreichen<strong>de</strong> Möglichkeiten gibt, um verkörpertes Wissen und<br />

skilled knowledge darzustellen, wie es von feministischer Seite in Bezug auf CYC gefor<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>, ist<br />

allerdings fragwürdig.<br />

189


spricht. Darüber hinaus wür<strong>de</strong> ein emotionales Verhältnis zu einem bestimmten Thema<br />

aufgrund eigener Betroffenheit (z.B. durch sexistische o<strong>de</strong>r rassistische Diskriminierung)<br />

als ein Ausschlusskriterium gehandhabt, statt diese parteiliche Involviertheit<br />

<strong>kritisch</strong> zu reflektieren (vgl. Vetter 2006, 9f).<br />

Wird Adams Kritik ernst genommen, so ist hier jedoch noch weitergehend nach <strong>de</strong>m<br />

Subjekt <strong>de</strong>s Wissens zu fragen: wer schreibt in Wikipedia? Und wer verfügt über die<br />

dafür notwendigen Ressourcen? Denn es ist zu vermuten, dass sich dort prinzipiell<br />

Interessen und Machtverhältnisse durchsetzen wie bei <strong>de</strong>n zuvor betrachteten Informationssystemen.<br />

Bisher sind nur wenige Frauen AutorInnen bei Wikipedia. Auf <strong>de</strong>r<br />

Ebene <strong>de</strong>s repräsentierten Wissens sind Ansätze <strong>de</strong>r Geschlechterforschung kaum zu<br />

fin<strong>de</strong>n. 267<br />

Ein grober Blick auf an<strong>de</strong>re aktuelle Technologien <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation lässt<br />

vermuten, dass die Konzentration von Macht durch Wissen intensiviert wird, wenn<br />

Formalismen (beispielsweise Ontologien im Kontext <strong>de</strong>s Semantic web o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer<br />

semantischer Technologien) o<strong>de</strong>r Technologien zur Automatisierung (z.B. Suchmaschinen<br />

wie Google) zum Einsatz kommen. Analysen solcher Technologien <strong>de</strong>r<br />

Wissensgesellschaft, die über eine Kritik an <strong>de</strong>r Politik dieser Artefakte und <strong>de</strong>ren<br />

ökonomischer Monopolisierung von Information hinausgehen (vgl. etwa Introna/<br />

Nissenbaum 2000, Maurer 2007) und vielmehr aus <strong>de</strong>r Perspektive feministischer<br />

Epistemologie argumentieren, wie sie Adam am Beispiel von CYC vorgeführt hat,<br />

stehen meines Wissens jedoch noch aus.<br />

Objektorientierung: Naiver Realismus und die Vermeidung von Komplexität<br />

Die anhand <strong>de</strong>s wissensbasierten Systems CYC zum „gesun<strong>de</strong>n Menschenverstand“<br />

exemplifizierte feministische Objektivitäts- und Rationalitätskritik wird von Cecile<br />

Crutzen auf die Analyse- und Mo<strong>de</strong>llierungsmetho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Objektorientierung (OO)<br />

angewandt und weiter geführt (vgl. Crutzen 2000, Crutzen/ Gerrissen 2000, Crutzen/<br />

Vosseberg 1999). Da Objektorientierte Analyse und Design seit Mitte <strong>de</strong>r 1990er Jahre<br />

das vorherrschen<strong>de</strong> Paradigma <strong>de</strong>r Softwareerstellung ist und die Softwaretechnik als<br />

„Kern“ <strong>de</strong>r Informatik gilt, hat eine feministische Analyse dieser formalen Vorgehenswiese<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Informatik insgesamt eine große Relevanz.<br />

Um die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Objektorientierung zu veranschaulichen und ihre Kritik an <strong>de</strong>n<br />

epistemologischen und ontologischen Voraussetzung dieser Form <strong>de</strong>r Repräsentation<br />

zu veranschaulichen, greift Crutzen auf <strong>de</strong>n Vergleich mit <strong>de</strong>n technischen Medien <strong>de</strong>r<br />

Fotografie und <strong>de</strong>s Films zurück (vgl. Crutzen/ Gerrissen 2000, 129f). Die Datenmo<strong>de</strong>lle<br />

in <strong>de</strong>r OO seien statische Repräsentationen eines Gegenstandsbereiches, <strong>de</strong>r<br />

vergleichbar mit einem Foto ist, in <strong>de</strong>m sich die Position <strong>de</strong>r Kamera, die Lichtverhältnisse<br />

und die subjektive Perspektive <strong>de</strong>r FotografIn wi<strong>de</strong>rspiegelten. Diese subjektive<br />

Sicht wer<strong>de</strong> jedoch in <strong>de</strong>r Informatik als „wahre“, objektive Repräsentation <strong>de</strong>r Realität<br />

verstan<strong>de</strong>n. Die dynamische Mo<strong>de</strong>llierung mittels OO, das Pendant zum Film, basiere<br />

Crutzen zufolge auf <strong>de</strong>r statischen und subjektiven Vorstellung von Realität, da<br />

Dynamiken als serielle Anordnung von Fotos bzw. Datenmo<strong>de</strong>llen aufgefasst wer<strong>de</strong>n.<br />

Dies habe Konsequenzen dafür, was mit OO mo<strong>de</strong>lliert und gesehen wer<strong>de</strong>n kann und<br />

267 Vgl. hierzu auch <strong>de</strong>n Workshop „Bilanzraum Wikipedia“ <strong>de</strong>r Internet-Theorie-Gruppe Hamburg auf <strong>de</strong>m<br />

Kongress „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“ 2006 in Köln.<br />

190


was ausgeschlossen ist. „You can record with OO some of the real world dynamics and<br />

represent the changes as series of discrete moments of time. There are changes that<br />

the OO camera can not disclose or which happened between the separate takes done<br />

in different times.“ (ebd.,129) Der durch OO geprägte analytische Blick fokussiere nur<br />

auf diejenigen Transitionen und Zustän<strong>de</strong>, die in <strong>de</strong>m Beobachtungsskript eingeplant<br />

und aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Kamera beobachtbar sind. Ungeplante, spontane Verän<strong>de</strong>rungen<br />

beispielsweise könnten auf die Weise nicht wahrgenommen wer<strong>de</strong>n. OO suggeriere<br />

jedoch, dass Dynamiken vollständig repräsentiert seien wie in einem Dokumentarfilm.<br />

Die dynamischen Aspekte von OO wür<strong>de</strong>n – wie <strong>de</strong>r Film im Vergleich zur<br />

Fotografie – als ein Fortschritt <strong>de</strong>r Repräsentationstechnik begriffen, obwohl dabei viel<br />

verborgen bliebe: „a lot of presentation dynamics takes place behind the white screen<br />

of the OO ‚stage‘. The rules and procedures, which will direct the transitions, are<br />

encapsulated un<strong>de</strong>r the surface“ (ebd., 129). Unsichtbar sei, dass Verän<strong>de</strong>rung in OO<br />

Repräsentationen entwe<strong>de</strong>r durch die Nachricht eines formalen Objekts an ein an<strong>de</strong>res<br />

ausgelöst wer<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r durch eine <strong>de</strong>skriptive Regel, die das formale Objekt dazu<br />

zwingt, seinen Zustand zu verän<strong>de</strong>rn. Das be<strong>de</strong>ute jedoch, dass in OO Verän<strong>de</strong>rungsprozesse<br />

ausschließlich im Sinne eines Reiz-Reaktions-Schemas verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

können. An<strong>de</strong>re Formen <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls kann OO nicht erfassen.<br />

Crutzens Analyse zeigt insgesamt die <strong>de</strong>r Objektorientierten Mo<strong>de</strong>llierung zugrun<strong>de</strong><br />

gelegte Ontologie: „OO has reinforced functionalism; seeing an information system as<br />

a system which can transform well-<strong>de</strong>fined inputs into outputs, meeting prescribed<br />

requirements with measurable attributes, controllable functions and <strong>de</strong>sirable features,<br />

fitting in well-or<strong>de</strong>red organisation and seeing the system as a neutral actor in meaning<br />

construction processes“ (ebd., 128). Sie kritisiert somit <strong>de</strong>n in die OO Methodik eingeschriebenen<br />

Funktionalismus. Allerdings ordnet sie diese Theorielinien nicht in <strong>de</strong>n<br />

philosophischen Diskurs o<strong>de</strong>r sozial- und geisteswissenschaftliche Traditionen ein,<br />

welche die Informatik direkt beeinflusst haben. Crutzens Ausführungen zu OO stellten<br />

zwar eine fundierte Grundlage dar, um die behavioristischen und kognitionswissenschaftlichen<br />

Voraussetzungen <strong>de</strong>s Analyse- und Designverfahrens grundsätzlich zu<br />

<strong>de</strong>konstruieren, sei es auf Basis konstruktivistischer Wissenschafts- und Technikforschung<br />

o<strong>de</strong>r aber eher kulturwissenschaftlich-historisch orientierter Ansätze. Statt<br />

jedoch auf ontologische Einschreibungen und politische Aspekte <strong>de</strong>s Formalen zu fokussieren,<br />

konzentriert sich Crutzen auf die epistemologischen Voraussetzungen <strong>de</strong>r<br />

Objektorientierten Mo<strong>de</strong>llierung, die sie als sehr typisch für die Disziplin Informatik insgesamt<br />

ansieht.<br />

Crutzen arbeitet die erkenntnistheoretischen Annahmen, auf <strong>de</strong>nen die Objektorientierung<br />

grün<strong>de</strong>t, differenziert heraus. Eine <strong>de</strong>r wesentlichen Grundlagen sei die so genannte<br />

Korrepon<strong>de</strong>nzsicht, die davon ausgeht, dass je<strong>de</strong> Person Objekten dieselbe<br />

Be<strong>de</strong>utung gibt, sofern diese Objekte mit <strong>de</strong>mselben Namen bezeichnet sind. OO<br />

basiere auf <strong>einer</strong> vom Realismus geprägten Sprachtheorie, die nach Jane Flax darauf<br />

grün<strong>de</strong>, dass Objekte nicht sozial o<strong>de</strong>r linguistisch konstruiert sind, „they are merely<br />

ma<strong>de</strong> present to conciousness by naming or by the right use of language“ (Flax 1990<br />

nach Crutzen/ Gerrissen 2000, 131). Nach <strong>de</strong>r Korrespon<strong>de</strong>nzsicht sind formale Repräsentationen<br />

eins-zu-eins Abbildungen <strong>de</strong>r realen Menschen, <strong>de</strong>r realen Dinge und<br />

ihrer Beziehungen. Es gäbe eine „truth out there“ und <strong>de</strong>ren Zugänglichkeit wird<br />

unterstellt.<br />

191


Auf dieser Basis wird in <strong>de</strong>r Objektorientierung angenommen, dass je<strong>de</strong>s Ding und<br />

je<strong>de</strong> Person in Form von formalen Objekten repräsentierbar sei und sich die Welt durch<br />

eine Metastruktur ordnen und beschreiben ließe. Dabei habe je<strong>de</strong>s wahrgenommene<br />

Objekt eine von <strong>de</strong>n beobachten<strong>de</strong>n Subjekten unabhängige Struktur, die mit <strong>de</strong>n von<br />

<strong>de</strong>r Objektorientierung zur Verfügung gestellten Beschreibungsmöglichkeiten objektiv<br />

repräsentiert wer<strong>de</strong>n könne. „A mo<strong>de</strong>l is ‚true‘ if it accurately <strong>de</strong>picts the un<strong>de</strong>rlying<br />

reality of discourse. Different opinions are a reflection of human error and can be<br />

eliminated. In the correspon<strong>de</strong>nce view the meaning construction process is reduced to<br />

the selection of relevant aspects of an object.“ (Crutzen 2000, Summary, 15f). Dem<br />

objektorientierten Ansatz zufolge könne die Welt klassifiziert wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m<br />

Ähnlichkeiten zwischen Objekten und Interaktionen wahrgenommen, Differenzen aber<br />

ignoriert wer<strong>de</strong>n. In OO wird <strong>de</strong>shalb ebenso wie von <strong>de</strong>n Konstrukteuren <strong>de</strong>s wissensbasierten<br />

Systems CYC angenommen, dass es über die Strukturen <strong>de</strong>r Objektpräsentationen<br />

kein Missverständnis geben kann zwischen <strong>de</strong>njenigen, die die Repräsentation<br />

erstellen (TechnikgestalterInnen und Software-IngenieurInnen), und <strong>de</strong>nen, die<br />

mit ihr arbeiten müssen (i.d.R. NutzerInnen). Auftreten<strong>de</strong> Wi<strong>de</strong>rsprüche seien das<br />

Resultat menschlicher Fehler und könnten, sobald diese erkannt sind, grundsätzlich<br />

ausgeräumt wer<strong>de</strong>n. Insofern setzten Software-Ingenieure voraus, dass die<br />

konstruierte Software dieselbe (wi<strong>de</strong>rspruchsfreie) Struktur habe wie die Realität und<br />

das informatische Artefakt in die Welt <strong>de</strong>r NutzerInnen gleichermaßen hineinpassen<br />

wür<strong>de</strong> wie in die <strong>de</strong>r Software-IngenieurInnen (vgl. ebd.). Crutzen zufolge unterstellten<br />

sie damit implizit, dass NutzerInnen – so wie sie selbst – formale Objekte im Sinne <strong>de</strong>s<br />

Meisterns und Beherrschens verstehen wollten.<br />

Insgesamt basiere OO auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r Aufklärung<br />

geprägten Annahmen:<br />

� „that subjects apply a correspon<strong>de</strong>nce view of reality,<br />

� that everybody sees the world as a world with one metastructure,<br />

� that observing subjects are sustainable,<br />

� that everything and everybody can be represented as OBJECTs; there is no<br />

fundamental difference between people and things,<br />

� that change is a logical process of action and reaction, and<br />

� that there exists a common language in which all people (who are affected by<br />

software) can un<strong>de</strong>rstand each other.“ (Crutzen/ Gerrissen 2000, 132)<br />

Crutzen kritisiert diese von ihr herausgearbeiteten epistemologischen und ontologischen<br />

Voraussetzungen <strong>de</strong>r objektorientierten Methodik grundlegend mit Hilfe <strong>de</strong>r<br />

feministischen erkenntnistheoretischen Ansätze von Sandra Harding und Susan<br />

Hekman. Wie bereits anhand von Stars Zwiebelallergiebeispiel und Adams Kritik an<br />

<strong>de</strong>m wissensbasierten System CYC dargestellt wur<strong>de</strong>, zeigt auch Crutzens Analyse,<br />

dass die <strong>de</strong>n objektorientierten Mo<strong>de</strong>llen – und damit auch <strong>de</strong>r Software – eingeschriebene<br />

Illusion von Objektivität und Neutralität durch das implizit mit<strong>de</strong>finierte<br />

„An<strong>de</strong>re“ auf <strong>einer</strong> symbolischen Ebene zur Reproduktion <strong>de</strong>r Geschlechterordnung<br />

beitrage. Mit <strong>de</strong>r Repräsentation <strong>de</strong>s Rationalen und Abstrakten gehe die<br />

asymmetrische Unterordnung <strong>de</strong>s „Weiblichen“ einher. Macht- und Herrschaftsverhältnisse<br />

wür<strong>de</strong>n negiert o<strong>de</strong>r als „natürliche“ bzw. „offensichtliche“ hingenommen.<br />

192


Die Objektorientierung sei also durch die Annahme <strong>de</strong>r Abwesenheit von<br />

Geschlechterverhältnissen geprägt. 268<br />

Anhand <strong>de</strong>r dominanten Mo<strong>de</strong>llierungs-, Entwurfs- und Programmiermethodik zeigt<br />

Crutzen insgesamt auf, dass diese Erkenntnispolitik in <strong>de</strong>r Informatik keine Ausnahme<br />

darstellt. Während CYC zwar große Aufmerksamkeit in bestimmten Kreisen <strong>de</strong>r KI (so<br />

auch in ihrer feministischen Analyse) erlangte, sich aber letztendlich in <strong>de</strong>r Anwendung<br />

nicht durchsetzen konnte, heben ihre Ergebnisse hervor, dass die gesamte Softwareentwicklung<br />

grundlegend auf genau <strong>de</strong>njenigen epistemologischen Voraussetzungen<br />

beruht, die feministische Erkenntnistheoretikerinnen verschie<strong>de</strong>nster Coleur an <strong>de</strong>r<br />

klassischen Erkenntnistheorie kritisiert hatten. Softwareentwicklung sei zutiefst von <strong>de</strong>r<br />

Annahme durchdrungen, dass sich die Realität eins-zu-eins mit formalen Mo<strong>de</strong>llen<br />

abbil<strong>de</strong>n ließe. Ebenso bil<strong>de</strong>te die cartesianische Trennung von Subjekt und Objekt bei<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnisgewinnung ein wesentliches Fundament <strong>de</strong>r Disziplin.<br />

Crutzens <strong>kritisch</strong>e Analyse ist jedoch in mehrfacher Hinsicht spezifischer als eine<br />

allgemeine feministische Rationalitäts- und Objektivitätskritik, die <strong>de</strong>r Auffassung, dass<br />

informatische Mo<strong>de</strong>lle, Metho<strong>de</strong>n und Produkte geschlechtsneutral und objektiv sind,<br />

wi<strong>de</strong>rspricht. Zwei Aspekte <strong>de</strong>r OO, anhand <strong>de</strong>rer sich ihre bereits dargelegte Argumentation<br />

bestärken und konkretisieren lässt, sind das Prinzip <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rverwendbarkeit<br />

und die hierarchische Struktur von Klassen. Mit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rverwendbarkeit wird<br />

angestrebt, das System aus vorgefertigten Teilen zusammensetzen zu können. Primär<br />

legitimiert durch mögliche Kostenersparnisse, soll damit sichergestellt wer<strong>de</strong>n, dass<br />

Teile <strong>de</strong>s Systems in an<strong>de</strong>ren Produkten wie<strong>de</strong>rverwertet wer<strong>de</strong>n können. 269 Crutzen<br />

versteht dieses Prinzip als ein konservatives, da es das Bestehen<strong>de</strong> erhalten soll und<br />

auf neue Interaktionsszenarien überträgt. OO schließe damit die Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit ein ohne sie für die Zukunft zu öffnen, etwa im Sinne <strong>einer</strong> Projektion<br />

neuer Möglichkeiten, die auf diese Weise antizipiert wer<strong>de</strong>n könnten. Statt<strong>de</strong>ssen<br />

strebten Software-IngenieurInnen an, die Software kontrollierbar zu halten, Mehr<strong>de</strong>utigkeit<br />

auszuschließen und unbeherrschte Komplexität zu vermei<strong>de</strong>n. Crutzens<br />

These, dass sich in diesem Bestreben die Angst <strong>de</strong>r Software-IngenieurInnen vor <strong>de</strong>m<br />

Komplexen, Chaotischen, Unentscheidbaren und Unvorhersehbaren ausdrücke, ließe<br />

sich als eine neue Variante <strong>de</strong>r „I-methodology“ <strong>de</strong>uten. 270 Allerdings liegt die<br />

268 Die feministische Theoretikerin und Philosophin Cornelia Klinger betont für <strong>de</strong>n philosophischen<br />

Diskurs <strong>de</strong>n Zusammenhang von Unsichtbar-Machen <strong>de</strong>s symbolisch „Weiblichen“ und Verschweigen von<br />

Geschlechterdifferenz: „Wenn es zutrifft, dass die Auffassung <strong>de</strong>s Geschlechterverhältnisses als kontradiktorischem<br />

Gegensatz nicht nur eine Asymmetrie und Hierarchie zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Seiten impliziert,<br />

son<strong>de</strong>rn darüber hinaus die Ten<strong>de</strong>nz, die ‚an<strong>de</strong>re‘ Seite durch Nicht-Benennen auszublen<strong>de</strong>n, dann liegt<br />

hier <strong>de</strong>r Schlüssel für das Schweigen <strong>de</strong>s philosophischen Diskurses über das Geschlechterverhältnis.<br />

Denn (Ver-)Schweigen heißt nichts an<strong>de</strong>res als durch Nicht-(Be-)Nennen unsichtbar, unhörbar zu machen<br />

und somit ten<strong>de</strong>nziell zum Verschwin<strong>de</strong>n zu bringen. Der Wi<strong>de</strong>rspruch, <strong>de</strong>r sich zunächst zwischen <strong>de</strong>n<br />

bei<strong>de</strong>n Aussagen auftut, daß Geschlechterdifferenz <strong>einer</strong>seits im philosophischen Diskurs nicht vorkommt<br />

und daß diese doch an<strong>de</strong>rerseits in die wesentlichen Kategorien <strong>de</strong>r Philosophie eingeschrieben ist, löst<br />

sich somit auf.“ (Klinger 1995, 41f) Dasselbe Argument ließe sich für die Informatik anführen. Es zeigt die<br />

engen Verbindungen zwischen <strong>de</strong>n hier herausgearbeiteten strukturellen und symbolischen Ebenen <strong>de</strong>r<br />

Einschreibung von Geschlecht in Informationstechnologien auf.<br />

269 Genau genommen können nicht nur Teile <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>s in OO wie<strong>de</strong>r verwertet wer<strong>de</strong>n. So erläutern zwei<br />

Hauptvertreter <strong>de</strong>r Objektorientierten Methodik: „We can reuse requirements, analysis, <strong>de</strong>sign, test plans,<br />

user interfaces and architecture. In fact, virtually every component of the software engineering life cycle<br />

can be encapsulated as a reusable object.“ (Yourdan/ Argila 1996 nach Crutzen/ Gerrissen 2000, 128)<br />

270 Ich verstehe Crutzens Ansatz nicht als einen psychoanalytisch inspirierten, selbst wenn sich diese<br />

spezifische These so <strong>de</strong>uten ließe. Deshalb wer<strong>de</strong> ich sie auch nicht mit diesem Theorieapparat<br />

gegenlesen.<br />

193


Problematik hier nicht direkt auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r expliziten o<strong>de</strong>r impliziten NutzerInnenbil<strong>de</strong>r,<br />

son<strong>de</strong>rn im Bereich <strong>de</strong>r Epistemologie, <strong>de</strong>ren Setzung in <strong>einer</strong> objektiven Welt<br />

besteht, die keinen Unterschied macht zwischen Software-IngenieurInnen und<br />

NutzerInnen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Differenzen unter diesen, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Möglichkeit <strong>de</strong>r<br />

wi<strong>de</strong>rspruchsfreien Repräsentation in einem formalen Mo<strong>de</strong>ll ausgeht. Eine solche<br />

theoretische Konzeption erfasst mehr als nur das subjektive Selbstverständnis <strong>de</strong>r<br />

EntwicklerInnen, da hier auch wissenschaftliche Theorien und Konzepte, die in die<br />

Artefakte eingeschrieben wer<strong>de</strong>n, inbegriffen sind.<br />

Ein zweites wesentliches Konzept <strong>de</strong>r Objektorientierung, <strong>de</strong>m Crutzen beson<strong>de</strong>re<br />

Aufmerksamkeit widmet, ist das <strong>de</strong>r Klasse, welches sich als Abstraktion <strong>de</strong>r Objekte<br />

<strong>de</strong>s zu mo<strong>de</strong>llieren<strong>de</strong>n Gegenstandsbereiches verstehen lässt. Um Klassen zu bil<strong>de</strong>n<br />

und ihre Attribute, Funktionalitäten sowie Beziehungen untereinan<strong>de</strong>r festzulegen, ist<br />

eine Klassifizierungsarbeit notwendig, die <strong>de</strong>rjenigen ähnlich ist, die von Bowker und<br />

Star beschrieben wor<strong>de</strong>n ist. Dabei betont Crutzen, dass Klassen in OO nicht verhan<strong>de</strong>lt,<br />

son<strong>de</strong>rn auf tayloristische Weise als gleichartige formale Objekte hergestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. Heterogenität, auf die Star mit ihrem Zwiebelallergiebeispiel verwiesen hat, sei<br />

ebenso wenig in OO repräsentierbar: „Diversity can only be constructed by<br />

specialisation out of pre<strong>de</strong>termined similarity. Differences are mostly neglected and are<br />

only opposite to equal.“ (Crutzen 2000, Summary, 16). Ein Objekt <strong>de</strong>s Gegenstandsbereiches<br />

könne nur dadurch repräsentiert wer<strong>de</strong>n, dass es als Element <strong>einer</strong> formalen<br />

Klasse dargestellt wird. Es dürfe nur dann ein Element mehrerer Klassen sein, wenn es<br />

die Eigenschaften und Prozeduren sämtlicher dieser Klassen komplett übernimmt<br />

(„erbt“). 271 Objekte könnten somit in OO <strong>de</strong>r hierarchischen Struktur nicht entkommen.<br />

Crutzen kritisiert, dass aufgrund <strong>de</strong>ssen zwischenmenschliche Interaktion und soziale<br />

Prozesse mit OO nicht mo<strong>de</strong>lliert wer<strong>de</strong>n können: „The class concept fails to represent<br />

a social process. A group of humans can only be an aggregated class with harmonious<br />

and planned co-ordination structure. A group can only exist if it has a planned transition<br />

and a fixed goal. The social processes of grouping cannot be represented.“ (Crutzen<br />

2000, Summary,16). We<strong>de</strong>r Gruppenbildungs- noch Aushandlungsprozesse seien in<br />

OO formal repräsentierbar. Da die OO-Ontologie von Sozialität, situierter Handlung<br />

und <strong>de</strong>r Konstruktion von Be<strong>de</strong>utungen abstrahiere, schließt Crutzen auf <strong>de</strong>r Folie feministischer<br />

Objektivitäts- und Erkenntniskritik, dass Objektorientierung keine angemessene<br />

Metho<strong>de</strong> ist, menschlich-soziale Welten zu analysieren.<br />

Anhand <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>r Frage, wie Gruppenbildung und an<strong>de</strong>re soziale<br />

Prozesse durch Klassen <strong>de</strong>r OO repräsentierbar sind, tritt Crutzens Neigung zu <strong>einer</strong><br />

entfremdungstheoretischen Haltung <strong>de</strong>utlich hervor. Sie bemerkt zwar zurecht, dass<br />

eine generelle Ablehnung von OO aus Sicht <strong>einer</strong> Geschlechterforschung in <strong>de</strong>r<br />

Inforamtik keine angemessene Lösung sein kann, schlägt jedoch explizit <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />

Umgang mit OO vor: „We, therefore, have to leave OO and use it only for the purpose<br />

it was meant for: the realisation of software. Realised software which consists of<br />

predictable and planned interaction cannot be the base of the representation of<br />

humans because otherwise we would turn humans into an available resource which<br />

can be or<strong>de</strong>red repeatedly.“ (Crutzen 2000, 16). Damit wen<strong>de</strong>t sie sich gegen eine<br />

„Kolonialisierung“ <strong>de</strong>r Analyse von realen Welten bei <strong>de</strong>r Softwareentwicklung durch<br />

271 Das Prinzip <strong>de</strong>r Vererbung hat heutzutage in OO an Relevanz verloren.<br />

194


informatische Abstraktionswerkzeuge wie Klassifikation, Abspaltung, „Vererbung“<br />

(Crutzen 2003, 102), die von <strong>de</strong>r Systemrealisierung geprägt sind. 272 Es lässt sich<br />

somit festhalten, dass Crutzen die Trennung zwischen Mensch und Maschine, zwischen<br />

Technischem und Sozialen intakt lässt. Ihre Kritik an OO fokussiert auf die Analyse<br />

bzw. Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>s Sozialen, während sie die Anwendbarkeit <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> auf<br />

die Systemrealisierung, d.h. <strong>de</strong>n eher technisch ausgerichteten Teil <strong>de</strong>r Softwareentwicklung,<br />

nicht in Frage stellt.<br />

Aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s in dieser Arbeit entwickelten Theorieansatzes, nach <strong>de</strong>m<br />

das Soziale zutiefst technisch durchdrungen und auch das Technische sozial geprägt<br />

ist, d.h. es we<strong>de</strong>r ein „pures“ Menschliches noch eine Technik „an sich“ gibt, erscheint<br />

<strong>de</strong>r von Crutzen empfohlene Ansatz undurchführbar. Nichts<strong>de</strong>stotrotz wirft ihr<br />

Vorschlag die Frage auf, welche Optionen <strong>de</strong>s Umgangs mit Objektorientierung bzw.<br />

allgem<strong>einer</strong> mit Klassifizierung, Abstraktion und Formalisierung in <strong>de</strong>r Informatik auf<br />

<strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s hier verfolgten Perspektive konkret möglich sind. Wie lassen sich die<br />

genannten prinzipiellen feministischen Kritiken, dass Objektivität und Neutralität <strong>de</strong>s<br />

Formalen Illusionen seien, dass die Macht und Herrschaft <strong>de</strong>s Formalen durch die<br />

Transformation in etwas „natürlich“ Erscheinen<strong>de</strong>s, Offensichtliches negiert wird,<br />

konstruktiv für die Technikgestaltung wen<strong>de</strong>n?<br />

Crutzen schlägt hierzu, wie bereits ausgeführt wur<strong>de</strong> (vgl. <strong>de</strong>n Abschnitt<br />

Konzeptionen feministischer Objektivität für die Informatik in Kapitel 4.3.1.), auf <strong>einer</strong><br />

theoretischen Ebene das Schaffen von <strong>kritisch</strong>en transformativen Räumen vor. Diese<br />

ließen sich in Bezug auf Objektorientierte Analyse und Design bei <strong>de</strong>r Informatikausbildung<br />

umsetzen, für <strong>de</strong>ren grundlegen<strong>de</strong> Än<strong>de</strong>rung sie plädiert. Die OO Methodik sei<br />

nicht wie in <strong>de</strong>r Informatik üblich als ein eigenständiges Fach zu lehren, son<strong>de</strong>rn in<br />

ombination mit feministischer Wissenschaftstheorie und Epistemologie. 273 Auf <strong>de</strong>r<br />

ersten „Informatica Feminale“ 1998, <strong>de</strong>m Sommerstudium Informatik für Frauen an <strong>de</strong>r<br />

Universität Bremen, legte sie zusammen mit Karin Vosseberg eine Konzept vor, um<br />

diesem Ansatz praktisch zu erproben. 274 Sie nutzte <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>s Frauenstudiums<br />

als Gelegenheit, das informatische Analyse- und Designverfahren „<strong>kritisch</strong> zu<br />

unterrichten – und trotz<strong>de</strong>m eine gewisse Tiefe in <strong>de</strong>r Nutzung dieser Metho<strong>de</strong> mittels<br />

Integration und Konfrontation <strong>de</strong>s Metho<strong>de</strong>nlernens (in Vielfalt und in Tiefe) mit<br />

Wissenschaftskritik zu erreichen. Die Unterrichtsmetho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kritik, Diskussion und<br />

(erneuten) Konstruktion ist <strong>de</strong>r Weg, diese Tiefe zu erreichen“ (Crutzen/ Vosseberg<br />

1999, 152f). Feministische Theorie diente als Bezugssystem, um traditionelle<br />

Informatikmetho<strong>de</strong>n wie Analyse, Entwurf und Konstruktion zu beurteilen. Das<br />

272 Crutzen beschreibt diesen Kolonialisierungprozess genauer als „dictated by the analyzing subjects’<br />

focus avoiding complexity and ambiguity by selecting the most formal documents, texts, tables, schemes<br />

in the domain etc. which are close to the syntactical level of object-oriented programming languages and<br />

by transforming natural language into a setoff elementary propositions“ (Crutzen 2003, 102)<br />

273 Crutzen ordnet sich damit in die sogenannten Curriculums<strong>de</strong>batte <strong>de</strong>r Informatik ein, in <strong>de</strong>r von En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r 1980er Jahre bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1990er Jahre intensiv über die Inhalte und Didaktik <strong>de</strong>s Faches diskutiert<br />

wur<strong>de</strong>, insbeson<strong>de</strong>re auch, inwieweit sozial- und geisteswissenschaftliche Themen Gegenstand <strong>de</strong>r<br />

Informatik sein sollen, vgl. Dijkstra 1989, Parnas 1990, Coy et al. 1992, Mahn/ Brauer 1997, Coy 2004. Für<br />

eine Diskussion <strong>de</strong>r Curriculums<strong>de</strong>batte aus feministischer Perspektive vgl. etwa Mahn 1997, Bruns 1997.<br />

274 Die Informatica Feminale stellt einen Rahmen zur Verfügung, in <strong>de</strong>m mit Form und Inhalt <strong>informatischer</strong><br />

Lehrveranstaltung experimentiert wer<strong>de</strong>n kann, dazu gehören Ansätze <strong>de</strong>s projektorientierten Studierens,<br />

<strong>de</strong>r Integration von Interdisziplinarität, <strong>de</strong>r Integration feministischer Fragestellungen, das Öffnen <strong>de</strong>s<br />

Studienfaches Informatik für Frauen an<strong>de</strong>rer Disziplinen, die Entmystifizierung <strong>de</strong>s Studiums und das<br />

Aufbrechen <strong>de</strong>r Dualität Lehren<strong>de</strong> und Lernen<strong>de</strong>; vgl. Vosseberg 2002, siehe auch www.informaticafeminale.<strong>de</strong>.<br />

195


integrative und konfrontative Lernkonzept, das einen Verhandlungsprozess zwischen<br />

feministischen und informatischen Ansätzen in Gang setzte, ermöglichte es <strong>de</strong>n<br />

TeilnehmerInnen, Selbstverständlichkeiten ihrer eigenen Sozialisation <strong>de</strong>r Informatik<br />

wahrzunehmen und Inspirationen zur Verän<strong>de</strong>rung, z.B. von Ontologien in <strong>de</strong>r Informatik<br />

zu gewinnen. Es gelang diesen, wesentliche Probleme <strong>de</strong>r Objektorientierung zu<br />

erkennen und fachliche Texte <strong>kritisch</strong> zu lesen. Beispielsweise rekonstruierten sie<br />

Geschlechterkonstruktionen in Lehrbüchern und reflektierten Sichtbarkeiten und<br />

Unsichtbarkeiten ihrer Mo<strong>de</strong>llierung. Vor allem aber führte <strong>de</strong>r Kurs dazu, Grenzen <strong>de</strong>r<br />

Objektorientierung wahrnehmen und besser verstehen zu können. 275 Am Beispiel <strong>de</strong>s<br />

Versuches, ein dynamisches Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Tanzens zu entwerfen, wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, „daß<br />

kontinuierlich und synchronisiert verlaufen<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r Objektorientierung nur<br />

durch eine Zerlegung dieses Han<strong>de</strong>lns in diskrete Zustän<strong>de</strong> repräsentiert wer<strong>de</strong>n kann“<br />

(Crutzen/ Vosseberg 1999, 162). Die Veranstalterinnen gaben jedoch zu be<strong>de</strong>nken,<br />

dass ein solcher Kurs nur <strong>de</strong>r Beginn <strong>einer</strong> dynamischen Verbindung zwischen Informatik<br />

und feministischer Theorie sein kann (Crutzen/ Vosseberg 2002, 160), <strong>de</strong>ren Ziel<br />

es ist, die Vorteile <strong>de</strong>s regulieren<strong>de</strong>n und dynamischen Charakters von OO zu nutzen:<br />

„Objekte machen es möglich, die Welt als eine Welt von Aktoren zu sehen, die in je<strong>de</strong>r<br />

Situation wie<strong>de</strong>r neue Allianzen eingehen können. In diesem Sinne ist es möglich, <strong>de</strong>n<br />

Prozess <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Wirklichkeit mittels <strong>einer</strong> Än<strong>de</strong>rung (Entwicklung) <strong>de</strong>s<br />

Informationssystems selbst als einen Prozess zu sehen. Entwerfen<strong>de</strong> und Benutzen<strong>de</strong><br />

wer<strong>de</strong>n nicht mehr als eine Dualität aufgefasst, son<strong>de</strong>rn als interagieren<strong>de</strong> Objekte<br />

(Subjekte).“ (Crutzen/ Vosseberg 2002, 155). Insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Analysephase seien<br />

die Rollen <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen (Entwerfen<strong>de</strong>) und NutzerInnen zu hinterfragen.<br />

We<strong>de</strong>r Crutzens Empfehlung zur Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Informatikausbildung noch Sherrons<br />

technisch ausgerichteter Vorschlag, das Ausgeschlossene zu integrieren, vermögen<br />

jedoch das grundsätzliche Problem <strong>de</strong>r Klassifikationen, Abstraktion und Formalisierung<br />

endgültig zu lösen. Eine <strong>de</strong>r zentralen Voraussetzungen <strong>de</strong>r Repräsentierbarkeit<br />

und Formalisierbarkeit in je<strong>de</strong>r informationstechnischen Mo<strong>de</strong>llierung und<br />

Implementierung ist eine explizite Beschreibung in <strong>einer</strong> formalen o<strong>de</strong>r Programmiersprache,<br />

die notwendigerweise immer wie<strong>de</strong>r neue Ausschlüsse produziert. Dies führt<br />

zurück auf die bereits häufiger angerissenen Fragen: Worin besteht das „An<strong>de</strong>re“ <strong>de</strong>r<br />

Repräsentation – das Implizite, Unaussprechliche o<strong>de</strong>r die stillschweigen<strong>de</strong>n<br />

Voraussetzungen? Ist es das formal nicht Beschreibbare? Ist es das sprachliche nicht<br />

Repräsentierbare? Lässt sich dieses mit <strong>de</strong>n bekannten Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Software-<br />

Engineering o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenz erfassen und mo<strong>de</strong>llieren? Und wenn ja,<br />

unter welchen Voraussetzungen?<br />

Diese Thematiken führen auf prinzipielle erkenntnistheoretische Fragen <strong>de</strong>r Möglichkeit<br />

sprachlicher Repräsentierbarkeit als einem alten Problem <strong>de</strong>r westlichen Kulturgeschichte<br />

und Philosophie, welches Dualismen voraussetzt sowie erneut hervorbringt.<br />

275 Crutzen und Vosseberg führen in diesem Zusammenhang u.a. die folgen<strong>de</strong>n Fragen an, mit <strong>de</strong>n<br />

DesignerInnen bei <strong>de</strong>r Nutzung von Mo<strong>de</strong>lliermetho<strong>de</strong>n wie OO konfrontiert sind: „Wird genügend<br />

anerkannt, dass es in <strong>de</strong>r Wirklichkeit vieles gibt, das nicht-klassifizierbar ist? Wird das Nicht-klassifizierbare<br />

durch die Art <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung nicht zu <strong>de</strong>m, was ins Dunkel gesetzt wird? Zwingt die Klassifizierung<br />

nicht <strong>de</strong>n Individuen, die durch die Instanzen <strong>de</strong>r Klasse abgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, ein vorgeschriebenes<br />

Verhalten auf? Kann die Überbewertung von Vererbung beim Klassifizieren und die Negierung von nichthierarchischen<br />

Relationen, die Hierarchie als Standard in <strong>de</strong>r Wirklichkeit zum Effekt haben?“ (Crutzen/<br />

Vosseberg 1999, 158).<br />

196


Während die Problematik von Präsenz und Absenz, <strong>de</strong>s Innen und Außen, <strong>de</strong>ren Verhältnisse<br />

durch die technischen Artefakte etabliert wer<strong>de</strong>n, im Kapitel 4.2. in Bezug auf<br />

Arbeitsprozesse thematisiert und in diesem Kapitel 4.3. für das Feld <strong>de</strong>r informatischen<br />

Anwendungs- und Wissensmo<strong>de</strong>llierung diskutiert wur<strong>de</strong>, sollen im nächsten Abschnitt<br />

Dualismen sowie die damit einhergehen<strong>de</strong>n Einschlüsse und Ausschlüsse in <strong>de</strong>n<br />

Konzepten <strong>de</strong>r informatischen Artefakten ins Zentrum <strong>de</strong>r Untersuchung gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

4.3.3. Geschlechtsmarkierte Dualismen: Welchen Preis hat die Integration <strong>de</strong>s<br />

ausgeschlossenen An<strong>de</strong>ren?<br />

„I was struck by how frequently I ma<strong>de</strong> recourse to a set of more or less<br />

explicitly gen<strong>de</strong>red dualisms about technology (and sometimes science)<br />

– people-focussed vs. technology-focussed, social vs. technical,<br />

<strong>de</strong>tached objectivity vs. emotional connectedness, hard vs. soft<br />

technology, concrete vs. abstract, reductionist vs. holistic, specialist vs.<br />

heterogenous…“ (Faulkner 2000a, 759)<br />

Eine dritte, von feministischen Erkenntnistheorien inspirierte Perspektive auf Abstraktion,<br />

Klassifikation und Formalisierung in <strong>de</strong>r Informatik stellt Dualismen ins Zentrum<br />

<strong>de</strong>r Untersuchung. Dieser Strang <strong>de</strong>r Kritik argumentiert ausgehend von vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

und einflußreichen Geschlechtersymbolisierungen, dass zwischen kulturell<br />

vorherrschen<strong>de</strong>n Dichotomien und <strong>de</strong>r zweigeschlechtlichen Differenz ein enger<br />

Zusammenhang besteht. Diesen Konnex beleuchtet Cornelia Klinger vor einem<br />

philosophiegeschichtlichen Hintergrund: „In <strong>de</strong>n Dualismen von Kultur und Natur, Geist<br />

(Seele) und Körper (Leib), Vernunft (Rationalität) und Gefühl (Emotionalität), Öffentlichkeit<br />

und Privatheit, Haben und Sein, Erhabenheit und Schönheit usw. ist <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterdualismus implizit immer anwesend. Umgekehrt ausgedrückt heißt das,<br />

daß in <strong>de</strong>n Konzeptionen von Weiblichkeit und Männlichkeit die großen Grunddualismen<br />

<strong>de</strong>s abendländischen Denkens eingeschrieben sind. Auf Befragung wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong> in<br />

unserer Kultur sozialisierte Person ohne Zögern und Zweifeln die ‚richtige‘ Zuordnung<br />

<strong>de</strong>r jeweiligen Kategorien zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Geschlechtern vornehmen.“ (Klinger 1995,<br />

39). Einige dieser in westlich-abendländischen Denktraditionen vorherrschen<strong>de</strong>n Dualismen<br />

sind auch in <strong>de</strong>n technischen Bereichen relevant. Darüber hinaus betonen<br />

VertreterInnen <strong>de</strong>r Geschlechter-Technik-Forschung, dass technikspezifische Dichotomien<br />

wie die von Technischem vs. Sozialem, Maschinellem vs. Kreativem geschlechterdualistisch<br />

kodiert sind. 276 Die Ingenieurwissenschaften seien insgesamt von einem<br />

binären Denkstil geprägt, <strong>de</strong>r Anlass zu feministischen Untersuchungen gibt (vgl. etwa<br />

Faulkner 2000a, Kumbruck 1990).<br />

Dieser Fokus auf Dualismen erscheint für die Analyse <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

fruchtbar, ist doch in diesem Kapitel 4.3 bereits mehrfach <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n, dass Politik,<br />

Epistemologie und Ontologie <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation und <strong>de</strong>r Software-Entwicklung<br />

stark von dualistischen Annahmen durchdrungen sind. So wiesen etwa Adam,<br />

276 Auf die Zusammenhänge zwischen Geschlechterdualismen und an<strong>de</strong>ren Dualismen haben feministische<br />

Philosophinnen ausführlich aufmerksam gemacht, vgl. etwa Lloyd 1984, Hekman 1990, Gatens<br />

1991. Einige dieser Dualismen sind – wie weiter unten diskutiert wird – für die Technikgestaltung grundlegend,<br />

weshalb technikbezogene Dichotomien und allgem<strong>einer</strong> kulturell wirksame Dichotomien nicht<br />

notwendig einen Gegensatz darstellen.<br />

197


Suchman und Crutzen darauf hin, dass die cartesianische Trennung von Subjekt und<br />

Objekt, die Dichotomie von Design und Nutzung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Dualismus von formalem und<br />

verkörpertem Wissen bei <strong>de</strong>r Analyse, <strong>de</strong>m Entwurf und <strong>de</strong>r Realisierung von Software-<br />

und Informationssystemen zugrun<strong>de</strong> gelegt, reproduziert und damit zementiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Diese Studien wer<strong>de</strong>n im Folgen<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r aufgegriffen und auf <strong>de</strong>r Folie<br />

geschlechtskodierter Dichotomien interpretiert. Ferner sind hier weitere, für die<br />

Gestaltung <strong>informatischer</strong> Artefakte zentrale Dualismen Gegenstand <strong>de</strong>r Analyse. 277<br />

Feministische (Natur-)Wissenschaftsforscherinnen haben bereits früh aufgezeigt,<br />

wie eng diejenigen Dichotomien, die für die Informatik relevant sind und sie mitkonstituieren,<br />

mit Geschlechterdichotomisierungen verknüpft wer<strong>de</strong>n. So durchziehen etwa<br />

Kritiken am Subjekt-Objekt-Dualismus und <strong>de</strong>r vermeintlichen Objektivität wissenschaftlicher<br />

Tätigkeit seit mehr als zwei Deka<strong>de</strong>n die Debatten <strong>de</strong>r feministischen<br />

Naturwissenschaftsanalyse. 278 Dabei bestehe die Problematik darin, dass diese Differenzierungen<br />

und Polarisierungen nicht etwa als eine harmonische Wechselseitigkeit<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n könne und die Gegensätze keineswegs ein Gleichgewicht bil<strong>de</strong>n.<br />

Vielmehr be<strong>de</strong>ute die dichotome Ungleichartigkeit zumeist auch Ungleichwertigkeit und<br />

Hierarchie, die mit <strong>einer</strong> Abwertung o<strong>de</strong>r Unsichtbarkeit <strong>de</strong>s als „weiblich“ Kodierten<br />

einherginge. Liegt eine solche Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung vor, wer<strong>de</strong>n innerhalb<br />

feministischer Diskurse grob betrachtet zwei verschie<strong>de</strong>ne Strategien vorgeschlagen,<br />

um Verän<strong>de</strong>rung zu evozieren. Die eine besteht darin, das als „weiblich“ Kodierte<br />

sichtbar zu machen und aufzuwerten, die an<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n Dekonstruktion<br />

<strong>de</strong>r betrachteten Dichotomie und ihrer jeweiligen Pole.<br />

Dekonstruktion von Dichotomien<br />

Die zweite Strategie wur<strong>de</strong> etwa von Adam in Bezug auf die Repräsentation „gesun<strong>de</strong>n<br />

Menschenverstands“ in CYC angewen<strong>de</strong>t (vgl. <strong>de</strong>n Abschnitt „Das Subjekt <strong>de</strong>s Wissens<br />

in <strong>einer</strong> Enzyklopädie gesun<strong>de</strong>n Menschenverstands“ unter 4.3.2). Sie lässt sich<br />

mit <strong>de</strong>n Worten Crutzens und Vossebergs allgemein folgen<strong>de</strong>rmaßen fassen: „Frauenforschung<br />

<strong>de</strong>ckt Hierarchien und hierarchische Relationen in Verbindung mit solchen<br />

Dualitäten auf und übt Kritik am traditionellen Prinzip von Distanz und Objektivität<br />

solcher Subjekt/Objekt-Relationen, weil sie in Machtrelationen mün<strong>de</strong>n. Sie fragt sich:<br />

‚Wer ist das Subjekt?‘ ‚Wie han<strong>de</strong>lt das Subjekt?‘, Welcher Platz wird <strong>de</strong>m Objekt<br />

durch das Subjekt gegeben?‘“ (Crutzen/ Vosseberg 1999, 156). Während Adam (und<br />

die feministischen Ansätze <strong>de</strong>r Wissenschafts- und Rationalitätskritik, auf die sie Bezug<br />

nimmt) primär auf die De-Konstruktion <strong>de</strong>s als autonom konzipierten und „männlich“<br />

konnotierten Subjekts bei <strong>de</strong>r Erkenntnisproduktion fokussiert, konzentrieren sich<br />

neuere Ansätze darauf, auch <strong>de</strong>n zweiten Pol <strong>de</strong>r Subjekt-Objekt-Relation, d.h. das<br />

jeweilige Objekt <strong>de</strong>r Erkenntnis stärker in <strong>de</strong>n Blick zu nehmen. So wur<strong>de</strong>n in Kapitel 3<br />

Objektivitätskonzeptionen vorgestellt, welche die Passivität <strong>de</strong>r untersuchten Objekte<br />

277 Studien, die geschlechtskodierte Dualismen wie technikbezogenes vs. menschenbezogenes Verhalten<br />

(Faulkner 2000a), abstrakter vs. konkreter Programmierstil in <strong>de</strong>r Fachkultur <strong>de</strong>r Informatik (Turkle 1998<br />

[1995]) o<strong>de</strong>r Technisches vs. Soziales in <strong>de</strong>r Software-Entwicklung (vgl. Bødker/ Greenbaum 1993) bzw.<br />

in Metho<strong>de</strong>n wissenschaftlichen Diskursen <strong>de</strong>r Informatik (vgl. Star 1995, Bath 2006c) untersuchen,<br />

wer<strong>de</strong>n hier, sofern sie nicht auf die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte fokussieren, nicht<br />

berücksichtigt.<br />

278 Vgl. u.a. Keller 1989 [1982], Keller 1995 [1983], Keller 1986 [1985], Longino 1990, Haraway 1995d<br />

[1988], Harding 1990 [1986], Harding 1994 [1991] sowie zusammenfassend etwa Orland/ Rössler 1995,<br />

insbeson<strong>de</strong>re 41ff.<br />

198


<strong>de</strong>-konstruieren. Latours und Haraways Aktor-Netzwerk-Theorie (vgl. die Kapitel 3.3<br />

und 3.4) ebenso wie Barads Ansatz <strong>de</strong>s Agentialen Realismus (vgl. Kapitel 3.5) setzen<br />

voraus, dass auch die Objekte wissenschaftlicher Erkenntnis bis zu einem gewissen<br />

Grad ein Eigenleben führen. Was dort für Objekte in Anspruch genommen wird, gilt<br />

ebenso für Technologien, geht es doch hier wie dort darum, <strong>de</strong>ren potentielle Handlungsfähigkeit<br />

anzuerkennen. Die Strategie <strong>de</strong>r De-Konstruktion von Dichotomien lässt<br />

sich somit von Seiten <strong>de</strong>r jeweiligen Pole her aufziehen, sie zielt jedoch letztendlich<br />

stets auf eine grundlegen<strong>de</strong> Dekonstruktion <strong>de</strong>r Dichotomie an sich und ihrer<br />

geschlechterdualistischen Konnotation: „Deconstruction is a method to evaluate implicit<br />

and explicit aspects of binary oppositions […]. The meaning of the terms of<br />

oppositions, constructed as a weave of differences and distances, can be traced<br />

throughout the discourse of the discipline and its domain. By examining the seams,<br />

gaps and contradictions, it is possible to disclose the hid<strong>de</strong>n meaning on gen<strong>de</strong>r and<br />

the gen<strong>de</strong>red agenda. I<strong>de</strong>ntifying the positive valued term and displacing the<br />

<strong>de</strong>pendant term from its negative position will reveal the gen<strong>de</strong>ring of the opposition<br />

and create a dialogue between the terms in which the difference within the term and<br />

the differences between the terms are valued. It uncovers the obvious acting in the<br />

past and how it has been established“ (Crutzen 2003, 97). Für die Subjekt-Objekt-<br />

Relation, die das vorherrschen<strong>de</strong> Wissenschaftsverständnis <strong>de</strong>r Informatik – d.h. auch<br />

das Wissenschaftsverständnis, das <strong>de</strong>m System CYC und Objektorientierten Metho<strong>de</strong>n<br />

zugrun<strong>de</strong> liegt – voraussetzt, be<strong>de</strong>utet eine solche Strategie <strong>de</strong>r Dekonstruktion,<br />

<strong>de</strong>n Herstellungsprozess <strong>de</strong>r Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt aufzuzeigen,<br />

um diese Unterscheidung letztendlich aufzulösen, womit auch eine binär<br />

vergeschlechtlichen<strong>de</strong> Zuordnung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Pole <strong>de</strong>r Dichotomie verunmöglicht wird.<br />

Gestaltung vs. Nutzung in <strong>de</strong>r Softwareentwicklung<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r Software-Entwicklung fin<strong>de</strong>t die Subjekt-Objekt-Relation, die für vorherrschen<strong>de</strong><br />

Formen <strong>de</strong>r Erkenntnisproduktion wie <strong>de</strong>r Wissensrepräsentation grundlegend<br />

ist, eine Entsprechung in <strong>de</strong>r GestalterInnen-NutzerInnen-Dichotomie. Eine De-<br />

Konstruktion <strong>de</strong>r symbolischen Be<strong>de</strong>utung dieser Dichotomie kann gleichfalls auf<br />

mehreren Ebenen erfolgen. Crutzen schlägt vor, das vorherrschen<strong>de</strong> Verständnis von<br />

Design als Fortschritt zu hinterfragen, nach <strong>de</strong>m „[d]esigners see themselves and are<br />

seen as makers of a better future and working in a straightforward line of progress“<br />

(Crutzen 2003, 97f). Dieses Verständnis grün<strong>de</strong> darauf, dass gutes Design keine<br />

Störungen o<strong>de</strong>r Zweifel produziert, son<strong>de</strong>rn sich nahtlos in die Welt <strong>de</strong>r NutzerInnen<br />

einpasst. Leichtigkeit wer<strong>de</strong> mit „Nutzungsfreundlichkeit“ gleichgesetzt. Der vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

Vorstellung <strong>de</strong>r Informatik zufolge seien Qualitätsmerkmale von Software<br />

wie ‚gut‘, ‚innovativ‘, ‚nutzungsfreundlich‘‚sicher‘ und ‚zuverlässig‘ objektiv messbar und<br />

planbar, bevor das Produkt in die Welt <strong>de</strong>r NutzerInnen geschickt wird. Die traditionelle<br />

Auffassung <strong>de</strong>r Gestaltung von IT-Produkten als einem Prozess rationaler Entscheidungen,<br />

Problemlösung, Optimierung, Vorschriften und Prognose <strong>de</strong>monstriere<br />

Curtzen zufolge die Macht <strong>de</strong>r GestalterInnen. Auch die ExpertInnensprache und die<br />

Metho<strong>de</strong>n, die die Welt <strong>de</strong>r Informatik gegenüber <strong>de</strong>r Außenwelt abschotteten,<br />

199


etabliere eine Dominanz von technischer Entwicklungstätigkeit über die Nutzung (vgl.<br />

ebd.). 279<br />

Den TechnikgestalterInnen wird also <strong>de</strong>r gängigen Vorstellung nach die Macht<br />

zugesprochen, <strong>de</strong>n Gegenstandsbereich erkennen, verstehen und formal erfassen zu<br />

können, sei es auf Basis eines angeblich objektiven „Designs von Nirgendwo“ o<strong>de</strong>r<br />

<strong>einer</strong> „losgelösten Intimität“, die eine gewisse emotionale Verwickeltheit <strong>de</strong>r Subjekte<br />

mit ihrem Gegenstand, <strong>de</strong>r Technik, erlaubt (vgl. Suchman 2002a sowie 4.3.1). Eine<br />

De-Konstruktion <strong>de</strong>r Gestaltungs-Nutzungs-Dichotomie be<strong>de</strong>utet somit <strong>einer</strong>seits, all<br />

diese vorherrschen<strong>de</strong>n Vorstellungen über Technikgestaltung und -gestalterInnen <strong>kritisch</strong><br />

zu rekonstruieren. An<strong>de</strong>rerseits muss sie zugleich auf die Rolle <strong>de</strong>r Nutzung<br />

fokussieren und <strong>de</strong>ren Relevanz für die Entwicklung von Technologien hervorheben.<br />

Andrew Clement (1991, 1993) war <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r ersten, <strong>de</strong>r im Bereich <strong>de</strong>r Informatisierung<br />

von Schreibarbeit darauf aufmerksam gemacht hat, dass auch die NutzerInnen<br />

einen wesentlichen Anteil an <strong>de</strong>r Gestaltung von Software leisten: „secretaries […]<br />

must make <strong>de</strong>cisions about files, forms, information flows, procedures and task<br />

sequences and other matter conventionally within the domain of systems <strong>de</strong>sign<br />

specialists. If these <strong>de</strong>cisions were ma<strong>de</strong> by <strong>de</strong>signers, this aspect of secretarial work<br />

would be clearly regar<strong>de</strong>d as <strong>de</strong>sign, and valued more highly as such. Instead, in the<br />

absence of recognition and support, office workers <strong>de</strong>sign systems informally, relying<br />

on their own locally <strong>de</strong>veloped and shared expertise.“ (Clement 1993, 342). Auch Mike<br />

Hales betont: „ Users ‚construct‘ technology: they do this both, symbolically, in their<br />

‚reading‘ of artefacts, and literally, in the articulation work that is essential before a<br />

concrete configuration of artefacts […] can serve as an a<strong>de</strong>quate day-by-day<br />

supporting structure for a live practice“ (Hales 1994 nach Suchman 2002a, 94).<br />

Die I<strong>de</strong>e, dass NutzerInnen Technologie selbst gestalten, wird in Zeiten <strong>de</strong>s Internet<br />

zunehmend populär. 280 Betraf dies zunächst vor allem die Gestaltung von Webseiten,<br />

so wird Technologie aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r „Social Software“ wie Blogs und Wikis<br />

heutzutage als ein „didaktischer Akteur“ verstan<strong>de</strong>n, durch <strong>de</strong>n technische Neugier<br />

geweckt wer<strong>de</strong>n kann (vgl. Wiesner 2008, Wiesner-St<strong>einer</strong> et al. 2006). Aus diesem<br />

Interesse resultieren<strong>de</strong> Beteiligungen <strong>de</strong>r NutzerInnen an <strong>de</strong>r technischen Weiterentwicklung<br />

können – wie einzelne Studien bereits aufgezeigt haben (vgl. etwa Sharp/<br />

Salomon 2008) – durchaus zu Innovationen führen. Ein Projekt, das ebenfalls auf <strong>de</strong>r<br />

Vorstellung aktiver NutzerInnen aufsetzt und zugleich darauf zielt, die Attraktivität von<br />

Ingenieurwissenschaften für junge Mädchen zu steigern, ist „Roberta“. 281 Die vom<br />

BMBF geför<strong>de</strong>rten und von <strong>de</strong>r Fraunhofer Gesellschaft durchgeführten Robotik-Kurse<br />

sollen bei Schulkin<strong>de</strong>rn, speziell bei Mädchen, Neugier<strong>de</strong> und Begeisterung für<br />

Technik wecken. Ziel ist, dass sie Technik nicht als gegeben, son<strong>de</strong>rn als gestaltbar<br />

erleben. 282 Die wissenschaftlichen Begleitstudien zeigten, dass das Interesse <strong>de</strong>r<br />

279 Auf einen ähnlichen Aspekt dieses Hierarchieverhältnisses verweist Stein Braten (1973), wenn er sogar<br />

noch im Kontext partizipativer Systementwicklung mit NutzerInnen von <strong>de</strong>r „Mo<strong>de</strong>llmacht“ <strong>de</strong>r<br />

TechnikgestalterInnen spricht.<br />

280 Vgl. hierzu auch die entsprechen<strong>de</strong>n Ausführungen in Kapitel 4.3.2.<br />

281 Roberta wur<strong>de</strong> 2005 als Markenname für die Fraunhofer-Gesellschaft beim Deutschen Patent- und<br />

Markenamt registriert, vgl. Wikipedia: http://<strong>de</strong>.wikipedia.org/wiki/Roberta_-_Mädchen_erobern_Roboter,<br />

(letzter Zugriff am 18.2.08).<br />

282 Die Robotik wird als beson<strong>de</strong>rs geeigneter Bereich eingeschätzt, um die Rolle passiver NutzerInnen zu<br />

<strong>de</strong>konstruieren: „Robotik bietet einen spielerischen Zugang zur Technik durch Anfassen und<br />

Ausprobieren. Mit Hilfe von didaktisch und technisch adaptierten Robotern lernen schon Kin<strong>de</strong>r innerhalb<br />

200


Mädchen „Computerexpertin zu wer<strong>de</strong>n, wenn sie es nur wollten“ durch eine<br />

Teilnahme gesteigert wer<strong>de</strong>n konnte (Hartmann et al. 2005). Doch wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r<br />

empirischen Beobachtung zugleich <strong>de</strong>utlich, dass nicht nur die Didaktik, son<strong>de</strong>rn auch<br />

die benutzten Roboterbaukästen (Lego Mindstorms), d.h. das Design <strong>de</strong>r Technologie,<br />

<strong>einer</strong> Anpassung bedurften, um einem geschlechtstereotypen Verhalten entgegenwirken<br />

zu können. Denn falls ein Grundmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Roboters mit Rä<strong>de</strong>rn verwen<strong>de</strong>t<br />

wur<strong>de</strong>, so veranlasste dies die beteiligten Jungen in <strong>de</strong>r Regel dazu, Autos o<strong>de</strong>r<br />

Panzer zu bauen. Gab es dagegen k<strong>einer</strong>lei solcher Vorgaben, tendierten sowohl<br />

Mädchen als auch Jungen dazu, Analogien zur Menschen- bzw. Tierwelt zu<br />

konstruieren (vgl. Wiesner 2004).<br />

Diese Ergebnisse machen darauf aufmerksam, dass es nicht nur auf <strong>de</strong>r vor<strong>de</strong>rgründigen<br />

Ebene <strong>de</strong>s äußeren Designs von Technologien schwer ist, Vergeschlechtlichungsprozessen<br />

entgegenzuwirken. Denn NutzerInnen bringen Vergeschlechtlichungen<br />

über die Nutzung ein. Vielmehr zeigen die Ergebnisse <strong>de</strong>s Roberta-Projektes<br />

zugleich, dass die Möglichkeiten <strong>de</strong>r NutzerInnen Technik mitzukonstruieren stets<br />

begrenzt sind. Die geschlechtskodierte Dichotomie von Nutzung und Gestaltung kann<br />

zwar bis zu einem gewissen Grad aufgeweicht wer<strong>de</strong>n, jedoch liegt die Entscheidung<br />

über zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Rahmenbedingungen und technische Infrastrukturen dabei<br />

weiterhin in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen.<br />

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich <strong>de</strong>r Ansatz <strong>de</strong>r Dekonstruktion<br />

von Dualismen damit auf <strong>einer</strong> analytischen Ebene als äußerst hilfreich erwiesen hat,<br />

um die Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Technologien besser zu verstehen.<br />

Gera<strong>de</strong> das Beispiel <strong>de</strong>r Gestaltung von Technologien durch NutzerInnen ver<strong>de</strong>utlicht<br />

jedoch die Grenzen dieses Ansatzes, wenn es darum geht, Technologien an<strong>de</strong>rs zu<br />

gestalten. Es ist im nachfolgen<strong>de</strong>n Kapitel noch weitergehend zu diskutieren, inwieweit<br />

eine Dekonstruktion von Dichotomien als ein Ausgangspunkt für methodische Ansätze<br />

<strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring von Technologie dienen kann.<br />

Anerkennung o<strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>s Ausgegrenzten?<br />

Ein neben <strong>de</strong>r Dekonstruktion geschlechtskodierter Dualismen in feministischen<br />

Ansätzen häufig verfolgtes Ziel besteht darin, das bislang Ausgegrenzte, welches in<br />

<strong>de</strong>r Regel „weiblich“ konnotiert ist, sichtbar zu machen und aufzuwerten. Dabei plädiert<br />

ein Strang <strong>de</strong>r Theorie und Forschung dafür, das Nichtformalisierbare, <strong>de</strong>r Informatisierung<br />

nicht Zugängliche, und sprachlich Unbestimmbare bzw. Außerdiskursive als<br />

solches anzuerkennen. Es wird somit ein unverfügbarer Rest <strong>de</strong>s Menschlichen gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Maschinellen und Technischen unterstellt. Diese humanistisch geprägte<br />

Auffassung fin<strong>de</strong>t sich beispielsweise in <strong>de</strong>n frühen Schriften Lucy Suchmans zum<br />

Handlungsbegriff <strong>de</strong>r KI für die Mensch-Maschine-Interaktion (vgl. Suchman 1987).<br />

Auch <strong>de</strong>r formalen, rationalistischen Interpretation von Wissen und Information in <strong>de</strong>r<br />

Informatik wird häufig vorgeworfen, dass sie die „irrationalen“, kreativen,<br />

improvisieren<strong>de</strong>n und verkörperlichten Elemente „realer Informationsverarbeitung“<br />

eines Tages Grundkenntnisse <strong>de</strong>r Konstruktion von Robotern bis hin zu <strong>de</strong>ren Programmierung. Sie<br />

entwerfen, konstruieren, programmieren und testen mobile, autonome Roboter. Sie erfahren, dass<br />

Technik Spaß macht, lernen wie technische Systeme entwickelt wer<strong>de</strong>n und erwerben Kenntnisse in<br />

Informatik, Elektrotechnik, Mechanik und Robotik“ (Fraunhofer o.J., offizieller Flyer <strong>de</strong>s Projekts, zitiert<br />

nach: http://www.iais.fraunhofer.<strong>de</strong>/fileadmin/images/pics/Abteilungen/AR/PDF/Roberta_<strong>de</strong>.pdf, letzter<br />

Zugriff am 18.2.08).<br />

201


(Bratteteig/ Verne 1997, 45) nicht zu erfassen vermöge. 283 Dabei zeigten empirische<br />

Untersuchungen doch, „that <strong>de</strong>cision making involves politics, power and seemingly<br />

irrational behaviour: information is rather used to legitimate than to ground a <strong>de</strong>cision,<br />

<strong>de</strong>cisions are ma<strong>de</strong> with little or no factual basis. Improvisation, opportunistic<br />

behaviour, and gossip are key notions in real information processing“ (Bratteteig/Verne<br />

1997, 45).<br />

Während die einen das bislang für <strong>de</strong>n Formalismus Unverfügbare vor <strong>de</strong>r Informatisierung<br />

bewahren wollen, for<strong>de</strong>rn an<strong>de</strong>re feministische VertreterInnen die TechnikwissenschaftlerInnen<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger dazu auf, das bis dato ausgegrenzte und<br />

implizit o<strong>de</strong>r explizit als „weiblich“ Gedachte <strong>de</strong>r Formalisierung zugänglich zu machen<br />

(vgl. etwa Grundy 2001). Die Integration in die Technologie soll das zuvor Vernachlässigte<br />

aufwerten und <strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Dualismus etablierten Gegensatz damit<br />

letztendlich als nichtig erklären. Ein solcher Zugang liegt etwa <strong>de</strong>m in Abschnitt 4.2.3<br />

skizzierten Klassifikationssystem NIC zugrun<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>m Humor als eine<br />

Pflegehandlung von Krankenschwestern <strong>de</strong>finiert wor<strong>de</strong>n ist. Ein an<strong>de</strong>rer Schauplatz,<br />

an <strong>de</strong>m sich die unterschiedlichen Positionen von Anerkennung o<strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>s<br />

Ausgegrenzten beson<strong>de</strong>rs gut <strong>de</strong>monstrieren und zugleich mit Blick auf die Technikgestaltung<br />

reflektieren lassen, sind feministische Debatten um Körper, Erfahrung und<br />

Emotion.<br />

Der Ausschluss <strong>de</strong>s Körperlichen, <strong>de</strong>r subjektiven Erfahrung und <strong>de</strong>s Emotionalen<br />

aus <strong>de</strong>m Prozess <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung stehen seit langer Zeit<br />

im Zentrum feministischer Kritik. Feministische Theoretikerinnen und Philosophinnen<br />

(Lloyd 1984, Jaggar 1989, Nussbaum 2001) sowie feministische Naturwissenschaftsforscherinnen<br />

(vgl. etwa Keller 1986 [1985], Schiebinger 1999) untersuchten <strong>kritisch</strong><br />

<strong>de</strong>ssen Voraussetzung, die Trennung von Körper und Geist, Erfahrung und Objektivität<br />

sowie Gefühl und Vernunft. Seit <strong>de</strong>r Antike gelten Körper von Frauen und ihre<br />

Subjektivität ebenso wie mit Frauen assoziierte Eigenschaften wie Fürsorglichkeit,<br />

Empathie und Liebe in westlichen Denktraditionen als „das An<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Vernunft“. Sie<br />

stellen zugleich das Gegenbild par excellence zur verbreiteten Vorstellung klassischer<br />

Maschinen dar. Entfremdungstheoretische Ansätze beklagten vor diesem Hintergrund<br />

im Zuge <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

ein „Verschwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Körpers“, 284 eine „Totalentkörperung“ (Du<strong>de</strong>n<br />

1997), o<strong>de</strong>r gar einen „Verlust <strong>de</strong>s Realen“ (Baudrilliard). Dieser kulturpessimistisch<br />

geprägten Haltung gegenüber neuen Technologien lassen sich u.a. auch die Ansätze<br />

von Böhme 1992 sowie List 1994, 1997 zuordnen.<br />

Doch nicht nur humanistisch inspirierte Kritiken konstatieren eine Entkörperlichung.<br />

Auch postmo<strong>de</strong>rne Theoretikerinnnen arbeiteten – wie etwa Katherine Hayles am<br />

Beispiel aufkommen<strong>de</strong>r kybernetischer Konzepte und Künstlicher Intelligenz im letzten<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt – heraus, dass Informationen ihren Körper verloren haben (Hayles 1999,<br />

2). Hayles warnt davor, die konstatierte Entkörperlichung in Mo<strong>de</strong>llen menschlicher<br />

(bzw. posthumaner) 285 Subjektivität fortzuschreiben. Ihr Gegenmo<strong>de</strong>ll „embraces the<br />

283 Vgl. hierzu auch die Einführung zu Abschnitt 4.3.<br />

284 Die Re<strong>de</strong> vom „Verschwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Körpers“ taucht insbeson<strong>de</strong>re in feministischen Debatten um <strong>de</strong>n<br />

Körper, oft auch an <strong>de</strong>r Schnittstelle zu Analysen <strong>de</strong>s Internet, Cyberspace, neuer Informations- und<br />

Kommunikationstechnologien auf, vgl. hierzu etwa Becker/ Schnei<strong>de</strong>r 2000, Bath et al. 2005.<br />

285 Mit ihrem Begriff <strong>de</strong>s „Posthumanen“ setzt Hayles eine enge Verstrickung von menschlichen und nichtmenschlichen<br />

Wesen voraus und schließt damit an die Akteur-Netzwerk-Theorie und Donna Haraway an:<br />

202


possibilities of information technologies without being seduced by the fantasies of<br />

unlimited power and disembodied immortality, that recognizes and celebrated the<br />

finitu<strong>de</strong> as a condition of human beings, and that un<strong>de</strong>rstands human life is embed<strong>de</strong>d<br />

in a material world of great complexity, one on which we <strong>de</strong>pend for continued<br />

survival.“ (Hayles 1999, 5).<br />

Analysen <strong>de</strong>s aktuellen technowissenschaftlichen Arbeitens zeigen jedoch, dass<br />

Kritiken an <strong>de</strong>n „Entmaterialisierungsstrategien <strong>de</strong>r Technowissenschaften“ (Bath et al.<br />

2005a, 22) – egal, welcher Couleur – revidiert wer<strong>de</strong>n müssen. Denn neuerdings<br />

wer<strong>de</strong>n in Gebieten wie <strong>de</strong>r „verhaltensbasierten Robotik“, <strong>de</strong>r „embodied artificial<br />

intelligence“ o<strong>de</strong>r „emotionalen Softwareagentenforschung“ Artefakte kreiert, die das<br />

zuvor Ausgeschlossene nicht nur untersuchen, son<strong>de</strong>rn gewissermaßen zelebrieren.<br />

Verkörperung, Situierung, Sozialität und Emotionen stehen dort im Zentrum <strong>de</strong>r<br />

Mo<strong>de</strong>llierung und Formalisierung, um diese <strong>de</strong>n Technologien einschreiben zu können.<br />

Angesichts dieser Entwicklungen lässt sich mit Jutta Weber fragen, ob die Technikkritik<br />

– sei es die humanistische o<strong>de</strong>r die postmo<strong>de</strong>rne à la Latour o<strong>de</strong>r Haraway – doch<br />

noch Gehör gefun<strong>de</strong>n hat (vgl. Weber 2003b, 120).<br />

Die neueren Entwicklungen in <strong>de</strong>n Technosciences hin zu situierten, verkörperten<br />

sozio-emotionalen Maschinen, die das rationalistische Paradigma scheinbar hinter sich<br />

lassen, könnten hoffnungsvoll stimmen, zeigen diese doch einen Wan<strong>de</strong>l an, mit <strong>de</strong>m<br />

lange dominante Grenzziehungen zwischen Mensch und Maschine, Körper und Geist,<br />

Emotion und Rationalität grundlegend in Bewegung zu geraten scheinen. Markierten<br />

Körper, subjektive Erfahrung und Emotionen in hegemonialen Diskursen bislang<br />

<strong>einer</strong>seits <strong>de</strong>n Gegensatz zur Rationalität und an<strong>de</strong>rerseits das Humane im Vergleich<br />

zum Maschinellen, so wer<strong>de</strong>n bislang vorherrschen<strong>de</strong> Grenzziehungen zwischen Körper<br />

und Geist, Gefühl und Vernunft, Mensch und Maschine mit <strong>de</strong>n gegenwärtigen<br />

Entwicklungen <strong>de</strong>r Technoscience zunehmend brüchig. Das Versprechen <strong>einer</strong><br />

Auflösung dieser zutiefst geschlechtskodierten Dichotomien bedarf jedoch <strong>einer</strong><br />

<strong>de</strong>taillierten Analyse technowissenschaftlicher Ansätze und Umsetzungen, wie sie hier<br />

nachfolgend anhand <strong>de</strong>r Beispiele von Körperkonzepten in <strong>de</strong>r neueren Robotik und<br />

von Emotionskonzepten in <strong>de</strong>r Softwareagentenforschung vorgenommen wird.<br />

Körper vs. Geist in <strong>de</strong>r verhaltensbasierten Robotik<br />

Auf die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Körpers bei <strong>de</strong>r technischen Konstruktion von „Intelligenz“<br />

machte <strong>de</strong>r Robotiker Rodney Brooks seit <strong>de</strong>n 1980er Jahren aufmerksam (vgl. Brooks<br />

1991, Steels/ Brooks 1995, Brooks 2002). Er verwarf damit die klassischen symbolorientierten<br />

Ansätze <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenzforschung, die ausgehend von <strong>de</strong>r<br />

Annahme, dass eine vollständige Repräsentation <strong>de</strong>r Umgebung eines Artefaktes<br />

möglich sei, auf die Nachbildung rationalen Denkens zielten. Statt <strong>einer</strong> solchen<br />

entkörperlichten („disembodied“) KI propagierte er die Verkörperung, insbeson<strong>de</strong>re<br />

eine verkörperte Interaktion <strong>de</strong>r Roboter mit ihrer physischen Umwelt als eine<br />

grundlegen<strong>de</strong> Voraussetzung für die Entwicklung von Intelligenz. „Brooks’s position<br />

has been that rather than a symbolic process that prece<strong>de</strong>s action, cognition must be<br />

„Bruno Latour has argued that we have never been mo<strong>de</strong>rn; the seriated history of cybernetics - emerging<br />

networks at once material real, socially regulated and discursively constructed – suggests, for similar<br />

reasons, that we have always been posthuman“ (Hayles 1999, 291). Das Projekt <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne, die<br />

Kategorien Mensch und Nicht-Mensch zu trennen und reinzuhalten, sei ihres Erachtens gescheitert.<br />

203


an emergent property of action, the foundational form of which he takes to be a<br />

navigation through a physical environment“ (Suchman 2007, 230, Hervorh. im Original).<br />

Für die Konzeption <strong>de</strong>r Artefakte ließ er sich – <strong>de</strong>m Gründungsmythos dieser<br />

Fachrichtung zufolge – von <strong>de</strong>r Bewegung <strong>einer</strong> Küchenschabe durch <strong>de</strong>n Raum inspirieren<br />

(vgl. Hayles 2003, 101). Das Verhalten von Insekten gilt ihm als ein Vorgängerstadium<br />

in <strong>de</strong>r Genese humanoi<strong>de</strong>r Roboter (vgl. Brooks 2002, 45ff). Auf dieser<br />

Grundlage entwickelte Brooks einen evolutionsbiologischen bzw. verhaltensbasierten<br />

Ansatz, nach <strong>de</strong>m simples Verhalten im Sinne von Reiz-Reaktions-Schemata innerhalb<br />

eines ‚bottom-up‘-Ansatzes technisch mo<strong>de</strong>lliert wer<strong>de</strong>n soll. Realisiert hat er diese<br />

I<strong>de</strong>en mit Hilfe <strong>einer</strong> so genannten Subsumptionsarchitektur, bei <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>ne<br />

Ebenen von Verhalten differenziert und relativ autonom voneinan<strong>de</strong>r programmiert<br />

wer<strong>de</strong>n. 286<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis von Brooks Ansatz lässt sich nun fragen, was Verkörperung in <strong>de</strong>r<br />

situierten Robotik be<strong>de</strong>utet. Dazu kann zunächst mit Suchman (2007, 230) festgehalten<br />

wer<strong>de</strong>n, dass die Robotik weiterhin stark auf das Funktionieren <strong>de</strong>s rationalen<br />

Denkens ausgerichtet ist bzw. eine Form instrumenteller Wahrnehmung repräsentiert.<br />

Die situierte Robotik grün<strong>de</strong>t, wie Hayles (2003) <strong>de</strong>tailliert beschreibt, auf <strong>de</strong>m so<br />

genannten „Sense-Think-Act“-Paradigma. Dabei wird davon ausgegangen, dass <strong>de</strong>r<br />

Körper Stimuli aus dieser Umgebung mittels eigens dafür konstruierter Sensoren<br />

wahrnimmt und darauf geeignete Reaktionen bzw. Handlungen generiert, die mittels<br />

Symbolverarbeitungsprozessen, d.h. maschinellem „Denken“, berechnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Hayles sieht in Brooks Konzept eine Ten<strong>de</strong>nz, das Bewusstsein in s<strong>einer</strong><br />

Vorrangstellung zu entthronisieren und zu <strong>einer</strong> Begleiterscheinung zu <strong>de</strong>klassieren.<br />

Denn statt einem biologischen Substrat wie <strong>de</strong>m Neokortex gilt nun die Wahrnehmung<br />

und unmittelbare Handlung in <strong>de</strong>r Welt als primäre Quelle kognitiver Prozesse. Auf<br />

welcher materiellen Grundlage „Denken“ erfolgt, ob es in einem menschlichen Körper<br />

o<strong>de</strong>r in einem Maschinenkörper stattfin<strong>de</strong>t, wer<strong>de</strong> zunehmend irrelevant. Vielmehr sei<br />

eine Konvergenz zwischen Mensch und Maschine zu beobachten, die sich insbeson<strong>de</strong>re<br />

anhand technischer Zugriffe auf emergente Prozesse, Intuition und Kreativität<br />

ablesen lassen: „Now it is not merely rational thought that intelligent machines are seen<br />

to possess, but creativity and intuition as well. The fact that programs arrive at these<br />

results blindly, without any appreciation for what they have accomplished, can be<br />

ambiguously un<strong>de</strong>rstood as indicating that machines are capable of more creativity<br />

than that with which they have been credited, or that human intuition may be more<br />

mechanical than we thought.“ (Hayles 2003, 116). Insgesamt wer<strong>de</strong> die menschliche<br />

Natur in <strong>de</strong>r situierten Robotik neu <strong>de</strong>finiert, <strong>de</strong>nn wir könnten nun das Humane nicht<br />

mehr unabhängig von intelligenten Maschinen <strong>de</strong>finieren. Selbst kulturpessimistische<br />

TechnikkritikerInnen wie Francis Fukuyama, 287 die Emotionen, Sorge, Pflege u.a. zum<br />

286 Einer <strong>de</strong>r ersten Roboter, <strong>de</strong>r auf diesem Prinzip basierte, war „Allen“, für <strong>de</strong>n eine Kontrollebene, eine<br />

Ebene, die Brooks als „Wan<strong>de</strong>rlust“ bezeichnet sowie eine dritte, die es Allen ermöglichen sollte, die Welt<br />

zu erkun<strong>de</strong>n, implementiert wur<strong>de</strong>n. Brooks beschreibt das Zusammenspiel dieser drei Ebenen<br />

folgen<strong>de</strong>rmaßen: Wenn <strong>de</strong>m Roboter in <strong>de</strong>r Ferne etwas interessant erschien, so bewegte er sich darauf<br />

zu. War dagegen gera<strong>de</strong> nichts Interessantes zu ent<strong>de</strong>cken, so übernahm die Wan<strong>de</strong>rlust die Kontrolle<br />

über das Verhalten <strong>de</strong>s Roboters, vgl. Brooks 2002, 50f.<br />

287 Für eine feministische Kritik an Fukuyamas Geschlechterdifferenz<strong>de</strong>nken, das seinen Überlegungen in<br />

„Our posthuman future“ (2002) eingeschrieben ist, vgl. etwa Lettow 2003.<br />

204


spezifisch Menschlichen erklären, wür<strong>de</strong>n ihr Verständnis <strong>de</strong>s Humanen letztendlich an<br />

<strong>de</strong>n gegenwärtigen Fähigkeiten intelligenter Maschinen messen. 288<br />

Während Hayles Ausführungen zur situierten Robotik allgemein auf die Rekonfigurationen<br />

<strong>de</strong>s Humanen fokussieren, 289 analysiert Suchman diese aktuellen Verschiebungen<br />

mit Blick auf geschlechtskonnotierte Dichotomien. Suchman versteht Brooks<br />

Konzept in <strong>de</strong>m Sinne, dass das Primat <strong>de</strong>s rationalen Denkens gegenüber <strong>de</strong>r<br />

Verkörperung durch das „Sense-Think-Act“-Paradigma weitgehend unangegriffen<br />

bleibt, selbst wenn Beeinflussungen von Körper und Geist in bei<strong>de</strong>n Richtungen stattfin<strong>de</strong>n<br />

(Suchman 2007, 230f). Zu<strong>de</strong>m sei <strong>de</strong>r Körper (<strong>de</strong>s Roboters) in <strong>einer</strong> Welt<br />

verortet, die von jenem als unabhängig angenommen wird. Die situierte Robotik basiere<br />

somit auf einem erkenntnistheoretischen Realismus, <strong>de</strong>r sowohl <strong>de</strong>n Körper als<br />

auch die diesen umgeben<strong>de</strong> Welt naturalisiert und bei<strong>de</strong>s als eine essentielle Grundlage<br />

für das Denken voraussetzt. Die Dichotomie von Körper und Geist wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>mzufolge<br />

durch die neuere Robotik we<strong>de</strong>r aufgelöst, noch geschlechtlich neu kodiert.<br />

Hoffnungen auf Verschiebungen in <strong>de</strong>r strukturell-symbolischen Geschlechterordnung<br />

im Zuge <strong>de</strong>r Entwicklungen neuerer Robotik, die sich aus Haraways Ansatz ableiten<br />

ließen, blieben damit uneingelöst.<br />

Diesem Urteil, das mit verschie<strong>de</strong>nen feministischen Kritiken in Einklang steht, stellt<br />

Jutta Weber unter Rekurs auf Hayles entgegen, dass die neuere Robotik und Artificial<br />

Life-Forschung mit völlig neu gearteten Körperkonzepten arbeite. Im Gegensatz zu<br />

humanistischen Vorstellungen von Einheit, Stabilität und festen Grenzen wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Organismus in diesen Bereichen <strong>de</strong>r KI zunehmend als „flexibel, dynamisch und in permanenter<br />

Verän<strong>de</strong>rung“ (Weber 2003b, 124) begriffen. Im Mittelpunkt stün<strong>de</strong> das<br />

Moment <strong>de</strong>s Neuen, Spontaneität und emergentes Verhalten. Die komplexen<br />

technischen Systeme wür<strong>de</strong>n von ihren GestalterInnen mit <strong>de</strong>r Fähigkeit zur<br />

permanenten Erneuerung, Neugestaltung und Spontaneität ausgestattet. Es ginge<br />

darum, <strong>de</strong>n Überschuss <strong>de</strong>s Lebendigen zu formalisieren und instrumentalisieren. Ziel<br />

dieser Technowissenschaften sei die Nachbildung <strong>de</strong>s Lebendigen und die „Produktion<br />

<strong>de</strong>s Unerwarteten“ (Weber 2005a). 290<br />

288 Hayles kritisiert Fukuyamas Argumentation, dass Menschen eine beson<strong>de</strong>re Spezies seien, als<br />

tautologische: „It seems that Fukuyama uses evolutionary reasoning when it is convenient for his<br />

argument and dispenses when it threatens his conclusion that human beings are spezial. […] Humans are<br />

special because they have human nature; this human nature is in danger of being mutated by<br />

technological means; to preserve our specialness, we must therefore not tamper wih human nature. The<br />

neat closure of this argument can be disrupted by the observation that it must also be ‚human nature‘ to<br />

use technology, since from the beginning of the species human beings have always used technology.<br />

Moreover, technology has coevolved throughout the millennium with human beings and helped in myriad<br />

profound and subtle ways to make human nature what it is“ (Hayles 2003, 113f).<br />

289 In ihrem Buch „How we became posthuman“ (1999) beschreibt Hayles Transformationen <strong>de</strong>r<br />

Verhältnisse zwischen Mensch und Maschine anhand <strong>de</strong>r Entwicklungsgeschichte <strong>de</strong>r Kybernetik seit<br />

ihrer Entstehung in <strong>de</strong>n Nachkriegsjahren. Am En<strong>de</strong> dieses Prozesses stün<strong>de</strong>n posthumane Körper bzw.<br />

Verkörperungen, die eine naturalistische Auffassung von Körper auf <strong>de</strong>r Basis humanistischer Vorstellungen<br />

und <strong>de</strong>r eines mo<strong>de</strong>rnen Subjektbegriffs ersetzten. Ihr Konzept <strong>de</strong>s posthumanen Körpers kann als<br />

Suche nach einem verkörperlichten Mo<strong>de</strong>ll von Subjektivität und Handlungsfähigkeit verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n,<br />

das sich vor <strong>de</strong>m Hintergrund westlicher Philosophiegeschichte und ihrer Kritik, insbeson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung von Dichotomien, als ein feministisches Projekt auffassen lässt.<br />

290 In <strong>de</strong>r Artificial Life-Forschung „wird <strong>de</strong>r Körper nicht mehr als natürlich und gegeben verstan<strong>de</strong>n. Wenn<br />

auch die Fähigkeit <strong>de</strong>r Mutation, Variation und Verän<strong>de</strong>rung wie<strong>de</strong>rum als natürlich interpretiert wird, so<br />

wird <strong>de</strong>r Körper <strong>de</strong>naturalisiert, dass er nicht mehr als unverän<strong>de</strong>rbar, teleologisch und von harmonischen<br />

Prinzipien durchwirkt, son<strong>de</strong>rn eher als Baukasten verstan<strong>de</strong>n wird. […] Im Zeitalter <strong>de</strong>r Technoscience<br />

geht es zwar um die Mo<strong>de</strong>llierung von Körpern und Maschinen, die mehr sind als die Summe ihrer Teile –<br />

205


Weber weist auf zunächst erstaunliche Parallelen zwischen Haraways Konzept <strong>de</strong>r<br />

Verkörperung und <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r neueren Robotik hin. Übereinstimmungen ließen sich nicht<br />

nur im Bezug auf dynamisierte Körperverständnisse, 291 son<strong>de</strong>rn auch hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

Auflösung <strong>de</strong>r hierarchischen Subjekt-Objekt-Relation und <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en Vorstellung<br />

aktiver Wissensobjekte erkennen: „Was an<strong>de</strong>res wäre die I<strong>de</strong>e, autonome und<br />

selbständige Agenten zu entwickeln, die evolvieren, wachsen und lernen? […] Und<br />

untergräbt nicht die I<strong>de</strong>e von emergenten Maschinen, von Robotern ‚out of control‘<br />

(Brooks), die konstruiert sind, aber zugleich sich selbst konstruieren und weiterentwickeln<br />

sollen, wie<strong>de</strong>rum die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Autonomie <strong>de</strong>s vormals selbstherrlichen<br />

Forschers?“ (Weber 2003b, 127). Die Philosophin Barbara Becker plädiert dafür, die<br />

Eigendynamik <strong>de</strong>s Körperlichen und die „Dimensionen <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rständigen, verkörpert<br />

in <strong>de</strong>r eigenen und frem<strong>de</strong>n Materialität“ (vgl. Becker 2000, 64) anzuerkennen. Es<br />

scheint so, wie Weber betont, als ob die von <strong>de</strong>r Position <strong>de</strong>r Phänomenologie<br />

angeführten <strong>kritisch</strong>en Argumente von <strong>de</strong>n technologischen Entwicklungen <strong>de</strong>r Robotik<br />

umgesetzt wür<strong>de</strong>n.<br />

Weber gesteht diesen neueren technowissenschaftlichen Konzepten zwar das<br />

Potential zu, Limitierungen und Engführungen <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n symbolorientierten<br />

KI zu überschreiten, doch stellt sie dabei zugleich eine krasse Fortsetzung alter hierarchischer<br />

Muster und Reduktionen fest. Denn die dynamische, flexible Verkörperung,<br />

die Tinkering-Verfahren und weitere Konzepte <strong>de</strong>r neueren KI wür<strong>de</strong>n mit<br />

evolutionsbiologischen Argumenten begrün<strong>de</strong>t, die ein sozialdarwinistisches Gepäck<br />

mit sich tragen. „Mutter“ Natur wer<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n RobotikerInnen herangezogen und damit<br />

wer<strong>de</strong> auf bekannte, von verschie<strong>de</strong>nen Feministinnen stark kritisierte Schemata<br />

rekurriert, um die <strong>de</strong>naturalisierten Körper wie<strong>de</strong>rum als „natürliche“ <strong>de</strong>klarieren zu<br />

können. Technologische Konzeptionen flexibler Körper wür<strong>de</strong>n darüber legitimiert,<br />

dass die Natur eine solche Strategie <strong>de</strong>r Verkörperung „schon immer“ verfolgt habe. So<br />

seien auch die Rückgriffe <strong>de</strong>r KI auf das Verhalten von Insekten im Kontext <strong>de</strong>r sozialdarwinistischen<br />

I<strong>de</strong>ologie <strong>de</strong>s ‚survival of the fittest’ zu verstehen, mit <strong>de</strong>r Brooks die<br />

„natürliche“, evolutionsbiologische Genese beson<strong>de</strong>rs robuster Organismen auf die<br />

Entwicklung von Artefakten zu übertragen sucht. Auch die These, dass Bewusstsein<br />

nur ein Epiphänomen <strong>de</strong>s Lebens sei und einen vernachlässigbaren Bestandteil<br />

menschlicher Intelligenz darstelle, erscheine vor diesem Hintergrund in neuem Licht.<br />

Ganz im Gegensatz zu <strong>de</strong>r zunächst hoffnungsvollen Interpretation, dass die Robotik<br />

die geschlechtskonnotierte Dichotomie von Körper und Geist überwin<strong>de</strong>, wür<strong>de</strong><br />

Bewusstsein von <strong>de</strong>n RobotikerInnen evolutionsgeschichtlich als eine späte<br />

Entwicklung begriffen, die keine notwendige Voraussetzung für das Leben sei.<br />

Insgesamt zeigt Weber auf, dass neue Körperverständnisse in <strong>de</strong>r Robotik mit<br />

vielfältigen Re-Naturalisierungen verbun<strong>de</strong>n sind und zu<strong>de</strong>m an neoliberale I<strong>de</strong>ale<br />

erinnerten. Die mit flexiblen, offenen, dynamischen Körpern verbun<strong>de</strong>nen Grenzauflösungen<br />

be<strong>de</strong>uteten somit „noch lange keine postessentialistische Körperpolitik<br />

aber nicht im Sinne <strong>einer</strong> höheren harmonischen Ordnung, son<strong>de</strong>rn in Form <strong>einer</strong> Denaturalisierung, die<br />

eine Dynamisierung von Körpern möglich macht.“ (Weber 2003b, 125).<br />

291 Haraways Konzept postmo<strong>de</strong>rner Körper sieht sie in <strong>de</strong>m folgen<strong>de</strong>n Zitat prägnant beschrieben:<br />

„Feministische Verkörperung han<strong>de</strong>lt also nicht von <strong>einer</strong> fixierten Lokalisierung in einem verdinglichten<br />

Körper, ob dieser nun weiblich o<strong>de</strong>r etwas an<strong>de</strong>res ist, son<strong>de</strong>rn von Knotenpunkten in Fel<strong>de</strong>rn,<br />

Wen<strong>de</strong>punkten von Ausrichtungen, und <strong>de</strong>r Verantwortlichkeit für Differenz in materiell-semiotischen<br />

Be<strong>de</strong>utungsfel<strong>de</strong>rn“ (Haraway 1995d [1988]), 88f).<br />

206


jenseits <strong>de</strong>r Kategorien Geschlecht, Rasse o<strong>de</strong>r Klasse o<strong>de</strong>r generell jenseits alter Hierarchisierungen<br />

und Polarisierungen.“ (Weber 2005a, 69) . Deshalb könne die neuere<br />

Robotik nicht so hoch gefeiert wer<strong>de</strong>n, wie dies einzelne <strong>kritisch</strong>e WissenschaftsforscherInnen<br />

tun, nur weil die mo<strong>de</strong>rne Logik <strong>de</strong>s Immergleichen, Vorhersehbaren<br />

und Geplanten von <strong>de</strong>n neuen Konzepten durchbrochen wer<strong>de</strong>. Vielmehr plädiert sie<br />

dafür, Verantwortung für vollzogene Grenzüberschreitungen zu übernehmen und<br />

Offenheit, Nicht-Linearität, Partialität und Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit nicht nur zu begrüßen,<br />

son<strong>de</strong>rn auch nach <strong>de</strong>ren Ein- und Ausschlusslogiken zu fragen. Weber klagt Parteilichkeit<br />

und Verantwortlichkeit ein. Es gelte, Renaturalisierungen wie die für die Robotik<br />

aufgezeigten zu vermei<strong>de</strong>n, Verbindungen von Politik mit Technoscience herzustellen<br />

und sich für ‚lebbare Welten‘ im Sinne Haraways einzusetzen (Weber 2003b).<br />

Suchman (2007) weist darüber hinausgehend darauf hin, dass nicht nur die<br />

Konzepte, auf <strong>de</strong>nen die technowissenschaftlichen Projekte basieren, <strong>einer</strong> <strong>kritisch</strong>en<br />

Inspektion zu unterziehen seien, son<strong>de</strong>rn ebenso die praktischen Anwendungen (vgl.<br />

auch Weber 2003a). Denn die theoretischen Anleihen <strong>de</strong>r Robotik wür<strong>de</strong>n zwar<br />

versprechen, dass die Artefakte auf <strong>de</strong>r Grundlage phänomenologischer bzw.<br />

autopoetischer Ansätze konstruiert wer<strong>de</strong>n. Dieser Anspruch bliebe jedoch häufig<br />

uneingelöst, da bei <strong>de</strong>r konkreten Realisierung <strong>de</strong>r Konzepte in <strong>de</strong>n Maschinen<br />

fundamentale Probleme aufträten. „However inspired by phenomenologists like<br />

Hei<strong>de</strong>gger or Merleau Ponty, and the autopoesis of Maturana and Varela, the<br />

contingent interactions of biological, cultural-historical and autobiographically<br />

experiental embodiment continue to elu<strong>de</strong> what remain at heart of functionalist<br />

projects“ (Suchman 2007, 231). Insofern seien Ansätze, die die Be<strong>de</strong>utung feministischer<br />

Theorien für theoretische Konzeptionen <strong>de</strong>r KI herausstellen, höchst anerkennenswert.<br />

Jedoch wür<strong>de</strong>n die Erfor<strong>de</strong>rnisse technischer Gestaltung die TechnowissenschafterInnen<br />

häufig von <strong>de</strong>r Rhetorik <strong>de</strong>r Verkörperlichung auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Informatik zurückgeholt wer<strong>de</strong>n, auf <strong>de</strong>m sie letztendlich doch wie<strong>de</strong>r altbekannten<br />

ingenieurwissenschaftlichen Praktiken folgten.<br />

Insgesamt vermögen bisher we<strong>de</strong>r die Körperkonzepte auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s „Sense-<br />

Think-Act“-Paradigmas, welches die Interaktion <strong>de</strong>r Artefakte mit <strong>de</strong>r physischen<br />

Umgebung ins Spiel bringt, o<strong>de</strong>r diejenigen, die <strong>de</strong>r postmo<strong>de</strong>rnen Flexibilität und<br />

Offenheit zugerecht wer<strong>de</strong>n, noch die praktischen Realisierungen dieser theoretischen<br />

Ansätze in <strong>de</strong>r Robotik die Hoffnung feministischer Theoretikerinnen auf Aufhebung<br />

von Dualismen und Geschlechterdichotomisierungen einzulösen.<br />

Rationalität vs. Emotion in <strong>de</strong>r Softwareagenten- und Interface-Gestaltung<br />

Eine weitere grundlegen<strong>de</strong> Dichotomie ist die von Gefühl vs. Vernunft, die in in<br />

westlichen Denktraditionen ebenso vergeschlechtlicht erscheint wie die Dichotomie von<br />

Körper und Geist (vgl. etwa Jaggar 1989). In einem Projekt zur Softwareagentenforschung<br />

292 hatte ich untersucht, ob bzw. inwieweit das gegenwärtige Bestreben von KI-<br />

und HCI-ForscherInnen, Maschinen und Interfaces Emotionen zu verleihen, als eine<br />

292 Das Projekt „Sozialität mit Maschinen. Anthropomorphisierung und Vergeschlechtlichtung in aktueller<br />

Agentenforschung und Robotik“ mit <strong>de</strong>r Laufzeit April 2004-September 2006 wur<strong>de</strong> im Rahmen <strong>de</strong>s<br />

Programms fForte vom österreichischen Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (bm:bwk)<br />

geför<strong>de</strong>rt. Die Projektleitung hatte ao.Prof. Mona Singer vom Institut für Wissenschaftstheorie<br />

(Philosophie) <strong>de</strong>r Universität Wien.<br />

207


fundamentale Grenzüberschreitung <strong>de</strong>s Dualismus von Rationalität und Emotionalität<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann (vgl. Bath 2006a, 2009. 2010). Ließe sich dies positiv<br />

beantworten und sich anhand <strong>de</strong>r emotionalen Maschine tatsächlich eine Auflösung<br />

dieser Dichotomie konstatieren, so wür<strong>de</strong> das im Anschluss an Haraway die Frage<br />

aufwerfen, ob mit dieser Grenzüberschreitung ein Brüchigwer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r dichotom-hierarchischen<br />

Geschlechterordnung einhergeht und inwiefern diese Entwicklungen für<br />

feministische Interventionen in <strong>de</strong>r Technikgestaltung genutzt wer<strong>de</strong>n können. Um eine<br />

soli<strong>de</strong> Einschätzung dieser technowissenschaftlichen Entwicklungen hin zur emotionalen<br />

Maschine vornehmen zu können, arbeitete ich zunächst heraus, auf welchen<br />

generellen Trends und theoretischen Grundlagen diese Auflösung <strong>de</strong>s Gegensatzes<br />

von Rationalem und Emotionalem beruht und wie diese in <strong>de</strong>r konkreten Praxis <strong>de</strong>r<br />

technischen Realisierung umgesetzt wird.<br />

Generell lässt sich in <strong>de</strong>n letzten Jahren innerhalb <strong>de</strong>r Forschungslandschaft ein<br />

erstaunliches Interesse an Gefühlen feststellen. War die Wissenschaft westlicher<br />

Gesellschaften lange Zeit von einem Streben nach Rationalität geprägt, das alles, was<br />

<strong>de</strong>n Anschein <strong>de</strong>s Gefühlsbehafteten erweckt, <strong>de</strong>zidiert ausschließt o<strong>de</strong>r abwertet, so<br />

<strong>de</strong>utet sich hier gegenwärtig ein grundlegen<strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l an, wie bereits ein oberflächlicher<br />

Blick auf die Veröffentlichungslandschaft zeigt. Quer durch die Disziplinen ist die<br />

Re<strong>de</strong> von „<strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Gefühle“ (Benthien et al. 2000), <strong>de</strong>r „Soziologie <strong>de</strong>r<br />

Emotionen“ (Flam 2002) o<strong>de</strong>r „The cultural politics of emotions“ (Ahmed 2004). Diese<br />

Verschiebung <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Aufmerksamkeit bringt <strong>de</strong>r Neurophysiologe<br />

Antonio Damasio am markantesten auf <strong>de</strong>n Punkt, in<strong>de</strong>m er menschliches (Selbst-<br />

)Bewußtsein nicht mehr ausschließlich über das rationale Denken <strong>de</strong>finiert, son<strong>de</strong>rn<br />

Descartes Leitsatz durch ein „Ich fühle, also bin ich“ (Damasio 2000) zu ersetzen<br />

sucht. Seine disziplinäre Ausrichtung scheint eine <strong>de</strong>r wesentlichen Grundlagen <strong>de</strong>s<br />

Interesses an Emotionen darzustellen. Die Erforschung <strong>de</strong>r Gefühle, welche nach <strong>de</strong>r<br />

Rolle <strong>de</strong>s Emotionalen und Affektiven bei rationalen Prozessen fragt, hat mit <strong>de</strong>n<br />

neueren Ergebnissen <strong>de</strong>r Hirnforschung und Kognitionsforschung eine (natur-<br />

)wissenschaftliche Legitimation bekommen. Auch die meisten <strong>de</strong>r KI-und HCI-<br />

ForscherInnen, die <strong>de</strong>n Artefakten Emotionen einschreiben möchten, bauen auf diesen<br />

kognitionswissenschaftlichen Ansätzen auf.<br />

Präsentiert wird die neue Forschungsrichtung <strong>de</strong>r emotionalen Maschine jedoch<br />

primär mit <strong>de</strong>m Argument, die Verständigung zwischen Mensch und Maschine erleichtern<br />

zu wollen (vgl. etwa Picard 2002, 213f). 293 Diese Verschiebung von <strong>de</strong>r reinen<br />

Technikentwicklung hin zu <strong>de</strong>n NutzerInnen ist in <strong>de</strong>r Informatik allgemein zu beobachten.<br />

Das Bestreben, Maschinen emotional zu gestalten, kann somit als ein Ausdruck<br />

<strong>de</strong>s Paradigmenwechsels in <strong>de</strong>r Disziplin gelesen wer<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>m sich das Leitbild<br />

293 Ein weiterer Legitimationsstrang besteht in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r klassischen KI, die darauf zielt die Maschinen<br />

menschlich, lebendig bzw. intelligent zu machen. Dazu wird neuerdings über die oben beschriebenen<br />

Embodimentkonzepte hinaus auf kognitionswissenschaftliche Erkenntnisse rekurriert, die darauf<br />

verweisen, dass Emotionen eine wesentliche Rolle bei Entscheidungen, beim Lernen und weiteren<br />

kognitiven Prozessen spielen; vgl. etwa Damasio 1994. Intelligenz wird damit nicht mehr ausschließlich<br />

rational gefasst, son<strong>de</strong>rn mit Rückgriff auf Körper und Gefühle. Die Wahrnehmung <strong>de</strong>r sozialen Umgebung<br />

durch das Artefakt sowie seine Anpassungsfähigkeit daran – sei es als „sozial angemessene“ Reaktion<br />

o<strong>de</strong>r in Form <strong>de</strong>s (Maschinen-)Lernens - wird zum wesentlichen Faktor <strong>de</strong>r technischen Konzeption.<br />

Interaktion im Sinne <strong>einer</strong> ständigen Kommunikation mit <strong>de</strong>r (technischen, physischen o<strong>de</strong>r menschlichen)<br />

Umwelt gilt nun als notwendige Voraussetzung <strong>de</strong>r sozialen und emotionalen Intelligenz von Maschinen;<br />

vgl. hierzu auch Stein 1999.<br />

208


„Interaktion“ gegenüber Konzepten <strong>de</strong>r Algorithmisierung und Automatisierung<br />

durchsetzt (vgl. Wegner 1997). Während frühe Ansätze <strong>de</strong>r Informatik darauf zielten,<br />

formal strukturierte und rational-kognitive Prozesse zu mo<strong>de</strong>llieren, gerät nun auch die<br />

Mensch-Maschine-Kommunikation stärker in <strong>de</strong>n Blick. In <strong>de</strong>m Trend, die Maschine an<br />

die NutzerInnen anzupassen, wer<strong>de</strong>n Emotionen als zentraler Faktor angesehen.<br />

Die MIT-Forscherin Rosalind Picard rief bereits 1997 das ebenso visionäre wie<br />

provokative Programm <strong>de</strong>s „Affective Computing“ aus (Picard 1997). Dieses fokussiert<br />

jedoch stärker auf die maschinelle Erkennung von Emotionen als auf die technische<br />

Nachbildung emotionaler Prozesse bei Menschen (Trappl et al. 2002, Breazeal 2002,<br />

Paiva 2000, Minsky 2006), die im Folgen<strong>de</strong>n genauer betrachtet wer<strong>de</strong>n soll. Um <strong>einer</strong><br />

Maschine (z.B. einem Software- o<strong>de</strong>r Interfaceagenten) künstliche Gefühle verleihen<br />

zu können, ist das Emotionale auf drei Ebenen explizit zu mo<strong>de</strong>llieren: Es muss<br />

festgelegt wer<strong>de</strong>n, was Emotionen sind (statisches Mo<strong>de</strong>ll), wie sie entstehen und sich<br />

verän<strong>de</strong>rn (dynamisches Mo<strong>de</strong>ll), aber auch wie die Maschine ihre Emotionen nach<br />

außen hin „zeigt“ (Repräsentationsmo<strong>de</strong>ll). Für die Definition von Emotionen greifen<br />

die Forschen<strong>de</strong>n häufig auf 5-, 6- o<strong>de</strong>r 8-Faktoren-Mo<strong>de</strong>lle zurück. 294 Sie scheinen<br />

weniger an innerwissenschaftlichen Debatten <strong>de</strong>r Psychologie interessiert, wie sich<br />

Emotionen fassen lassen, als an <strong>de</strong>r Reduktion von Komplexität, die für die technische<br />

Reproduktion von Emotionen erfor<strong>de</strong>rlich ist. Ein zweiter Baustein bei <strong>de</strong>r Herstellung<br />

künstlicher Emotionen besteht in <strong>de</strong>r formalen Beschreibung, wie Emotionen bei<br />

Menschen entstehen und auch wie<strong>de</strong>r „abklingen“. Dabei nehmen die SoftwareagentenforscherInnen<br />

zumeist auf die Konzepte <strong>de</strong>r ebenfalls kognitionswissenschaftlich<br />

geprägten Einschätzungstheorien Bezug, <strong>de</strong>nen zufolge Emotionen primär<br />

aufgrund <strong>de</strong>r positiven o<strong>de</strong>r negativen Einschätzung <strong>de</strong>r Situation und Umgebung <strong>einer</strong><br />

Person hervorgerufen wer<strong>de</strong>n (siehe Ortony et al. 1988). Eine menschliche o<strong>de</strong>r<br />

technische AgentIn könne sich über die Folgen eines Ereignisses freuen o<strong>de</strong>r nicht, die<br />

eigenen Handlungen o<strong>de</strong>r die an<strong>de</strong>rer befürworten o<strong>de</strong>r ablehnen und Aspekte eines<br />

Objektes mögen o<strong>de</strong>r nicht. Dabei wür<strong>de</strong>n Ereignisse anhand zuvor festgelegter Ziele<br />

bewertet, Handlungen anhand von Normen und Objekte mittels Geschmack bzw.<br />

Einstellungen eingeschätzt (vgl. Rübenstrunk 1998, Ortony 2002, 195). Wird darüber<br />

hinaus noch ein Schwellenwert festgelegt, ab <strong>de</strong>m eine Emotion „subjektiv empfun<strong>de</strong>n“<br />

wer<strong>de</strong>n kann, so lässt sich das Entstehen und Vergehen von Emotionen in <strong>einer</strong><br />

formalen Sprache beschreiben und für einen konkreten Fall dynamisch berechnen. Die<br />

auf diese Weise erzeugten künstlichen Emotionen sind nun in Form innerer Zustän<strong>de</strong><br />

kodiert. Um sie <strong>de</strong>r technowissenschaftlichen Logik folgend zum Funktionieren zu<br />

bringen, müssen sie in einem dritten Schritt nach außen hin sichtbar gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />

Je nach Emotion kann dies durch sprachliche Äußerungen (z.B. Konversationsinhalt,<br />

Wortwahl, Dialogstrategie o<strong>de</strong>r Intonation) bzw. eher körpersprachlich (z.B. durch Gesichtsausdruck,<br />

Gesten, Körperspannung, Bewegung und Pose) erfolgen. Ein in <strong>de</strong>r<br />

Softwareagentenforschung weit verbreiteter Ansatz 295 setzt beispielsweise das Mo<strong>de</strong>ll<br />

<strong>de</strong>r sechs Basisemotionen in eine feststehen<strong>de</strong> Relation zu bestimmten<br />

Gesichtsausdrücken, wobei auch „Mischungen“ von Emotionen durch Interpolation <strong>de</strong>r<br />

294 Z.B. die sechs Basisemotionen „Angst, Ärger, Freu<strong>de</strong>, Traurigkeit, Verachtung und Überraschung“; vgl.<br />

Ekman 1982. Darüber hinaus führte Tomkins 1962 auch Interesse und Scham an.<br />

295 Dieser Ansatz wird als Emotion Facial Action Coding System (EMFACS) bezeichnet, vgl. etwa Ekman/<br />

Friesen 1977.<br />

209


grafisch-mimischen Darstellung berechnet wer<strong>de</strong>n können. Wie die drei Ebenen<br />

künstlicher Emotionalität – das statische Mo<strong>de</strong>ll (Definition von Emotionen), das dynamische<br />

Mo<strong>de</strong>ll (Entstehen und Abklingen von Emotionen) sowie das Repräsentationsmo<strong>de</strong>ll<br />

(konkrete Äußerungsform) – konkret zusammenspielen, wird durch die Architektur<br />

<strong>de</strong>r SoftwareagentIn geregelt.<br />

Diese grobe Charakterisierung <strong>de</strong>s technowissenschaftlichen Zugriffs auf<br />

Emotionen ver<strong>de</strong>utlicht, dass Emotionen in <strong>de</strong>r Softwareagentenforschung als ein integraler<br />

Bestandteil kognitiver Prozesse verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. 296 Sie wer<strong>de</strong>n also nicht nur<br />

als eine Zusatzfunktion neben rationalen Entscheidungsprozessen begriffen, son<strong>de</strong>rn<br />

sind als ein relevantes Modul <strong>de</strong>s Kontrollsystems von Softwareagenten implementiert.<br />

Damit scheint zwar die traditionelle Dichotomie von Gefühl und Vernunft weitgehend<br />

aufgelöst. Jedoch geht dieser Grenzaufweichung eine fundamentale Neu-Definition<br />

von Emotionen voraus. Emotionen wer<strong>de</strong>n hier nicht mehr – wie von Feministinnen<br />

ehemals kritisiert – als unkontrollierte Natur verstan<strong>de</strong>n, die aus <strong>de</strong>m Körper ungebändigt<br />

hervorbrechen und nach Möglichkeit gezähmt wer<strong>de</strong>n müssen. Ebenso wenig<br />

wer<strong>de</strong>n sie als Gegensatz von Rationalität, Vernunft und Denken konzeptualisiert o<strong>de</strong>r<br />

in direkter Weise mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht. Das grob skizzierte Emotionsverständnis<br />

<strong>de</strong>r Softwareagentenforschung <strong>de</strong>utet vielmehr darauf hin, dass<br />

Emotionen gegenwärtig eine völlig neue Be<strong>de</strong>utung erhalten und nun im Sinne von<br />

Informationsflüssen aufgefasst wer<strong>de</strong>n (Bath 2010).<br />

Diese Re-Definition von Gefühl in Emotion basiert, wie ich in Bath (2010) ausführlich<br />

dargelegt habe, auf drei grundlegen<strong>de</strong>n Annahmen: 1. gelten Emotionen als i<strong>de</strong>ntifizierbare,<br />

klar voneinan<strong>de</strong>r unterscheidbare innere Zustän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s (menschlichen bzw.<br />

technischen) Agenten, die 2. ein<strong>de</strong>utig nach außen hin dargestellt wer<strong>de</strong>n können und<br />

damit durch einen individuellen Körper bzw. Geist eingeschlossen sind, <strong>de</strong>r als dynamisches<br />

Mo<strong>de</strong>ll konzipiert ist. 3. wer<strong>de</strong>n Emotionen als kulturell und zeithistorisch unabhängig<br />

angenommen, d.h. zumeist essentialistisch konzipiert. 297 Auf dieser Basis<br />

können Emotionen als Information begriffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Dieses kognitionswissenschaftliche Verständnis überwin<strong>de</strong>t somit zwar insgesamt<br />

die Dichotomie von Gefühl und Verstand, die in westlichen Denktraditionen zutiefst<br />

vergeschlechtlicht ist. Der Preis dafür ist jedoch, das Emotionen in <strong>einer</strong> objektivistischen<br />

Weise re-<strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n, die vorherrschen<strong>de</strong> geschlechtsbela<strong>de</strong>ne Muster wie<br />

die hierarchische Subjekt-Objekt-Relation, <strong>de</strong>n Dualismus von privat und öffentlich<br />

o<strong>de</strong>r Universalismen, die einen weißen, heterosexuellen Mittelstandsmann implizit als<br />

I<strong>de</strong>al wissenschaftlicher Theorien voraussetzen, aufrechterhält und reaktiviert. 298 So<br />

wer<strong>de</strong>n Emotionen etwa innerhalb <strong>de</strong>s Körpers lokalisiert und gelten – im Gegensatz<br />

zu konstruktivistischen Auffassungen – als innerliche, privat-individuelle Prozesse (vgl.<br />

Bath 2010). Damit erscheint <strong>de</strong>r zunächst viel versprechen<strong>de</strong> Ansatz, <strong>de</strong>n technischen<br />

Objekten Emotionen einzuschreiben, aus <strong>einer</strong> feministischen Perspektive ebenso<br />

ernüchternd wie <strong>de</strong>r technowissenschaftliche Zugriff auf Verkörperungen im Feld <strong>de</strong>r<br />

Robotik.<br />

296 Marvin Minsky bringt das auf <strong>de</strong>n Punkt: „Emotions are different Ways to Think“ (Minsky 2006, 7).<br />

297 Vgl. hierzu auch die auf das „Affective Computing“-Programm fokussierte Analyse Suchmans<br />

(Suchman 2007, 232f).‘.<br />

298 Vgl. hierzu ausführlicher Bath 2010.<br />

210


Es wür<strong>de</strong> hier jedoch zu kurz greifen, die feministische Kritik auf diese Argumente<br />

zu beschränken. Denn <strong>de</strong>r kognitionswissenschaftliche Ansatz ist zwar <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeit im<br />

Bereich <strong>de</strong>r emotionalen Softwareagenten und Interfaces dominante, jedoch kursieren<br />

dort noch weitere Zugänge, die sich von <strong>de</strong>m skizzierten grundlegend unterschei<strong>de</strong>n.<br />

So führt ein an<strong>de</strong>rer Ansatz Emotionen und Sozialität auf evolutionsbiologische<br />

Erklärungsmo<strong>de</strong>lle zurück, <strong>de</strong>nen entsprechend die Artefakte nachgebaut wer<strong>de</strong>n und<br />

dabei im Laufe ihrer Entwicklung lernen sollen (vgl. Minsky 2006). Dieser Zugriff kann<br />

als Re-Naturalisierung grundlegend kritisiert wer<strong>de</strong>n, wie Jutta Weber am Beispiel <strong>de</strong>r<br />

Robotik und <strong>de</strong>ren Anspruch auf Verkörperung vorgeführt hat. Statt diese Argumentationslinien<br />

auf Emotionen zu übertragen, aber letztendlich zu wie<strong>de</strong>rholen, möchte ich<br />

hier auf einen weiteren Ansatz hinweisen, <strong>de</strong>r die skizzierten Kritiken ergänzt und in<br />

einen allgem<strong>einer</strong>en Rahmen stellt.<br />

Suchman sieht in <strong>de</strong>m übergreifen<strong>de</strong>n Projekt <strong>de</strong>r menschenähnlichen Maschine,<br />

die verkörpert und emotional konzipiert wird, ein Fetischobjekt <strong>de</strong>r TechnologiegestalterInnen,<br />

in <strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>ren Selbstverständnisse wi<strong>de</strong>rspiegeln: „More generally, the<br />

‚humanness‘ assumed in discussions of the potential success (or the inevitable failure)<br />

of attempts to replicate the human mechanically is typically a fetishised humanness,<br />

stripped of ist contingenciey, locatedness, historicity and particular embodiment. As<br />

comparably fetishised objects, machines can be fantasized as progressively more<br />

i<strong>de</strong>ntical to their human creators.“ (Suchman 2002b, o.S.). Die Künstliche Intelligenzforschung<br />

teilten mit <strong>de</strong>r Anthropologie zwar die Ablehnung eines materiellen<br />

Essentialismus, da Silizium als austauschbare Alternative zu Blut und Fleisch gesehen<br />

wer<strong>de</strong>. Die Zuschreibung eines sozialen Status, von „enchantment“ und religiöser<br />

Effizienz hinge bei bei<strong>de</strong>n nicht von davon ab, was ein Ding (o<strong>de</strong>r eine Person) „ist“.<br />

Ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Unterschied bestehe allerdings in <strong>de</strong>r radikalen Relationalität <strong>de</strong>r<br />

anthropologischen Ansätze. Die KI-Diskurse dagegen ersetzten gera<strong>de</strong> nicht die<br />

individuelle Konzeption von Handlungsfähigkeit durch eine relationale bzw. soziale,<br />

son<strong>de</strong>rn die biologische durch eine computerbasierte (vgl. Suchman 2007, 239f).<br />

Nach diesen ernüchtern<strong>de</strong>n Analysen möchte ich abschließend auf einen weiteren<br />

Strang von Forschungen über Emotionen in <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-Interaktion<br />

aufmerksam machen, <strong>de</strong>r auf an<strong>de</strong>ren Grundlagen als <strong>de</strong>n bisher kritisierten Grundlagen<br />

basiert und <strong>de</strong>shalb aus <strong>einer</strong> wissenschaftstheoretisch-<strong>kritisch</strong>en und feministischen<br />

Perspektive interessant erscheint. „Design for Experience“ ist ein aktueller Trend<br />

in <strong>de</strong>r HCI, <strong>de</strong>r auf die NutzerInnen und ihre subjektiven Erfahrungen zielt (vgl.<br />

Sengers et al. 2002, Sengers 2003, Sengers et al. 2004, Blythe et al. 2003, McCarthy/<br />

Wright 2004). 299 Es geht darum, die Systeme so zu gestalten, dass NutzerInnen in die<br />

Interaktion mit <strong>de</strong>r Maschine quasi hineingezogen wer<strong>de</strong>n. Dabei kommen Emotionen<br />

an<strong>de</strong>re Weise als bisher betrachtet ins Spiel. Statt sie <strong>de</strong>r Maschine einzuschreiben,<br />

wird nun angestrebt, dass die technische Gestaltung <strong>de</strong>r Interaktion vielfältige emotionale<br />

Reaktionen hervorzurufen vermag bzw. ermöglicht. Waren traditionelle Softwareprodukte<br />

primär darauf ausgerichtet, die NutzerInnen effizient und effektiv bei <strong>de</strong>r<br />

Lösung konkreter Arbeitsaufgaben zu unterstützen, so soll <strong>de</strong>r Umgang mit <strong>de</strong>n neuen<br />

Systemen vor allem Spaß machen, motivieren und zugleich nützlich sein. Der neue<br />

299 Vgl. hierzu auch Kapitel 5.5, wo dieser Ansatz als Technoikgestaltungsmetho<strong>de</strong> für ein De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte diskutiert wird, während er hier als ein Beispiel dient, wie auf Emotionen Bezug<br />

genommen wer<strong>de</strong>n kann, ohne die Dichotomie von Gefühl und Vernunft erneut zu bestätigen.<br />

211


Ansatz wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>zidiert gegen herkömmliche Verständnisse von Softwareentwicklung,<br />

Ergonomie/Usability und Objektivität. Darüber hinaus stellt er <strong>de</strong>m<br />

kognitionswissenschaftlichen Konzept von „Emotion als Information“ und <strong>de</strong>m diesen<br />

zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n simplen Sen<strong>de</strong>r-Empfänger-Mo<strong>de</strong>ll ein konstruktivistisches Verständnis<br />

entgegen. Die Erfahrungen (und Emotionen) <strong>de</strong>r NutzerInnen wer<strong>de</strong>n nicht als<br />

Eigenschaft <strong>de</strong>s Systems betrachtet, son<strong>de</strong>rn vielmehr als etwas, das während <strong>de</strong>r<br />

Interaktion mit <strong>de</strong>r Maschine entsteht. „Rather than experience as something to be<br />

poured out into passive users, we argue that users actively and individually construct<br />

human experiences around technology. They do so through a complex process of<br />

interpretation, in which users make sense of the system in the full context of their<br />

everyday experience.“ (Sengers et al. 2004: 1, Hervorhebung im Orig.). Eine solche<br />

Verschiebung erfor<strong>de</strong>rt zugleich eine neue Sichtweise <strong>de</strong>ssen, wie Emotionen<br />

kommuniziert wer<strong>de</strong>n können. Während das Konzept „Emotion als Information“ auf<br />

einem Kommunikationsmo<strong>de</strong>ll basiert, bei <strong>de</strong>m das Individuum intern eine Nachricht<br />

erstellt und diese über einen störempfindlichen Kanal an die EmpfängerIn übermittelt,<br />

300 grün<strong>de</strong>t „Design for Experience“ auf <strong>de</strong>r Vorstellung, dass Be<strong>de</strong>utung<br />

zwischen NutzerIn und System ko-konstruiert wird. Be<strong>de</strong>utung wür<strong>de</strong> nicht zwischen<br />

Individuen transferiert. Vielmehr konstruierten menschliche wie nicht-menschliche<br />

Akteure diese aktiv und gemeinsam. Dementsprechend wird die Kommunikation von<br />

Emotionen nicht wie <strong>de</strong>r kognitionswissenschaftlichen Auffassung nach als eine<br />

Übertragung diskreter Zustän<strong>de</strong> von einem Sen<strong>de</strong>r zu einem Empfänger verstan<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn vielmehr als ein Prozess, durch <strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utung koordiniert, ausgehan<strong>de</strong>lt und<br />

damit unter <strong>de</strong>n Beteiligten hergestellt wird.<br />

Mit <strong>einer</strong> <strong>de</strong>zidierten Verortung innerhalb <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en, partizipativen<br />

Technikgestaltung positioniert sich „Design for Experience“ in Abgrenzung zur „I-methodology“,<br />

die von feministischen TechnikforscherInnen wie Rommes (2002) kritisiert<br />

wur<strong>de</strong> (vgl. hierzu auch Kapitel 4.1.4). Statt auf objektivistische Verfahren fokussiert<br />

<strong>de</strong>r Ansatz auf subjektive Nutzungserfahrungen mit Hilfe explorativer und qualitativer<br />

Metho<strong>de</strong>n. Ausgehend von <strong>de</strong>m theoretischen Rahmen, <strong>de</strong>r im Kapitel 3 entwickelt<br />

wur<strong>de</strong>, sind bei<strong>de</strong>s notwendige Voraussetzungen eines feministischen Technikgestaltungsansatzes<br />

in diesem Bereich. Darüber hinaus wirken die ontologisch-epistemologischen<br />

Annahmen <strong>de</strong>s „Design for Experience“ <strong>de</strong>r im Feld <strong>de</strong>r emotionalen<br />

Softwareagentenforschung weit verbreiteten Ten<strong>de</strong>nz zur Essentialisierung entgegen.<br />

Der epistemologische Pluralismus und die konstruktivistische Perspektive weisen über<br />

die konkrete Konzeptualisierung von Emotionen hinaus. Denn sobald Emotionen nicht<br />

nur als in einem Individuum körperlich verankerte, innerliche Informationsflüsse<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, die in vor<strong>de</strong>finierter, regelbasierter Weise mit rationalen Prozessen<br />

interagieren, eröffnet dies in einem Feld, in <strong>de</strong>m geschlechtliche Positionierung i.d.R.<br />

dichotom als Frau o<strong>de</strong>r Mann interpretiert wird, die Denkmöglichkeit, auch an<strong>de</strong>re<br />

vermeintlich körperlich <strong>de</strong>termininierte Eigenschaften als eine soziale Konstruktion zu<br />

begreifen.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re rückt <strong>de</strong>r neue Ansatz von <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r KI vorherrschen<strong>de</strong>n I<strong>de</strong>e ab,<br />

dass die bestmögliche Mo<strong>de</strong>llierung „virtueller Menschen“ durch eine „naturgetreue“<br />

300 Dies ist ein Verständnis, das im Wesentlichen auf die Informationstheorie von Shannon und Weavers<br />

(1963) zurückgeht.<br />

212


Nachbildung menschlicher Eigenschaften und Fähigkeiten zu erreichen wäre. Dieser<br />

Schritt erscheint aus <strong>einer</strong> gesellschaftstheoretischen, feministischen Perspektive als<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r. Denn <strong>de</strong>r Zwang zur Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>s Bestehen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n sich die<br />

ForscherInnen <strong>de</strong>s betrachteten Fel<strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>r Abbildi<strong>de</strong>e selbst auferlegt haben und<br />

<strong>de</strong>r oft zu stereotypen Reduktionen gesellschaftlicher Realität führt, könnte auf diese<br />

Weise durchbrochen wer<strong>de</strong>n. Eine solche Überwindung <strong>de</strong>r kognitionswissenschaftlich-positivistischen<br />

KI ist eine notwendige Bedingung feministischer Technikgestaltung,<br />

die das Ziel verfolgt, Verschiebungen in <strong>de</strong>n Festschreibungen von heteronormativer<br />

Zweigeschlechtlichkeit o<strong>de</strong>r gar Unterbrechungen in <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>rholungen von<br />

(Geschlechter-)Normen mittels Technologien zu verursachen.<br />

Der Ansatz <strong>de</strong>s „Design for experience“ versteht sich zwar, wie in Bath 2010<br />

bemerkt, nicht per se als feministisch. Im Kontext <strong>de</strong>r Diskussion um geschlechtsbela<strong>de</strong>ne<br />

Dichotomien, auf <strong>de</strong>nen die Formalisierungen, Abstraktionen <strong>de</strong>r Informatik häufig<br />

beruhen, erweist er sich jedoch als eine feministische Alternative. „Design for experience“<br />

ist ein Technikgestaltungsansatz, <strong>de</strong>r keine analytische Dekonstruktion <strong>de</strong>r<br />

Dichotomie von Gefühl und Vernunft mehr erfor<strong>de</strong>rt, son<strong>de</strong>rn diese bereits voraussetzt.<br />

Er gibt damit für <strong>de</strong>n in diesem Kapitel 4.3 betrachteten Bereich <strong>de</strong>r Geschlechterpolitik<br />

und -epistemologie <strong>informatischer</strong> Artefakte eine Richtung an, wie sich einzelnen <strong>de</strong>r<br />

i<strong>de</strong>ntifizierten Gen<strong>de</strong>ringprozesse insgesamt begegnen lässt. Denn er räumt genau<br />

diejenigen Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Weg, die eine <strong>kritisch</strong>e, feministische Gestaltung von<br />

Technologien sowohl methodologisch wie ontologisch und epistemologisch behin<strong>de</strong>rt<br />

haben und kann <strong>de</strong>shalb als <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r Ausgangspunkte für ein De-Gen<strong>de</strong>ring von<br />

Technologien betrachtet wer<strong>de</strong>n, die im nächsten Kapitel 5 diskutiert wer<strong>de</strong>n.<br />

4.4. Resümee: Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

In diesem Kapitel wur<strong>de</strong> eine Systematisierung <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

entwickelt, d.h. es wur<strong>de</strong>n Dimensionen und Mechanismen herausgearbeitet, wie<br />

Produkte, Theorien, Metho<strong>de</strong>n und Annahmen <strong>de</strong>r Informatik vergeschlechtlicht sein<br />

können. Anhand von Fallstudien, die in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten zu dieser Fragestellung<br />

veröffentlicht wur<strong>de</strong>n, sind drei Dimensionen i<strong>de</strong>ntifiziert wor<strong>de</strong>n: Eine Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte kann 1. durch sozial-strukturelle Ausschlüsse<br />

von <strong>de</strong>r Nutzung produziert sein, die sich auf Annahmen und Problem<strong>de</strong>finitionen, die<br />

<strong>einer</strong> Technologie zugrun<strong>de</strong> liegen, zurück führen lassen. Dies ließ sich insbeson<strong>de</strong>re<br />

anhand intelligenter Häuser nachweisen, die an <strong>de</strong>r Zielgruppe technikfaszinierter<br />

BewohnerInnen ausgerichtet waren und Hausarbeit ignorierten, aber auch bei so<br />

genannten „digitalen Städten“ beobachten, die explizit mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>s „<strong>de</strong>sign for all“<br />

angetreten sind. Eine weitere Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung fand sich 2. in <strong>de</strong>n<br />

Festschreibungen geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung und Stereotype durch IT,<br />

die durch unreflektierte Geschlechtervorstellungen über Frauen und Männer entstehen.<br />

So führte etwa das Bild technisch inkompetenter Sekretärinnen zu einem Textverarbeitungsprogramm,<br />

das zwar je<strong>de</strong> <strong>de</strong>nkbare Fehlbedienung verhin<strong>de</strong>rt, aber <strong>de</strong>n<br />

Schreibprozess extrem verlangsamt. Auch die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung<br />

spiegelt sich in <strong>de</strong>n Systemen, in<strong>de</strong>m bestimmte Machtverhältnisse am Arbeits-<br />

213


platz ebenso ignoriert wer<strong>de</strong>n wie „unsichtbare Arbeit“, die häufig Teil <strong>de</strong>r Arbeit von<br />

Frauen ist. Wer<strong>de</strong>n diese Tätigkeiten jedoch nicht mo<strong>de</strong>lliert, so können sie auch nicht<br />

durch Technologien unterstützt o<strong>de</strong>r automatisiert wer<strong>de</strong>n. Eine weitere Variante <strong>de</strong>r<br />

Festschreibung von Geschlechtervorstellungen in <strong>de</strong>r Software fin<strong>de</strong>t sich bei Avataren,<br />

Computerspielfiguren und anthropomorphen Softwareagenten, die häufig ein<br />

stereotyp zugespitztes Aussehen und Verhalten von Frauen bzw. Männern verkörpern.<br />

Sämtliche dieser Artefakte wirken mit an <strong>de</strong>r Reproduktion <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n strukturellsymbolischen<br />

Geschlechterordnung. Eine 3. Dimension <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Tätigkeiten <strong>de</strong>r Klassifizierung, Abstraktion und<br />

Formalisierung verortet, durch die eine Abwesenheit von Geschlechterverhältnissen<br />

suggeriert und damit von <strong>de</strong>r (Geschlechter-)Politik und Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen<br />

abgelenkt wird. Diese Dimension bezieht sich stärker auf die Grundannahmen <strong>de</strong>r<br />

Technologiegestaltung sowie auf wissenschaftstheoretische Annahmen und die Grundlagenforschung<br />

<strong>de</strong>r Informatik. Beispiele sind hier Algorithmen und Formalismen, die<br />

im Gebrauch Geschlechterdifferenzen erzeugen, wie etwa solche zur Bil<strong>de</strong>rzeugung<br />

aus computertomografischen Daten, o<strong>de</strong>r Kategorien und Klassifikationen, die mit <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterordnung korrelieren und jene während <strong>de</strong>r Nutzung von Technologien<br />

erneut hervorbringen. Ferner wur<strong>de</strong> aufgezeigt, dass Repräsentationen von Wissen im<br />

Wissensmanagement, in Wikis o<strong>de</strong>r Ontologien häufig implizit von einem als Mann,<br />

weiß, gebil<strong>de</strong>t, europäisch vorgestellten Subjekt <strong>de</strong>s Wissens ausgehen und damit<br />

ebenso wie die in <strong>de</strong>r Softwareentwicklung vorherrschen<strong>de</strong> Mo<strong>de</strong>llierungsmetho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Objektorientierung auf <strong>einer</strong> cartesianischen Epistemologie beruhen. Dabei ist letztere<br />

ausschließlich in <strong>de</strong>r Lage, Hierarchien zu formalisieren, während sie soziale Prozesse<br />

nicht zu erfassen vermag. Deutlicher wur<strong>de</strong> die Ignoranz, Ausgrenzung und Abwertung<br />

von Bereichen menschlichen Han<strong>de</strong>lns, die traditionell <strong>de</strong>m „Weiblichen“ zugeschrieben<br />

sind (wie bspw. das Körperliche, Soziale, Emotionale), anhand von Dichotomien,<br />

auf <strong>de</strong>nen die Konzepte <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenzforschung grün<strong>de</strong>ten und grün<strong>de</strong>n.<br />

Die drei, anhand von Fallstudien veranschaulichten Dimensionen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte wur<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r Erkenntnisse von<br />

Kapitel 3 neu gelesen, um sie in <strong>de</strong>n Theorierahmen dieser Arbeit einordnen zu<br />

können. Dabei wur<strong>de</strong>n einige <strong>de</strong>r rezipierten Untersuchungen im Sinne Suchmans<br />

Konzept <strong>de</strong>r „accountable cuts“ re-interpretiert.<br />

Die <strong>de</strong>taillierte Analyse ermöglichte zugleich, einige grundlegen<strong>de</strong> Ursachen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte zu i<strong>de</strong>ntifizieren, die für die Informatik wesentlich<br />

sind.<br />

Dimensionen <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung<br />

Sozial strukturierte<br />

Ausschlüsse von <strong>de</strong>r<br />

Nutzung von Technologien<br />

Festschreibung<br />

geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung und<br />

Stereotype durch IT<br />

(Computerspiele)<br />

„intelligente“ Häuser<br />

Digitale Städte<br />

Beispiele Mechanismen <strong>de</strong>r<br />

Vergeschlechtlichung<br />

Frühe Textverarbeitung<br />

Krankenhausinformationssysteme<br />

Callcenter<br />

Avatare, Computerspielfiguren und<br />

anthropomorphe Softwareagenten<br />

214<br />

„I-methodology“<br />

Implizite und explizite<br />

Geschlechterannahmen,<br />

Ignoranz <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterpolitik im<br />

Anwendungsbereich


Geschlechterpolitik und<br />

Epistemologie <strong>de</strong>s<br />

Formalen<br />

Algorithmen (Bil<strong>de</strong>rzeugung<br />

Computertomografie)<br />

Kategorien/Klassifikationen<br />

Wissensordnungen<br />

(Medizininformationssystem)<br />

Mo<strong>de</strong>llierungsparadigma (OO)<br />

Dichotomien (Design/ Nutzung, Körper/<br />

Geist und Rationalität/ Emotionalität)<br />

215<br />

Dekontextualisierung,<br />

fragwürdige ontologische<br />

Grundannahmen,<br />

epistemologische<br />

Grundannahmen/<br />

traditionelles<br />

Objektivitätsverständnis<br />

So konnten Praktiken <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung auf die folgen<strong>de</strong>n drei Ursachen und<br />

Mechanismen zurückgeführt wer<strong>de</strong>n, die sich jedoch nicht gegenseitig ausschließen:<br />

1. die „I-methodology“, nach <strong>de</strong>r die TechnikgestalterInnen implizit annehmen, dass die<br />

NutzerInnen <strong>de</strong>r zukünftigen zu entwickeln<strong>de</strong>n Technologie ähnliche Präferenzen und<br />

Wünsche haben wie sie selbst.<br />

2. Implizite und explizite Annahmen über Frauen und Männer, Weiblichkeit und<br />

Männlichkeit, die sich in Vorstellungen von <strong>de</strong>n NutzerInnen (etwa hinsichtlich ihrer<br />

Kompetenzen, dargestellten Körperbil<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Verhaltenszuschreibungen) manifestieren.<br />

Dazu gehören auch Einschreibungen <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n<br />

Arbeitsteilung in Softwaresysteme durch Problem<strong>de</strong>finitionen und Mo<strong>de</strong>llierungen,<br />

die insbeson<strong>de</strong>re als „weiblich“ konnotierte Tätigkeiten nicht wahrnehmen, sowie<br />

die Ignoranz <strong>de</strong>s Anwendungsbereichs und <strong>de</strong>r dort vorliegen<strong>de</strong>n (Geschlechter-<br />

)Politik, die durch Informatisierung reproduziert wird.<br />

3. die Dekontextualisierung aufgrund von Formalisierung, bei <strong>de</strong>r die Effekte von<br />

Formalismen und Klassifikationen im Gebrauch sowie die damit verbun<strong>de</strong>ne<br />

(Geschlechter-)Politik <strong>de</strong>s Anwendungsbereichs ignoriert wer<strong>de</strong>n. Eine solche .<br />

Abstraktion vom Kontext öffnet die Tür für Einschreibungen von ontologischen<br />

Grundannahmen in die Technologie, die auf <strong>einer</strong> strukturell-symbolischen Ebene<br />

geschlechtlich aufgela<strong>de</strong>n sind (etwa Ausschlüsse, die mit traditionellen Dichotomien<br />

korrelieren). Ferner wer<strong>de</strong>n diese bei<strong>de</strong>n Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

häufig durch epistemologische Grundannahmen (z.B. durch ein Objektivitätsverständnis<br />

auf Grundlage positivistischer Epistemologie) legitimiert und damit<br />

abgesichert.<br />

Mit diesen drei Dimensionen und <strong>de</strong>n damit verbun<strong>de</strong>nen Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte wur<strong>de</strong> eine wesentliche Voraussetzung<br />

feministischer Technologiegestaltung in <strong>de</strong>r Informatik erarbeitet. Denn die Analyse<br />

und Systematisierung hat gezeigt, dass die Suche nach Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technologiegestaltung,<br />

die im Vergleich zu <strong>de</strong>n herkömmlichen Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Software-<br />

Engineering und an<strong>de</strong>rer Verfahren alternative Wege einschlagen, auszudifferenzieren<br />

sind, um die erkannten Probleme <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung bewusst zu vermei<strong>de</strong>n. Sie<br />

sollten <strong>de</strong>r „I-methodology“, <strong>de</strong>r Einschreibung von impliziten und expliziten<br />

Geschlechterannahmen sowie <strong>de</strong>r Dekontextualisierung, Einschreibung fragwürdiger<br />

ontologischer Annahmen und positivistischen Objektivitätsverständnissen entgegenwirken.<br />

Kapitel 4 liefert damit eine fundierte Grundlage für ein De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte.


216


Kapitel 5<br />

Alternative Technologiegestaltung: Methodische Konzepte für ein De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r letzten bei<strong>de</strong>n Kapitel war es, die Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte genauer zu fassen. Dazu wur<strong>de</strong> zunächst im Kapitel 3 mit<br />

Rückgriff auf Ansätze <strong>de</strong>r Wissenschafts- und Technikforschung ein theoretischer<br />

Rahmen entwickelt, wie das Verhältnis von Technologie und Gesellschaft bzw.<br />

Geschlecht verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann, um auf dieser Basis ein Konzept <strong>de</strong>r „Ko-<br />

Materialisierung von Technik und Geschlecht“ vorzustellen, durch das sich die<br />

komplexen sozio-materiell-diskursiven Verwicklungen <strong>de</strong>r Herstellungsprozesse von<br />

Technologien und Geschlecht theoretisch beschreiben lassen. Im Kapitel 4 sind eine<br />

Reihe von Fallstudien <strong>informatischer</strong> Artefakte dargestellt wor<strong>de</strong>n, die anschauliche<br />

Einblicke in die Produktionsweisen von Technologien und Geschlecht gegeben haben.<br />

Die vielfältigen Facetten <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte wur<strong>de</strong>n<br />

entlang von Dimensionen systematisiert, wobei zugleich Mechanismen dieser<br />

Prozesse herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n konnten. Gleichzeitig sind diese Ergebnisse mit<br />

<strong>de</strong>n theoretischen Erkenntnissen aus Kapitel 3 teils <strong>kritisch</strong> re-interpretiert gegengelesen<br />

wor<strong>de</strong>n. In diesem Kapitel sollen ausgehend von <strong>de</strong>r vorgestellten differenzierten<br />

Analyse Vorschläge gemacht wer<strong>de</strong>n, wie <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>ntifizierten Vergeschlechtlichungsprozessen<br />

durch geeignete Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technikgestaltung entgegengewirkt wer<strong>de</strong>n<br />

kann.<br />

Eine Schwierigkeit, die Ergebnisse <strong>de</strong>r Analyse aus Kapitel 4 in Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

zu übersetzen, besteht jedoch darin, dass die systematisch herausgearbeiteten<br />

Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring ausschließlich negativ<br />

bestimmen, welche Probleme in <strong>de</strong>n Prozessen und Produkten <strong>de</strong>r Technikgestaltung<br />

vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n sollen. Deshalb wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n drei Kategorien – Ausschluss<br />

bestimmter NutzerInnen, Festschreibung <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n strukturell-symbolischen<br />

Geschlechterordnung durch Technologien sowie die Geschlechterpolitik und<br />

Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen – zunächst mit Hilfe <strong>de</strong>r Erkenntnisse feministischer<br />

Theorie positive Zielsetzungen alternativer Technologiegestaltung gegenüber gestellt<br />

(Abschnitt 5.1.). Dabei wird sich zeigen, dass die angestrebten Ergebnisse eines De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses auszudifferenzieren sind. Gegen strukturelle Ausschlüsse ist die<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r Vielfalt von NutzerInnen im Technikentwicklungsprozess zu<br />

setzen (Abschnitt 5.2.) und gegen die Einschreibung impliziter Geschlechterannahmen<br />

und geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung eine Gestaltung, die Frauen und<br />

Männern gleiche Kompetenzen und Zuständigkeiten zuweist (Abschnitt 5.3.). Im Fall<br />

expliziter Geschlechtseinschreibungen lässt sich das De-Gen<strong>de</strong>ring durch eine<br />

Dekonstruktion <strong>de</strong>s Zweigeschlechtlichkeitssystems erreichen (Abschnitt 5.4.). Formalabstrakte<br />

Artefakte sind dagegen zunächst zu rekontextualisieren, um sie <strong>de</strong>r<br />

Reflektion und Kritik zugänglich zu machen. Ein De-Gen<strong>de</strong>ring auf dieser Ebene sollte<br />

darauf zielen, ontologische Annahmen und Konzepte, die Technologien zugrun<strong>de</strong><br />

liegen, offen zu legen und zu revidieren. Dazu ist es in vielen Fällen zugleich<br />

notwendig, das gängige Verständnis von Objektivität und Neutralität mit Hilfe <strong>einer</strong><br />

konstruktivistischen Epistemologie o<strong>de</strong>r eines epistemologische Pluralismus zu<br />

überwin<strong>de</strong>n. In weiteren Fällen gilt es geschlechtskodierte Dichotomien zu überwin<strong>de</strong>n,<br />

217


sodass zuvor marginalisierte Aspekte menschlichen Han<strong>de</strong>lns ins Zentrum gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n (Abschnitt 5.5.).<br />

In diesem Kapitel wer<strong>de</strong>n methodische Konzepte entwickelt, die für die<br />

Verwirklichung dieser vier Gestaltungsziele geeignet erscheinen. Es wird dazu auf die<br />

weitgehend etablierten Vorgehensweisen <strong>de</strong>s „User-Centered Design“ und <strong>de</strong>n fundierten<br />

Metho<strong>de</strong>nkanon <strong>de</strong>s „Participatory Design“ Bezug zurückgegriffen, aber auch auf<br />

weniger bekannte Techniken aus <strong>de</strong>m Kontext <strong>de</strong>s „Critical Computing“ und <strong>de</strong>r sozial-<br />

und kulturwisssenschaftlichen Technikforschung Bezug genommen. Um das jeweils<br />

angestrebte Gestaltungsziel erreichen zu können, müssen die vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n<br />

zum Teil noch angepasst o<strong>de</strong>r ergänzt wer<strong>de</strong>n. Abschnitt 5.6. fasst die<br />

Potentiale <strong>de</strong>r in diesem Kapitel beschriebenen methodischen Konzepte für ein De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte zusammen und verweist auf bestehen<strong>de</strong><br />

Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rate.<br />

5.1. Zielsetzung alternativer Technologiegestaltung: Was soll das Ergebnis<br />

eines De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses sein?<br />

Bevor im Folgen<strong>de</strong>n Vorschläge zur praktischen Umsetzung <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring in<br />

Form von Methodologien und Vorgehensweisen <strong>einer</strong> alternativen Technologiegestaltung<br />

diskutiert wer<strong>de</strong>n können, die <strong>de</strong>n bereits i<strong>de</strong>ntifizierten Vergeschlechtlichungsprozessen<br />

entgegensetzt sind, gilt es zunächst zu klären, was De-Gen<strong>de</strong>ring im<br />

Kontext von Technologiegestaltung be<strong>de</strong>uten kann. Denn die Dimensionen und<br />

Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte geben zwar an, was<br />

vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n soll, dabei ist jedoch nicht notwendigerweise klar, was – positiv<br />

bestimmt – das Ergebnis eines De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses sein kann. Deshalb soll hier<br />

vorweg eine explizite Klärung <strong>de</strong>r Zielsetzung alternativer Technologiegestaltung aus<br />

<strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Geschlechterforschung vorgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Ausgangspunkt <strong>de</strong>r Überlegungen sind die in Kapitel 4 systematisch herausgearbeiteten<br />

Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring: 1. <strong>de</strong>r strukturelle Ausschluss<br />

bestimmter Personengruppen, von <strong>de</strong>r Nutzung von Technologien, die zumeist auf die<br />

„I-methodology“ <strong>de</strong>r DesignerInnen zurückgeführt wer<strong>de</strong>n kann, 2. die Digitalisierung<br />

strukturell-symbolischer Ungleichheit, die mit <strong>de</strong>r Einschreibung implizierter o<strong>de</strong>r expliziter<br />

Geschlechterannahmen in die Technologien korreliert sowie 3. die Geschlechter-<br />

Politik und Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen, die häufig auf <strong>einer</strong> De-Kontextualisierung<br />

sowie auf fragwürdigen ontologischen wie epistemologischen Annahmen grün<strong>de</strong>t.<br />

Wer<strong>de</strong>n diese Kategorien mit <strong>de</strong>n drei Hauptsträngen feministischer Theorie und Politik<br />

– Differenz, Gleichheit, De-/Konstruktion von Geschlecht – gegengelesen und um eine<br />

wissenschaftstheoretische Komponente – die Objektivitätskritik – ergänzt, so ergeben<br />

sich starke Korrelationen. Denn Ausschlüsse bestimmter NutzerInnen zu vermei<strong>de</strong>n,<br />

heißt vielfältige Differenzen in ihren Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nzen (u.a. Geschlecht, Sexualität,<br />

Klasse, race, Ethnizität, Befähigung, Verortung, Alter) anzuerkennen und im Design zu<br />

berücksichtigen. Gilt es dagegen implizite Einschreibungen <strong>de</strong>r Geschlechterordnung<br />

zu verhin<strong>de</strong>rn, die durch Ignoranz und Ausblendung „<strong>de</strong>s An<strong>de</strong>ren“ zustan<strong>de</strong> kommen,<br />

so muss ein Gleichheitsanspruch durchgesetzt wer<strong>de</strong>n: „Weiblich“ konnotierte Tätigkeiten,<br />

Kompetenzen und Eigenschaften sollen bei <strong>de</strong>r Technologiegestaltung ebenso<br />

218


Berücksichtigung fin<strong>de</strong>n und technisch unterstützt wer<strong>de</strong>n wie die vorherrschend <strong>de</strong>r<br />

„vermännlichten“ Sphäre zugewiesenen. Auch <strong>de</strong>r zweiten Form <strong>de</strong>r impliziten<br />

Einschreibung <strong>de</strong>r Geschlechterordnung, die auf <strong>de</strong>r Ignoranz <strong>de</strong>r Geschlechterpolitik<br />

im Anwendungsfelds beruht und dazu führt, dass geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilungen<br />

in <strong>de</strong>n Technologien fest- und fortgeschrieben wer<strong>de</strong>n, ist das Ziel <strong>de</strong>r<br />

Gleichheit zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n dominanten Genusgruppen, in diesem Fall die gleiche<br />

Verteilung von Tätigkeiten auf Frauen und Männer, entgegenzusetzen. Demgegenüber<br />

erfor<strong>de</strong>rn explizite Geschlechtseinschreibungen in Form von stereotypen Körperbil<strong>de</strong>r<br />

und Verhaltensnormen eine Strategie <strong>de</strong>r De-Konstruktion von Geschlecht, die <strong>de</strong>n<br />

sozialen Konstruktionscharakter <strong>de</strong>r Kategorie Geschlecht ver<strong>de</strong>utlicht o<strong>de</strong>r stärker<br />

noch das binäre System <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit zu unterminieren vermag. Um<br />

schließlich auch <strong>de</strong>r letzten Dimension <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

– <strong>de</strong>r Geschlechterpolitik und Epistemologie <strong>de</strong>s Formalen – methodisch<br />

begegnen zu können, lässt sich auf die Debatten feministischer Objektivitätskritik<br />

zurückgreifen. Diese stellen zwar, in<strong>de</strong>m sie ausschließlich Kritik üben an <strong>de</strong>r De-<br />

Kontextualisierung, <strong>de</strong>n ver<strong>de</strong>ckten fragwürdigen ontologischen Annahmen sowie am<br />

traditionellen Objektivitätsverständnis, keine positive Zielformulierung zur Verfügung.<br />

Jedoch lassen sich diese Kritiken direkt auf die positiven Strategien <strong>de</strong>r Re-<br />

Kontextualisierung sowie <strong>de</strong>r Reflektion und Revision ontologischer Setzungen und<br />

epistemologischer Annahmen wen<strong>de</strong>n. Ferner kann die Strategie, das bisher in <strong>de</strong>r<br />

informatischen Tätigkeit Marginalisierte ins Zentrum zu stellen, dazu beitragen, <strong>de</strong>r<br />

Verfestigung vorherrschen<strong>de</strong>r, vergeschlechtlicher Dichotomien entgegenwirken. Insgesamt<br />

erfor<strong>de</strong>rt insbeson<strong>de</strong>re diese Ebene <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte eine weiter gehen<strong>de</strong> feministische Intervention.<br />

Das theoretische Gedankenspiel, die Ergebnisse aus Kapitel 4 mit <strong>de</strong>n Grundansätzen<br />

feministischer Theorie gegenzulesen, ver<strong>de</strong>utlicht, dass für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r<br />

zweiten herausgearbeiteten Dimension <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte – <strong>de</strong>r technischen Reproduktion strukturell-symbolischer Ungleichheit – zwei<br />

unterschiedliche Prozesse differenziert wer<strong>de</strong>n müssen: implizite und explizite<br />

Geschlechtseinschreibungen. Denn implizite Einschreibungen von Geschlecht sind in<br />

<strong>de</strong>r Regel auf Ausblendungen <strong>de</strong>s als „weiblich“ Konnotierten und <strong>de</strong>r Geschlechterpolitik<br />

im Anwendungsfeld zurückzuführen, während explizite Einschreibungen darin<br />

bestehen, dass Geschlechtsunterschie<strong>de</strong> in Bezug auf <strong>de</strong>n Körper, Verhaltensweisen<br />

o<strong>de</strong>r Kompetenzen in <strong>de</strong>r Technologie repräsentiert wer<strong>de</strong>n. Im ersten Fall ist im<br />

Ergebnis eine Geschlechtergleichheit anzustreben, im zweiten dagegen die Dekonstruktion<br />

von Geschlecht, die darauf zielt, Geschlechterstereotype zu überwin<strong>de</strong>n,<br />

in<strong>de</strong>m Geschlecht als ein Konstruktionsprozess sichtbar gemacht und das binäre<br />

Zweigeschlechtlichkeitssystem in Frage gestellt wird.<br />

Ebenso wären für die letzte Kategorie – Formalismen, Grundannahmen und Grundlagenforschung<br />

– genau genommen verschie<strong>de</strong>ne Positivstrategien zu formulieren, die<br />

aufgrund <strong>de</strong>s mangeln<strong>de</strong>n Forschungsstands zu Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en Gestaltung<br />

hier <strong>de</strong>nnoch zusammengefasst wer<strong>de</strong>n sollen. Damit ergeben sich insgesamt vier<br />

verschie<strong>de</strong>ne De-Gen<strong>de</strong>ring-Ziele für Technologiegestaltungsprozesse, die <strong>de</strong>n<br />

verbleiben<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>s Kapitels 5 strukturieren:<br />

219


1. die Berücksichtigung <strong>de</strong>r Diversität <strong>de</strong>r NutzerInnen und ihrer vielfältigen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

durch Anerkennung von Differenzen und adäquate Problem<strong>de</strong>finitionen<br />

(5.2.)<br />

2. die Sichtbarmachung „unsichtbarer Arbeit“ und die Egalisierung geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung durch Ausrichtung <strong>de</strong>s Technikgestaltungsprozesses an<br />

<strong>de</strong>n tatsächlichen NutzerInnen sowie das bewusste Aufbrechen <strong>de</strong>r im Anwendungsfeld<br />

vorfindlichen Macht- und Geschlechterverhältnisse (5.3.)<br />

3. die De-Konstruktion von Geschlecht, etwa dadurch, dass die Aufmerksamkeit auf<br />

<strong>de</strong>n konstruktiven Charakter von Geschlecht gelenkt und eine <strong>kritisch</strong>e Reflektion<br />

<strong>de</strong>s Zweigeschlechtlichkeitssystems evoziert wird (5.4.)<br />

4. die Rekontextualisierung <strong>de</strong>s Formalen durch die Offenlegung, Reflektion und Revision<br />

ontologischer wie epistemologischer Grundannahmen sowie die Dekonstruktion<br />

von Dichotomien durch die Integration <strong>de</strong>s Ausgeschlossenen und die<br />

Invertierung zentraler Konzepte (5.5.).<br />

5.2. „Design for everyone“: Berücksichtigen <strong>de</strong>r Diversität von NutzerInnen<br />

In diesem Abschnitt wer<strong>de</strong>n Strategien und Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring für jene<br />

Klasse von Technologien diskutiert, <strong>de</strong>ren Vergeschlechtlichung aus <strong>de</strong>m im Kapitel 4<br />

beschriebenen Mechanismus <strong>de</strong>r „I-methodology“ resultiert. 301 Bei diesen Technologien<br />

besteht das Problem, wie wir gesehen haben, primär darin, dass sie als<br />

(geschlechts-)neutral angesehen wer<strong>de</strong>n. Die Technologie<strong>de</strong>signerInnen intendieren,<br />

unterschiedlichste NutzerInnen zu adressieren. Die Technologie soll für Je<strong>de</strong> und<br />

Je<strong>de</strong>n zugänglich und nutzbar sein. Tatsächlich wer<strong>de</strong>n jedoch bestimmte NutzerInnengruppen<br />

aufgrund implizit vorausgesetzter Annahmen, die in das Design <strong>de</strong>r<br />

Technologie eingegangen sind, strukturell bevorzugt. Das be<strong>de</strong>utet jedoch, dass<br />

an<strong>de</strong>re strukturell ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r einen beson<strong>de</strong>ren Aufwand leisten<br />

müssen, um die jeweilige Technologie für sich sinnvoll einsetzen zu können. Im letzten<br />

Kapitel 4, in <strong>de</strong>m die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte analysiert wor<strong>de</strong>n<br />

ist, wur<strong>de</strong> dieser Effekt darauf zurückgeführt, dass TechnikgestalterInnen ihre eigenen<br />

Vorstellungen, Wünsche und Interessen in <strong>de</strong>r Software vergegenständlichen. In<br />

diesem Abschnitt 5.2. wer<strong>de</strong>n primär methodische Ansätze diskutiert, die darauf zielen,<br />

eine „I-methodology“ bei <strong>de</strong>r Gestaltung von Technologien zu vermei<strong>de</strong>n. Dabei ist zu<br />

fragen, inwieweit diese Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n anhand von Fallbeispielen i<strong>de</strong>ntifizierten Vergeschlechtlichungsprozessen<br />

entgegen wirken können.<br />

Die „I-methodology“ ist ein relativ neues Konzept, das von Els Rommes (2000,<br />

2002) eingeführt wur<strong>de</strong>. Um diesem Problem, dass TechnikgestalterInnen unreflektiert<br />

eigene mentale Mo<strong>de</strong>lle in die Artefakte einschreiben, zu begegnen, haben sich schon<br />

in früheren Jahrzehnten verschie<strong>de</strong>ne Fachgebiete etabliert wie die Softwareergonomie<br />

(vgl. Maaß 1993, Herczeg 1994), die „Human-Computer Interaction“ (vgl.<br />

Dix et al. 1993, Sears/ Jacko 2002, 2008), das „User-Centered Design“ (vgl. etwa<br />

Holtzblatt et al. 2005) bzw. das „Human-Centered Design“ (Norman/ Draper 1986)<br />

sowie das „Participatory Design“ (Greenbaum/ Kyng 1991, Schuler/ Namioka 1993,<br />

301 Vgl. Rommes 2002 sowie Kapitel 4.1.4.<br />

220


Bødker et al.). 302 Diese Fachgebiete stellen die NutzerInnen in <strong>de</strong>n Mittelpunkt und<br />

haben bereits einen umfangreichen Korpus von Prinzipien, Metho<strong>de</strong>n und Vorgehensweisen<br />

zur Technikgestaltung hervorgebracht, die anhand von Projekten und<br />

Fallbeispielen sorgfältig empirisch evaluiert wor<strong>de</strong>n sind.<br />

Die Notwendigkeit, Software auf Anwen<strong>de</strong>rInnen auszurichten, die <strong>de</strong>n Computer<br />

nicht primär zum Programmieren gebrauchen, verstärkte sich mit <strong>de</strong>r Verbreitung von<br />

Personalcomputern in <strong>de</strong>n 1980er Jahren. Während die frühen NutzerInnen von<br />

Software zumeist die EntwicklerInnen <strong>de</strong>rselben waren und somit eine relativ homogene<br />

Gruppe bil<strong>de</strong>ten, stellen diese Nicht-ComputerexpertInnen neue Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an die technischen Artefakte und ihre „Usability“. 303 „An<strong>de</strong>rs als die technikversierten<br />

Benutzer <strong>de</strong>r frühen Zeit <strong>de</strong>s Computereinsatzes hatten sie Schwierigkeiten mit<br />

formalen Kommandosprachen, Fehlerco<strong>de</strong>s, unübersichtlichen Systemausgaben und<br />

mangelhafter o<strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>r Dokumentation“ (Maaß 1993, 192). Bereits 1971 propagierte<br />

Hansen <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>n Grundsatz „Know the user“ (Hansen 1971) für die Systementwicklung,<br />

um <strong>de</strong>n sich zu dieser Zeit abzeichnen<strong>de</strong>n historischen Verän<strong>de</strong>rungen<br />

durch <strong>de</strong>n Computereinsatz Rechnung zu tragen. Somit wur<strong>de</strong>n schon vor mehr als<br />

drei Jahrzehnten Ansätze entwickelt und erforscht, mit Hilfe <strong>de</strong>rer NutzerInnen<br />

untersucht wer<strong>de</strong>n können und die Software an <strong>de</strong>ren Fähigkeiten, Erfahrungen und<br />

Neigungen angepasst wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Ein Schwerpunkt <strong>de</strong>r frühen Software-Ergonomie 304 zielte darauf, die Erkenntnisse<br />

und Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Arbeitspsychologie für eine benutzerInnen- und aufgabenorientierte<br />

Systemgestaltung produktiv einzusetzen. Diese Forschungsrichtung konzentrierte sich<br />

seit <strong>de</strong>n 1980er Jahren, als Computer zunehmend an Büroarbeitsplätzen eingesetzt<br />

wur<strong>de</strong>n, darauf, menschliches Arbeitshan<strong>de</strong>ln adäquat durch Computersysteme zu<br />

unterstützen. Arbeit sollte „menschengerecht“ gestaltet wer<strong>de</strong>n. Die VertreterInnen <strong>de</strong>r<br />

Software-Ergonomie for<strong>de</strong>rten, dass Softwaresysteme sieben Grundsätze <strong>de</strong>r Dialoggestaltung<br />

zu erfüllen hätten. Sie sollten aufgabenangemessen, selbstbeschreibungsfähig,<br />

steuerbar, erwartungskonform, fehlertolerant, individualisierbar und lernför<strong>de</strong>rlich<br />

sein. Die Aufnahme dieser Prinzipien in eine europäische Norm zu ergonomischen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten kann als Meilenstein betrachtet<br />

wer<strong>de</strong>n. 305 Im „User-Centered Design“ ist über solche Richtlinien und Grundsätze<br />

hinausgehend eine Reihe methodischer Vorschläge zur Technikgestaltung unterbreitet<br />

wor<strong>de</strong>n, um Softwaresysteme besser an die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r NutzerInnen anzupassen<br />

(vgl. etwa Pain et al. 1993c für einen Überblick). Mittlerweile haben sich das Feld<br />

ebenso wie sein Metho<strong>de</strong>nkanon stark ausdifferenziert. So sind die Ansätze <strong>de</strong>s „User-<br />

Centered Design“ zum „Interaction Design“ weiter entwickelt wor<strong>de</strong>n (vgl. etwa Preim<br />

1999, Preece et al. 2002, Moggridge 2006). Diese Verschiebung ist aufgrund <strong>de</strong>s<br />

302 Eine genaue Abgrenzung zwischen <strong>de</strong>n genannten Gebieten ist schwierig. Doch haben sie z.T.<br />

unterschiedliche Schwerpunkte und stehen in verschie<strong>de</strong>nen Theorietraditionen, vgl. etwa Pain et al.<br />

1993, Törpel 2005 für einen Überblick. Ich wer<strong>de</strong> sie nachfolgend als benutzungszentrierte Ansätze<br />

bezeichnen. Dort, wo dies für das hier verfolgte Vorhaben <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

relevant ist, wird jedoch auf Differenzen hingewiesen.<br />

303 Der Begriff „Usability“ wird häufig im Sinne <strong>einer</strong> „Benutzbarkeit“ verstan<strong>de</strong>n. Innerhalb <strong>de</strong>s<br />

Fachdiskurses <strong>de</strong>r Softwareergonomie ist er jedoch treffen<strong>de</strong>r als „Gebrauchstauglichkeit“ – im Gegensatz<br />

zur „Nützlichkeit“ – ins Deutsche übersetzt.<br />

304 Maaß 1993 beschreibt drei Schwerpunkte <strong>de</strong>r frühen Software-Ergonomie: einen technischen, einen<br />

kognitiv-psychologischen und <strong>de</strong>n arbeitspsychologischen, auf <strong>de</strong>n hier Bezug genommen wird.<br />

305 Vgl. DIN 66234 /ISO 9241, Teil 110 von 1996. In <strong>de</strong>r neueren Version von 2006 blieben die Prinzipien<br />

erhalten, ihre Definitionen wur<strong>de</strong>n jedoch geschärft.<br />

221


Paradigmenwechsels von Algorithmen hin zu interaktiven Systemen (vgl. Wegner<br />

1997) sowie <strong>de</strong>r Verlagerung <strong>de</strong>s Schwerpunkts <strong>de</strong>r Anwendungen von Arbeitsplätzen<br />

zum Alltagsleben notwendig gewor<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r Veralltäglichung <strong>de</strong>s Internets entstand<br />

aus <strong>de</strong>n Ansätzen <strong>de</strong>r „Software-Ergonomie“ bzw. „Mensch-Computer-Interaktion“ 306<br />

die Richtung <strong>de</strong>r „Web-Usability“ (vgl. Nielsen/ Loranger 2006). 307<br />

Aus diesem breiten Spektrum methodischer Vorschläge sollen im Folgen<strong>de</strong>n<br />

diejenigen diskutiert wer<strong>de</strong>n, die für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r in Kapitel 4.1. aufgezeigten<br />

Vergeschlechtlichungsprozesse und Fallbeispiele vielversprechend erscheinen. Es<br />

wer<strong>de</strong>n zunächst das „User Centered Design“ und „Usability-Tests“, ferner ethnografische<br />

Metho<strong>de</strong>n und speziell „Cultural Probes“ sowie die „Personas“-Metho<strong>de</strong> und<br />

Probleme <strong>de</strong>r Auswahl von Testpersonen skizziert und auf ihre Reichweite, <strong>de</strong>m<br />

Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte entgegenzuwirken, untersucht.<br />

5.2.1. „User-Centered Design“ und „Usability-Tests“ für eine adäquate<br />

Mo<strong>de</strong>llierung von NutzerInnen<br />

Die verschie<strong>de</strong>nen Vorgehensweisen <strong>de</strong>r benutzungszentrierten Gestaltung 308 lassen<br />

sich grob in vier Phasen unterglie<strong>de</strong>rn: 1. Anfor<strong>de</strong>rungs- und Aufgabenanalyse, 2. die<br />

Entwicklung verschie<strong>de</strong>ner konzeptueller und gestalterischer Entwurfsalternativen, 3.<br />

die Entwicklung interaktiver Versionen dieser Entwürfe sowie 4. die Evaluierung <strong>de</strong>r<br />

Gestaltungsvorschläge. Bei <strong>de</strong>r Anfor<strong>de</strong>rungsanalyse wird zunächst die Zielgruppe <strong>de</strong>s<br />

zu entwickeln<strong>de</strong>n Produkts bestimmt und es wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ren Bedürfnisse i.d.R. systematisch<br />

mittels Fragebögen, Interviews, Fokusgruppen o<strong>de</strong>r Beobachtungsstudien<br />

erhoben, um daraus typische Nutzungsaufgaben und Nutzungsszenarien (Use Cases)<br />

ableiten zu können. Beson<strong>de</strong>rs im Fall von Systemen, die für <strong>de</strong>n Einsatz an Arbeitsplätzen<br />

gedacht sind, umfasst dies eine <strong>de</strong>taillierte Aufgabenanalyse. Danach wer<strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>ne I<strong>de</strong>en entwickelt, wie die ermittelten Anfor<strong>de</strong>rungen erfüllt wer<strong>de</strong>n können.<br />

Die anschließen<strong>de</strong> Phase <strong>de</strong>s konzeptuellen sowie gestalterisch-technischen<br />

Entwurfs umfasst die Ausarbeitung dieser Vorschläge in Form einfacher interaktiver<br />

Prototypen, die softwarebasiert o<strong>de</strong>r auch auf Papier umgesetzt sein können. 309<br />

Schließlich sind Design und Produkt auf ihre Gebrauchstauglichkeit zu überprüfen.<br />

Solche Evaluationen wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel mit NutzerInnen aus <strong>de</strong>r Zielgruppe <strong>de</strong>s<br />

Produkts anhand <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ntifizierten typischen Nutzungsaufgaben durchgeführt. Usertests<br />

lassen sich am Produkt selbst realisieren, sind jedoch zugleich geeignet, bereits<br />

in <strong>de</strong>n frühen Phasen <strong>de</strong>r Konzeption und <strong>de</strong>s Designs <strong>de</strong>r Software eingesetzt zu<br />

wer<strong>de</strong>n, um bereits dort eine Beteiligung <strong>de</strong>r NutzerInnen zu ermöglichen. Im Detail<br />

variieren die vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n nach ihrem Grad <strong>de</strong>r Beteiligung von<br />

NutzerInnen am Design. So wird <strong>de</strong>ren Arbeit in ethnografischen Ansätzen <strong>de</strong>s „User-<br />

Centered Design“ o<strong>de</strong>r im „Contextual Design“ (Beyer/ Holtzblatt 1998) zwar <strong>de</strong>tailliert<br />

306 Im Englischen „Human Computer Interaction (HCI).<br />

307 Weitere Forschungsrichtungen sind „Design for all“ (vgl. Shnei<strong>de</strong>rman 2000, Lei<strong>de</strong>rmann et al. 2001,<br />

Horton 2005, siehe auch Maaß 2003), „Universal Design“ (vgl. Stephani<strong>de</strong>s 2001) und „Universal<br />

Usability“.<br />

308 Ich folge hiermit <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>s „Interaction Design“ nach Preece et al. 2002, insb. 168ff, die<br />

an<strong>de</strong>ren Charakterisierungen <strong>de</strong>s „User-centered Design“ entspricht, jedoch spezifischer dargestellt ist.<br />

Als erste beschrieben Gould/ Lewis 1985 drei Prinzipien <strong>de</strong>s User-Centered Design: 1. früher Fokus auf<br />

NutzerInnen und Aufgaben, 2. empirische Metho<strong>de</strong>n und 3. iterative Gestaltung.<br />

309 Zu einfachen Prototypen und so genannten Mock-ups vgl. auch Abschnitt 5.3.<br />

222


untersucht, sie wer<strong>de</strong>n jedoch erst im „Participatory Design“ als gleichwertige<br />

PartnerInnen im technischen Gestaltungsprozess angesehen.<br />

Das „User-Centered Design“ stellt ein umfangreiches, wissenschaftlich fundiertes<br />

Metho<strong>de</strong>nrepertoire zur Verfügung, um reale Nutzungsanfor<strong>de</strong>rungen zu ermitteln und<br />

in die Technikgestaltung umzusetzen. Da hierbei nicht nur auf abstrahierte, messbare<br />

empirische Daten über die NutzerInnen zurückgegriffen wird wie in kognitivistisch<br />

ausgerichteten Zweigen <strong>de</strong>r Software-Ergonomie, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Umgang tatsächlicher<br />

NutzerInnen mit konkreten Prototypen untersucht wird, lassen sich aufgrund <strong>de</strong>r „Imethodology“<br />

entstan<strong>de</strong>ne Imaginationen <strong>de</strong>r TechnologiegestalterInnen über die NutzerInnen<br />

richtig stellen. Die nutzungszentrierte Technikgestaltung birgt das Potential,<br />

<strong>de</strong>r Vergegenständlichung unbewusster Annahmen <strong>einer</strong> von Männern dominierten,<br />

homosozialen Gruppe im technischen Design entgegenzuwirken. Selbstreferentielle<br />

Aussagen <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen wie „I relied on my own experience“ (vgl. Oudshoorn<br />

et al. 2004, 48) wären auf dieser methodologischen Basis nicht möglich.<br />

Es wird allerdings immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich, dass die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „User-Centered<br />

Designs“ in <strong>de</strong>r Praxis nicht angewandt wer<strong>de</strong>n. Tests mit NutzerInnen gelten als zu<br />

teuer und zu zeitaufwändig. Sie seien insbeson<strong>de</strong>re für kleine Firmen nicht leistbar, die<br />

ihre Produkte so schnell wie möglich auf <strong>de</strong>n Markt bringen müssen. Darüber hinaus<br />

wird befürchtet, dass konkurrieren<strong>de</strong> Firmen auf entsprechen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>en aufmerksam<br />

wer<strong>de</strong>n und ein ähnliches Produkt schneller entwickeln könnten, insbeson<strong>de</strong>re, wenn<br />

Tests, wie angestrebt, in <strong>de</strong>n frühen Phasen <strong>de</strong>s Designs durchgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Deshalb entstehen immer wie<strong>de</strong>r Produkte, die auf <strong>de</strong>r „I-methodology“ basieren und<br />

aufgrund <strong>de</strong>ssen vergeschlechtlicht sind. Die Studie über digitale Städte (vgl. 4.1.4) ist<br />

dafür ein prägnantes Beispiel. Entsprechend konzentriert sich die Kritik <strong>de</strong>r AutorInnen<br />

auf unzureichen<strong>de</strong> Tests mit „Usern“ (vgl. Oudshoorn et al. 2004). So seien im Fall <strong>de</strong>r<br />

ersten bei<strong>de</strong>n Versionen <strong>de</strong>r digitalen Stadt Amsterdam keine systematischen Tests<br />

<strong>de</strong>r Benutzungsoberflächen mit NutzerInnen durchgeführt wor<strong>de</strong>n, geschweige <strong>de</strong>nn<br />

mit Nicht-NutzerInnen. Die Überprüfung beschränkte sich auf technische Funktionalitäten,<br />

während eine breit verstan<strong>de</strong>ne Usability nicht Gegenstand <strong>de</strong>r Untersuchung<br />

war. We<strong>de</strong>r die Inhalte noch die <strong>de</strong>m Design zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Metaphern<br />

wur<strong>de</strong>n erprobt. Bei <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r dritten Version <strong>de</strong>r Software wur<strong>de</strong>n zwar<br />

neun Frauen und zwei Männer involviert, die jedoch nicht mehr zu <strong>de</strong>n unerfahrenen<br />

InternetnutzerInnen gehörten. Zu<strong>de</strong>m seien die Tests nicht <strong>de</strong>r Methodik entsprechend<br />

durchgeführt wor<strong>de</strong>n.<br />

Usability-Tests sollten mit tatsächlichen NutzerInnen und anhand zuvor i<strong>de</strong>ntifizierter<br />

typischer Nutzungsaufgaben durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Häufig fin<strong>de</strong>n diese in eigens<br />

dafür eingerichteten Räumen, so genannten Usability-Laboren statt. Dabei besteht <strong>de</strong>r<br />

Versuchsaufbau üblicherweise darin, <strong>de</strong>n ausgewählten NutzerInnen Aufgaben zu stellen<br />

und sie aufzufor<strong>de</strong>rn, ihre I<strong>de</strong>en und Fragen bei <strong>de</strong>r Suche und Lösung dieser laut<br />

auszusprechen („thinking aloud“-Metho<strong>de</strong>). Neben diesen Äußerungen wer<strong>de</strong>n die<br />

Mausbewegungen <strong>de</strong>r NutzerInnen auf <strong>de</strong>m Bildschirm, in manchen Fällen darüber<br />

hinaus auch ihre Gesichtsausdrücke via Kamera o<strong>de</strong>r ihre Augen-Bewegungen mittels<br />

Eye-Tracking-Systemen aufgezeichnet. Diese Daten wer<strong>de</strong>n anschließend mit aufwendigen<br />

Verfahren ausgewertet und damit die Gebrauchstauglichkeit <strong>de</strong>r Software<br />

evaluiert. Im „User-Centered Design“ wer<strong>de</strong>n diese Tests entsprechend modifiziert, um<br />

sie bereits in frühen Phasen <strong>de</strong>r Konzeption und Entwicklung <strong>de</strong>r Software zur<br />

223


Überprüfung und zur Gestaltung durch die NutzerInnen heranziehen zu können,<br />

beispielsweise auf <strong>de</strong>r Grundlage von Papierprototypen. 310<br />

Es ist zu vermuten, dass die Resultate korrekt durchgeführter Tests mit Personen<br />

<strong>de</strong>r realen Zielgruppe zu <strong>einer</strong> Öffnung <strong>de</strong>s Zugangs zu <strong>de</strong>n digitalen Städten und<br />

<strong>einer</strong> besseren Gebrauchtauglichkeit geführt hätten, insbeson<strong>de</strong>re wenn soziale<br />

Gruppen, die zum damaligen Zeitpunkt in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n nicht nur qua Geschlecht,<br />

son<strong>de</strong>rn auch qua Sexualität, Klasse, race, Ethnizität, Befähigung, Verortung o<strong>de</strong>r Alter<br />

als InternetnutzerInnen stark unterrepräsentiert waren, einbezogen wor<strong>de</strong>n wären.<br />

Dazu wäre jedoch eine sorgfältige Auswahl <strong>de</strong>r Testpersonen entsprechend <strong>de</strong>s anvisierten<br />

Zugangs für Je<strong>de</strong> und Je<strong>de</strong>n notwendig gewesen sowie eine angemessene<br />

Wahl <strong>de</strong>r im Test zu überprüfen<strong>de</strong>n Aufgaben, die sich mehr an <strong>de</strong>r Gebrauchstauglichkeit<br />

als an <strong>de</strong>r technischen Performanz ausrichtet. Ferner hätte die Durchführung<br />

<strong>de</strong>r Tests entsprechend <strong>de</strong>r Methodik <strong>de</strong>s „User-Centered Designs“ umgesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n müssen. Die nie<strong>de</strong>rländische Studie über Digitale Städte zeigt auf, dass User-<br />

Tests, die nicht entsprechend dieser o<strong>de</strong>r <strong>einer</strong> an<strong>de</strong>ren Methodik durchgeführt<br />

wur<strong>de</strong>n, Gefahr laufen, ein unangemessenes o<strong>de</strong>r gar schlechtes Design zu legitimieren,<br />

weil die GestalterInnen diese als Bestätigung ihres Entwurfes mißverstehen<br />

können. Explizite NutzerInnen-Repräsentationstechniken wie Usability-Tests wür<strong>de</strong>n<br />

somit, wie bereits Akrich (1992) betonte: „often function as tools to legitimate the<br />

<strong>de</strong>sign process so that the <strong>de</strong>signers can claim that they have taken the needs of users<br />

into account as tool to gui<strong>de</strong> technological <strong>de</strong>cisions“ (Oudshoorn et al. 2004, 43). Sie<br />

kehren auf diese Weise die Absicht, <strong>de</strong>r „I-methodology“ entgegenwirken zu wollen, in<br />

ihrem Ergebnis ins Gegenteil.<br />

Auf einzelne Diskrepanzen zwischen <strong>de</strong>m NutzerInnenbild <strong>de</strong>r DesignerInnen und<br />

<strong>de</strong>n tatsächlichen NutzerInnen, die bei <strong>de</strong>r Digitalen Stadt Amsterdam in Bezug auf die<br />

Rahmenbedingungen und Voraussetzungen <strong>de</strong>r Nutzung sowie das Design herausgearbeitet<br />

wur<strong>de</strong>n, hätten sicherlich auch Interviews mit Personen <strong>de</strong>r Zielgruppe und<br />

an<strong>de</strong>re Verfahren aufmerksam machen können. So ließe sich etwa die von <strong>de</strong>n<br />

Autorinnen <strong>de</strong>r Studie beanstan<strong>de</strong>te Lernstrategie <strong>de</strong>s „trial and error“, die die DesignerInnen<br />

voraussetzten, o<strong>de</strong>r die Inadäquatheit <strong>de</strong>s Handbuchs, das eher für ExpertInnen<br />

verfasst war, bereits mit einem Blick auf die Grundsätze <strong>de</strong>r Dialoggestaltung (EN<br />

ISO 9241-110) erkennen. Dies legt nahe, stets einen Mix an Metho<strong>de</strong>n (z.B. Überprüfung<br />

von ergonomischen Leitlinien, Interviews und Tests mit NutzerInnen) 311 einzusetzen,<br />

da je<strong>de</strong> einzelne Metho<strong>de</strong> Stärken und Schwächen aufweist, 312 sodass ein Mix<br />

unterschiedliche Problematiken eines Designentwurfes aufzu<strong>de</strong>cken vermag.<br />

Die genannten Techniken können zwar auf fehlen<strong>de</strong> Übereinstimmungen zwischen<br />

<strong>de</strong>r beabsichtigten Zielgruppe und <strong>de</strong>n Kompetenzen, Interessen und Präferenzen <strong>de</strong>r<br />

tatsächlich angesprochen NutzerInnen hinzuweisen. Aus <strong>einer</strong> Gestaltungsperspektive<br />

<strong>de</strong>r Informatik ist diese Erkenntnis jedoch nur ein erster Schritt. Denn wenn Software<br />

310<br />

Ausführlichere Beschreibungen <strong>de</strong>r hier nur ansatzweise skizzierten Metho<strong>de</strong>n fin<strong>de</strong>n sind in<br />

Lehrbüchern, vgl. etwa Preece et al. 2002, 2007.<br />

311<br />

Weitere Möglichkeiten, die Gebrauchtauglichkeit <strong>einer</strong> Benutzungsoberfläche zu überprüfen, bestehen<br />

darin, die Usability durch ExpertInnen zu analysieren, welche dazu heuristische Verfahren o<strong>de</strong>r so<br />

genannte „kognitive Walkthroughs“ (vgl. Wharton et al. 1994) anwen<strong>de</strong>n. Dabei wer<strong>de</strong>n die Abfolgen von<br />

Masken und Meldungen schrittweise durchdacht und mit <strong>de</strong>n BenutzerInnenanfor<strong>de</strong>rungen verglichen.<br />

312<br />

Beispielsweise erscheinen Usability-Tests primär bei <strong>de</strong>njenigen Produkten hilfreich, für die sich eine<br />

überschaubare Anzahl klar <strong>de</strong>finierbarer typischer Nutzungsaufgaben i<strong>de</strong>ntifizieren lassen.<br />

224


„besser“ gestaltet wer<strong>de</strong>n soll – beispielsweise entsprechend <strong>de</strong>r De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Perspektive dieser Arbeit –, so stellt sich die Frage, wie die Ergebnisse solcher<br />

Untersuchungen in alternative Entwürfe einfließen können. Das Potential nutzungszentrierter<br />

Entwicklungsmetho<strong>de</strong>n für ein alternatives Design wird erst dann ausgeschöpft,<br />

wenn Tests mit realen NutzerInnen wie oben skizziert in einen zyklischen Prozess <strong>de</strong>r<br />

Technikgestaltung integriert wer<strong>de</strong>n. User-Tests sollten auch Teil eines iterativen,<br />

evolutionären Gestaltungsprozesses sein. In diesem Rahmen bergen sie <strong>de</strong>n Vorteil,<br />

nicht nur Endprodukte, son<strong>de</strong>rn auch vorläufige Entwürfe und Prototypen durch NutzerInnen<br />

bewerten zu können. Ein solcher zyklischer Designprozess ermöglicht darüber<br />

hinausgehend, Studien aus <strong>de</strong>r feministischen Wissenschafts- und Technikforschung<br />

(wie etwa die von Rommes und ihren Kolleginnen über Digitale Städte) im<br />

Entwicklungsprozess zu berücksichtigen und die dort i<strong>de</strong>ntifizierten Mängel bereits<br />

während <strong>de</strong>s Entwicklungsprozesses zu beheben. Auf diese Weise lässt sich die<br />

Methodologie <strong>de</strong>s „User-Centered Design“ mit Analysen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von<br />

Artefakten verknüpfen, um sie als De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie zu nutzen, die <strong>de</strong>r „I-methodology“<br />

entgegenwirkt.<br />

Die bislang diskutierten Vorgehensweisen liefern allerdings noch keinen Hinweis<br />

darauf, wie sich <strong>de</strong>m vergeschlechtlichten Design <strong>de</strong>r von Anne-Jorunn Berg<br />

untersuchten „intelligenten Häuser“ begegnen ließe (vgl. Kapitel 4.1.3). Dabei liegt die<br />

Schwierigkeit hier darin, die Aufgaben en <strong>de</strong>tail zu mo<strong>de</strong>llieren, die in Häusern bzw.<br />

beim Wohnen konkret ausgeführt wer<strong>de</strong>n. Nur wenn diese Aufgaben <strong>einer</strong>seits bekannt<br />

und an<strong>de</strong>rerseits technisch unterstützbar sind, können beispielsweise „Usability-<br />

Tests“ durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Für die technische Unterstützung wäre im Sinne eines De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring darauf zu achten, dass die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung nicht<br />

verstärkt, son<strong>de</strong>rn aufgebrochen wird. Es ist zu diskutieren, ob das Ziel <strong>de</strong>r gesuchten<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie sein soll, Hausarbeit, so wie sie immer noch vornehmlich von<br />

Frauen ausgeführt wird, sichtbar zu machen und die Unterstützung bzw. Automatisierung<br />

solcher Tätigkeiten als Anfor<strong>de</strong>rung in die Gestaltung einzuschließen, wie dies<br />

aus Bergs Studie abzuleiten wäre. O<strong>de</strong>r ob es vielmehr darum geht, die Dichotomie<br />

von „männlich“ konnotierter Technikfaszination und von als „weiblich“ verstan<strong>de</strong>ner<br />

Hausarbeit qua Design aufzubrechen. Auf Metho<strong>de</strong>n, die darauf zielen, die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Arbeitsteilung technisch nicht zu reproduzieren, komme ich<br />

weiter unten zurück. Zunächst ist jedoch die Frage <strong>de</strong>r Aufgabenanalyse zu<br />

diskutieren, da die Problematik <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung im Fall „intelligenter Häuser“<br />

bereits auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Problem<strong>de</strong>finition, auf <strong>de</strong>r die Technologie grün<strong>de</strong>t,<br />

angesie<strong>de</strong>lt ist. Haushaltstätigkeiten wur<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung intelligenter Häuser<br />

bislang ignoriert. Somit stellt sich die Frage, welche Analysemetho<strong>de</strong>n auf<br />

Alltagsaktivitäten wie das Wohnen zu fokussieren vermögen und <strong>de</strong>r, in intelligenten<br />

Häusern festgeschriebenen Technikfixierung entgegenwirken können.<br />

5.2.2. Ethnographische Studien und „Cultural Probes“ für adäquate<br />

Problem<strong>de</strong>finitionen von Technologien privater Nutzung<br />

Für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Alltagsnutzung von Technologien wer<strong>de</strong>n gemeinhin Konsument-<br />

Innenbefragungen und Marktanalysen als geeignete Metho<strong>de</strong>n angesehen, um die<br />

Produkte besser an die Bedürfnisse, Geschmäcker und Wünsche potentieller<br />

225


KäuferInnen bzw. KundInnen anpassen zu können. Um weitergehen<strong>de</strong> Informationen<br />

über zukünftige NutzerInnen zu gewinnen, gelten auch Interviews, Fokusgruppen und<br />

an<strong>de</strong>re sozialwissenschaftliche Metho<strong>de</strong>n als hilfreich (vgl. Bührer 2006). Mit all diesen<br />

Techniken ist es zwar möglich, grob abzuschätzen, welche Technologien marktwirtschaftlich<br />

aussichtsreich erscheinen, und damit Produkti<strong>de</strong>en nach ökonomischen<br />

Kriterien <strong>de</strong>r Verwertbarkeit zu evaluieren. Es können damit allerdings we<strong>de</strong>r Produkti<strong>de</strong>en<br />

generiert noch Festschreibungen <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n Geschlechterordnung im<br />

Design erkannt wer<strong>de</strong>n. Um neue Technologien zu entwickeln, die alternative Problem<strong>de</strong>finitionen<br />

adressieren und bislang ausgeschlossene Perspektiven zu integrieren<br />

vermögen, genügen solche Metho<strong>de</strong>n nicht. Ein erster Ansatzpunkt, um die Gestaltung<br />

von Technologie auf dieser Ebene für eine Vielfalt von NutzerInnen offen zu halten und<br />

strukturelle Ausschlüsse zu vermei<strong>de</strong>n, ist es, Analysen aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Wissenschafts-<br />

und Technikforschung, die wie Berg (1999 [1994]) auf ein gen<strong>de</strong>rsensbiles<br />

Design hinweisen o<strong>de</strong>r vorausgegangene Aneignungsprozesse von NutzerInnen untersuchen<br />

(vgl. Rohracher 2006), im Entwicklungsprozess zu berücksichtigen. Ferner<br />

fin<strong>de</strong>n sich im Bereich <strong>de</strong>s nutzungszentrierten User-Centered Designs Metho<strong>de</strong>n, die<br />

für diesen Zweck adaptiert wer<strong>de</strong>n können.<br />

Eine Möglichkeit, Anfor<strong>de</strong>rungen an Technologien zu ermitteln, die sich nicht wie<br />

Arbeitsprozesse zielgerichtet untersuchen lassen, besteht in <strong>de</strong>r Nutzung ethnografischer<br />

Verfahren. 313 Beispielsweise führten Michael Mateas und seine KollegInnen<br />

(Mateas et al. 1996) eine Pilotstudie durch, bei <strong>de</strong>r sie 10 Familien in ihren Häusern<br />

besuchten und untersuchten. Dabei war das Ziel, ein hausinternes Computersystem zu<br />

entwerfen und zu entwickeln. Bei <strong>de</strong>r Durchführung <strong>de</strong>r Feldstudie achteten die<br />

DesignerInnen insgesamt auf eine Atmosphäre, in <strong>de</strong>r sich die Untersuchten wohl<br />

fühlen können. So brachten die WissenschaftlerInnen ein Aben<strong>de</strong>ssen mit, um einen<br />

persönlichen Zugang zu <strong>de</strong>n einzelnen Familienmitglie<strong>de</strong>rn zu fin<strong>de</strong>n, bevor jene nach<br />

einem typischen Tag in ihrem Haus/ ihrer Wohnung befragt wur<strong>de</strong>n. Dazu wur<strong>de</strong>n sie<br />

aufgefor<strong>de</strong>rt, mit Hilfe <strong>einer</strong> Filzpappe, auf <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Grundriss ihres Hauses dargestellt<br />

war, <strong>de</strong>n Ablauf eines typischen Tages zu erklären. Als Hilfsmittel konnten sie Repräsentationen<br />

<strong>de</strong>r Räume, Produkte, Aktivitäten und Menschen auf <strong>de</strong>r Pappe umherbewegen.<br />

Aus diesen Daten gewannen die EthnographInnen Erkenntnisse über die<br />

<strong>de</strong>m Leben und Wohnen zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Konzepte von Raum, Zeit und sozialer<br />

Kommunikation in <strong>de</strong>n untersuchten Familien. Die Untersuchung zeigte, dass die Familienaktivitäten<br />

über mannigfache Räume verteilt stattfan<strong>de</strong>n. Die Familienmitglie<strong>de</strong>r<br />

waren nur selten allein, vielmehr stellten Interaktionen eine wesentliche Voraussetzung<br />

<strong>de</strong>s Familienlebens dar. Genau diese Aktivitäten lassen sich jedoch von <strong>de</strong>m<br />

Standardmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s PC, <strong>de</strong>r von <strong>einer</strong> Person an einem Ort für eine längere, ununterbrochene<br />

Zeitspanne genutzt wird, nicht unterstützen. Die ForscherInnen schlugen<br />

<strong>de</strong>shalb die Entwicklung kl<strong>einer</strong>, integrierter elektronischer Geräte vor, die von <strong>de</strong>n<br />

NutzerInnen an verschie<strong>de</strong>nen Orten eingesetzt wer<strong>de</strong>n können und die zur<br />

Unterstützung häuslicher Aktivitäten und Kommunikationsprozesse angemessener<br />

seien als ein PC.<br />

313 Auch Arbeitsprozesse wer<strong>de</strong>n häufig mit ethnographischen Verfahren wie beispielsweise <strong>de</strong>m<br />

Contextual Design untersucht, vgl. hierzu die Ausführungen im Abschnitt 5.3.<br />

226


Mateas und seine KollegInnen interpretieren die Ergebnisse ihrer ethnografischen<br />

Untersuchung mit Referenz auf <strong>de</strong>n PC. Die Erkenntnis, dass Familienleben vornehmlich<br />

aus gemeinsamen Aktivitäten und Kommunikation besteht, ließe sich jedoch ebenso<br />

fruchtbar für das Design intelligenter Häuser einsetzen, das von Berg kritisiert<br />

wor<strong>de</strong>n ist. Hätten sich die Entwickler dieser Artefakte auf die BewohnerInnen <strong>de</strong>r<br />

Häuser konzentriert und ethnographische Verfahren benutzt, so wäre vermutlich ein<br />

Entwurf entstan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r eher die Kommunikation und das Zusammenspiel unter <strong>de</strong>n<br />

Familienmitglie<strong>de</strong>rn technisch unterstützt. Ein solcher Designvorschlag kann gegenüber<br />

<strong>de</strong>m auf die Kontrolle <strong>de</strong>r Sicherheit, Energie und multimedialen Vernetzung<br />

fokussierten System, das Berg aufgezeigt hat, als eine De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie bewertet<br />

wer<strong>de</strong>n. Denn er zielt darauf, eine breitere Vielfalt von Zielgruppen anzusprechen<br />

als die technikfaszinierten Nerds, die von Berg als NutzerInnenbild <strong>de</strong>r intelligenten<br />

Häuser i<strong>de</strong>ntifiziert wor<strong>de</strong>n sind. Gleichzeitig kann eine solche Ausrichtung <strong>de</strong>r<br />

Gestaltung die erneute Festschreibung von Geschlechterdifferenz vermei<strong>de</strong>n, solange<br />

die Kommunikationsanfor<strong>de</strong>rung nicht als „weibliches Anliegen“, son<strong>de</strong>rn als Ergebnis<br />

<strong>de</strong>r empirischen Untersuchung ge<strong>de</strong>utet wird.<br />

Wäre die ethnografische Untersuchung aus Bergs Perspektive durchgeführt wor<strong>de</strong>n,<br />

hätte sie wahrscheinlich auch die Be<strong>de</strong>utung von manueller Hausarbeit als Grundlage<br />

für das Funktionieren <strong>de</strong>s Familienlebens auf<strong>de</strong>cken können. Um diese Einsicht jedoch<br />

in ein neues Design umzusetzen, 314 wären allerdings noch grundlegen<strong>de</strong> Ansätze zu<br />

entwickeln, wie Hausarbeit technisch unterstützt wer<strong>de</strong>n kann, da dieses Feld in <strong>de</strong>r<br />

Informatik seit jeher unterbelichtet ist – im Vergleich etwa zur computervermittelten<br />

Kommunikation, auf die Mateas Studie rekurrieren kann.<br />

Eine weitere in <strong>de</strong>r Tradition ethnografischer, nutzerInnenzentrierter Verfahren<br />

stehen<strong>de</strong> Metho<strong>de</strong> für das Design von Technologien in alltagsweltlichen Umgebungen,<br />

die nicht nur die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r NutzerInnen ermittelt, son<strong>de</strong>rn gera<strong>de</strong> auf die<br />

Entwicklung neuer Denk- und Nutzungsrichtungen zielt, wur<strong>de</strong> von Bill Gavers, Tony<br />

Dunnes und Elena Pacentis entwickelt: „Cultural Probes“ (Gaver et al. 1999) gelten im<br />

Feld <strong>de</strong>r HCI mittlerweile als eines <strong>de</strong>r einflussreichsten Konzepte <strong>de</strong>s letzten<br />

Jahrzehnts. Bei dieser Metho<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n Freiwillige (bzw. potentielle NutzerInnen) mit<br />

kleinen, speziell gestalteten Päckchen ausgestattet, die verschie<strong>de</strong>ne Materialien enthalten,<br />

beispielsweise Postkarten mit bestimmten vorbereiteten Fragen, eine Einwegkamera,<br />

ein günstiges digitales Diktiergerät, ein Fotoalbum, ein Notizbuch zum Führen<br />

eines Nutzungstagebuchs, eine Sammlung von Stadtplänen bzw. „Freun<strong>de</strong>s- o<strong>de</strong>r<br />

Familienplänen“. Damit sollen die NutzerInnen I<strong>de</strong>en, spontane Reaktionen und<br />

routinemäßige Praktiken während <strong>einer</strong> Phase von ca. ein bis vier Wochen auf<br />

subjektive Art und Weise dokumentieren. So können sie <strong>de</strong>n DesignerInnen etwa auf<br />

<strong>einer</strong> Postkarte erklären, welches Gerät für sie wichtig ist, im Stadtplan markieren, wo<br />

sie Menschen treffen o<strong>de</strong>r hingehen, um allein zu sein, das Diktiergerät nach <strong>de</strong>m<br />

Aufwachen als „dream recor<strong>de</strong>r“ benutzen und mittels Fotos zeigen, wo und wie sie<br />

314 Auf die grundlegen<strong>de</strong> Problematik, Ethnographie und System<strong>de</strong>sign methodisch zu integrieren,<br />

machen etwa Preece et al. aufmerksam: „Design is concerned with abstraction and rationalization.<br />

Ethnography, on the other hand, is about <strong>de</strong>tail. An ethnographer’s account will be concerned with the<br />

minutiae of observation, while the <strong>de</strong>signer is looking for useful abstractions that can be used to inform<br />

<strong>de</strong>sign“ (Preece et al. 2002, 292). Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf die „Coherence“-Metho<strong>de</strong><br />

(Viller/ Sommerville 1999), die genau diesen Übersetzungsprozess von Ethnographie in<br />

Anfor<strong>de</strong>rungsanalyse und Verfahren <strong>de</strong>r traditionellen Softwaretechnik adressiert.<br />

227


leben, was sie sich wünschen o<strong>de</strong>r langweilig fin<strong>de</strong>n. Der offene Charakter <strong>de</strong>s<br />

Umgangs mit <strong>de</strong>n Materialien lädt zu reichhaltigen, situierten Antworten ein. Auf diese<br />

Wiese erhalten die TechnologiegestalterInnen eine Vielfalt von Rückmeldungen über<br />

subjektive Erfahrungen während „realer“ alltagsweltlicher Situationen, ohne dass diese<br />

während <strong>de</strong>r Untersuchungsphase ständig anwesend sein o<strong>de</strong>r ein Laborexperiment<br />

durchführen müssten.<br />

Gaver und seine KollegInnen verstehen „Cultural Probes“ als „experimental <strong>de</strong>sign<br />

in a responsive way“ (Gaver et al. 1999, 22), es geht ihnen darum, inspirieren<strong>de</strong><br />

Reaktionen bei potentiellen NutzerInnen zu provozieren und letztere gleichzeitig in das<br />

Design einzubin<strong>de</strong>n. Mit informellen Analysen und <strong>einer</strong> eher spekulativen Interpretation<br />

<strong>de</strong>s umfangreichen Materials stellen sie sich in die Tradition von Künstler-<br />

DesignerInnen und grenzen sich von natur- und technikwissenschaftlich basierten<br />

Ansätzen <strong>de</strong>r Technologiegestaltung ab. Fünf Jahre nach <strong>de</strong>r ersten Veröffentlichung<br />

<strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> berichten sie darüber, dass ihr Ansatz häufig verengt rational angewandt<br />

wird, statt die Offenheit und Unsicherheit <strong>de</strong>s Prozesses zu wahren und auszuhalten:<br />

„The problem is there has been a strong ten<strong>de</strong>ncy to rationalize the Probes. People<br />

seem unsatisfied with the playful, subjective approach embodied by the original<br />

Probes, and so <strong>de</strong>sign theirs to ask specific questions and produce comprehensible<br />

results. They summarize the results, analyze them, even use them to produce<br />

requirements analyses.“ (Gaver et al. 2004, 53).<br />

Mit <strong>de</strong>n „Cultural Probes“ wird Design dagegen zum Forschungsprozess <strong>de</strong>klariert,<br />

um neue Verständnisse von Technologie zu gewinnen und die Grenzen bislang<br />

existieren<strong>de</strong>r Artefakte zu erweitern, in<strong>de</strong>m Funktionen, Erfahrungen und kulturelle<br />

Settings über die Norm hinausgehend erkun<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n sollen. „Instead of <strong>de</strong>signing<br />

solutions for user needs, then, we work to provi<strong>de</strong> opportunities to discover new<br />

pleasures, new forms of sociability, and new cultural forms. We often act as provocateurs<br />

through our <strong>de</strong>signs, trying to shift current perceptions of technology functionally,<br />

aesthetically, culturally, and even politically“ (Gaver et al. 1999, 25). Die Metho<strong>de</strong><br />

nimmt Anleihen bei politischen Strömungen aus <strong>de</strong>r Kunstszene wie <strong>de</strong>m<br />

Situationismus, Dada o<strong>de</strong>r Surrealismus, in<strong>de</strong>m sie Kommerzialität durch ihre visuellen<br />

und textuellen Produkte subversiv zu unterminieren sucht. Es wer<strong>de</strong>n Taktiken <strong>de</strong>r<br />

Ambiguität, Absurdität und <strong>de</strong>s Rätselhaften eingesetzt, um neue Perspektiven auf das<br />

Alltagsleben zu provozieren. Auf diese Weise versuchen Gaver und seine KollegInnen<br />

<strong>de</strong>m Problem, dass Wissen stets Grenzen habe und die TechnologiegestalterInnen<br />

nicht in die Köpfe potentieller NutzerInnen hineinschauen könnten, gerecht zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Ansatz „values uncertainty, play, exploration, and subjective interpretation as ways<br />

of <strong>de</strong>aling with those limits“ (Gaver et al. 2004, 53f).<br />

Die AutorInnen sind sich bewusst, dass die „Probes“ nicht entlang <strong>einer</strong> schrittweise<br />

<strong>de</strong>finierten Vorgehensweise analysiert o<strong>de</strong>r klar interpretiert wer<strong>de</strong>n können, weil sie<br />

zu vielen subjektiven Einflüssen und Bedingungen ausgesetzt sind (vgl. Gaver et al.<br />

2004, 55). Deshalb stellt sich die Frage, wie die vielfältigen Materialien in ein Design<br />

übersetzt wer<strong>de</strong>n sollen. Gaver und seine KollegInnen geben dabei selbst zu, dass die<br />

„Cultural Probes“ zwar eine wertvolle Inspiration sind, aber nicht die einzige Quelle<br />

ihrer Designvorschläge darstellen. Vielmehr seien ihre Entwürfe zugleich von ihren<br />

eigenen konzeptionellen Interessen und ihren Untersuchungen vor Ort geprägt sowie<br />

durch Elemente <strong>de</strong>r Alltagskultur inspiriert wie Anekdoten o<strong>de</strong>r die populäre Presse<br />

228


(vgl. Gaver et al. 1999, 29). Zugleich wür<strong>de</strong>n auch die jeweils vorhan<strong>de</strong>nen<br />

technologischen Möglichkeiten in <strong>de</strong>n konzeptionellen Entwurf mit einbezogen. „Our<br />

<strong>de</strong>sign i<strong>de</strong>as are formed from a combination of conceptual interests, technological<br />

possibilities, imaginary scenarios and i<strong>de</strong>as for how to implement them.“ (Gaver et al.<br />

2004, 56). Dies be<strong>de</strong>utet jedoch, dass die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Cultural Probes“ zwar die<br />

NutzerInnen in <strong>de</strong>n Mittelpunkt stellt, die Interpretation <strong>de</strong>r Materialien jedoch stark von<br />

<strong>de</strong>n Vorannahmen und Zielen <strong>de</strong>r DesignerInnen abhängt. Aus <strong>einer</strong> De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Perspektive betrachtet heißt dies, dass es in <strong>de</strong>r Verantwortung <strong>de</strong>r DesignerInnen<br />

liegt, ob Geschlecht als Analyse- und Strukturkategorie in das Design eingebracht wird<br />

o<strong>de</strong>r auch nicht. Generell erscheint es bei <strong>de</strong>n ethnografischen Metho<strong>de</strong>n notwendig,<br />

GeschlechterforscherInnen mit einem breiten Hintergrundwissen über <strong>de</strong>n bestehen<strong>de</strong>n<br />

Korpus feministischer Forschung in das Designteam aufzunehmen, damit diese<br />

Perspektiven vertreten sind. Dies vorausgesetzt, ließen sich die „Cultural Probes“<br />

wahrscheinlich so gestalten, dass diejenigen Erfahrungen, die als subjektive bislang in<br />

herkömmlichen <strong>de</strong>n Verfahren 315 unterrepräsentiert bzw. ignoriert waren, stärker zum<br />

Ausdruck gebracht wer<strong>de</strong>n können. Damit könnte auch <strong>de</strong>r Blick auf manuelle Haushaltstätigkeiten<br />

o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re nicht-technikzentrierte Aspekte <strong>de</strong>s Alltags möglich<br />

wer<strong>de</strong>n. Auch um die Probes zu interpretieren und in ein geschlechter<strong>kritisch</strong>es Design<br />

zu übersetzen, bedarf es eines für die bestehen<strong>de</strong>n Geschlechterverhältnisse und<br />

symbolischen Ordnungen geschärften o<strong>de</strong>r geschulten Blickes. Dabei ist häufig eine<br />

zweite Reflektionsstufe nötig, wie die Studie von Katharina Bredies, Sandra Buchmüller<br />

und Gesche Joost (Bredies et al. 2006) zeigt. Die Forscherinnen versuchten, „Cultural<br />

Probes“ aus <strong>einer</strong> geschlechter<strong>kritisch</strong>-<strong>de</strong>konstruktiven Perspektive anzuwen<strong>de</strong>n,<br />

mussten jedoch im Nachhinein feststellen, dass sie in ihre Auswahl und das Design <strong>de</strong>r<br />

Materialien, die sie <strong>de</strong>n NutzerInnen zur Verfügung stellten, eigene geschlechtsstereotype<br />

Annahmen eingingen. Diese Vorstellungen spiegeln sich in <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>r<br />

Studie wi<strong>de</strong>r.<br />

Dies <strong>de</strong>utet darauf hin, dass Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technikgestaltung „an sich“ nicht bereits<br />

<strong>de</strong>n Unterschied produzieren, ob die auf diese Weise produzierten Artefakte vergeschlechtlicht<br />

sein wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r als „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red technologies“ bezeichnet wer<strong>de</strong>n<br />

können. Es kommt <strong>einer</strong>seits auf die konkrete Umsetzung <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>n an. Ferner<br />

kommen einige methodische Ansätze einem De-Gen<strong>de</strong>ring entgegen, während<br />

herkömmliche Software-Entwicklungsverfahren <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

technischer Artefakte eher beför<strong>de</strong>rn. Ethnographien erscheinen für <strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>s<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring geeignet, da sie generell darauf zielen, das Implizite – also das, was<br />

häufig weiblich konnotiert ist o<strong>de</strong>r realiter von Frauen ausgeführt wird – explizit zu<br />

machen. Die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Cultural Probes“ erscheint dabei noch aussichtsreicher als<br />

an<strong>de</strong>re Verfahren, um „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red technologies“ zu entwerfen, da sie sich explizit<br />

gegen die vorherrschen<strong>de</strong>n Untersuchungen von „technologies for the home“ wen<strong>de</strong>t,<br />

die zumeist auf fragwürdigen Stereotypen darüber, wie Menschen leben, grün<strong>de</strong>n,<br />

etwa: „that ‚home‘ equals ‚family‘, for instance, or that the activities of home revolve<br />

around consumption and recreation, domestic chores and paid employment.“ (Gaver et<br />

al. 2004, 54).<br />

315 Dabei wären auch die Auffor<strong>de</strong>rungen an die ProbandInnen, wie sie das Material nutzen können,<br />

entsprechend zu formulieren.<br />

229


Tatsächlich berichtet die Designerin Gesche Joost von <strong>einer</strong> Studie ihrer Stu<strong>de</strong>ntin<br />

Sandra Ro<strong>de</strong>, die die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Selbstbeobachtung durch „Cultural Probes“ mit<br />

Interviews und teilnehmen<strong>de</strong>r Beobachtung kombiniert hat, um eine Kampagne für die<br />

„Familie von heute“ jenseits <strong>de</strong>s traditionellen Musters von Hausfrau, Familienernährer,<br />

Kind zu entwerfen (vgl. Joost o.J.). Ro<strong>de</strong> untersuchte eine Familie, in <strong>de</strong>r die Mutter<br />

berufstätig und ihr Mann vorwiegend für die Kin<strong>de</strong>r zuständig war. Dabei hätten Wi<strong>de</strong>rsprüche<br />

zwischen <strong>de</strong>n Selbstbeschreibungen <strong>de</strong>r ProbandInnen und <strong>de</strong>r teilnehmen<strong>de</strong>n<br />

Beobachtung wertvolle Hinweise auf die Motive <strong>de</strong>r Einzelnen und Machtkonstellation<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Familie gegeben. Ferner wur<strong>de</strong>n Diskrepanzen zwischen<br />

<strong>de</strong>n gelebten Rollen und gesellschaftlichen Ansprüchen <strong>de</strong>utlich. Insbeson<strong>de</strong>re die<br />

Frau schien aufgrund <strong>de</strong>r Berufstätigkeit gegenüber <strong>de</strong>r Familie ein schlechtes<br />

Gewissen zu haben und sie beschrieb sich selbst als Nervensäge. „Anhand von eigenen<br />

Geschichten in <strong>de</strong>n Cultural Probes-Tagebüchern, anhand von selbstgemachten<br />

Fotos, die die Familie in wichtigen Augenblicken ihres Zusammenlebens zeigen, o<strong>de</strong>r<br />

anhand <strong>de</strong>r Metaphern, die Mutter und Vater für ihre eigenen Rollen in <strong>de</strong>r Familie<br />

gefun<strong>de</strong>n haben, entstand ein vielschichtiges und unebenes Portrait <strong>de</strong>r Familie, die<br />

selbst immer wie<strong>de</strong>r mit Zuschreibungen und Normen <strong>de</strong>r Gesellschaft konfrontiert<br />

wird, wie die ‚richtige‘ Rollenverteilung sein soll“ (Joost o.J., 8).<br />

„Cultural Probes“ eröffnen in <strong>de</strong>r Kombination mit an<strong>de</strong>ren Metho<strong>de</strong>n die<br />

Möglichkeit, auch aus <strong>einer</strong> Geschlechterforschungsperspektive heterogene o<strong>de</strong>r gar<br />

wi<strong>de</strong>rsprüchliche Anfor<strong>de</strong>rungen an Technologie aufzuzeigen, die aus <strong>de</strong>n vielfältigen<br />

Materialien heraus interpretiert wer<strong>de</strong>n können. Zugleich hat die Metho<strong>de</strong> das<br />

Potential, gera<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Ebene von Problem<strong>de</strong>finitionen, die <strong>de</strong>r Technologie<br />

zugrun<strong>de</strong> liegen, wirksam zu wer<strong>de</strong>n. Zwar bemerken die EntwicklerInnen <strong>de</strong>s<br />

Ansatzes, dass diese in <strong>de</strong>r Regel viel pragmatischer und verengter angewen<strong>de</strong>t wird.<br />

Doch selbst wenn <strong>de</strong>r Erfolg <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> in Bezug auf das De-Gen<strong>de</strong>ring maßgeblich<br />

von <strong>de</strong>r Durchführung abhängt, z.B. von <strong>de</strong>r Beteiligung von Geschlechterforscher-<br />

Innen am Interpretationsprozess, kann festgehalten wer<strong>de</strong>n, dass ethnografische<br />

Verfahren insgesamt Ansätze zur Verfügung stellen, die potentiell dafür genutzt<br />

wer<strong>de</strong>n können, <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Technologien für die private Nutzung im<br />

Alltag entgegenzuwirken. Deshalb kommt es bei <strong>de</strong>r Anwendung dieser Techniken vor<br />

allem darauf an, die Bedingungen für ein De-Gen<strong>de</strong>ring zu schaffen.<br />

5.2.3. „Personas“: Zur Problematik <strong>de</strong>r Auswahl von Testpersonen und<br />

Freiwilligen<br />

Ein wesentlicher Aspekt <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring mit Hilfe <strong>de</strong>r bis hierher diskutierten<br />

Metho<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r durch das Beispiel <strong>de</strong>r Kampagne für die „Familie von heute“<br />

angesprochen wur<strong>de</strong>, ist die Frage, wie die Testpersonen, ProbenutzerInnen bzw. Freiwilligen<br />

für die empirischen Verfahren bestimmt wer<strong>de</strong>n sollen. Das Problem <strong>de</strong>r Auswahl<br />

von RepräsentantInnen für die Zielgruppe eines Produkts stellt sich bei <strong>de</strong>n in<br />

diesem Abschnitt betrachteten Technologien, die „für je<strong>de</strong> und je<strong>de</strong>n“ nutzbar und<br />

nützlich sein sollen, im beson<strong>de</strong>ren Maße. Sie tritt ebenso <strong>de</strong>utlich bei Webanwendungen<br />

und Interfaces hervor, die gleichzeitig unterschiedliche Demografien, Sprachen<br />

und kulturelle Orientierungen ansprechen möchten. In diesen Fällen erscheint es auf<br />

<strong>de</strong>n ersten Blick nahe liegend, eine größtmögliche Diversität von Testpersonen<br />

230


einzubeziehen. An<strong>de</strong>rs als jedoch quantitative Umfragen mit durchstrukturierten<br />

Fragen und vorgegebenen Antworten, die mit Unterstützung von Software und<br />

Internetanwendungen regelbasiert erhoben und ausgewertet wer<strong>de</strong>n können, sind<br />

Usabilitytests, Prototypingverfahren, ethnographische Metho<strong>de</strong>n und Cultural Probes<br />

zu aufwendig, um sie mit <strong>einer</strong> repräsentativen Auswahl von Personengruppen durchzuführen.<br />

Für die Verfahren wer<strong>de</strong>n oft nur ca. fünf bis 12 Freiwillige gesucht. Es gilt<br />

als methodisches Dilemma, dass die Anzahl von NutzerInnentests i.d.R. durch <strong>de</strong>n<br />

Projektzeitplan, finanzielle Ressourcen sowie die Verfügbarkeit von TeilnehmerInnen<br />

und <strong>einer</strong> entsprechen<strong>de</strong>n Einrichtung beschränkt wird, während mehr Tests eine<br />

größere Repräsentativität <strong>de</strong>r Ergebnisse garantieren (vgl. Preece et al. 2002, 440f). 316<br />

Deshalb wer<strong>de</strong>n Usertests in <strong>de</strong>r Praxis häufig doch nur mit (vorwiegend weißen,<br />

Informatik studieren<strong>de</strong>n Männern <strong>de</strong>r eigenen Universität durchgeführt. 317 Diese bil<strong>de</strong>n<br />

jedoch in Bezug auf die Kategorien Geschlecht, Bildungsstand etc. ebenso wie<br />

hinsichtlich ihrer Vorerfahrungen mit und Begeisterung für die jeweilige Technik einen<br />

im Vergleich zur offenen Zielgruppe relativ homogenen Personenkreis, <strong>de</strong>r zu<strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>rjenigen <strong>de</strong>r TechnologiegestalterInnen ähnlich ist. Die „I-methodology“ kann auf<br />

diese Weise gera<strong>de</strong> nicht durchbrochen wer<strong>de</strong>n.<br />

Im „User-Centered Design“ wird i.d.R. allgemein empfohlen, ein für die angestrebte<br />

Zielgruppe repräsentatives Sample zu wählen und sich auf „typische“ NutzerInnen zu<br />

konzentrieren. Insbeson<strong>de</strong>re soll auf eine gleiche Anzahl von Frauen und Männern<br />

geachtet wer<strong>de</strong>n sowie auf eine entsprechen<strong>de</strong> Verteilung von NutzerInnen unterschiedlicher<br />

Vorerfahrung mit Computern (ebd.). Doch selbst wenn versucht wird, eine<br />

breite Diversität von NutzerInnen durch die ausgewählten Testpersonen zu repräsentieren,<br />

erfor<strong>de</strong>rt dies aus <strong>einer</strong> feministischen Perspektive ein reflektiertes Vorgehen.<br />

So unterstellten beispielsweise Mateas und seine KollegInnen (1996) implizit, dass<br />

Häuser und Wohnungen primär von Kleinfamilien bewohnt wer<strong>de</strong>n. Damit wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Kreis an ProbandInnen im Vorhinein verengt, da Personen, die nicht-traditionelle<br />

Wohn- und Lebensformen praktizieren, ausgeschlossen waren. Im Sinne <strong>einer</strong> De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring-Strategie käme es hier darauf an, <strong>de</strong>n Blick auf an<strong>de</strong>re mögliche<br />

NutzerInnen zu erweitern. Das Beispiel <strong>de</strong>r unkonventionellen Kleinfamilie von Joost,<br />

bei <strong>de</strong>r die Mutter berufstätig und <strong>de</strong>r Vater für die Familienarbeit zuständig ist, 318 zeigt,<br />

wie dies methodisch unterstützt wer<strong>de</strong>n kann. Auch weitergehend ließen sich, um <strong>de</strong>r<br />

inhärent heteronormativen Ten<strong>de</strong>nz ethnographischer Verfahren zu begegnen,<br />

ProbandInnen beteiligen, die allein, all<strong>einer</strong>ziehend, in Großfamilien, Kommunen und in<br />

generationenübergreifen<strong>de</strong>n Wohngemeinschaften leben, o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, die ihr Wohnen<br />

wie viele Lesben, Schwule und Transsexuelle jenseits traditioneller Kleinfamilienmo<strong>de</strong>lle<br />

organisieren. Daran zeigt sich, dass es bei <strong>de</strong>n ethnografischen Verfahren nicht<br />

allein darauf ankommt, gleich viele Frauen wie Männer auszuwählen, son<strong>de</strong>rn neben<br />

„Geschlecht“ zugleich an<strong>de</strong>re Kategorien sozialer Ungleichheit zu beachten. Der<br />

Intersektionalität verschie<strong>de</strong>ner Ungleichheitsstrukturen mit Geschlecht tragen<br />

nutzerInnenzentrierte Ansätze bisher jedoch nicht in ausreichen<strong>de</strong>m Maße Rechnung.<br />

316 Tatsächlich liegt hier jedoch ein prinzipielles erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretisches Problem vor.<br />

317 Dies konnten Jutta Weber und ich beispielsweise etwa im Rahmen <strong>einer</strong> Studie über „sozioemotionale“<br />

Softwareagenten beobachten, vgl. Bath/Weber 2006, 119f. Solche Usertests halten <strong>de</strong>n<br />

gängigen sozialwissenschaftlichen Standards nicht stand.<br />

318 Vgl. hierzu <strong>de</strong>n letzten Abschnitt zu „Cultural Probes“.<br />

231


Die einzige im „User-Centered Design“ vorgeschlagene Metho<strong>de</strong>, welche die<br />

Problematik <strong>de</strong>r Auswahl von NutzerInnen adressiert und über allgemeine Hinweise<br />

auf eine größtmögliche Repräsentativität hinausgeht, ist „Personas“ (vgl. Cooper<br />

1999). Dabei wer<strong>de</strong>n mehrere fiktive Charaktere kreiert, welche verschie<strong>de</strong>ne NutzerInnentypen<br />

<strong>de</strong>r Zielgruppe repräsentieren. Diese Personas sind jeweils auf ein bis<br />

zwei Seiten zu charakterisieren, wobei die Beschreibung <strong>de</strong>ren Verhaltensmuster,<br />

Ziele, Fähigkeiten, Einstellungen und Umgebung umfassen soll. Darüber hinaus sind<br />

auch einige persönliche Eigenschaften hinzuzufügen und <strong>de</strong>r Persona ein Name zu<br />

geben, um sie quasi zum Leben erwecken. Im Vergleich zu herkömmlichen technischen<br />

Sprachen soll „Personas“ eine nutzerInnenzentrierte Gestaltung erleichtern, da<br />

mit <strong>de</strong>n Charakterisierungen ein emphatisches Verständnis <strong>de</strong>r DesignerInnen für die<br />

gewünschten NutzerInnen hergestellt wer<strong>de</strong>n soll. Die Metho<strong>de</strong> wird als hilfreich<br />

erachtet, um die Zielgruppe während <strong>de</strong>s gesamten Technikgestaltungsprozesses im<br />

Sinn zu behalten. Denn sie ermöglicht <strong>de</strong>n EntwicklerInnen bei je<strong>de</strong>m Schritt, bei <strong>de</strong>m<br />

Designentscheidungen über das Produkt, <strong>de</strong>ssen Funktionalität, NutzerInnenführung<br />

etc. gefällt wer<strong>de</strong>n, zu fragen: Wie wür<strong>de</strong> Persona Katrin o<strong>de</strong>r Peter darauf<br />

reagieren? 319<br />

Die Ursprünge von „Personas“ lassen sich auf die Schauspielkunst zurückführen.<br />

Die Metho<strong>de</strong> an sich wird seit langem in <strong>de</strong>r HCI genutzt (vgl. Pruitt/ Adlin 2006), sie<br />

wur<strong>de</strong> jedoch erst durch Alan Coopers renommiertes Buch „The inmates are running<br />

asylum“ (1999) unter diesem Namen bekannt gemacht. Cooper betont darin drei<br />

Vorteile von „Personas“. Neben <strong>de</strong>r bereits angesprochenen Hilfe bei Designentscheidungen,<br />

unterstütze es die Mitglie<strong>de</strong>r eines Entwicklungsteams, die oft aus<br />

verschie<strong>de</strong>nen Bereichen (z.B. Design, Ingenieurwissenschaften, Marketing) stammen,<br />

durch leicht merkbare Charakterisierungen, ein spezifisches, aber zugleich geteiltes<br />

Verständnis von <strong>de</strong>n NutzerInnen <strong>de</strong>r Zielgruppe zu entwickeln. Ferner befreie es von<br />

<strong>de</strong>n Schwierigkeiten eines zu umfangreichen Datenmaterials bzw. unangemessener<br />

Verallgem<strong>einer</strong>ung.<br />

Das „Personas“-Verfahren intendiert zwar, <strong>de</strong>r „I-methodology“ bewusst entgegenzuwirken,<br />

in<strong>de</strong>m i.d.R. an<strong>de</strong>re Charaktere beschrieben wer<strong>de</strong>n als die <strong>de</strong>r GestalterInnen<br />

selbst. Dies bewahrt jedoch nicht notwendigerweise vor einem Design, das an <strong>de</strong>n<br />

Bedürfnissen, Wünschen und Interessen realer NutzerInnen vorbeigeht, da letztere<br />

nicht in <strong>de</strong>n Prozess involviert wer<strong>de</strong>n. I<strong>de</strong>alerweise sollen die durch „Personas“<br />

beschriebenen „archetypischen“ NutzerInnen auf Grundlage empirischer, möglichst<br />

ethnographischer Studien entworfen wer<strong>de</strong>n. Jedoch können auch in diesem<br />

Interpretationsprozess bei <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen fehlgeleitete Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r NutzerInnen<br />

entstehen. Diese Gefahr droht <strong>einer</strong>seits, da die Metho<strong>de</strong> oft für Situationen<br />

empfohlen wird, in <strong>de</strong>nen sich keine Tests mit VertreterInnen <strong>de</strong>r Zielgruppe durchführen<br />

lassen. In <strong>de</strong>r Praxis wird <strong>de</strong>r notwendige empirische Bezug <strong>de</strong>shalb häufig<br />

ignoriert und es wer<strong>de</strong>n rein fiktionale Personas kreiert, die ggf. mehr über die<br />

DesignerInnen aussagen als über die potentiellen NutzerInnen. An<strong>de</strong>rerseits wird eine<br />

Stereotypisierung, die insbeson<strong>de</strong>re aus <strong>einer</strong> Geschlechterperspektive problematisch<br />

erscheint, zur Grundlage <strong>de</strong>r „Personas“-Metho<strong>de</strong> erhoben, da die Charaktere zur<br />

319 Da verschie<strong>de</strong>ne Personas unterschiedliche o<strong>de</strong>r gar wi<strong>de</strong>rsprüchliche Empfehlungen für Designentscheidungen<br />

geben können, empfiehlt Cooper 1999 eine Prioritätsmatrix aufzustellen, in <strong>de</strong>r zunächst<br />

festgelegt wird, welche Persona welches Gewicht im Designprozess bekommen soll.<br />

232


Repräsentation <strong>de</strong>r NutzerInnen stereotyp beschrieben wer<strong>de</strong>n sollen. Aufgrund<br />

<strong>de</strong>ssen können nicht nur die Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r NutzerInnen fehl liegen, son<strong>de</strong>rn auch – da<br />

diesen üblicherweise eines von zwei Geschlechtern zugewiesen wird –, erneut binäre<br />

Geschlechtsfestschreibungen vorgenommen wer<strong>de</strong>n. Insofern kann „Personas“ nur<br />

bedingt als eine geeignete Metho<strong>de</strong> angesehen wer<strong>de</strong>n, die „I-methodology“ und damit<br />

verbun<strong>de</strong>ne Vergeschlechlichungen <strong>de</strong>s Produkts zu vermei<strong>de</strong>n. Sie zeigt allerdings<br />

ferner <strong>de</strong>utlich die grundlegen<strong>de</strong> (und prinzipiell unauflösbare) methodische<br />

Schwierigkeit auf, eine „allgemeine“ NutzerIn zu repräsentieren, um technische<br />

Produkte „für Je<strong>de</strong> und Je<strong>de</strong>n“ zu gestalten.<br />

5.3. Design für spezifische NutzerInnengruppen: Geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Kompetenzannahmen und Arbeitsteilung überwin<strong>de</strong>n<br />

Eine weitere Klasse von Technologien umfasst Software und Informationssystemen,<br />

die – im Gegensatz zu <strong>de</strong>n im letzten Abschnitt betrachteten Artefakten – nicht für die<br />

„allgemeine Anwen<strong>de</strong>rIn“, son<strong>de</strong>rn für spezifische NutzerInnengruppen konzipiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Im Kontext <strong>de</strong>r Fragestellung dieser Arbeit von beson<strong>de</strong>rem Interesse sind<br />

dabei Technologien, die explizit o<strong>de</strong>r implizit für Nutzerinnen gedacht sind, d.h. etwa<br />

Frauen als Kundinnen direkt ansprechen sollen o<strong>de</strong>r an Arbeitsplätzen eingesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n, die strukturell betrachtet typische Frauenarbeitsplätze darstellen. 320 Bei diesen<br />

besteht das Problem <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung häufig darin, dass stereotype<br />

Vorstellungen von „Weiblichkeit“ (wie Technikinkompetenz bei <strong>de</strong>n frühen Textverarbeitungssystemen)<br />

o<strong>de</strong>r die vorherrschen<strong>de</strong> geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilung<br />

(wie etwa zwischen KrankenpflegerInnen und ÄrztInnen) in <strong>de</strong>r Software festgeschrieben<br />

und damit technisch reproduziert wer<strong>de</strong>n. Ferner sind als „weiblich“ konnotierte<br />

Tätigkeiten für formale Metho<strong>de</strong>n häufig unsichtbar und wer<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung<br />

ignoriert (vgl. hierzu Kapitel 4.2.). Im Vergleich zu <strong>de</strong>n Strategien <strong>de</strong>s letzten Abschnitts<br />

5.2., die auf die Anerkennung <strong>de</strong>r Diversität von NutzerInnen im Gestaltungsprozess<br />

gerichtet waren, geht es bei diesen Technologien darum, eine Geschlechtergleichheit<br />

zu erzielen. Frauen und Männern sollten im Prozess <strong>de</strong>r Technikgestaltung die<br />

gleichen Kompetenzen, Vorlieben etc. zugeschrieben bekommen. Ferner sind<br />

unsichtbare – und häufig von Frauen ausgeübte – Tätigkeiten sichtbar zu machen und<br />

ggf. zu mo<strong>de</strong>llieren. Auch <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Geschlechterhierarchie am Arbeitsplatz ist<br />

entgegenzuwirken.<br />

Liegt das Problem wie bei <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>s User-Interface für amerikanische<br />

Frauen und europäische, erwachsene, intellektuelle Männer (vgl. Marcus 1993) 321 auf<br />

<strong>de</strong>r Ebene von Stereotypen, so lassen sich zugrun<strong>de</strong> gelegte Vorurteile leicht durch<br />

Tests mit NutzerInnen als solche aufzu<strong>de</strong>cken. Es wur<strong>de</strong> bereits darauf verwiesen (vgl.<br />

Kapitel 4.1.1.), dass die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Usertests darin erfolgreich war, die <strong>de</strong>m Design<br />

zugrun<strong>de</strong> gelegte Annahme zu wi<strong>de</strong>rlegen, dass Frauen run<strong>de</strong> und Männer eher<br />

320 Auch explizit für Männer als Zielgruppen konzipierte Artefakte wären hier prinzipiell spannend anzuschauen,<br />

allerdings sind mir dazu keine Studien bekannt. Implizit für Männer als Zielgruppen gestaltete<br />

Technologien fin<strong>de</strong>n sich dagegen – wie bereits aufgezeigt – viele. Da diese häufig als geschlechtsneutral<br />

angesehen wer<strong>de</strong>n, können in diesen Fällen die im letzten Abschnitt 5.2. diskutierten De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Strategien eingesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

321 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 4.1.1.<br />

233


eckige Formen bevorzugen wür<strong>de</strong>n. Auch in Fällen wie <strong>de</strong>r Textverarbeitungssoftware,<br />

welche die Nutzerinnen (Sekretärinnen) im Umgang mit <strong>de</strong>r Technologie im Stadium<br />

<strong>de</strong>r ständigen Anfängerin hält (vgl. Hofmann 1999), 322 können Analyse- und Designmetho<strong>de</strong>n<br />

aus <strong>de</strong>r nutzungszentrierten Technologiegestaltung hilfreich sein, um ein<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring zu beför<strong>de</strong>rn. Die Problematik <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring lässt sich dabei zum Teil<br />

jedoch auf ein mangeln<strong>de</strong>s Verständnis <strong>de</strong>r Arbeit von SekretärInnen bzw. Schreibtätigkeit<br />

zurückführen. Deshalb erscheinen für diesen Fall insbeson<strong>de</strong>re Elemente aus<br />

<strong>de</strong>m „Contextual Design“ (Beyer/ Holtzblatt 1998, Holtzblatt et al. 2005) sowie<br />

„Szenarien-basierte Ansätze“ (vgl. McGraw/ Harbisson 1997, Rosson/ Carroll 2002)<br />

nützlich, die nachfolgend diskutiert wer<strong>de</strong>n sollen. Anschließend wird in die Designphilosophie<br />

<strong>de</strong>s „Participatory Design“ <strong>de</strong>r Skandinavischen Schule eingeführt und ihre<br />

Techniken <strong>de</strong>r Organisations-Design-Spiele und <strong>de</strong>r Zukunftswerkstätten erläutert.<br />

Diese Ansätze erweisen sich als geeignet, um weiteren Fällen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

von IT zu begegnen, in <strong>de</strong>nen die bestehen<strong>de</strong> geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Arbeitsteilung durch IT reproduziert wird (vgl. Kapitel 4.2.2.-4.2.4.). Zum Abschluss<br />

dieses Abschnitts 5.3. wer<strong>de</strong>n Erfahrungen diskutiert, die in partizipativen Projekten<br />

„von und für Frauen“ auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r skizzierten methodischen Ansätze bereits<br />

gewonnen wer<strong>de</strong>n konnten.<br />

5.3.1. „Contextual Design“ und Szenarien-basierte Ansätze: Arbeit verstehen<br />

und „unsichtbare Arbeit“ erkennen<br />

Im „Contextual Design“ wer<strong>de</strong>n Untersuchungen von Arbeitsplätzen primär anhand so<br />

genannter Interviews im Kontext („Contextual Interviews“) durchgeführt, die darauf<br />

zielen, die Arbeitstätigkeiten <strong>de</strong>r NutzerInnen genau zu verstehen. Interviews im Kontext<br />

basieren auf vier Grundprinzipien: Kontext, Partnerschaft, Interpretation und<br />

Fokus. Erstens wird das Interview am Arbeitsplatz <strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>rIn durchgeführt, um<br />

die Vorgänge konkret und <strong>de</strong>tailliert erfassen zu können. Die DesignerInnen beobachten<br />

die Arbeit, während sie ausgeführt wird. Dadurch sollen auch Aspekte, die <strong>de</strong>n<br />

Anwen<strong>de</strong>rInnen als Routine o<strong>de</strong>r selbstverständlich erscheinen und auf direkte<br />

Nachfrage schwer artikulierbar sind („unsichtbare Arbeit“), in das Blickfeld genommen<br />

wer<strong>de</strong>n. Zweitens sollen die DesignerInnen versuchen, die NutzerInnen zu Lehren<strong>de</strong>n<br />

zu machen. Es wird die Grundhaltung <strong>einer</strong> Meister-/Lehrlings-Beziehung empfohlen,<br />

bei <strong>de</strong>r die NutzerIn als ExpertIn ihrer Arbeit (Meister) verstan<strong>de</strong>n wird, während die<br />

DesignerInnen als Lehrlinge von ihnen lernen und nachfragen. Damit soll vermie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n, dass die Interviewen<strong>de</strong>n eine dominante Rolle haben und <strong>de</strong>n Gegenstand<br />

abstrakt <strong>de</strong>finieren. Zum dritten sollen die DesignerInnen ihre Verständnisse <strong>de</strong>r<br />

untersuchten Arbeit bereits während sie diese beobachten in ihrer eigenen Sprache<br />

beschreiben. Dies eröffnet <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen die Möglichkeit, diese Interpretationen<br />

ggf. zu korrigieren. Viertens haben die DesignerInnen ein bestimmtes Ziel, z.B. die Entwicklung<br />

<strong>einer</strong> neuen Version <strong>de</strong>r eingesetzten Software. Sie sollen <strong>de</strong>shalb versuchen,<br />

die Anwen<strong>de</strong>rInnen im Interview stets auf diesen Fokus (z.B. Herausfin<strong>de</strong>n von<br />

Problemen bei <strong>de</strong>m alten Produkt) im Rahmen <strong>de</strong>r Lehrlingsrolle hinzuführen und<br />

primär die für das Projekt relevanten Aspekte <strong>de</strong>r Arbeit beobachten.<br />

322 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 4.2.1.<br />

234


Insgesamt wird empfohlen, zwei o<strong>de</strong>r drei repräsentative NutzerInnen pro relevanter<br />

Funktion in <strong>einer</strong> Organisation zu interviewen bzw. sechs bis 10 Interviews durchzuführen,<br />

falls nur eine Rolle zu mo<strong>de</strong>llieren ist. Dabei sollten übliche Aufgaben und<br />

Routinen beobachtet wer<strong>de</strong>n, aber ebenso ununterbrechbare Aufgaben, lang andauern<strong>de</strong><br />

Aufgaben sowie „unsichtbare“ Tätigkeiten. Im Vergleich zu an<strong>de</strong>ren ethnografischen<br />

Studien, die über Wochen und Monate angelegt sein können, sind Interviews im<br />

Kontext sehr viel kürzer. Sie dauern nur zwei bis drei Stun<strong>de</strong>n. Gleichzeitig sind sie<br />

jedoch fokussierter, da das Ziel ist, ein System zu gestalten und zu diesem Zwecks die<br />

Arbeit, Abläufe und Umgebung <strong>de</strong>r NutzerInnen zu verstehen. Ein Interview im Kontext<br />

ist somit keine teilnehmen<strong>de</strong> Beobachtung, son<strong>de</strong>rn eine Arbeitsplatzuntersuchung, bei<br />

<strong>de</strong>r es darum geht zu fragen und zu interpretieren.<br />

„Contextual Design“ umfasst eine strukturierte Vorgehensweise, wie die ethnografisch<br />

durch Interviews im Kontext erhobenen Daten in ein Technologie<strong>de</strong>sign übersetzt<br />

wer<strong>de</strong>n können. Um das empirische Material auswerten zu können, sollen die DesignerInnen<br />

während und nach <strong>de</strong>n Interviews alles, was ihnen auffällt, auf Zetteln<br />

notieren und diese später sortieren. Als Ergebnis dieses Strukturierungsprozesses wird<br />

ein Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r beobachteten Arbeit erstellt, das verschie<strong>de</strong>ne Sichtweisen umfasst: ein<br />

Arbeitsorganisations- und Workflow-Mo<strong>de</strong>ll (Menschen, Kommunikation, Koordination),<br />

ein Ablaufmo<strong>de</strong>ll (konkrete Arbeitschritte in ihrer Abfolge), ein Artefaktmo<strong>de</strong>ll (Beschreibung<br />

<strong>de</strong>r Gegenstän<strong>de</strong>, die für die Tätigkeit gebraucht wer<strong>de</strong>n), ein Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r<br />

Unternehmensorganisation und -kultur (organisatorische Rahmenbedingungen) und<br />

ein physisches Mo<strong>de</strong>ll (Darstellung <strong>de</strong>r Arbeitsumgebung inkl. technischer Ausstattung).<br />

Später sollen die aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Interviews gewonnenen Arbeitsmo<strong>de</strong>lle<br />

in <strong>einer</strong> Interpretationssitzung <strong>de</strong>s Designteams konsolidiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die anschließen<strong>de</strong>n, stärker zum Design hin führen<strong>de</strong>n Schritte 323 sollen an dieser<br />

Stelle nicht <strong>de</strong>taillierter beschrieben wer<strong>de</strong>n, da <strong>de</strong>r meines Erachtens entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Schritt <strong>de</strong>r Methodik <strong>de</strong>s „Contextual Design“, <strong>de</strong>r zu einem De-Gen<strong>de</strong>ring beitragen<br />

kann, in <strong>de</strong>r Erhebungstechnik <strong>de</strong>s Interviews im Kontext besteht. Denn dieses Arbeitsanalyseverfahren<br />

birgt die Chance, ein Verständnis von <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r NutzerInnen zu<br />

gewinnen, das für die Gestaltung von Softwaresystemen, die gera<strong>de</strong> jene unterstützen<br />

sollen, notwendig ist. In Bezug auf das angeführte Beispiel <strong>de</strong>r Textverarbeitungssoftware<br />

wür<strong>de</strong> darüber hinaus vermie<strong>de</strong>n, dass die BenutzerInnen im Status <strong>de</strong>r ewigen<br />

Anfängerin gehalten wer<strong>de</strong>n, vielmehr versucht die Metho<strong>de</strong>, die Kompetenzen <strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>rInnen<br />

wahrzunehmen und zu würdigen. Das Verfahren lenkt die Aufmerksamkeit<br />

nicht nur auf die routinemäßigen Tätigkeiten, die bereits von <strong>de</strong>r Organisation bzw.<br />

<strong>de</strong>m Management <strong>einer</strong> Firma als maßgebliche Arbeit betrachtet wird, o<strong>de</strong>r auf Probleme<br />

mit <strong>de</strong>r Software bei <strong>de</strong>r Anwendung, son<strong>de</strong>rn ebenso auf „unsichtbare Arbeit“.<br />

Diese wur<strong>de</strong> im vorangehen<strong>de</strong>n Kapitel (vgl. Kapitel 4.2.3. und 4.2.4.) nicht nur als<br />

diejenige entlarvt, die in traditionellen Systementwicklungsmetho<strong>de</strong>n (z.B. Objektorientierung<br />

inklusive <strong>de</strong>s „Rational Unified Process“-Mo<strong>de</strong>lls) häufig ignoriert o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st<br />

nicht als ein funktionaler Bestandteil von Arbeit anerkannt, son<strong>de</strong>rn zugleich<br />

insbeson<strong>de</strong>re von Frauen ausgeübt wird. Demzufolge lässt sich das Interview im<br />

Kontext in einem doppelten Sinne als eine De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie betrachten. Mit<br />

323 Dazu gehören das Arbeits-Re-Design, das Arbeitsumgebungs<strong>de</strong>sign, Mock-ups <strong>de</strong>r Software und<br />

Tests mit Anwen<strong>de</strong>rInnen sowie <strong>de</strong>r Einsatz in <strong>de</strong>r Praxis.<br />

235


Hilfe dieser Metho<strong>de</strong> können DesignerInnen ein Verständnis von <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen gewinnen, und zugleich vermag sie auf unsichtbare Arbeit aufmerksam zu<br />

machen. In diesem zweiten Sinne wur<strong>de</strong> sie im Rahmen eines Projekts zur Callcenter<br />

Arbeit erfolgreich eingesetzt, wo sie aufzu<strong>de</strong>cken vermochte, dass flexible Kommunikation<br />

und Emotionsarbeit maßgebliche Bestandteile <strong>de</strong>r Tätigkeit von Callcenter-<br />

AgentInnen sind (vgl. etwa Maaß/ Rommes 2007). Diese Analyse kann nun bei <strong>de</strong>r<br />

Weiterentwicklung von Callcenter-Software genutzt wer<strong>de</strong>n, um Softwaremängel zu<br />

beheben, in<strong>de</strong>m die zuvor nicht mo<strong>de</strong>llierte Interaktionsarbeit <strong>de</strong>r vornehmlich von<br />

Frauen repräsentierten Beschäftigten im Callcenter in zukünftigen Versionen tatsächlich<br />

unterstützt wird (vgl. hierzu auch Kapitel 4.2.4.).<br />

Insgesamt ist die Strategie <strong>de</strong>s Sichtbarmachens von unsichtbarer Arbeit jedoch,<br />

wie Bowker und Star (2000) herausgestellt hatten, eine ambivalente. Sie ist mit<br />

Vorsicht einzusetzen, da Sichtbarkeit nicht nur für die Tätigkeit notwendige Aspekte in<br />

das Blickfeld rückt, die <strong>de</strong>r technischen Unterstützung bedürfen, son<strong>de</strong>rn stets zugleich<br />

Kontrollmöglichkeiten durch das Management bietet, was mit einem politischen<br />

Verständnis von Technologiegestaltung nicht zu vereinbaren ist. 324 So gesehen kann<br />

das Interview im Kontext zwar prinzipiell als eine De-Gen<strong>de</strong>ring-Metho<strong>de</strong> verstan<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n, wobei jedoch am jeweiligen konkreten Fall zu überprüfen ist, ob sie in <strong>de</strong>m<br />

betrachteten Kontext in <strong>de</strong>r beabsichtigten Weise wirksam wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Weitere Kritiken <strong>de</strong>utet darauf hin, dass die vom „Contextual Design“ vorgeschlagenen<br />

Metho<strong>de</strong>n aus partizipativ-praktischen, feministischen und wissenschafts<strong>kritisch</strong>en<br />

Perspektiven fragwürdig sind (vgl. Törpel 2008). Törpel arbeitet heraus, dass „Contextual<br />

Design“ keine partizipative Metho<strong>de</strong> ist, durch die NutzerInnen auf Technikgestaltung<br />

Einfluss nehmen können. Statt <strong>de</strong>r Beschäftigten, für <strong>de</strong>ren Tätigkeit<br />

Technik entwickelt wer<strong>de</strong>n soll, repräsentiere sie die Sicht <strong>de</strong>s Managements. „Rather<br />

than becoming equal co-<strong>de</strong>signers, e.g. members of the <strong>de</strong>sign team, the ‚normal‘<br />

working people in Contextual Design are conceptualized to be mere sources of data in<br />

the service of rationalization efforts“ (Törpel 2008, o.S.). Das Problem dieses<br />

politischen Standpunkts bestün<strong>de</strong> darin, dass <strong>de</strong>n Untersuchten nicht klar sei, wofür<br />

die erhobenen Daten verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Eine Klärung <strong>de</strong>r Machtkonstellationen, in <strong>de</strong>r<br />

die Erhebung stattfin<strong>de</strong>t ist, nicht Bestandteil <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>. Deshalb sei <strong>de</strong>r Status <strong>de</strong>r<br />

Ergebnisse, die mit Hilfe <strong>de</strong>s „Contextual Design“ ermittelt wer<strong>de</strong>n, unklar: repräsentieren<br />

sie – wie intendiert – „authentische Arbeitspraktiken“ o<strong>de</strong>r eher Praktiken <strong>de</strong>r<br />

Vermeidung und <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstands <strong>de</strong>r Beschäftigten, etwa weil sie annehmen, dass sie<br />

ihren Arbeitsplatz durch die Ergebnisse <strong>de</strong>r Untersuchung verlieren könnten.<br />

Ferner wür<strong>de</strong>n die im Rahmen <strong>de</strong>s „Contextual Design“ erstellten Mo<strong>de</strong>lle sowie <strong>de</strong>r<br />

„Kontext“ sehr eng gefasst. Vielfalt und Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n Arbeitstätigkeiten könnten mit<br />

<strong>de</strong>n vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n kaum erfasst wer<strong>de</strong>n. Vielmehr ziele die Untersuchung<br />

primär auf Wie<strong>de</strong>rholbares, so dass eine (für die Informatik typische) Ten<strong>de</strong>nz<br />

zur Vereinheitlichung bestehe. Hinzuzufügen ist, dass dabei ebenso wenig die<br />

Möglichkeit <strong>einer</strong> objektiven Darstellung <strong>de</strong>s Beobachteten in Frage gestellt wird, so<br />

dass die Mo<strong>de</strong>lle Gefahr laufen, auf verschie<strong>de</strong>ne Ebenen an <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen an das System vorbeizugehen.<br />

324 Vgl. hierzu die ausführliche Diskussion unsichtbarer Arbeit im Abschnitt 4.2.3.<br />

236


Insgesamt vermag „Contextual Design“ somit unter guten Umstän<strong>de</strong>n „unsichtbare<br />

Arbeit“ sichtbar zu machen und kann auf diese Weise zu einem De-Gen<strong>de</strong>ring von<br />

Technologie beitragen. Aufgrund <strong>de</strong>r von Törpel aufgezeigten methodischen und politischen<br />

Voraussetzungen <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> können jedoch vermittelte Einschreibungen<br />

impliziter Vorstellungen <strong>de</strong>r Designer (z.B. Geschlechtsstereotype) in die zu erstellen<strong>de</strong>n<br />

Mo<strong>de</strong>lle nicht verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. In diesem Fall kann erneut eine Variante <strong>de</strong>r „I-<br />

Methodology“ wirksam wer<strong>de</strong>n. So betrachtet, tendiert die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Contextual<br />

Designs“ dazu, Geschlecht als binäre, strukturell-symbolische Ordnung festzuschreiben,<br />

wenn sie nicht um grundsätzliche, wissenschafts<strong>kritisch</strong>e, macht<strong>kritisch</strong>e und<br />

feministische Perspektiven ergänzt wird.<br />

Szenarienbasierte Ansätze stellen eine weitere Metho<strong>de</strong> dar, wie die Ergebnisse<br />

von Interviews – speziell zu Arbeitsabläufen und Problemen bei <strong>de</strong>r Benutzung<br />

bestehen<strong>de</strong>r Systeme – dargestellt wer<strong>de</strong>n können. Diese vermögen zwar die grundsätzliche<br />

politische Problematik <strong>de</strong>s „Contextual Design“ nicht aufzulösen. Im<br />

Gegensatz zum „Contextual Design“, bei <strong>de</strong>m die Mo<strong>de</strong>lle von <strong>de</strong>n Arbeitsprozessen<br />

im Designteam erstellt wer<strong>de</strong>n, hat diese Metho<strong>de</strong> aber <strong>de</strong>n Anspruch, verständliche<br />

Beschreibungen zu produzieren, die als Grundlage für die Kommunikation zwischen<br />

DesignerInnen und NutzerInnen dienen. Damit erscheint sie partizipativer und ist auch<br />

wissenschaftstheoretisch weniger fragwürdig als <strong>de</strong>r zuvor diskutierte Ansatz <strong>de</strong>s<br />

„Contextual Design“.<br />

„Scenarios are example ‚stories‘ of normal events and critical inci<strong>de</strong>nts that<br />

represent the types of situations with which the performers must work and use the<br />

system“ (McGraw/ Harbisson 1997, 120). Sie wer<strong>de</strong>n in verschie<strong>de</strong>nen Bereichen wie<br />

<strong>de</strong>r Strategischen Planung, HCI, Anfor<strong>de</strong>rungsanalysen und <strong>de</strong>r Objektorientierten<br />

Analyse und Design genutzt und zumeist in Textform, manchmal auch als Graphik,<br />

Vi<strong>de</strong>o o<strong>de</strong>r Storyboard dargestellt (vgl. Gro/ Carroll 2004). Speziell eignen sich<br />

Szenarien dazu, Arbeitstätigkeiten, Abläufe und die Benutzung von Systemen narrativ<br />

zu beschreiben. Sie lassen sich als einfaches Hilfsmittel einsetzen, um Akteure, ihre<br />

Ziele und <strong>kritisch</strong>e Erfolgsfaktoren, Hauptereignisse, <strong>de</strong>n räumlichen und logischen<br />

Kontext ihrer Handlungen (u.a. auch Randbedingungen), verwen<strong>de</strong>te Ressourcen<br />

(Technik, Hilfsmittel, Informationen) und Entscheidungen, die bei <strong>de</strong>r Durchführung<br />

getroffen wer<strong>de</strong>n müssen, zu charakterisieren. Sollen sie als Benutzungsszenarien<br />

eingesetzt wer<strong>de</strong>n, beschreiben sie die verwen<strong>de</strong>ten Daten und Informationen (Inhalt,<br />

Format, Quelle und Ziel, Ein-/Ausgabe) und die Benutzungsschnittstelle (Funktionalität,<br />

Ergonomie etc.) sowie Störungen und Mängel im Zuge <strong>de</strong>r betrachteten Tätigkeiten.<br />

Die Szenariotechnik kann <strong>einer</strong>seits dafür genutzt wer<strong>de</strong>n, die aus einem Interview<br />

im Kontext gewonnenen Erkenntnisse über typische Arbeitsabläufe und Probleme bei<br />

<strong>de</strong>r Systembenutzung in <strong>einer</strong> Form zu repräsentieren, 325 die eine leichte Kommunikation<br />

und gute Verständigung mit <strong>de</strong>n NutzerInnen erleichtert. Sie ermöglicht ein schnelles<br />

Feedback von <strong>de</strong>n NutzerInnen an die DesignerInnen, <strong>de</strong>nn die Geschichten<br />

lassen sich leicht korrigieren. Somit eignet sie sich als ein Mittel zur Anfor<strong>de</strong>rungsanalyse.<br />

Die Szenarien-Metho<strong>de</strong> kann jedoch an<strong>de</strong>rerseits ebenso eingesetzt wer<strong>de</strong>n,<br />

um zu veranschaulichen, wie die zukünftige Technologie aussehen könnte. Denn die<br />

325 Vgl. hierzu etwa Hecht/ Maaß 2008, die eine vergleichbare Kombination von „Contextual Interview“ und<br />

Szenarien-basierter Gestaltung in Lehrveranstaltungen zum „Participatory Design“ in <strong>de</strong>r Informatik<br />

einsetzen.<br />

237


Benutzung <strong>de</strong>s zu entwickeln<strong>de</strong>n Systems kann als erzählen<strong>de</strong> Beschreibung von<br />

Benutzungs-Episo<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r erhobenen Arbeitsabläufe dargestellt wer<strong>de</strong>n,<br />

ohne dass dieses bereits realisiert o<strong>de</strong>r auch nur durch eine Spezifikation festgelegt<br />

wor<strong>de</strong>n wäre. Allerdings fehlen <strong>de</strong>n Szenarien grafische Darstellung und Vollständigkeit<br />

<strong>de</strong>r Systembeschreibung. Ebenso wenig sind die Systemfunktionen daraus direkt<br />

ableitbar. So betonen Kentara Go und John Carroll, dass Szenarien keine Spezifikationen<br />

sind, in<strong>de</strong>m sie Unterschie<strong>de</strong> konkret benennen: „Scenarios are (1) concrete<br />

<strong>de</strong>scriptions, (2) focus on particular instances, (3) work driven, (4) open-en<strong>de</strong>d,<br />

fragmentary, (5) informal, rough, colloquial and (6) envisioned outcomes. In contrast,<br />

specifications are (1) abstract <strong>de</strong>scriptions, (2) focus on generic types, (3) technology<br />

driven, (4) complete, exhaustive, (5) formal, rigorous and (6) specific outcomes.“ (Go/<br />

Carroll 2004, 49) 326 Dennoch sind Szenarien an die herkömmlichen Ansätze <strong>de</strong>r<br />

Software-Entwicklung wie das Requirements-Engineering o<strong>de</strong>r die Objektorientierung<br />

anschlussfähig.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>r Vorteile, leicht und in je<strong>de</strong>r Designphase erstellt wer<strong>de</strong>n zu können<br />

sowie die Verständigung mit <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen zu verbessern, d.h. <strong>de</strong>r Möglichkeit in<br />

einen iterativen Designprozess eingebettet zu wer<strong>de</strong>n, zählt die Szenario-Technik<br />

primär zu <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „User-Centered Design“. Ebenso wie die Erhebungsmetho<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Interviews im Kontext erscheinen sie dann als Teil <strong>einer</strong> De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Strategie geeignet, wenn die Vergeschlechtlichung von Software aufgrund eines mangeln<strong>de</strong>n<br />

Verständnisses von <strong>de</strong>r Arbeit Einzelner droht. Insofern vermögen „Interview<br />

im Kontext“ und Szenariotechnik <strong>de</strong>r ersten Problematik, die durch das Beispiel <strong>de</strong>r<br />

Textverarbeitungssoftware angesprochen wur<strong>de</strong>, das Verständnis und die Anerkennung<br />

<strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r NutzerInnen, zu begegnen. Das zweite Problem, die implizite<br />

Unterstellung, dass Sekretärinnen als Frauen keine technischen Kompetenzen hätten,<br />

wird mit diesen Metho<strong>de</strong>n allerdings nicht explizit adressiert. Rosson und Carroll (2002)<br />

empfehlen zwar eine Vorgehensweise <strong>de</strong>s „Scenario-based Designs“, bei <strong>de</strong>m die<br />

einem Szenario zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Annahmen reflektiert wer<strong>de</strong>n sollen. 327 Sie<br />

erläutern jedoch nicht ausreichend, auf welcher theoretischen Grundlage diese Reflektion<br />

vorgenommen wer<strong>de</strong>n kann. Deshalb fiele TechnikgestalterInnen eine solche<br />

Empfehlung zur Reflektion eigener Selbstverständnisse häufig schwer (vgl. Hecht/<br />

Maaß 2008). Diese Variante <strong>de</strong>s Einsatzes von Szenarien im Technikgestaltungsprozess<br />

ist zwar prinzipiell dafür offen, Stereotypisierungen wie das Vorurteil <strong>de</strong>r Technikinkompetenz<br />

von Frauen zu entlarven und zu vermei<strong>de</strong>n, allerdings erscheinen<br />

an<strong>de</strong>re Metho<strong>de</strong>n hinsichtlich eines De-Gen<strong>de</strong>ring auf dieser Ebene aussichtsreicher.<br />

5.3.2. „Participatory Design“ und „Collective Resource Approach“:<br />

Parteinahme für strukturell Benachteiligte in <strong>de</strong>r Technikgestaltung<br />

Ein Ansatz, <strong>de</strong>r explizit einen politischen Standpunkt in <strong>de</strong>r Technikgestaltung vertritt<br />

und dabei teils auch feministische For<strong>de</strong>rungen wie die technische Qualifizierung von<br />

326 Die Beispielhaftigkeit und Konkretheit unterschei<strong>de</strong>t Szenarien ebenso von <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Objektorientierung<br />

genutzten Use Cases. Szenarien liegen auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Instanzen von Use cases, wenngleich sie<br />

eine an<strong>de</strong>re Form haben als ihre Entsprechungen in <strong>de</strong>r OO.<br />

327 Sie schlagen vor, die positiven und negativen Konsequenzen <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Szenarien beschriebenen<br />

Funktionen <strong>de</strong>r Artefakte zunächst herauszuarbeiten und zu bewerten, um auf dieser Grundlage neue<br />

Szenarien zu generieren, vgl. Rosson/ Carroll 2002.<br />

238


Frauen berücksichtigt, ist das Participatory Design <strong>de</strong>r Skandinavischen Tradition. 328<br />

Speziell <strong>de</strong>r „Collective Resource Approach (CRA)“ beansprucht, vermittelt über <strong>de</strong>n<br />

Einsatz von Computern an Arbeitsplätzen für abhängig Beschäftigte Partei zu ergreifen<br />

(vgl. Ehn/ Kyng 1987). 329 Auf <strong>de</strong>r Basis verschie<strong>de</strong>ner politik- und gestaltungsorientierter<br />

Forschungsprojekte 330 wur<strong>de</strong> CRA seit <strong>de</strong>n 1970er Jahren zu einem eigenständigen<br />

Ansatz ausgearbeitet, <strong>de</strong>r zunächst primär darauf zielte, die Position von<br />

Arbeiten<strong>de</strong>n gegenüber <strong>de</strong>m Management zu stärken, sie zu qualifizieren und insgesamt<br />

eine Demokratisierung <strong>de</strong>s Arbeitslebens („industrial <strong>de</strong>mocracy“, „workplace<br />

<strong>de</strong>mocracy“) zu beför<strong>de</strong>rn. Die Projekte basierten gesellschafts- und techniktheoretisch<br />

auf <strong>de</strong>n damaligen gewerkschaftlichen Positionen. Sie gingen vom Wi<strong>de</strong>rspruch von<br />

Kapital und Arbeit aus und beruhten auf <strong>de</strong>r marxistisch begrün<strong>de</strong>ten Annahme, dass<br />

<strong>de</strong>r Einsatz von Computertechnologie die Beschäftigten <strong>de</strong>qualifiziere, die<br />

Arbeitsteilung verstärke, mehr Routine- und monotone Tätigkeiten hervorbringe und<br />

<strong>de</strong>n Managern mehr Macht und Kontrolle über die Beschäftigten gebe. Dagegen<br />

versuchten die VertreterInnen <strong>de</strong>s CRA zu intervenieren. Tatsächlich gelang ihnen<br />

bereits in <strong>de</strong>n ersten Projekten, betriebliche Vereinbarungen sowie gesetzliche<br />

Vorgaben über die Planung, Kontrolle und Computernutzung bei <strong>de</strong>r Einführung neuer<br />

Technologien zu erreichen. 331 Eine Voraussetzung <strong>de</strong>s Erfolgs war, dass GewerkschaftsvertreterInnen<br />

in kleinen Studiengruppen weitergebil<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n, um über diese<br />

Fragen kompetent verhan<strong>de</strong>ln zu können. Die Gewerkschaften wur<strong>de</strong>n somit als eine<br />

grundlegen<strong>de</strong> gesellschaftliche Institution verstan<strong>de</strong>n, welche die Arbeiten<strong>de</strong>n als<br />

Interessengemeinschaft gegenüber <strong>de</strong>n UnternehmerInnen zu repräsentieren vermag.<br />

332 Es zeigte sich jedoch früh, dass die Arbeiten<strong>de</strong>n keine homogene Gruppe<br />

darstellen, in <strong>de</strong>r alle gleichberechtigt sind, son<strong>de</strong>rn dass die Gewerkschaftsorganisation<br />

von Hierarchien durchdrungen ist. Ferner wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass eine starke<br />

gewerkschaftliche Position nicht ausreicht, um alternative Technologien zu entwickeln.<br />

Deshalb konzentrierten sich die nachfolgen<strong>de</strong>n Projekte stärker auf die Arbeitsbedingungen<br />

und -prozesse von Anwen<strong>de</strong>rInnen sowie <strong>de</strong>ren computerbasierte Unterstützung.<br />

Sie richteten sich nach <strong>de</strong>m Grundsatz, Werkzeuge für qualifizierte Arbeit<br />

herzustellen. „The computer should be a tool for the skilled worker, and the worker<br />

328<br />

Vgl. Greenbaum/ Kyng 1991, Kuhn/ Muller 1993, für einen zusammenfassen<strong>de</strong>n Überblick vgl. etwa<br />

Törpel 2005.<br />

329<br />

Ein an<strong>de</strong>rer verwandter Ansatz, <strong>de</strong>r hier nicht betrachtet wer<strong>de</strong>n soll, ist das „Joint Application Design“<br />

(JAD), das insbeson<strong>de</strong>re im nordamerikanischen Raum verbreitet ist.<br />

330<br />

Die ersten und bekanntesten Projekte sind das NJMF-Projekt mit <strong>de</strong>r norwegischen Stahl- und<br />

Metallgewerkschaft (1971-1973), das schwedische DEMOS-Projekt (Democratic Control and Planning in<br />

Work Life: On Computers, Tra<strong>de</strong> Unions and Industrial Democracy), das dänische DUE-Projekt<br />

(Democracy, Development and Electronic Data Processing) sowie etwas später das UTOPIA-Projekt, in<br />

<strong>de</strong>m die Nordische Grafikergewerkschaft mit dänischen und schwedischen Forschungsgruppen<br />

kooperierte. Vgl. dazu zusammenfassend etwa Ehn/ Kyng 1987, Bjerknes/ Bratteteig 1994, 1995.<br />

331<br />

Auch aus <strong>einer</strong> feministischen Perspektive kann es sinnvoll sein, Betriebvereinbarungen anzustreben.<br />

So wur<strong>de</strong> auf diese Weise und mit Hilfe <strong>de</strong>s in Abschnitt 4.2.2 angeführten Projekts in <strong>de</strong>r Bremer<br />

Stadtverwaltung ein Konzept <strong>de</strong>r Mischarbeit eingeführt, welches die Arbeitsbedingungen <strong>de</strong>r vorwiegend<br />

von Frauen reprüäsentierten Beschäftigten strukturell verbesserte, in<strong>de</strong>m die Bürotätigkeiten, die durch<br />

eine starke Zerglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Arbeit, sich wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong> Tätigkeiten, einförmige Bewegungsabläufe und<br />

eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit gekennzeichnet sind, durch qualifizierte Sacharbeit angereichert<br />

wur<strong>de</strong>n, vgl. Winker 1995.<br />

332<br />

„Collective“ im Titel <strong>de</strong>s CRA be<strong>de</strong>utet, dass es in diesem Ansatz nicht darum geht, Individuen an ihren<br />

Arbeitsplätzen zu unterstützen, son<strong>de</strong>rn ein Kollektiv von abhängig Beschäftigten. Mit Hilfe von Forschung<br />

für die Beschäftigten sollten gemeinsame (Wissens-)„Ressourcen“ geschafften wer<strong>de</strong>n. Dafür wur<strong>de</strong>n die<br />

Gewerkschaften als ein wichtiger Ort angesehen.<br />

239


should be in control of the tool“ (Bjerknes/ Bratteteig 1994, 5). Ziel war es, eine<br />

qualifizierte Arbeit mit qualitativ hochwertigen Ergebnissen zu ermöglichen sowie eine<br />

<strong>de</strong>mokratische Organisation von Arbeit. Dabei stellte sich heraus, dass, um die<br />

Positionen <strong>de</strong>r jeweils Schwächeren in <strong>de</strong>r Gestaltung von Technologie zu stärken,<br />

nicht nur die hierarchischen Verhältnisse im Anwendungsfeld zu berücksichtigen sind,<br />

son<strong>de</strong>rn auch das Machtgefälle zwischen DesignerInnen und NutzerInnen 333 adressiert<br />

wer<strong>de</strong>n muss. Insbeson<strong>de</strong>re das „Cooperative Design“ beanspruchte, Metho<strong>de</strong>n zu<br />

entwickeln und zu erproben, mit <strong>de</strong>nen sich eine gleichberechtigte Kommunikation<br />

zwischen EntwicklerInnen und NutzerInnen bzw. Arbeiten<strong>de</strong>n herstellen lässt. Die<br />

VertreterInnen wiesen darauf hin, dass es dafür notwendig sei, die Machtpositionen zu<br />

reflektieren, die <strong>de</strong>n Softwareentwicklungs- und <strong>de</strong>n Beteiligungsprozess durchdringen<br />

und <strong>einer</strong> gleichberechtigte Teilhabe an Information und Kommunikation entgegenstehen<br />

können.<br />

Der „Collective Resource Approach“ als <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r wesentlichen partizipativen<br />

Ansätze teilt mit <strong>de</strong>n zuvor betrachteten Ansätzen <strong>de</strong>s „User-Centered Design“ <strong>de</strong>n<br />

Grundsatz, Arbeit und die fachliche Kompetenz <strong>de</strong>r Arbeiten<strong>de</strong>n als Ausgangspunkt<br />

von Technologiegestaltung zu verstehen. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n allein auf die NutzerInnen<br />

konzentrierten Zugängen, die zumeist auf das Verhältnis von Individuum und<br />

Computer fokussieren, d.h. auf die Unterstützung von EinzelnutzerInnen ausgerichtet<br />

sind, 334 wird hier davon ausgegangen, dass die Beschäftigten <strong>einer</strong>seits ein Kollektiv<br />

bil<strong>de</strong>n und an<strong>de</strong>rerseits Technologie, Arbeit und Organisation voneinan<strong>de</strong>r abhängig<br />

sind und <strong>de</strong>shalb stets nur gemeinsam gestaltet wer<strong>de</strong>n können. Dementsprechend<br />

trägt <strong>de</strong>r „Collective Resource-Ansatz“ <strong>de</strong>n betrieblichen, gesellschaftlichen und<br />

gesetzlichen Rahmenbedingungen auch in <strong>de</strong>n methodischen Konzepten <strong>de</strong>r<br />

Beteiligung <strong>de</strong>r NutzerInnen stärker Rechnung als etwa das „Contextual Design“,<br />

Szenarien-basierte Ansätze und an<strong>de</strong>re Varianten <strong>de</strong>r nutzungszentrierten Gestaltung.<br />

Die grundlegen<strong>de</strong> Annahme <strong>einer</strong> engen Verflochtenheit von organisatorischen, arbeitsbezogenen<br />

und technischen Aspekten teilt <strong>de</strong>r CRA mit <strong>de</strong>m sozio-technischen<br />

Systemgestaltungsansatz, gegenüber <strong>de</strong>m er sich ursprünglich herausgebil<strong>de</strong>t und abgegrenzt<br />

hat. 335 Was <strong>de</strong>n „Collective Resource Approach“ gegenüber <strong>de</strong>n sozio-technischen<br />

und <strong>de</strong>n nutzerInnenzentrierten Ansätzen auszeichnet, ist die Annahme unauflösbarer<br />

gesellschaftlicher Interessenskonflikte und Machtstrukturen, von <strong>de</strong>nen je<strong>de</strong><br />

lokale Situation durchdrungen ist und die <strong>de</strong>shalb auch in je<strong>de</strong>m Technikgestaltungsprozess<br />

sorgfältig zu berücksichtigen seien. Die VertreterInnen <strong>de</strong>s CRA werfen <strong>de</strong>nen<br />

<strong>de</strong>s sozio-technischen Systemgestaltungsansatzes vor, dass sie mit ihren Bemühungen<br />

um Arbeitszufrie<strong>de</strong>nheit und Vereinbarkeit <strong>de</strong>r Interessen von Management und<br />

Beschäftigten eine Harmonieperspektive verfolgten, die gleiche Chancen in Aussicht<br />

stelle. Demgegenüber nähmen sie selbst eine parteiliche Perspektive ein, in<strong>de</strong>m sie<br />

sich innerhalb <strong>de</strong>s Konfliktes auf die Seite <strong>de</strong>r Schwächeren stellten und die Position<br />

333 Bråten 1973 sprach in diesem Zusammenhand von <strong>de</strong>r „Mo<strong>de</strong>llmacht“ <strong>de</strong>r DesignerInnen, die es <strong>de</strong>n<br />

Anwen<strong>de</strong>rInnen erschwert, sich gleichberechtigt in <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess einzubringen.<br />

334 Mit Fragen <strong>de</strong>r technischen Unterstützung von Zusammenarbeit beschäftigt sich das Fachgebiet<br />

„Computer Supported Cooperative Work“, das hier nicht diskutiert wer<strong>de</strong>n kann.<br />

335 Vgl. etwa Mumford 1987 für eine Darstellung <strong>de</strong>r Grundzüge <strong>de</strong>s sozio-technischen Systemgestaltungsansatzes<br />

sowie Schulz-Schaeffer 1994 für eine vergleichen<strong>de</strong> und Bath 2006a für eine feministische<br />

Perspektive.<br />

240


<strong>de</strong>r abhängig Beschäftigten gegenüber Management und UnternehmerInnen zu<br />

stärken suchten.<br />

In dieser politischen Intention lassen sich Parallelen zur feministischen Theorie<br />

erkennen. Der CRA versteht gesellschaftliche Ungleichheitstrukturen als situierte und<br />

geht von einem grundsätzlich unlösbaren Konflikt zwischen UnternehmerInnen und<br />

Beschäftigten aus. Hingegen gehen GeschlechterforscherInnen davon aus, dass<br />

Be<strong>de</strong>utungen von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ zwar historisch und kulturell variieren<br />

und Frauen keine homogene Gruppe von Marginalisierten und Männer keine<br />

homogene Gruppe von Privilegierten bil<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn innerhalb verschie<strong>de</strong>ner Ungleichheitsstrukturen<br />

auch unterschiedliche gesellschaftliche Positionen inne haben<br />

können, dass das Zweigeschlechtlichkeitssystem und die strukturell-symbolische<br />

Geschlechterordnung zentrale Merkmale vergangener und aktueller Gesellschaften<br />

sind.<br />

Insgesamt erscheint <strong>de</strong>r „Collective Resource“-Ansatz aufgrund s<strong>einer</strong> <strong>de</strong>zidiert<br />

herrschafts<strong>kritisch</strong>en Ausrichtung und emanzipatorischen Ziele, die Arbeiten<strong>de</strong>n/<br />

NutzerInnen zu qualifizieren, ihnen Teilhabe am Technikentwicklungsprozess zu<br />

ermöglichen und die Systemgestaltung selbst als ein politisches Unterfangen zu<br />

begreifen, beson<strong>de</strong>rs anschlussfähig an feministische Positionen. Zu<strong>de</strong>m stellen die<br />

Prinzipien, <strong>de</strong>nen er folgt, beispielsweise die Grundsätze „<strong>de</strong>sign for skill and<br />

<strong>de</strong>mocracy“, „<strong>de</strong>sign by doing“, „<strong>de</strong>sign as situated” und „<strong>de</strong>sign as mutual learning“, 336<br />

allesamt in einem Kontext von Arbeit, <strong>de</strong>r zutiefst geschlechtlich durchdrungen ist, De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring-Perspektiven dar. So wirken die Qualifizierung von Frauen und an<strong>de</strong>ren qua<br />

Geschlecht marginalisierten und untergeordneten Gruppen als Beschäftigten und die<br />

Demokratisierung von Arbeit potentiell <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n, strukturell geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n<br />

Arbeitsteilung entgegen. „Design-by-Doing“ vermag die Arbeit von qua<br />

Geschlecht marginalisierten und untergeordneten Gruppen anzuerkennen, implizites<br />

Wissen über die Arbeit <strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>rInnen aufzu<strong>de</strong>cken und unsichtbare Arbeit auch<br />

körperlich-manuell erfahrbar zu machen. 337 Gegenseitige Lernprozesse zwischen<br />

EntwicklerInnen und Anwen<strong>de</strong>rInnen stehen insbeson<strong>de</strong>re in einem Bereich typischer<br />

Frauenarbeit vorherrschen<strong>de</strong>n geschlechtsstereotypen Kompetenzzuschreibungen in<br />

Bezug auf das Technische und das Soziale, die in <strong>de</strong>n Fallstudien <strong>de</strong>s letzten Kapitels<br />

herausgearbeitet wur<strong>de</strong>n, diametral entgegen. 338<br />

Um die Prinzipien <strong>de</strong>s CRA in Softwareentwicklungsprojekten praktisch umzusetzen,<br />

wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten ein umfangreicher Korpus von Metho<strong>de</strong>n<br />

336 Vgl. dazu ausführlicher Ehn/ Kyng 1987, Greenbaum/ Kyng 1991, Bødker et al. 1993.<br />

337 Vgl. hierzu die vorangegangenen Ausführungen in 5.2 und in diesem Abschnitt.<br />

338 Bestätigt wur<strong>de</strong> dieser letzte Aspekt anhand erster feministischer Projekte „von Frauen für Frauen“ im<br />

CRA, die nicht wie die vorangegangenen Studien auf typische Männerberufe, etwa in <strong>de</strong>r Stahlproduktion<br />

o<strong>de</strong>r im Grafiksatz, fokussierten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n IT-Einsatz in einem traditionellen Frauenberuf untersuchte.<br />

Das Ziel das FLORENCE-Projekts (vgl. Bjerknes/ Bratteteig 1987, 1994, 1995, Bratteteig 2003) bestand<br />

beispielsweise darin, ein Computersystem für die alltägliche Arbeit von Krankenschwestern zu gestalten,<br />

das auf <strong>de</strong>ren professioneller Sprache und <strong>de</strong>ren professionellen Fähigkeiten beruht. Die Studie betont,<br />

dass Nutzerinnen und EntwicklerInnen ein Wissen und Verständnis <strong>de</strong>s Gegenübers entwickeln müssen,<br />

um miteinan<strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess kommunizieren zu können. Partizipatives Design in diesem<br />

Sinne be<strong>de</strong>utet in einem Kontext vorwiegend aus Frauen bestehen<strong>de</strong>n Krankenpflegepersonals und<br />

vorwiegend von Männern repräsentierter Entwickler jedoch ten<strong>de</strong>nziell eine technische Qualifizierung von<br />

Frauen und eine kommunikativ-soziale Qualifizierung von Männern.<br />

241


ausgearbeitet. 339 Diese Techniken zur Analyse von Arbeit, Beteiligung von NutzerInnen<br />

am Softwareentwicklungsprozess und Verständigung zwischen Technologiegestalter-<br />

Innen und Anwen<strong>de</strong>rInnen überwin<strong>de</strong>n im Einzelnen nicht nur die im herkömmlichen<br />

Software-Engineering üblichen formalen Darstellungsweisen. Vielmehr wen<strong>de</strong>n sie sich<br />

zugleich gegen das implizite Versprechen herkömmlicher Zugänge, dass es nur einen<br />

„best way“ <strong>de</strong>r Technikgestaltung gäbe. 340 Statt<strong>de</strong>ssen stellt <strong>de</strong>r CRA quasi einen<br />

Werkzeugkasten zur Verfügung und geht davon aus, dass die Wahl <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>n und<br />

ihre Kombination stets eine politische ist, die von <strong>de</strong>n konkreten Bedingungen abhängt<br />

(vgl. Törpel 2007). Zu <strong>de</strong>n wesentlichen und vielfach variierten Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s CRA<br />

gehören gegenseitige Befragungen an Arbeitsplätzen, Workshops mit NutzerInnen<br />

(z.B. Zukunftswerkstätten), Metaphern-Design („metaphorical <strong>de</strong>sign“), Organisations-<br />

Designspiele („organisational <strong>de</strong>sign games“), „Mock-ups“ und einfache Prototypen<br />

sowie kooperatives Erstellen von Prototypen („cooperative prototyping“).<br />

Einige dieser Techniken sind vom „Usability“-Engineering, „User-Centered Design“<br />

und <strong>de</strong>r „Human-Computer Interaction“-Forschung aufgegriffen wor<strong>de</strong>n, wo sie mittlerweile<br />

zum Kanon gehören. Das gilt zum einen für die bereits angeführten Metho<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r ethnographisch inspirierten Analyse und <strong>de</strong>s Interviews im Kontext, zum an<strong>de</strong>ren<br />

für Mock-ups, Prototyping-Verfahren und Designspiele wie CARD und PICTIVE, die im<br />

folgen<strong>de</strong>n kurz skizziert wer<strong>de</strong>n sollen. 341<br />

Mock-Ups und einfache Prototypen für frühe Projektphasen, die Gestaltungsi<strong>de</strong>en<br />

erfahrbar machen sollen, wur<strong>de</strong>n Anfang <strong>de</strong>r 1980er Jahre im UTOPIA-Projekt (vgl.<br />

Bødker et al. 1987) entwickelt. Die ForscherInnen beschreiben diese als „more or less<br />

sophisticated, like paper boxes representing mouse and laser printers, or large paper<br />

drawings and (later on) sli<strong>de</strong>s showing alternative screen lay-outs“ (Bjerknes/ Bratteteig<br />

1995, 77). Der Vorteil dieser Metho<strong>de</strong> besteht darin, dass die Mo<strong>de</strong>llierung von Arbeit<br />

dabei nicht nur auf Beobachtung und sprachlicher Reflektion beruht, son<strong>de</strong>rn die<br />

Anwen<strong>de</strong>rInnen ihre vor allem handwerklichen Fähigkeiten <strong>de</strong>monstrieren können. Im<br />

Vergleich zu <strong>de</strong>n oben erläuterten ethnografisch inspirierten Verfahren, wie <strong>de</strong>m<br />

Interview im Kontext, kann auf diese Weise implizites Wissen über die Arbeit <strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>rInnen<br />

auch auf <strong>de</strong>r körperlich-manuellen Ebene erfahrbar gemacht wer<strong>de</strong>n. 342<br />

Weitere Techniken, die auf Papier-Simulationen beruhen und die NutzerInnen in das<br />

Design zukünftiger Systeme einbeziehen, sind CARD (Collaborative Analysis of Requirements<br />

and Design) (Tudor 1993) und PICTIVE (Plastic Interface for Collaborative<br />

Technology Initiatives through Vi<strong>de</strong>o Exploration) (Muller 1991). Bei CARD wer<strong>de</strong>n von<br />

<strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen Spielkarten kreiert, auf <strong>de</strong>nen sie ihre eigenen Ziele und<br />

Intentionen, mögliche Bildschirmausgaben o<strong>de</strong>r Aufgaben darstellen können. Die<br />

Metho<strong>de</strong> eignet sich dazu, Arbeitsabläufe und ihre technische Unterstützung zu<br />

339 Vgl. Greenbaum/ Kyng 1991, Schuler/ Namioka 1993, Kuhn/Muller 1993 für einen Überblick vgl. etwa<br />

Muller 2003, spezielle methodische Ansätze, die nicht direkt in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>s CRA stehen, wohl aber<br />

von diesem inspiriert sind, stellen STEPS (Floyd et al. 1989) sowie MUST (Bødker et al. 2004) dar.<br />

340 Diese Weigerung, die Vorgehensweise schrittweise klar und strukturiert zu beschreiben, brachte <strong>de</strong>m<br />

Ansatz insbeson<strong>de</strong>re von US-amerikanischer Seite <strong>de</strong>n Vorwurf ein, dass er sich allein auf politische<br />

Dogmen beriefe, methodisch allerdings im Nebulösen verbliebe (vgl. hierzu etwa Asaro 2000) – obwohl<br />

die einzelnen Metho<strong>de</strong>n und ihr Zusammenspiel anhand vieler konkreter Projekte höchst <strong>de</strong>tailliert und<br />

anschaulich erläutert wur<strong>de</strong>n.<br />

341 Diese Metho<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n beispielsweise im „Interaction Design“ (Preece et al. 2002, 2007) und im<br />

„Usability Engineering“ (vgl. Burmester 2007) angeführt.<br />

342 Mock-ups gelten als beispielhafte Veranschaulichung <strong>de</strong>s „Design-by-doing“-Prinzips im CRA.<br />

242


erproben. Bei PICTIVE dagegen wer<strong>de</strong>n einfache Büroutensilien wie Klebezettel und<br />

Stifte benutzt, um bestimmte Bildschirmlayouts zu entwerfen. Ferner wird dabei die<br />

Sitzung, in <strong>de</strong>r die Anwen<strong>de</strong>rInnen zusammen mit <strong>de</strong>n GestalterInnen unterstützt durch<br />

die Utensilien über ein angemessenes Design brainstormen, auf Vi<strong>de</strong>o aufgezeichnet,<br />

um mögliche Darstellungen und Abfolgen <strong>de</strong>s User-interface sowie Entscheidungen zu<br />

dokumentieren und später nachvollziehen zu können. 343 Im Gegensatz zu herkömmlichen<br />

Verfahren, bei <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Prototyp „im Labor“ entwickelt und später von <strong>de</strong>n NutzerInnen<br />

getestet wird, fin<strong>de</strong>n diese Prototyp-Entwicklungen als kooperativer Designprozess<br />

zwischen TechnikgestalterInnen und Anwen<strong>de</strong>rInnen in gemeinsamen<br />

Sitzungen statt.<br />

Während einfache Prototypen und kooperative Designspiele bereits auf <strong>de</strong>m Weg<br />

sind, in <strong>de</strong>n Mainstream <strong>de</strong>r Technikgestaltung in <strong>de</strong>r Informatik zu gelangen, wo sie<br />

dazu genutzt wer<strong>de</strong>n, die Technologie besser an die zukünftigen NutzerInnen anzupassen,<br />

wer<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>re vom CRA vorgeschlagene Metho<strong>de</strong>n wie kreative, beispielsweise<br />

am Schauspiel orientierte Designspiele und Workshops bzw. Zukunftswerkstätten<br />

dort kaum wahrgenommen. 344 Dabei erlauben gera<strong>de</strong> diese Techniken,<br />

strukturelle Aspekte <strong>de</strong>r Arbeitsorganisation zu betrachten, d.h. auch eine geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Verteilung von Tätigkeiten in <strong>einer</strong> Organisation infrage zu stellen.<br />

Ferner zielen sie darauf strukturell und hierarchisch Benachteiligte – etwa Frauen an<br />

typischen Frauenarbeitsplätzen – zu ermächtigen.<br />

5.3.3. Organisations-Design-Spiele und Zukunftswerkstätten: Geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Arbeitsteilung in Organisationen aushan<strong>de</strong>ln<br />

Organisations-Design-Spiele (ODS) sind ebenso wie das Interview im Kontext, CARD<br />

und PICTIVE dazu gedacht, die gegenwärtige Arbeit <strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>rInnen besser zu<br />

verstehen und Verän<strong>de</strong>rungen durch Software in eine realistische, angemessene und<br />

von <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen gewünschte Richtung zu lenken. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n zuvor<br />

skizzierten Metho<strong>de</strong>n, die auf eine adäquate Erfassung <strong>de</strong>r Arbeitsabläufe und eine<br />

Gestaltung <strong>de</strong>r Benutzungsschnittstelle zielen, welche die Arbeitspraktiken angemessen<br />

unterstützt, steht bei <strong>de</strong>n Designspielen darüber hinaus die Arbeitsorganisation im<br />

Mittelpunkt. Während bei ethnografisch inspirierten Metho<strong>de</strong>n die DesignerInnen von<br />

<strong>de</strong>n BenutzerInnen lernen und bei CARD und PICTIVE Abläufe mit einfachen Prototypen<br />

erprobt wer<strong>de</strong>n, sollen im ODS Aspekte <strong>de</strong>r aktuellen und zukünftigen Arbeit<br />

nach <strong>de</strong>m Grundsatz „Playing in reality“ (Ehn et al. 1990) durchgespielt wer<strong>de</strong>n Organisations-Design-Spiele<br />

sind Rollenspiele mit <strong>de</strong>n NutzerInnen. Auch hier wird somit<br />

auf das Wissen, die Erfahrung und vor allem die Kreativität <strong>de</strong>r TeilnehmerInnen<br />

343 Der Unterschied zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n besteht im Detaillierungsgrad. PICTIVE ist auf eine<br />

(mikroskopische) Beschreibung <strong>de</strong>r Systemaspekte ausgerichtet, während CARD eine ausführliche<br />

(makroskopische) Sicht auf <strong>de</strong>n Arbeitsfluss darstellt, insofern lässt es sich auch als eine Konzeptausarbeitung<br />

verstehen. Die Metho<strong>de</strong>n können <strong>de</strong>shalb gut ergänzend eingesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

344 Von <strong>de</strong>n acht Trends <strong>de</strong>s „Participatory Design“, die Muller 2003 in seinem Überblicksartikel i<strong>de</strong>ntifiziert,<br />

– die Wahl <strong>de</strong>s Schauplatzes <strong>de</strong>r gemeinsamen Arbeit, Workshops, Geschichten (u.a. Szenarien),<br />

EndnutzerInnen-Photographie, Schauspiel, die Herstellung gemeinsamer Sprachen, beschreiben<strong>de</strong> Artefakte<br />

(Mock-ups und Papierprototypen) sowie funktionieren<strong>de</strong> Prototypen – fin<strong>de</strong>n sich speziell die<br />

kreativen Techniken kaum im Mainstream wie<strong>de</strong>r. Speziell Organisations-Design-Spiele o<strong>de</strong>r am Theater<br />

bzw. Film orientierte Spiele, die grundlegen<strong>de</strong>r Bestandteil <strong>de</strong>s „Collective Resource“-Ansatzes sind,<br />

haben bislang kaum über <strong>de</strong>n Skandinavischen Raum hinaus in <strong>de</strong>r nutzungszentrierten Technikgestaltung<br />

Beachtung gefun<strong>de</strong>n.<br />

243


ekurriert. Dabei zeigt die Spielmetapher an, dass das Ermitteln von Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

Spaß machen und spielerisch-lustvoll sein soll.<br />

Das Beispiel von Pelle Ehn, Bengt Möllerud und Dan Sjögren 1990 ist zwar recht<br />

alt, gibt aber bis heute einen guten Einblick, wie ein Organizational-Design-Game organisiert<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Die Autoren beschreiben einen Spielaufbau und -ablauf für <strong>de</strong>n<br />

Kontext <strong>de</strong>s Desktop Publishing. In <strong>de</strong>r Vorbereitungsphase wird <strong>de</strong>r Spielort gestaltet.<br />

Typische Arbeitssituationen wer<strong>de</strong>n auf großen Papieren visualisiert und im<br />

Hintergrund aufgehängt, um sie während <strong>de</strong>s Spielablaufs in Erinnerung zu behalten.<br />

Ferner wer<strong>de</strong>n Skripte für die professionellen Rollen <strong>de</strong>s Rollenspiels vorbereitet (z.B.<br />

HerausgeberIn, AutorIn und GrafikerIn). Das Spiel selbst wird durch (ebenfalls zuvor<br />

erstellte) Situationskarten gesteuert, die typische Störfälle, Probleme im Ablauf o<strong>de</strong>r<br />

Situationen <strong>de</strong>s Zusammenbruchs beschreiben und von <strong>de</strong>n Teilnehmen<strong>de</strong>n<br />

nacheinan<strong>de</strong>r gezogen wer<strong>de</strong>n. Dazu können die einzelnen RollenspielerInnen Vorschläge<br />

machen, wie sie die beschriebene Situation lösen wür<strong>de</strong>n. Nach <strong>einer</strong> Diskussion<br />

in <strong>de</strong>r Gruppe sollen die TeilnehmerInnen, die entsprechend <strong>de</strong>n gewählten Rollen<br />

agieren, Bedingungen über Vorgehensweisen und Verantwortlichkeiten festlegen.<br />

Nach <strong>de</strong>m Spiel wer<strong>de</strong>n sämtliche besprochenen Bedingungen, Verpflichtungen und<br />

Absprachen für eine zweite Run<strong>de</strong> auf Papier festgehalten und wie<strong>de</strong>rum im Hintergrund<br />

(Spielort) platziert. In diesem zweiten Durchgang sollen die getroffenen Vereinbarungen<br />

entlang <strong>de</strong>r Rollen durchgespielt wer<strong>de</strong>n, wobei neue Situationskarten ins<br />

Spiel kommen und die Spielregeln geän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n können. Abschließend wird ein<br />

Aktionsplan für die Umsetzung <strong>de</strong>r Vorschläge innerhalb <strong>de</strong>r Organisation beschlossen,<br />

bei <strong>de</strong>m die Vereinbarungen systematisiert und nach Priorität geordnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Zusammenfassend basiert das Spiel auf sechs Grundkonzepten: „The playground is a<br />

subjective but collectively negotiated interpretation of the work organization in question.<br />

The professional roles are the union of individual professional ambitions and the need<br />

for qualifications from an organizational perspective. The situation cards introduce<br />

prototypical examples of breakdown situations. Commitments are ma<strong>de</strong> by individual<br />

role players as actions related to a situation card. Conditions for these commitments<br />

are negotiated, and an action plan for the negotiations with the surrounding<br />

organization is formulated. These concepts were used throughout four <strong>de</strong>velopment<br />

steps.“ (Ehn et al. 1990, 110, Hervorhebungen im Original).<br />

Diese Spielregeln sind jedoch nicht als strikte Anweisungen gedacht, son<strong>de</strong>rn als<br />

Inspiration, um geeignete Spiele für die jeweilige Problemstellung und Organisation zu<br />

entwickeln. So wur<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Kontext <strong>de</strong>r Tischlerei und <strong>de</strong>r Fabrikhallengestaltung<br />

entsprechend entwickelte Organisations-Design-Spiele vorgeschlagen (vgl. Ehn/ Sjögren<br />

1991). Weitere Umsetzungen <strong>de</strong>s „Design-by-playing“-Ansatzes beziehen sich<br />

weniger auf Rollenspiele, son<strong>de</strong>rn stellen sich in <strong>kritisch</strong>e Traditionen <strong>de</strong>s Schauspiels<br />

wie etwa das Theater <strong>de</strong>r Unterdrückten (Boal 1974) o<strong>de</strong>r wen<strong>de</strong>n Tableau-Techniken<br />

an (vgl. Muller 2002 für einen Überblick). Gemeinsam ist diesen Metho<strong>de</strong>n, dass<br />

<strong>einer</strong>seits die bestehen<strong>de</strong> Arbeitsorganisation erfasst wer<strong>de</strong>n kann. An<strong>de</strong>rerseits<br />

können zukünftige Möglichkeiten <strong>de</strong>r Organisation von Arbeit inklusive ihrer technischen<br />

Unterstützung spielerisch erprobt wer<strong>de</strong>n, auch um kreativ alternative Lösungen<br />

zu fin<strong>de</strong>n, die sich wie<strong>de</strong>rum im Durchspielen auf ihre Praktikabilität hin überprüfen<br />

lassen. Organisations-Design-Spiele bieten dabei prinzipiell insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>njenigen,<br />

die sonst keine Stimme haben o<strong>de</strong>r nicht gehört wer<strong>de</strong>n, die Möglichkeit, Arbeit,<br />

244


Organisation und Technik mitzugestalten und sind damit an feministische Ansätze<br />

anschlussfähig. Vor allem aber stellen sie mit ihrem starken Fokus auf die Gestaltung<br />

gesellschaftlicher Organisation von Arbeit, betrieblicher Arbeitsteilung sowie Arbeitsbeziehungen<br />

und Kooperationsprozesse in Aussicht, Aspekte <strong>de</strong>r strukturell geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n<br />

Arbeitsteilung im Anwendungsbereich zu adressieren, die mittels <strong>de</strong>r<br />

bislang diskutierten Metho<strong>de</strong>n nicht ansprechbar sind. 345 Die Metho<strong>de</strong> bietet damit<br />

einen Zugang zu <strong>de</strong>r Problematik <strong>de</strong>r Festschreibung geschlechtlich kodierter<br />

Strukturen in und durch IT, die im Kapitel 4.2.2 diskutiert wor<strong>de</strong>n sind. Denn auf diese<br />

Weise ließe sich in Abhängigkeit von <strong>de</strong>n nationalstaatlichen und soziokulturellen Rahmenbedingungen<br />

etwa in bestimmte Ausschnitte <strong>de</strong>s Gefüges von Gesundheitssystemen,<br />

beispielsweise <strong>de</strong>n Verhältnissen zwischen PatientInnen und ÄrztInnen und<br />

Krankenkassen o<strong>de</strong>r zwischen KrankenpflegerInnen und ÄrztInnen gesellschafts<strong>kritisch</strong><br />

und feministisch intervenieren.<br />

Auch an<strong>de</strong>re Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s CRA vermögen bereits vorgefasste I<strong>de</strong>en über <strong>de</strong>n<br />

Einsatz und Nutzen von Software vermittelt über die Partizipation von NutzerInnen<br />

tiefer gehend infrage zu stellen, als nur hinsichtlich <strong>de</strong>s Designs <strong>de</strong>r Benutzungsschnittstelle<br />

und <strong>de</strong>s reibungslosen Ablaufs computergestützter Arbeitsschritte. Dazu<br />

gehören etwa Workshops mit <strong>de</strong>n BenutzerInnen, die im Participatory Design häufig<br />

eingesetzt wer<strong>de</strong>n, um Interessenkonflikte zu thematisieren und Probleme, Ziele und<br />

Strategien von VertreterInnen verschie<strong>de</strong>ner Interessengruppen („stakehol<strong>de</strong>r“) zu<br />

diskutieren. 346 Das in <strong>de</strong>r Technologiegestaltung bekannteste Workshop-Format sind<br />

die Zukunftswerkstätten (Jungk/ Müllert 1989), die ursprünglich entwickelt wur<strong>de</strong>n, um<br />

<strong>de</strong>njenigen, die sonst nicht gefragt wer<strong>de</strong>n, z.B. BürgerInneninitiativen, einen Raum zur<br />

kreativen Lösung gesellschaftlicher Probleme in Bereichen wie <strong>de</strong>r Stadtplanung und<br />

<strong>de</strong>m Umweltschutz zu geben. Als ein erfahrungsbasiertes, teilnehmerInnen- und handlungsorientiertes<br />

Konzept soll es die TeilnehmerInnen zur Eigeninitiative und Übernahme<br />

von Verantwortung für die Zukunft anregen. Zukunftswerkstätten sind methodisch<br />

klar strukturiert. Eingebettet in eine Vor- und Nachbereitung, in <strong>de</strong>r die TeilnehmerInnen<br />

sich kennen lernen bzw. nachfolgen<strong>de</strong> Schritte klären, glie<strong>de</strong>rn sie sich in drei<br />

Phasen: eine Kritikphase, eine Utopiephase und eine Verwirklichungsphase. In <strong>de</strong>r<br />

Kritikphase wer<strong>de</strong>n Probleme, Kritikpunkte und negative Erfahrungen stichpunktartig<br />

gesammelt und thematisch geordnet. Ausgewählten Schwerpunkten wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />

anschließen<strong>de</strong>n Utopiephase Wünsche, Träume und Visionen <strong>de</strong>r TeilnehmerInnen<br />

entgegengesetzt. In <strong>de</strong>r Verwirklichungsphase wie<strong>de</strong>rum soll die Verbindung von <strong>de</strong>r<br />

Utopie zum Realen hergestellt wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m konkrete und praktische Schritte zur<br />

Umsetzung <strong>de</strong>r Visionen entwickelt wer<strong>de</strong>n. Eine wesentliche Rolle im Gruppenprozess<br />

nimmt die Mo<strong>de</strong>rationsperson ein, die für die Einhaltung grundlegen<strong>de</strong>r Regeln<br />

wie die Ausrichtung auf das Konkrete, das Zulassen von Visionen, aber auch das<br />

Unterbin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Diskussion einzelner Beiträge bzw. von Metakommunikation zuständig<br />

ist. Ziel ist es, je<strong>de</strong>r TeilnehmerIn in allen Phasen die Chance zur Äußerung bzw.<br />

Stellungnahme zu geben. Dabei wirken die vorgesehenen strikten Re<strong>de</strong>zeitbegrenzungen<br />

geschlechtstypischem Kommunikationsverhalten entgegen. Insgesamt stellen<br />

345<br />

Mir ist jedoch keine Fallstudie bekannt, in <strong>de</strong>r die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Organisations-Design-Spiele zu diesem<br />

Zweck eingesetzt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

346<br />

Zum Design mit Metaphern, das ebenfalls zu CRA gehört und grundsätzlichere Fragen aufwerfen kann<br />

vgl. auch die Ausführungen im Abschnitt 5.5.<br />

245


Zukunftswerkstätten eine strukturierte Brainstorming-Metho<strong>de</strong> dar, in <strong>de</strong>r ein<br />

spezifisches Problem in Gruppen von 10 bis 30 TeilnehmerInnen mit ein bis zwei<br />

Mo<strong>de</strong>ratorInnen über mehrere Stun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Tage nach basis<strong>de</strong>mokratischen Prinzipien<br />

bearbeitet wird.<br />

Zukunftswerkstätten wur<strong>de</strong>n für die Systementwicklung erstmals von Finn Kensing<br />

(1987) vorgeschlagen (siehe auch Kensing/ Madsen 1991). Doch auch das kooperative<br />

Design (Bødker et al. 1993) sieht etwa vor, nach <strong>einer</strong> Arbeitsanalyse und vor <strong>de</strong>m<br />

Designprozess im engeren Sinne eine Zukunftswerkstatt mit <strong>de</strong>n NutzerInnen<br />

durchzuführen. Ebenso wie die bisher vorgestellten Techniken kann die Metho<strong>de</strong> dazu<br />

beitragen, NutzerInnen am Technikgestaltungsprozess zu beteiligen, da in <strong>de</strong>r<br />

Alltagssprache kommuniziert wird und auf die Probleme, Bedürfnisse und Visionen<br />

realer NutzerInnen fokussiert wird. Sie ermöglicht sogar in <strong>einer</strong> noch früheren Phase<br />

als die papierbasierten Prototypen eine partizipative Intervention, da mit ihrer Hilfe<br />

neue Problem<strong>de</strong>finitionen und grundsätzliche Designi<strong>de</strong>en entwickelt wer<strong>de</strong>n können.<br />

Da sie thematisch offen und nicht auf <strong>de</strong>n Kontext von Arbeit beschränkt ist, könnte sie<br />

somit auch in Fällen wie <strong>de</strong>n intelligenten Häusern eingesetzt wer<strong>de</strong>n, um Hausarbeit<br />

bei <strong>de</strong>r Technikgestaltung zu berücksichtigen. Für <strong>de</strong>n Kontext <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit wird<br />

sie vor allem dann empfohlen, wenn durch <strong>de</strong>n Einsatz von Technologien gravieren<strong>de</strong><br />

Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Arbeitsabläufe und <strong>de</strong>r Organisationsstruktur eingeführt wer<strong>de</strong>n<br />

sollen. Damit bietet sie <strong>de</strong>n Vorteil, dass auch auf <strong>de</strong>r Ebene von geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r<br />

Arbeitsteilung Einfluss genommen wer<strong>de</strong>n kann. Festschreibungen gesellschaftlicher<br />

und betrieblicher Geschlechterhierarchien durch die Software, wie im Fall<br />

<strong>de</strong>s Krankenpflegepersonals und an<strong>de</strong>rer typischer Frauenberufe im Kapitel 4<br />

beschrieben, können auf diese Weise bereits in <strong>de</strong>r Phase <strong>de</strong>r Konzeptualisierung<br />

eines neuen Systems o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>ssen Re-Design im Prinzip vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Allerdings kann die Methodik keine Analyse <strong>de</strong>r im spezifischen Fall vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Zweigeschlechtlichkeit konstituieren<strong>de</strong>n Praktiken und Strukturen leisten, insbeson<strong>de</strong>re<br />

wenn diese komplexer Natur sind. An<strong>de</strong>rs als die bisher vorgestellten Verfahren<br />

grün<strong>de</strong>t diese Möglichkeit jedoch nicht nur auf <strong>einer</strong> geschlechter<strong>kritisch</strong>en Perspektive<br />

<strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen, die als Mo<strong>de</strong>ratorInnen zu <strong>einer</strong> neutralen Rolle gegenüber<br />

<strong>de</strong>m verhan<strong>de</strong>lten Problem verpflichtet sind. Vielmehr hängt es hier zugleich von <strong>de</strong>n<br />

TeilnehmerInnen und ihrem spezifischen Hintergrund ab, ob feministische Fragestellungen<br />

in <strong>de</strong>r Kritik, Vision und Verwirklichung thematisiert wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r nicht. Sie<br />

erscheint vor allem dann als De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie viel versprechend, wenn die<br />

GestalterInnen feministische Ziele verfolgen und die BenutzerInnen vorwiegend abhängig<br />

Beschäftigten sind, die in betrieblichen Hierarchieverhältnissen stehen.<br />

Ob jedoch in <strong>de</strong>mokratisch organisierten Workshops generierte Vorschläge am<br />

En<strong>de</strong> tatsächlich in Software umgesetzt wer<strong>de</strong>n, hängt von vielen weiteren Umstän<strong>de</strong>n<br />

ab, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r generellen Unterstützung durch das auftraggeben<strong>de</strong> Management.<br />

Kensing und Madsen erwähnen eine Reihe von praktischen Problemen bei <strong>de</strong>r<br />

Umsetzung von Zukunftswerkstätten, beispielsweise <strong>de</strong>n Zeitdruck, die Auswahl <strong>de</strong>r<br />

TeilnehmerInnen und die Schwierigkeit, dass die Mo<strong>de</strong>ratorInnen die Gruppe inspirieren<br />

sollen, ohne zu manipulieren (vgl. Kensing/ Madsen 1991, 167). An<strong>de</strong>re kritisieren<br />

die Metho<strong>de</strong> als zu diskurslastig: „Future workshops are purely intellectual/reflective<br />

and <strong>de</strong>tached from the practice they are meant to change – the discussions are about<br />

the practice, not in the practice“ (Mogensen 1991, 45). Diesem Argument lässt sich hier<br />

246


sicherlich insoweit folgen, als dass eine reine Diskursivierung nicht ausreicht, um<br />

alternative bzw. „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red technologies“ zu produzieren. Dennoch lassen sich<br />

gera<strong>de</strong> Geschlechtseinschreibungen – wie das Kapitel 4 gezeigt hat – nicht durch<br />

Praktiken, die allein auf Alltagswissen beruhen, begegnen. Vielmehr ist hierzu ein<br />

grundlegen<strong>de</strong>s Wissen über Geschlechterverhältnisse und hegemoniale Geschlechtersymbolisierungen<br />

notwendig. Im Gegensatz zu an<strong>de</strong>ren bislang diskutierten Ansätzen<br />

liegt jedoch gera<strong>de</strong> in Bezug auf Workshops und die kooperative Gestaltung von<br />

Software mit NutzerInnen eine Reihe von Erfahrungen in feministischen Projekten vor.<br />

5.3.4. Projekte „von und für Frauen“: Erfahrungen mit Qualifizierung,<br />

betrieblichem und technischem Empowerment in <strong>de</strong>r Praxis<br />

Seit <strong>de</strong>n 1980er Jahren wur<strong>de</strong>n immer wie<strong>de</strong>r partizipative Softwareentwicklungsprojekte<br />

mit Frauen durchgeführt, die in Bereichen so genannter typischer Frauenarbeit<br />

tätig waren. 347 Diese <strong>de</strong>uteten die Parteinahme <strong>de</strong>s CRA für die strukturell Schwächeren<br />

im Sinne dieser Nutzerinnen. Bereits in <strong>de</strong>n frühen Projekten wur<strong>de</strong> dabei <strong>de</strong>utlich,<br />

dass in Bereichen wie <strong>de</strong>r Büroarbeit, Krankenpflege und Bibliothek nicht nur die<br />

betrieblichen Hierarchien, son<strong>de</strong>rn zugleich die Beziehungen zwischen EntwicklerInnen<br />

und Anwen<strong>de</strong>rInnen zutiefst von <strong>de</strong>r strukturell-symbolischen Geschlechterordnung<br />

geprägt sind. Deshalb zielten die Vorhaben sowohl auf <strong>de</strong>r organisatorischen Ebene<br />

wie in technischer Hinsicht auf ein Empowerment <strong>de</strong>r Frauen..<br />

So trat etwa das britische „City Library“-Projekt in öffentlichen Bibliotheken (Green et<br />

al. 1993b) mit <strong>de</strong>m Anspruch an, bestehen<strong>de</strong> involvement by the participants in<br />

working on an agenda which they <strong>de</strong>fine themselves. The groups can provi<strong>de</strong> a basis<br />

for the process which Ungleichheitsstrukturen zwischen TechnikexpertInnen und<br />

NichtexpertInnen sowie zwischen Management und Arbeiten<strong>de</strong>n in Frage zu stellen.<br />

Dort wur<strong>de</strong>n keine Zukunftswerkstätten, aber ein an<strong>de</strong>res Verfahren <strong>de</strong>r Gruppenarbeit<br />

mit Nutzerinnen, die so genannten „Study Circles“, die ebenfalls zum Metho<strong>de</strong>nrepertoire<br />

<strong>de</strong>s Collective Resource Ansatzes zählen, erfolgreich eingesetzt, um die Interessen<br />

von Frauen als Bibliothekangestellten in die Systemgestaltung einzubringen und<br />

eine Kooperationsebene mit <strong>de</strong>n EntwicklerInnen zu etablieren. „In contrast with<br />

management-inspired ‚quality circles‘, study circles emphasize active feminists would<br />

call ‚consciousness-raising‘: sharing and comparing experiences in or<strong>de</strong>r to raise<br />

questions and <strong>de</strong>velop new un<strong>de</strong>rstandings.“ (Green et al. 1993b, 133). Der Einsatz<br />

von „study circles“ erschien in diesem Projekt beson<strong>de</strong>rs geeignet, da die Vorstellungen<br />

über die zukünftige Computerunterstützung von Ambivalenz und Unsicherheit<br />

geprägt waren und die Prioritäten und Anfor<strong>de</strong>rungen an das System noch festgelegt<br />

wer<strong>de</strong>n mussten. Die Metho<strong>de</strong> lud die weiblichen Bibliotheksangestellten dazu ein „to<br />

review their own working knowledge and experience, and to use it actively in assessing<br />

new library system possibilities“ (ebd.), anstatt auf die I<strong>de</strong>en und Vorschläge an<strong>de</strong>rer –<br />

etwa Vorgesetzter o<strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen – nur zu reagieren. Die ForscherInnen,<br />

die das Projekt begleiteten, betonen allerdings, dass Erfolg und Grenzen <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong><br />

stark von <strong>de</strong>n organisatorischen Rahmenbedingungen abhängen. So sollten die „study<br />

347 Das früheste Software-Projekt dieser Art ist das norwegische FLORENCE-Projekt zur Unterstützung<br />

<strong>de</strong>r Zusammenarbeit von Krankenschwestern, vgl. Bjerknes/ Bratteteig 1986, 1987 sowie <strong>de</strong>n letzten<br />

Abschnitt zum „Participatory Design“.<br />

247


circles“ während <strong>de</strong>r Arbeitszeit stattfin<strong>de</strong>n, vom Management unterstützt und die<br />

erarbeiteten Vorschläge von <strong>de</strong>n EntscheidungsträgerInnen anerkannt wer<strong>de</strong>n (vgl.<br />

ebd., 149).<br />

Auf diese Voraussetzungen für einen för<strong>de</strong>rlichen Beteiligungsprozess weisen auch<br />

die Erfahrungen in einem finnischen Projekt mit Büroangestellten (Vehviläinen 1991)<br />

hin, in <strong>de</strong>m ebenfalls Arbeitskreise („Study Circels“) eingerichtet wur<strong>de</strong>n, um die<br />

Handlungsmöglichkeiten <strong>de</strong>r Beschäftigten zu erweitern. „Hauptaufgabe <strong>de</strong>r Gruppe<br />

war die Analyse <strong>de</strong>r Arbeitsprozesse. Die Gruppe traf sich wöchentlich für zwei<br />

Stun<strong>de</strong>n. Im ersten Schritt wur<strong>de</strong>n die Möglichkeiten künftiger Informationssysteme mit<br />

Bezug zur täglichen Arbeit thematisiert. In einem zweiten Schritt begannen die Frauen<br />

technische Konzepte in ihrer eigenen Sprache zu formulieren. Im dritten Schritt<br />

diskutierten die Frauen ihre technischen Fragen und Probleme mit Experten, die nicht<br />

<strong>de</strong>r Gruppe angehörten“ (vgl. Hammel 2003, 85). Mit dieser Arbeitsweise waren die<br />

zukünftigen Anwen<strong>de</strong>rInnen zwar darin erfolgreich, konkrete Vorschläge zur IT-Unterstützung<br />

ihrer Tätigkeiten zu machen. Die (sich ausschließlich aus Männern zusammensetzen<strong>de</strong>n)<br />

Softwareentwickler ignorierten jedoch schlichtweg die von <strong>de</strong>r Gruppe<br />

erarbeiteten Verän<strong>de</strong>rungsvorschläge. Somit wur<strong>de</strong> die bestehen<strong>de</strong> geschlechtshierarchische<br />

Arbeitsteilung aufrechterhalten und <strong>de</strong>r hohe Status von SoftwareentwicklerInnen<br />

vermittelt über <strong>de</strong>n Technikentwicklungsprozess wie<strong>de</strong>rhergestellt.<br />

Vehviläinens Studie bestätigt die Relevanz <strong>de</strong>r Rahmenbedingungen für die<br />

erfolgreiche Umsetzung methodischer Konzepte in <strong>de</strong>r Praxis. In diesem Fall ist zu<br />

berücksichtigen, dass die Forscherin mit Frauen als Büroarbeitskräften zusammenarbeitete,<br />

um herauszufin<strong>de</strong>n, ob diese selbst Entwicklungsarbeit im Rahmen ihrer<br />

Tätigkeit leisten können. Dass ihre Fragestellung we<strong>de</strong>r vom Management noch von<br />

<strong>de</strong>n technischen EntwicklerInnen unterstützt wur<strong>de</strong>, erklärt <strong>de</strong>n wirksamen Wi<strong>de</strong>rstand<br />

gegen die Vorschläge <strong>de</strong>r Beschäftigten, die zu<strong>de</strong>m auf grundlegen<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rungen<br />

in Organisation und Arbeitsstrukturen zielten. Verschie<strong>de</strong>ne <strong>kritisch</strong>e Studien über<br />

Software-Entwicklungsprojekte haben Probleme aufgezeigt, Partizipation in <strong>de</strong>r Praxis<br />

umzusetzen. So wür<strong>de</strong> statt <strong>de</strong>r Beschäftigten oft nur das Management in Softwareentwicklungsprozesse<br />

einbezogen, die vorgefun<strong>de</strong>ne organisatorische und hierarchische<br />

Struktur wer<strong>de</strong> nicht hinterfragt, bestehen<strong>de</strong> Normen verstärkt und Konflikte<br />

ignoriert (vgl. etwa Green et al. 1991). GeschlechterforscherInnen haben darüber<br />

hinaus darauf verwiesen, dass die Autorität und <strong>de</strong>r Status <strong>de</strong>s Wissens von Anwen<strong>de</strong>rInnen,<br />

insbeson<strong>de</strong>re von Frauen, durch technisches Expertentum, das zumeist in<br />

<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n von Männern liegt, in <strong>de</strong>r Praxis häufig abgewertet wird (vgl. etwa<br />

Suchman/ Jordan 1989). Insofern stellt sich die Frage nach <strong>de</strong>m Zusammenhang von<br />

Beteiligungsprozessen, Geschlechterhierarchie und Geschlechter-Technik-Verhältnissen.<br />

Inwieweit kann eine Partizipation von Frauen als Beschäftigten am Softwareentwicklungsprozess,<br />

die eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen NutzerInnen<br />

und ExpertInnen anstrebt, dazu beitragen, geschlechtshierarchischen Strukturen am<br />

Arbeitsplatz entgegenzuwirken und sie technologisch zu ermächtigen?<br />

Eine jüngere Studie von Martina Hammel (2003) bestätigt das allgemeine Ergebnis,<br />

dass <strong>de</strong>r Erfolg partizipativer Maßnahmen von <strong>de</strong>n Rahmenbedingungen, insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung durch das Management abhängt, sie lotet dabei jedoch genau die<br />

Beziehung von Beteiligung und verschie<strong>de</strong>nen Aspekten <strong>de</strong>r Geschlechterordnung<br />

aus. Sie untersuchte zwei Partizipationsprojekte mit Frauen, bei <strong>de</strong>nen eine Reihe<br />

248


mittlerweile bekannter Mängel in Beteiligungsverfahren vermie<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n. So wur<strong>de</strong>n<br />

die für das Softwareprojekt ausgewählten Benutzerinnen für die Zeit <strong>de</strong>r Projektarbeit<br />

von ihren sonstigen Aufgaben freigestellt. Sie erhielten projektbezogene Qualifizierungen<br />

sowie ein Stimmrecht im Entscheidungsgremium. 348 Darüber hinaus wur<strong>de</strong> die<br />

Position <strong>de</strong>r Benutzerinnen gegenüber <strong>de</strong>r von Männern dominierten Gruppe <strong>de</strong>r Entwickler<br />

gestärkt, in<strong>de</strong>m sie Anfor<strong>de</strong>rungen an das System in <strong>de</strong>r Gruppe – ähnlich <strong>de</strong>n<br />

„Study Circles“ – eigenständig kooperativ bzw. ohne formale Hierarchien erarbeiten<br />

konnten. Bei Verhandlungen mit <strong>de</strong>n Entwicklern wur<strong>de</strong>n sie durch Beraterinnen eines<br />

Frauensoftwarehauses darin unterstützt, ihre Interessen zu vertreten und eine aktive<br />

Rolle zu übernehmen. Hammel betont, dass die Projekte, obwohl sie „im täglichen<br />

Leben“ unter zeitlichen Restriktionen und erfolgsrelevanten Kriterien stattfan<strong>de</strong>n, in<br />

Bezug auf die Partizipation <strong>de</strong>r NutzerInnen am Softwareentwicklungsprozess einen<br />

nahezu vorbildlichen Charakter hatten (vgl. ebd., 113). Mit Hilfe <strong>de</strong>s Beteiligungsmo<strong>de</strong>lls,<br />

<strong>de</strong>s Entscheidungsgremiums und weiterer Elemente gelang es, die zentralen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Benutzerinnen in Bezug auf Arbeitsabläufe, -organisation und<br />

Benutzungsschnittstelle adäquat zu erfassen und dabei zugleich eine gewisse Flexibilität<br />

<strong>de</strong>r Software zu gewährleisten. Nach Einschätzung <strong>de</strong>r Beteiligten wäre eine<br />

solch gute Anpassung an die realen Arbeitserfor<strong>de</strong>rnisse ohne die mittels <strong>de</strong>r<br />

genannten Maßnahmen sicher gestellte aktive Partizipation <strong>de</strong>r Benutzerinnen nicht<br />

möglich gewesen. Hammels Untersuchung geht jedoch über die Frage <strong>de</strong>r adäquaten<br />

Ermittlung von Anfor<strong>de</strong>rungen und passen<strong>de</strong>n Benutzungsschnittstellen durch Partizipation<br />

hinaus. Vielmehr arbeitet sie anhand von Interviews mit <strong>de</strong>n Benutzerinnen<br />

heraus, inwieweit, aufgrund <strong>de</strong>r eingesetzten partizipativen Maßnahmen die<br />

Geschlechterordnung aufgebrochen wer<strong>de</strong>n konnte und wo in dieser Hinsicht Grenzen<br />

<strong>de</strong>s Ansatzes bestehen. Sie zeigt damit die Vielfältigkeit <strong>de</strong>r Effekte von Technikentwicklungsprozessen<br />

auf Geschlechteraspekte auf.<br />

Bei<strong>de</strong> Fallstudien fokussierten auf <strong>de</strong>n Nutzungskontext eines traditionellen<br />

Frauenerwerbsbereiches, <strong>de</strong>r durch einen niedrigen Status und geringe Entscheidungsspielräume<br />

gekennzeichnet ist. Im Vergleich zu dieser Position in <strong>de</strong>r innerbetrieblichen<br />

Hierarchie bekamen die beteiligten Benutzerinnen innerhalb <strong>de</strong>s Softwareentwicklungsprojekts<br />

eine neue Rolle zugewiesen. Sie konnten nun selbstständig,<br />

verantwortungsvoll und konzeptionell arbeiten, Entscheidungen treffen und erhielten<br />

somit einen höheren Status – eine Arbeitsweise und Position, die die Nutzerinnen<br />

fachlich als Bereicherung und Bestärkung empfan<strong>de</strong>n und gern fortgesetzt hätten. Die<br />

betriebliche Hierarchie, die grundlegend auf <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n<br />

Arbeitsteilung basiert, wur<strong>de</strong> somit während <strong>de</strong>r Entwicklungszeit ein Stück<br />

weit außer Kraft gesetzt. Jedoch zeigen die empirischen Ergebnisse, dass die Logik<br />

<strong>de</strong>r Projektorganisation mit <strong>de</strong>r Logik <strong>de</strong>r betrieblichen Organisation kollidieren kann,<br />

wenn die Vorgesetzten die neue, starke Rolle <strong>de</strong>r Benutzerinnen nicht akzeptieren.<br />

„Das Beteiligungsmo<strong>de</strong>ll löst die Benutzerinnen <strong>einer</strong>seits aus <strong>de</strong>m hierarchischen<br />

Gefüge <strong>de</strong>r betrieblichen Organisation heraus, an<strong>de</strong>rerseits wirken die festgefahrenen<br />

Strukturen, personifiziert in einigen fachlichen Vorgesetzten, weiter.“ (Hammel 2003,<br />

156). Ein herkömmlicher, hierarchischer Führungsstil behin<strong>de</strong>re <strong>de</strong>shalb nicht nur <strong>de</strong>n<br />

348 Hingegen wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n EntwicklerInnen in <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r Fallstudien lediglich ein Anhörungsrecht, eine<br />

Berichtspflicht, aber keine Stimmberechtigung zugestan<strong>de</strong>n, vgl. Hammel 2003, 167.<br />

249


Partizipationsprozess. Er stelle die Benutzerinnen vor die doppelte Herausfor<strong>de</strong>rung,<br />

neue, ungewohnte Aufgaben erfüllen zu müssen und ihre im Beteiligungsmo<strong>de</strong>ll<br />

vorgesehene Position immer wie<strong>de</strong>r neu erkämpfen zu müssen.<br />

In ähnlicher Weise kontextabhängig <strong>de</strong>utet Hammel das Aufbrechen geschlechtlich<br />

geprägter Beziehungsmuster zwischen Entwicklern und Benutzerinnen sowie das<br />

technische Empowerment von Frauen als Beschäftigten in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Projekten. So<br />

gab das formale Beteiligungsmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>n Frauen zwar mehr Entscheidungsmacht als in<br />

herkömmlichen Verfahren und entwickelten, unterstützt durch die Beraterinnen, im<br />

Laufe <strong>de</strong>s Prozesses ein fachliches wie technisches Selbstbewusstsein. Die Benutzerinnen<br />

lernten die technischen Inhalte zu verstehen, um mit <strong>de</strong>n Entwicklern diskutieren<br />

zu können, sie gewannen ein Verständnis für die technischen Möglichkeiten, um<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen an die neue Software überzeugt zu formulieren, und entwickelten<br />

Selbstbewusstsein, um die erarbeiteten Anfor<strong>de</strong>rungen gegenüber <strong>de</strong>n Entwicklern<br />

und Vorgesetzten vertreten zu können. Auch über <strong>de</strong>n Austausch und die Arbeit in <strong>de</strong>r<br />

Gruppe entwickelten sie eine Stärke gegenüber <strong>de</strong>n Technikern.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Kommunikation mit <strong>de</strong>n Entwicklern weiterhin höchst<br />

stereotype Verhaltensmuster zwischen Frauen und Männern reproduziert. So wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>utlich, dass die Entwickler keine verständlichen Erklärungen gaben, die eigene technische<br />

Kompetenz häufig überschätzten und die <strong>de</strong>r Benutzerinnen unterschätzten.<br />

„Während die Frauen […] Verständnis für aus ihrer Sicht unakzeptable Verhaltensweisen<br />

zeigen und sich in die ‚Welt <strong>de</strong>r Entwickler‘ einarbeiten, wird für die<br />

Benutzerinnen kein ‚Auf-sie-zukommen‘ <strong>de</strong>r Entwickler erkennbar“ (Hammel 2003,<br />

148). Einige Frauen befürchteten „dumme Fragen“ zu stellen, an<strong>de</strong>re hatten durch die<br />

technische Qualifizierung mehr Selbstsicherheit gewonnen und ließen „Besserwisser“<br />

mit dominantem Verhalten in <strong>de</strong>n Entscheidungsgremien auflaufen. Bemerkenswert<br />

erscheint, dass diese höchst geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen von <strong>de</strong>n<br />

Interviewten als individuelle Strategien interpretiert wur<strong>de</strong>n und nicht als ein Ausdruck<br />

<strong>de</strong>s symbolischen Geschlechter-Technik-Verhältnisses. Deshalb erscheint es<br />

wesentlich, solche Vorstellungen, welche die Begegnungen im Softwareentwicklungsprozess<br />

prägen, aus <strong>einer</strong> Geschlechterperspektive gemeinsam zu reflektieren. In<br />

<strong>de</strong>n Projekten wur<strong>de</strong>n Reflektionsanteile durch die Beraterinnen eines Frauensoftwarehauses<br />

eingebracht, die sowohl während <strong>de</strong>r Qualifizierungssitzungen und bei <strong>de</strong>r<br />

Mo<strong>de</strong>ration <strong>de</strong>r Benutzerinnen-Workshops in <strong>de</strong>r Gruppe als auch in <strong>de</strong>r Kommunikation<br />

mit <strong>de</strong>n Entwicklern auf strukturelle und vergeschlechtlichte Aspekte aufmerksam<br />

machten. In einem <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Projekte wur<strong>de</strong> darüber hinaus eine „Qualifizierung zur<br />

Beteiligung“ durchgeführt, in <strong>de</strong>r Problematiken <strong>de</strong>r Kommunikation zwischen TechnikgestalterInnen<br />

und BenutzerInnen einschließlich ihrer geschlechtlichen Dimensionen<br />

thematisiert wer<strong>de</strong>n konnten. 349<br />

Hammels Untersuchung ver<strong>de</strong>utlicht, dass in einem Partizipationsprozess mit<br />

Benutzerinnen aus einem Bereich traditioneller Frauenerwerbsarbeit min<strong>de</strong>stens drei<br />

verschie<strong>de</strong>ne Hierarchieverhältnisse Beachtung fin<strong>de</strong>n müssen: die strukturelle Ebene<br />

349 Die Studie verweist auf zwei weitere Bedingungen von Partizipationsprojekten mit Frauen, für die keine<br />

intervenieren<strong>de</strong>n Maßnahmen angegeben wer<strong>de</strong>n. Einerseits können strukturelle Voraussetzungen wie<br />

die traditionelle Zuständigkeit für Familie und Beziehung das zeitliche Engagement <strong>de</strong>r Benutzerinnen<br />

begrenzen. An<strong>de</strong>rerseits vermin<strong>de</strong>rte das Beteiligungsprojekt nach Einschätzung betroffener Frauen die<br />

Distanz zu Vorgesetzten und ermöglichte dadurch sexuelle Belästigungen und Übergriffe.<br />

250


<strong>de</strong>s Benutzerinnen-Entwickler-Verhältnisses, Beziehungsaspekte in <strong>de</strong>r Kommunikation<br />

zwischen diesen bei<strong>de</strong>n Gruppen sowie allgemeine symbolische Ebenen <strong>de</strong>s<br />

Geschlechter-Technik-Verhältnisses. Erstens wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Hierarchie zwischen technik-<br />

und anwendungsbezogenem Wissen, die mit <strong>de</strong>n Inhalten <strong>de</strong>r Tätigkeit von Entwicklern<br />

und Benutzerinnen korreliert, in <strong>de</strong>n Projekten durch strukturelle Maßnahmen (z.B.<br />

eigenständig arbeiten<strong>de</strong> Benutzerinnengruppe, Stimmrecht im Entscheidungsgremium)<br />

begegnet. 350 Diese Machtunterschie<strong>de</strong> formen jedoch zweitens die Beziehungen und<br />

die Kommunikation zwischen Benutzerinnen und Entwicklern bzw. Vorgesetzten mit.<br />

Deshalb wur<strong>de</strong>n die Benutzerinnen durch die Beraterinnen darin unterstützt, ihre<br />

eigene Rolle im Prozess wichtig zu nehmen sowie Handlungsmöglichkeiten und Stärken<br />

zu erkennen – entgegen <strong>de</strong>ren üblicher Erfahrung, eher nicht ernst genommen,<br />

angegriffen o<strong>de</strong>r ignoriert zu wer<strong>de</strong>n. Auf <strong>de</strong>r dritten Hierarchieebene, die <strong>de</strong>n<br />

Beteiligungsprozess durchdringt, <strong>de</strong>n geschlechtsstereotypen Zuschreibungen in<br />

Bezug auf Technik, intervenierten die Beraterinnen vor allem durch entsprechen<strong>de</strong><br />

Reflektionsphasen in <strong>de</strong>n Treffen <strong>de</strong>r Frauengruppe und Qualifizierung zur Beteiligung.<br />

Insgesamt zeigt die Studie Hammels auf, dass eine Qualifizierung von Benutzerinnen,<br />

die Einrichtung eigenständig arbeiten<strong>de</strong>r Benutzerinnengruppen zur Anfor<strong>de</strong>rungsermittlung,<br />

Transparenz und Sicherstellung <strong>de</strong>s Informationsflusses sowie eine<br />

Beratung <strong>de</strong>r Benutzerinnen durch ein Frauensoftwarehaus wirksame „strategische<br />

Interventionen“ 351 darstellen, um geschlechterhierarchischen Aspekten in Technikgestaltungsprozessen<br />

zu begegnen – insbeson<strong>de</strong>re, wenn Software für typische Frauenarbeitsplätze<br />

entwickelt wer<strong>de</strong>n soll. Sie vermögen <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>llmonopol <strong>einer</strong> technisch<br />

orientierten Entwicklungssicht entgegenzuwirken, stellen <strong>de</strong>n Benutzerinnen ein<br />

technisches Wissen zur Verfügung, welches diesen zugleich als Grundlage für<br />

Entscheidungen dient, und ermöglichen eine strategisch bessere Verhandlungsposition<br />

in <strong>de</strong>n Sitzungen <strong>de</strong>s Entscheidungsgremiums und <strong>de</strong>r Design-Teams. Dabei sind die<br />

partizipativen Maßnahmen vor allem geeignet, um das Machtgefälle zwischen Entwicklern<br />

und Benutzerinnen auszugleichen und eine Brücke zur Kommunikation<br />

herzustellen, die für eine Anfor<strong>de</strong>rungsermittlung und Erstellung adäquater Benutzungsschnittstellen<br />

unabdingbar ist. Die betriebliche Machtkonstellation erscheint<br />

dagegen nicht in gleichem Maße durch die Vorgehensmo<strong>de</strong>lle beeinflussbar zu sein,<br />

wenngleich sie durchaus für die Beteiligten im Hinblick auf ihre persönliche Entwicklung<br />

Konsequenzen haben kann. „Die strategischen Interventionen helfen zwar individuelle<br />

und kollektive Stärken und Selbstbewusstsein zu entwickeln, eine Verän<strong>de</strong>rung<br />

in Status und Anerkennung bleibt jedoch aus.“ (Hammel 2003, 202).<br />

Während die von Hammel vorgeschlagenen strategischen Interventionen primär<br />

darauf zielen, eine Re-Produktion von Geschlechterhierarchie in <strong>de</strong>njenigen<br />

Technikgestaltungsprozessen zu vermei<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>nen die zukünftigen NutzerInnen in<br />

350 Aus <strong>einer</strong> Notsituation heraus führten die Beraterinnen in einem <strong>de</strong>r Projekte zusätzlich das umstrittene<br />

Element <strong>de</strong>r Sitzungsunterbrechung ein, um in Fällen dringen<strong>de</strong>n Klärungsbedarfs während <strong>de</strong>s Design-<br />

Workshops mit <strong>de</strong>n Entwicklern Zeit für Rücksprache und Informationsaustausch zu bieten.<br />

351 Mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r „strategischen Intervention“ bezieht sich Hammel auf Konzepte, die Software-<br />

Entwicklung als Intervention in die Anwendungsorganisation betrachten, vgl. Dahlbom/ Matthiasen 1993,<br />

Kuhnt 1998. Demgegenüber versteht Hammel unter strategischen Interventionen primär diejenigen<br />

„Elemente, die <strong>de</strong>n partizipativen Prozess beeinflussen, um (geschlechter)hierarchisch geprägte<br />

Strukturen, implizite Zuschreibungen und individuelle Handlungsweise aufzubrechen.“ (Hammel 2003, 91).<br />

Es geht um Maßnahmen, die geeignet sind, in hierarchische Verhältnisse zu Gunsten <strong>de</strong>r Benachteiligten<br />

einzugreifen.<br />

251


traditionellen Frauenberufen tätig sind, fokussieren an<strong>de</strong>re aktuelle Projekte „von<br />

Frauen für Frauen“ stärker auf das Geschlechter-Technik-Verhältnis. Ein überzeugen<strong>de</strong>s<br />

Beispiel dieser Art ist das Projekt <strong>de</strong>r virtuellen Frauenuniversität (vifu) (Schelhowe<br />

2001, Kreutzner et al. 2003, Guerses 2003), welches darauf zielte, Frauen Neugier und<br />

Spaß an <strong>de</strong>r Technik zu vermitteln und eine „offene Technikkultur“ herzustellen. Dieses<br />

war im Gegensatz zu <strong>de</strong>n zuvor beschriebenen nicht in einem betrieblichen, son<strong>de</strong>rn<br />

im universitären Kontext angesie<strong>de</strong>lt. Die Nutzerinnen waren Stu<strong>de</strong>ntinnen, Praktikerinnen<br />

und Forscherinnen, die aus aller Welt zu <strong>einer</strong> dreimonatigen gemeinsamen<br />

Projektarbeit zusammen kamen, welche ebenso unterstützt wer<strong>de</strong>n sollte wie nachfolgen<strong>de</strong><br />

Vernetzung und Kommunikation, wenn die Frauen in ihre Heimatlän<strong>de</strong>r zurückgekehrt<br />

waren. Ein weiterer Unterschied bestand darin, dass dabei ausschließlich<br />

Frauen als Entwicklerinnen tätig waren. Diese bil<strong>de</strong>ten zusammen mit einigen<br />

stu<strong>de</strong>ntischen Beraterinnen ein engagiertes Team, das die technische Entwicklung als<br />

Gestaltung sozialer Prozesse begriff und explizit feministische Zielsetzungen verfolgte.<br />

Die Arbeit im Team war selbstständig, eigenverantwortlich und durch ein hohes Maß<br />

an Entscheidungsspielräumen und Transparenz geprägt. Statt hierarchischer Struktur<br />

und Kontrolle wur<strong>de</strong> in <strong>einer</strong> Atmosphäre gegenseitiger Wertschätzung viel Bericht<br />

erstattet, diskutiert und ausgetauscht. Dieses Klima übertrug sich zugleich auf die<br />

Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Nutzerinnen.<br />

Das Gestaltungsteam hatte die Aufgabe, <strong>de</strong>n Server, die Lernumgebung und die<br />

Werkzeuge zu entwickeln sowie <strong>de</strong>n Benutzerinnen zugleich ein Betreuungs- und<br />

Schulungsangebot zur Verfügung zu stellen. Damit war <strong>de</strong>r Prozess nicht im engeren<br />

Sinne partizipativ angelegt, jedoch mit <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>s „Learning-by-doing-and-asking“<br />

<strong>einer</strong>seits stark an <strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>r Benutzerinnen orientiert, an<strong>de</strong>rerseits sollte<br />

auf diese Weise Neugier auf Technik geweckt und eine neue technische Kommunikationskultur<br />

unter Frauen etabliert wer<strong>de</strong>n: „Ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Prinzip war, dass<br />

Fragen nicht ‚einfach’ beantwortet wur<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn durch Rückfragen und durch<br />

Einbeziehung an<strong>de</strong>rer Teilnehmerinnen ein Klima <strong>de</strong>s Fragens und Beratens und<br />

gemeinsamen Herausfin<strong>de</strong>ns geschaffen wur<strong>de</strong>.“ (Schelhowe 2001, 17). Ein zweites<br />

Prinzip <strong>de</strong>s Projekts bestand darin, Technik für die Benutzerinnen als einen offenen<br />

und sichtbaren Prozess erfahrbar zu machen, an <strong>de</strong>m je<strong>de</strong> als „mündige“ und<br />

interessierte Nutzerin mitwirken kann. Die Nutzerinnen konnten Kritik, Ansprüche und<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen kommunizieren, schrittweise technisches Wissen erwerben und sich<br />

somit selbst an <strong>de</strong>r Produktion von Inhalten und Technologie beteiligen. Auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage und mit Hilfe <strong>de</strong>s Einsatzes von Open-Source-Software war es möglich<br />

gewor<strong>de</strong>n, dass die Nutzerinnen die Software nicht als ein fertiges Produkt, son<strong>de</strong>rn<br />

als Dienstleistung von konkreten Menschen verstehen. Dadurch, dass <strong>de</strong>r Herstellungsprozess<br />

sichtbar gemacht wur<strong>de</strong>, konnten Möglichkeiten <strong>de</strong>s eigenen Eingreifens<br />

<strong>de</strong>utlich und Grenzen zwischen Technikkonstruktion und Techniknutzung fließend<br />

wer<strong>de</strong>n. Eine solche technische Ermächtigung <strong>de</strong>r Nutzerinnen wirkt in zweifacher<br />

Hinsicht <strong>de</strong>n traditionellen Geschlechter-Technik-Verhältnissen entgegen. Zum einen<br />

wur<strong>de</strong>n die Frauen selbst technisch qualifiziert, zum an<strong>de</strong>ren konnte die geschlechtlich<br />

zutiefst kodierte Dichotomie von Technikgestaltung und -nutzung ein Stück weit<br />

aufgeweicht wer<strong>de</strong>n. Diese De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie konnte in <strong>de</strong>m weiteren<br />

„Sekretariat-Assistenz-Netzwerk (S-A-N)“-Projekt an <strong>de</strong>r Bremer Universität, d.h.<br />

252


wie<strong>de</strong>rum in einem traditionellen Frauenberuf, ebenso erfolgreich eingesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

(vgl. Schelhowe et al. 2005).<br />

Das vifu- und das S-A-N-Projekt beziehen sich zwar methodisch nicht auf die<br />

partizipativen Gestaltungsansätze <strong>de</strong>r skandinavischen Schule, können aber <strong>de</strong>nnoch<br />

als eine spezifische Form <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>s Prinzips <strong>de</strong>r engen Kooperation von<br />

EntwicklerInnen und Anwen<strong>de</strong>rInnen <strong>de</strong>s CRA verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, die für aktuelle<br />

Projekte „von Frauen für Frauen“ viel versprechend erscheint. Es erscheint spannend,<br />

die Prinzipien <strong>de</strong>s „Learning-by-doing-and-asking“ und <strong>de</strong>r Transparentmachung und<br />

Öffnung von Technikgestaltungsprozessen für die Nutzerinnen stärker mit <strong>de</strong>n <strong>kritisch</strong>partizipativen<br />

Metho<strong>de</strong>n zu verknüpfen und darin theoretisch zu begrün<strong>de</strong>n.<br />

Insgesamt steht also mit <strong>de</strong>r nutzungszentrierten und partizipativen Technikgestaltung<br />

ein umfangreiches Metho<strong>de</strong>nrepertoire zur Verfügung, um Geschlechtseinschreibungen<br />

in Software, die für spezielle NutzerInnengruppen, insbeson<strong>de</strong>re Frauen in typischen<br />

Frauenberufen, konzipiert ist, zu vermei<strong>de</strong>n. Dabei zeigte sich jedoch, dass für<br />

ein erfolgreiches De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte unterschiedliche Dimensionen<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung auszudifferenzieren und zu adressieren sind, die jeweils<br />

adäquate Metho<strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rn, welche nicht immer im gleichen Maße wirksam wer<strong>de</strong>n<br />

können. Während nutzerInnenzentrierte Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Anfor<strong>de</strong>rungsanalyse zu einem<br />

besseren Verständnis von Arbeit beitragen und dabei auch Aspekte als „typisch<br />

weiblich“ gelten<strong>de</strong>r, unsichtbarer Arbeit aufge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n können, die für eine adäquate<br />

technische Unterstützung traditionellen Frauentätigkeiten notwendig sind,<br />

erscheint es schwieriger, Einschreibungen geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung<br />

in die Software mit Hilfe <strong>informatischer</strong> Metho<strong>de</strong>n entgegenzuwirken. So erzielten viele<br />

Projekte „von Frauen für Frauen“, die auf partizipativen Ansätzen zur Technikgestaltung<br />

grün<strong>de</strong>n, ein Empowerment <strong>de</strong>r Betroffenen, in<strong>de</strong>m diese technisch qualifiziert<br />

wur<strong>de</strong>n und ihre Arbeitsplätze erhalten wer<strong>de</strong>n konnten, die durch <strong>de</strong>n Einsatz von<br />

Softwaresystemen bedroht waren. Die prinzipielle Chance dagegen, Arbeit über <strong>de</strong>n<br />

Gestaltungsprozess bewusst so zu re-organisieren, dass eine bestehen<strong>de</strong> betrieblichorganisatorische<br />

Geschlechterhierachie durch <strong>de</strong>n Technikeinsatz ausgehebelt wird,<br />

ließ sich empirisch nicht bestätigen, wenngleich die betriebliche Hierarchie zumin<strong>de</strong>st<br />

während <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Entwicklungsprozesses abgeschwächt wer<strong>de</strong>n konnte. Ein<br />

weiterer Aspekt betrifft das symbolische Geschlechter-Technik-Verhältnis und das<br />

zweigeschlechtlich geprägte Gefälle von EntwickerInnen und NutzerInnen. Diesen lässt<br />

sich insbeson<strong>de</strong>re durch Partizipation, „<strong>de</strong>sign-by-doing-and-asking“ sowie durch eine<br />

offene Technikkultur begegnen, durch die NutzerInnen (z.B. abhängig beschäftigte<br />

Frauen) Mitverantwortung für <strong>de</strong>n Softwareentwicklungsprozess erhalten und Technik<br />

als gestaltbar wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann – und nicht wie so oft üblich als „gegeben“.<br />

Der Erfolg dieser De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategien hängt jedoch, wie verschie<strong>de</strong>ne Projekte<br />

„von Frauen für Frauen“ ver<strong>de</strong>utlichen, häufig weniger von <strong>de</strong>n eingesetzten Metho<strong>de</strong>n<br />

als von <strong>de</strong>n Rahmenbedingungen <strong>de</strong>s jeweiligen Projekts (z.B. Unterstützung durch<br />

das Management, Frauen als Technikentwicklerinnen und Beraterinnen, kooperative<br />

Beziehung zwischen NutzerInnen und EntwicklerInnen etc.) ab.<br />

253


5.4. „Design for Experience and Reflection“: Geschlecht durch Technologie<br />

<strong>de</strong>konstruieren<br />

Die dritte Klasse <strong>informatischer</strong> Artefakte, <strong>de</strong>ren De-Gen<strong>de</strong>ring ich in diesem Kapitel<br />

genauer betrachten möchte, umfasst diejenigen, die sich als Technologien <strong>de</strong>r Selbstgestaltung<br />

lesen lassen, da sie – insbeson<strong>de</strong>re durch Verkörperung – zur Subjektkonstitution<br />

und Konstruktion von (Geschlechts-)I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r NutzerInnen beitragen. Zu<br />

dieser Klasse gehören inbeson<strong>de</strong>re menschenähnliche virtuelle Figuren, die entwe<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n NutzerInnen als virtuelle StellvertreterInnen dienen o<strong>de</strong>r diesen als eigenständig<br />

o<strong>de</strong>r semi-autonom „han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>“ Entitäten gegenüber treten. Die einen fin<strong>de</strong>n sich als<br />

Avatare in Online-Gemeinschaften o<strong>de</strong>r als Spielfiguren in Computerspielen, die primär<br />

zur Unterhaltung gedacht sind. Die an<strong>de</strong>ren sind als „soziale“ Roboter bzw. Softwareagenten<br />

konzipiert, die <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen physisch o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Bildschirm<br />

repräsentiert gegenübertreten. Besteht bei <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n NutzerInnen selbst gesuchten<br />

bzw. zusammengestellten StellvertreterInnen, das Problem darin, dass ihnen nur eine<br />

eingeschränkte, meist höchst geschlechterstereotype Auswahl bei <strong>de</strong>r Kreation <strong>de</strong>r<br />

Figuren zur Verfügung steht (vgl. Kapitel 4.1.1., 4.1.2. und 4.2.5.), so zeigen die bereits<br />

fest kodierten menschen-ähnlichen Maschinen in <strong>de</strong>r Regel überzogen inszenierte<br />

virtuelle Frauen- o<strong>de</strong>r Männerkörper und ein entsprechen<strong>de</strong>s Blickverhalten. Ferner<br />

interagieren sie zweigeschlechtlich ausdifferenziert, z.T. auch höchst sexualisiert, mit<br />

<strong>de</strong>n NutzerInnen (vgl. Kapitel 4.2.5.). In sämtlichen Fällen wird eine materiell o<strong>de</strong>r<br />

virtuell verkörperte Figur repräsentiert, <strong>de</strong>ren Aussehen, Auftreten und Verhalten als<br />

allgemein menschliches gilt, <strong>de</strong>r jedoch tatsächlich auf massive Weise Geschlechtsstereotype<br />

eingeschrieben sind. Dabei besteht die Problematik darin, dass die<br />

Anwen<strong>de</strong>rInnen in die Interaktion mit solchen Maschinen immersiv hineingezogen<br />

wer<strong>de</strong>n sollen, die z.T stärker geschlechtsstereotypisierte o<strong>de</strong>r gar sexistische Erfahrungen<br />

bereit hält als realweltliche Darstellungen und Interaktionen. Da diese Figuren<br />

entwe<strong>de</strong>r für die Selbstrepräsentation <strong>de</strong>r NutzerInnen konzipiert sind o<strong>de</strong>r die Interaktionserfahrungen<br />

subtil zur I<strong>de</strong>ntitätskonzeption <strong>de</strong>r NutzerInnen beitragen, wirken<br />

solche Geschlechtseinschreibungen in <strong>de</strong>n Artefakten – womöglich stärker noch als die<br />

traditionellen Medien – an <strong>de</strong>r Normalisierung von Geschlecht mit.<br />

Sollte es sich um beson<strong>de</strong>rs krasse Fälle <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung virtueller<br />

Figuren han<strong>de</strong>ln, wie in Kapitel 4.2.5. dargestellt, kann ein erster Schritt in Richtung<br />

eines De-Gen<strong>de</strong>ring sein, die Technologie stärker an <strong>einer</strong> heterogenen, vielfältigen<br />

und konträren Zielgruppe zu orientieren. Denn um <strong>de</strong>n auf die Spitze getriebenen<br />

Geschlechterstereotypen bei Avataren, Spielfiguren und menschenähnlichen Softwareagenten<br />

zu begegnen, die mit <strong>de</strong>m Aufkommen besserer Grafik und größerer<br />

Bandbreiten <strong>de</strong>r Übertragung möglich gewor<strong>de</strong>n sind, wäre im Sinne eines De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

bereits viel gewonnen, wenn die repräsentierten Körperbil<strong>de</strong>r stärker <strong>de</strong>n realen<br />

Körpern von Frauen, Männern und Transgen<strong>de</strong>r-Personen entsprächen, auch wenn<br />

hier noch an<strong>de</strong>re Möglichkeiten <strong>de</strong>nkbar wären. Zu diesem Zweck lassen sich die<br />

Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r nutzungszentrierten Gestaltung und die Partizipation <strong>de</strong>r NutzerInnen<br />

am Gestaltungsprozess einsetzen, die in <strong>de</strong>n letzten bei<strong>de</strong>n Kapiteln 5.2. und 5.3.<br />

beschrieben wur<strong>de</strong>n.<br />

Eine grundlegen<strong>de</strong> De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie für Technologien, die an <strong>de</strong>r<br />

Konstruktion <strong>de</strong>s Selbst mitwirken, erfor<strong>de</strong>rt jedoch mehr als nur <strong>de</strong>n Rückgriff auf<br />

254


potentielle und reale NutzerInnen, da diese in <strong>de</strong>r Regel selbst im Zweigeschlechtlichkeitssystem<br />

und vorherrschen<strong>de</strong>n binarisieren<strong>de</strong>n Stereotypen befangen sind. So<br />

zeigten etwa Studien zu Avataren, dass die Anwen<strong>de</strong>rInnen häufig selbst eine stereotype<br />

Repräsentation ihrer Selbst kreierten und ein binäres Geschlechtermo<strong>de</strong>ll<br />

bevorzugten (vgl. hierzu Kap 4.2.5.). Eine <strong>kritisch</strong>-feministische Gestaltung sollte<br />

<strong>de</strong>shalb in diesen Fällen das Ziel haben, über die bislang vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n<br />

hinauszugehen und sich gegen vorherrschen<strong>de</strong> Geschlechternormen zu richten, <strong>de</strong>ren<br />

technische Wie<strong>de</strong>rholung es zu durchkreuzen und zu unterbrechen gilt. Für ein alternatives<br />

Design solcher Technologien ginge es darum, das vorherrschen<strong>de</strong> Zweigeschlechtlichkeitssystem<br />

grundlegen<strong>de</strong>r als bislang zu <strong>de</strong>konstruieren, beispielsweise<br />

im Sinne <strong>einer</strong> Vervielfältigung und Verunein<strong>de</strong>utigung von Geschlecht, s<strong>einer</strong> Parodie<br />

o<strong>de</strong>r mittels <strong>einer</strong> Option zur Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Geschlechtlichkeit (vgl. Engel 2002,<br />

Butler 1991 [1990], 1995 [1993]). Die Herausfor<strong>de</strong>rung besteht nun darin, solche<br />

Strategien <strong>de</strong>r De-Konstruktion, die in Bezug auf <strong>de</strong>n Geschlechtskörper innerhalb <strong>de</strong>s<br />

feministischen Diskurses vorgeschlagen wor<strong>de</strong>n sind, auf die Technologiegestaltung<br />

zu übertragen.<br />

Gefragt sind damit Ansätze, die <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen einen eher spielerischen<br />

Zugang ermöglichen statt einen pragmatischen Zweck zu verfolgen, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Regel<br />

über einen zwar variablen, aber schrittweisen Ablauf erreichbar ist und getestet wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n zuvor in diesem Kapitel betrachteten vergeschlechtlichten<br />

Artefakten, die Arbeitshandlungen, zielgerichtete Aufgaben bzw. die Informationssuche<br />

unterstützen sollen, liegen bislang erst wenige methodische Ansätze zur Technikgestaltung<br />

vor, die für eine De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie, die auf eine alternative Repräsentation<br />

zu vergeschlechtlichen Körpern und Verhaltensweisen zielt, vielversprechend<br />

erscheinen. In diesem Kapitel stelle ich drei Ansätze vor, welche die Subjektivität <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen ins Zentrum rücken und damit auf die Gestaltung von Technologien <strong>de</strong>s<br />

Selbst zielen: die Gestaltungsphilosophie <strong>de</strong>s „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ (Cassell<br />

1998, 2003), die Justine Cassell aus <strong>einer</strong> explizit geschlechter<strong>kritisch</strong>en Perspektive<br />

für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Computer- und Vi<strong>de</strong>ospiele für Kin<strong>de</strong>r vorgeschlagen hat, sowie<br />

die Ansätze <strong>de</strong>s „Design for Experience“ (Sengers et al. 2004, Wright/ McCarthy 2004)<br />

und <strong>de</strong>s „Reflective Design“ (Sengers et al. 2005), die im Bereich <strong>de</strong>s HCI entstan<strong>de</strong>n<br />

sind und für <strong>de</strong>n Zweck eines De-Gen<strong>de</strong>ring noch adaptiert wer<strong>de</strong>n müssen. Dabei<br />

diskutiere ich, inwieweit diese Metho<strong>de</strong>n aus <strong>einer</strong> Geschlechterforschungsperspektive<br />

genutzt o<strong>de</strong>r auch angepasst wer<strong>de</strong>n können, um das bestehen<strong>de</strong> Zweigeschlechtlichkeitssystem<br />

in Frage zu stellen.<br />

5.4.1. „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“: Vervielfältigung „weiblicher“ und<br />

„männlicher“ I<strong>de</strong>ntitäten in einem spezifischen Kontext<br />

„Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ strebt zum einen danach, Ausschlüsse von Frauen als<br />

NutzerInnen zu vermei<strong>de</strong>n, die – wie in Kapitel 4.1.1. dargelegt – durch ein implizites<br />

Design von Computerspielen für Jungen entstehen können. Es wen<strong>de</strong>t sich jedoch<br />

zugleich <strong>de</strong>zidiert gegen ein „Design for the girl“ (vgl. 4.1.2.), das auf <strong>de</strong>r Annahme<br />

beruht, dass Frauen eine beson<strong>de</strong>re För<strong>de</strong>rung im technischen Bereich benötigen, d.h.<br />

ein Defizitmo<strong>de</strong>ll zugrun<strong>de</strong> legt. „The problem is that both si<strong>de</strong>s, ultimately, start from<br />

the assumption that computers are boys’ own toys, and thus both scenarios can result<br />

255


in a pejorativization of girl’s interests“ (Cassell 2003, 410). Im Gegensatz dazu<br />

ermutige „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ Jungen wie Mädchen dazu, selbst zu entschei<strong>de</strong>n,<br />

welche (Geschlechts-)I<strong>de</strong>ntität sie im Computerspiele darstellen möchten: „That is,<br />

<strong>de</strong>sign that allows users to engen<strong>de</strong>r themselves, to attribute to themselves an i<strong>de</strong>ntity<br />

of any one of a number of sorts, to create or perform themselves through using<br />

technology“ (ebd., 407).<br />

Der Ansatz greift primär auf Konzepte aus <strong>de</strong>r feministischen Pädagogik zurück, in<br />

<strong>de</strong>r die Lernen<strong>de</strong>n selbst verantwortlich sind, subjektive Erfahrungen einen hohen Wert<br />

haben, eine Vielfalt von Standpunkten zugelassen ist, <strong>de</strong>n Lernen<strong>de</strong>n eine „Stimme“<br />

gegeben wird und sie zu Zusammenarbeit ermutigt wer<strong>de</strong>n. Daraus leitet Cassell fünf<br />

Prinzipien feministischer Softwaregestaltung ab: „1. Transfer <strong>de</strong>sign authority to the<br />

user. 2. Value subjective and experiential knowledge in the context of computer use, 3.<br />

Allow use by many different kinds of users in different contexts. 4. Give the user a tool<br />

to express her voice and the truth of her existence. 5. Encourage collaboration among<br />

users“ (Cassell 1998, 305). Das erste Prinzip teile „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ mit<br />

nutzungszentrierten und partizipativen Ansätzen <strong>de</strong>r Technikgestaltung. 352 „Participatory<br />

Design“ beteilige die NutzerInnen allerdings nur früh am Software-Entwicklungsprozess.<br />

Das Produkt selbst wer<strong>de</strong> jedoch als ein statisches verstan<strong>de</strong>n, an <strong>de</strong>m die<br />

NutzerInnen keinen Konstruktionsanteil mehr hätten. „Feminist software <strong>de</strong>sign, on the<br />

other hand, makes the system about <strong>de</strong>sign, so that the <strong>de</strong>sign and construction cycle<br />

continues into the use of the system itself“ (Cassell 1998, 322). Cassell ignoriert hier<br />

zwar diejenigen Zweige <strong>de</strong>r partizipativen Gestaltung, die gera<strong>de</strong> ein kollaboratives<br />

Design von EntwicklerInnen und Anwen<strong>de</strong>rInnen anstreben und <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess<br />

als einen offenen, unabgeschlossenen verstehen. Für die Fragestellung<br />

dieses Kapitels wesentlich erscheint dagegen, dass sie eine Verschiebung zu<br />

Systemen, die eine Konstruktion durch die Anwen<strong>de</strong>rInnen während <strong>de</strong>r Nutzung<br />

erlauben, als Grundlage feministischer Softwaregestaltung begreift. Denn eine solche<br />

Verlagerung be<strong>de</strong>utet die Überwindung <strong>de</strong>r geschlechtskodierten Dichotomie von<br />

Design und Nutzung. Ferner gibt ihr Ansatz <strong>de</strong>n subjektiven Erfahrungen <strong>de</strong>r NutzerInnen<br />

ein starkes Gewicht – ein Aspekt, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r feministischen Kritik an <strong>de</strong>n objektivistischen<br />

Zugängen in Natur- und Technikwissenschaften seit langem gefor<strong>de</strong>rt wird.<br />

Eine Möglichkeit, Subjektivität technologisch zu för<strong>de</strong>rn und zu unterstützen, sieht<br />

Cassell darin, Werkzeuge zum Geschichten Erzählen (so genannte „story telling tools“)<br />

zu konstruieren.<br />

Das ROSEBUD-System (Glos/ Cassell 1997), ein Computerspiel für Kin<strong>de</strong>r, arbeitet<br />

mit Stofftieren, die durch einen integrierten Infrarotstrahler vom Computer erkannt<br />

wer<strong>de</strong>n können. Das System speichert <strong>de</strong>n Namen sowie Hintergrundinformation über<br />

das Stofftier und fragt das Kind danach, eine Geschichte über das Stofftier zu erzählen.<br />

Dabei soll es zugleich eine gute „Zuhörerin“ und „Lehrerin“ darstellen, die das Kind<br />

ermutigt, zu schreiben, weiter zu schreiben, zu bearbeiten und zu verbessern. Am<br />

En<strong>de</strong> kann das Kind die selbst kreierte Geschichte sprechen und aufnehmen. Dabei<br />

bietet das System die Möglichkeit, dass das Stofftier die Geschichte „erinnert“ und<br />

wie<strong>de</strong>rholt. Es unterstützt darüber hinaus ein kollaboratives Lernen, da mehrere<br />

352 Eine weitere Gemeinsamkeit bestehe in <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n politischen Orientierung auf eine Demokratisierung,<br />

welche mit <strong>de</strong>m Infragestellen von Macht und Kontrolle zusammengeht.<br />

256


Stofftiere und mehrere SpielerInnen zugelassen sind, so dass Geschichten und Tiere<br />

gegenseitig ausgeliehen wer<strong>de</strong>n können. Letztendlich sei jedoch das Kind für die<br />

Interaktion zuständig, in<strong>de</strong>m es entschei<strong>de</strong>t, mit welchem Stofftier es spielt und welche<br />

Geschichte es erzählen will.<br />

Cassell betont, dass das Spiel geschlechtsneutral sei, da <strong>de</strong>n Stofftieren von<br />

vorpubertären Kin<strong>de</strong>rn kein Geschlecht zugewiesen wer<strong>de</strong>. Ihre empirischen Untersuchungen<br />

bestätigten, dass Mädchen und Jungen gleich viel Spaß mit <strong>de</strong>n technisch<br />

erweiterten Spielzeugen hätten. Dies sei ihres Erachtens vor allem auf die erzählerischen<br />

Aktivitäten zurückzuführen, die eine Vervielfältigung „weiblicher“ und „männlicher“<br />

I<strong>de</strong>ntitäten ermöglichten: „I believe that these activities allow a range of girlhoods<br />

(and boyhoods) to coexist, ultimatively extending the notion of what ‚girl‘ is to a more<br />

dynamic, context-<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt, performative notion.“ (Cassell 1998, 321).<br />

Dass das ROSEBUD-System prinzipiell eine Vervielfältigung von I<strong>de</strong>ntitäten jenseits<br />

binärer Geschlechtszuweisungen ermöglicht, ist für <strong>de</strong>n spezifischen dargestellten<br />

Kontext durchaus nachzuvollziehen. Fragwürdig ist <strong>de</strong>mgegenüber allerdings, inwieweit<br />

damit Cassells Anspruch eingelöst wird, dass Jungen und Mädchen dadurch Aspekten<br />

ihrer eigenen I<strong>de</strong>ntität Ausdruck verleihen, welche die stereotypen Geschlechtskategorien<br />

tatsächlich transzendieren (vgl. Cassell 2003, 402). 353 Denn viele Studien<br />

aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r computergestützten Kommunikation und Onlinespiele, die von<br />

älteren Kin<strong>de</strong>rn, Jugendlichen o<strong>de</strong>r Erwachsenen genutzt wer<strong>de</strong>n, berichten eher von<br />

gegenteiligen Effekten: Dort, wo die Technologie Unsicherheiten zulässt – sowohl an<br />

<strong>de</strong>r Grenze zwischen Mensch und Maschine als auch an <strong>de</strong>n vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

Trennlinien von Geschlecht –, besteht gera<strong>de</strong> die Ten<strong>de</strong>nz, Geschlechtlichkeit in ihrer<br />

binären Form und stereotypen Überspitzung wie<strong>de</strong>rherzustellen (vgl. hierzu etwa<br />

Kapitel 2 sowie Kapitel 4.2.5.). Insofern hat Cassell mit <strong>de</strong>n Stofftieren nur eine sehr<br />

spezifische Repräsentation virtuell-materieller Figuren gewählt, die bei Kin<strong>de</strong>rn in<br />

einem gewissen Alter noch nicht geschlechtlich besetzt zu sein scheint. Das erzielte<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring bezieht sich <strong>de</strong>mnach eher auf diese Einschränkung <strong>de</strong>r Zielgruppe und<br />

<strong>de</strong>s Nutzungskontexts als dass es an <strong>de</strong>r technischen Realisierung festzumachen ist<br />

o<strong>de</strong>r gar an <strong>de</strong>r Designphilosophie <strong>de</strong>s „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“.<br />

Ebenso wenig überzeugend scheint das ROSEBUD-System als ein Beleg für<br />

Cassells feministische Vision <strong>einer</strong> Game Software-Entwicklung gelten zu können, in<br />

<strong>de</strong>r die geschlechtlich markierte Trennlinie zwischen Design und Nutzung aufgebrochen<br />

wird: „a space in which authority can be distributed to users, by allowing most of<br />

the <strong>de</strong>sign and construction to be carried out by the user rather than by the <strong>de</strong>signer“<br />

(Cassell 1998, 302). Denn die NutzerInnen vermögen zwar das Spiel und seine Inhalte<br />

ein Stück weit zu gestalten, ohne auf einschränken<strong>de</strong> Regeln festgelegt zu sein.<br />

Dagegen bleibt allerdings die grundlegen<strong>de</strong> Konstruktion <strong>de</strong>s Spiels als eines, das auf<br />

<strong>de</strong>r partnerschaftlichen Interaktion mit Stofftieren und <strong>de</strong>r narrativen Aktivität <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />

basiert, unverän<strong>de</strong>rbar. So gesehen wird die geschlechtskodierte Dichotomie von<br />

Design und Nutzung hier zwar angekratzt, letztendlich jedoch nicht unterlaufen.<br />

Trotz dieser Einschränkungen zeigt „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ insgesamt eine viel<br />

versprechen<strong>de</strong> Richtung auf, wie insbeson<strong>de</strong>re im Fall <strong>de</strong>r Entwicklung von Computer-<br />

353 Dies ist umso unklarer, da sie sich in ihrem Geschlechterverständnis auf feministische Theoretikerinnen<br />

wie Joan Scott, Nancy Fraser und Judith Butler beruft.<br />

257


spielen für Kin<strong>de</strong>r jenen Vergeschlechtlichungen, die aus <strong>de</strong>m impliziten Design „für<br />

Jungen“ o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r expliziten Zielgruppenbestimmung „für Frauen“ resultieren (vgl.<br />

Kapitel 4.1.1 und 4.1.2), begegnet wer<strong>de</strong>n kann. So wird hier durch die Eingrenzung<br />

<strong>de</strong>s Kontexts bewusst versucht, Geschlechtszuschreibungen an die „Spielfiguren“ zu<br />

vermei<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n NutzerInnen vielfältige Wege zur eigenen Konstruktion von<br />

I<strong>de</strong>ntität zu eröffnen. „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ vermag jedoch – entgegen <strong>de</strong>n Versprechen<br />

<strong>de</strong>r Autorin – die Design-Nutzungs-Dichotomie nicht aufzulösen. Der Ansatz<br />

enthält somit zwar theoretisch inspirieren<strong>de</strong> Elemente für eine De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie,<br />

es bleibt jedoch unklar, wie die von Cassell vorgeschlagenen Prinzipien feministischen<br />

Spiel<strong>de</strong>signs generell in Softwaresysteme übersetzt wer<strong>de</strong>n können. Das ist sicherlich<br />

auch darauf zurückzuführen, dass sie zu <strong>de</strong>r Gestaltungsphilosophie <strong>de</strong>s „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined<br />

Design“ keine methodischen Vorgehensweisen <strong>de</strong>r Umsetzung mitliefert.<br />

5.4.2. „Design for Experience“: Den NutzerInnen viel<strong>de</strong>utige und provokante<br />

Geschlechtererfahrungen ermöglichen<br />

„Design for Experience“ führt die I<strong>de</strong>e, subjektive Erfahrungen von NutzerInnen durch<br />

eine entsprechen<strong>de</strong> Gestaltung technisch zu unterstützen, weiter. Dabei rekurriert<br />

dieser Ansatz stärker auf philosophische, primär phänomenologische, Theorien als auf<br />

pädagogische wie das „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ Justine Cassells. Unter „Design for<br />

Experience“ fasse ich vor allem diejenigen Ansätze aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r HCI<br />

zusammen, die sich auf „Technology as Experience“ von John McCarthy und Peter<br />

Wright (2004) berufen o<strong>de</strong>r ähnliche Anleihen machen. 354 Dieser Zugang wur<strong>de</strong> bereits<br />

in Kapitel 4.3.3. im Hinblick auf ein De-Gen<strong>de</strong>ring jener Technologien diskutiert, die auf<br />

<strong>de</strong>r in westlichen Denktraditionen zutiefst vergeschlechtlichten Dichotomie von Vernunft<br />

und Gefühl basieren. Dort wur<strong>de</strong> gezeigt, dass <strong>de</strong>r „Technology as Experience“-<br />

Ansatz für diese Technologien eine Auflösung <strong>de</strong>r genannten Dichotomie in Aussicht<br />

stellt. Dagegen soll er hier mit Bezug auf seine theoretischen Grundlagen ausführlicher<br />

vorgestellt wer<strong>de</strong>n, um sein Potential für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r konstatierten stereotypen<br />

bzw. zweigeschlechtlichen Performanz menschenähnlicher Repräsentationen<br />

auszuloten.<br />

„Technology as Experience“ bezieht sich auf erlebte bzw. empfun<strong>de</strong>ne Erfahrungen:<br />

„‚Experience‘ is the word that is most likely to express something of the felt life. It is a<br />

very rich word, discursively open and complex, and redolent of life as lived, not just as<br />

theorized“ (McCarthy/ Wright 2004, 49). Um Handlungen in Praxis und Erfahrungen im<br />

Umgang mit Technologien als ästhetische theoretisch zu begrün<strong>de</strong>n, greifen die bei<strong>de</strong>n<br />

Autoren auf Strömungen <strong>de</strong>s Pragmatismus (vor allem John Dewey und Michail Bachtin)<br />

zurück, ergänzt um Anleihen bei <strong>de</strong>r Phänomenologie. „[P]ragmatism is the operative<br />

philosophy of the computer world, and that <strong>de</strong>signers and <strong>de</strong>velopers are more<br />

likely to be influenced by Marshall McLuhan and John Dewey than by Bertrand Russell<br />

and A.J.Ayer. They are more likely to talk about freedom, community and engagement<br />

(the language of pragmatism) than about formality, hierarchy and rule (the language of<br />

analytic philosophy)“ (McCarthy/ Wright 2004, 17), argumentieren sie mit Richard<br />

354 Dabei ist vor allem das 1983 veröffentlichte Buch von Donald Schön „The reflective practitioner: How<br />

professionals think in action“ zu nennen.<br />

258


Coyne (1995). Auf dieser Grundlage i<strong>de</strong>ntifizieren sie vier für die Beziehung zu<br />

Technologie relevante Arten von Erfahrungen: a) durch Sinneseindrücke gewonnene,<br />

b) emotionale Erfahrungen, die bei <strong>de</strong>r Konstruktion von Sinn und Be<strong>de</strong>utung eine<br />

wesentliche Rolle spielen, c) solche, die zwischen Teil und Ganzem vermitteln<strong>de</strong>n<br />

(‚compositional‘) 355 sowie d) auf Raum und Zeit bezogene. Ferner bestimmen sie sechs<br />

Formen wie Menschen durch Erfahrungen, die sie mit und durch Technologien<br />

machen, Sinn herstellen: 1. Antizipation, bei <strong>de</strong>r die gegenwärtige Erfahrung von<br />

Erwartungen, die aus früheren Erfahrungen resultieren, geprägt ist, 2. Verbindungen<br />

(‚connecting‘), die als unmittelbare, vor-konzeptuelle und vor-begriffliche Wahrnehmung<br />

<strong>einer</strong> Situation charakterisiert wer<strong>de</strong>n, 3. Interpretation, während Erfahrungen<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n. Diese erfor<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Bezug auf narrative Strukturen, AkteurInnen und<br />

Handlungsmöglichkeiten im Rahmen <strong>de</strong>ssen, was passiert ist und sich wahrscheinlich<br />

noch ereignen wird, 4. Reflektion, bei <strong>de</strong>r zusätzlich Urteile über die gemachten<br />

Erfahrungen ins Spiel kommen, 5. Aneignung, d.h. die Erfahrung wird in Beziehung zu<br />

sich selbst, <strong>de</strong>r eigenen persönlichen Geschichte und <strong>de</strong>r erwarteten Zukunft gesetzt<br />

sowie 6. Nacherzählung, bei <strong>de</strong>r die Erfahrung sich selbst erzählt o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

berichtet wird. 356<br />

Mit Bezug auf diese theoretische Grundlage o<strong>de</strong>r ähnliche Anleihen hat sich in <strong>de</strong>n<br />

letzten Jahren ein Bereich <strong>de</strong>r HCI-Forschung formiert, <strong>de</strong>r darauf zielt, <strong>de</strong>n NutzerInnen<br />

einen spielerischen Zugang sowie umfassen<strong>de</strong> Erfahrungen zu ermöglichen<br />

(vgl. u.a. Dourish 2001, Dunne/ Raby 2001, Sengers et al. 2004, Norman 2004, Blythe<br />

et al. 2003). Mit <strong>de</strong>r Fokussierung auf die kulturell und historisch situierte Erfahrung <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen stellen diese VertreterInnen subjektive Aspekte <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-<br />

Kommunikation in <strong>de</strong>n Mittelpunkt <strong>de</strong>r Gestaltung von Technologie. Technologien<br />

sollen so konzipiert wer<strong>de</strong>n, dass sie die NutzerInnen emotional in die Interaktion involvieren.<br />

„Immersion“, „Funology“ und „Enjoyment“ dienen hier als neue Schlagworte,<br />

welche die Forschung und Entwicklung leiten. 357 Die neue Ausrichtung wirft neue<br />

Forschungsfragen auf. So gerät nun beispielsweise ins Blickfeld, ob NutzerInnen ein<br />

System als „sympathisch“ empfin<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r es als moralisch akzeptabel ansehen.<br />

Ferner wer<strong>de</strong>n damit Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Systementwicklung ebenso wie die <strong>de</strong>r Evaluation<br />

erfor<strong>de</strong>rlich, die NutzerInnen Spaß an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Technologie ermöglichen, sie in die<br />

Interaktion verwickeln und hineinziehen o<strong>de</strong>r zu eruieren vermögen, ob die angestrebte<br />

Immersion tatsächlich erreicht wor<strong>de</strong>n ist (vgl. etwa Höök et al. 2003, Ruttkay/<br />

Pelachaud 2004). 358<br />

„Design for Experience“ positioniert sich gegenwärtig als ein innovativer Ansatz, <strong>de</strong>r<br />

sich von herkömmlichen Usability-Metho<strong>de</strong>n ebenso <strong>de</strong>zidiert abgrenzt wie von <strong>de</strong>n in<br />

<strong>de</strong>r Informatik verbreiteten Objektivitätsauffassungen. Statt<strong>de</strong>ssen schließt er an parti-<br />

355 „If one is looking at a painting, ‚compositional‘ refers to the relations between elements of the painting<br />

and their implied agency, and between viewer, painting, and setting. In an unfolding interaction, involving<br />

self and other, in a novel, play, or technologically mediated communication, it refers to the narrative<br />

structure, action possibility, consequences and explanations of actions“ (McCarthy/ Wright 2004, 87).<br />

356 An diesen Formen möglichen In-Beziehung-Setzens zu Technologie wird <strong>de</strong>utlich, dass sich das<br />

ROSEBUD-System und damit Cassells „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ ebenfalls als Umsetzung <strong>de</strong>s<br />

„Technology as Experience“-Ansatzes re-interpretieren ließe.<br />

357 Die renommierte Zeitschrift Interactions widmete <strong>de</strong>m Thema „Funology“ 2003 eine gesamte Ausgabe,<br />

zeitgleich erschien auch ein Sammelband unter diesem Titel (Blythe et al. 2003).<br />

358 Siehe auch: Proceedings of the Workshop „Innovative Approaches for building affective systems“,<br />

Januar 2006 in Stockholm, http://emotion-research.net/ws/wp9/d9e.pdf.<br />

259


zipative Technikgestaltungsansätze sowie <strong>kritisch</strong>e Theoriebezüge an. Differenzen<br />

gegenüber herkömmlichen HCI-Metho<strong>de</strong>n lassen sich anhand <strong>de</strong>r <strong>de</strong>klarierten Ziele<br />

erkennen, die von Kristina Höök und ihren KollegInnen auf <strong>de</strong>n Punkt gebracht wur<strong>de</strong>n:<br />

„Usability traditionally focuses on goals such as effectiveness, efficiency, safety, utility,<br />

learnability, and memorability. These objective usability goals contrast with user experience<br />

goals, which cover subjective qualities such as being fun, rewarding, motivating,<br />

satisfying, enjoyable, and helpful. Usability goals and user experience goals often<br />

stand in complex relationships, involving tra<strong>de</strong>offs like safety vs. fun or efficiency vs.<br />

enjoyability“ (Höök et al. 2004, 6). VertreterInnen <strong>de</strong>s „Design for experience“<br />

behaupten, dass diese Ziele kein Gegenstand <strong>de</strong>r freien Wahl, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r<br />

Technologien abhängig seien. Denn traditionelle Usability-Metho<strong>de</strong>n versagten, wenn<br />

es beispielsweise darum ginge, die Glaubwürdigkeit von menschenähnlichen<br />

Repräsentationen zu überprüfen o<strong>de</strong>r emotionale Reaktionen von NutzerInnen zu<br />

untersuchen. 359<br />

In<strong>de</strong>m subjektive Nutzungserfahrungen betont wer<strong>de</strong>n, geht „Design for Experience“<br />

zugleich über das Verständnis objektivierbarer empirischer Forschung hinaus, das<br />

sowohl in <strong>de</strong>r herkömmlichen Softwareentwicklung als auch in <strong>de</strong>r herkömmlichen<br />

Usability-Forschung vorherrscht. So wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Ansatz etwa gegen die<br />

Vorstellung <strong>einer</strong>/s „NormalnutzerIn“ die/<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n herkömmlichen Metho<strong>de</strong>n häufig<br />

zugrun<strong>de</strong> liegt und als Maßstab <strong>de</strong>r Systemevaluation herangezogen wird: „[T]he<br />

statistical averaging and laboratory simplifications necessary for reliable scientific<br />

statements may wash out all the <strong>de</strong>tails that interest us“ (Höök 2004, 135). Ferner wird<br />

<strong>de</strong>n Annahmen herkömmlicher Ansätze, dass die Erfahrungen <strong>de</strong>r NutzerInnen eine<br />

Eigenschaft <strong>de</strong>s Systems selbst seien, die von <strong>de</strong>n AutorInnen <strong>de</strong>r Systeme direkt<br />

gesteuert und kontrolliert wer<strong>de</strong>n könnten und von passiven NutzerInnen „empfangen“<br />

wür<strong>de</strong>n (Sengers et al. 2004, 1), die Komplexität und Vielfalt gelebter Erfahrung<br />

entgegengestellt. „Design for Experience“ beteiligt die NutzerInnen an <strong>de</strong>n<br />

Systementwicklungs- und Bewertungsprozessen. 360 Dabei ist das Partizipationsverständnis<br />

– ganz im Sinne partizipativer Gestaltungsansätze <strong>de</strong>r skandinavischen<br />

Schule – von <strong>einer</strong> politisch reflektierten und gesellschafts<strong>kritisch</strong>en und zugleich auch<br />

wissenschafts<strong>kritisch</strong>en Grundhaltung getragen. Die VertreterInnen <strong>de</strong>s Ansatzes<br />

verstehen sich als Teil <strong>einer</strong> „Critical Design Community“, die Fragen stellt wie: „[W]hat<br />

messages are implicit in our <strong>de</strong>signs? How do users reappropriate and alter the<br />

meaning of technologies? What are our social responsibilities as <strong>de</strong>signers with<br />

respect to how users come to interpret and respond to our <strong>de</strong>signs?“ (Sengers et al.<br />

2004, 2). Sie greifen dabei theoretisch-methodisch sowohl auf <strong>kritisch</strong>e Ansätze aus<br />

Informatik und Design wie auch auf Erkenntnisse <strong>de</strong>r Wissenschafts- und<br />

359 Dies bestätigte auch eine InterviewpartnerIn in Jutta Webers und m<strong>einer</strong> Laborstudie im Forschungsbereich<br />

sozioemotionaler Softwareagenten (vgl. Bath/ Weber 2006). Sie beschrieb, dass sie das Design<br />

von virtuellen Figuren in einem früheren Projekt durch ein professionelles Usability-Labor unterstützen<br />

lassen wollte. Dabei seien jedoch „die falschen Fragen“ gestellt wor<strong>de</strong>n, um Aussagen über die emotionale<br />

Involviertheit <strong>de</strong>r User zu erhalten. Die klassischen Metho<strong>de</strong>n wären nicht in <strong>de</strong>r Lage, emotionale<br />

Ebenen <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-Interaktion zu erfassen (vgl. ebd., 122).<br />

360 „[W]e believe that evaluation of affective systems is vital not just at the end of the <strong>de</strong>sign process, but<br />

as an integral part of the <strong>de</strong>sign process from the beginning. Having the ability to bounce early intuitions<br />

and <strong>de</strong>sign sketches off of real users can make key contributions to the evolution of a truly engaging end<br />

application, and may even inform the affective theory that led to the application itself“ (Höök et al. 2004, 7;<br />

Hervorhebung im Original).<br />

260


Technikforschung zurück, in<strong>de</strong>m sie beispielsweise die „interpretative Flexibilität“<br />

technologischer Artefakte, 361 ein Kernkonzept <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung,<br />

als ein Erklärungs- und Gestaltungsmo<strong>de</strong>ll für die Interaktion mit <strong>de</strong>n<br />

Artefakten heranziehen (vgl. ebd., 3).<br />

„Design for experience“ fokussiert somit nicht nur auf Nutzungserfahrungen,<br />

son<strong>de</strong>rn betont zugleich die Interpretationsleistungen, die die NutzerInnen in <strong>de</strong>r<br />

Interaktion mit <strong>de</strong>m Computer erbringen. Systeme sollen <strong>de</strong>m Ansatz nach so gestaltet<br />

sein, dass sie offen sind für verschie<strong>de</strong>ne mögliche Interpretationen. Damit wird ein<br />

konstruktivistischer Ansatz vertreten, <strong>de</strong>mzufolge NutzerInnen selbst <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>r<br />

Interaktion mit <strong>de</strong>m Computer herstellen und Be<strong>de</strong>utungen produzieren.<br />

In<strong>de</strong>m Interpretationen durch die NutzerInnen ins Zentrum gerückt wer<strong>de</strong>n, ergäben<br />

sich neue Möglichkeiten, literarische Strategien für die Technikgestaltung anzupassen,<br />

um neue Interpretationen von und Erfahrungen mit Technologien anzuregen (Sengers<br />

et al. 2004, 3). Gaver, Beaver und Benford (2003) schlagen etwa vor, Ambiguität<br />

explizit in die Systeme hineinzukonzipieren, um für die NutzerInnen verschie<strong>de</strong>ne<br />

Deutungen offen zu halten. Ein Beispiel für diesen Zugang stellt das PRESENCE<br />

PROJECT (Gaver/ Dunne 1999) dar, das darauf zielt, die Präsenz älterer Menschen in<br />

größeren nie<strong>de</strong>rländischen Wohngegen<strong>de</strong>n zu erhöhen. Dazu wur<strong>de</strong>n Stimmen, Bil<strong>de</strong>r<br />

und Filme, welche die Interessen und Be<strong>de</strong>nken von SeniorInnen, aber auch ihren<br />

Stolz über ihre Wohngegend <strong>de</strong>utlich machen, in die Rückenlehnen von Parkbänken<br />

im öffentlichen Raum projiziert. Diese „Sloganbenches“ zeigten handgeschriebene<br />

Sprüche, <strong>de</strong>ren Inhalte mit <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn <strong>einer</strong> so genannten „Imagebank“ verbun<strong>de</strong>n<br />

waren, auf <strong>de</strong>nen die SeniorInnen in Vi<strong>de</strong>os Aspekte ihres eigenen Lebens vorstellten.<br />

Das System erzeugte auf verschie<strong>de</strong>ne Weise eine Ambiguität und Offenheit. Zum<br />

einen waren die dargestellten Sprüche aus ihrem Kontext herausgegriffen, so dass die<br />

LeserInnen die darin gespiegelten Einstellungen interpretieren mussten. Ferner war die<br />

Verknüpfung zwischen <strong>de</strong>n Slogans und <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn nicht immer offensichtlich, teils<br />

sogar wi<strong>de</strong>rsprüchlich. Die größte Unein<strong>de</strong>utigkeit bestand jedoch im Design <strong>de</strong>r<br />

Objekte selbst. So wur<strong>de</strong> durch die Parkbänke eine Spannung zwischen Sehen und<br />

Sitzen hergestellt, da ein Hinsetzen auf die Bank be<strong>de</strong>utet hätte, die Sprüche und<br />

Bil<strong>de</strong>r zu ver<strong>de</strong>cken: „they balanced the familiar with the strange“ (Gaver et al. 2003,<br />

2).<br />

Die Gestaltungsphilosophie <strong>de</strong>s „Design for Experience“ bietet auf min<strong>de</strong>stens zwei<br />

Ebenen Anschlüsse an Grundverständnisse <strong>de</strong>r Geschlechterforschung. Zum einen<br />

wer<strong>de</strong>n Erfahrungen, Körper und Emotionen, die dort lange Zeit ignoriert wur<strong>de</strong>n, nun<br />

zum Gegenstand von Technikgestaltung. Dies wur<strong>de</strong> am Beispiel von Emotionen<br />

bereits im Kapitel 4.3.3. <strong>de</strong>monstriert. In diesem Kontext versteht sich „Design for<br />

Experience“ als eine Gegenposition zu <strong>de</strong>m Ansatz, <strong>de</strong>n Maschinen Emotionen einzuschreiben<br />

– ein Vorgehen, das Gefühl auf Informationsflüsse bzw. auf soziobiologisch<br />

begrün<strong>de</strong>te Ökonomie reduziert. „Design for Experience“ beabsichtigt dagegen nicht,<br />

Erfahrung, Körperlichkeit o<strong>de</strong>r Emotionen – wie oft üblich – reduktionistisch zu<br />

integrieren, in<strong>de</strong>m die Konzepte möglichst vollständig formalisiert in das System<br />

eingeschrieben wer<strong>de</strong>n. Vielmehr bietet dieser Ansatz die Chance, eine Essentialisierung<br />

und Verdinglichung von Erfahrung, Verkörperung und Emotionen zu<br />

361 Vgl. Kapitel 3.3. für eine Erläuterung dieses Begriffs.<br />

261


vermei<strong>de</strong>n. Denn „<strong>de</strong>signing for experience“ versteht sich als Gegenbewegung zu<br />

„<strong>de</strong>signing experience into an interface or system“ (Sengers et al. 2005, 52, Hervorhebung<br />

im Orig.). Damit wird <strong>de</strong>r langjährige Anspruch feministischer Technikkritiken,<br />

ausgeschlossene, verkörperte und emotionale Erfahrungen bei <strong>de</strong>r Technikgestaltung<br />

zu berücksichtigen, auf eine <strong>kritisch</strong>e (statt wie insbeson<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>n kognitivistischen<br />

Ansätzen simplifizieren<strong>de</strong>) Weise eingelöst.<br />

Zum zweiten – und für das hier verfolgte Ziel eines De-Gen<strong>de</strong>ring von Technologien<br />

<strong>de</strong>r Selbstgestaltung viel grundlegen<strong>de</strong>r – eröffnet sich die Möglichkeit, das Design<br />

speziell auf die Erfahrung <strong>de</strong>r Geschlechtlichkeit selbst auszurichten statt einen<br />

allgemein umfassen<strong>de</strong> Erfahrungsraum für die NutzerInnen im Sinne phänomenologischer<br />

Ansätze zu kreieren. Wird „Design for Experience“ auf diese Weise um die<br />

Kategorie Geschlecht erweitert und zugespitzt gedacht, lässt sich die Herstellung von<br />

Geschlechtszugehörigkeit auf <strong>de</strong>r Mikroebene als ein konstruktiver Prozess verstehen,<br />

<strong>de</strong>r zwischen System, TechnikgestalterInnen und NutzerInnen entsteht. Eine solche<br />

Auffassung korreliert mit <strong>de</strong>m Konzept <strong>de</strong>s „Doing Gen<strong>de</strong>r“ aus <strong>de</strong>r Geschlechtersoziologie<br />

(vgl. West/ Zimmerman 1987, West/ Fenstermaker 1995), <strong>de</strong>mzufolge<br />

Geschlecht in <strong>de</strong>r Interaktion von Wahrnehmung und Darstellung hervorgebracht wird,<br />

ergänzt diesen jedoch um eine Mitbeteiligung technologischer Artefakte an <strong>de</strong>r<br />

Geschlechterkonstruktion. Auf <strong>de</strong>r Folie feministischer Ansätze gelesen bietet „Design<br />

for Experience“ insgesamt die Möglichkeit, eine Gestaltung von Systemen zu <strong>de</strong>nken,<br />

die <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen mittels Technologie die Erfahrung ermöglicht, Geschlecht als<br />

einen Prozess <strong>de</strong>s „Doing Gen<strong>de</strong>r“, als eine soziale Konstruktion, mithin als Performanz<br />

zu begreifen, die sich par excellence in <strong>de</strong>n vorgeschlagenen Theorierahmen<br />

einbetten lässt. Technikgestaltung auf dieser Basis erlaubt ein Erproben, Erfahren und<br />

Begreifen <strong>de</strong>s konstruktiven und performativen Charakters von „Weiblichkeiten“ und<br />

„Männlichkeiten“, die angewandt auf die bei<strong>de</strong>n Formen <strong>de</strong>r informatischen<br />

Repräsentation <strong>de</strong>s Selbst, virtuelle StellvertreterInnen <strong>de</strong>r NutzerInnen und virtuelle<br />

Menschen, eine De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie darstellt. Dies ließe sich meines Erachtens<br />

auf wenigstens drei verschie<strong>de</strong>ne Weisen umsetzen:<br />

Erstens legt die Verknüpfung von „Doing Gen<strong>de</strong>r“ mit „Design for Experience“ eine<br />

Gestaltung nahe, die zum virtuellen Geschlechtsrollentausch ermuntert, <strong>de</strong>ssen Potential,<br />

das Zweigeschlechtlichkeitssystem zu hinterfragen, seit <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>s Internet<br />

immer wie<strong>de</strong>r beschworen wor<strong>de</strong>n ist (vgl. Kapitel 4.2.5.). Diese Möglichkeit <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen, virtuelle Erfahrungen in einem an<strong>de</strong>ren Geschlecht zu machen, hatte<br />

jedoch mit <strong>de</strong>r Verschiebung von textbasierten hin zu grafisch stark ausgeprägten<br />

Onlinesysteme einen die Kategorie Geschlecht eher verfestigen<strong>de</strong>n als auflösen<strong>de</strong>n<br />

Charakter erhalten. Insofern gilt es das Problem zu lösen, Verkörperungen grafisch so<br />

darzustellen und zu animieren, dass sie das bestehen<strong>de</strong> Zweigeschlechtlichkeitssystem<br />

zu unterlaufen vermögen und nicht erneut bestätigen. Die im Kontext <strong>de</strong>s „Design<br />

for Experience“ skizzierte Technik, Ambiguität herzustellen, verspricht hier zweitens<br />

neue Gestaltungsmöglichkeiten, die jenseits <strong>einer</strong> Vervielfältigung von bisher stereotypisierten<br />

„Weiblichkeiten“ und „Männlichkeiten“ liegen, wie sie mit <strong>de</strong>r Anpassung an<br />

real existieren<strong>de</strong> Körper erreicht wür<strong>de</strong>. Statt<strong>de</strong>ssen ginge dieses Design über <strong>de</strong>n<br />

Rahmen <strong>de</strong>s bestehen<strong>de</strong>n binären Geschlechtersystems hinaus. Denn <strong>de</strong>r<br />

Ambiguitätsgedanke, übertragen auf die Vergeschlechtlichung virtueller Charaktere,<br />

kann als eine Strategie <strong>de</strong>r Verunein<strong>de</strong>utigung <strong>de</strong>s jeweils konzipierten Geschlechts<br />

262


verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. So ließen sich die virtuellen Figuren zur Selbstrepräsentation und<br />

Repräsentation von Organisationen androgyn gestalten o<strong>de</strong>r Merkmale, die für Formen<br />

von „Männlichkeit „stehen, mit solchen kombinieren, die Formen von „Weiblichkeit“<br />

anzeigen bzw. umgekehrt. Beispielsweise könnten Männerkörper mit <strong>einer</strong> Frauenstimme<br />

versehen, Gesichter von Frauen mit Bärten dargestellt und an<strong>de</strong>re gegen die<br />

jeweilig vorherrschen<strong>de</strong> Geschlechternorm verstoßen<strong>de</strong> Aspekte gezeigt bzw.<br />

zusammengebracht wer<strong>de</strong>n. Drittens bietet das genannte Morphing, das <strong>de</strong>n<br />

fließen<strong>de</strong>n Übergang von <strong>einer</strong> Grafik eines Gesichtes bzw. Körpers zu einem an<strong>de</strong>ren<br />

herstellt, eine weitere technische Gestaltungsmöglichkeit. Es eröffnet die Option, dass<br />

virtuelle Menschen ihr Geschlecht in gewissen zeitlichen Abstän<strong>de</strong>n automatisch<br />

wechseln. Die drei Vorschläge <strong>de</strong>r Verunein<strong>de</strong>utigung von Geschlecht unterlaufen<br />

Grundannahmen <strong>de</strong>s bestehen<strong>de</strong>n Zweigeschlechtlichkeitssystems, nach <strong>de</strong>nen je<strong>de</strong><br />

Person ein und nur eines von zwei Geschlechtern hat und dieses zugleich unverän<strong>de</strong>rbar<br />

ist (vgl. hierzu auch Bath 2001a). In diesem Sinne könnten sie als eine De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring-Strategie für virtuelle RepräsentantInnen, aber auch im Fall <strong>de</strong>r menschenähnlichen<br />

Maschinen eingesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Jedoch liegen meines Wissens bislang noch keine Versuche <strong>de</strong>r technischen<br />

Umsetzung <strong>de</strong>rartiger <strong>de</strong>konstruktiver I<strong>de</strong>en vor. Allein im Bereich <strong>de</strong>r Kunst fin<strong>de</strong>n<br />

sich Beispiele, die auf ähnliche Weise versuchen, die binäre Geschlechterordnung zu<br />

unterlaufen. 362 Dieses Fehlen von feministischen Umsetzungsversuchen für Technologien<br />

<strong>de</strong>r Selbstgestaltung kann im Fall <strong>de</strong>r virtuellen Menschen zum Teil darauf<br />

zurückgeführt wer<strong>de</strong>n, dass die ForscherInnen und EntwicklerInnen dieses Bereichs<br />

danach streben, möglichst konsistente virtuelle Persönlichkeiten zu konstruieren (vgl.<br />

Bath/ Weber 2006). Ihr selbst erklärtes Ziel, artifizielle Charaktere als „glaubwürdige“<br />

zu kreieren, geht gera<strong>de</strong> nicht mit einem postmo<strong>de</strong>rnen Konzept vielfältiger und instabiler<br />

Subjektivität sowie turbulent-flexibler Körper (vgl. Weber/ Bath 2003) einher,<br />

welches für die vorgeschlagene De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie vorauszusetzen wäre, son<strong>de</strong>rn<br />

grün<strong>de</strong>t vielmehr auf einem in <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne wurzeln<strong>de</strong>n Verständnis einheitlicher<br />

I<strong>de</strong>ntität und Körperlichkeit.<br />

Dies erklärt jedoch nicht, warum <strong>de</strong>r Bereich <strong>de</strong>r Vi<strong>de</strong>o- und Computerspiele solche<br />

<strong>de</strong>konstruktiven Techniken bisher nicht stärker einsetzt, gilt dieser doch gemeinhin als<br />

kreativer, mutiger und provokativer als die Künstliche Intelligenz, die sich oft auf ein<br />

kognitivistisches und positivistisches Menschenbild bezieht. Diese Frage stellt sich<br />

insbeson<strong>de</strong>re für pädagogisch motivierte Spiele, die vereinzelt bereits darauf abzielen<br />

<strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen zu ermöglichen, neue Rollen virtuell zu erproben o<strong>de</strong>r Herstellungs-<br />

und Zuweisungsprozesse von Geschlechtlichkeit <strong>kritisch</strong> zu reflektieren (vgl.<br />

etwa Hanappi-Egger 2007). Die prinzipiell <strong>de</strong>nk- und realisierbaren Techniken <strong>de</strong>r<br />

Vervielfältigung und Verunein<strong>de</strong>utigung von Geschlecht könnten gera<strong>de</strong> dort<br />

beson<strong>de</strong>rs wirkungsvoll für die Kreation alternativer virtueller StellvertreterInnen und<br />

Spielfiguren angewandt wer<strong>de</strong>n.<br />

362 Am bekanntesten sind das 1997 in <strong>de</strong>r Digitalen Stadt Amsterdam (www.dds.nl) veröffentlichte Kalen<strong>de</strong>r-Projekt<br />

„Women with Beards“, das lei<strong>de</strong>r nicht mehr zugänglich ist (vgl. hierzu etwa Weber 2001),<br />

sowie die changieren<strong>de</strong>n Toilettenpiktogramme, die She Lea Cheang in Ge<strong>de</strong>nken an <strong>de</strong>n 1993<br />

ermor<strong>de</strong>ten Transgen<strong>de</strong>r Brandon Teena kreierte (http://brandon.guggenheim.org/, letzter Zugriff am<br />

13.12.08).<br />

263


Für bei<strong>de</strong> Bereiche kann vermutet wer<strong>de</strong>n, dass das Zweigeschlechtlichkeitssystem<br />

so tief und selbstverständlich verankert ist, dass es <strong>de</strong>n GestalterInnen schwer fällt,<br />

Vorschläge <strong>de</strong>r Verunein<strong>de</strong>utigung von Geschlecht bei <strong>de</strong>n Spielfiguren technisch<br />

umzusetzen, zu testen und die Reaktion von NutzerInnen zu evaluieren. Es ist jedoch<br />

auch möglich, dass <strong>de</strong>r vom „Design for Experience“-Ansatz adaptierte Weg für ein De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring virtueller Figuren scheitern wird, da Produkte solch provokativen Designs,<br />

welche die vorherrschen<strong>de</strong>n Sichtweisen durchkreuzen, von <strong>de</strong>n NutzerInnen nicht<br />

notwendigerweise angenommen wer<strong>de</strong>n. Darauf <strong>de</strong>uten etwa die Einschätzungen von<br />

Sengers und ihren KollegInnen zu einem Gestaltungsansatz, <strong>de</strong>r zwar nicht auf eine<br />

De-Konstruktion von Geschlecht zielt, aber Kritik an <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n Konsumkultur<br />

übt und versucht, <strong>de</strong>ren Werte subversiv zu untergraben: „[T]he provocative<br />

nature of critical <strong>de</strong>sign can backfire if people miss the ironic or subtle commentary. On<br />

the other hand, this may result in simply discounting the <strong>de</strong>sign as ridiculous or<br />

extreme without examining why“ (Sengers et al. 2005, 51).<br />

Sie selbst schlagen <strong>de</strong>shalb vor, durch eine entsprechen<strong>de</strong> Technologiegestaltung<br />

Reflektionen über <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Kritik stehen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r fragwürdigen Gegenstand direkt<br />

hervorzurufen und nicht nur zu versuchen, Irritationen und Überraschungsmomente bei<br />

<strong>de</strong>n BetrachterInnen zu erzeugen, wie es etwa die politische Kunst o<strong>de</strong>r das „Design<br />

for Experience“ anstrebt. Sengers, Boehner, David und Kaye bezeichnen einen<br />

solchen Gestaltungsanspruch konsequenterweise als „Reflective Design“.<br />

5.4.3. „Reflective Design“: Prozesse <strong>de</strong>r Reflektion <strong>de</strong>s Zweigeschlechtlichkeitssystems<br />

bei GestalterInnen und NutzerInnen mit offenem Ausgang<br />

„Reflective Design“ (Sengers et al. 2005) zielt primär darauf, kulturell verankerte Werte<br />

und unbewusste Annahmen, die technischen Artefakten o<strong>de</strong>r bereits <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n<br />

und Praktiken zu ihrer Konstruktion eingeschrieben sind, bewusst zu machen, um auf<br />

dieser Grundlage alternative Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln und auszuprobieren.<br />

Die zu entwickeln<strong>de</strong>n Artefakte sollen damit nicht nur umfassen<strong>de</strong> Erfahrungen,<br />

son<strong>de</strong>rn zugleich eine Reflektion gesellschaftlich-kultureller Selbstverständnisse<br />

ermöglichen: „reflection itself should be a core technology <strong>de</strong>sign outcome of HCI“<br />

(Sengers et al. 2005, 50).<br />

Dazu kombiniert „Reflective Design“ <strong>kritisch</strong>e Theorien – d.h. Reflektion – mit <strong>kritisch</strong>en<br />

Technikgestaltungsansätzen. Reflektion wird dabei als <strong>kritisch</strong>e Reflektion im<br />

Sinne von Gesellschaftskritik bzw. -theorie verstan<strong>de</strong>n. So nimmt „Reflective Design“<br />

theoretische Anleihen bei marxistischen, feministischen und postkolonialen Ansätzen,<br />

Kultur- und Medienwissenschaften sowie Psychoanalyse. Auf dieser Grundlage sollen<br />

Selbstverständnisse und unbewusste Aspekte bei <strong>de</strong>r Technikgestaltung offen gelegt<br />

und somit – als ein erster Schritt möglicher Verän<strong>de</strong>rung – <strong>de</strong>r bewussten Entscheidung<br />

zugänglich gemacht wer<strong>de</strong>n. „Critical theory argues that our everyday value,<br />

practices, perspectives, and sense of agency and self are strongly shaped by forces<br />

and agendas of which we are normally unaware such as the politics of race, gen<strong>de</strong>r<br />

and economics.“ (Sengers et al. 2005, 50).<br />

Der Ansatz bleibt jedoch nicht bei <strong>einer</strong> <strong>kritisch</strong>en Bewusstmachung impliziter<br />

Vorannahmen stehen, son<strong>de</strong>rn setzt diese Erkenntnisse in die Praxis <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

um. „Reflective Design“ arbeitet mit verschie<strong>de</strong>nen Metho<strong>de</strong>n <strong>kritisch</strong>er<br />

264


Technologiegestaltung in <strong>de</strong>r Informatik. Er umfasst vor allem Elemente aus <strong>de</strong>m<br />

Particapatory Design, Value Sensitive Design, Critical Technical Practice sowie<br />

„Design for Experience“, 363 die geeignet ausgewählt und kombiniert wer<strong>de</strong>n, so dass<br />

sowohl <strong>de</strong>r Prozess als auch das Produkt Reflektionen bei <strong>de</strong>n DesignerInnen und<br />

NutzerInnen anzustoßen vermag. Ziel ist es, die Artefakte selbst als Akteure <strong>kritisch</strong>er<br />

Positionen zu konzipieren: „reflective <strong>de</strong>sign is about building technologies that<br />

embody a critical perspective“ (Sengers 2005, o.S.).<br />

In<strong>de</strong>m Reflektion dabei nicht als eine rein kognitive Tätigkeit verstan<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />

als verwoben mit je<strong>de</strong>r Wahrnehmung und Erfahrung <strong>de</strong>r Welt aufgefasst wird, baut<br />

<strong>de</strong>r Ansatz auf <strong>de</strong>n Konzepten <strong>de</strong>s „Design for Experience“ auf. Im Gegensatz zu<br />

letzterem zielt „Reflective Design“ jedoch nicht nur auf Reflektionsprozesse bei <strong>de</strong>n<br />

NutzerInnen, son<strong>de</strong>rn zugleich auf <strong>de</strong>n Technikgestaltungsprozess <strong>de</strong>r DesignerInnen.<br />

Dies korrespondiert mit <strong>de</strong>r Verschiebung, nicht mehr nur auf Erfahrung zu fokussieren,<br />

son<strong>de</strong>rn tief greifen<strong>de</strong> Voraussetzungen und grundlegen<strong>de</strong> Annahmen <strong>de</strong>r<br />

Gestaltung eines Artefaktes herauszuarbeiten und ggf. zu verän<strong>de</strong>rn. Damit bietet <strong>de</strong>r<br />

Ansatz prinzipiell die Möglichkeit, auch solchen Vergeschlechtlichungsprozessen zu<br />

begegen, die aus <strong>de</strong>n impliziten Geschlechter-Vorstellungen <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen<br />

resultieren. Insbeson<strong>de</strong>re aufgrund seines expliziten Bezugs auf Geschlechtertheorien,<br />

durch <strong>de</strong>n er sich vom „Design for Experience“ unterschei<strong>de</strong>t, birgt er das Potential,<br />

vorherrschen<strong>de</strong> gesellschaftliche Selbstverständnisse von Geschlecht zu überwin<strong>de</strong>n.<br />

Solche Selbstverständnisse – wie das Zweigeschlechtlichkeitsmo<strong>de</strong>ll – hatten sich speziell<br />

bei <strong>de</strong>r Konstruktion menschenähnlicher Maschinen und virtueller StellvertreterInnen<br />

als Barrieren für die Gestaltung geschlechtlich unein<strong>de</strong>utiger Charaktere erwiesen.<br />

Der Ansatz erscheint nicht nur konzeptuell geeignet für ein De-Gen<strong>de</strong>ring von<br />

Technologien <strong>de</strong>r Selbstgestaltung, son<strong>de</strong>rn umfasst – im Vergleich zu <strong>de</strong>m vorangehend<br />

beschriebenen „Design for Experience“ – konkret ausformulierte Prinzipien und<br />

Strategien. Den Gestaltungsprinzipien zufolge soll die Reflektion auf vier Ebenen<br />

zielen: 1. auf die impliziten Annahmen und Selbstverständnisse im Technikgestaltungsprozess,<br />

2. auf eine Selbstreflektion <strong>de</strong>r DesignerInnen, die sich ihrer eigenen Rolle im<br />

Gestaltungsprozess bewusst wer<strong>de</strong>n sollen, 3. sollen die NutzerInnen durch das<br />

System darin unterstützt wer<strong>de</strong>n, über ihr eigenes Leben zu reflektieren und 4. soll die<br />

Technologie, d.h. das Produkt, die Anwen<strong>de</strong>rInnen dazu anregen, <strong>de</strong>ssen Funktion zu<br />

hinterfragen und Re-Interpretationen vorzunehmen. Dabei wird davon ausgegangen,<br />

dass gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r intensive Austausch und die intensive Zusammenarbeit zwischen<br />

NutzerInnen und DesignerInnen eine Reflektion auf diesen verschie<strong>de</strong>nen Ebenen<br />

beför<strong>de</strong>rn und vertiefen können. Ferner grün<strong>de</strong>t „Reflective Design“ auf <strong>de</strong>r Annahme,<br />

dass diese <strong>kritisch</strong>e Reflektion einen direkten Einfluss auf Handlungen und Praxen <strong>de</strong>r<br />

Subjekte hat.<br />

Zur Umsetzung dieser Ziele schlägt <strong>de</strong>r Ansatz eine Reihe von Strategien vor, die<br />

auf Reflektionen bei <strong>de</strong>n NutzerInnen und <strong>de</strong>n DesignerInnen zielen, und aufgrund<br />

363 „Participatory Design“ wur<strong>de</strong> im letzten Kapitel 5.3. beschrieben, „Value Sensitive Design“ und „Critical<br />

Technical Practice“ im nachfolgen<strong>de</strong>n Kapitel 5.5. erklärt. Ferner grün<strong>de</strong>t „Reflective Design“ im „Critical<br />

Design“, „Ludic Design“ und <strong>de</strong>m „Reflection-in-Action“-Ansatz, die ich hier grob unter „Design for<br />

Experience“ subsumiere. Sengers selbst bezeichnet <strong>de</strong>n letzteren Ansatz als „Reflective HCI“, betrieben<br />

von „people who are interested in bringing this kind of self reflexive mo<strong>de</strong> into HCI – in the same way that<br />

self-reflexivity is integral to e.g. anthropology, cultural studies or humanistic or artistic disciplines“ (Sengers<br />

2005, o.S.).<br />

265


laufen<strong>de</strong>r Erfahrung erweitert und ergänzt wer<strong>de</strong>n sollen. Dazu gehört es, die Artefakte<br />

so zu konzipieren, dass die NutzerInnen selbst <strong>de</strong>n Sinn und die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />

Technologie herstellen. Die „interpretative Flexibilität“ 364 impliziert, dass sie an <strong>de</strong>r<br />

Be<strong>de</strong>utungskonstruktion grundlegend partizipieren und dafür mitverantwortlich sind.<br />

Die NutzerInnen sollen jedoch darüber hinaus aktiv zum System beitragen, etwa zu<br />

<strong>de</strong>ssen Inhalten, aber auch durch ein dynamisches Feedback während <strong>de</strong>r Gestaltung<br />

und Nutzung. Aufgabe <strong>de</strong>r DesignerInnen sei es, ein wertvolles und umfassen<strong>de</strong>s<br />

Feedback von <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>rInnen zu ermöglichen und zu beför<strong>de</strong>rn. Technologische<br />

Produkte sollen als Experimente verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>nen nicht nur ein besseres<br />

Verständnis <strong>de</strong>r NutzerInnen und <strong>de</strong>r Effekte von Technologien-im-Gebrauch erzielt<br />

wer<strong>de</strong>n soll. Vielmehr seien diese Experimente zugleich ein Spiegel für die Praktiken<br />

<strong>de</strong>r Technikgestaltung und -evaluation, <strong>de</strong>r dazu dienen kann, die Herstellungsweise<br />

zu reflektieren.<br />

Als konkrete Metho<strong>de</strong>n bzw. Techniken <strong>de</strong>s „Reflective Design“ wird vorgeschlagen,<br />

Ambiguität und Verfremdung herzustellen sowie Metaphern zu invertieren. Sind die<br />

Systeme unein<strong>de</strong>utig, so for<strong>de</strong>re dies die NutzerInnen und GestalterInnen heraus, <strong>de</strong>n<br />

Sinn <strong>de</strong>r Technologie selbst herzustellen. Einen ähnlichen Effekt hätten Systeme, die<br />

das gemeinhin Bekannte etwa durch Verschiebung <strong>de</strong>s Kontextes befremdlich<br />

machen. Ferner könne es eine reichhaltige Inspirationsquelle für das Design darstellen,<br />

traditionelle Metaphern <strong>de</strong>r Technikgestaltung zu hinterfragen und ggf. umzukehren.<br />

Während <strong>de</strong>r Verunein<strong>de</strong>utigungsansatz bereits im Kontext <strong>de</strong>s „Design for<br />

Experience“ vorgestellt wur<strong>de</strong>, gehört die Invertierung von Metaphern zum Kern <strong>de</strong>s<br />

„Critical Technical Practice“-Ansatzes, <strong>de</strong>r im nächsten Kapitel 5.5 ausführlicher<br />

beschrieben wird. Deshalb wer<strong>de</strong> ich an dieser Stelle nur auf die aus Literatur und<br />

Theater entlehnte Strategie <strong>de</strong>r Verfremdung näher eingehen, die im Gegensatz zur<br />

Herstellung von Ambiguität auf die DesignerInnen zielt.<br />

Verfremdung als ein Mittel <strong>de</strong>r Technologiegestaltung wur<strong>de</strong> erstmals explizit auf<br />

einem Workshop <strong>de</strong>r CHI 2003 vorgeschlagen (Bell et al. 2003), um neue<br />

Gestaltungsräume zu eröffnen, die ansonsten aufgrund nicht reflektierter Vorannahmen<br />

verschlossen blieben. Doch lassen sich ältere Ansätze darunter ebenso subsumieren,<br />

wie etwa <strong>de</strong>r Einsatz von extremen Charakteren 365 statt <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r HCI üblichen<br />

„prototypischen NutzerIn“ zur Repräsentation <strong>de</strong>r Zielgruppe, für die eine Technologie<br />

gestaltet wer<strong>de</strong>n soll (Djajadiningrat et al. 2000). Ziel <strong>de</strong>r Verfremdungstechnik ist es,<br />

implizite Annahmen über NutzerInnen, kulturelle Selbstverständnisse und an<strong>de</strong>re alltagsübliche<br />

Interpretationen, die Technologien zugrun<strong>de</strong> liegen, zu entlarven, um Alternativen<br />

zur herkömmlichen Gestaltung vorschlagen zu können. Dabei wird davon<br />

ausgegangen, dass die mittels Verfremdung erzielten Entwürfe auch für die „normalen“<br />

NutzerInnen interessant und brauchbar sein können. Es wird betont, dass Verfremdung<br />

keine wissenschaftliche Metho<strong>de</strong> sei o<strong>de</strong>r auf ein besseres Verständnis <strong>de</strong>r NutzerInnen<br />

ziele, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen eine Brille zur Verfügung stelle, die es<br />

ermögliche, ihre eigenen Praktiken in einem an<strong>de</strong>ren und neuen Licht zu sehen (vgl.<br />

364 Das Konzept <strong>de</strong>r „interpretativen Flexibilität“, welches <strong>de</strong>r Wissenschafts- und Technikforschung entlehnt<br />

ist, teilt <strong>de</strong>r Ansatz mit <strong>de</strong>m „Design for Experience“, vgl. hierzu auch Kapitel 3.3.<br />

365 Djajadiningrat et al. 2000 etwa nutzten Profile eines Drogen<strong>de</strong>alers, <strong>de</strong>s Papstes und <strong>einer</strong> 20-jährigen,<br />

die gleichzeitig mehrere sexuelle Kontakte pflegt, um einen elektronischen Terminplaner für PDAs zu<br />

entwerfen.<br />

266


Bell et al. 2005, 169). Verfremdung sei primär eine literarische Strategie „De-familiarization<br />

is first and foremost a literary <strong>de</strong>vice, a style of writing“ (ebd.).<br />

Als Beispiel für ein „Making by making strange“ (Bell et al. 2005) nutzen die AutorInnen<br />

kulturelle Unterschie<strong>de</strong>, die innovative Designi<strong>de</strong>en in Bezug auf im häuslichen<br />

Bereich eingesetzte Technologien generieren sollen. Dabei wird die Verfremdung<br />

darüber hergestellt, dass sie die politische Geschichte US-amerikanischer Küchen mit<br />

ethnographischen Studien über Familienleben in Großbritannien und Asien kontrastieren.<br />

Dieser Kulturvergleich ver<strong>de</strong>utliche, dass es genügt, in Gedanken zu reisen.<br />

Dennoch sei – ebenso wie bei traditionellen Formen <strong>de</strong>r Aufgabenanalyse in HCI –<br />

eine gewisse Strenge in <strong>de</strong>r Durchführung notwendig, sowie eine Aufmerksamkeit für<br />

Details, die als selbstverständlich gelten. Eine breite Kenntnis von historischen, politischen<br />

o<strong>de</strong>r anthropologischen Studien könne dazu äußerst hilfreich sein. Auf dieser<br />

Grundlage arbeiteten Bell, Blythe und Sengers eine Reihe gängiger Annahmen über<br />

die im Haushalt eingesetzten Technologien heraus, die von <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen<br />

häufig unhinterfragt übernommen und in das Design <strong>de</strong>r Artefakte eingeschrieben<br />

wür<strong>de</strong>n. So wer<strong>de</strong> (Haushalts-)Technologie zumeist mit Effizienz gleichgesetzt, was<br />

sich jedoch technikhistorischen und darunter insbeson<strong>de</strong>re feministischen Studien<br />

zufolge als Mythos erwiesen hat. 366 Eine weitere Annahme läge darin, Haushalte als in<br />

sich geschlossen zu unterstellen. Dagegen hätte <strong>de</strong>r Kulturvergleich gezeigt, dass jene<br />

nur in ihrer Verbindung zu an<strong>de</strong>ren Haushalten und ihrer Einbettung in Gemeinschaften<br />

zu verstehen sind. Feministisch-gesellschafts<strong>kritisch</strong>e Untersuchungen<br />

dienen dabei nicht nur als theoretischer Hintergrund, um mittels Verfremdung gängige<br />

Selbstverständnisse zu entlarven. Vielmehr nehmen die AutorInnen sogar explizit auf<br />

in Technologien eingeschriebene Geschlechterannahmen Bezug. „Gen<strong>de</strong>r assumptions<br />

about labor [...] built into technology and reinforce stereotypes about who in the<br />

home should do what“ (Bell et al. 2005, 168). TechnikgestalterInnen hätten dagegen<br />

jedoch die Möglichkeit, diese eingebauten Geschlechtsvorstellungen zu verän<strong>de</strong>rn und<br />

neue Verhaltensmuster zu unterstützen. Die AutorInnen betonen, dass eine solche<br />

Gestaltungsstrategie mittels <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „User-Centered Design“ (vgl. Kapitel<br />

5.2.) nicht bewerkstelligt wer<strong>de</strong>n könne, da die Verfremdungstechnik darauf zielt,<br />

alternative Wünsche, Bedürfnisse und Verhaltensweisen zu formen statt bei <strong>de</strong>n<br />

NutzerInnen bereits vorliegen<strong>de</strong> Wünsche und Bedürfnisse zu unterstützen.<br />

Insgesamt erscheint „Reflective Design“ aufgrund <strong>de</strong>s theoretischen Ansatzes wie<br />

auch <strong>de</strong>r praktischen Strategien <strong>de</strong>r Gestaltung noch besser als das „Design for<br />

Experience“ dazu geeignet, <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Technologien <strong>de</strong>s Selbst<br />

entgegen zu wirken. Es zielt auf eine umfassen<strong>de</strong>re Kritik, in<strong>de</strong>m hier nicht nur bei <strong>de</strong>n<br />

NutzerInnen mittels künstlerisch-provokativer Strategien Wirkungen evoziert, son<strong>de</strong>rn<br />

auch bei <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen Reflektionsprozesse in Gang gesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

sollen. Ferner wird auf einen breiten Hintergrund <strong>kritisch</strong>er Gesellschaftsanalysen<br />

zurückgegriffen, innerhalb <strong>de</strong>ssen die Ergebnisse <strong>de</strong>r Geschlechterforschung einen<br />

zentralen Stellenwert haben. Diese theoretischen Bezüge ermöglichen zugleich, <strong>de</strong>r<br />

Einschreibung geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung in Software o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r stereo-<br />

366 „Domestic technologies often tra<strong>de</strong> one kind of task for another (cleaning for shopping in the case of<br />

the food processor), create work by raising standards, or make a variety of zero-sum tra<strong>de</strong>offs between<br />

saving time and saving labor“ (Bell et al. 2003, 166) fassen die AutorInnen einige Gegenargumente<br />

feministischer Studien (z.B. Cowan 1983) zusammen.<br />

267


typen Markierung von Kompetenzen zu begegnen, wie das Beispiel <strong>de</strong>r Verfremdung<br />

von Haushaltstechnologien ver<strong>de</strong>utlicht. „Reflective Design“ stellt damit eine weitere<br />

Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring für diejenigen Technologien zur Verfügung, die in Kapitel<br />

4.2. und in diesem Kapitel angesprochen wur<strong>de</strong>n.<br />

Die Metho<strong>de</strong> liefert aufgrund <strong>de</strong>ssen <strong>einer</strong>seits mehr als eine De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Strategie für Technologien zu Selbstgestaltung, die in diesem Kapitel 5.4. nachgefragt<br />

war. An<strong>de</strong>rseits bleibt ihr Potential hinsichtlich <strong>de</strong>r De-Konstruktion von Geschlecht<br />

insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>n virtuellen StellvertreterInnen und menschenähnlichen Maschinen<br />

unkonkret, da bislang noch keine Umsetzungsversuche <strong>de</strong>s Ansatzes mit Bezug auf<br />

die Vergeschlechtlichung von Subjektrepräsentationen vorliegen. Denn während sich<br />

mit Hilfe <strong>de</strong>s „Design for Experience“ zumin<strong>de</strong>st einige Zielrichtungen aufzeigen<br />

lassen, wie sich ent-vergeschlechtlichte Technologien <strong>de</strong>r Selbstgestaltung <strong>de</strong>nken<br />

lassen, verbleibt <strong>de</strong>r Ausgang eines Gestaltungsprozesses mit Hilfe <strong>de</strong>s „Reflective<br />

Design“ im Spekulativen, da <strong>de</strong>r Prozess ein offener ist, <strong>de</strong>r erfahrungsgemäß nicht auf<br />

ein bestimmtes Ergebnis hin auszurichten ist.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz erscheinen die in diesem Kapitel 5.4. vorgestellten Metho<strong>de</strong>n und<br />

ihre zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n theoretischen Positionen für das hier angestrebte Vorhaben<br />

<strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring von Konstruktionen <strong>de</strong>s Selbst in und durch Technologien, die im<br />

Kapitel 4.2.5. als zutiefst vergeschlechtlichte und normalisierte Subjektkonstitutionen<br />

aufgezeigt wur<strong>de</strong>n, äußerst viel versprechend. Zum einen eröffnen sie die Möglichkeit,<br />

das Geschlecht <strong>de</strong>r virtuellen Figuren und materiellen Verkörperungen zu vervielfältigen<br />

und zu verunein<strong>de</strong>utigen o<strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong> Normen <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit<br />

technisch zu verletzen, um damit <strong>de</strong>n NutzerInnen über die viel zitierte Variante <strong>de</strong>s<br />

Geschlechtsrollentauschs hinaus neue Erfahrungen mit androgyn bzw. gebrochen<br />

vergeschlechtlichten Körpern o<strong>de</strong>r auch Geschlechtsverwandlungen zu erproben, die<br />

mit <strong>de</strong>m Auseinan<strong>de</strong>rfallen von gelebten und verkörperten Repräsentationen <strong>de</strong>s<br />

Selbst im Technischen möglich wer<strong>de</strong>n. Zum an<strong>de</strong>ren bieten sich die Ansätze an, auch<br />

die Reflektion über Geschlecht, Technologie und <strong>de</strong>ren performativen Charakter zu<br />

unterstützen. So <strong>de</strong>monstrieren virtuelle Charaktere und an<strong>de</strong>re menschenähnliche<br />

Verkörperungen par excellence die posthumane Performanz von Geschlecht, <strong>de</strong>nen<br />

bisher jedoch eine geschlechts- und sexualitätsnormalisieren<strong>de</strong>r Wirkung nachgesagt<br />

wer<strong>de</strong>n muss (vgl. Kapitel 4.2.5.). Insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Bezug auf Erfahrung und die<br />

Techniken <strong>de</strong>r Verfremdung lassen sich hier in <strong>de</strong>m Sinne <strong>de</strong>uten, die Performativität<br />

von Geschlecht bei <strong>de</strong>r Gestaltung bestimmter Systeme auszunutzen, um nicht nur<br />

geschlechtersubversive Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>r Artefakte zu produzieren, son<strong>de</strong>rn zugleich<br />

die Vorannahmen <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen über das, was für sie Geschlecht darstellt,<br />

grundlegend zu <strong>de</strong>-konstruieren. Dies könnte sogar noch nachhaltigere Effekte<br />

hervorbringen als nur eine Konstruktion alternativer Artefakte. Denn sobald DesignerInnen<br />

Geschlechtlichkeit anhand <strong>de</strong>s Beispiels virtueller Charaktere nicht mehr nur als<br />

Zitate bestehen<strong>de</strong>r Geschlechternormen verstün<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn Verschiebungen, Brüche<br />

und Verän<strong>de</strong>rungsmöglichkeiten von Geschlechtlichkeit erlaubten, die im realen Körper<br />

und Leben nicht leicht möglich sind, könnte dieses „Sichtbarwer<strong>de</strong>n“ <strong>de</strong>s performativen<br />

Charakters von Geschlecht und Technologie eine queere Vorstellung von Geschlecht<br />

jenseits <strong>de</strong>r binären Norm beför<strong>de</strong>rn. Eine solche Erkenntnis könnte jedoch<br />

insbeson<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „Reflective Design“ auch zu ganz an<strong>de</strong>ren<br />

Designi<strong>de</strong>en führen, die hier bisher noch nicht bedacht wur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r auch noch nicht<br />

268


<strong>de</strong>nkbar erscheinen. Sie könnte etwa von <strong>de</strong>r Grundannahme, dass Technologien <strong>de</strong>r<br />

Selbstgestaltung körperlich-grafisch repräsentiert wer<strong>de</strong>n müssen, abrücken o<strong>de</strong>r auch<br />

von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e, die Maschinen menschenähnlich zu gestalten, komplett Abstand<br />

nehmen. Dies legen die Technologien, die bisher auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s „Reflective<br />

Design“ konzipiert wur<strong>de</strong>n, nahe (vgl. Sengers 2003), bei <strong>de</strong>nen versucht wird,<br />

jedwe<strong>de</strong> Essentialisierung, Verdinglichung und Festschreibung von Normen zu<br />

vermei<strong>de</strong>n, die eine Nachbildung menschlicher Eigenschaften o<strong>de</strong>r Verkörperungen<br />

mit sich brächten. Insofern lässt die konsequente Anwendung <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

„Reflective Design“ auf Technologien <strong>de</strong>r Selbstgestaltung mit <strong>de</strong>m Ziel ihres De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring einen spannen<strong>de</strong>n Prozess und Ausgang erwarten.<br />

5.5. De-Gen<strong>de</strong>ring von Formalismen, Grundannahmen und Grundlagenforschung:<br />

Ansatzpunkte und Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rate<br />

Neben <strong>de</strong>n in diesem Kapitel 5 bereits betrachteten Klassen von Technologien –<br />

scheinbar neutrale Anwendungstechnologien für Je<strong>de</strong> und Je<strong>de</strong>n, Technologien für<br />

sich aus <strong>de</strong>r Genusgruppe <strong>de</strong>r Frauen rekrutieren<strong>de</strong>n Zielgruppen und Technologien<br />

<strong>de</strong>r Selbstgestaltung – gibt es eine weitere, umfangreiche Klasse <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte, die bislang noch nicht diskutiert wor<strong>de</strong>n ist. Zu diesen Artefakten, die <strong>de</strong>n<br />

Grundlagen <strong>informatischer</strong> Technologien bzw. <strong>de</strong>r Grundlagenforschung <strong>de</strong>r Informatik<br />

zugeordnet wer<strong>de</strong>n können, gehören Algorithmen, Formalismen und informatische<br />

Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technikgestaltung sowie konzeptuelle Annahmen, Klassifikationssysteme<br />

und Dichotomien, für die in Kapitel 4.3. ebenfalls tiefgreifen<strong>de</strong> Prozesse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

nachgewiesen wer<strong>de</strong>n konnten. In diesem Abschnitt wird <strong>de</strong>r Versuch<br />

unternommen, De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategien auch für diese Klasse von Artefakten zu<br />

entwickeln.<br />

Eine Schwierigkeit, für diese Form <strong>informatischer</strong> Artefakte methodische Vorschläge<br />

unterbreiten zu wollen, stellen die vergleichsweise abstrakten Ebenen dar, auf <strong>de</strong>nen<br />

die Vergeschlechtlichung dieser Artefakte erfolgt. Die Praktiken und Produkte gehen<br />

aus Formalisierungs- und Klassifikationsprozessen hervor, <strong>de</strong>ren Abstraktionsgrad es<br />

zunächst erfor<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>n Gegenstand als solchen <strong>de</strong>r Analyse und Reflektion möglicher<br />

Vergeschlechtlichung zugänglich zu machen. In Kapitel 4.3. wur<strong>de</strong>n entsprechend die<br />

De-Kontextualisierung, die Setzung fragwürdiger epistemologischer und ontologischer<br />

Grundannahmen sowie <strong>de</strong>r implizite Bezug auf traditionelle Dichotomien als<br />

Mechanismen i<strong>de</strong>ntifiziert, durch welche eine Vergeschlechtlichung zustan<strong>de</strong> kommen<br />

kann. Ein solches Gen<strong>de</strong>ring liegt damit häufig primär auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>s<br />

Symbolischen. Tatsächlich kann dies jedoch – wie anhand verschie<strong>de</strong>ner Beispiele<br />

<strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n ist – strukturell äußerst wirksam wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese Problemstellung unterschei<strong>de</strong>t sich nur graduell von <strong>de</strong>n bisher diskutierten<br />

Prozessen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte. Deshalb können viele<br />

<strong>de</strong>r bereits vorgestellten Vorgehensweisen zur Technikgestaltung auch hier zum Einsatz<br />

kommen. Insbeson<strong>de</strong>re das „Participatory Design“ strebt danach, stärker auch auf<br />

abstrakten Ebenen <strong>de</strong>r Formalisierung <strong>kritisch</strong> zu intervenieren, um <strong>de</strong>n Objektivitätsanspruch<br />

formaler Objekte und Spezifikationen, hinter <strong>de</strong>nen sich Technik-<br />

269


gestalterInnen häufig verstecken, zu unterminieren 367 und kann damit zu einem De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring beitragen.<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>informatischer</strong> Artefakte vorgestellt,<br />

die im Vergleich zu genannten Ansätzen direkt auf die in Kapitel 4.3. i<strong>de</strong>ntifizierten<br />

Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung fokussieren. Das heißt, dass diese Ansätze<br />

darauf ausgerichtet sind, die TechnikgestalterInnen zur Reflektion und Sichtbarmachung<br />

<strong>de</strong>r eigenen, in Abstraktionen und Formalismen verborgenen Vorannahmen<br />

anzuregen, damit an<strong>de</strong>re und aus Sicht <strong>de</strong>r Geschlechterforschung bessere Artefakte<br />

produziert wer<strong>de</strong>n können. Ferner zielen diese Techniken jeweils speziell auf eine Re-<br />

Kontextualisierung von Formalismen, auf eine Revision <strong>de</strong>r epistemologischen und<br />

ontologischen Grundannahmen bzw. auf eine De-Konstruktion von Dichotomien im<br />

Sinne <strong>de</strong>r Wahrnehmung, Anerkennung o<strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>s Ausgegrenzten, ab.<br />

Vorgestellt und diskutiert wer<strong>de</strong>n die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r „Narrative Transformation“ und <strong>de</strong>s<br />

„Mind Scripting“, mit <strong>de</strong>nen implizite Annahmen und Gen<strong>de</strong>rskripte im Technikgestaltungsprozess<br />

aufge<strong>de</strong>ckt und transformiert wer<strong>de</strong>n können, „Value Sensitive<br />

Design“, das auf die explizite Einschreibung humaner Werte in Technologien zielt,<br />

„Critical Technical Practice“, durch die sich marginalisierte Aspekte menschlichen<br />

Han<strong>de</strong>lns in die technische Konzeption und Umsetzung integrieren lassen, sowie eine<br />

intervenieren<strong>de</strong> „Laborstudien“-Forschung, die mit Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r sozial- und kulturwissenschaftlichen<br />

Technikforschung auf Konzepte <strong>de</strong>r informatischen Grundlagenforschung<br />

während ihrer Entstehung feministisch-<strong>kritisch</strong> Einfluss zu nehmen sucht.<br />

5.5.1. „Narrative Transformation“ und „Mind Scripting“: Erinnerungs- und<br />

Reflektionsarbeit mit <strong>de</strong>n DesignerInnen<br />

Im letzten Kapitel 5.4. wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m „Reflective Design“ bereits eine<br />

Technikgestaltungsmetho<strong>de</strong> vorgestellt, die nicht nur darauf zielt, Reflektionsprozesse<br />

bei <strong>de</strong>n NutzerInnen durch eine entsprechen<strong>de</strong> Gestaltung <strong>de</strong>s Produkts anzustoßen,<br />

son<strong>de</strong>rn auch die EntwicklerInnen dazu anzuregen, sich eigene Selbstverständlichkeiten<br />

bewusst zu machen und zu hinterfragen. Ein solches Sichtbarmachen und<br />

<strong>kritisch</strong>es Reflektieren <strong>de</strong>r Vorannahmen von Seiten <strong>de</strong>r EntwicklerInnen erscheint<br />

vielfach notwendig, etwa um „moralische Ordnungen“ von Informationssystemen o<strong>de</strong>r<br />

in Software eingeschriebene Ontologien aufzu<strong>de</strong>cken, welche dazu tendieren, bestehen<strong>de</strong><br />

Macht- und Geschlechterverhältnisse festzuschreiben und zu verstärken. Im<br />

Kapitel 4.3. wur<strong>de</strong>n solche Politiken <strong>de</strong>s Formalen allgemein am Beispiel Susan Leigh<br />

Stars Zwiebelallergie (Star 1991a, b) und speziell anhand eines medizinischen<br />

Informationssystems (Willis 1997) vorgeführt. Ferner ist die Problematik ontologischer<br />

Klassifizierung von Kommunikationsabsichten mit Hilfe Lucy Suchmans Kritik an <strong>de</strong>m<br />

Kommunikationssystem COORDINATOR <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n (Suchman 1994), bei <strong>de</strong>m<br />

die DesignerInnen nicht nur auf ihre eigenen Vorstellungen zurückgriffen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch auf wissenschaftliche Theorien.<br />

Mit <strong>de</strong>m „Reflective Design“ können diese Probleme zwar in <strong>de</strong>n Blick genommen<br />

wer<strong>de</strong>n, allerdings gibt die Metho<strong>de</strong> keinen Hinweis darauf, wie <strong>de</strong>r Prozess <strong>de</strong>r<br />

367 Eine Variante besteht etwa darin, konsequent von <strong>de</strong>n TechnologiegestalterInnen einzufor<strong>de</strong>rn, dass<br />

sie formale Beschreibungen von Systemen o<strong>de</strong>r Anwendungskontexten in textuelle Beschreibungen<br />

übersetzen.<br />

270


Selbstreflektion bei <strong>de</strong>n TechnikgestalterInnen vonstatten gehen soll, mit welchen<br />

Mitteln er unterstützt und in alternative Artefakte übersetzt wer<strong>de</strong>n kann. Die grundlegen<strong>de</strong><br />

I<strong>de</strong>e, die DesignerInnen selbst zur Reflektion <strong>de</strong>r sozial-kulturellen Einschreibungen<br />

und Wirkungen <strong>de</strong>r von ihnen gestalteten Artefakte einzula<strong>de</strong>n, wird durch die<br />

Ansätze „Narrative Transformation“ (Törpel 2004, 2003a, b, Törpel/ Poschen 2002) und<br />

„Mind Scripting“ (Allhutter/ Hanappi-Egger 2006, Allhutter et al. 2008) zu eigenständigen<br />

methodischen Vorgehensweisen ausgebaut.<br />

Die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r narrativen Transformation hat Bettina Törpel mit <strong>de</strong>m Ziel<br />

entwickelt, Zweck und Funktionalität von IT-Arbeitsmitteln zu klären (Törpel 2004,<br />

2003a, b, Törpel/ Poschen 2002). Sie ist speziell auf Gruppen von DesignerInnen-<br />

NutzerInnen ausgerichtet, die – wie beispielsweise Freelancer und WissenschaftlerInnen<br />

– weitgehend selbst dafür verantwortlich sind, ihre Arbeitssituation zu <strong>de</strong>finieren,<br />

zu organisieren und dazu geeignete Arbeitsmittel einzusetzen. Dabei fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r<br />

Klärungsprozess vorwiegend innerhalb <strong>einer</strong> selbst zusammengefun<strong>de</strong>n Gruppe statt.<br />

Demgegenüber ist das „Mind Scripting“ in beliebigen Technikgestaltungsprozessen, die<br />

in Teamarbeit bewältigt wer<strong>de</strong>n, anwendbar und setzt die Unterstützung durch externe<br />

„Mind Scripting“-ExpertInnen voraus. Bei<strong>de</strong> Metho<strong>de</strong>n basieren wesentlich auf Frigga<br />

Haugs Ansatz <strong>de</strong>r kollektiven Erinnerungsarbeit.<br />

Das Konzept <strong>de</strong>r „kollektiven Erinnerungsarbeit“ (Haug 1990, Haug 1999) entstand<br />

in <strong>de</strong>n 1970er Jahren im Rahmen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Frauenbewegung. Wesentliches Ziel<br />

<strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> ist es, „I<strong>de</strong>ologien und Alltagstheorien, die das eigene Denken und Han<strong>de</strong>ln<br />

mitbestimmen, <strong>einer</strong> Reflektion zugänglich zu machen. Es han<strong>de</strong>lt sich um ein<br />

Verfahren <strong>de</strong>r Dekonstruktion, das soziale Aneignungsprozesse und Formen <strong>de</strong>s<br />

‚doing gen<strong>de</strong>r‘ freilegt und damit gesellschaftliche Konstruktionen von ‚Weiblichkeit‘<br />

und ‚Männlichkeit‘ und <strong>de</strong>ren Aneignung durch die Subjekte – im Sinne Haraways<br />

verkörperten Wissens – sichtbar macht“ (Allhutter et al. 2008, 155). Methodisch unterstützt<br />

wird dabei sowohl <strong>de</strong>r Reflektionsprozess, <strong>de</strong>r die eigene Sozialisation und die<br />

daraus resultieren<strong>de</strong>n beschränken<strong>de</strong>n Selbstverständnisse bewusst macht, als auch<br />

<strong>de</strong>r Prozess, die eigene Situation zu verbessern. Eine solche Selbstverän<strong>de</strong>rung wird<br />

als Gesellschaftsverän<strong>de</strong>rung verstan<strong>de</strong>n und umgekehrt. Damit wird ein enger<br />

Zusammenhang zwischen Frauen- bzw. Geschlechterforschung und Aktivismus, d.h.<br />

zwischen Wissenschaft und Politik hergestellt.<br />

Kollektive Erinnerungsarbeit ist eine sozialpsychologische Forschungsmetho<strong>de</strong>, die<br />

intendiert, das Wissen um Vergesellschaftungsprozesse zu erweitern und die Handlungsfähigkeit<br />

<strong>de</strong>r Subjekte zu vergrößern. Dabei sind Subjekt und Objekt <strong>de</strong>s<br />

Forschungsprozesses i<strong>de</strong>ntisch, <strong>de</strong>nn die Geschichten <strong>de</strong>r Beteiligten sollen diesen als<br />

empirische Grundlage <strong>de</strong>s eigenen Forschungsprozesses dienen, auf <strong>de</strong>ren Basis sie<br />

herausarbeiten können, wie ihre Sozialisation erfolgt ist und welche Handlungsmuster<br />

sie im Zuge dieser herausgebil<strong>de</strong>t haben. Ein wesentliches Merkmal <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> ist<br />

die kollektive Empirie – ihr Untersuchungsgegenstand die kollektive Erinnerung mit<br />

Hilfe von Narrationen. Dies beinhaltet zugleich eine Analyse <strong>de</strong>s Anteils, <strong>de</strong>n die<br />

Beteiligten selbst an <strong>de</strong>r Reproduktion <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Kultur und I<strong>de</strong>ologie haben.<br />

Erinnerungsarbeit zielt zugleich darauf Handlungsalternativen aufzuzeigen, um das<br />

erarbeitete Wissen um allgemeine Strukturen und Muster, die sich in <strong>de</strong>n Geschichten<br />

<strong>de</strong>r Einzelnen gefun<strong>de</strong>n haben, für Verän<strong>de</strong>rungen nutzen zu können.<br />

271


Die Metho<strong>de</strong> grün<strong>de</strong>t auf drei Arbeitsschritten: 1. wird gemeinsam eine Forschungsfrage<br />

festgelegt, 2. wer<strong>de</strong>n Szenen zu dieser Frage geschrieben und 3. wer<strong>de</strong>n die<br />

Texte bearbeitet. Dabei soll die Frage aus einem gemeinsamen Interesse entstehen<br />

und allgemeinverständlich formuliert sein. Die Szenen sollen jeweils ein Erlebnis<br />

beschreiben, eine Erfahrung <strong>de</strong>r Einzelnen, an die sich jene möglichst genau erinnern.<br />

Weitere Kriterien für die Szenen sind, dass sie einen klaren Anfang, ein <strong>de</strong>finiertes<br />

En<strong>de</strong> und <strong>de</strong>n Umfang von etwa <strong>einer</strong> Seite haben sollen sowie in <strong>de</strong>r dritten Person<br />

geschrieben sind. Letzteres dient <strong>de</strong>r Historisierung und Verfremdung <strong>de</strong>r<br />

Erzählperson (vgl. Haug 1999, 203).<br />

Die Bearbeitung <strong>de</strong>r Texte in <strong>de</strong>r Gruppe stellt <strong>de</strong>n umfangreichsten Teil <strong>de</strong>r<br />

Metho<strong>de</strong> dar und ist wie<strong>de</strong>rum in vier Arbeitsschritte unterglie<strong>de</strong>rt. Zunächst wird a) ein<br />

Konsens über <strong>de</strong>n Gegenstand <strong>de</strong>s Textes hergestellt und b) die Sprache anhand <strong>de</strong>r<br />

Kategorien Handlungen, Gefühle und Gedanken <strong>de</strong>r AutorIn als auch <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Personen in ihre Bausteine zerlegt sowie sprachliche Beson<strong>de</strong>rheiten i<strong>de</strong>ntifiziert. Der<br />

nächste Schritt besteht darin, c) das vorgestellte Problem zu formulieren, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

Text auf Leerstellen, Wi<strong>de</strong>rsprüche, Floskeln/ Klischees, neue, bisher nicht bedachte<br />

Zusammenhänge, die Selbstkonstruktion <strong>de</strong>r Autorin und die Konstruktionen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

hin analysiert wird. Anhand dieser Kernaussagen wird d) ein neues Problem<br />

formuliert, d.h. eine Problemverschiebung herausgearbeitet, <strong>de</strong>nn „aus <strong>de</strong>n Konstruktionen<br />

<strong>de</strong>s Ich und an<strong>de</strong>ren, aus <strong>de</strong>n Spalten über Leerstellen und Wi<strong>de</strong>rsprüche<br />

[ergibt sich] eine neue Botschaft in <strong>einer</strong> These“ (Haug 1999, 220). Anschließend wird<br />

die AutorIn gebeten, durch das Schreiben <strong>einer</strong> zweiten Szene Leerstellen zu füllen<br />

und Unklarheiten auszuräumen. Bei Bedarf kann <strong>de</strong>r Schritt 3 – die Bearbeitung <strong>de</strong>s<br />

Textes – erneut durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Dabei lassen sich die gewonnenen Ergebnisse<br />

nochmals überprüfen, sie können ggf. reformuliert wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r es kann nun auf die<br />

Problemverschiebung verzichtet wer<strong>de</strong>n.<br />

„Narrative Transformation“ wen<strong>de</strong>t diesen Ansatz auf die Untersuchung von<br />

Arbeitssituationen und ihre Unterstützung durch informationstechnische Arbeitsmittel<br />

an. Ziel ist es, anhand transformierter Narrationen die Arbeits- und Lebenssituationen<br />

<strong>de</strong>r Beteiligten zu verbessern: „their joint work is geared toward re-shaping relevant<br />

phenomena in the participants’ working lives to which the episo<strong>de</strong>s refer, such as<br />

technology/functionality, work and organization. Work/life phenomena are changed<br />

(transformed) by working on episo<strong>de</strong>s (narratively)“ (Törpel 2004, 123, Hervorhebung<br />

im Orig.). Dazu wird die Vorgehensweise <strong>de</strong>r Erinnerungsarbeit erweitert, in<strong>de</strong>m bei<br />

<strong>de</strong>r gemeinsamen Bearbeitung <strong>de</strong>r Szenen die Kategorien Nutzung, Entwicklung und<br />

Modifikation von Arbeitsmitteln, Herstellung und Nutzung weiterer Ressourcen, verbesserungswürdige<br />

Aspekte und „good practices“ einbezogen wer<strong>de</strong>n. Törpel betont<br />

jedoch, dass die jeweiligen Analyse-Dimensionen je<strong>de</strong>rzeit ergänzt o<strong>de</strong>r auch wie<strong>de</strong>r<br />

verworfen wer<strong>de</strong>n können. Sie sollen ein eigenständiges gemeinsames Reflektionsthema<br />

<strong>de</strong>r Gruppe darstellen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zum Verfahren <strong>de</strong>r<br />

Erinnerungsarbeit besteht darin, dass die Pläne zur Verbesserung <strong>einer</strong> beschriebenen<br />

Situation, die gemeinsam in <strong>de</strong>r Gruppe entwickelt wer<strong>de</strong>n, zugleich praktisch erprobt<br />

wer<strong>de</strong>n sollen. Diese Erfahrungen wer<strong>de</strong>n anschließend in die Gruppe zurückgetragen,<br />

wo sie wie<strong>de</strong>rum gemeinsam evaluiert wer<strong>de</strong>n können. Solche Verbesserungen <strong>de</strong>s<br />

272


(Arbeits-)Alltags können beispielsweise neue Verhandlungsstrategien, die Gründung<br />

neuer Gruppen, aber auch die Gestaltung von Artefakten umfassen. 368<br />

Entwickelt wur<strong>de</strong> die Metho<strong>de</strong> für die Zielgruppe neoliberal-selbstbestimmt Arbeiten<strong>de</strong>r,<br />

die ihre Aufgaben nur dann bewältigen können, wenn sie genau klären, welche IT-<br />

Arbeitsmittel sie dafür benötigen und in welcher Weise sie diese am besten einsetzen.<br />

Diese Bedingung, die eigenen Arbeitsplätze und die dazugehörigen professionellen<br />

Strukturen und Infrastrukturen selbst gestalten zu müssen, fin<strong>de</strong>n sich primär in<br />

fragmentierten Arbeitsumgebungen, wie in virtuellen Unternehmen und Netzwerkorganisationen<br />

o<strong>de</strong>r bei Scheinselbständigen und WissenschaftlerInnen, wo traditionelle<br />

partizipative Verfahren <strong>de</strong>r Technikgestaltung nicht greifen können (vgl. Törpel 2000,<br />

Törpel et al. 2002). Dass gera<strong>de</strong> dort ein solcher Klärungsprozess notwendig ist, führt<br />

die Autorin anhand eines negativen Praxisbeispiels vor (vgl. Törpel 2004, 2003a, b,<br />

Törpel/ Poschen 2002): In <strong>de</strong>m untersuchten Netzwerk freiberuflich Tätiger hatten die<br />

Mächtigen nach langen Überlegungen ein organisationsweites Groupware-System<br />

eingeführt. Diese Entscheidung ignorierte jedoch die bestehen<strong>de</strong>n individuellen Praktiken<br />

<strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r, ihre Arbeitsmittel und Computermittel im Sinne <strong>einer</strong> nutzen<strong>de</strong>n<br />

Herstellung selbst zusammenzustellen. 369 Im Ergebnis ist <strong>de</strong>shalb die hierarchisch<br />

verordnete Lösung nicht angenommen wor<strong>de</strong>n. Nur wenige Netzwerkmitglie<strong>de</strong>r hatten<br />

ihre bisherigen Systeme und Nutzungspraktiken zugunsten <strong>de</strong>r neuen aufgegeben.<br />

„Der teuere und langwierige Prozess <strong>de</strong>r Anschaffung, Modifikation, Einführung und<br />

Schulung zahlte sich nicht aus“ (Törpel 2003a, 473).<br />

Anhand eines positiven Praxisbeispiels wird <strong>de</strong>mgegenüber <strong>de</strong>utlich, wie <strong>de</strong>r<br />

subjektwissenschaftliche Zugang <strong>de</strong>r narrativen Transformation <strong>de</strong>rartige Fehlentscheidungen<br />

vermei<strong>de</strong>n kann. In diesem Fall fand sich eine Gruppe von WissenschaftlerInnen<br />

zu <strong>einer</strong> überregionalen, interdisziplinären Forschungskooperation zusammen<br />

(Törpel 2003a, b, Törpel/ Poschen 2002). Sie startete mit <strong>de</strong>m Anliegen, die<br />

Beson<strong>de</strong>rheiten ihrer Zusammenarbeit auch vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r geografischen<br />

Dispersion zu verstehen und geeignete Unterstützung durch IT zu fin<strong>de</strong>n. Die<br />

Gruppenmitglie<strong>de</strong>r schrieben Szenen zum Thema „Ein Ereignis in meinem<br />

Forschungsalltag“, in <strong>de</strong>nen beispielsweise das Packen für eine Dienstreise von <strong>einer</strong><br />

Person skizziert wird, die verteilt an fünf verschie<strong>de</strong>nen Orten lebt. Eine an<strong>de</strong>re<br />

WissenschaftlerIn, die primär von zu Hause aus arbeitet, beschreibt, wie sie sich<br />

Informationen und Klarheit über anstehen<strong>de</strong> Aufgaben verschafft. Eine weitere Person,<br />

die dringend Rückmeldung auf ihre Arbeitsvorhaben benötigt, thematisiert ihren<br />

Umgang mit ständig ausfallen<strong>de</strong>n Gruppensitzungen. Bei <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>r Szenen<br />

stellte sich zunächst heraus, dass die Gruppenmitglie<strong>de</strong>r prinzipiell gewisse I<strong>de</strong>alvorstellungen<br />

<strong>de</strong>r gemeinsamen Forschungskooperation miteinan<strong>de</strong>r teilen, wie etwa die<br />

Notwendigkeit <strong>de</strong>s Austausches und von Absprachen sowie Verbindlichkeit, die<br />

Relevanz von Rückmeldungen, das Verfügbarmachung von Informationen und eine<br />

Neugier<strong>de</strong> auf die gemeinsame Arbeit, ein Interesse an <strong>de</strong>n Fragen und Ergebnissen<br />

368 „Zu <strong>de</strong>n vielen Möglichkeiten <strong>de</strong>s Eingreifens hier gehört, Computeranwendungen probeweise einzuführen,<br />

‚Mock-Ups‘ o<strong>de</strong>r Prototypen zu erstellen und damit zu experimentieren, Verhandlungsstrategien<br />

mit relevanten Personen zu entwerfen u.v.m. Das praktische Erproben <strong>de</strong>r neu geschaffenen o<strong>de</strong>r<br />

erschlossenen Möglichkeiten und Gegenstän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Gruppe und im (Arbeits-)Alltag selbst ist ein<br />

essentieller Teil <strong>de</strong>s Verfahrens von Narrativer Transformation“ (Törpel 2003a, 488).<br />

369 Törpel spricht in diesem Zusammenhang vom „multiplen parallelen experimentellen Prototyping“ (vgl.<br />

Törpel 2003a, 482f).<br />

273


<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren sowie eine gegenseitige Wertschätzung. Auch ein aufmerksamer Umgang<br />

mit <strong>de</strong>r geografischen Verteiltheit <strong>de</strong>r Beteiligten wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Szenen thematisiert.<br />

Im Zuge <strong>de</strong>r weiteren Forschungskooperation traten jedoch massive Differenzen<br />

auf, da einzelne Gruppenmitglie<strong>de</strong>r eine eher hierarchische Organisation durchzusetzen<br />

versuchten, relevante Inhalte nicht thematisierten, Informationen nicht verfügbar<br />

machten o<strong>de</strong>r auch Ausschlüsse aufgrund <strong>de</strong>r geografischen Verteiltheit in Kauf<br />

nehmen wollten. Die eigenen I<strong>de</strong>ale wur<strong>de</strong>n somit unterlaufen. Törpel zufolge konnte<br />

jedoch die Arbeit an <strong>de</strong>n Szenen zu <strong>einer</strong> Klärung <strong>de</strong>r Situation beitragen. In <strong>de</strong>r Folge<br />

seien neue Zirkel gegrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n, wie Gruppen zur Diskussion von Texten, Qualifikationsarbeiten<br />

und Veröffentlichungsvorhaben o<strong>de</strong>r zur Einrichtung eines Kolloquiums<br />

mit internationalen Gästen, <strong>de</strong>nen gegenüber die ursprüngliche Forschungsgruppe<br />

an Be<strong>de</strong>utung verlor.<br />

Das Beispiel zeigt, dass die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r narrativen Transformation dazu beitragen<br />

kann, Annahmen, Interessen und Wi<strong>de</strong>rsprüche in <strong>einer</strong> Gruppe aufzu<strong>de</strong>cken. Deutlich<br />

wird dabei, dass ein solcher Klärungsprozess eine notwendige Voraussetzung sowohl<br />

<strong>de</strong>r bedarfsgerechten Neuorganisation <strong>de</strong>r Gruppe und ihrer Arbeit darstellt als auch<br />

für <strong>de</strong>ren informationstechnische Unterstützung. „Wäre sofort nach ‚<strong>de</strong>r‘ informationstechnischen<br />

Lösung gesucht wor<strong>de</strong>n, so hätte man systematisch im ‚falschen‘ Arbeitssetting<br />

gesucht“ (Törpel 2003a, 494).<br />

Die Metho<strong>de</strong> setzt damit tiefer gehend als die in <strong>de</strong>n Kapiteln 5.2. und 5.3.<br />

vorgestellten Ansätze an <strong>de</strong>n Annahmen und Voraussetzungen an, die in die Technikgestaltung<br />

eingehen, da sie nicht – wie so oft – von <strong>einer</strong> bereits klaren Zielsetzung für<br />

die gesuchte, zu erstellen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r anzupassen<strong>de</strong> Software ausgeht, son<strong>de</strong>rn die in<br />

diese Setzung eingehen<strong>de</strong>n Selbstverständlichkeiten noch einmal grundlegend<br />

offenlegt und <strong>kritisch</strong> reflektiert. Insofern geht sie über die, für die Entwicklung von<br />

Software an Arbeitsplätzen geeigneten Verfahren <strong>de</strong>s „User-Centered Design“ und <strong>de</strong>s<br />

„Participatory Design“ hinaus, die auf die Berücksichtigung <strong>de</strong>r vor<strong>de</strong>rgründigen<br />

Erfor<strong>de</strong>rnisse von NutzerInnen zielen bzw. eine klare politische Struktur <strong>de</strong>r Arbeitsverhältnisse<br />

(z.B. UnternehmerIn – ArbeitnehmerIn – Gewerkschaft) voraussetzen, welche<br />

dann als Erklärungsmuster für Interessen und Wi<strong>de</strong>rsprüche dienen (vgl. hierzu Kapitel<br />

5.2. und 5.3.).<br />

Auch für <strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte erscheint „Narrative<br />

Transformation“ insbeson<strong>de</strong>re für Gruppen hilfreich, <strong>de</strong>ren Arbeit, Organisation und<br />

Kooperation weitgehend selbstbestimmt ist. Die Metho<strong>de</strong> kann dort in Bezug auf die<br />

Kategorie Geschlecht vor allem dann wirksam eingesetzt wer<strong>de</strong>n, wenn die Gruppe<br />

bzw. die Arbeit <strong>de</strong>r Einzelnen von wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Interessen, Anliegen und<br />

Vorannahmen durchdrungen ist, die auf <strong>de</strong>r strukturell-symbolischen Geschlechterordnung<br />

beruhen. In Kapitel 4, in <strong>de</strong>m Vergeschlechtlichungsprozesse <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte analysiert wur<strong>de</strong>n, ist zwar kein <strong>de</strong>rartiges Fallbeispiel diskutiert wor<strong>de</strong>n, auf<br />

das diese Bedingungen genau zutreffen. Wären jedoch bei <strong>de</strong>m von Törpel beschriebenen<br />

Beispiel <strong>de</strong>r überregionalen interdisziplinären Forschungskooperation die,<br />

während <strong>de</strong>s Prozesses erkannten Differenzen primär durch geschlechtshierarchische<br />

Strukturen im Wissenschaftsbetrieb erklärbar gewesen, so hätte „Narrative Transformation“<br />

eine De-Gen<strong>de</strong>ring-Funktion gehabt. Damit wird <strong>de</strong>utlich, dass die Metho<strong>de</strong> im<br />

Bereich <strong>de</strong>r Zusammenarbeit von Gruppen produktiv eingesetzt wer<strong>de</strong>n kann, um <strong>de</strong>r<br />

274


Festschreibung struktureller Geschlechterhierarchie durch Technologien<br />

entgegenzuwirken.<br />

Da die Metho<strong>de</strong> relativ offen ist, unterschiedliche Themen <strong>de</strong>r Gruppenmitglie<strong>de</strong>r im<br />

Prozess zu diskutieren, hat sie das Potential, selbstverständliche Annahmen <strong>de</strong>r Beteiligten<br />

offen zu legen. So könnten mit ihrer Hilfe auch Grundannahmen an<strong>de</strong>ren<br />

Charakters, die die Gruppe teilt und die zu grundlegen<strong>de</strong>n strukturellen Ausschlüssen<br />

führen, herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n. Beispielsweise ließe sich auf diese Weise<br />

hinterfragen, ob die standardisierte Produktion von Hamburgern bzw. von Speisen in<br />

Restaurants notwendigerweise Zwiebeln enthalten müsse, wenn das für Einzelne in<br />

<strong>de</strong>r Gruppe ein Problem darstellt, o<strong>de</strong>r ob nur das naturwissenschaftlich-medizinisch<br />

anekannte Wissen in einem Medizininformationssystem wie HIPPOCRATES als<br />

relevant gelten soll (vgl. Kapitel 4.3.1.). Eine Thematisierung solcher Fragen hängt<br />

wesentlich davon ab, ob diejenigen, die die Metho<strong>de</strong> anwen<strong>de</strong>n, sie aufwerfen. Sie<br />

wer<strong>de</strong>n wahrscheinlicher aufgeworfen, wenn es innerhalb <strong>de</strong>r Gruppe Betroffene gibt.<br />

Ein weiterer Aspekt, <strong>de</strong>r „Narrative Transformation“ für die Geschlechterforschung in<br />

<strong>de</strong>r Informatik interessant macht, ist ihr <strong>de</strong>zidiertes Anliegen, die Design-Nutzungs-<br />

Dichotomie zu überbrücken. Denn bei dieser Metho<strong>de</strong> schließen sich die beteiligten<br />

NutzerInnen weiter gehend als in <strong>de</strong>r üblichen Vorgehensweisen <strong>de</strong>s „Participatory<br />

Design“ (vgl. Kapitel 5.3.) selbst in <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Technikentwicklung ein. Törpel<br />

spricht in diesem Zusammenhang von „<strong>de</strong>signer-users“ (Törpel 2004, 122), da die<br />

NutzerInnen mit Hilfe <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> zu TechnikentwicklerInnen ermächtigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Damit löst „Narrative Transformation“ die geschlechtlich höchst aufgela<strong>de</strong>ne Dichotomie<br />

von Technikgestaltung und -nutzung bereits im Ansatz auf.<br />

Diese Beson<strong>de</strong>rheit, die diese Metho<strong>de</strong> reizvoll macht, stellt jedoch zugleich eine<br />

Beschränkung dar. Denn sie setzt zum einen voraus, dass sich die Beteiligten selbstorganisiert<br />

in <strong>einer</strong> Gruppe zusammenfin<strong>de</strong>n, um sich ihrer Situation bewusst zu<br />

wer<strong>de</strong>n und sie zu verbessern. Ein solcher Anspruch zur Selbstverän<strong>de</strong>rung wird<br />

jedoch nur selten zu fin<strong>de</strong>n sein. Zum zweiten ist es notwendig, dass die Gruppenmitglie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Freiraum zur Reflektion über scheinbar Selbstverständliches und<br />

Wi<strong>de</strong>rsprüche in <strong>de</strong>r Gruppe haben. Deshalb ist sie etwa in Arbeitskontexten, die<br />

streng hierarchisch organisiert sind, kaum anwendbar. 370 Nichts<strong>de</strong>stotrotz lässt sich in<br />

vielen an<strong>de</strong>ren Situationen prüfen, ob eine weitere Modifikation von Frigga Haugs<br />

Erinnerungsarbeit für <strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>s Auf<strong>de</strong>ckens von Annahmen in <strong>de</strong>r<br />

Technikgestaltung, das „Mind Scripting“, eingesetzt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

„Mind Scripting“ (Allhutter et al. 2008, Allhutter/ Hanappi-Egger 2006) ist eine<br />

Metho<strong>de</strong> zur Sichtbarmachung von impliziten Geschlechtereinschreibungen in technologischen<br />

Entwicklungsprozessen, die im Rahmen <strong>de</strong>s Forschungsprojekts „Gen<strong>de</strong>red<br />

Software Design“ an <strong>de</strong>r Wirtschaftuniversität Wien von E<strong>de</strong>ltraud Hanappi-Egger,<br />

Doris Allhutter und Sara John von 2005 bis 2007 entwickelt wur<strong>de</strong>. Sie grün<strong>de</strong>t –<br />

ebenso wie die gesamte vorliegen<strong>de</strong> Arbeit – auf <strong>de</strong>r These, dass Technikentwicklung<br />

ein vergeschlechtlichter Prozess ist, in <strong>de</strong>m sozial konstruierte Paradigmen und<br />

Vorstellungen eine zentrale Rolle spielen. Insbeson<strong>de</strong>re bezieht sie sich auf die von<br />

Rommes thematisierten „Gen<strong>de</strong>r Scripts“ und das von Akrich (1995) eingeführte<br />

370 Dort stehen jedoch die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „User-Centered Design“ und <strong>de</strong>s „Participatory Design“ zur<br />

Verfügung, vgl. Kapitel 5.2. und 5.3.<br />

275


Konzept <strong>de</strong>r „I-methodology“, das die „Ten<strong>de</strong>nz von EntwicklerInnen ihre eigenen<br />

Vorstellungen und Fähigkeiten als repräsentativ für <strong>de</strong>n zukünftigen Nutzungskontext<br />

zu sehen und dies nicht zu reflektieren“ (Allhutter et al. 2008, 153f) in <strong>de</strong>n Blick rückt. 371<br />

Die bei <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung getroffenen Entscheidungen seien darüber hinaus von <strong>de</strong>m<br />

jeweils vorherrschen<strong>de</strong>n Wertesystemen durchdrungen, die die TechnikentwicklerInnen<br />

als soziale AkteurInnen verinnerlicht hätten. Diese zumeist unhinterfragten a-priori-<br />

Annahmen sollen durch die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Mind Scripting“ aufge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n.<br />

„Mind Scripting“ versteht sich als ein Verfahren zur Dekonstruktion von Software-<br />

Entwicklungsprozessen und von Geschlecht in <strong>de</strong>n Diskursen <strong>de</strong>r TechnikentwicklerInnen,<br />

mit Hilfe <strong>de</strong>ssen versteckte und unsichtbare Dimensionen <strong>de</strong>s Software-<br />

Entwicklungsprozesses herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n sollen/können. „Mind Scripting verstan<strong>de</strong>n<br />

als Prozess <strong>de</strong>s Dekonstruierens von Mind Scripts, d.h. von kurzen Texten<br />

über zentrale Situationen im konkreten Entwicklungsprozess o<strong>de</strong>r wichtige damit in<br />

Zusammenhang stehen<strong>de</strong> Situationen, erlaubt es, diese gesellschaftlichen, vergeschlechtlichten<br />

und durch Erfahrungen in technischer Ausbildung und professioneller<br />

Praxis erworbenen Diskurse sichtbar zu machen. Die Metho<strong>de</strong> gibt Einsicht in kollektiv<br />

geteilte Konstruktionsmechanismen und soziale Realitätskonstruktionen wie Gen<strong>de</strong>r<br />

Scripts, die sich SoftwareentwicklerInnen im Laufe ihrer Sozialisation im technischen<br />

Bereich, durch öffentliche Diskurse und durch Alltagserfahrungen angeeignet haben“<br />

(Allhutter et al. 2008, 156).<br />

„Mind Scripting“ passt die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erinnerungsarbeit zum einen an aktuelle<br />

Geschlechtertheorien an. „Adaptions were mainly ma<strong>de</strong> on a theoretical basis which<br />

was adjusted to current post-structuralist theories that follow an approach of socialization<br />

as ‚subjectivation‘ and besi<strong>de</strong> gen<strong>de</strong>r hierarchical power structures also<br />

emphasize intra gen<strong>de</strong>r differences as well as intersecting segmentation on the<br />

grounds of gen<strong>de</strong>r, race, ethnicity, sexual orientation and class“ (Allhutter/ Hanappi-<br />

Egger 2006, 182). Zum an<strong>de</strong>ren wird die Erinnerungsarbeit für <strong>de</strong>n Einsatz in<br />

Softwareentwicklungsprozessen abgewan<strong>de</strong>lt: Die Szenen/ „Mind Scripts“ beziehen<br />

sich nicht auf Alltagssituation o<strong>de</strong>r wie bei <strong>de</strong>r „Narrative Transformation“ auf Arbeitssituationen<br />

<strong>de</strong>r NutzerInnen, son<strong>de</strong>rn auf zentrale Ereignisse <strong>de</strong>s Technikentwicklungsprozesses<br />

aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r DesignerInnen. Diese Themen sollen erlauben, die<br />

Konstruktionen <strong>de</strong>r EntwicklerInnen in Bezug auf ihre Konzepte <strong>de</strong>r Qualität von<br />

Software genauer zu beleuchten. Während beim ursprünglichen Verfahren das Thema<br />

<strong>de</strong>r Szenen, die die TeilnehmerInnen schreiben, von <strong>de</strong>n Gruppen selbst ausgewählt<br />

wird, haben die „Mind Scripting“-Autorinnen zu diesem Zweck ExpertInneninterviews<br />

mit allen Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s zu untersuchen<strong>de</strong>n Projekts durchgeführt. 372 Auch die<br />

Untersuchung <strong>de</strong>r entstan<strong>de</strong>nen Texte wird nicht ausschließlich von <strong>de</strong>n Beteiligten<br />

durchgeführt. So sind zwar Workshops zur Dekonstruktion <strong>de</strong>r „Mind Scripts“ vorgesehen,<br />

die eigentliche Analyse fin<strong>de</strong>t jedoch außerhalb <strong>de</strong>r Gruppe von <strong>de</strong>n WissenschaftlerInnen<br />

statt, die als Materialien neben <strong>de</strong>n Szenen <strong>de</strong>r EntwicklerInnen auch<br />

Transkriptionen <strong>de</strong>r Interviews und <strong>de</strong>r „Mind Scripting“-Workshops einbeziehen.<br />

Hanappi-Egger, Allhutter und John haben das „Mind Scripting“-Verfahren in zwei<br />

verschie<strong>de</strong>nen Entwicklungskontexten – Computerspiele und Suchmaschinen –<br />

371 Diese Konzepte wur<strong>de</strong>n in Kapitel 3.7. ausführlich beschrieben und diskutiert.<br />

372 Demgegenüber folgte die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Narrativen Transformation“ in dieser Hinsicht <strong>de</strong>m ursprüng-<br />

lichen Verfahren <strong>de</strong>r Erinnerungsarbeit.<br />

276


erprobt. Eine Studie im Computerspielbereich zeigte, dass im untersuchten<br />

Entwicklungsteam zwei unterschiedliche Konzepte für die Bewertung <strong>de</strong>r Qualität eines<br />

Produkts herangezogen wur<strong>de</strong>n. Zum einen seien dies objektivierbare Qualitätsstandards,<br />

die sich aus <strong>de</strong>r professionellen Perspektive ergaben und auf die technische<br />

Umsetzung (wie Funktionalität, Grafikgestaltung und Interaktion) bezogen, zum<br />

an<strong>de</strong>ren ein implizites Wissen über weitere qualitätsrelevante Kriterien, die das „Mind<br />

Scripting“-Verfahren offen legen konnte. Diese impliziten Qualitätsaspekte seien aus<br />

<strong>einer</strong> NutzerInnenperspektive, „wie es sich anfühlt zu spielen, o<strong>de</strong>r was bewirkt, dass<br />

man sich gut dabei fühlt“ (Allhutter et al. 2008, 159), und höchst subjektiv beschrieben<br />

wor<strong>de</strong>n. 373 Allhutter und ihre Kolleginnen (2008) bemerken, dass in <strong>de</strong>n „Mind Scripts“<br />

<strong>de</strong>r EntwicklerInnen häufig zwischen <strong>einer</strong> solchen NutzerInnenperspektive und <strong>einer</strong><br />

technikzentrierten Sicht gewechselt wur<strong>de</strong>, womit Qualitätsvorstellungen <strong>de</strong>r<br />

DesignerInnen als wi<strong>de</strong>rsprüchliche rekonstruiert wür<strong>de</strong>n, die teils als objektive<br />

Standards, teils als subjektive Präferenzen <strong>de</strong>r Einzelnen dargestellt wür<strong>de</strong>n. Dabei<br />

seien die impliziten Qualitätskriterien von <strong>de</strong>n EntwicklerInnen auf ein „künstlerisches<br />

Talent“ zurückgeführt wor<strong>de</strong>n. Mittels dieser Legitimation hätte letztendlich ein<br />

Vorgehen nach <strong>de</strong>r „I-methodology“ praktiziert und Gen<strong>de</strong>r Skripte in die Software<br />

eingeschrieben wer<strong>de</strong>n können. So sei etwa die Entwicklung <strong>de</strong>r Spielcharaktere Zweigeschlechtlichkeit<br />

konstituieren<strong>de</strong>n Realitätskonventionen gefolgt, „die UserInnen als<br />

‚männlich‘ und als ‚weiblich‘ konstruierte Figuren als ‚fotorealistisch‘ glaubhaft machen<br />

sollen“ (John/ Allhutter 2007, 30f). Da die eine Frau repräsentieren<strong>de</strong> Spielfigur zu<br />

einem gewissen Grad von <strong>einer</strong> anatomisch korrekten Darstellung abweichen durfte,<br />

während die einen Mann repräsentieren<strong>de</strong> Spielfigur möglichst realitätsnah anhand<br />

<strong>de</strong>s Fotos eines Schauspielers mo<strong>de</strong>lliert wur<strong>de</strong>, haben die Teammitglie<strong>de</strong>r<br />

persönliche geschlechtsstereotype Präferenzen realisiert (vgl. hierzu auch John 2006<br />

bzw. Kapitel 4.2.5.). Auch die Narration <strong>de</strong>s Spiels ließ Rückgriffe auf vorherrschen<strong>de</strong><br />

Geschlechterstereotype, beispielsweise die Annahme körperlicher Schwäche von<br />

Frauen, erkennen. Denn die NutzerIn habe anhand <strong>de</strong>s Arguments, dass die Tasche<br />

mit <strong>de</strong>r Belohnung für eine Frau zu schwer sei, kausallogisch zu schließen, dass die<br />

männliche Nebenfigur und nicht <strong>de</strong>r weibliche Charakter die VerräterIn ist (John/<br />

Allhutter 2007, 31).<br />

Im zweiten beobachteten Fall <strong>de</strong>r Suchmaschinen-Entwicklung konnten ebenfalls<br />

mit Hilfe <strong>de</strong>s „Mind Scripting“ implizite Qualitätskriterien aufge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n. Hier seien<br />

sich die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Entwicklungsteams zwar prinzipiell ihrer Gestaltungsmacht<br />

bewusst gewesen und hätten soziale Komponenten, z.B. ausdifferenzierte Abfragemöglichkeiten<br />

für die NutzerInnen o<strong>de</strong>r eine bessere Aufbereitung <strong>de</strong>r Suchergebnisse<br />

im Software-Entwicklungsprozess, zu berücksichtigen gesucht. Jedoch zeigte sich in<br />

<strong>de</strong>n empirischen Untersuchungen eine Diskrepanz zwischen <strong>de</strong>n theoretischen<br />

Überlegungen und <strong>de</strong>n tatsächlichen Vorgehensweisen. Es hätte <strong>de</strong>n EntwicklerInnen<br />

an Strategien gefehlt, „um diese abstrakten Konzepte handhabbar zu machen und sie<br />

tatsächlich umsetzbar zu machen. Der hohen Reflektionsfähigkeit <strong>de</strong>r Teammitglie<strong>de</strong>r<br />

auf <strong>einer</strong> abstrakten, theoretischen Ebene stand die mangeln<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r<br />

373 Als Kriterien <strong>de</strong>s impliziten Qualitätsbegriffs, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n EntwicklerInnen zufolge eine Faszination und<br />

Spielsucht erzeugen solle, welche die SpielerInnen emotional in das Spiel verwickelt, extrahierten Allhutter<br />

und ihre Kolleginnen (2008) eine gut inszenierte Geschichte, eine ansprechen<strong>de</strong> Grafik, atmosphärische<br />

Sounds, eine gewisse Spieltiefe und die Möglichkeit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>n Spielfiguren.<br />

277


konkreten Umsetzungspraxis gegenüber“ (Allhutter et al. 2008, 160). Ferner sei<br />

anhand <strong>de</strong>s Sprachgebrauchs in <strong>de</strong>n „Mind Scripts“<strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n, dass die Teammitglie<strong>de</strong>r<br />

ihre Aufgaben sehr unterschiedlich verstan<strong>de</strong>n. Beispielsweise wur<strong>de</strong> das<br />

offizielle Teilprojekt „Reise<strong>de</strong>monstrator“ von einzelnen als „Visualisierung-Demonstrator“<br />

bezeichnet. Ein „Reise<strong>de</strong>monstrator“ ermögliche jedoch eine Suche zum Thema<br />

Reisen, visualisiere die Ergebnisse und stelle diese Funktionalität anhand eines Demo-<br />

Produktes vor, während <strong>de</strong>r zweite Begriff die Visualisierung und damit das Front-End<br />

im Vergleich zu <strong>de</strong>m zuvor gleichgewichteten Back-End in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund stelle. Die<br />

Begriffe stün<strong>de</strong>n somit für zwei unterschiedliche, wenngleich nicht inkompatible<br />

Projektsichten. Das „Mind Scripting“-Verfahren zeigte damit im Fallbeispiel <strong>de</strong>r<br />

Suchmaschinen-Entwicklung, dass <strong>de</strong>r Nutzungskontext nicht genügend spezifiziert<br />

war und es kein klares, gemeinsames Projektziel gegeben hat.<br />

Die bei<strong>de</strong>n Fallbeispiele <strong>de</strong>monstrieren, dass das „Mind Scripting“ implizite<br />

Annahmen über <strong>de</strong>n Nutzungskontext und das Entwicklungsprojekt sowie insbeson<strong>de</strong>re<br />

über Geschlechtsvorstellungen <strong>de</strong>r DesignerInnen herauszuarbeiten und zu<br />

reflektieren vermag. Mit <strong>einer</strong> solchen Offenlegung von Vorannahmen von Seiten <strong>de</strong>r<br />

EntwicklerInnen liefert die Metho<strong>de</strong> eine wesentliche Voraussetzung für die Re-Kontextualisierung<br />

von (geschlechts-)neutral gelten<strong>de</strong>n Produkten. Im Vergleich zur<br />

„Narrative Transformation“ wur<strong>de</strong> das „Mind Scripting“-Verfahren bereits explizit dafür<br />

eingesetzt, implizite Gen<strong>de</strong>rskripten aufzu<strong>de</strong>cken. Allerdings bleibt bei <strong>de</strong>n Fallbeispielen<br />

aus <strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>r Computerspiele und Suchmaschinen unklar, ob die<br />

Bewusstmachung ansonsten verborgen bleiben<strong>de</strong>r Geschlechtsvorstellungen <strong>de</strong>r<br />

DesignerInnen tatsächlich zu einem De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozess geführt hat und alternative<br />

Produkte entwickelt wor<strong>de</strong>n sind. Da die analytischen Erkenntnisse jedoch noch<br />

während <strong>de</strong>s Technikentwicklungsprozesses gewonnen wer<strong>de</strong>n, ist es prinzipiell<br />

möglich, sie in die konkrete Gestaltung <strong>de</strong>s Produktes einzuarbeiten.<br />

Hanappi-Egger (2004) schlägt dazu eine Modifikation i<strong>de</strong>altypischer nutzerInnenzentrierter<br />

Entwicklungsprozesse vor, die sie mit Bezug auf Flood und Romm (1996)<br />

als „Triple-Loop Learning“ bezeichnet (vgl. auch Allhutter/ Hanappi-Egger 2006).<br />

„Triple-Loop Learning“ ergänze die bei<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Informatik etablierten Metho<strong>de</strong>n, die<br />

Funktionalität und die Adäquatheit <strong>de</strong>r Spezifikation zu überprüfen um eine zusätzliche<br />

Feedback-Schleife, in <strong>de</strong>r implizite Annahmen offen gelegt und hinterfragt wer<strong>de</strong>n<br />

sollen. Damit bestehe das Prozessmo<strong>de</strong>ll aus einem drei Schleifen umfassen<strong>de</strong>n, zyklischen<br />

Entwicklungsprozess: „The first loop (the How? Loop) is built around the<br />

question ‚Are we doing things right?‘ The second loop (the What? Loop) is built around<br />

the question ‚Are we doing the right things?‘ The third loop (the Why? Loop) is built<br />

around the question ‚Is rightness buttressed by mightiness and vice versa?‘“ (Allhutter/<br />

Hanappi-Egger 2006, 189). Demzufolge wer<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r ersten Schleife (Wie?) die<br />

Bedürfnisse und Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r NutzerInnen hinsichtlich ihrer Implementierung<br />

innerhalb <strong>de</strong>s Entwicklungsteams diskutiert: Welche Funktionalitäten sollen implementiert,<br />

welche Werkzeuge benutzt, welche Programmiersprache gewählt wer<strong>de</strong>n<br />

und welche Datenbanken sind dazu notwendig? In <strong>de</strong>r zweiten Schleife (Was?) <strong>de</strong>s<br />

Prozesses wird die Funktionalität fortlaufend mit <strong>de</strong>m Anwendungskontext<br />

abgeglichen, in<strong>de</strong>m etwa Teile <strong>de</strong>r Implementierung hinsichtlich ihrer Syntax, aber<br />

auch semantisch getestet wer<strong>de</strong>n. Falls die Ergebnisse <strong>de</strong>r Tests eine Verän<strong>de</strong>rung<br />

nahe legen, wird das Konzept <strong>de</strong>r Implementierung entsprechend angepasst. Mit Hilfe<br />

278


<strong>de</strong>r dritten Schleife (Warum?), die bislang nicht als Teil <strong>de</strong>r Systementwicklung<br />

gesehen wer<strong>de</strong>, soll vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, dass spezielle Perspektiven <strong>de</strong>r EntwicklerInnen,<br />

die Ausschlüsse herstellen, in die Implementierung hineingeraten. „[T]his means<br />

that besi<strong>de</strong>s <strong>de</strong>veloping the system, we suggest establishing a meta-level and want to<br />

introduce a tool allowing <strong>de</strong>signers to reflect on their own hid<strong>de</strong>n presumptions and in<br />

particular on their social scripts influencing the way of specifying the system“ (Allhutter/<br />

Hanappi-Egger 2006, 190).<br />

Die mit Hilfe <strong>de</strong>s „Mind Scripting“ gewonnenen Reflektionen über Vorannahmen und<br />

mentale Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r EntwicklerInnen können somit in <strong>de</strong>n Systementwicklungsprozess<br />

integriert wer<strong>de</strong>n, sodass auf dieser Basis „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red technologies“ entwickelt<br />

wer<strong>de</strong>n können. Dennoch bleibt unklar, wie die Reflektion über die Vorannahmen<br />

konkret in <strong>de</strong>n Technikgestaltungsprozess einfließen kann. Hier gilt es auf <strong>einer</strong><br />

empirischen Ebene Erfahrungswerte zu sammeln. Allhutter und Hanappi-Egger (2006,<br />

193) stellen selbst fest, dass es am effektivsten sei, „Mind Scripting“ am Anfang von<br />

Software-Entwicklungsprojekten einzusetzen, um Verzerrungen und Vergeschlechtlichungen<br />

möglichst früh reflektieren zu können. Jedoch sei dies in kommerziellen<br />

Projekten, die in <strong>de</strong>r Regel unter hohem zeitlichem Druck stehen, häufig zu aufwendig.<br />

Insgesamt können mit Hilfe <strong>de</strong>r „Narrative Transformation“ und <strong>de</strong>s „Mind Scripting“<br />

für <strong>de</strong>n Technikgestaltungsprozess relevante Annahmen erkannt und <strong>kritisch</strong><br />

hinterfragt wer<strong>de</strong>n, um auf <strong>de</strong>r Basis dieser Reflektionen alternative Artefakte zu konstruieren.<br />

Eine sorgfältige Anwendung dieser Metho<strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rt jedoch einen<br />

Freiraum für die Beteiligten, d.h. umfangreiche personelle und zeitliche Ressourcen.<br />

Wenn die Kosten dafür nicht gescheut wer<strong>de</strong>n, erweisen sich bei<strong>de</strong> Verfahren als viel<br />

versprechen<strong>de</strong> De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategien, wobei sie unterschiedliche Einsatzgebiete<br />

bedienen. „Narrative Transformation“ eignet sich primär für selbst organisierte Gruppen,<br />

die ihre selbstverständlichen Annahmen klären möchten, um ihre Zusammenarbeit<br />

und ggf. Technikunterstützung zu verbessern. Sie wur<strong>de</strong> bisher noch nicht explizit<br />

aus <strong>einer</strong> geschlechter<strong>kritisch</strong>en Perspektive angewen<strong>de</strong>t. Demgegenüber zielt das<br />

„Mind Scripting“ in erster Linie darauf, soziale Skripten und Gen<strong>de</strong>rskripten im Technikentwicklungsprozess<br />

herauszuarbeiten. Da ferner vorgesehen ist, dass bestimmte<br />

„Mind Scripting“-ExpertInnen mit Gruppen von TechnikgestalterInnen zusammenarbeiten,<br />

weicht das Verfahren stärker von <strong>de</strong>m Selbstermächtigungsanspruch Frigga<br />

Haugs „Erinnerungsarbeit“ ab. Ein weiterer, daraus resultieren<strong>de</strong>r Unterschied<br />

zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n besteht darin, dass „Mind Scripting“ nicht wie<br />

„Narrative Transformation“ danach strebt, die vorherrschen<strong>de</strong> geschlechtskonnotierte<br />

Dichotomie von EntwicklerInnen und NutzerInnen zu unterminieren, son<strong>de</strong>rn sich an<br />

<strong>de</strong>n Rahmen kommerzieller Technikentwicklung und <strong>de</strong>n damit einhergehen<strong>de</strong>n<br />

Unterscheidungen anpasst. Gera<strong>de</strong> aufgrund dieses Aspekts lässt sich das „Mind<br />

Scripting“ jedoch prinzipiell in allen Technikentwicklungsprozessen, die auf Teamarbeit<br />

beruhen, einsetzen.<br />

Für die Fragestellung dieser Arbeit nach einem De-Gen<strong>de</strong>ring möglichst vieler<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte lässt sich jedoch eine weitere, eher konzeptuell bestimmte<br />

Beschränkung feststellen. Die bei<strong>de</strong>n Verfahren erscheinen zwar gut geeignet, um<br />

Vorannahmen zu i<strong>de</strong>ntifizieren, die aus <strong>de</strong>r „I-methodology“ und einem gemeinsam<br />

geteilten sozial-kulturellen Kontext <strong>de</strong>r DesignerInnen resultieren. Jedoch vermögen<br />

sie an<strong>de</strong>re Einschreibungen in informatische Artefakte, die beispielsweise auf<br />

279


wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnissen an<strong>de</strong>rer Disziplinen beruhen, nicht<br />

aufzu<strong>de</strong>cken. Grundsätzlich können Grundannahmen, die zu formal sind, auf diese<br />

Weise nicht <strong>kritisch</strong> hinterfragt wer<strong>de</strong>n. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re für auf sozialen bzw.<br />

Gen<strong>de</strong>rskripten, die in Bezug auf die Geschlechterordnung stabilisieren<strong>de</strong> Effekte<br />

haben, welche sich nicht im Anwendungskontext von NutzerInnen zeigen. In diesen<br />

Fällen kann die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Value Sensitive Design“ einen Schritt weiter führen.<br />

5.5.2. „Value Sensitive Design“: Eine Metho<strong>de</strong> zur Re-Kontextualisierung von<br />

formalen Artefakten<br />

Im Kapitel 4.3. wur<strong>de</strong> die Re-Kontextualisierung von Technologien als eine De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring-Strategie i<strong>de</strong>ntifiziert. Die Rückbindung <strong>informatischer</strong> Artefakte an ihren<br />

Anwendungsbereich stellt insbeson<strong>de</strong>re bei Formalismen eine Voraussetzung dar, um<br />

Geschlechtseinschreibungen erkennen und begegnen zu können, die letztendlich stets<br />

erst über diesen Kontext wirksam wer<strong>de</strong>n. Ginge es dabei ausschließlich darum,<br />

Anwendungssysteme zu re-kontextualisieren, so ließe sich dazu auf eine Reihe <strong>de</strong>r<br />

zuvor beschriebenen Metho<strong>de</strong>n zurückgreifen: angefangen bei Elementen <strong>de</strong>s „User-<br />

Centered“ o<strong>de</strong>r „Participatory Design“, die in Kapitel 5.2. und 5.3. beschriebenen<br />

wur<strong>de</strong>n, bis hin zu <strong>de</strong>n zuletzt vorgestellten Verfahren <strong>de</strong>r „Narrativen Transformation“<br />

und <strong>de</strong>s „Mind Scripting“. 374 Diese Vorgehensweisen haben sich für eine Re-<br />

Kontextualisierung hilfreich erwiesen, wenn sich die Vergeschlechtlichung auf <strong>de</strong>n<br />

Prozess <strong>de</strong>r Abstraktion von <strong>de</strong>n NutzerInnen, vom Anwendungsbereich und vom<br />

Technikgestaltungsverlauf zurückführen lässt. Denn es trägt zum De-Gen<strong>de</strong>ring von<br />

Formalismen bei, in<strong>de</strong>m die dabei eingehen<strong>de</strong>n Annahmen und Skripte explizit<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n sollen. Einzelne <strong>de</strong>r Ansätze sind darüber hinaus in <strong>de</strong>r Lage, auch<br />

tiefer gehen<strong>de</strong> kulturelle Annahmen und Konzepte im Technologieentwicklungsprozess<br />

zu hinterfragen.<br />

Im Fall <strong>de</strong>r Algorithmen und Grenzwerte, die bei <strong>de</strong>r Erzeugung von Bil<strong>de</strong>rn aus<br />

computertomographisch ermittelten Daten dafür verantwortlich sind, ob eine scheinbar<br />

essentielle körperliche Geschlechterdifferenz konstruiert wird o<strong>de</strong>r nicht (vgl. Kapitel<br />

4.3.1.), ist es jedoch fraglich, inwiefern die bislang diskutierten Metho<strong>de</strong>n zum Ziel <strong>de</strong>s<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring führen. Hier liegen zwei Probleme vor, die für ein De-Gen<strong>de</strong>ring zu<br />

lösen sind. Erstens sind Erkenntnisse <strong>de</strong>r feministischen Naturwissenschaftskritik über<br />

<strong>de</strong>n Bereich notwendig, in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Formalismus eingebettet ist. Eine breite und interdisziplinäre<br />

Forschung zu <strong>de</strong>n Vergeschlechtlichungen <strong>de</strong>s Anwendungsfelds, d.h. hier<br />

<strong>de</strong>r Hirnforschung, stellt damit eine wesentliche Voraussetzung für die Re-Kontextualisierung<br />

und die angestrebte Ent-Vergeschlechtlichung formaler Artefakte dar. Zweitens<br />

wird eine Metho<strong>de</strong> benötigt, die die TechnikgestalterInnen direkt in <strong>de</strong>n<br />

Reflektionsprozess über Geschlechterimplikationen <strong>de</strong>r von ihnen produzierten<br />

Artefakte einzubin<strong>de</strong>n vermag.<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>r ersten Voraussetzung, dass feministische Untersuchungen <strong>de</strong>s<br />

formalisierten Bereichs vorliegen müssen, unterschei<strong>de</strong>t sich das Beispiel <strong>de</strong>r<br />

374 Auch aus <strong>de</strong>m Bereich herkömmlicher Softwareentwicklung könnten hier Metho<strong>de</strong>n eingesetzt wer<strong>de</strong>n,<br />

die wie <strong>de</strong>r „Rational Unified Process“ (vgl. Jacobsen et al. 1999) darauf zielen, Designentscheidungen<br />

während <strong>de</strong>s Prozesses zu dokumentieren, um sie dauerhaft sichtbar und damit <strong>de</strong>r Kritik und ggf.<br />

Revision zugänglich zu machen.<br />

280


vergeschlechtlichten computertomografischen Bil<strong>de</strong>r zwar nicht prinzipiell von <strong>de</strong>n<br />

zuvor diskutierten Technologien. So ist etwa für ein De-Gen<strong>de</strong>ring von Softwaresystemen,<br />

die an Arbeitsplätzen eingesetzt wer<strong>de</strong>n, auch ein tiefer gehen<strong>de</strong>s Verständnis<br />

<strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n Arbeitsteilung zentral. Ein<br />

Unterschied besteht jedoch darin, dass das Wissen um die Zweigeschlechtlichkeit<br />

konstituieren<strong>de</strong> Ausdifferenzierung und symbolische Zuordnung bestimmter Berufe,<br />

Tätigkeiten und Kompetenzen in <strong>de</strong>r Informatik und im Alltagsverständnis eher<br />

bekannnt ist als das von <strong>de</strong>r feministischen Naturwissenschaftskritik produzierte<br />

Wissen. Mehr noch arbeiten populärwissenschaftliche Darstellungen und Feuilletons<br />

darauf hin, ein naturwissenschaftliches Verständnis vermeintlicher Geschlechterdifferenzen<br />

(beispielsweise bei <strong>de</strong>r Funktionsweise von Gehirnen) zu verbreiten. Sie<br />

verankern damit angeblich kognitive Unterschie<strong>de</strong> zwischen Frauen und Männern<br />

körperlich und legitimieren auf diese Weise soziale Ungleichheitsstrukturen mit biologischen<br />

Fakten statt sich mit <strong>de</strong>n feministischen Ansätzen <strong>kritisch</strong> gegen solche rhetorischen<br />

Strategien zu wen<strong>de</strong>n. Es kann <strong>de</strong>shalb nicht davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n,<br />

dass speziell im Anwendungsbereich <strong>de</strong>r Naturwissenschaften das umfangreiche<br />

Wissen über die Geschlechterverhältnisse und Vergeschlechtlichungsprozesse, das<br />

eine Bedingung <strong>de</strong>r Re-Kontextualisierung formaler Artefakte darstellt, Berücksichtigung<br />

fin<strong>de</strong>t. Liegen die erfor<strong>de</strong>rlichen Geschlechteranalysen <strong>de</strong>r Domäne jedoch<br />

bereits vor, so ist das „Value Sensitive Design“ für <strong>de</strong>n Zweck, diese Ergebnisse<br />

methodisch in Technikgestaltungsprozesse zu integrieren, ein viel versprechen<strong>de</strong>r<br />

Ansatz.<br />

„Value Sensitive Design“ ist eine theoretisch fundierte Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Technologiegestaltung, die auf die systematische Berücksichtigung „menschlicher<br />

Werte“ 375 während <strong>de</strong>s Gestaltungsprozesses zielt (Friedman et al. 2006, Friedman/<br />

Kahn 2003, Friedman et al. 2002). Der Ansatz grün<strong>de</strong>t auf <strong>de</strong>r Erkenntnis, dass<br />

Informationstechnologien häufig bestimmte Werte unterstützen o<strong>de</strong>r auch unterminieren,<br />

manchmal sogar gleichzeitig. So wür<strong>de</strong>n etwa Überwachungskameras an<br />

öffentlichen Orten <strong>einer</strong>seits die individuelle und nationale Sicherheit erhöhen, an<strong>de</strong>rerseits<br />

gingen sie oft zulasten <strong>de</strong>s Datenschutzes. Große vernetzte medizinische Datenbanken<br />

könnten die Effizienz <strong>de</strong>s Informationsflusses erhöhen, während sie zugleich<br />

das Vertrauen zwischen ÄrztIn und PatientIn verletzten. Generell solle <strong>de</strong>shalb die<br />

Untersuchung von Werten Gegenstand <strong>de</strong>r Systementwicklung und informatischen<br />

Forschung sein. „Value Sensitive Design“ zielt darauf, allgemeine Werte wie das<br />

Gemeinwohl, menschliche Wür<strong>de</strong>, Gerechtigkeit und Menschenrechte bewusst in<br />

Technologien hineinzuschreiben. Die Metho<strong>de</strong> basiert auf wissenschaftlichen<br />

Diskursen in <strong>de</strong>n USA und spiegelt <strong>de</strong>ren hegemoniale Werte.<br />

„Value Sensitive Design“ baut auf <strong>de</strong>n Erkenntnissen <strong>de</strong>r Computer-Ethik, <strong>de</strong>r<br />

Sozialen Informatik, <strong>de</strong>s „Participatory Design“ und <strong>de</strong>r „Computer-Supported<br />

Collaborative Work“ (CSCW) auf, in <strong>de</strong>nen in Systeme eingeschriebene Werte bereits<br />

untersucht wor<strong>de</strong>n sind (vgl. Friedman/ Kahn 2003, 1183ff). Nach Friedman und Kahn<br />

375 Der Begriff <strong>de</strong>r „menschlichen Werte“ (im Englischen „human values“) zeigt eine Überhöhung <strong>de</strong>s<br />

Menschseins durch diesen Ansatz an, die mit <strong>de</strong>m in Kapitel 3 entwickelten Theorieansatz nicht vereinbar<br />

ist. Ferner sind mit diesem Begriff stets implizite Konstruktionen <strong>de</strong>s Menschseins verbun<strong>de</strong>n, die<br />

Ausgrenzungen zur Folge haben. Aus <strong>einer</strong> Geschlechterforschungsperspektive ist <strong>de</strong>shalb die<br />

Gesellschaftlichkeit „menschlicher Werte“ zu überprüfen, insbeson<strong>de</strong>re weil <strong>de</strong>r Begriff suggeriert, dass<br />

Werte eine feststehen<strong>de</strong> Größe seien. Vgl. hierzu auch die Diskussion am En<strong>de</strong> dieses Abschnitts.<br />

281


könne etwa Computer-Ethik zur Begriffsklärung von Konzepten beitragen, die in <strong>de</strong>r<br />

Informatik nicht konsistent benutzt wür<strong>de</strong>n, sowie potentielle Auswirkungen von<br />

Technologien aus <strong>de</strong>r Perspektive philosophischer Ethik beurteilen. Soziale Informatik<br />

rücke darüber hinaus <strong>de</strong>n sozialen Kontext technischer Artefakte und seine empirische<br />

Untersuchung in <strong>de</strong>n Mittelpunkt. Auswirkungen von Technologien wür<strong>de</strong>n dabei als<br />

sozio-technische verstan<strong>de</strong>n. Jedoch böten bei<strong>de</strong> Ansätze, da sie sich auf die Analyseebene<br />

beschränkten, kaum Hilfen für eine alternative Gestaltung von Informationstechnologien<br />

an. „Computer Supported Cooperative Work“ ziele dagegen direkt auf die<br />

technischen Designprozesse und lege dabei ethische Wertmaßstäbe an. Friedman und<br />

Kahn zufolge wür<strong>de</strong>n jedoch die in diesem Fachgebiet relevanten Werte, wie die <strong>de</strong>r<br />

Kooperation, aber auch <strong>de</strong>s Datenschutz, <strong>de</strong>r Autonomie, Eigentumsrechte, Werte <strong>de</strong>r<br />

Verbindlichkeit, <strong>de</strong>r Sicherheit und <strong>de</strong>s Vertrauens häufig zu eng gefasst. Speziell<br />

aufgrund <strong>de</strong>s <strong>de</strong>rzeit beobachtbaren Trends <strong>de</strong>s Gebiets, sich nicht mehr nur auf die<br />

Analyse arbeitsbezogener Zusammenhänge <strong>de</strong>s Technikeinsatzes zu beschränken,<br />

hätte das Feld einen grundlegen<strong>de</strong>ren moralischen Standpunkt in Bezug auf humane<br />

Werte zu entwickeln. Auch das „Participatory Design“ ziele auf eine an Werten<br />

orientierte Technikgestaltung, in<strong>de</strong>m es die Demokratisierung <strong>de</strong>s Arbeitsplatzes und<br />

das Wohl aller anstrebe. Allerdings sei diese Metho<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n USA zwar vielfach übernommen<br />

wor<strong>de</strong>n, nicht jedoch die damit verbun<strong>de</strong>nen moralischen Werte. Dies läge<br />

nach Einschätzung von Friedman und Kahn daran, dass Partizipation <strong>de</strong>n Prinzipien<br />

<strong>de</strong>s US-Arbeitsmarktes wi<strong>de</strong>rspräche (wenngleich sie einen Grundpfeiler <strong>de</strong>s<br />

politischen Systems darstellten). Ferner sei <strong>de</strong>r Anspruch <strong>de</strong>r partizipativen Metho<strong>de</strong>n,<br />

sämtlichen durch die Technik Betroffenen eine Stimme im Gestaltungsprozess zu<br />

geben, in <strong>einer</strong> von Diversität geprägten Gesellschaft schlechter praktikabel als in <strong>de</strong>n<br />

vermeintlich homogeneren skandinavischen Gesellschaften.<br />

Mit <strong>de</strong>m „Values Sensitive Design“-Ansatz sollen die genannten Beschränkungen<br />

überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Dazu legen die AutorInnen eine systematische dreiteilige<br />

Methodik – bestehend aus 1. konzeptuellen, 2. empirischen und 3. technischen Untersuchungen<br />

– vor. Die konzeptuelle Analyse grün<strong>de</strong>t auf moralphilosophischen Ansätzen.<br />

Ihr Gegenstand sind die direkt von <strong>de</strong>r Technologie betroffenen Akteure und<br />

indirekten Interessengruppen, die humanen Werte, <strong>de</strong>ren Umsetzung angestrebt wird,<br />

sowie die möglichen Konflikte zwischen <strong>de</strong>n als wesentlich erachteten Werten. Durch<br />

die empirische Analyse soll mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Metho<strong>de</strong>n aufge<strong>de</strong>ckt<br />

wer<strong>de</strong>n, wie die Akteure und Interessengruppen in Bezug auf die jeweils relevanten<br />

Werte <strong>de</strong>nken und han<strong>de</strong>ln. Technische Analysen ergänzen diese Erkenntnisse, in<strong>de</strong>m<br />

sie herausarbeiten, wie spezifische technische Entscheidungen intendierte Werte und<br />

Praktiken unterstützen o<strong>de</strong>r behin<strong>de</strong>rn. Die drei Untersuchungsebenen sollen integriert<br />

und iterativ durchlaufen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Values Sensitive Design“ wur<strong>de</strong> von Batya Friedman und seinen<br />

KollegInnenen Lynette Millett, Daniel Howe, Edward Felten erstmals anhand eines<br />

Projektes zum Cookiemanagement für <strong>de</strong>n MOZILLA-Webbrowser entwickelt und<br />

praktisch getestet (vgl. Millett et al. 2001). Ausgangspunkt war dabei eine konzeptuelle<br />

Untersuchung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>r „informierten Einwilligung“ („informed consent“) sowie<br />

<strong>de</strong>r damit verknüpften Werte <strong>de</strong>s Datenschutzes, <strong>de</strong>r Autonomie und <strong>de</strong>s Vertrauens<br />

im Kontext <strong>de</strong>s Cookiemanagement. Ergebnis war, dass eine Informiertheit <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen voraussetzt, dass diese ein grundlegen<strong>de</strong>s Verständnis davon haben,<br />

282


welche Informationen durch Cookies offen gelegt wer<strong>de</strong>n und welchen Nutzen und<br />

Scha<strong>de</strong>n eine solche Offenlegung haben kann. „Einwilligung“ setze ferner voraus, dass<br />

die Zustimmung freiwillig erfolgt, eine tatsächliche Wahl besteht und die Entscheidung<br />

auch je<strong>de</strong>rzeit revidiert wer<strong>de</strong>n kann. Ferner müssten die Subjekte <strong>de</strong>r Einwilligung<br />

mental, emotional und physisch dazu in <strong>de</strong>r Lage sein, ihr Einverständnis abzugeben.<br />

In einem weiteren Schritt, <strong>de</strong>r auf die technische Ebene fokussiert, untersuchten die<br />

Autoren rückblickend bereits bestehen<strong>de</strong> Systeme auf ihre Umsetzung <strong>de</strong>r<br />

herausgearbeiteten Kriterien: <strong>de</strong>m Verständnis <strong>de</strong>r Funktion von Cookies, Freiwilligkeit,<br />

Wahlfreiheit und Kompetenz. Dabei zeigte sich, dass die Cookie-Technologie innerhalb<br />

von fünf Jahren zwar ständig verbessert wur<strong>de</strong>, einige Probleme jedoch niemals<br />

adressiert wor<strong>de</strong>n sind. Beispielsweise warnt <strong>de</strong>r Browser zwar, wenn ein Cookie<br />

gespeichert wer<strong>de</strong>n soll, nicht aber, wenn von an<strong>de</strong>rer Seite versucht wird, auf diesen<br />

Cookie zuzugreifen. Ebenso wenig informiert <strong>de</strong>r Browser über <strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>s<br />

intendierten Zugriffs.<br />

Diese Erkenntnisse gaben Anlass zu <strong>einer</strong> Neugestaltung <strong>de</strong>s MOZILLA-Browsers,<br />

für <strong>de</strong>n konkret drei neue technische Mechanismen eingeführt wur<strong>de</strong>n: <strong>de</strong>r Browser<br />

sollte 1. eine periphere „Awareness“ für Cookies herstellen, 2. Echtzeitinformationen<br />

über einzelne Cookies wie die Funktionsweise von Cookies allgemein unterstützen<br />

sowie 3. <strong>de</strong>ren Echtzeitmanagement ermöglichen. Anschließen<strong>de</strong> empirische Tests<br />

zeigten, dass NutzerInnen möglichst wenig Aufmerksamkeit auf die Cookies richten<br />

möchten. Diese Anfor<strong>de</strong>rung führte zu <strong>de</strong>r weiteren Verf<strong>einer</strong>ung <strong>de</strong>r technischen<br />

Mechanismen, insbeson<strong>de</strong>re sollten die NutzerInnen möglichst wenig von ihrer<br />

eigentlichen Aufgabe abgelenkt wer<strong>de</strong>n. Insgesamt wur<strong>de</strong>n auf diese Weise<br />

konzeptuelle, empirische und technische Analysen integriert und wie<strong>de</strong>rholt<br />

durchlaufen.<br />

Ein zweites Beispiel für die Anwendung <strong>de</strong>s „Value Sensitive Design“ ist<br />

URBANSIM, eine Software, mit <strong>de</strong>r integrierte Landnutzung, Transport und Ökologie<br />

von ländlichen wie städtischen Gebieten simuliert wer<strong>de</strong>n sollte, um Langzeitfolgen<br />

bestimmter Entscheidungen mittels verschie<strong>de</strong>ner Szenarien abschätzen zu können<br />

(Friedman et al. 2002, 2006). Primäres Gestaltungsziel dieser Software war es,<br />

StadtplanerInnen, PolitikerInnen und weitere EntscheidungsträgerInnen in ihren<br />

Entscheidungsprozessen durch eine geeignete Technologie zu unterstützen. Ein<br />

zweites Ziel bestand in <strong>de</strong>r Demokratisierung von Planungsprozessen durch<br />

Bürgerbeteiligung.<br />

Bei <strong>de</strong>r konzeptuellen Analyse für dieses Fallbeispiel wur<strong>de</strong>n entsprechend zwei<br />

Arten von Werten unterschie<strong>de</strong>n: generelle Werte und spezifische Werte, die einigen,<br />

aber nicht notwendigerweise allen Akteuren wichtig waren. Zu letzteren zählten etwa<br />

ökologische Nachhaltigkeit, gute Erreichbarkeit/Laufnähe, Raum für Unternehmensexpansionen,<br />

Mobilität von Gütern, geringe staatliche Intervention, geringe<br />

Pen<strong>de</strong>lzeiten, Eigentumsrechte und Landschaftsschutz. Die DesignerInnen wählten auf<br />

dieser Grundlage drei zentrale Werte aus, die durch die Simulationssoftware<br />

umgesetzt wer<strong>de</strong>n sollten: 1. Gerechtigkeit, insbeson<strong>de</strong>re „Freedom from Bias“, d.h.<br />

keine <strong>de</strong>r Interessensgruppen sollte benachteiligt wer<strong>de</strong>n, 2. Rechenschaftspflicht, d.h.<br />

die verschie<strong>de</strong>nen Akteure sollten ihre eigenen Werte in <strong>de</strong>r Simulation verwirklicht<br />

sehen, 3. Demokratie, d.h. es sollte ein <strong>de</strong>mokratischer Prozess <strong>de</strong>r Landnutzung, <strong>de</strong>s<br />

Transports und <strong>de</strong>r Umweltschutzplanung unterstützt wer<strong>de</strong>n. Ein Beispiel für die<br />

283


technische Umsetzung <strong>de</strong>s Gerechtigkeitsanspruchs bestand darin, dass eine<br />

Fortbewegung zu Fuß simuliert wur<strong>de</strong>, obwohl es eine sehr viel ausdifferenzierte<br />

Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>s physischen Raumes erfor<strong>de</strong>rte als etwa das Autofahren. Ferner<br />

wur<strong>de</strong> das System offen gehalten für Verän<strong>de</strong>rungen und neue Bedingungen, in<strong>de</strong>m<br />

agile Softwareentwicklungsmetho<strong>de</strong>n angewandt wur<strong>de</strong>n. Dies sollte ermöglichen,<br />

dass je<strong>de</strong>rzeit neue Anfor<strong>de</strong>rungen von bestimmten Akteuren aufgenommen wer<strong>de</strong>n<br />

können. Als zukünftige Weiterentwicklung kündigten die AutorInnen an, die Benutzungsoberfläche<br />

anzupassen, so dass NutzerInnen die Verwirklichung ihrer Werte<br />

leicht wie<strong>de</strong>r erkennen können. Außer<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong> angestrebt, <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>r „informed<br />

<strong>de</strong>mocratic participation“ auszuformulieren und zu implementieren (Friedman et al.<br />

2002, 7).<br />

Die bei<strong>de</strong>n Anwendungsbeispiele zeigen <strong>einer</strong>seits, dass „Value Sensitive Design“<br />

in vielfältigen Bereichen eingesetzt wer<strong>de</strong>n kann. An<strong>de</strong>rerseits verweisen sie auch auf<br />

Unklarheiten, Einseitigkeiten und Beschränkungen <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>. Zum einen wird nicht<br />

beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich, wie die drei Untersuchungsebenen <strong>de</strong>r konzeptuellen, empirischen<br />

und technischen Analyse im Detail ineinan<strong>de</strong>rgreifen und iterativ angewandt wer<strong>de</strong>n<br />

können. Zum zweiten scheinen die angestrebten Werte stark durch hegemoniale<br />

Diskurse <strong>de</strong>r US-amerikanischen Gesellschaft sowie theoretisch durch die in diesen<br />

Diskursen einflussreiche (Moral-)Philosophie geprägt. Drittens ist die Kategorie<br />

Geschlecht bzw. eine Ent-Vergeschlechtlichung von Artefakten kein expliziter<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>. Diese Einwän<strong>de</strong> bedürfen <strong>einer</strong> genaueren Betrachtung.<br />

Dass die Vorgehensweise <strong>de</strong>s „Values Sensitive Design“ klarer strukturiert wer<strong>de</strong>n<br />

kann, zeigt das Projekt „Values at Play“, in <strong>de</strong>m die Metho<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Kontext <strong>de</strong>r<br />

Gestaltung von Computerspielen adaptiert wur<strong>de</strong> (Flanagan et al. 2007, Flanagan et al.<br />

2008). „Values at Play“ umfasst drei Stufen: das Ent<strong>de</strong>cken und I<strong>de</strong>ntifizieren von<br />

Werten in Computerspielen, ihre Übersetzung und Verifikation. „First, <strong>de</strong>signers<br />

discover the values relevant to their project, and <strong>de</strong>ci<strong>de</strong> which values should be<br />

integrated into the <strong>de</strong>sign. Then, they translate those values into concrete <strong>de</strong>sign<br />

features. Finally, they systematically verify that those values have in<strong>de</strong>ed been<br />

embed<strong>de</strong>d in the game.“ (Flanagan et al. 2007, 2). Damit wird das Verfahren <strong>de</strong>s<br />

„Value Sensitive Design“ auf ein dreischrittiges Vorgehen vereinfacht.<br />

Diese Verbesserung <strong>de</strong>r Vorgehensweise löst jedoch noch nicht die zweite<br />

Problematik <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>, dass „menschlichen Werten“ stets gesellschaftliche<br />

Setzungen vorausgehen und damit Ausschlüsse hergestellt wer<strong>de</strong>n. So erscheint etwa<br />

die Friedman und Kahn (2003) vorgeschlagene Vorauswahl von Werten für die<br />

konzeptuelle Analyse ten<strong>de</strong>nziös. Die Autoren scheinen nicht zu reflektieren, dass<br />

Werte wie menschliches Wohlergehen, Recht auf Eigentum, Datenschutz, „Freedom<br />

from Bias“, universelle Usability, Vertrauen, Autonomie, „Informed Consent“ und<br />

ökologische Nachhaltigkeit höchst voraussetzungsvoll sind und ein westlich-liberales<br />

Werteverständnis zur Norm setzen.<br />

Im Gegensatz dazu sind sich Mary Flanagan und ihre KollegInnen immerhin <strong>de</strong>ssen<br />

bewußt, dass ihre methodische Variation <strong>de</strong>s „Value Sensitive Design“ Werte spezifischer<br />

gesellschaftlicher Kontexte repräsentiert: „If an i<strong>de</strong>al world is one in which<br />

technologies promote not only instrumental values such as functional efficiency, safety,<br />

reliability, and ease of use, but also the substantive social, moral, and political values to<br />

which societies and their peoples subscribe, then those who <strong>de</strong>sign systems have the<br />

284


esponsibility to take these latter values as well as the former into consi<strong>de</strong>ration as they<br />

work. In technologically advanced, liberal <strong>de</strong>mocracies, such values may inclu<strong>de</strong><br />

liberty, justice, enlightenment, privacy, security, friendship, comfort, trust, autonomy<br />

and sustenance“ (Flanagan et al. 2008, 322). Das Zitat zeigt eine gewisse, für<br />

feministische Forschungen typische Selbstreflektion <strong>de</strong>r eigenen Vorannahmen. Ferner<br />

schlägt <strong>de</strong>r „Values at Play“-Ansatz damit im Vergleich zum „Value Sensitive Design“<br />

eine stärker emanzipatorische Richtung ein, in<strong>de</strong>m er die Aufmerksamkeit auf<br />

Diversität, Gerechtigkeit, Inklusion, Gleichheit, Geschlechtergerechtigkeit, Kooperation<br />

o<strong>de</strong>r Großzügigkeit lenkt und damit Anschlüsse an feministische Ansätze <strong>de</strong>r<br />

Technikgestaltung herstellt.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz ist auch die ursprüngliche Version <strong>de</strong>s „Value Sensitive Design“,<br />

die sich nicht auf das Anwendungsfeld <strong>de</strong>s Game Design beschränkt, für das Ziel<br />

dieses Abschnitts, <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Formalismen und Kategorien in <strong>de</strong>r<br />

Informatik und Technikgestaltung entgegenzuwirken, interessant. Denn sie führt explizit<br />

<strong>de</strong>n Wert an, Voreingenommenheit, Verzerrung und Vorurteilsbela<strong>de</strong>nheit zu<br />

vermei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sich im Englischen durch <strong>de</strong>n Begriff „Freedom from Bias“ auf <strong>de</strong>n<br />

Punkt bringen lässt (vgl. etwa Friedman/ Kahn 2003, 1189f). Mit Bezug auf Friedman<br />

und Nissenbaum (1996) wird dabei „Bias“ in drei Kategorien unterschie<strong>de</strong>n. Zum einen<br />

gäbe es bereits vor <strong>de</strong>r technologischen Umsetzung bestehen<strong>de</strong> soziale Vorurteile und<br />

Verzerrungen („pre-existing bias“). Ein Beispiel dafür sei die gesellschaftliche<br />

Höherbewertung inhaltlicher Aussagen, die von Stimmen von Männern vorgetragen<br />

wer<strong>de</strong>n im Vergleich zu <strong>de</strong>nen, die von Frauen ausgesprochen wer<strong>de</strong>n. Diese asymmetrische<br />

Einschätzung wer<strong>de</strong> bei technischen Realisierungen automatischer<br />

Sprachsystemen relevant (vgl. Friedman/ Kahn 2003, 1189). Die zweite Kategorie<br />

umfasse Verzerrungen, die erst während <strong>de</strong>r Nutzung entstehen („emergent social<br />

bias“), etwa wenn ein Geldautomat, <strong>de</strong>r auf schriftsprachlichen Interaktionen basiert, in<br />

<strong>einer</strong> Umgebung eingesetzt wer<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r vorwiegend AnalphabetInnen wohnen.<br />

Methodische Vorschläge, diesen bei<strong>de</strong>n Kategorie <strong>de</strong>s „Bias“ in Bezug auf die<br />

Kategorie Geschlecht zu begegnen, in<strong>de</strong>m Differenzierungen berücksichtigt wer<strong>de</strong>n<br />

und auf die tatsächlichen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r NutzerInnen eingegangen wird, sind in<br />

<strong>de</strong>n Kapiteln 5.2. und 5.3. diskutiert wor<strong>de</strong>n. Hierfür stellt das „Value Sensitive Design“<br />

einen weiteren Ansatz dar, mit Hilfe <strong>de</strong>ssen ein De-Gen<strong>de</strong>ring von Technologien<br />

geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Demgegenüber eröffnet die von Friedman und Nissenbaum i<strong>de</strong>ntifizierte dritte Form<br />

von Verzerrungen, <strong>de</strong>r „technical bias“, einen neuen Bereich, in <strong>de</strong>m die Problematik<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Formalismen anzutreffen ist. Bei diesen technischen<br />

Verzerrungen rühre die Diskriminierung bestimmter Gruppen „from the use of an<br />

algorithm that fails to treat all groups fairly un<strong>de</strong>r all significant conditions“ (Friedman/<br />

Nissenbaum 1996, 334). Die AutorInnen fassen unter dieser Kategorie solche<br />

technische Beschränkungen, die aus Limitationen <strong>de</strong>r Software und Hardware, <strong>de</strong>kontextualisierten<br />

Algorithmen, Mängeln bei <strong>de</strong>r Generierung von Zufallszahlen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Formalisierung menschlicher Konstrukte resultierten. Als Beispiel führen sie eine<br />

Datenbank an, die Organspen<strong>de</strong>n mit potentiellen TransplantationspatientInnen abgestimmt.<br />

Bevorzugt diese systematisch jene Individuen, die auf <strong>de</strong>r ersten Seite angezeigt<br />

sind, gegenüber solchen, die auf späteren Seiten dargestellt wer<strong>de</strong>n, so läge eine<br />

technische Verzerrung vor. Ebenso liefen Suchmaschinen für Flüge, welche die Treffer<br />

285


so sortierten, dass in <strong>de</strong>r Ergebnisliste stets bestimmte Fluggesellschaften zuerst<br />

angezeigt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m Gleichbehandlungsanspruch entgegen. Technische Verzerrungen<br />

entstün<strong>de</strong>n darüber hinaus auch dadurch, dass Konzepte menschlichen Han<strong>de</strong>lns<br />

wie Diskurse, Entscheidungen o<strong>de</strong>r Intuition <strong>de</strong>m Computer zugänglich gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n sollen, etwa mittels ExpertInnensystemen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren durch die Künstliche<br />

Intelligenz inspirierten Ansätzen. Problematisch seien sämtliche Bestrebungen, das<br />

Qualitative zu quantifizieren, das Kontinuierliche zu diskretisieren o<strong>de</strong>r das Nicht-<br />

Formale zu formalisieren.<br />

Damit beinhaltet die Kategorie <strong>de</strong>s „Technical Bias“ bei Friedman und Nissenbaum<br />

(1996) diejenigen Formen <strong>de</strong>r Einschreibung von „Bias“ in Technologien, die in Kapitel<br />

4.3. als Vergeschlechtlichung von Formalismen und Kategorisierungen kritisiert wur<strong>de</strong>n,<br />

wenngleich mit „Bias“ nicht notwendigerweise auf Geschlecht als Kategorie Bezug<br />

genommen wird. „Value Sensitive Design“ lässt sich auf scheinbar neutrale Algorithmen<br />

und Grenzwerte anwen<strong>de</strong>n, die wie diejenigen, die aus <strong>de</strong>n Rohdaten <strong>de</strong>r Computertomographie<br />

Bil<strong>de</strong>r vom „lebendigen“ Gehirn erzeugen, Unterschie<strong>de</strong> zwischen<br />

zwei Geschlechtern konstruieren o<strong>de</strong>r auch nicht i<strong>de</strong>ntifizierbar machen. Dazu Für ein<br />

solches De-Gen<strong>de</strong>ring müsste jedoch im Rahmen <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> die De-Konstruktion<br />

von Zweigeschlechtlichkeit als ein anzustreben<strong>de</strong>r Wert gesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Mit <strong>de</strong>m Wert <strong>de</strong>s „Freedom of Bias“ ist „Value Sensitive Design“ zwar für eine von<br />

<strong>de</strong>r Geschlechterforschung motivierte Technikgestaltung offen, jedoch ist die Metho<strong>de</strong><br />

– und damit komme ich auf <strong>de</strong>n dritten Einwand zurück – bisher kaum aus <strong>einer</strong><br />

feministischen Perspektive eingesetzt wor<strong>de</strong>n. Eine Ausnahme stellt das Projekt<br />

RAPUNSEL dar, in <strong>de</strong>m eine Computerspielumgebung entwickelt wur<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>r sozial<br />

benachteiligte Mädchen <strong>de</strong>r Mittelstufe spielerisch das Programmieren mit JAVA lernen<br />

sollen (vgl. Flanagan et al. 2008). 376 In diesem Projekt waren die Werte <strong>de</strong>r<br />

Geschlechtergerechtigkeit und sozialen Gerechtigkeit bereits explizit in <strong>de</strong>r Projekt<strong>de</strong>finition<br />

enthalten und wur<strong>de</strong>n durch die DesignerInnen um <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>r Diversität<br />

ergänzt, <strong>de</strong>n sie als Vielfalt an Lernstilen und kognitiven Fähigkeiten aus<strong>de</strong>uteten.<br />

Dieser Anspruch sollte zum einen durch eine entsprechen<strong>de</strong> Gestaltung <strong>de</strong>s<br />

Belohnungssystems im Spiel sowie zum zweiten durch die Perspektive <strong>de</strong>r<br />

SpielerInnen realisiert wer<strong>de</strong>n. Ausgehend von gängigen Annahmen über die<br />

Zielgruppe (vgl. Kapitel 4.1.2.) starteten die DesignerInnen zunächst mit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e,<br />

vorherrschend Mädchen und Frauen zugeschriebene Zuständigkeiten wie Fürsorge,<br />

Pflege, Erziehung im Spiel zu belohnen, aber auch Kooperation und eine gleichberechtigte<br />

Repräsentation technisch zu unterstützen. Mit Hilfe <strong>de</strong>s „Value Sensitive<br />

Design“ gelangten sie schließlich zu <strong>einer</strong> Implementierung, bei <strong>de</strong>r „Co<strong>de</strong> Sharing“<br />

neben <strong>de</strong>m Schreiben von Co<strong>de</strong> eine wesentlichen Grundlage <strong>de</strong>s Belohnungssystems<br />

darstellte: „After consi<strong>de</strong>ring various implementation strategies the <strong>de</strong>sign team<br />

<strong>de</strong>vised a system in which players could compose, accumulate, and transport co<strong>de</strong><br />

segments, through the various stages of the game, in the virtual library of ‚backpacks‘.<br />

The backpack serves a similar function to mechanisms in traditional adventure and<br />

conflict-orientied games which allow players to gather weapons or armor in a type of<br />

‚inventory‘.“ (Flanagan et al. 2008, 340). Die Belohnung <strong>de</strong>s „Co<strong>de</strong> Sharing“ hätte <strong>de</strong>n<br />

Vorteil, weniger stark „weiblich“ kodiert zu sein als etwa die Implementierung von<br />

376 Vgl. dazu http://www.rapunsel.org<br />

286


Fürsorge, Pflege und Erziehung, mit <strong>de</strong>r das System Gefahr gelaufen wäre,<br />

bestehen<strong>de</strong> Geschlechterdifferenzierungen und -hierarchisierungen erneut festzuschreiben.<br />

Gleichzeitig hätten die empirischen Untersuchungen gezeigt, dass <strong>de</strong>r<br />

Zielgruppe 11- bis 14-jähriger Mädchen gera<strong>de</strong> dieser Aspekt sehr gut gefiel. Bei <strong>de</strong>r<br />

Realisierung <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>-Editors ergab sich allerdings ein Konflikt zwischen <strong>de</strong>n Werten<br />

<strong>de</strong>r NutzerInnen, die <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong> nicht mühsam tippen wollten, und <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

DesignerInnen, die im selbsttätigen Schreiben von Programmzeilen die Ziele <strong>de</strong>s<br />

Lernens und Erprobens, <strong>de</strong>r Kreativität und <strong>de</strong>s Empowerment verwirklicht sahen. Die<br />

TechnikgestalterInnen entschie<strong>de</strong>n sich schließlich für <strong>de</strong>n Kompromiss eines kontextsensiblen<br />

hybri<strong>de</strong>n Systems, das sowohl das Tippen als auch eine Menüauswahl<br />

zulässt.<br />

Ebenso sei bei <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>r Spielperspektive ein Wertekonflikt zu lösen gewesen.<br />

Denn die GestalterInnen bevorzugten eine subjektive Perspektive, durch die sich die<br />

SpielerInnen mit ihrer Spielfigur i<strong>de</strong>ntifizieren und einen Grad <strong>de</strong>r Immersion erreichen,<br />

bei <strong>de</strong>m sie „sehen“, was die Spielfigur sieht. Die NutzerInnen hingegen zogen einen<br />

„god’s eye view“ vor. Dieser Präferenz hätten die DesignerInnen letztendlich nachgegeben.<br />

Jedoch verhin<strong>de</strong>rten sie, dass die Spielfiguren als reine Sklaven behan<strong>de</strong>lt<br />

wer<strong>de</strong>n konnten, in<strong>de</strong>m sie diesen durch gewisse KI-Mechanismen eine quasi<br />

eigenständige Handlungsfähigkeit verliehen. Diese I<strong>de</strong>e ergab sich wie<strong>de</strong>rum aus <strong>de</strong>r<br />

empirischen Untersuchung, die zeigte, dass die 11- bis 14-jährigen Mädchen<br />

Simulationen von biologischen Prozessen mochten.<br />

Ein weiterer unerwarteter Aspekt, <strong>de</strong>n die empirischen Studien ans Licht brachten,<br />

bestand darin, dass die NutzerInnen das Spiel häufig für sich um<strong>de</strong>finierten, es<br />

beispielsweise gern gegen die intendierten Regeln spielten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Charakteren ein<br />

morbi<strong>de</strong>s bzw. makabres Verhalten verliehen. Dies interpretierten die DesignerInnen<br />

als Wunsch nach Autonomie, <strong>de</strong>m sie dadurch Rechnung zu tragen versuchten, dass<br />

<strong>de</strong>n SpielerInnen <strong>de</strong>r Zugriff auf einen Großteil <strong>de</strong>s Systems erlaubt wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n sie<br />

nach eigenen Wünschen umprogrammieren durften. Auf diese Weise wur<strong>de</strong><br />

Subversion als ein für <strong>de</strong>n Kontext relevanter Wert anerkannt und in Form unerwarteter<br />

Szenarien und Interaktionen umgesetzt: „the game supports subversive action without<br />

anyone knowing ahead of time what form the subversion might take, providing the<br />

necessary robustness to withstand a wi<strong>de</strong> range of unexpected outcomes. In other<br />

words, the basic i<strong>de</strong>a is to build a robust (real-world, physical) mo<strong>de</strong>l that runs whether<br />

or not human players are present, making the characters ‚smart‘ enough to <strong>de</strong>al with<br />

unanticipated states by continuing to pursue their goals, without crashing or falling<br />

apart. The team also <strong>de</strong>signed an ‚un<strong>de</strong>rworld‘ and nasty characters called ‚gobblers‘<br />

to address user interest in subversion.“ (Flanagan et al. 2008, 342).<br />

Das RAPUNSEL-Beispiel zeigt sehr schön auf, wie die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Value<br />

Sensitive Design“ dafür eingesetzt wer<strong>de</strong>n kann, Geschlechter- und Klassenaspekte<br />

explizit in <strong>de</strong>n Technikgestaltungsprozess einzubringen. Dabei wur<strong>de</strong> das System<br />

jedoch so konzipiert, dass es Frauen bzw. Mädchen benachteiligter sozialer Schichten<br />

nicht auf bestimmte Rollen festlegt. Vielmehr spricht das Design offenbar zugleich<br />

Jungen an. Damit ist es hier gelungen, die Kategorien Geschlecht und Klasse bei <strong>de</strong>r<br />

287


Technikgestaltung angemessen zu berücksichtigen ohne Differenzen und Hierarchien<br />

dabei erneut fortzuschreiben. 377<br />

Zuammenfassend birgt „Value Sensitive Design“ für <strong>de</strong>n hier verfolgten Ansatz <strong>de</strong>s<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte somit min<strong>de</strong>stens zwei Vorteile: Zum einen zielt<br />

die Metho<strong>de</strong> darauf, Effekten neutral gelten<strong>de</strong>r Algorithmen und Formalismen<br />

entgegenzuwirken, die bestimmten moralischen Werten zuwi<strong>de</strong>r laufen und mit <strong>de</strong>n<br />

bislang betrachteten Metho<strong>de</strong>n nicht explizit angesprochen wur<strong>de</strong>n. Deutlich wird dies<br />

beispielsweise daran, dass sich „Value Sensitive Design“ mit <strong>de</strong>n herkömmlichen<br />

Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Softwaretechnik wie etwa <strong>de</strong>r Objektorientierung o<strong>de</strong>r mit agilen Vorgehensweisen<br />

kombinieren lässt, 378 die nicht notwendigerweise auf eine Untersuchung<br />

von EndnutzerInnen und Anwendungszusammenhang angewiesen sind. Damit erweist<br />

sich die Metho<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re in jenen Fällen als vorteilhaft, bei <strong>de</strong>nen die Vergeschlechtlichung<br />

<strong>de</strong>r Artefakte durch Abstraktionen, etwa die Wahl <strong>einer</strong> wissenschaftlichen<br />

Theorie, <strong>einer</strong> Klassifizierung o<strong>de</strong>r eines formale Algorithmus zustan<strong>de</strong> kommt.<br />

So kann das „Value Sensitive Design“ ein De-Gen<strong>de</strong>ring computertomografischer<br />

Bil<strong>de</strong>rzeugungsalgorithmen und Klassifikationen, <strong>de</strong>ren Gen<strong>de</strong>ring in Kapitel 4.3.1.<br />

beschrieben wur<strong>de</strong>, methodisch unterstützen. Dazu müsste allerdings das Ziel, das<br />

Zweigeschlechtlichkeitssystem zu <strong>de</strong>konstruieren anstatt durch <strong>de</strong>n Technikgestaltungsprozess<br />

zu bestärken, im Vorhinein als anzustreben<strong>de</strong>r Wert <strong>de</strong>s Algorithmus zur<br />

Sichtbarmachung computertomografischer Ergebnisse <strong>de</strong>finiert und festgelegt<br />

wer<strong>de</strong>n. 379<br />

Ein zweiter Vorteil <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> besteht darin, dass die Werte <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> explizit<br />

die Herstellung von Gerechtigkeit sowie <strong>de</strong>r „Freedom from Bias“ umfassen, die an<br />

feministische Zielsetzungen anschlussfähig sind. „Value Sensitive Design“ stellt zwar<br />

ursprünglich eine epistemologisch und gesellschaftstheoretisch eher konservative<br />

Metho<strong>de</strong> dar, die – wie bemerkt – auf US-amerikanischen moralphilosophischen Ansätzen<br />

basiert und die hegemonialen Werte US-amerikanischer Fortschritts- und Freiheitsi<strong>de</strong>ologie<br />

wi<strong>de</strong>rspiegelt. Nichts<strong>de</strong>stotrotz arbeiteten einzelne GeschlechterforscherInnen<br />

bereits mit <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>m Zweck, Artefakte geschlechter<strong>kritisch</strong> zu<br />

gestalten. Im Vergleich zu <strong>de</strong>n zuvor diskutierten Verfahren, die aus <strong>einer</strong> feministischen<br />

Perspektive eingesetzt wur<strong>de</strong>n, bietet das „Value Sensitive Design“ dabei die<br />

Chance, die Ziele eines De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses auszudifferenzieren. Denn während<br />

an<strong>de</strong>re Metho<strong>de</strong>n, die aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Geschlechterforschung argumentieren,<br />

implizit davon ausgehen, dass solche Ziele von vornherein klar sind, 380 kann beim<br />

„Value Sensitive Design“ diskutiert und dann festgelegt wer<strong>de</strong>n, ob <strong>de</strong>r Wert eines<br />

Technologiegestaltungsprozesses beispielsweise darin bestehen soll, Differenzen<br />

anzuerkennen, Gleichheit anzustreben, o<strong>de</strong>r Geschlecht zu <strong>de</strong>konstruieren und <strong>de</strong>ssen<br />

377 Dabei ist zu bemerken, dass die VertreterInnen <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> das erfor<strong>de</strong>rliche Wissen um<br />

Geschlechterverhältnisse und symbolische Ordnungen in Computerspielen zwar zunächst selbst in <strong>de</strong>n<br />

Prozess eingebracht hatten, später jedoch durch die Anwendung von „Value Sensitive Design“<br />

modifizieren mussten.<br />

378 So sind die bei<strong>de</strong>n ersten skizzierten Anwendungsbeispiele zum Cookiemanagement eines Browsers<br />

und zur Simulation von Landnutzung mittels traditioneller Metho<strong>de</strong>n entwickelt wor<strong>de</strong>n.<br />

379 Ferner müssten – wie eingangs bereits erläutert – Erkenntnisse <strong>de</strong>r feministischen Naturwissenschaftsforschung<br />

vorliegen, die <strong>de</strong>n Zusammenhang bestimmter bil<strong>de</strong>rzeugen<strong>de</strong>r Algorithmen bzw. bestimmter<br />

Klassifikationen und Geschlecht aufzeigen.<br />

380 Etwa das „Mind Scripting“ kombiniert mit <strong>de</strong>m „Triple Loop Learning“, vgl. Allhutter/ Hanappi-Egger<br />

2008.<br />

288


soziale Konstruierheit aufzuzeigen. Dadurch lassen sich die vielfältigen Facetten <strong>de</strong>r<br />

Kategorie Geschlecht, die bei Formalismen, Algorithmen und Grundlagenforschung,<br />

aber auch bei konkreteren Gestaltungselementen eine Rolle spielen, besser berücksichtigen<br />

und mehrere (Teil-)Ziele bzw. Werte gleichzeitig verfolgen. Wie gut sich<br />

„Value Sensitive Design“ mit einem in diesem Sinne höchst ausdifferenzierten<br />

Anspruch <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring verbin<strong>de</strong>n lässt, ist anhand <strong>de</strong>s Fallbeispiels RAPUNSEL<br />

aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Computerspiele veranschaulicht wor<strong>de</strong>n. Es käme nun darauf an,<br />

die Metho<strong>de</strong> nicht nur auf Anwendungssysteme, son<strong>de</strong>rn auch auch auf Formalismen<br />

und Nachbildungen <strong>de</strong>s Menschlichen anzuwen<strong>de</strong>n und auf dieser Ebene <strong>de</strong>n<br />

technischen „Bias“ zu vermei<strong>de</strong>n. Denn erst dann wäre damit das Ziel <strong>de</strong>s De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring von Grundlagen, Formalem und Grundlagenforschung in <strong>de</strong>r Informatik<br />

erreicht.<br />

5.5.3. „Critical Technical Practice“: Das Marginalisierte ins Zentrum stellen<br />

Im Kapitel 4.3.3. wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r spezifischen Klassifizierung in dichotome Kategorien<br />

eine weitere Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte i<strong>de</strong>ntifiziert, die<br />

über die geschlechtliche Markierung von Dualismen vermittelt wird. So ist etwa Dichotomie<br />

von Nutzung und Gestaltung für die Informatik eine grundlegen<strong>de</strong> Unterscheidung,<br />

wobei insbeson<strong>de</strong>re das Design und die Entwicklung symbolisch und strukturell<br />

eng mit spezifischen „Männlichkeiten“ verknüpft sind. In <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit<br />

wur<strong>de</strong>n speziell für diese Konstruktion <strong>de</strong>r „Design-Use“-Differenz bereits verschie<strong>de</strong>ne<br />

Ansätze vorgestellt, die diese Dichotomie aufbrechen und <strong>de</strong>shalb als De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Strategie verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n können (z.B. „Narrative Transformation“ am Anfang<br />

dieses Kapitels 5.5.). 381 Für weitere in westlichen Denktraditionen vergeschlechtlichte<br />

Dichotomien, die wie die Cartesianische Trennung von Körper und Geist o<strong>de</strong>r von<br />

Emotionalität und Rationalität eine fundamentale Grundlage von Ansätzen <strong>de</strong>r Informatik<br />

bzw. KI darstellen, steht die Empfehlung von De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategien bislang<br />

jedoch noch aus. Obgleich einige dieser Dichotomien bereits in <strong>de</strong>r Disziplin selbst<br />

partikulär unterminiert wer<strong>de</strong>n, wie in Kapitel 4.3.3. <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n ist, stellt sich<br />

jedoch aus <strong>de</strong>r Perspektive dieses Kapitels die allgemeine Frage, welche methodischen<br />

Vorschläge gemacht wer<strong>de</strong>n können, um <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung Informatikrelevanter<br />

Dichotomien systematisch entgegen zu wirken. Eine Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Technikgestaltung,<br />

die sich in vielen dieser Fälle produktiv zur Anwendung bringen lässt, ist die<br />

<strong>de</strong>r „Critical Technical Practice“.<br />

„Critical Technical Practice“ (Agre 1997a) wur<strong>de</strong> von Philip Agre entwickelt, <strong>de</strong>r<br />

selbst in <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenzforschung am MIT promovierte und im Zuge <strong>de</strong>ssen<br />

zugleich eine <strong>de</strong>n Ansätzen <strong>de</strong>s eigenen Faches gegenüber <strong>kritisch</strong>e Haltung entwickelt<br />

hat. Die Metho<strong>de</strong> grün<strong>de</strong>t auf <strong>einer</strong> philosophischen, ethnomethodologischen<br />

und gesellschaftstheoretischen Analyse <strong>de</strong>r in einem technischen Feld wie <strong>de</strong>r<br />

Informatik verwen<strong>de</strong>ten Diskurse. Ihr erklärtes Ziel ist es, technische Sackgassen <strong>de</strong>s<br />

betrachteten Felds zu überwin<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m die Kernmetaphern <strong>de</strong>r Fachdiskurse <strong>kritisch</strong><br />

hinterfragt und für ein alternatives Design verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

381 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 4.3.3., siehe auch Kapitel 3.2.<br />

289


Kurz zusammengefasst besteht das Vorgehen <strong>de</strong>r „Critical Technical Practice“ aus<br />

vier Schritten: 1. <strong>de</strong>m I<strong>de</strong>ntifizieren <strong>de</strong>r Kernmetaphern eines technischen Felds, 2. <strong>de</strong>r<br />

Analyse <strong>de</strong>r Bereiche menschlichen Han<strong>de</strong>lns, die durch die dominanten Metaphern<br />

marginalisiert wer<strong>de</strong>n, 3. <strong>de</strong>r Invertierung <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ntifizierten Kernmetaphern, wodurch<br />

das Marginalisierte ins Zentrum gestellt wird, und 4. <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r Alternativen in<br />

eine neue Technologie.<br />

Agre entwickelte diese Vorgehensweise zusammen mit seinem Kollegen David<br />

Chapman am Beispiel <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n 1980er Jahren vorherrschen<strong>de</strong>n Planungs-Ansätze in<br />

<strong>de</strong>r KI. Dabei bedienten sie sich <strong>de</strong>r Kritik von <strong>de</strong>r Anthropologin Suchman (1987), <strong>de</strong>r<br />

zufolge die Planungs-Ansätze <strong>de</strong>n verkörperten und situierten Charakter menschlichen<br />

Han<strong>de</strong>lns marginalisierten. Die damalige KI sei von <strong>de</strong>r Vorstellung ausgegangen, dass<br />

intelligentes Han<strong>de</strong>ln von rationalen Plänen gesteuert wer<strong>de</strong> – eine Annahme, die auf<br />

<strong>einer</strong> Verwechslung von Metho<strong>de</strong> und Objekt grün<strong>de</strong>, da die nachträgliche Erklärung<br />

von Handlungsweise als vollständige Beschreibung <strong>de</strong>r Handlung betrachtet wird: „The<br />

fact that we can always perform post hoc analysis of situated action that will make it<br />

apprear to have followed a rational plan says more about the nature of our analysis<br />

than it does about our situated action“ (Suchman 1987, 52f).<br />

Agre und Chapman entwickelten ein System namens PENGI, bei <strong>de</strong>m nicht<br />

rationale Pläne, son<strong>de</strong>rn die situierte Verkörperung als zentrale Voraussetzung von<br />

Intelligenz verstan<strong>de</strong>n wird (Chapman/ Agre 1987, Agre/ Chapman 1987, 1990).<br />

PENGI ist ein Computerspiel, in <strong>de</strong>m eine Pinguin-Figur Eiswürfel werfen muss, um<br />

sich gegen bedrohliche Killer-Bienen zu verteidigen. Das Programm funktioniert ohne<br />

die Festlegung expliziter Ziele und ohne die Entwicklung und Ausführung von Plänen,<br />

die zum Erreichen dieser Ziele dienen. Denn Pläne könnten <strong>de</strong>n Autoren zufolge die<br />

Komplexität <strong>de</strong>s realen Lebens, das in konkreten Situationen erfolgt, nicht erfassen:<br />

„Before and beneath any activity of plan-following, life is a continual improvisation, a<br />

matter of <strong>de</strong>ciding what to do now based on how the world is now“ (Agre/ Chapman<br />

1987, 268). Vielmehr grün<strong>de</strong>t PENGI auf <strong>einer</strong> Vielfalt von Routinen und implementierten<br />

Situation-Handlungs-Regeln, die eine kontinuierliche Reaktion auf die jeweilige<br />

Umgebung ermöglichen.<br />

Damit entwickelten Agre und Chapman eine alternative Agententechnologie für das<br />

situierte, reaktive Echtzeit-Verhalten. In<strong>de</strong>m sie die damalige Kernmetapher <strong>de</strong>r<br />

abstrakten Kognition, die <strong>de</strong>n Planungs-Ansätzen zugrun<strong>de</strong> lag, durch ein Mo<strong>de</strong>ll situierten<br />

Han<strong>de</strong>lns ersetzten, eröffneten sie einen neuen Gestaltungsraum für die KI. Ihre<br />

Arbeiten leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung <strong>de</strong>r „Neuen KI“, die sich<br />

seit <strong>de</strong>n 1990er Jahren zunehmend durchsetzen konnte. Diese Richtung nimmt mit <strong>de</strong>n<br />

Paradigmen <strong>de</strong>r Situierung, Verkörperung und „Enaction“ von <strong>de</strong>r Notwendigkeit <strong>einer</strong><br />

vollständigen Repräsentation Abstand, auf <strong>de</strong>r die traditionelle KI beruhte.<br />

Mit Hilfe <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Critical Technical Practice“ gelang es somit, zuvor<br />

marginalisierten Aspekten menschlichen Han<strong>de</strong>lns Be<strong>de</strong>utung zu verleihen und diese<br />

in technische Diskurse und Praktiken zu übersetzen. Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>einer</strong> stark<br />

„vermännlichten“ Konnotation von Rationalität und Abstraktion sowie <strong>de</strong>r damit<br />

zusammenhängen<strong>de</strong>n Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r Dichotomien von Körper und Geist<br />

bzw. von Konkretem und Abstraktem, die auf diese Weise unterlaufen wer<strong>de</strong>n, lässt<br />

sich „Critical Technical Practice“ auf <strong>einer</strong> symbolischen Ebene als eine De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

290


Strategie verstehen, die an <strong>de</strong>n Grundannahmen eines Felds, in diesem Fall an <strong>de</strong>n<br />

damaligen Kernmetaphern <strong>de</strong>r KI, ansetzt.<br />

„Critical Technical Practice“ bil<strong>de</strong>t zugleich eine Grundlage, mittels <strong>de</strong>rer auch die<br />

Dichotomie von Rationalität und Emotionalität unterminiert wer<strong>de</strong>n kann. Bereits im<br />

Kapitel 4.3.3 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ansatz von Phoebe Sengers und ihrer „Culturally Embed<strong>de</strong>d<br />

Computing“-Arbeitsgruppe an <strong>de</strong>r Cornell University vorgestellt, die sich <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r KI<br />

dominanten Verständnis, Emotionen vollständig zu repräsentieren und technisch nachzubil<strong>de</strong>n,<br />

<strong>kritisch</strong> entgegenstellt. Viele ihrer Implementierungen, die im Kontext <strong>de</strong>s<br />

umfangreichen Projekts zur Entwicklung von Alternativen zum „Affective Computing“-<br />

Ansatz (vgl. Picard 1997) stehen, sind als Anwendung <strong>de</strong>s „Critical Technical Practice“-<br />

Ansatzes zu verstehen (vgl. Sengers et al. 2002, Sengers 2003, Sengers et al. 2005).<br />

Das Projekt AFFECTOR (Boehner et al. 2004) etwa bringt Emotionen zum Ausdruck,<br />

ohne dass diese verstan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r repräsentiert wer<strong>de</strong>n. Diese Installation basiert auf<br />

<strong>einer</strong> Vi<strong>de</strong>overbindung zwischen <strong>de</strong>n Büros zweier FreundInnen. Jedoch wer<strong>de</strong>n die<br />

Bil<strong>de</strong>r systematisch verzerrt, um einen Eindruck von <strong>de</strong>r Hintergrundstimmung zu<br />

vermitteln. Dabei wer<strong>de</strong>n die Verschiebungen zwischen Eingabe und Ausgabe durch<br />

die NutzerInnen bestimmt, die dazu ihre eigenen persönlichen Beziehungen und<br />

Interpretationsstrategien einbringen können. Damit wird bei <strong>de</strong>m Programm AFFEC-<br />

TOR die Kernmetapher <strong>de</strong>r Kodierung und Operationalisierung von Emotionen ersetzt:<br />

„Our new metaphor suggests that emotion cannot be codified and transmitted, rather,<br />

that it is in a state of constant negotiation by which meaning-making is part of our<br />

everyday activities. […] the emotional connotation of the system is not correlated with<br />

an internal, formal emotional mo<strong>de</strong>l, but with its meaning to its users, who are<br />

interpreting the behaviour of the system in a rich, situated network of human<br />

relationship“ (Boehner et al. 2004, 5).<br />

Kirsten Boehner und ihre KollegInnen (2004) <strong>de</strong>monstrieren anhand <strong>einer</strong> Reihe<br />

weiterer Beispiele die Invertierung von Metaphern, welche die grundlegen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r<br />

„Critical Technical Practice“ darstellt. So wer<strong>de</strong> etwa bei interaktiven Handlesegeräten<br />

für MuseumsbesucherInnen üblicherweise davon ausgegangen, dass das Artefakt<br />

Informationen über die Museumsobjekte liefern solle, womit die sozialen, kreativen und<br />

emotionalen Erfahrungen <strong>de</strong>r BesucherInnen marginalisiert wür<strong>de</strong>n. Eine an<strong>de</strong>re<br />

verbreitete Annahme bestehe darin, dass die technische vermittelte Kommunikation<br />

intensiver wer<strong>de</strong>, je mehr Bandbreite zur Verfügung steht. Dies wür<strong>de</strong> jedoch die<br />

kurzzeitige, einfache Aufmerksamkeit für das Gegenüber abwerten. Beim reflexiven<br />

Prozess <strong>de</strong>r Entwicklung und Dokumentation wissenschaftlicher I<strong>de</strong>en wer<strong>de</strong> darüber<br />

hinaus häufig vom romantischen I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s „genialen Autors“ ausgegangen, das die<br />

wissenschaftliche Zusammenarbeit und <strong>de</strong>n Netzwerkcharakter dieser Tätigkeit<br />

ignoriere. Auf Basis <strong>de</strong>s „Critical Technical Practice“-Ansatzes stellen die AutorInnen<br />

jeweils marginalisierte Perspektiven in <strong>de</strong>n Mittelpunkt und setzen Implementierungen<br />

um, welche darüber hinausgehend auch generell die in <strong>de</strong>r Informatik vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

Metaphern wie Effizienz und Produktivität negieren. Dies zeigt, dass „Critical Technical<br />

Practice“ von VertreterInnen <strong>de</strong>s Critical Computing aufgegriffen wur<strong>de</strong>, um mittels <strong>de</strong>r<br />

Gestaltung von Technologie gesellschafts<strong>kritisch</strong> zu intervenieren.<br />

Das Potential dieses Ansatzes besteht somit darin, die Annahmen, die in die<br />

Entwicklung von Artefakten eingehen und durch sie transportiert und gefestigt wer<strong>de</strong>n,<br />

zu hinterfragen und alternative Technologien zu entwickeln. Allerdings vermag die<br />

291


Metho<strong>de</strong> auf noch tiefer liegen<strong>de</strong> implizite kulturelle Voraussetzungen zuzugreifen als<br />

die zuvor vorgestellten Techniken. Denn die Ansätze <strong>de</strong>r „Narrative Transformation“<br />

und <strong>de</strong>s „Mind Scipting“ weisen <strong>de</strong>n Fallbeispielen zufolge primär auf Interessenswi<strong>de</strong>rsprüche<br />

hin o<strong>de</strong>r machen Annahmen über <strong>de</strong>n konkreten Nutzungskontext sowie<br />

implizite Geschlechtsvorstellungen <strong>de</strong>r DesignerInnen bewusst. Das „Value Sensitive<br />

Design“ stellt Zusammenhänge zwischen humanen Werten und <strong>de</strong>n Effekten konkreter<br />

Implementierungen und Konzepte her, die durchaus auf unterschiedlichen Ebenen<br />

liegen können, in <strong>de</strong>r Praxis jedoch zumeist <strong>kritisch</strong> auf strukturelle Ausschlüsse<br />

gerichtet sind. Demgegenüber fokussiert „Critical Technical Practice“ direkt auf die<br />

diskursiven Praktiken eines technischen Felds und die darin vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

kulturellen Annahmen, die in <strong>de</strong>n verwen<strong>de</strong>ten Metaphern zum Ausdruck kommen. 382<br />

Der Ansatz zielt damit stärker auf symbolische Ebenen und kann auf diese Weise auch<br />

solche Formen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung in <strong>de</strong>n Blick bekommen, die durch an<strong>de</strong>re<br />

Metho<strong>de</strong>n schwerer greifbar sind. Damit erscheint <strong>de</strong>r Ansatz für stark konzeptuell<br />

arbeiten<strong>de</strong> Bereiche wie die KI beson<strong>de</strong>rs viel versprechend.<br />

Ferner kommt „Critical Technical Practice“ mit <strong>de</strong>m Versuch, das jeweils<br />

Marginalisierte zu integrieren, <strong>de</strong>m Anliegen <strong>de</strong>r Geschlechterforschung bereits im<br />

Ansatz äußerst nahe, da die in einem Feld marginalisierten Aspekte häufig gera<strong>de</strong> die<br />

als „weiblich“ konnotierten sind. So betrachtet lässt sich die Metho<strong>de</strong> schon fast per se<br />

als De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie betrachten, wie die Beispiele <strong>de</strong>r Unterminierung <strong>de</strong>r<br />

bei<strong>de</strong>n Dichotomien Körper-Geist und Rationalität-Emotionalität aufgezeigt haben.<br />

Dennoch muss gera<strong>de</strong> hier gefragt wer<strong>de</strong>n, welchen De-Gen<strong>de</strong>ring-Effekt die<br />

Vorgehensweise in ihren Anwendungen tatsächlich hervorzubringen vermag. So lässt<br />

sich etwa – wie nachfolgend argumentiert wird – an jenem Beispiel, anhand <strong>de</strong>ssen<br />

„Critical Technical Practice“ ursprünglich entfaltet wur<strong>de</strong>, gut <strong>de</strong>monstrieren, dass sich<br />

<strong>kritisch</strong>e Metho<strong>de</strong>n durch eine un<strong>kritisch</strong>e Fortschrittshaltung gegenüber technischen<br />

Innovationen vereinnahmen lassen. 383<br />

Agre und Chapman entwickelten ihren Situiertheitsansatz in <strong>kritisch</strong>er Absicht. Es<br />

ging ihnen zunächst darum, neue Betrachtungsweisen und Artefakte zu konzipieren,<br />

welche die vorherrschen<strong>de</strong>n und zugleich beschränkten Sichtweisen <strong>de</strong>s Felds<br />

überwin<strong>de</strong>n könnten, die für dieses Feld in <strong>de</strong>n 1980er Jahren typisch waren. Agres<br />

Veröffentlichungen (vgl. etwa Agre 1997a, b) zeigen jedoch, dass er früh anfing, seinen<br />

Ansatz theoretisch breit zu untermauern, in<strong>de</strong>m er – inspiriert von Suchmans Arbeiten<br />

– Technikgestaltung mit ethnomethodologischen, kulturwissenschaftlichen und gesellschaftstheoretischen<br />

Ansätzen zu verknüpfen suchte. Dieser grundsätzlich <strong>kritisch</strong>e<br />

Zugang stellt ein wesentliches Element <strong>de</strong>r „Critical Technical Practice“ dar.<br />

382 Metaphern sind auch Gegenstand von Techniken und Metho<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m „Participatory Design“<br />

zugeordnet wer<strong>de</strong>n können (vgl. etwa Wildman et al. 1993). Dort wer<strong>de</strong>n sie jedoch konstruktiv zur<br />

Interface-Gestaltung eingesetzt, welche die I<strong>de</strong>enentwicklung und <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess partizipativ mit<br />

NutzerInnen unterstützen sollen. Madsen (1994) veranschaulicht dies anhand <strong>de</strong>r drei Metaphern für<br />

Bibliotheken – Warenlager, Kaufhaus und Treffpunkt – die von Bibliotheksangestellten als zukünftigen<br />

NutzerInnen eines Systems verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n und zu <strong>einer</strong> jeweils unterschiedlichen Realisierung <strong>de</strong>r<br />

Computeranwendung führen. Demgegenüber wer<strong>de</strong>n beim „Critical Technical Practice“-Ansatz die<br />

Metaphern <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen i<strong>de</strong>ntifiziert, <strong>de</strong>konstruiert und auf <strong>de</strong>r Basis gesellschafts<strong>kritisch</strong>kulturwissenschaftlicher<br />

Theorien invertiert, um neue Konzepte zur Gestaltung von Technologien zu<br />

entwickeln.<br />

383 In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Abschnitten nehme ich Bezug auf eine noch nicht veröffentlichte Forschungsarbeit<br />

von Phoebe Sengers zum Verhältnis von Suchmans, Agre und Chapmans sowie Brooks Verständnissen<br />

von Situierung in <strong>de</strong>r KI.<br />

292


Demgegenüber griff die KI-Community, allen voran <strong>de</strong>r dort einflussreiche Rodney<br />

Brooks, die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Situierung in einem eher positivistischen Sinne auf. Brooks,<br />

Dissertationsbetreuer von Chapman und Mitglied <strong>de</strong>s Promotionsausschusses von<br />

Agre, interpretierte situierte Handlung im Kontext evolutionsbiologischer Theorien von<br />

Intelligenz. Sie ist für ihn gekennzeichnet durch die Interaktion mit <strong>einer</strong> physischen<br />

Umgebung, in <strong>de</strong>r die Agenten han<strong>de</strong>ln und letztendlich lernen – eine Vorstellung, die<br />

durch die grafischen Darstellung von Software-Agenten in einem Standard-Lehrbuch<br />

<strong>de</strong>r KI veranschaulicht wird (vgl. Abbildung 2).<br />

Abbildung 2: Darstellung eines interaktiven Softwareagenten nach Russell/ Norvig 1995<br />

Abbildung 2: Darstellung eines interaktiven Softwareagenten nach Russel/Norvig 1995<br />

Diese Auffassung <strong>de</strong>s situierten Han<strong>de</strong>lns negiert jedoch das epistemologische und<br />

ontologische Verständnis von Agres und Suchmans Konzeptionen, einschließlich ihres<br />

<strong>kritisch</strong>en Impetus. Denn letztere begreifen Situiertheit als einen höchst sozialen und<br />

kommunikativen Prozess. In<strong>de</strong>m traditionelle KI-ForscherInnen versuchten, situiertes<br />

Han<strong>de</strong>ln zu mo<strong>de</strong>llieren, formalisieren und die Möglichkeiten <strong>de</strong>r Interaktion zwischen<br />

AgentIn und physischer Umgebung in maschineninterpretierbare Regeln zu fassen,<br />

haben sie <strong>de</strong>n eigentlichen Punkt von Suchmans Kritik missverstan<strong>de</strong>n. Denn diese<br />

stellt Interpretation und (soziale) Be<strong>de</strong>utungskonstruktion als Voraussetzungen für die<br />

physische Realität dar, wohingegen Brooks – und mit ihm die dominanten Strömungen<br />

<strong>de</strong>r KI – dieses epistemologisch-ontologische Verhältnis verkehrt, in<strong>de</strong>m er Objektivität<br />

das Primat gegenüber einem interpretativen Verständnis <strong>de</strong>s Physischen als soziale<br />

Konstruktion zuweist. 384<br />

384 Agre (1997b) zufolge zeigt dies, dass es <strong>de</strong>n VertreterInnen <strong>de</strong>r KI äußerst schwer falle, <strong>de</strong>n eigenen<br />

Denkhorizont und Handlungsrahmen zu verlassen. Alternativen wür<strong>de</strong>n zwar durchaus in Betracht<br />

gezogen, dann aber stets innerhalb <strong>de</strong>r Agenda <strong>de</strong>r Formalisierung interpretiert. Erfolg wer<strong>de</strong> stets<br />

anhand von lauffähigen Programmen gemessen: „I have often encountered an empathetic, explicitly stated<br />

injunction against ‚criticizing other people’s work‘, the i<strong>de</strong>a being that the only legitimate form of critical<br />

argument is that ‚my system performs better than your system on problem X‘“ (Agre 1997b, 150). Sollte<br />

Agre darin auch heute noch Recht haben, so wür<strong>de</strong> dies das hier angestrebte Ziel eines De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte grundsätzlich in Frage stellen, da es mit <strong>einer</strong> kompromisslos verstan<strong>de</strong>nen<br />

Agenda <strong>de</strong>r Formalisierung nicht vereinbart wer<strong>de</strong>n kann. Ich wer<strong>de</strong> im folgen<strong>de</strong>n Abschnitt auf die Frage,<br />

ob und in welchem Maße <strong>kritisch</strong>e und feministische Ansätze auf die Technikgestaltung Einfluss nehmen<br />

können, zurückkommen.<br />

293


Um auf die Problematik <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung von Dichotomien zurückzukommen,<br />

stellt sich nun die Frage, wie sich diese Entwicklung in <strong>de</strong>r KI rückblickend <strong>de</strong>uten<br />

lässt. Im Kapitel 4.3.3. wur<strong>de</strong>n auf <strong>einer</strong> theoretischen Ebene drei prinzipielle Strategien<br />

<strong>de</strong>s Umgangs mit Dichotomien vorgeschlagen: die Dekonstruktion, die Anerkennung<br />

eines <strong>de</strong>r Formalisierung unverfügbaren Rests und die Integration <strong>de</strong>s Ausgegrenzten.<br />

„Critical Technical Practice“ lässt sich als eine Kombination <strong>de</strong>r ersten und<br />

letzten Strategie verstehen, <strong>de</strong>nn das Marginalisierte wird zwar in die technische<br />

Implementierung integriert, dabei aber grundlegend gegenüber <strong>de</strong>m dominanten<br />

Verständnis im Feld <strong>de</strong>konstruiert. Demgegenüber wird von Brooks und seinen KollegInnen<br />

allein das zuvor Ignorierte bzw. Ausgegrenzte formalisiert und technisch<br />

umgesetzt, ohne dabei eine Strategie <strong>de</strong>r Dekonstruktion zu verfolgen. Dies hat<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>s Ziels <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring von Dichotomien nicht nur die Konsequenz,<br />

das Physische reduktionistisch zu verstehen. Vielmehr wird dadurch die Dichotomie<br />

von Körper und Geist und die damit einhergehen<strong>de</strong> Geschlechterordnung wie<strong>de</strong>rhergestellt<br />

statt unterlaufen. Der <strong>kritisch</strong> intendierte Ansatz situierten Han<strong>de</strong>lns wur<strong>de</strong> auf<br />

diese Weise affirmativ für die technische Innovation vereinnahmt. Agres Ansatz <strong>de</strong>s<br />

„Critical Technical Practice“ konnte die Künstliche Intelligenz-Forschung s<strong>einer</strong> Zeit<br />

zwar nicht grundsätzlich revolutionieren. Doch wur<strong>de</strong> seine Metho<strong>de</strong> später wie<strong>de</strong>r<br />

aufgegriffen. Die Interventionen von Phoebe Sengers und ihren Kolleginnen im Bereich<br />

<strong>de</strong>s „Affective Computing“ belegen, dass seine bzw. Suchmans wissenschaftspolitische<br />

und epistemologische Positionen erfolgreich umgesetzt wer<strong>de</strong>n können.<br />

Dies wirft die prinzipielle Frage auf, welchen Effekt solche <strong>kritisch</strong>en Projekte – etwa<br />

die erneute Präsenz <strong>de</strong>r „Critical Technical Practice“ – auf die gesamte Künstliche<br />

Intelligenz-Forschung haben können. Welche Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring von Konzepten<br />

und Grundlagen können eine breite Wirkung auf die Forschungspraktiken und<br />

wissenschaftstheoretischen Setzungen eines etablierten „epistem-ontologischen“ (vgl.<br />

Kapitel 3.5.) Zusammenhangs <strong>de</strong>r Informatik und Künstlichen Intelligenz-Forschung<br />

entfalten? Was kann das Ausmaß <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung sein? Es wäre sicherlich naiv<br />

anzunehmen, dass eine einzelne <strong>kritisch</strong>e I<strong>de</strong>e o<strong>de</strong>r ein einzelner konkreter methodischer<br />

Ansatz wie die „Critical Technical Practice“ die theoretischen Vorannahmen und<br />

Praktiken eines gesamten technischen Felds verän<strong>de</strong>rn könnten. Nichts<strong>de</strong>stotrotz ist<br />

zu fragen, welche Formen <strong>de</strong>r interdisziplinären Kooperation und <strong>kritisch</strong>feministischen<br />

Intervention das Potential hätten, die Grundlagen und Grundlagenforschungen<br />

<strong>einer</strong> technischen Community allmählich, aber grundlegend zu<br />

verschieben.<br />

5.5.4. Sozial- und kulturwissenschaftliche „Laborstudien“: Kritischfeministische<br />

Intervention in <strong>de</strong>r Grundlagenforschung <strong>de</strong>r Informatik?<br />

Die Metho<strong>de</strong>n, die bis hierher vorgestellt und diskutiert wur<strong>de</strong>n, sind aus <strong>de</strong>r Informatik<br />

heraus entwickelt wor<strong>de</strong>n und integrieren <strong>kritisch</strong>e sozial- und kulturwissenschaftliche<br />

Ansätze mit <strong>de</strong>r Technikgestaltung. Es wur<strong>de</strong>n jeweils geeignete Theorien und Praktiken<br />

aus <strong>de</strong>n Sozial- und Kulturwissenschaften ausgewählt, um sie methodisch angepasst<br />

in die technischen Designprozesse einzuflechten. Die Ansätze <strong>de</strong>s „User-Centered<br />

Design“ bzw. <strong>de</strong>r „Usability“, die in Kapitel 5.2. diskutiert wur<strong>de</strong>n, übernehmen<br />

etwa psychologische bzw. sozialwissenschaftliche Metho<strong>de</strong>n und modifizieren sie für<br />

294


<strong>de</strong>n Zweck, technische Systeme zu evaluieren. Dort wie im „Participatory Design“ (vgl.<br />

Kapitel 5.3.) haben sich darüber hinaus ethnographische Metho<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Kulturforschung<br />

als produktiv erwiesen, um Bedürfnisse, Interessen und Fähigkeiten <strong>de</strong>r<br />

NutzerInnen sowie Anwendungskontexte <strong>de</strong>tailliert erfassen zu können. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

beim „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“, „Design for Experience“ und „Reflective Design“, die<br />

in Kapitel 5.4. vorgestellt wur<strong>de</strong>n, fin<strong>de</strong>n sich mit Pädagogik, Phänomenologie und<br />

Gesellschaftstheorie noch breitere theoretische Anleihen bei <strong>de</strong>n Geistes- und<br />

Kulturwissenschaften.<br />

Auch in diesem Kapitel 5.5. wur<strong>de</strong>n sozial- und kulturwissenschaftliche Ansätze<br />

herangezogen, um grundlegen<strong>de</strong> ontologische und epistemologische Annahmen in<br />

formalen Artefakten und <strong>de</strong>r Grundlagenforschung <strong>de</strong>r Informatik auf<strong>de</strong>cken und diese<br />

Erkenntnisse ggf. produktiv für ein De-Gen<strong>de</strong>ring anwen<strong>de</strong>n zu können. Dazu gehören<br />

die Erinnerungsarbeit („Narrative Transformation“, „Mind Scripting“), Moralphilosophie<br />

(„Value Sensitive Design“) und ethnomethodologisch-philosophische Analysen von<br />

Metaphern („Critical Technical Practice“). Dabei hat jedoch insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Ansatz<br />

<strong>de</strong>r „Critical Technical Practice“, <strong>de</strong>ssen explizite Intention es ist, auf grundlegen<strong>de</strong><br />

Konzepte, Denkweisen und epistemologische Annahmen eines technologischen<br />

Forschungsbereiches Einfluss zu nehmen, auf Grenzen <strong>de</strong>s Versuches, <strong>kritisch</strong>e<br />

Ansätze in die Technikgestaltung zu integrieren, aufmerksam gemacht. Diese Grenzen<br />

<strong>de</strong>r Möglichkeit <strong>kritisch</strong>er Intervention könnten <strong>einer</strong>seits prinzipieller Natur sein.<br />

Schließlich geht es bei <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m De-Gen<strong>de</strong>ring auf <strong>de</strong>r Ebene von „Epistem-ontologien“<br />

häufig nicht nur darum, die in einem gewissen Rahmen aushan<strong>de</strong>lbaren<br />

Annahmen <strong>de</strong>r DesignerInnen in Frage zu stellen, son<strong>de</strong>rn gewissermaßen<br />

um die Problematisierung <strong>de</strong>r Grundfeste eines technischen Felds. So <strong>de</strong>utet etwa<br />

Agre seinen mangeln<strong>de</strong>n Erfolg, das vorherrschen<strong>de</strong> Konzept kognitiver Pläne durch<br />

das Konzept situierten Han<strong>de</strong>lns im Sinne Suchmans zu ersetzen, mit <strong>de</strong>m<br />

beharrlichen Festhalten <strong>de</strong>r KI-Forschung an <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n Agenda <strong>de</strong>r<br />

Formalisierung (vgl. Agre 1997b).<br />

An<strong>de</strong>rerseits ließe sich das Phänomen, dass gera<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r formalen<br />

Grundlagen, Metho<strong>de</strong>n und Grundlagenforschungen in <strong>de</strong>r Informatik bislang nur<br />

vereinzelte <strong>kritisch</strong>e Reflektions- und Gestaltungsansätze vorliegen, jedoch auch auf<br />

die Komplexität <strong>de</strong>r Problemstellung zurückführen. Denn eine Intervention in diesem<br />

Bereich erfor<strong>de</strong>rt – sowohl für die Analyse als auch für die Entwicklung alternativer<br />

technologischer Konzepte – nicht nur eine Integration sozial- und kulturwissenschaftlicher<br />

Ansätze in die technische Konzeption und Konstruktion, son<strong>de</strong>rn eher eine<br />

intensive interdisziplinäre Übersetzungsarbeit zwischen <strong>de</strong>r Informatik/KI und <strong>de</strong>n<br />

Sozial-/Kulturwissenschaften. Deshalb soll nun zum Abschluss <strong>de</strong>r Diskussion<br />

möglicher De-Gen<strong>de</strong>ring-Ansätze die Perspektive gewechselt und vom Ausgangspunkt<br />

<strong>de</strong>r Sozial- und Kulturwissenschaften nach Metho<strong>de</strong>n und Vorgehensweisen für eine<br />

<strong>kritisch</strong>-feministische Technikgestaltung gefragt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Frage nach einem produktiven Beitrag <strong>de</strong>r Sozial- und Kulturwissenschaften<br />

führt zurück auf das Gebiet <strong>de</strong>r Wissenschafts- und Technikforschung, <strong>de</strong>ssen<br />

Debatten um das Verhältnis von Technologien und Gesellschaft/Kultur ausführlich im<br />

Kapitel 3 dieser Arbeit diskutiert wor<strong>de</strong>n sind. Es bietet <strong>de</strong>r Informatik jedoch nicht nur<br />

theoretische Konzepte an, wie sich die Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

theoretisch fassen lässt, son<strong>de</strong>rn verfügt mit so genannten „Laborstudien“ über ein<br />

295


methodisches Repertoire, WissenschaftlerInnen bei ihrer Arbeit begleitend zu<br />

beobachten und dabei zugleich <strong>kritisch</strong> zu intervenieren – eine Expertise, die an dieser<br />

Stelle hilfreich erscheint.<br />

Die ersten „Laborstudien“ wur<strong>de</strong>n En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1970er und Anfang <strong>de</strong>r 1980er Jahre<br />

von Bruno Latour und Steve Woolgar (1979), Karin Knorr-Cetina (1985 [1981]),<br />

Michael Lynch (1985) und Sharon Traweek (1988) durchgeführt und können als<br />

Ausgangspunkt <strong>de</strong>r neueren Wissenschaftsforschung betrachtet wer<strong>de</strong>n. Sie wen<strong>de</strong>ten<br />

sich gegen die Vorstellung, dass naturwissenschaftliches Wissen überall und immer<br />

gültig, d.h. ahistorisch, apolitisch und unabhängig von sozialen Faktoren ist. „Laborstudien“<br />

sollten Aufschluss darüber geben, dass und wie naturwissenschaftliche Tatsachen<br />

sozial konstruiert sind. Ziel <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> war es, „the process of knowledge<br />

production as ‚constructive’ rather than <strong>de</strong>scriptive“ (Knorr-Cetina 1995, 141)<br />

aufzu<strong>de</strong>cken „through direct observation and discourse analysis at the root of where<br />

knowledge is produced“ (ebd., 140). Dazu folgten die WissenschaftsforscherInnen<br />

NaturwissenschaftlerInnen an <strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>r „Fabrikation <strong>de</strong>r Erkenntnis“ (Knorr-Cetina<br />

1985 [1981]), d.h. in die Labore, um sie dort monatelang <strong>de</strong>tailliert zu beobachten. Auf<br />

dieser Basis konnten sie Konstruktionsaspekte und Herstellungsverläufe naturwissenschaftlichen<br />

Wissens sichtbar machen.<br />

Methodisch basieren die „Laborstudien“ auf Ansätzen <strong>de</strong>r Anthropologie und Ethnografie.<br />

Konkrete Vorgehensweisen bestehen darin, „<strong>de</strong>n NaturwissenschaftlerInnen am<br />

Labortisch auf die Finger zu sehen, ihre Eintragungen in die Arbeitsbücher nachzuvollziehen,<br />

ihnen beim Informationsaustausch bzw. bei <strong>de</strong>n ‚Fachsimpeleien‘ mit ihren KollegInnen<br />

zuzuhören, die Entstehungs- und Umschreibeprozesse von wissenschaftlichen<br />

Aufsätzen zu dokumentieren und an<strong>de</strong>res mehr“ (Felt et al. 1995, 134). Dabei ist<br />

die Beobachtung <strong>de</strong>r „Science in Action“ (Latour 1987) an bestimmten Grundsätzen<br />

orientiert. Dazu gehören etwa Auffor<strong>de</strong>rungen an die Durchführen<strong>de</strong>n wie „Folge <strong>de</strong>n<br />

Akteuren“ (ebd.) o<strong>de</strong>r „Folge ihren Praktiken und Dingen und beschreibe Relationen“<br />

(Rammert 2007, 12). Die Beobachtungen selbst wer<strong>de</strong>n mit Bezug auf die<br />

anthropologische Tradition in Feldnotizen festgehalten, heutzutage auch mittels Bild-<br />

und Tonaufzeichnungen sowie Computerprotokollen. Neuere Studien auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r<br />

Akteur-Netzwerk-Theorie (vgl. Kapitel 3.3) ergänzen dieses empirische Material<br />

zumeist um Interviews mit <strong>de</strong>n ExpertInnen im Feld. Zu <strong>de</strong>n klassischen Auswertungsmetho<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Anthropologie gehören Verdichtungen (vgl. etwa Geertz 1983 [1973])<br />

sowie qualitative sozialwissenschaftliche Metho<strong>de</strong>n.<br />

Gegenstand dieser ethnografischen Verfahren ist mittlerweile nicht mehr nur die<br />

naturwissenschaftliche Arbeit. Die Metho<strong>de</strong> wird auch im Bereich <strong>de</strong>r Technologie-<br />

Gestaltung eingesetzt. Dort hat sie jedoch ein an<strong>de</strong>res Ziel als <strong>de</strong>n allgemeinen<br />

Nachweis <strong>de</strong>r sozialen Gemachtheit naturwissenschaftlicher Fakten bzw. technischer<br />

Artefakte. Vielmehr geht es dabei in <strong>de</strong>r Regel darum, Erkenntnisse über die Nutzung<br />

und <strong>de</strong>n Anwendungsbereich <strong>einer</strong> Technologie zu gewinnen. Die ersten bekannten<br />

ethnografischen Studien im Technologiebereich sind Suchmans Analysen <strong>de</strong>r<br />

Interaktion von NutzerInnen mit so genannt intelligenten Kopierern (Suchman 1987)<br />

sowie Julian Orrs Untersuchung <strong>de</strong>r Arbeit und Kommunikation technischen Reparaturpersonals<br />

(Orr 1996). Suchman konnte aus ihrer Studien grundsätzliche Erkenntnisse<br />

über die Konzepte menschlichen Han<strong>de</strong>lns ableiten, die die TechnikgestalterInnen <strong>de</strong>m<br />

untersuchten Kopierer eingeschrieben hatten, in<strong>de</strong>m sie zeigte, dass eine mangeln<strong>de</strong><br />

296


Berücksichtigung <strong>de</strong>r Situiertheit von Handlungen zu Störungen in <strong>de</strong>r Interaktion mit<br />

<strong>de</strong>r Maschine führte. Sie leistete somit mittels Labor- bzw. ethnografischer Studien zu<br />

<strong>de</strong>m hier angestrebten Vorhaben, auf <strong>de</strong>r Ebene von Grundlagen <strong>de</strong>r Informatik zu<br />

intervenieren, einen maßgeblichen analytischen Beitrag. Demgegenüber wer<strong>de</strong>n diese<br />

Metho<strong>de</strong>n im „User-Centered Design“, z.T. auch im „Participatory Design“ häufig<br />

lediglich dazu benutzt, Arbeitsabläufe und Interaktionen von NutzerInnen mit <strong>de</strong>r<br />

Technik genau zu beobachten, um im Sinne von Funktionalität und Interfacegestaltung<br />

„bessere“ Anwendungssysteme zu kreieren. Grundlegen<strong>de</strong> Konzepte, auf <strong>de</strong>nen die<br />

Technologien beruhen, wer<strong>de</strong>n dabei jedoch kaum untersucht.<br />

Dies lässt sich zum Teil durch die jeweilige Zielsetzung <strong>de</strong>r Projekte, zum Teil aber<br />

auch durch die epistemologischen Grundannahmen erklären, auf <strong>de</strong>ren Basis<br />

ethnografische Studien häufig durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Denn klassische anthropologische<br />

Ansätze gingen – wie auch die frühen Laborstudien – in ihrem Selbstverständnis davon<br />

aus, dass sie frem<strong>de</strong> Kulturen erforschten, ohne dass sie dabei die eigene Beteiligung<br />

an <strong>de</strong>r Konstruktion <strong>de</strong>r Ergebnisse mit reflektierten. Ethnografische Untersuchungen<br />

in <strong>de</strong>r Informatik folgen oft diesem objektivistischen Verständnis <strong>de</strong>s „view from<br />

nowhere“, nach <strong>de</strong>m die Beschreibungen <strong>de</strong>s Beobachteten als unhinterfragbare<br />

„Wirklichkeit“ wahrgenommen wer<strong>de</strong>n. Im Gegensatz dazu verstehen sich konstruktivistische<br />

AnthropologInnen und WissenschaftsforscherInnen in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r „Cultural<br />

Studies of Science and Technology“ als aktiv Partizipieren<strong>de</strong> am Forschungsprozess.<br />

Sie begreifen nicht nur die Ergebnisse <strong>de</strong>s von ihnen untersuchten<br />

Forschungsfelds als eine sozial-kulturelle Konstruktion, son<strong>de</strong>rn auch die ihrer eigenen<br />

Studien, in die Positionen und Selbstverständlichkeiten <strong>de</strong>r ForscherInnen<br />

unvermeidlich Eingang fin<strong>de</strong>n.<br />

Eine solche Beeinflussung <strong>de</strong>r Forschungsergebnisse fängt bereits bei <strong>de</strong>r Präsenz<br />

<strong>de</strong>r WissenschaftsforscherInnen im Forschungsfeld an, welche die Möglichkeiten <strong>de</strong>r<br />

Beobachtung bestimmen. So wird etwa eine Geschlechter-Technik-Forscherin in einem<br />

männlich dominierten Feld <strong>de</strong>r Technologieentwicklung an<strong>de</strong>re Phänomene beobachten<br />

können als ihre Kollegen (vgl. hierzu etwa Bath/ Weber 2006, 29). Ebenso ist <strong>de</strong>r<br />

Blick von WissenschaftsforscherInnen durch die Beteiligung an <strong>de</strong>r Technowissenschaftskultur<br />

und <strong>de</strong>r damit einhergehen<strong>de</strong>n Verfangenheit in Selbstverständlichkeiten<br />

geprägt, aufgrund <strong>de</strong>ssen sie bestimmte Aspekte <strong>de</strong>r beobachteten Situationen wahrnehmen,<br />

an<strong>de</strong>re aber als „blin<strong>de</strong> Flecke“ nicht „sehen“ können. 385 Die Subjektivität und<br />

Befangenheit in spezifischen historischen, räumlichen und soziokulturellen Kontexten<br />

kann aber auch über solche für <strong>de</strong>n Forschungsprozess nicht intendierte Effekte<br />

hinaus eine bewusste Form <strong>de</strong>r Intervention annehmen. Beispielsweise lässt sich das<br />

Ziel <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte als intentionale Einflussnahme auf <strong>de</strong>n<br />

Technikgestaltungsprozess von Seiten <strong>de</strong>r Sozial- und Kulturwissenschaften<br />

verstehen.<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis dieser Überlegungen möchte ich die De-Gen<strong>de</strong>ring-Metho<strong>de</strong>n für die<br />

informatische Grundlagenforschung weiter<strong>de</strong>nken. Dazu schlage ich gegenüber <strong>de</strong>n<br />

klassischen Laborstudien, aber ebenso gegenüber <strong>de</strong>n klassischen „Workplacestudies“<br />

<strong>de</strong>s „User-Centered Design“ sowie vielen Ausprägungen partizipativer Verfahren eine<br />

doppelte Verschiebung vor. Erstens sollten „Laborstudien“ zur Beobachtung und Erfor-<br />

385 Diese Problematik tritt letztendlich bei jedwe<strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Forschung auf.<br />

297


schung von InformatikerInnen bei <strong>de</strong>r Arbeit, insbeson<strong>de</strong>re im Grundlagenforschungsbereich,<br />

eingesetzt wer<strong>de</strong>n und nicht nur für die Untersuchung <strong>de</strong>r Arbeit von<br />

NaturwissenschaftlerInnen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Interaktion von NutzerInnen mit Technologien.<br />

Denn auf diese Weise können grundlegend Konzepte und Annahmen <strong>de</strong>r Technikgestaltung<br />

offen gelegt und <strong>de</strong>r Reflektion zugänglich gemacht wer<strong>de</strong>n. Zweitens sind<br />

die Erkenntnisse <strong>de</strong>r Wissenschafts- und TechnikforscherInnen vor <strong>de</strong>m Hintergrund<br />

ihrer eigenen Mitbeteiligung, d.h. mit Hilfe <strong>einer</strong> konstruktivistischen Epistemologie zu<br />

verstehen. Davon ausgehend kann schließlich erprobt wer<strong>de</strong>n, wie Wissenschafts- und<br />

TechnikforscherInnen als GeschlechterforscherInnen eine wissenschaftliche Gemeinschaft<br />

<strong>de</strong>r Informatik nicht nur <strong>kritisch</strong> analysieren, son<strong>de</strong>rn explizit aus <strong>einer</strong> feministischen<br />

Perspektive auf sie Einfluss nehmen können. 386<br />

Eine solche Vorgehensweise als Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Technologiegestaltung vorzustellen,<br />

erscheint – da sie traditionelle Grenzziehungen zwischen <strong>de</strong>n Disziplinen aufbricht –<br />

provokativ und neu. Denn zur Erforschung <strong>de</strong>r Grundlagenbereiche in <strong>de</strong>r Informatik<br />

und KI, insbeson<strong>de</strong>re zu wissensbasierten Systemen und zur Artificial Life-Forschung,<br />

liegen zwar bereits einige ethnografische Arbeiten vor, die in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r<br />

konstruktivistischen „Laborstudien“ stehen (vgl. Forsythe 1993a, b, Helmreich 1998,<br />

Henriksen 2002, Jensen 2004). Jedoch gehört eine bewusste Einwirkung auf die<br />

untersuchten technischen Fel<strong>de</strong>r nicht zu <strong>de</strong>ren expliziter Forschungsagenda. 387<br />

Umgekehrt gibt es auch auf Seiten <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en Interventionsforschung durchaus<br />

wissenschaftliche Programme, die in Bereichen <strong>de</strong>r Informatik auf eine Verän<strong>de</strong>rung<br />

technologischer Grundlagen und Konzepte zielen. So strebt etwa das „Virtual<br />

Knowledge Studio“ in Amsterdam an, mittels reflexiver Analyse auf die Gestaltung<br />

<strong>de</strong>rjenigen Technologien Einfluss zu nehmen, die gegenwärtig in Großbritannien unter<br />

<strong>de</strong>n Namen „E-Science“ und in <strong>de</strong>n USA als „Cyber Infrastructures“ diskutiert wer<strong>de</strong>n<br />

und zukünftig die wissenschaftliche (Informations-)Arbeit unterstützen sollen (vgl. etwa<br />

Wouters/ Beaulieu 2007, Virtual Knowledge Studio 2008). Ebenso wird im Bereich <strong>de</strong>r<br />

Nanotechnologien von forschungspolitischer Seite versucht, durch eine entsprechen<strong>de</strong><br />

sozialwissenschaftliche Begleitforschung <strong>de</strong>r Nanowissenschaften frühzeitig Entwicklungen<br />

entgegen zu wirken, die bei <strong>de</strong>r Entwicklung von Gentechnologien – insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>de</strong>r Agrobiotechnologien – als <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> für die mangeln<strong>de</strong> Akzeptanz<br />

innerhalb breiter Bevölkerungsschichten angesehen wur<strong>de</strong>n. Allerdings wird dabei eher<br />

das Ziel verfolgt, wissenschaftliche Ergebnisse besser <strong>de</strong>r Gesellschaft zu kommunizieren<br />

als mittels „Laborstudien" in die Nanowissenschaften selbst zu intervenieren. 388<br />

Ferner fehlt all diesen Ansätzen eine fundierte feministische, insbeson<strong>de</strong>re epistemologische<br />

Perspektive, welche die Vergeschlechtlichung formaler und abstrakter<br />

Artefakte wie Dichotomien und Klassifikationen in <strong>de</strong>n Blick zu nehmen vermag.<br />

386 Genau genommen ist dabei eine dritte Verschiebung mit zu <strong>de</strong>nken, auf die insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r<br />

Techniksoziologe Werner Rammert und seine Kollegen <strong>de</strong>utlich hingewiesen haben. Mit <strong>de</strong>m Ansatz <strong>de</strong>r<br />

Technografie (vgl. Rammert 2007, Rammert/ Schubert 2006) betonen sie, dass auch bei <strong>de</strong>r Anwendung<br />

von Forschungsmetho<strong>de</strong>n das Mithan<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Artefakte zu berücksichtigen sei. Dies ist auch <strong>de</strong>m in<br />

Kapitel 3 erarbeiteten theoretischen Rahmen zufolge erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

387 Eine Ausnahme bil<strong>de</strong>t hierin das Forschungsprogramm <strong>de</strong>r Sozionik, bei <strong>de</strong>m zumin<strong>de</strong>st eine explizite<br />

Kooperation zwischen <strong>de</strong>r Soziologie und Multiagentenforschung angestrebt ist. Die in diesem Rahmen<br />

durchgeführten ethnografischen Fallstudien folgen jedoch eher <strong>de</strong>r Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Workplacestudies,<br />

<strong>de</strong>ren Folgerungen eher anwendungspraktisch auf die Nutzung <strong>de</strong>r konkreten Softwareprodukte<br />

ausgerichtet sind als auf ein <strong>kritisch</strong>es Hinterfragen kulturtheoretischer und epistemologischer Annahmen.<br />

388 In <strong>de</strong>r Wissenschafts- und Technikforschung wer<strong>de</strong>n diese forschungspolitischen Strategien lebhaft<br />

diskutiert, siehe etwa McNaghten et al. 2005; Erlemann 2010.<br />

298


Der Vorschlag, die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Laborstudien“ dafür zu nutzen, technologische<br />

Grundlagenkonzepte noch während ihrer Entstehung in <strong>de</strong>r Grundlagenforschung zu<br />

erkennen sowie <strong>kritisch</strong> zu reflektieren und zu verän<strong>de</strong>rn, hat <strong>de</strong>mzufolge mehrere<br />

Vorteile. Erstens wer<strong>de</strong>n die AkteurInnen direkt am Ort <strong>de</strong>s Geschehens verfolgt. Das<br />

heißt, dass die Analyse <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung auf die aktuell benutzten Konzepte<br />

bezogen ist, die von <strong>de</strong>n InformatikerInnen verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, und damit nicht – wie<br />

die auf Produkte gerichteten Analysen von Technologien – zwangsläufig <strong>de</strong>m gegenwärtigen<br />

Stand <strong>informatischer</strong> Technologien und Theorien hinterher hinkt. In diesem<br />

Sinne ist die Metho<strong>de</strong> mit partizipativen Ansätzen verwandt, die bereits in <strong>de</strong>n frühen<br />

Phasen sowie während <strong>de</strong>s gesamten Entwicklungsprozesses von Softwaresystemen<br />

NutzerInnen zu beteiligen sucht. Sie vermag damit während <strong>de</strong>r Entstehung <strong>de</strong>r<br />

Konzepte <strong>kritisch</strong> einzugreifen und kann auf diese Weise nachhaltig wirksam wer<strong>de</strong>n.<br />

Intervenieren<strong>de</strong> „Laborstudien“ sind <strong>einer</strong>seits zeitlich-prozesshaft im Prozess <strong>de</strong>r<br />

Technologiegestaltung situiert. An<strong>de</strong>rerseits sind sie kulturell und hinsichtlich <strong>de</strong>r von<br />

<strong>de</strong>n WissenschaftlerInnen bearbeiteten Problemstellungen verortet. Damit hat die<br />

Metho<strong>de</strong> zweitens das Potential, <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r gleichzeitigen Materialisierung und<br />

Vergeschlechtlichung von Konzepten in <strong>de</strong>r Grundlagenforschung <strong>de</strong>r Informatik direkt<br />

bei ihrer Herstellung mitzuverfolgen. Sie vermag auf diese Weise <strong>de</strong>n in Kapitel 3.9.<br />

formulierten theoretischen Anspruch dieser Arbeit einzulösen.<br />

Der dritte Vorteil <strong>de</strong>s Vorschlags, „Laborstudien“ mit <strong>kritisch</strong>en Interventionen aus<br />

<strong>einer</strong> feministischen Perspektive zu verbin<strong>de</strong>n, besteht darin, dass er Gegenstrategien<br />

auch für diejenigen Vergeschlechtlichungsprozesse in <strong>de</strong>r Informatik zur Verfügung<br />

stellt, für die bislang nur wenige o<strong>de</strong>r gar keine De-Gen<strong>de</strong>ring-Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technikgestaltung<br />

konzipiert wer<strong>de</strong>n konnten. So konnten in dieser Arbeit etwa keine<br />

methodischen Vorschläge eines De-Gen<strong>de</strong>ring für Informations-, ExpertInnen- und<br />

Wissenssystemen wie HIPPOCRATES und CYC gemacht wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren Vergeschlechtlichung<br />

auf epistem-onto-logischen Ebenen in Kapitel 4.3.2. aufgezeigt wor<strong>de</strong>n<br />

war. Die Systeme selbst haben heutzutage zwar lediglich eine historische Be<strong>de</strong>utung.<br />

Jedoch lässt sich von diesen Fallstudien lernen, wie bei ähnlichen Projekten, die – wie<br />

beispielsweise das Semantic Web – aktuell Wissensordnungen produzieren, eine<br />

solche Vergeschlechtlichung vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann. Dazu können intervenieren<strong>de</strong><br />

„Laborstudien“ methodisch richtungsweisend sein. Ebenso erscheint eine Zusammenarbeit<br />

zwischen GeschlechterforscherInnen und InformatikerInnen im Sinne eines<br />

solchen methodischen Ansatzes viel versprechend, um Mo<strong>de</strong>llierungsprozesse mit<br />

Hilfe <strong>de</strong>r Objektorientierung (vgl. Kapitel 4.3.2.) <strong>kritisch</strong>-feministisch zu begleiten.<br />

Eine intervenieren<strong>de</strong> „Laborstudien“-Forschung stellt jedoch hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an<br />

sämtliche Beteiligte, da sie eine intensive interdisziplinäre Übersetzungsarbeit voraussetzt.<br />

Als beson<strong>de</strong>rs sorgfältiges ethnografisches Verfahren erscheint die Metho<strong>de</strong><br />

zwar geeignet, um die Herstellungsprozesse technologischer Konzepte von Seiten <strong>de</strong>r<br />

sozial- und kulturwissenschaftlichen Technikforschung besser zu verstehen. Dabei<br />

müssen die TechnikforscherInnen jedoch dafür offen sein, sich auf Denk- und Sprachgewohnheiten<br />

eines <strong>grundlagen</strong>orientierten technischen Felds einlassen. Gleichzeitig<br />

müssen die TechnologiegestalterInnen dazu bereit sein, ihre Denkweisen und<br />

Routinen verständlich zu erklären, zu hinterfragen und ggf. neue Vorschläge<br />

aufzunehmen. Ferner hat die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit nachdrücklich aufgezeigt, dass<br />

Gen<strong>de</strong>ring-Prozesse höchst komplex und wi<strong>de</strong>rsprüchlich sein können. Um solche im<br />

299


Feld wirksame Vergeschlechtlichungen i<strong>de</strong>ntifizieren und begreifen zu können sowie<br />

alternative Vorschläge zu entwickeln, sind neben einem guten Verständnis <strong>de</strong>r technologischen<br />

Konzepte fundierte Kenntnisse <strong>de</strong>r Geschlechterforschung und feministischen<br />

Theorie notwendig. Eine solch radikale Kreuzung disziplinärer Gewohnheiten<br />

setzt nicht nur auf <strong>de</strong>r kognitiven Ebene die Bereitschaft und Ressourcen zur<br />

Zusammenarbeit voraus, son<strong>de</strong>rn erfor<strong>de</strong>rt vielmehr Vertrauen von allen Seiten. Neben<br />

Verständigungen auf inhaltlichen, sprachlichen und konzeptuellen Ebenen ist die<br />

gegenseitige Offenheit eine notwendige Bedingung. Erst auf diesem Bo<strong>de</strong>n wird es<br />

möglich sein, Grundannahmen <strong>de</strong>r technologischen Forschung und Entwicklung<br />

gemeinsam zu überprüfen, zu diskutieren und dadurch fundamentalen Konzepten<br />

<strong>informatischer</strong> Grundlagenforschung wie epistemologischen Setzungen <strong>kritisch</strong>e<br />

Anstösse zu geben und allmählich, aber kontinuierlich in eine feministisch-<strong>kritisch</strong>e<br />

Richtung zu verschieben.<br />

Dass die Kombination ethnografischer Ansätze mit einem <strong>kritisch</strong>-feministischen Interventionsanspruch<br />

für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Grundlagenforschung Erfolg<br />

verspricht, zeigte das Forschungsprojekt „Sozialität mit Maschinen“ von Jutta Weber<br />

und mir, in <strong>de</strong>m wir die vorgeschlagene Methodik erprobt hatten. Dieses Forschungsprojekt<br />

zielte darauf, Konzepte von Interaktion, Sozialität und Emotionen, mit <strong>de</strong>nen<br />

InformatikerInnen versuchen, Software-AgentInnen und Roboter menschähnlich zu<br />

gestalten, aus <strong>einer</strong> feministischen, gesellschafts<strong>kritisch</strong>en und wissenschaftstheoretischen<br />

Perspektive zu analysieren. Anhand von Literaturstudien, ExpertInneninterviews,<br />

<strong>de</strong>r Teilnahme an einschlägigen Tagungen und Kurzzeit-Laborstudien ließen<br />

sich innerhalb <strong>de</strong>s technischen Felds vergeschlechtlichte Muster erkennen, etwa eine<br />

„Caregiver-Infant“-Beziehung <strong>de</strong>r KonstrukteurInnen mit ihren technischen Kreationen<br />

(vgl. Weber 2005b, Weber 2006, 76) o<strong>de</strong>r epistem-ontologische Annahmen, die auf <strong>de</strong>r<br />

geschlechtlich konnotierten Dichotomie von Rationalität und Emotionalität basierten<br />

(vgl. Kapitel 4.3.3. sowie Bath 2009, 2010). Solche Aspekte haben wir in <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>r<br />

feministischen TechnikforscherInnen problematisiert. Dabei sind wir in <strong>de</strong>r<br />

Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Software-AgentenforscherInnen und RobotikerInnen vielfach<br />

auf offene Türen gestoßen, <strong>de</strong>nn die InformatikerInnen nahmen solche <strong>kritisch</strong>en<br />

Anregungen durchaus auf.<br />

Es ist uns zwar nicht gelungen, während <strong>de</strong>r kurzen Zeit <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

alternative Konzepte <strong>de</strong>r Mensch-Maschine-Interaktion, die als „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red“ bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n könnten, zu entwickeln und im Forschungsfeld zu etablieren. Ebenso wenig<br />

hatten wir die Möglichkeit, die im Forschungsfeld bestehen<strong>de</strong> Gruppe von WissenschaftlerInnen,<br />

die mit gesellschafts<strong>kritisch</strong>en und konstruktivistischen Emotionskonzepten<br />

arbeiten, zu stärken. Hierfür hätte es mehr Ressourcen und eine längerfristige<br />

Zusammenarbeit gebraucht. Dennoch stimmen die Reaktionen <strong>de</strong>r Beteiligten hoffnungsvoll.<br />

So ermutigten uns einzelne <strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen sogar dazu, <strong>kritisch</strong>en<br />

Aspekte technischer Entwürfe, die unseres Erachtens dringend <strong>einer</strong> Verän<strong>de</strong>rung<br />

bedürften, mit <strong>de</strong>n Software-AgentenforscherInnen und RobotikerInenn intensiv<br />

zu diskutieren und direkt auf <strong>de</strong>n Forschungs- und Entwicklungsprozess Einfluss zu<br />

nehmen. Dabei warnten sie jedoch zugleich davor, uns auf eklatantest vergeschlechtlichen<strong>de</strong><br />

Fälle zu konzentrieren und so „die DesignerInnen“ von Technologie<br />

vorzuführen, um mit solchen Ergebnissen in <strong>de</strong>n Sozial- und Kulturwissenschaften<br />

bzw. <strong>de</strong>r Geschlechterforschung brillieren zu können:<br />

300


„When you’re analyzing what you’re seeing, think about how people can actually<br />

work with that knowledge to make shifts. […] in other words, don’t just point out the<br />

problems, point out the features into which someone could apply some energy and<br />

make some change. […] Because if you’re only speaking for the critics, you can paint a<br />

beautiful case study, […] but if you really want to help practitioners shift their practice<br />

[…] point out to them […] those places where there’re dangerous spots. [… ] I think it’s<br />

all too easy to take the most negative cases and come up with a concept. And then,<br />

what happens is, you make the practitioners <strong>de</strong>fensive and they’re like ‚ha, oh, those<br />

critics again‘ […], they don’t un<strong>de</strong>rstand how much work you put into this, you know<br />

what I mean? So I think that’s one of the ways to offer, the way is to work with what<br />

you’ve found.“ (Interviewausschnitt in: Bath/ Weber 2006, 166)<br />

Es käme nun darauf an, diese Auffor<strong>de</strong>rung ernst zu nehmen und weitere Studien<br />

auf <strong>de</strong>r Basis dieser intervenieren<strong>de</strong>n Methodik durchzuführen, um die Konzepte und<br />

Forschungspraxen <strong>informatischer</strong> Grundlagenforschung zwar allmählich, aber kontinuierlich-nachhaltig<br />

in eine <strong>kritisch</strong>-feministische Richtung zu verschieben.<br />

5.6. Resümee: Methodische Konzepte für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte<br />

In diesem Kapitel 5 wur<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technikgestaltung vorgestellt, mit <strong>de</strong>nen<br />

sich <strong>de</strong>n in Kapitel 4 i<strong>de</strong>ntifizierten Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte begegnen lässt. Für je<strong>de</strong> <strong>de</strong>r herausgearbeiteten Dimensionen konnten<br />

konkrete methodische Vorschläge gemacht wer<strong>de</strong>n, die auf ein De-Gen<strong>de</strong>ring zielen.<br />

Dabei wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Regel zur Veranschaulichung noch einmal explizit auf die<br />

paradigmatischen Fallbeispiele für die Vergeschlechtlichungen von Technologien aus<br />

<strong>de</strong>m Kapitel 4 Bezug genommen.<br />

Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung Technikgestaltungsmetho<strong>de</strong> zum De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

„I-methodology“ <strong>de</strong>r DesignerInnen „User-Centered Design“ (5.2.):<br />

- „Usability Tests“<br />

- Ethnografische Studien/ „Cultural Probes“<br />

- „Personas“ und Auswahl Testpersonen<br />

Implizite Geschlechterannahmen<br />

im Anwendungsfeld<br />

Einschreibung expliziter<br />

Geschlechterstereotype in<br />

(menschenähnliche) Artefakte<br />

De-Kontextualisierung durch<br />

Formalisierungs-, Abstraktions-<br />

und Klassifikationsprozesse sowie<br />

epistem-ontologische<br />

Grundannahmen<br />

„User-Centered“ und „Partizipatory Design“ (5.3.):<br />

- „Contextual Design“/ Szenarien-basiertes Design<br />

- „Collective Resource Approach“<br />

- Organisations-Design-Spiele und<br />

Zukunftswerkstätten<br />

Spezifische Ansätze (5.4.):<br />

- „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“<br />

- „Design for Experience“<br />

- „Reflective Design“<br />

„Participatory Design“ und spezifische Ansätze (5.5.):<br />

- „Narrative Transformation“/ „Mind Scripting“<br />

- „Value Sensitive Design“<br />

- „Critical Technical Practice“<br />

- „Laborstudien“ als feministische Intervention<br />

301


Zusammenfassend lässt sich damit festhalten: Ist das Gen<strong>de</strong>ring von Anwendungstechnologien<br />

1. auf die „I-methodology“ zurückzuführen, bei <strong>de</strong>r die DesignerInnen ihre<br />

eigenen Kompetenzen, Interessen und Nutzungsweisen als repräsentativ für sämtliche<br />

NutzerInnen <strong>de</strong>r Technologie erachten, so lässt sich diesen Vorstellungen in <strong>de</strong>r Regel<br />

mit Metho<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m „User-Centered Design“ entgegenwirken. Häufig genügt es<br />

dabei bereits, „Usability-Tests“ mit <strong>de</strong>m Produkt o<strong>de</strong>r Prototypen durchzuführen, um<br />

Fehlannahmen über NutzerInnen und <strong>de</strong>n Nutzungskontext zu wi<strong>de</strong>rlegen. Geht es<br />

jedoch darum, solche Selbstverständlichkeiten <strong>de</strong>r DesignerInnen und Missinterpretationen<br />

<strong>de</strong>s Nutzungszusammenhangs bereits im Vorhinein zu vermei<strong>de</strong>n, so können<br />

ethnografische Studien von NutzerInnen in Arbeitssituation o<strong>de</strong>r „Cultural Probes“ zur<br />

Erforschung von Nutzungssituationen im Alltag fundierte Erkenntnisse für <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess<br />

zur Verfügung stellen. Bei diesen Verfahren spielt jedoch die Auswahl<br />

von Testpersonen und Freiwilligen für die Verfahren eine wesentliche Rolle. Die<br />

„Personas“-Technik kann darüber hinaus hilfreich sein, Technologien für spezifische,<br />

charakteristische NutzerInnen zu konzipieren. Generell ist es jedoch zu bevorzugen,<br />

Tests, ethnografische Studien und „Cultural Probes“ mit ausgewählten NutzerInnen <strong>de</strong>r<br />

tatsächlichen Zielgruppen durchzuführen. Soll ein Design eine breite Zielgruppe<br />

erreichen, so ist eine größtmögliche Diversität von NutzerInnen bei <strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>r<br />

Verfahren anzustreben und Menschen verschie<strong>de</strong>nen Geschlechts, sexueller<br />

Orientierung, Alters, sozialer Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit etc. zu berücksichtigen.<br />

Bei <strong>einer</strong> weiteren Klasse von Technologien wur<strong>de</strong>n 2. implizite Geschlechterannahmen<br />

als <strong>de</strong>rjenige Mechanismus i<strong>de</strong>ntifiziert, aus <strong>de</strong>m eine Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r<br />

Artefakte resultiert. Liegen diese Annahmen relativ direkt auf <strong>de</strong>r Ebene von Geschlechterstereotypen<br />

wie beispielsweise <strong>de</strong>r Vorstellung, dass Frauen run<strong>de</strong> Formen<br />

gegenüber eckigen bevorzugen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vermeintlich „weiblichen“ Technikinkompetenz,<br />

so wer<strong>de</strong>n hier ebenfalls „Usability“-Tests mit VertreterInnen <strong>de</strong>r tatsächlichen<br />

Zielgruppe Inkongruenzen aufzeigen können. Bestehen diese Annahmen jedoch<br />

vermittelter darin, „unsichtbare Arbeit“ im Prozess <strong>de</strong>r Anfor<strong>de</strong>rungsermittlung o<strong>de</strong>r<br />

Mo<strong>de</strong>llierung nicht wahrzunehmen und <strong>de</strong>shalb beim Design nicht zu berücksichtigen,<br />

so können die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „Contextual Design“ und <strong>de</strong>s „Scenario-based Design“<br />

die TechnikgestalterInnen dabei unterstützen, ansonsten ignorierte Aspekte von Arbeit<br />

angemessen zu mo<strong>de</strong>llieren und durch die Technologie zu unterstützen. Im Fall<br />

impliziter Ein- und Festschreibungen <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>n<br />

Arbeitsteilung in die Artefakte ist neben <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s Anwendungskontexts eine<br />

explizite Parteinahme für die strukturell Benachteiligten notwendig. Eine solche<br />

politische Grundhaltung liegt <strong>de</strong>m „Participatory Design“ <strong>de</strong>r Skandinavischen Schule<br />

zugrun<strong>de</strong>, das unter an<strong>de</strong>rem die Techniken <strong>de</strong>r Organisations-Design-Spiele und<br />

Zukunftswerkstätten zur Verfügung stellt. Partizipative Metho<strong>de</strong>n sind bereits vielfach<br />

und höchst erfolgreich für die Gestaltung <strong>de</strong>rjenigen Softwaresystemen eingesetzt<br />

wor<strong>de</strong>n, die die Arbeit von abhängig Beschäftigten an so genannten „Frauenarbeitsplätzen“<br />

unterstützen sollen.<br />

Die 3. Variante <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte lässt sich<br />

ebenfalls auf stereotype Annahmen über Frauen und Männer zurückführen. Im<br />

302


Unterschied zu <strong>de</strong>n impliziten Einschreibungen beziehen sich diese Vorstellungen<br />

jedoch explizit auf <strong>de</strong>n Körper und das Verhalten. Sie kommen primär bei <strong>de</strong>r<br />

Konstruktion menschenähnlicher Artefakte wie Avataren, Computerspielfiguren und<br />

anthropomorphen Softwareagenten vor, in die sie häufig direkt übersetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Metho<strong>de</strong>n, um auf dieser speziellen Ebene <strong>de</strong>r erneuten Festschreibung von „Weiblichkeiten“<br />

und „Männlichkeiten“ zu begegnen, bestehen darin, <strong>de</strong>n NutzerInnen eine<br />

Vielfalt subjektiver (Geschlechter-)Erfahrungen mit <strong>de</strong>n Artefakten zu ermöglichen.<br />

„Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ zielt darauf, <strong>de</strong>n NutzerInnen einen möglichst großen Raum<br />

bei <strong>de</strong>r Gestaltung von Technologien zur Verfügung zu stellen, beispielsweise in<strong>de</strong>m<br />

ihre Erzählungen und damit ihre I<strong>de</strong>ntitätskonstruktionen technisch unterstützt wer<strong>de</strong>n.<br />

Demgegenüber stellt „Design for Experience“ die verkörperten und emotionalen Erfahrungen<br />

<strong>de</strong>r NutzerInnen ins Zentrum <strong>de</strong>r Gestaltung. „Reflective Design“ geht in<br />

diesem Anspruch noch einen Schritt weiter, in<strong>de</strong>m es <strong>de</strong>n NutzerInnen wie GestalterInnen<br />

qua Design gesellschafts<strong>kritisch</strong>e Reflektionen über scheinbare Selbstverständlichkeiten<br />

ermöglichen möchte. Die letzten bei<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n überwin<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage <strong>einer</strong> konstruktivistischen Epistemologie <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Informatik und KI<br />

verbreiteten Versuch, körperliche Prozesse und Emotionen zu formalisieren, mo<strong>de</strong>llieren<br />

und damit unhinterfragt in die Artefakte hineinzuschreiben. Es steht jedoch noch<br />

aus, diese Vorgehensweisen zur De-Konstruktion von Geschlecht einzusetzen, bei<br />

<strong>de</strong>m das Artefakt etwa Erfahrungen in „an<strong>de</strong>ren“ Geschlechtern ermöglicht o<strong>de</strong>r eine<br />

Reflektion über das Zweigeschlechtlichkeitssystem an sich anstößt.<br />

Im Vergleich zu <strong>de</strong>n ersten drei beschriebenen Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte stellen 4. die De-Kontextualisierung durch Formalisierungs-,<br />

Abstraktions- und Klassifikationsprozesse sowie epistem-ontologische<br />

Grundannahmen die größte Herausfor<strong>de</strong>rung dar. Deshalb liegen hierzu nur vereinzelte<br />

Ansätze aus <strong>de</strong>r <strong>kritisch</strong>en Informatik vor, die als spezifische De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Strategie aussichtsreich erscheinen. Mit Hilfe <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>n „Narrative Transformation“<br />

und „Mind Scripting“, die auf Frigga Haugs „Erinnerungsarbeit“ basieren, lassen sich<br />

Selbstverständnisse und Annahmen <strong>de</strong>r DesignerInnen sowie Gen<strong>de</strong>r-Skripte<br />

herausarbeiten und <strong>de</strong>ren <strong>kritisch</strong>e Reflektion in <strong>de</strong>n Softwareentwicklungsprozess<br />

integrieren. „Value Sensitive Design“ ist ein Verfahren, das ethische Werte (wie<br />

„Geschlechtergerechtigkeit“ o<strong>de</strong>r „Freedom from Bias“) festlegt und diese systematisch<br />

in ein technisches Artefakt einschreibt. „Critical Technical Practice“ zielt darauf,<br />

marginalisierte Aspekte menschlichen Han<strong>de</strong>lns zur Grundlage technologischer<br />

Konzepte zu machen, und eignet sich <strong>de</strong>shalb insbeson<strong>de</strong>re dazu, <strong>de</strong>r Einschreibung<br />

vergeschlechtlichter Dichotomien in Artefakte <strong>de</strong>r KI zu vermei<strong>de</strong>n. Ferner wer<strong>de</strong>n<br />

sozial- und kulturwissenschaftliche „Laborstudien“ als eine Form <strong>de</strong>r feministischen<br />

Intervention in <strong>de</strong>r Grundlagenforschung <strong>de</strong>r Informatik vorgeschlagen, die auf<br />

fundamentale Konzepte von Denken, Fühlen und Han<strong>de</strong>ln o<strong>de</strong>r auch die Wissensrepräsentation<br />

Einfluss zu nehmen vermag. Ein solches Vorgehen <strong>de</strong>r interdisziplinären<br />

Zusammenarbeit erscheint auch für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Mo<strong>de</strong>llierung, etwa durch die verbreitete Programmatik <strong>de</strong>r Objektorientierung,<br />

vielversprechend.<br />

Damit wur<strong>de</strong> in diesem Kapitel 5 insgesamt ein breites Spektrum von Ansätzen zur<br />

Technikgestaltung in <strong>de</strong>r Informatik vorgestellt, die für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

303


Artefakte geeignet sind. 389 Insbeson<strong>de</strong>re aus <strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>s „User-Centered<br />

Design“ und <strong>de</strong>s „Participatory Design“ liegen umfangreiche Erfahrungen vor, wie<br />

Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technikgestaltung aus <strong>einer</strong> Geschlechterforschungs- bzw. feministischen<br />

Perspektive dazu eingesetzt wer<strong>de</strong>n können. Demgegenüber müssen viele <strong>de</strong>r<br />

weiteren in diesem Kapitel 5 empfohlenen Verfahren für <strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

erst noch erprobt wer<strong>de</strong>n. Dabei besteht die Herausfor<strong>de</strong>rung darin, dass einige dieser<br />

Vorgehensweisen von ihrem allgemein gesellschafts<strong>kritisch</strong>en Ausgangspunkt spezifisch<br />

für <strong>de</strong>n Einsatz als De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie anzupassen sind. An<strong>de</strong>re wur<strong>de</strong>n<br />

ursprünglich für einen an<strong>de</strong>ren als <strong>de</strong>n hier vorgeschlagenen Kontext (bspw. in Bezug<br />

auf Anwendungstechnologien) entwickelt und müssen nun übertragen wer<strong>de</strong>n (bspw.<br />

auf die Grundlagenforschung). Auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n Annahmen, Epistemologien<br />

und Ontologien, die <strong>de</strong>r Technikgestaltung zugrun<strong>de</strong> liegen, konnten zwar<br />

einzelne methodische Ansätze vorgestellt wer<strong>de</strong>n, die zu einem De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte beitragen. Jedoch bestehen gera<strong>de</strong> im Bereich <strong>de</strong>s Formalen<br />

und <strong>de</strong>r Grundlagenforschung <strong>de</strong>r Informatik weiterhin Leerstellen.<br />

Insgesamt wur<strong>de</strong> in diesem Kapitel 5 aufgezeigt, dass die <strong>kritisch</strong>e Informatik ein<br />

reichhaltiges Potential besitzt, um <strong>de</strong>n in Kapitel 4 herausgearbeiteten Dimensionen<br />

und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte entgegenwirken<br />

zu können. Deutlich wur<strong>de</strong> jedoch zugleich ein weiterhin erheblicher Forschungsbedarf,<br />

sowohl hinsichtlich <strong>de</strong>r Entwicklung weiterer geeigneter De-Gen<strong>de</strong>ring-Metho<strong>de</strong>n<br />

als auch in Bezug auf die konkrete Anwendung und Erprobung <strong>de</strong>r hier<br />

vorgeschlagenen Vorgehensweisen.<br />

389 An dieser Stelle ist anzumerken, dass es eine Reihe weiterer methodischer Ansätze zur Technikgestaltung<br />

gäbe, die auf ihr Potential, <strong>de</strong>r Informatik De-Gen<strong>de</strong>ring-Metho<strong>de</strong>n zur Verfügung zu stellen, hin<br />

abgeklopft wer<strong>de</strong>n sollten – beispielsweise das Gebiet <strong>de</strong>s „Computer Supported Cooperative Work“<br />

(CSCW) und die „Soft Systems Methodology“ (SSM). Allerdings bestand das Ziel dieses Kapitels 5 nicht<br />

darin, sämtliche für ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte in Frage kommen<strong>de</strong> Ansätze systematisch<br />

durchzugehen. Vielmehr sollte hier gezeigt wer<strong>de</strong>n, dass für die im Kapitel 4 herausgearbeiteten<br />

Dimensionen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte jeweils Metho<strong>de</strong>n existieren, mit <strong>de</strong>nen<br />

sich diesen Mechanismen entgegenwirken lässt.<br />

304


Kapitel 6<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring als „Design für lebbare Welten“: Entwurf <strong>einer</strong> Methodik<br />

feministischer Technologiegestaltung in <strong>de</strong>r Informatik<br />

Die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit legt einen Ansatz <strong>de</strong>s „De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte“<br />

vor. Es wur<strong>de</strong> ein theoretisches Konzept <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

entwickelt (Kapitel 3). Anschließend sind verschie<strong>de</strong>ne Dimensionen und Mechanismen<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte herausgearbeitet (Kapitel 4)<br />

und Vorschläge unterbreitet wor<strong>de</strong>n, wie sich diese Prozesse durch jeweils geeignete<br />

Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technologiegestaltung vermei<strong>de</strong>n lassen bzw. jenen entgegengewirkt<br />

wer<strong>de</strong>n kann (Kapitel 5). Diese drei Kapitel stellen somit eine Grundlage für eine<br />

feministische Methodologie <strong>de</strong>r Technikgestaltung in <strong>de</strong>r Informatik dar.<br />

Abschließend wird <strong>de</strong>r in dieser Arbeit entwickelte Ansatz „De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte“ insgesamt diskutiert. Zunächst wird das Potential <strong>de</strong>s Ansatzes<br />

zusammenfassend ausgelotet. Nachfolgend wer<strong>de</strong>n wesentliche Schritte <strong>de</strong>r methodischen<br />

Vorgehensweise dargelegt und mit <strong>de</strong>m Forschungsstand und <strong>de</strong>r theoretischen<br />

Konzeption <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte (vgl. Kapitel 2 und 3)<br />

gegengelesen, um auf argumentative Fallstricke, theoretische Verkürzungen und Grenzen<br />

<strong>de</strong>r methodischen Konzepte hinzuweisen. Letztlich wird <strong>de</strong>r in dieser Arbeit<br />

entwickelte Entwurf <strong>einer</strong> Methodologie feministischer Technologiegestaltung in <strong>de</strong>r<br />

Informatik auf <strong>de</strong>r Folie gängiger Strategien <strong>de</strong>r Geschlechterpolitik als ein „Design für<br />

lebbare Welten“ im Sinne <strong>de</strong>r Ansätze Haraways, Butlers und Suchmans eingeordnet.<br />

Potentiale <strong>de</strong>s vorgelegten Entwurfs <strong>einer</strong> Methodologie<br />

Der in dieser Arbeit vorgelegte Ansatz <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

bil<strong>de</strong>t das Grundgerüst <strong>einer</strong> Methodologie <strong>kritisch</strong>-feministischer Technikgestaltung in<br />

<strong>de</strong>r Informatik. Er stellt InformatikerInnen, die eine Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>r von ihnen<br />

konzipierten und entwickelten Technologien und Produkten vermei<strong>de</strong>n möchten, ein<br />

breites Spektrum an Konzepten sowie eine methodische Vorgehensweise zur Verfügung.<br />

Dabei grün<strong>de</strong>n die methodischen Vorschläge zur Technikgestaltung auf <strong>einer</strong><br />

sorgfältigen Analyse von Vergeschlechtlichungsprozessen <strong>de</strong>r Artefakte.<br />

Diese Arbeit gab erstens einen systematischen Überblick über Dimensionen und<br />

Mechanismen <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte und veranschaulichte diese<br />

anhand von Fallbeispielen. Damit wur<strong>de</strong> gezeigt, dass Geschlecht in <strong>de</strong>r Tätigkeit von<br />

InformatikerInnen eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle spielt und auf diese Weise nachträglich, aber<br />

nachdrücklich die Institutionalisierung von Geschlechterforschung als ein Teilgebiet <strong>de</strong>r<br />

Disziplin Informatik legitimiert. Zweitens wur<strong>de</strong>n theoretische Konzepte vorgestellt, wie<br />

die Verhältnisse von Technologie und Gesellschaft auf <strong>de</strong>r Basis aktueller Ansätze <strong>de</strong>r<br />

sozial- und kulturwissenschaftlichen Wissenschafts- und Technikforschung gefasst<br />

wer<strong>de</strong>n können. Damit fin<strong>de</strong>n auch diejenigen SoftwareentwicklerInnen und DesignerInnen<br />

in dieser Arbeit fundierte Ansätze, die Technikgestaltung als eine gesellschafts<strong>kritisch</strong>e<br />

Intervention verstehen und dafür theoretische Grundlagen, Fallbeispiele<br />

sowie Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Umsetzung suchen. Die herausgearbeiteten Dimensionen<br />

und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung bieten zugleich Ansatzpunkte, die für eine<br />

Analyse <strong>de</strong>r Einschreibung weiterer Ungleichheitsstrukturen nützlich sein können.<br />

305


Die theoretische Konzeption <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte, nach <strong>de</strong>r sich<br />

Geschlecht und Technik in einem performativen Prozess <strong>de</strong>r Ko-Materialisierung<br />

konstituieren, lässt sich jedoch primär als ein Beitrag zur feministischen Technoscience-Forschung<br />

verstehen. Denn sie ermöglicht eine feministisch-<strong>kritisch</strong>e Analyse<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichungen <strong>de</strong>s Formalen, <strong>de</strong>r ontologischen Annahmen über <strong>de</strong>n<br />

Anwendungsbereich und über das spezifisch Humane, <strong>de</strong>r Grundlagenforschung <strong>de</strong>r<br />

Informatik sowie über <strong>de</strong>ren Verwicklungen mit epistemologischen Ebenen. Damit<br />

wur<strong>de</strong>n drittens auch diejenigen Artefakte in die feministische Analyse einbezogen, die<br />

von <strong>de</strong>n bislang vorliegen<strong>de</strong>n Ansätzen <strong>de</strong>r Wissenschafts- und Technikforschung<br />

vielfach außer Acht gelassen wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu<strong>de</strong>m schärften die differenzierte Analyse und <strong>de</strong>r Versuch <strong>einer</strong> Ent-Vergeschlechtlichung<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte <strong>de</strong>n Blick <strong>de</strong>r Geschlechterforschung. Denn<br />

<strong>de</strong>r Bereich <strong>de</strong>r Technologiegestaltung erfor<strong>de</strong>rt konstruktive Vorschläge, die nicht auf<br />

<strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Kritik, Analyse und Dekonstruktion stehen bleiben können. Vielmehr<br />

zwingt er dazu, über positive Alternativen zu vorhan<strong>de</strong>nen Geschlechtereinschreibungen<br />

nachzu<strong>de</strong>nken und eine Politik <strong>de</strong>r Intervention zu praktizieren, ohne dabei<br />

jedoch reflexiv-<strong>kritisch</strong>e Positionen aufzugeben. Diese Übersetzung zwischen<br />

feministischer Theorie, konkreter Kritik und technischer Gestaltung stellt eine <strong>de</strong>r<br />

größten Herausfor<strong>de</strong>rungen für das Projekt <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

dar.<br />

Die Schwierigkeit, aber zugleich auch die Notwendigkeit interdisziplinären Denkens<br />

zeigte sich bereits bei <strong>de</strong>r Analyse von Vergeschlechtlichungsprozessen <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte, für die in dieser Arbeit verschie<strong>de</strong>ne Dimensionen herausgearbeitet wur<strong>de</strong>n.<br />

Sie lassen sich <strong>einer</strong>seits danach unterschei<strong>de</strong>n, in welchem Sinne die Kategorie<br />

Geschlecht relevant ist: Wer<strong>de</strong>n durch die Technologie Ausschlüsse hergestellt, die<br />

bestimmten Personengruppen eine Nutzung erschweren o<strong>de</strong>r verunmöglichen? Wer<strong>de</strong>n<br />

bestimmte Muster strukturell-symbolischer Ungleichheit durch Technologien reproduziert,<br />

die mit <strong>de</strong>r gesellschaftlich vorherrschen<strong>de</strong>n Geschlechtordnung korrelieren?<br />

O<strong>de</strong>r kommt die Vergeschlechtlichung eher durch Abstraktion, Formalisierung, Klassifizierung<br />

bzw. aufgrund epistemologischer Annahmen zustan<strong>de</strong>? Dabei kann ferner<br />

differenziert wer<strong>de</strong>n, ob Annahmen über Frauen und Männer, über Weiblichkeit und<br />

Männlichkeit explizit in die Artefakte eingeschrieben wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Prozess <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>ring eher vermittelt über implizite Geschlechtseinschreibungen erfolgt.<br />

An<strong>de</strong>rerseits ließen sich unterschiedliche Ursachen und Mechanismen feststellen,<br />

durch die eine Vergeschlechtlichung <strong>de</strong>s Technikentwicklungsprozesses stattfin<strong>de</strong>n<br />

kann: Gehen Technologie<strong>de</strong>signerInnen implizit davon aus, dass NutzerInnen dieselben<br />

Kompetenzen, Interessen und Vorlieben haben wie sie selbst? Fließen Geschlechterannahmen<br />

in die Vorstellungen über die NutzerInnen und vom Anwendungskontext<br />

ein o<strong>de</strong>r bereits in die Problem<strong>de</strong>finitionen und Konzepte, die <strong>einer</strong> Technologie<br />

zugrun<strong>de</strong> liegen? Wur<strong>de</strong>n bestimmte Aspekte bei <strong>de</strong>r Analyse und Mo<strong>de</strong>llierung von<br />

Arbeit, Tätigkeiten o<strong>de</strong>r Wissen nicht berücksichtigt, die <strong>de</strong>shalb von <strong>de</strong>r<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Technologie nicht unterstützt bzw. dargestellt wer<strong>de</strong>n? Wur<strong>de</strong> die<br />

Geschlechterpolitik <strong>de</strong>s Anwendungsfelds ignoriert? Wur<strong>de</strong> auf wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse an<strong>de</strong>rer Disziplinen zurückgegriffen, die jedoch selbst von <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n<br />

strukturell-symbolischen Geschlechterordnung durchdrungen sind? Ist die<br />

Vergeschlechtlichung ein Resultat <strong>de</strong>s Versuchs, die Realität <strong>de</strong>s Anwendungsfelds<br />

306


zw. menschlicher Handlung abzubil<strong>de</strong>n und wird damit zugleich auf epistemologische<br />

Ebenen verwiesen?<br />

Ein allgem<strong>einer</strong> Ansatz <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte muss diese<br />

vielfältigen Facetten von Geschlechtskonstruktionen beim Design <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

berücksichtigen und für <strong>de</strong>n betrachteten Fall <strong>einer</strong> Technologie konkretisieren.<br />

Deshalb wur<strong>de</strong> ein situiertes Vorgehen empfohlen, das <strong>de</strong>n passen<strong>de</strong>n Ansatzpunkt für<br />

eine feministisch-<strong>kritisch</strong>e Intervention in <strong>de</strong>r Technologiegestaltung ermittelt und <strong>de</strong>ren<br />

Zielrichtung bestimmt.<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte „in a nutshell“<br />

Der methodische Vorschlag für eine feministische Technikgestaltung in <strong>de</strong>r Informatik,<br />

<strong>de</strong>n die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit unterbreitet, lässt sich grob durch eine vierschrittige Vorgehensweise<br />

beschreiben:<br />

1. Analyse: Welche Vergeschlechtlichungsprozesse und -mechanismen können in<br />

<strong>de</strong>m jeweils vorliegen<strong>de</strong>n Fall i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n? (vgl. Kapitel 4)<br />

2. Zielbestimmung: Was soll aufgrund <strong>de</strong>r Analyse das Ergebnis eines feministischen<br />

Gestaltungsprozesses sein? (vgl. Kapitel 5.1.)<br />

3. Auswahl geeigneter Metho<strong>de</strong>n: Gibt es hierfür bereits bekannte Metho<strong>de</strong>n und<br />

Vorgehensweisen <strong>de</strong>r Technologiegestaltung, die für diesen Zweck eingesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

können? Inwieweit müssen diese modifiziert o<strong>de</strong>r erweitert wer<strong>de</strong>n, um das<br />

entsprechen<strong>de</strong> De-Gen<strong>de</strong>ring-Ziel zu erreichen? (vgl. Kapitel 5.2.-5.5.)<br />

4. Anwendung <strong>de</strong>r ausgewählten Metho<strong>de</strong>: Wie kann das jeweilige informatische Artefakte<br />

unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Theorie abgeleiteten <strong>kritisch</strong>en Aspekte<br />

(vgl. Kapitel 2 und 3) konzipiert und konstruiert wer<strong>de</strong>n?<br />

Diese Gesamtvorgehensweise soll noch einmal zusammenfassend anhand <strong>de</strong>r vier<br />

herausgearbeiteten Dimensionen und Mechanismen <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte beschrieben wer<strong>de</strong>n: a) <strong>de</strong>r „I-methodology“, b) <strong>de</strong>r impliziten und c)<br />

<strong>de</strong>r expliziten Einschreibungen von Geschlechterungleichheit und d) <strong>de</strong>r De-Kontextualisierung<br />

durch Formalisierung und Klassifizierung sowie ontologischer und<br />

epistemologischer Grundannahmen . Da die ersten drei Schritte in <strong>de</strong>n vorangegangenen<br />

Kapiteln bereits ausführlich diskutiert wor<strong>de</strong>n sind, sollen sie hier nur kurz<br />

dargelegt wer<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n geson<strong>de</strong>rten Beschreibung <strong>de</strong>s vierten<br />

Schrittes soll darauf aufmerksam gemacht wer<strong>de</strong>n, dass die Vorgehensweise für ein<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte nur dann produktiv gemacht wer<strong>de</strong>n kann,<br />

wenn sie <strong>kritisch</strong>-reflexiv angewen<strong>de</strong>t wird. Um Missverständnisse, argumentative Fallstricke<br />

und Verkürzungen zu vermei<strong>de</strong>n, ist es notwendig, sie vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r<br />

im Kapitel 2 und 3 dargestellten theoretischen Überlegungen zu interpretieren.<br />

a) Das erste Problem <strong>de</strong>r Technologiegestaltung, das in Kapitel 4 aus <strong>einer</strong><br />

Geschlechterforschungsperspektive i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n konnte, ist die so genannte „Imethodology“.<br />

Technologien wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel in Gruppen von TechnologiegestalterInnen<br />

entwickelt, die relativ homogen zusammengesetzt sind und <strong>de</strong>shalb an<strong>de</strong>re<br />

Lebensperspektiven, Interessen und Fähigkeiten als die eigenen oftmals schwer in <strong>de</strong>n<br />

Blick bekommen. Die Annahmen, die aufgrund <strong>de</strong>ssen in die Technologie eingeschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n, tendieren <strong>de</strong>shalb dazu, Menschen mit an<strong>de</strong>ren sozialen und kulturellen<br />

Hintergrün<strong>de</strong>n, an<strong>de</strong>ren Kompetenzen und Präferenzen o<strong>de</strong>r auch an<strong>de</strong>ren<br />

Geschlechtern in <strong>de</strong>r Nutzung zu behin<strong>de</strong>rn bzw. sie davon auszuschließen. Wird eine<br />

307


dadurch entstan<strong>de</strong>ne implizite Vergeschlechtlichung im ersten Schritt <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses,<br />

d.h. bei <strong>de</strong>r Analyse <strong>einer</strong> konkreten Technologie i<strong>de</strong>ntifiziert, so<br />

liegt es nahe, zunächst das Bewusstmachen von Unterschie<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n TechnologiegestalterInnen<br />

als Ziel <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring zu bestimmen. Um <strong>de</strong>r „I-methodology“ <strong>de</strong>r<br />

TechnikgestalterInnen wirksam zu begegnen, sollten jene für die Diversität von NutzerInnen<br />

sowie <strong>de</strong>ren soziale und kulturelle Lebenswelten sensibilisiert wer<strong>de</strong>n. Dazu<br />

müssen bislang ignorierte und ausgeschlossene Perspektiven thematisiert, anerkannt<br />

und geeignet in <strong>de</strong>n Technikentwicklungsprozess integriert wer<strong>de</strong>n. Einzelne Fallstudien<br />

zeigten auf, dass das explizite Gestaltungsziel, Je<strong>de</strong> und Je<strong>de</strong>n durch das Design<br />

als NutzerIn einschließen zu wollen, jedoch nicht notwendigerweise <strong>de</strong>n gewünschten<br />

Effekt erzielt (vgl. 4.1.4.). Vielmehr ist hier ein methodisches Vorgehen erfor<strong>de</strong>rlich, um<br />

ein De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>de</strong>r betrachteten Technologie tatsächlich zu erreichen.<br />

In Kapitel 5.2. wur<strong>de</strong>n dazu die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „User-Centered Design“ vorgeschlagen,<br />

die darauf ausgerichtet sind, Anfor<strong>de</strong>rungen von NutzerInnen <strong>de</strong>r tatsächlichen<br />

Zielgruppe zu ermitteln und in <strong>de</strong>n Technologiegestaltungsprozess zu integrieren.<br />

Speziell hingewiesen wur<strong>de</strong> auf „Usability Tests“, die Diskrepanzen zwischen <strong>de</strong>m NutzerInnenbild<br />

<strong>de</strong>r DesignerInnen und <strong>de</strong>n Fähigkeiten, Interessen und Vorlieben<br />

tatsächlicher NutzerInnen auf<strong>de</strong>cken können. Ethnografische Studien sind ferner<br />

geeignet, um Fehlannahmen <strong>de</strong>r DesignerInnen über die Nutzung bereits in <strong>de</strong>n frühen<br />

Phasen <strong>de</strong>r Technikentwicklung zu korrigieren, insbeson<strong>de</strong>re bei fragwürdigen<br />

Problem<strong>de</strong>finitionen, die <strong>einer</strong> Technologie zugrun<strong>de</strong> liegen. Insgesamt kann mit Hilfe<br />

<strong>de</strong>r Vorgehensweisen, die das breite Spektrum <strong>de</strong>s „User-Centered Design“ und s<strong>einer</strong><br />

vielfältigen Varianten (z.B. das Interaktions<strong>de</strong>sign) bieten, <strong>de</strong>r „I-methodology“ wirksam<br />

begegnen. Es liegen damit erprobte De-Gen<strong>de</strong>ring-Metho<strong>de</strong>n vor, die im konkret<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Fall geeignet ausgewählt wer<strong>de</strong>n müssen. Dabei ist es, wie insbeson<strong>de</strong>re<br />

die Diskussion <strong>de</strong>r „Personas“-Technik ver<strong>de</strong>utlicht hat (vgl. Kapitel 5.2.), relevant,<br />

welche Testpersonen und Freiwillige für <strong>de</strong>n Einsatz dieser methodischen Konzepte<br />

ausgewählt wer<strong>de</strong>n.<br />

b) Die zweite grundlegen<strong>de</strong> Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung in <strong>de</strong>r Technologiegestaltung,<br />

die in Kapitel 4 herausgearbeitet wur<strong>de</strong>, ist die <strong>de</strong>r impliziten Einschreibung<br />

<strong>de</strong>r strukturell-symbolischen Geschlechterordnung in Technologien. Diese wur<strong>de</strong> anhand<br />

von Fallstudien auf Stereotypisierungen von „Weiblichkeiten“ und „Männlichkeiten“,<br />

die Ignoranz von als „weiblich“ konnotierter „unsichtbarer Arbeit“ und die ungebrochene<br />

Fortschreibung bereits bestehen<strong>de</strong>r geschlechtskonstituieren<strong>de</strong>r Arbeitsteilung<br />

zurückgeführt und damit ausdiffererenziert.<br />

Gehen in das technische Design beson<strong>de</strong>rs extreme Annahmen über das Wesen<br />

von Frauen und Männern ein, so lassen sich diese häufig bereits mittels „Usability-<br />

Tests“ als unrealistisch i<strong>de</strong>ntifizieren. Weniger offensichtlich sind dagegen implizite Einschreibungen<br />

von Geschlechterdifferenz, die sich häufig bei Softwaresystemen zur<br />

Unterstützung typischer Frauenberufe (z.B. Sekretariat, Callcenter) fin<strong>de</strong>n, wo sie im<br />

Effekt die Tätigkeit <strong>de</strong>r Beschäftigten behin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r ihre Arbeit nicht angemessen<br />

unterstützen. Dort sollte ein De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozess die tatsächliche Zielgruppe und<br />

ihre Anfor<strong>de</strong>rungen genau in <strong>de</strong>n Blick bekommen, um stereotypen Mustern (z.B. „Frau<br />

= technikinkompetent“) sowie <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Wahrnehmung von Tätigkeiten, die<br />

vorherrschend Frauen zugewiesen wer<strong>de</strong>n, entgegenwirken zu können (vgl. Kapitel<br />

4.2.1. und 4.2.4.). Ziel <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring ist <strong>de</strong>shalb in diesem Fall eine gleiche<br />

308


strukturell-symbolische Zuweisung von Kompetenzen und Tätigkeiten an Frauen und<br />

Männer.<br />

Um zuvor ausgeschlossene und ignorierte Aspekte von Tätigkeiten in ihrer<br />

Be<strong>de</strong>utung für <strong>de</strong>n Arbeitsprozess anzuerkennen und angemessen technisch zu unterstützen,<br />

können die in Kapitel 5.2. skizzierten Vorgehensweisen <strong>de</strong>s „User-Centered<br />

Design“ hilfreich sein. Im Kapitel 5.3. wur<strong>de</strong>n zusätzlich die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „Contextual<br />

Design“ und <strong>de</strong>s „Scenario-based Design“ beschrieben, die speziell und bereits<br />

erfolgreich dafür eingesetzt wor<strong>de</strong>n sind, die technisch zu unterstützen<strong>de</strong> Arbeit von<br />

Beschäftigten so <strong>de</strong>tailliert zu verstehen, dass stereotype Vorstellungen über NutzerInnen<br />

wi<strong>de</strong>rlegt wer<strong>de</strong>n und auch „unsichtbare Arbeit“ i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Dennoch ist damit die Problematik <strong>de</strong>r digitalen Fortschreibung struktureller<br />

Ungleichheit noch nicht vollständig gelöst. Denn selbst wenn es gelingt, <strong>de</strong>n Kontext<br />

und die Aufgaben <strong>de</strong>r NutzerInnen zu ermitteln und sie durch eine entsprechen<strong>de</strong><br />

Funktionalität und NutzerInnenführung <strong>de</strong>r Software angemessen zu unterstützen, wird<br />

die existieren<strong>de</strong> Geschlechterpolitik im Anwendungsfeld dabei nicht notwendigerweise<br />

durchkreuzt. Vielmehr laufen die bis hierher vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

Gefahr, die strukturell-symbolische Geschlechterordnung zu perpetuieren,<br />

wenn sie dazu tendieren, geschlechtskonstituieren<strong>de</strong> Arbeitsteilungen und<br />

hegemoniale Geschlechtszuweisungen bei <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung und technischen Gestaltung<br />

zu ignorieren. Deshalb muss eine De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie zugleich darauf zielen,<br />

vorherrschen<strong>de</strong> geschlechtlich markierte Machtverhältnisse zwischen <strong>de</strong>n AkteurInnen<br />

im Anwendungsfeld aufzubrechen. Dies setzt voraus, dass TechnologiegestalterInnen<br />

Aspekte struktureller Ungleichheit verstehen und explizit für die strukturell Benachteiligten<br />

eines technischen Gestaltungsprozesses Partei ergreifen.<br />

Für ein solches politisches Verständnis von Technologiegestaltung plädiert das<br />

„Participatory Design“ <strong>de</strong>r Skandinavischen Schule. Speziell die VertreterInnen <strong>de</strong>s<br />

„Collective Ressource Approach“ konkretisieren gesellschafts<strong>kritisch</strong>e Perspektiven –<br />

wie in Kapitel 5.3. dargestellt – durch methodische Konzepte wie Organisations-<br />

Design-Spiele und Zukunftswerkstätten. Diese Ansätze wer<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rum von<br />

feministischen ForscherInnen aufgegriffen und sind insbeson<strong>de</strong>re für die Gestaltung<br />

von Softwaresystemen, die an so genannten Frauenarbeitsplätzen eingesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

sollten, erfolgreich angewen<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n (vgl. Kapitel 5.3.).<br />

c) Als dritte Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte wur<strong>de</strong> in Kapitel<br />

4.2.5. die explizite Einschreibung <strong>de</strong>r strukturell-symbolischen Geschlechterordnung in<br />

Technologie i<strong>de</strong>ntifiziert (vgl. hierzu auch Kapitel 5.1.). Problematisch sind dabei insbeson<strong>de</strong>re<br />

digitale Repräsentationen geschlechtsstereotyper Körper und Verhaltensweisen,<br />

die zur Normalisierung von dichotomen Geschlechtern beitragen. Deshalb<br />

genügen die zuvor diskutierten Strategien in diesem Fall noch nicht, um <strong>de</strong>m Prozess<br />

<strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung wirksam begegnen zu können. Vielmehr erscheint eine<br />

Dekonstruktion von Geschlecht als einzig sinnvolles De-Gen<strong>de</strong>ring-Gestaltungsziel.<br />

Das be<strong>de</strong>utet, dass <strong>de</strong>r Gestaltungsprozess und <strong>de</strong>ssen Produkt primär auf eine<br />

Sensibilisierung für <strong>de</strong>n konstruktiven Charakter von Geschlecht auszurichten sind.<br />

Das Design <strong>de</strong>r Technologien sollte NutzerInnen dazu anregen zu reflektieren, dass<br />

Frausein bzw. Mannsein in einem Prozess <strong>de</strong>r ständigen Zuschreibung, Deutung und<br />

Performanz neu hervorgebracht wer<strong>de</strong>n muss. Auf dieser Basis ist die auch weithin<br />

309


verbreitete Annahme <strong>einer</strong> strikt binär konstituierten und unverän<strong>de</strong>rlichen körperlichen<br />

Geschlechtlichkeit durch Technologie kontinuierlich in Frage zu stellen.<br />

Für dieses De-Gen<strong>de</strong>ring-Ziel wur<strong>de</strong>n in Kapitel 5.4. drei spezielle<br />

Vorgehensweisen vorgeschlagen: „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ strebt an, narrative Technologien<br />

so zu gestalten dass sie <strong>de</strong>n NutzerInnen vielfältige Selbstkonzeptionen<br />

ermöglichen, die jenseits stereotyp weiblicher o<strong>de</strong>r stereotyp männlicher I<strong>de</strong>ntitätsvorstellungen<br />

liegen. Demgegenüber zielt „Design for Experience“ darauf, dass<br />

NutzerInnen während <strong>de</strong>r Interaktion mit <strong>de</strong>m Artefakt umfassen<strong>de</strong>re, körperliche und<br />

emotionale Erfahrungen machen können. Dies lässt sich im Hinblick auf neue und<br />

viel<strong>de</strong>utige Geschlechtserfahrungen weiter <strong>de</strong>nken, etwa in Form von Computerspielen,<br />

in <strong>de</strong>nen die NutzerInnen an<strong>de</strong>re Geschlechter durch virtuellen Geschlechtsrollentausch<br />

erfahren können. Das dritte in 5.4. diskutierte methodische Konzept, das<br />

„Reflective Design“, versucht, gesellschafts<strong>kritisch</strong>e Reflektionsprozesse bei <strong>de</strong>n<br />

NutzerInnen und GestalterInnen anzuregen. Solche Denkanstöße lassen sich für ein<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring dahingehend modifizieren, dass ein Technologiegestaltungsprozess und<br />

sein Produkt das bestehen<strong>de</strong> Zweigeschlechtlichkeitssystem in Frage stellt, etwa durch<br />

verfrem<strong>de</strong>te, unein<strong>de</strong>utige bzw. brüchige Geschlechtsrepräsentationen. Insgesamt<br />

gehen die drei Metho<strong>de</strong>n nicht nur davon aus, dass Geschlechtseinschreibungen von<br />

Seiten <strong>de</strong>r TechnikentwicklerInnen vorgenommen wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn berücksichtigen<br />

zugleich die Konstruktionsleistungen von NutzerInnen beim Design, <strong>de</strong>ren<br />

Wahrnehmung zumeist zweigeschlechtlich vorgeprägt ist, und regen ein <strong>kritisch</strong>es<br />

Nach<strong>de</strong>nken über das heteronormative System <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit an.<br />

d) Als vierte problematische Form <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

wur<strong>de</strong> in Kapitel 4.3. aufgezeigt, dass die für die Informatik konstitutiven Tätigkeiten<br />

<strong>de</strong>s Klassifizierens, Abstrahierens und Formalisierens dazu tendieren, Setzungen und<br />

Voraussetzungen <strong>de</strong>s Technologiegestaltungsprozesses zu verbergen. Politische Konsequenzen,<br />

die als Sachzwänge erscheinen o<strong>de</strong>r als technische Notwendigkeit legitimiert<br />

wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>shalb zunächst wie<strong>de</strong>r sichtbar zu machen sind, ergeben sich in<br />

manchen Fällen aus im Gestaltungsprozess bewusst getroffenen Entscheidungen, in<br />

an<strong>de</strong>ren aus impliziten Annahmen Denn Abstraktionen, Klassifikationen und Formalismen<br />

suggerieren Objektivität und ein neutrales Forschungssubjekt. Sie stellen jedoch<br />

in ihrem Gebrauch u.a. Wissenshierarchien, vergeschlechtlichte Klassifikationen und<br />

Dichotomien her und reproduzieren damit bestehen<strong>de</strong> Macht- und Ungleichheitsverhältnisse<br />

wie die herrschen<strong>de</strong> Geschlechterordnung. Als ein generelles Ziel <strong>de</strong>s De-<br />

Gen<strong>de</strong>ring in <strong>de</strong>r Technologiegestaltung wur<strong>de</strong> für solche formalen Artefakte <strong>de</strong>r<br />

Informatik die Re-Kontextualisierung, Reflektion und Revision <strong>de</strong>r zugrun<strong>de</strong> gelegten<br />

impliziten Voraussetzungen und expliziten Konzepte vorgeschlagen. Da ontologische<br />

Annahmen im Technologiegestaltungsprozess jedoch – wie anhand <strong>de</strong>r geschlechtlichen<br />

Markierung von immanenten Dichotomien beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n ist –<br />

untrennbar mit wissenschaftstheoretischen Annahmen verknüpft sind, setzt ein solcher<br />

<strong>de</strong>konstruktiver De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozess zugleich epistemologische Verschiebungen<br />

voraus, durch die die in <strong>de</strong>r Informatik und KI vorherrschen<strong>de</strong>n Objektivitätsverständnisse<br />

überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n könnten. Auf diese zweite Anfor<strong>de</strong>rung komme ich weiter<br />

unten zurück.<br />

Zunächst wer<strong>de</strong>n fragwürdige ontologische Annahmen über die jeweils mo<strong>de</strong>llierte<br />

„Realität“ – etwa Gen<strong>de</strong>rskripte, Konzepte <strong>de</strong>s Humanen, Kategorien und Klassifizier-<br />

310


ungen – betrachtet, die entwe<strong>de</strong>r innerhalb <strong>de</strong>r spezifischen Gruppe von Technologie<strong>de</strong>signerInnen<br />

o<strong>de</strong>r innerhalb <strong>einer</strong> gesamten Gesellschaft o<strong>de</strong>r Kultur als selbstverständlich<br />

gelten. 390 Ein De-Gen<strong>de</strong>ring erfor<strong>de</strong>rt hier erstens Techniken, um solche Annahmen<br />

aufzu<strong>de</strong>cken, zweitens theoretische Ansätze, um diese Annahmen <strong>kritisch</strong> zu<br />

reflektieren und Alternativen zu entwickeln, und drittens praktische Vorgehensweisen,<br />

um die alternativen Konzepte in <strong>de</strong>n Technologiegestaltungsprozess zu integrieren.<br />

In Kapitel 5.5. wur<strong>de</strong>n zwei methodische Konzepte zur Dekonstruktion von<br />

Vorannahmen über Softwareentwicklungsprozesse und Geschlecht in <strong>de</strong>n Diskursen<br />

<strong>de</strong>r TechnikgestalterInnen vorgestellt: „Narrative Transformation“ und „Mind Scripting“<br />

sind Verfahren, die primär auf eine Reflektion und Revision <strong>de</strong>r Problem<strong>de</strong>finitionen,<br />

sozialer Einschreibungen und impliziter Gen<strong>de</strong>rskripte in Software zielen. „Value<br />

Sensitive Design“ dagegen legt mittels <strong>einer</strong> konzeptuellen Analyse bestimmter Werte<br />

(„values“) fest, die durch <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess explizit in die Technologie eingeschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n sollen. Dies können Werte sein, die wie Geschlechtergerechtigkeit,<br />

Diversität o<strong>de</strong>r Gleichheit an feministische For<strong>de</strong>rungen anschlussfähig sind. Diese<br />

Metho<strong>de</strong> erscheint im Fall sogenannt technischer Verzerrungen, die beispielsweise bei<br />

<strong>de</strong>r Informationsdarstellung zum Tragen kommen können, beson<strong>de</strong>rs geeignet, aber<br />

auch bei Vergeschlechtlichungen, die aufgrund <strong>de</strong>r Transfers wissenschaftlicher<br />

Erkenntnisse aus an<strong>de</strong>ren Disziplinen entstehen.<br />

In Kapitel 4.3. wur<strong>de</strong> eine weitere, spezifische Form vergeschlechtlichter Annahmen<br />

über die Wirklichkeit, die in Technologie manifestiert sein können, betrachtet:<br />

Dichotomien. Diese haben in <strong>de</strong>r Informatik eine beson<strong>de</strong>re Relevanz, da sie mit <strong>de</strong>r<br />

zweiwertigen Logik <strong>de</strong>s Computers korrespondieren. Ihre Vergeschlechtlichung besteht<br />

häufig darin, dass die bei<strong>de</strong>n Pole <strong>einer</strong> Dichotomie in westlichen Denktraditionen<br />

häufig mit „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ assoziiert sind und diese Zuweisung mit<br />

<strong>einer</strong> Hierarchisierung einhergeht, durch die „<strong>de</strong>m Weiblichen“ zugeschriebene Aspekte<br />

ausgegrenzt o<strong>de</strong>r abgewertet wer<strong>de</strong>n. Um eine erneute Festschreibung solcher<br />

symbolischen Geschlechterordnungen durch Technologiegestaltung zu verhin<strong>de</strong>rn,<br />

liegt es nahe, das jeweils Ausgeschlossene, das „weiblich“ konnotiert wird, sichtbar zu<br />

machen und dann zu integrieren. Fallstudien zufolge erwies sich jedoch die<br />

Dekonstruktion von Dichotomien, die darauf zielt, <strong>de</strong>n Gegensatz prinzipiell zu<br />

unterlaufen, letztendlich als das nachhaltigere De-Gen<strong>de</strong>ring-Ziel.<br />

Eine De-Konstruktion von Dichotomien in <strong>de</strong>r Technologiegestaltung erfor<strong>de</strong>rt damit,<br />

die für <strong>de</strong>n Technikgestaltungsprozess zugrun<strong>de</strong> gelegte Epistemologie <strong>kritisch</strong> in <strong>de</strong>n<br />

Blick zu nehmen. So <strong>de</strong>monstrierten einige Beispiele in Kapitel 4.3., dass ontologische<br />

Annahmen mit impliziten wissenschaftstheoretischen Annahmen darüber korrelieren,<br />

wer als Subjekt <strong>de</strong>s Wissens in Betracht kommt und in welchem Verhältnis Gegenstand,<br />

Mo<strong>de</strong>ll und Technologie zueinan<strong>de</strong>r stehen(vgl. Kapitel 4.3.2.). 391 Deshalb muss<br />

auf <strong>de</strong>r Ebene von Grundlagen und Grundlagenforschung ein weiteres De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Ziel formuliert wer<strong>de</strong>n: das Aufgeben <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Informatik und KI dominanten<br />

390 Solche Setzungen bei <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung, die <strong>de</strong>r Konstruktion von Technologien vorausgehen, können<br />

auch explizit von an<strong>de</strong>ren Disziplinen übernommen wor<strong>de</strong>n sein. Das ist dann problematisch, wenn <strong>de</strong>ren<br />

Erkenntnisse ebenfalls vergeschlechtlicht sind. Ein De-Gen<strong>de</strong>ring erfor<strong>de</strong>rt dann das Vorliegen<br />

feministischer Untersuchungen dieser disziplinären Erkenntnisse, vgl. hierzu auch die entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Ausführungen in Kapitel 5.5.<br />

391 Diese prinzipiell untrennbare Verknüpfung von ontologischen mit epistemologischen Setzungen fasst<br />

Karen Barad unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r „Epistem-onto-logie“, vgl. Kapitel 3.5.<br />

311


Objektivitätsverständnisse zugunsten <strong>einer</strong> konstruktivistischen Epistemologie. Dass<br />

Technikgestaltung auf <strong>de</strong>r Basis eines konstruktivistischen wissenschaftstheoretischen<br />

Verständnis möglich ist, wur<strong>de</strong> anhand <strong>de</strong>s „Design for Experience“ aufgezeigt. 392<br />

Diese Metho<strong>de</strong> unterläuft zugleich die Dichotomie von Gefühl und Vernunft, die <strong>de</strong>n<br />

herkömmlichen kognitionswissenschaftlichen Ansätzen <strong>de</strong>r Emotionsmo<strong>de</strong>llierung in<br />

<strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenz-Forschung zugrun<strong>de</strong> liegt.<br />

In Kapitel 5.5. wur<strong>de</strong>n zwei weitere Techniken vorgestellt, die mit dieser<br />

Orientierung an <strong>de</strong>n Grundkonzepten technischer Bereiche, d.h. an <strong>de</strong>r Grundlagenforschung<br />

<strong>de</strong>r Informatik ansetzen: „Critical Technical Practice“ zielt auf die<br />

Invertierung von Metaphern im Diskurs eines technischen Fachgebiets. Diese Metho<strong>de</strong><br />

erscheint beson<strong>de</strong>rs für das De-Gen<strong>de</strong>ring von Dichotomien geeignet, die für die<br />

Grundlagen <strong>de</strong>r Informatik, wie etwa bestimmte Konzeptionen <strong>de</strong>s Menschen in <strong>de</strong>r KI,<br />

konstitutiv sind. Dabei setzt sie eine Überwindung traditioneller Objektivitätsverständnisse<br />

voraus. Ebenso bieten „Laborstudien“, die auf <strong>einer</strong> radikal interdisiplinären<br />

Zusammenarbeit zwischen sozial- bzw. kulturwissenschaftlichen TechnikforscherInnen<br />

und TechnologiegestalterInnen grün<strong>de</strong>n, die Möglichkeit, auf <strong>de</strong>r Ebene ontologischer<br />

und epistemologischer Annahmen in <strong>de</strong>r informatischen Grundlagenforschung <strong>kritisch</strong>feministisch<br />

zu intervenieren.<br />

Trotz all dieser Vorschläge stellt die Frage, auf welche Weise epistemologische<br />

Verschiebungen in <strong>de</strong>r informatischen Grundlagenforschung o<strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung<br />

methodisch erreicht bzw. unterstützt wer<strong>de</strong>n können, immer noch eine <strong>de</strong>r größten<br />

Herausfor<strong>de</strong>rungen für das hier formulierte De-Gen<strong>de</strong>ring-Programm dar.<br />

Potentielle Fallstricke und theoretische Verkürzungen<br />

Bis hierher sind die ersten drei Schritte <strong>de</strong>r durch die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit vorgeschlagenen<br />

Methodik <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte – die Analyse <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring,<br />

die Zielbestimmung für das angestrebte De-Gen<strong>de</strong>ring und die Wahl <strong>einer</strong><br />

geeigneten Technologiegestaltungsmetho<strong>de</strong>, um das gesetzte Ziel zu erreichen – grob<br />

umrissen. Damit ist <strong>de</strong>r De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozess jedoch noch nicht abgeschlossen.<br />

Denn beim vierten Schritt, <strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>r jeweiligen Metho<strong>de</strong>n, sind potentielle<br />

argumentative Fallstricke, theoretische Verkürzungen und Grenzen <strong>de</strong>r methodischen<br />

Konzepte zu beachten. Diese wer<strong>de</strong>n anschließend kurz dargestellt, womit die<br />

vorgelegte Methodik an Erkenntnisse <strong>de</strong>r feministischen Technikforschung und <strong>de</strong>r<br />

theoretischen Konzeption <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte (vgl. Kapitel 2 und 3)<br />

zurückgebun<strong>de</strong>n wird.<br />

a) Die erste De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie, die auf die Inklusion und <strong>de</strong>n gleichen Zugang<br />

zu Technologie für eine breite Diversität von NutzerInnen setzt, birgt die Gefahr <strong>de</strong>r<br />

Essentialisierung von Geschlecht. Denn das Argument, dass bestimmte Personengruppen<br />

einen größeren Aufwand betreiben müssen als an<strong>de</strong>re, um eine Technologie<br />

für sich nutzen zu können, und dadurch insbeson<strong>de</strong>re Frauen ausgeschlossen sind,<br />

rekurriert häufig auf essentialisieren<strong>de</strong> Differenzierungen, die zwischen Frauen und<br />

Männern gemacht wer<strong>de</strong>n. So beruft sich etwa die „Discover Gen<strong>de</strong>r“-Studie auf<br />

vermeintliche körperliche und kognitive Geschlechtsunterschie<strong>de</strong>, die dadurch erneut<br />

392 Vgl. hierzu auch die in 4.3.1. diskutierten Konzeptionen feministischer Objektivität und<br />

konstruktivistischer Wissenschaftstheorie für die Informatik.<br />

312


festgeschrieben wer<strong>de</strong>n (vgl. Kapitel 2.2.). An<strong>de</strong>re Untersuchungen argumentieren<br />

damit, dass die Differenz eine strukturelle sei. Beispielsweise sind die AutorInnen <strong>de</strong>s<br />

Gen<strong>de</strong>r-Leitfa<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>s Projekts „Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming medial“ vorbildhaft bestrebt,<br />

erneute Geschlechtszuschreibungen zu vermei<strong>de</strong>n (vgl. Kapitel 2). Das zeigt, dass sich<br />

Essentialisierungen zwar durchaus intentional vermei<strong>de</strong>n lassen. Damit wer<strong>de</strong>n jedoch<br />

nicht notwendig zweigeschlechtliche Setzungen unterlaufen, die <strong>de</strong>n angewandten<br />

Metho<strong>de</strong>n und Konzepten inhärent sind, wie die Diskussion <strong>de</strong>r „I-methodology“ in<br />

Kapitel 4.1. gezeigt hat.<br />

Ein zweiter Kritikpunkt an <strong>de</strong>r ersten De-Gen<strong>de</strong>ring-Strategie bezieht sich theoretisch<br />

auf die Reichweite <strong>de</strong>r vorgeschlagenen De-Gen<strong>de</strong>ring-Metho<strong>de</strong>. Zum Beispiel<br />

vermag das „User-Centered Design“ die Problem<strong>de</strong>finition, Funktionalität und NutzerInnenführung<br />

<strong>einer</strong> Technologie besser an die NutzerInnen anzupassen als herkömmliche<br />

Vorgehensweisen <strong>de</strong>r Software-Entwicklung. Doch besitzt <strong>de</strong>r Ansatz nur ein<br />

beschränktes gesellschafts-, geschlechts- und wissenschafts<strong>kritisch</strong>es Potential. So<br />

wird etwa davon ausgegangen, dass Technologie für <strong>de</strong>n gewählten Kontext eine<br />

Lösung darstellt. Die Problem<strong>de</strong>finition selbst, die <strong>de</strong>r technischen Gestaltung vorausgeht,<br />

wird bei dieser Metho<strong>de</strong> nicht mit in Frage gestellt. Ferner erscheint es aufgrund<br />

<strong>de</strong>r empirischen Bezugnahme auf die NutzerInnen eher unwahrscheinlich, dass durch<br />

<strong>de</strong>n Technikgestaltungsprozess eine Dekonstruktion von Geschlecht bzw. <strong>de</strong>s<br />

Zweigeschlechtlichkeitssystems erreicht wer<strong>de</strong>n kann. Selbst wenn Personen als TestnutzerInnen<br />

ausgewählt wer<strong>de</strong>n sollten, die sich als queer verstehen, bedarf es <strong>einer</strong><br />

gegenüber <strong>de</strong>r Zweigeschlechtlichkeit <strong>kritisch</strong>en Perspektive im gesamten Entwicklungsprozess,<br />

damit möglichst keine Alltagsannahmen über Frauen und Männer und<br />

damit verbun<strong>de</strong>ne hierarchische Verhältnisse in <strong>de</strong>n Artefakten vergegenständlicht<br />

wer<strong>de</strong>n. Dies ver<strong>de</strong>utlicht, dass an einem De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozess Geschlechterwissenschaftlerinnen<br />

stets beteiligt sein sollten. Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass<br />

„User Centered Design“ mit seinen empirischen Metho<strong>de</strong>n auf einem Objektivitätsverständnis<br />

grün<strong>de</strong>t, das aus <strong>de</strong>n meisten Perspektiven feministischer Epistemologie<br />

fragwürdig erscheint. In dieser Hinsicht besteht weiterer Forschungsbedarf, inwieweit<br />

die Metho<strong>de</strong> mit einem Verständnis <strong>de</strong>r Ko-Konstruktion von NutzerInnen,<br />

GestalterInnen und Produkt sowie <strong>de</strong>r von Technik und Geschlecht theoretisch fundiert<br />

wer<strong>de</strong>n kann.<br />

b) Partizipative Verfahren, die zum zweiten De-Gen<strong>de</strong>ring-Ziel, nämlich Gleichheit<br />

herzustellen, beitragen, grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mgegenüber auf einem <strong>de</strong>zidiert gesellschafts<strong>kritisch</strong>en<br />

Ansatz und bekommen <strong>de</strong>shalb Ungleichheitsstrukturen – z.B. die geschlechtskonstituieren<strong>de</strong><br />

Arbeitsteilung – besser in <strong>de</strong>n Blick. Die Erfahrung zeigt<br />

jedoch, dass diese Metho<strong>de</strong>n von politisch Engagierten eingesetzt wer<strong>de</strong>n müssen, um<br />

<strong>de</strong>m politischen Anspruch auch gerecht wer<strong>de</strong>n zu können. Die Metho<strong>de</strong>n an sich<br />

führen noch nicht zum angestrebten Empowerment <strong>de</strong>r strukturell Benachteiligten.<br />

Ferner kann am „Participatory Design“-Ansatz kritisiert wer<strong>de</strong>n, dass er technik<strong>de</strong>terministisch<br />

argumentiert (vgl. Kapitel 3.1.), da emanzipatorische Ziele in Technologie<br />

eingeschrieben wer<strong>de</strong>n sollen. Er setzt eine Korrespon<strong>de</strong>nz zwischen <strong>de</strong>r Intention <strong>de</strong>r<br />

TechnikgestalterInnen und <strong>de</strong>n Wirkungen <strong>de</strong>r Technologie im Gebrauch voraus, die<br />

von vielen Studien <strong>de</strong>r sozialwissenschaftlichen Technikforschung wi<strong>de</strong>rlegt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz zeigen viele Fallbeispiele, dass sich Technologien für <strong>de</strong>n Bereich von<br />

Erwerbsarbeit mit Hilfe <strong>de</strong>s „Participatory Design“ so konstruieren lassen, dass sie für<br />

313


die NutzerInnen sinnvolle Werkzeug zur Verfügung stellen, mit <strong>de</strong>m jene ihre Aufgaben<br />

besser, leichter und effektiver erledigen und ihre betriebshierarchische Stellung und<br />

Kompetenz verbessern können. 393<br />

Kritisch zu hinterfragen sind speziell die Strategien <strong>de</strong>r Aufwertung und Sichtbarmachung<br />

weiblich konnotierter Tätigkeiten, Kompetenzen, Eigenschaften etc., die bei<br />

einem De-Gen<strong>de</strong>ring mittels partizipativer Metho<strong>de</strong>n häufig verfolgt wer<strong>de</strong>n. Denn<br />

diese laufen <strong>einer</strong>seits Gefahr, Geschlecht erneut festzuschreiben. An<strong>de</strong>rerseits ist das<br />

Sichtbarmachen „unsichtbarer Arbeit“ aus <strong>einer</strong> gesellschafts<strong>kritisch</strong>en Perspektive<br />

ambivalent zu beurteilen, da es <strong>de</strong>m Management bessere Möglichkeiten <strong>de</strong>r Kontrolle<br />

über die Beschäftigten an die Hand gibt (vgl. hierzu 4.2.3.). Diese Problematik ist ein<br />

unvermeidbares politisches Dilemma und kann nur konkret gelöst wer<strong>de</strong>n.<br />

c) Beschränkungen <strong>de</strong>r zur Dekonstruktion von Geschlecht vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n,<br />

die geschlechtsnormalisieren<strong>de</strong>n menschenähnlichen Repräsentationen entgegenwirken<br />

sollen, bestehen in <strong>de</strong>r Reichweite ihrer möglichen Anwendung. Denn sie<br />

zielen primär auf eine Gestaltung <strong>de</strong>s Interface zwischen Mensch und Maschine, welche<br />

<strong>de</strong>n NutzerInnen umfassen<strong>de</strong> Erfahrungen, Spaß und Spiel ermöglichen soll.<br />

Inwiefern methodische Ansätze zur Dekonstruktion von Geschlecht NutzerInnen auch<br />

bei ihren Arbeitsaufgaben und weiteren zu lösen<strong>de</strong>n Problemen unterstützen können,<br />

ist dagegen fragwürdig (vgl. Kapitel 5.4.). Hier bedarf es <strong>de</strong>r Entwicklung weiterer<br />

Metho<strong>de</strong>n. Doch selbst bei Technologien wie Avataren, Agenten und Spielfiguren kann<br />

das Ziel <strong>de</strong>r Dekonstruktion von Geschlecht durch für bestimmte NutzerInnen ungewöhnliche<br />

(geschlechtliche) Erfahrungen o<strong>de</strong>r die Reflektion <strong>de</strong>s bestehen<strong>de</strong>n Zweigeschlechtlichkeitssystems<br />

mit an<strong>de</strong>ren, zuvor bereits festgelegten Gestaltungszielen in<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch geraten. Sie können beispielsweise im Fall anthropomorpher Softwareagenten<br />

<strong>de</strong>r intendierten Funktionalität (z.B. Informationsdarstellung, Verkaufsberatung,<br />

Lernunterstützung) entgegenstehen. Für solche Zielkonflikte sind geeignete Vorgehensweisen<br />

zu entwickeln. Ein <strong>de</strong>mgegenüber grundsätzlicheres Problem ist, dass<br />

auch das De-Gen<strong>de</strong>ring-Ziel <strong>de</strong>r Vervielfältigung und Verunein<strong>de</strong>utigung <strong>de</strong>s<br />

Geschlechts <strong>de</strong>r virtuellen Figuren an sich aus <strong>einer</strong> gesellschafts<strong>kritisch</strong>en Perspektive<br />

als neoliberale Flexibilisierungsstrategie in Frage gestellt wer<strong>de</strong>n kann (vgl. hierzu<br />

etwa Engel 2002).<br />

d) Auch bei <strong>de</strong>n spezifischen, für das De-Gen<strong>de</strong>ring von Vorannahmen, Konzepten<br />

und Grundlagenforschung vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n sind viele <strong>de</strong>r bereits angeführten<br />

Fallstricke und Verkürzungen zu beachten. So wird insbeson<strong>de</strong>re hier das<br />

Argument <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Wirtschaftlichkeit aufgrund zu hohen Aufwands vorgebracht<br />

wer<strong>de</strong>n, die etwa gegen Anwendung <strong>de</strong>s „Mind Scripting“ sprechen könnte. Ebenso<br />

kann <strong>de</strong>r Versuch, durch „Value Sensitive Design“ menschliche Werte bewusst in<br />

Technologie einschreiben zu wollen, aus Perspektive <strong>de</strong>r Wissenschafts- und Technikforschung<br />

als naiv beurteilt wer<strong>de</strong>n. Dagegen erfor<strong>de</strong>rn „Critical Technical Practice“<br />

und intervenieren<strong>de</strong> „Laborstudien“-Forschung ein hohes Maß an interdisziplinärer<br />

Übersetzungsarbeit und wer<strong>de</strong>n trotz<strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Praxis einige <strong>de</strong>r genannten<br />

Problematiken aufwerfen.<br />

393 Auf diese Kritik, die am gesamten De-Gen<strong>de</strong>ring-Programm geübt wer<strong>de</strong>n kann, wer<strong>de</strong> ich weiter unten<br />

noch zurückkommen.<br />

314


Grenzen in Bezug auf diese Kategorie von De-Gen<strong>de</strong>ring-Metho<strong>de</strong>n bestehen –<br />

ebenso wie bei <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n zur Dekonstruktion von Geschlecht – jedoch bislang<br />

weniger auf <strong>de</strong>r theoretischen Ebene als hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzung. So<br />

basieren die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „Design for Experience“ und <strong>de</strong>s „Reflective Design“, die im<br />

Zusammenhang dieser Arbeit für eine Dekonstruktion von Geschlecht angewandt wer<strong>de</strong>n<br />

sollen, zwar auf <strong>einer</strong> konstruktivistischen Epistemologie. Sie verknüpfen Technikgestaltung<br />

mit Gesellschaftstheorie und sind prinzipiell offen für feministische Theorie<br />

und Geschlechterforschung. Jedoch wur<strong>de</strong>n sie bisher noch nicht als De-Gen<strong>de</strong>ring-<br />

Metho<strong>de</strong>n eingesetzt. Erst die Erprobung und empirische Evaluation dieser Vorgehensweisen<br />

wird zeigen, ob sie zur erfolgreichen Dekonstruktion von Geschlecht bei <strong>de</strong>n<br />

betrachteten Artefakten beitragen können o<strong>de</strong>r ob vom Ziel <strong>de</strong>r „Menschenähnlichkeit“<br />

<strong>de</strong>r virtuellen Figuren – wie beim „Un<strong>de</strong>r<strong>de</strong>termined Design“ – prinzipiell abgerückt<br />

wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Ähnliches gilt für die Metho<strong>de</strong>n zur Rekontextualisierung und Reflektion von Formalismen,<br />

zur Dekonstruktion von Dichotomien und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r technologischen Konstruktion<br />

vorausgehen<strong>de</strong>n ontologischen sowie epistemologischen Setzungen. Hier liegen bis<br />

dato kaum Erfahrungswerte für <strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>n zum Zweck <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

vor. Zwar konnten immerhin für sämtliche Problematiken <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung,<br />

die anhand von Fallbeispielen in Kapitel 4.3. veranschaulicht wur<strong>de</strong>n, methodische<br />

Vorschläge gemacht wer<strong>de</strong>n. Dennoch besteht gera<strong>de</strong> auf dieser Ebene weiterhin<br />

ein großer Forschungsbedarf. Denn manche dieser vorgeschlagenen methodischen<br />

Konzepte wur<strong>de</strong>n zunächst für das De-Gen<strong>de</strong>ring von Anwendungstechnologien<br />

entwickelt und müssen für die Rekontextualisierung, Reflektion und Revision von<br />

Grundlagen und Grundlagenforschung noch erprobt wor<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>re sind auf Basis<br />

allgem<strong>einer</strong> gesellschafts<strong>kritisch</strong>er Theorien formuliert wor<strong>de</strong>n und müssen für das Ziel<br />

<strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring angepasst wer<strong>de</strong>n. Ob sich die methodischen Konzepte in <strong>de</strong>r Praxis<br />

bewähren, muss <strong>de</strong>shalb in Zukunft noch nachgewiesen wer<strong>de</strong>n. Dabei ist insbeson<strong>de</strong>re<br />

fraglich, inwieweit sich wissenschaftstheoretische Grundverständnisse in <strong>de</strong>r<br />

Informatik, die letztlich die Wurzel vieler Vergeschlechtlichungsprozesse auf <strong>de</strong>r<br />

ontologischen Ebene darstellen, mit solchen methodischen Konzepten nachhaltig<br />

verän<strong>de</strong>rn lassen.<br />

Es besteht gera<strong>de</strong> in dieser Hinsicht die Notwendigkeit, feministisch-<strong>kritisch</strong> einzugreifen.<br />

Denn <strong>einer</strong>seits gewinnen Informationstechnologien, die wie das Semantic<br />

Web und formale Ontologien Ordnungen <strong>de</strong>s Wissens herstellen, die mit sozialen Ordnungen<br />

korrelieren und diese aufrechterhalten, in <strong>de</strong>r gegenwärtigen Informations-<br />

bzw. Wissensgesellschaft kontinuierlich an Relevanz. An<strong>de</strong>rerseits wer<strong>de</strong>n immer<br />

mehr Technologien mit Elementen <strong>de</strong>r Künstlichen Intelligenz-Forschung ausgestattet,<br />

in die Annahmen über „<strong>de</strong>n Menschen“ und damit über Geschlecht eingehen. Der Vergeschlechtlichung<br />

solcher informatischen Artefake kann jedoch nur dadurch entgegengearbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn die Verschränkung darin eingehen<strong>de</strong>r ontologischer Setzungen<br />

mit epistemologischen Annahmen reflektiert und zur Grundlage <strong>einer</strong> systematischen,<br />

feministisch-<strong>kritisch</strong>en Gestaltung gemacht wird. Die vorgelegten ersten<br />

Konzepte zu diesem herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Vorhaben wer<strong>de</strong>n in Zukunft allerdings noch<br />

weiterentwickelt und ausgebaut wer<strong>de</strong>n müssen. Ein innerhalb <strong>de</strong>r Informatik<br />

angesie<strong>de</strong>ltes „De-Gen<strong>de</strong>ring-Lab“ wäre ein geeigneter Rahmen, um die einzelnen<br />

315


Metho<strong>de</strong>n, aber auch die Gesamt-Vorgehensweise anhand aktuell zu gestalten<strong>de</strong>r<br />

Technologien zu überprüfen, zu verf<strong>einer</strong>n und zu ergänzen.<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring als „Design für lebbare Welten“<br />

Abschließend möchte ich <strong>de</strong>n in dieser Arbeit vorgelegten konzeptuellen Gesamt-<br />

Vorschlag – ungeachtet <strong>de</strong>r noch ausstehen<strong>de</strong>n empirisch-praktischen Überprüfung –<br />

an die anfangs vorgestellten theoretischen Überlegungen zurückbin<strong>de</strong>n und sie in <strong>de</strong>n<br />

Kontext aktueller Geschlechterforschungsansätze stellen. Um etwaigen Missverständnissen<br />

vorzubeugen, möchte ich betonen, dass sich das „De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte“ auch in Bezug auf die generelle Intention, <strong>de</strong>r Vergeschlechtlichung <strong>informatischer</strong><br />

Artefakte entgegenzuwirken, nicht auf die im vorangegangen Kapitel dargestellten<br />

methodischen Konzepte beschränken und damit unabhängig von <strong>de</strong>m in Kapitel 3<br />

entwickelten theoretischen Verständnis <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

verstehen und nutzen lässt. Vielmehr erfor<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Ansatz eine permanente Metho<strong>de</strong>nreflektion.<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring ist we<strong>de</strong>r eine absichtsvolle Einschreibung „positiver“<br />

Geschlechtsvorstellungen in Technologie noch ein Prozess <strong>de</strong>r Neutralisierung von<br />

Geschlecht. Vor allem aber sollte die Methodik nicht formalistisch als Rezeptur verstan<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n, die – wird sie nur richtig angewen<strong>de</strong>t – automatisch zum gewünschten<br />

De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte führen wird.<br />

Zum einen können die vorgestellten Metho<strong>de</strong>n stets auch in <strong>einer</strong> hier nicht<br />

intendierten Weise eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Metho<strong>de</strong>n „an sich“ können von verschie<strong>de</strong>nen<br />

Seiten vereinnahmt wer<strong>de</strong>n. So berichtete etwa die Softwaretechnikerin Fanny-Michaela<br />

Reisin bereits 1988, dass ein von ihr mitentwickeltes partizipatives Projektmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r<br />

Softwaretechnik 394 , „in Entwicklungsprojekten zur Anwendung kommt, in <strong>de</strong>nen Ziele<br />

verfolgt wer<strong>de</strong>n, die unserem Anliegen [<strong>de</strong>r humanen Technikgestaltung, C.B.] entgegenstehen“<br />

(Reisin 1988, 114). Sie resümiert, dass es nicht möglich sei, sich vor einem<br />

solchen zweckentfrem<strong>de</strong>ten Einsatz zu schützen: „Ich bin mir darüber bewusst, dass<br />

wir uns nicht in einem herrschaftsfreien Raum bewegen. Die gesellschaftspolitisch<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage ist, welche Stellung wir hierin einnehmen, mit wem wir uns<br />

verbün<strong>de</strong>n und zu welchem Zweck wir Softwaresysteme entwickeln. Die Beschäftigung<br />

mit methodischen Ansätzen […] gibt darauf keine Antwort“ (ebd.).<br />

Zum Zweiten bietet das hier vorgeschlagene methodische Vorgehen zwar ein<br />

schrittweises Arbeiten sowohl in seinem Rahmenansatz als auch in Bezug auf die<br />

einzelnen methodischen Konzepte. Jedoch bestimmen diese Schritte die Technologiegestaltung<br />

nicht vollständig, son<strong>de</strong>rn geben nur Richtungen vor. Es wäre auch falsch<br />

anzunehmen, die Ziele expliziter bestimmen zu können: Denn ausgehend von <strong>de</strong>m<br />

Konzept <strong>de</strong>r performativen Ko-Materialisierung von Technik und Geschlecht (vgl.<br />

Kapitel 3.8.) können die vorgeschlagenen Metho<strong>de</strong>n immer nur kleine Verschiebungen<br />

in <strong>de</strong>n Artefakten gegenüber <strong>de</strong>m <strong>de</strong>rzeit Bestehen<strong>de</strong>n, gegenüber <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Vergeschlechtlichung erzielen. Das Produkt <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses ist<br />

wie<strong>de</strong>rum zwangläufig in <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Re-Signifikation von Geschlecht durch die<br />

GestalterInnen und die NutzerInnen <strong>de</strong>r Technologie eingebun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren Interpretationsrahmen<br />

nicht revolutioniert o<strong>de</strong>r gar komplett gesprengt wer<strong>de</strong>n kann. Vielmehr<br />

394 Die Re<strong>de</strong> ist von <strong>de</strong>m methodischen Ansatz STEPS (Softwaretechnik für Evolutionäre Partizipative<br />

Systementwicklung), <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n 1980er Jahren unter <strong>de</strong>r Leitung von Prof. Christiane Floyd an <strong>de</strong>r TU<br />

Berlin entwickelt wur<strong>de</strong>.<br />

316


wer<strong>de</strong>n die an <strong>de</strong>r Herstellung und Nutzung von Technologie Beteiligten die Kategorie<br />

Geschlecht stets auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r ihnen bisher verfügbaren Zeichen und Muster<br />

<strong>de</strong>uten, die zu<strong>de</strong>m in ihrer jeweiligen Zeit, Gesellschaft, Lebenswelt etc. verankert sind.<br />

Deshalb for<strong>de</strong>rt die hier vorgeschlagene Methodik dazu auf, eine <strong>de</strong>taillierte Analyse<br />

möglicher Vergeschlechtlichungen vorzunehmen und auf dieser Basis ein explizites<br />

Ziel <strong>de</strong>s De-Gen<strong>de</strong>ring-Prozesses festzulegen, das in <strong>de</strong>r Berücksichtigung von Differenz,<br />

<strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>s Gleichheitsanspruchs o<strong>de</strong>r <strong>einer</strong> De-Konstruktion von<br />

Geschlecht bestehen kann (vgl. Kapitel 5.1.). Im konkreten Fall bleibt Technologiegestaltung<br />

auf Basis <strong>de</strong>r vorgeschlagenen Methodik jedoch ein offener Prozess, <strong>de</strong>r<br />

Raum für Interpretationen und Ausgestaltung lässt, wenngleich diese auch nicht<br />

beliebig sind.<br />

Zum Dritten gibt „De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte“ <strong>de</strong>r technischen<br />

Gestaltung eine prinzipielle Richtung vor. Generell wer<strong>de</strong>n „<strong>de</strong>-gen<strong>de</strong>red technologies“<br />

als normatives Ziel gesetzt. Eine solche für die Konstruktion von Technologie notwendige<br />

Setzung von Nicht-Geschlechternormen, ist jedoch – wie Butler betont – stets<br />

ambivalent, <strong>de</strong>nn Normativität hat eine doppelte Be<strong>de</strong>utung: „Einerseits verweist sie<br />

auf die Ziele und Bestrebungen, die uns leiten, die Prinzipien, nach <strong>de</strong>nen wir gezwungen<br />

sind, zu han<strong>de</strong>ln o<strong>de</strong>r miteinan<strong>de</strong>r zu sprechen, die gemeinsam geteilten Vorannahmen,<br />

von <strong>de</strong>nen wir Orientierung erhalten und die unseren Handlungen die Richtung<br />

weisen. An<strong>de</strong>rerseits verweist Normativität auf <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Normalisierung,<br />

die Art, wie bestimmte Normen, I<strong>de</strong>en und I<strong>de</strong>ale unser verkörpertes Leben im Griff<br />

haben, zwingen<strong>de</strong> Kriterien liefern für normale ‚Männer‘ und ‚Frauen‘. Und in diesem<br />

zweiten Sinne erkennen wir, dass Normen das sind, was das ‚intelligible‘ Leben,<br />

‚wirkliche‘ Männer und ,wirkliche’ Frauen beherrscht. Und dass unklar ist, ob wir noch<br />

leben o<strong>de</strong>r leben sollten, ob unser Leben wertvoll ist o<strong>de</strong>r wertvoll gemacht war<strong>de</strong>n<br />

kann, ob unser Gen<strong>de</strong>r wirklich ist o<strong>de</strong>r jemals als wirklich betrachtet wer<strong>de</strong>n kann,<br />

wenn wir uns diesen Normen wi<strong>de</strong>rsetzen. (Butler 2011 [2004], 227f).<br />

Wir können somit we<strong>de</strong>r ohne Geschlechternormen leben, noch können wir sie so<br />

akzeptieren, wie sie sind. Dieses Paradox spitzt sich zu, wenn es darum geht,<br />

Technologien zu gestalten, <strong>de</strong>nn die Konzeption und Konstruktion <strong>informatischer</strong> Artefakte<br />

ist nur auf <strong>de</strong>r Grundlage expliziter Setzungen möglich. Butler sucht einen<br />

Ausweg aus diesem Problem, in<strong>de</strong>m sie „lebenswerte Leben“ einfor<strong>de</strong>rt (Butler 2011<br />

[2004]). Mit Haraway, die eine Konstruktion „lebbarer bzw. bewohnbarer Welten“<br />

(livable worlds) (Haraway 1995g [1994], 137) anstrebt, ließe sich diese I<strong>de</strong>e auf eine<br />

Weise auf die Technologiegestaltung übertragen, in <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Technologiegestaltung<br />

als politisch begriffen wer<strong>de</strong>n. Das heißt, „lebbare bzw. bewohnbare<br />

Welten“ herzustellen und technisch zu unterstützen, die für alle Beteiligten „lebenswerte<br />

Leben“ ermöglichen. Was das jedoch im Einzelfall be<strong>de</strong>utet und welche Politik,<br />

Theorie und Methodik wir brauchen, um lebbare Leben und lebbare Welten theoretisch<br />

zu fassen und praktisch aufzubauen, ist letztlich ein vorerst offener politischer<br />

Aushandlungsprozess:<br />

„Es wird immer Meinungsverschie<strong>de</strong>nheiten darüber geben, was das be<strong>de</strong>utet, und<br />

diejenigen, die behaupten, wegen dieser Verpflichtung sei die Einigung auf eine<br />

einzige politische Linie notwendig, irren sich. Aber nur <strong>de</strong>shalb, weil zu leben be<strong>de</strong>utet,<br />

ein Leben politisch zu leben, im Verhältnis zur Macht, im Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren, in <strong>de</strong>r<br />

Übernahme von Verantwortung für eine kollektive Zukunft. Doch Verantwortung für die<br />

317


Zukunft zu übernehmen heißt nicht, im Voraus zu wissen, welche Richtung sie nehmen<br />

wird, die Zukunft und insbeson<strong>de</strong>re die Zukunft mit an<strong>de</strong>ren und für an<strong>de</strong>re eine<br />

gewisse Offeneheit und Unwissenheit verlangt.“ (Butler 2011 [2004], 358)<br />

In diesem Sinne bezieht „De-Gen<strong>de</strong>ring <strong>informatischer</strong> Artefakte“ bewusst keine<br />

Position in <strong>de</strong>r Frage, welche konkrete geschlechterpolitische Strategie bei <strong>de</strong>r<br />

Technologiegestaltung in <strong>de</strong>r Informatik zu verfolgen sei, und plädiert statt<strong>de</strong>ssen für<br />

ein problemorientiertes, situiertes Vorgehen: Im Fall drohen<strong>de</strong>n Ausschlusses bestimmter<br />

NutzerInnen tritt <strong>de</strong>r Ansatz für die Anerkennung von Differenzen ein. Läuft<br />

eine Technologie dagegen Gefahr, die strukturell-symbolische Geschlechterhierarchie<br />

zu reproduzieren, so for<strong>de</strong>rt er Gleichheit zwischen Frauen und Männern ein. Besteht<br />

die Ten<strong>de</strong>nz geschlechternormativer Wirkungen von Technologien, setzt sich De-Gen<strong>de</strong>ring<br />

<strong>informatischer</strong> Artefakte für eine Dekonstruktion von Geschlecht in und durch<br />

Technologien ein. Die größte Herausfor<strong>de</strong>rung besteht jedoch darin, das Potential <strong>de</strong>s<br />

theoretischen Zugangs dieser Arbeit, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Konzepte „posthumanistischer<br />

Performativität“ (Barad) und „Rahmenerweitung“ (Suchman) auszuschöpfen, um in <strong>de</strong>r<br />

Technologiegestaltung und <strong>de</strong>n Grundlagen <strong>de</strong>r Informatik feministisch-<strong>kritisch</strong> zu<br />

intervenieren. Dazu sind nicht nur weitergehen<strong>de</strong> Metho<strong>de</strong>n notwendig, son<strong>de</strong>rn eine<br />

radikal interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen GeschlechterforscherInnen,<br />

TechnikforscherInnen und InformatikerInnen, welche die Grenzen zwischen <strong>de</strong>n<br />

Fächern unterminiert bzw. überschreitet.<br />

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368


Mein beson<strong>de</strong>rer Dank gilt<br />

Danksagung<br />

� meinen bei<strong>de</strong>n Betreuerinnen Prof. Dr. Susanne Maaß und Prof. Dr. Heidi Schelhowe für<br />

ihre Unterstützung und Geduld<br />

� Angelika Saupe, Bettina Bock von Wülfingen und Susanne Lettow für Kommentare und<br />

Diskussionen zu wesentlichen Teilen <strong>de</strong>r Arbeit<br />

� Bettina Törpel für intensive regelmäßige Diskussionen über Participatory Design<br />

� Adrian <strong>de</strong> Silva, Barbara Moldt, Carola Schirmer, Ilona Weinreich, Tanja Paulitz und<br />

Torsten Wöllmann für Anmerkungen und Korrekturen zu einzelnen Kapiteln<br />

� Martina Erlemann für Diskussionen über die sozialwissenschaftliche Wissenschafts- und<br />

Technikforschung<br />

� Bianca Prietl für ihre prompte Bereitschaft, mich in <strong>de</strong>r Endphase insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>r<br />

Erstellung <strong>de</strong>s Literaturverzeichnisses, bei Korrekturen und letzten Än<strong>de</strong>rungen zu<br />

unterstützen<br />

� Stefan Feitl für die sorgfältige Formatierung und Zusammenführung wi<strong>de</strong>rständiger<br />

Word-Dokumente<br />

� <strong>de</strong>m „Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society“ (IAS-STS)<br />

Graz für ein siebenmonatiges Stipendium, einen angenehmen Arbeitsplatz und eine<br />

inspirieren<strong>de</strong> Arbeitsatmosphäre<br />

� <strong>de</strong>m Centrum für Sozialforschung <strong>de</strong>r Karl-Franzens-Universität Graz für die freundlich<br />

Aufnahme als Gastwissenschaftlerin<br />

� m<strong>einer</strong> Schwester Heidi Canditt und meinem Schwager Peter Canditt sowie allen<br />

FreundInnen für ihre liebevolle Unterstützung auf <strong>de</strong>n vielfältigsten Ebenen, die für die<br />

Erstellung <strong>einer</strong> Dissertation erfor<strong>de</strong>rlich sind.<br />

Diese Arbeit hätte jedoch ohne Arbeitsgruppen, Netzwerke und weitere Diskussionszusammenhänge<br />

nicht entstehen können. Danken möchte ich in dieser Hinsicht speziell<br />

� Prof. Dr. Dirk Siefkes und s<strong>einer</strong> Arbeitsgruppe (1993-1995), die mir zeigten, dass die<br />

Informatik eine Disziplin ist, in <strong>de</strong>r die Reflektion <strong>de</strong>r eigenen Geschichte, <strong>de</strong>r Grundlagen<br />

und wissenschaftstheoretischen Annahmen – im Gegensatz zu meinem Studienfach<br />

Mathematik – einen Platz hat<br />

� <strong>de</strong>n Teilnehmerinnen <strong>de</strong>r Kongresse von Frauen in Naturwissenschaft und Technik<br />

(1987-2006) sowie <strong>de</strong>n Mitfrauen <strong>de</strong>s gleichnamigen Vereins (1994-2009), unter <strong>de</strong>nen<br />

ich Gleichgesinnte fand<br />

� <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Arbeitskreises feministische Naturwissenschaftsforschung und -kritik<br />

(1994-2003), die mich wesentlich darin unterstützt haben, zu wagen, einen Weg<br />

„zwischen“ <strong>de</strong>n Disziplinen und wissenschaftlichen Fachkulturen zu gehen<br />

369


� <strong>de</strong>n KollegInnen am Studiengang Informatik <strong>de</strong>r Universität Bremen (1998-2003), die mir<br />

zeigten, dass und wie Informatik <strong>kritisch</strong> betrieben wer<strong>de</strong>n kann<br />

� <strong>de</strong>r Regionalgruppe Bremen <strong>de</strong>r Fachgruppe „Frauenarbeit und Informatik“ <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft für Informatik e.V. (1998-2009), die mich in (vor allem auch in die lokalen)<br />

Traditionen feministischer Ansätze in <strong>de</strong>r Informatik eingeführt und mich fachlich wie<br />

strukturell stets beraten und unterstützt haben<br />

� <strong>de</strong>m Projekt feministische Theorien im Nordverbund (ProfeTiN) (1999-2005), in <strong>de</strong>m ich<br />

lernte, traditionelle Grenzen zwischen <strong>de</strong>n Wissenschaften radikal zu überschreiten<br />

� <strong>de</strong>n Studieren<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r von mir angebotenen Lehrveranstaltungen (1993-2007), von<br />

<strong>de</strong>nen ich viel über ihre Motivation für und ihre Sichtweisen auf die Informatik gelernt<br />

habe<br />

� <strong>de</strong>n TeilnehmerInnen vieler einschlägiger Tagungen und <strong>de</strong>n ZuhörerInnen m<strong>einer</strong><br />

Vorträge, die mir oft sehr wesentliche Impulse gegeben haben, wie ich mein Denken<br />

weiter entwickeln kann.<br />

370

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