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KoBo - Gemeinde Bonstetten

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Forum <strong>KoBo</strong>Ein Haus in Madrid und PompejiVor bald einem halben Jahrhundertwar ein junger Mann zumersten Mal für längere Zeit imSüden Italiens, dem Mezzogiorno,der damals noch ärmer warals heute. Seinen Reisebericht,der ein dickes Buch füllen würde,habe ich im Estrich eines Hausesin Madrid gefunden, das vor einpaar Jahren abgerissen wurdeund an dessen Stelle nun dieGlitzerfassaden zweier Hochhäuserprangen, die sich gegenseitigineinander spiegeln. Der folgendeText ist ein Auszug aus diesemDokument und aus dem Spanischenübersetzt.Auszug aus dem Tagebuch von Jorge Viejo«Neapel sehen und sterben. Dasitzen undPhrasen in die Luft dreschen, einanderden Kopf füllen mit Floskeln, die trotzdemaufgehen wie Hefe im Teig. Mitnichtssagenden Zusätzen werden Gehirneaufgetrieben, Schallblasen schwebenim Raum und zerbrechliche Schalenstehen herum. Warum gibt es keine Universitätdes Schweigens? Wo man nur gestalterischkommuniziert, über den Tastsinnund über Gerüche. Vor drei Jahrengrassierte hier die Cholera und noch immerliegen überall Dreck und Abfall herum.Eine Frau streicht durch die Strassenmit drei Marlboro-Packungen, einMann hat Socken über den Kühler seinesAutos gespannt und bietet sie feil, Gepäckträgerjagen einander die Kunden abund verlangen 1000 Lire für 3 MinutenInanspruchnahme. Der Lärm tötet alles,die Abgase lassen keine anderen Gerüchezu, Fussballfans sind überall. Ein ruchlosesSpannungsfeld menschlicher, irdischerLeidenschaften in dieser Stadt am Fussedes Vesuvs. In den nussbraunen traurigenSpiegelaugen des aufgescheuchten Mädchensim Zug nach Pompeji ahnt mandas Leid und die Aussichtslosigkeit einesvierjährigen Lebens. Daneben wirkt derVesuv harmlos und alles andere als imposant.Dann taucht man in die römischeStadt – und fühlt sich als Römer, lässt sichtreiben im geschäftigen Hin und Her,hört und sieht, wie die Menschen feilschen,handeln, einkaufen, wählen, richten,kochen, baden, wohnen, den Ochsenkarrenund Fuhrwerken ausweichen.Die Wohlhabenden hatten besondersausgefallene Ideen, die sie auch in die TatSpiegelfassaden in Madrid. (Bild: Jürg Casanova)umsetzten, etwa jener Isis-Priester, der inseinem Garten Nilüberschwemmungensimulierte, oder das Haus der GebrüderVettii, die einen Innenhof mit Wasserbeckenbestückten und die Räume mit erotischenMosaiken schmückten, die nichtnur nach einem Essen im Speisesaal anregendwirken. Der Tod fiel 79 v. Chr.über die Stadt her so plötzlich, dass dieMenschen in alltäglichsten Situationenüberrascht wurden, die Ascheschicht, dienach dem Ausbruch nach und nach dieStadt zudeckte, war am Ende 7 m hochund konservierte das damalige Lebenquasi in Echtzeit. 1700 Jahre waren dievielfältigen Szenen angehalten worden,bis sie in diesem Jahrhundert wieder ausgegrabenwurden – die Tragödie dieserMenschen wurde zu einem Glücksfallfür die Geschichtsschreibung. Ich stehevor dem Glaskasten mit der jungen Frau,die ihr Antlitz in der Armbeuge verbargangesichts der zürnenden Götter und aufihr Ende wartete. Der Vesuv scheint weitweg, aber so kann man sich täuschen.Auf dem Fischmarkt findet man atmendePolypen in seichten Schalen, dasMesser des Fischverkäufers, das übereinen Fisch zieht, dass die Schuppenschwirren wie bengalische Lichter. Dreigekonnte, saubere Schnitte und die innerenOrgane fliegen aufs Pflaster, wo nichtmal die Hunde sie beachten. Schüsselweisetote Leben, fein säuberlich seziert.Salzgeruch, Algengeruch, Meergeruch,Fischgeruch, Todesgeruch. Einige atmennoch den Geruch ihres kommendenSterbens. Netze liegen herum, Boote sindhalbwegs an Land gezogen, Mützen liegenauf Holzgestellen, die Männer habendunkle Lederhaut, die Verkäufer preisenihre Ware an, selbstbewusst versuchen sieim allgemeinen Gezeter die Oberhandzu erreichen. Und ganz am Rande desGeschreis steht scheu und still und unsichermit glänzenden fiebrigen Augenein kleiner Junge, der in einem Kistchenaufgereiht einige von Hand gefangeneFischlein anbietet, die die gleichen starrenAugen haben wie die grossen Fischedrüben beim Stand, wo die Menschensich drängen.»<strong>KoBo</strong> 03/10 7

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