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WaKo Wahrnehmung und Kommunikation - Michael Giesecke

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Für Theodor Lipps (Wiesbaden 1901) ist Gefühl das Primäre, Unmittelbare: „dasjenige,<br />

worin ich mich unmittelbar <strong>und</strong> ursprünglich finde, worin ich mich fühle“. Damit<br />

sind Gefühle eng mit dem verb<strong>und</strong>en, was wir selbst sind, also Selbstgefühl. So wie<br />

der Mensch ein Selbstbewußtsein hat, so hat er auch ein Selbstgefühl, ein Gefühl<br />

von sich selbst. Unser Selbstbewußtsein wird, je nach unserer aktuellen Verfassung,<br />

von einem ganz bestimmten Gefühl erfüllt, davon gefärbt. Dieses Gefühl ist ausgesprochen<br />

subjektiv <strong>und</strong> unabhängig vom objektiv auslösenden Reiz beziehungsweise<br />

von der Art des Auslösers. So löst zum Beispiel ein <strong>und</strong> dieselbe Frau bei verschiedenen<br />

Männern jeweils ganz spezifische Gefühle aus. Der eine verliebt sich unsterblich<br />

in sie, der andere findet sie abstoßend, während wieder ein anderer, keinerlei<br />

Gefühle empfindet. Das entstehende Gefühl wird von den gerade vorherrschenden<br />

Vorstellungen bestimmt. Sind diese von Gefühl durchsetzt, sprechen wir von gefühlsbetonten<br />

Vorstellungen.<br />

Nach Wilhelm W<strong>und</strong>ts ‚dreidimensionaler Gefühlstheorie’ sind die gefühlsbetonten<br />

Vorstellungen nach Lust <strong>und</strong> Unlust, Erregung <strong>und</strong> Nichterregung sowie nach Spannung<br />

<strong>und</strong> Lösung definiert, als ‚unvergleichbares Prinzip’, als ‚psychische Kausalität<br />

sui generis’, das heißt als seelische Ursache an sich.<br />

Später haben die Psychologen die gefühlsmäßigen Reaktionen der Menschen experimentell<br />

untersucht <strong>und</strong> dabei bedeutende Einzelbef<strong>und</strong>e erhoben, die uns jedoch in<br />

unserem Zusammenhang keine sinnvollen Informationen in Richtung auf eine bessere<br />

Fähigkeit zu leben vermitteln <strong>und</strong> uns somit keinen Schritt weiterbringen. Der<br />

experimentelle Zugang verstellt uns vielmehr den Blick für das Ganze. Felix Krüger<br />

betont in seinem I928 in Leipzig erschienenen Buch über ‚Das Wesen der Gefühle,<br />

Entwurf einer systematischen Theorie’ die ‚Ganzheit des Erlebens’, seine ‚komplexe<br />

Qualität’, <strong>und</strong> meint, daß „jede Zergliederung, jede Art der Analyse des Erlebnisganzen<br />

(diesem) abträglich“ sei. Felix Krüger spricht von ‚Intensität’, ‚Wucht <strong>und</strong><br />

Tiefe’ der Gefühle. Sie machen den ‚Farben- <strong>und</strong> Gestaltreichtum’ unserer<br />

Erlebnisse aus. Gefühle sind ‚mütterlichen Ursprungs’, ‚Nährboden aller Erlebnisarten’<br />

<strong>und</strong> in ‚ihrem Qualitätenreichtum, ihrer Universalität, Wandelbarkeit <strong>und</strong> Labilität<br />

nicht zu erfassen’.<br />

Gefühle sind ‚Zustände der Seele’, die in ‚Polaritäten’ auf treten. Sie sind entweder<br />

primär seelische Elemente, die sich auf nichts anderes zurückführen lassen, entsprechend<br />

einer ‚Elementartheorie der Gefühle’, oder sie werden sek<strong>und</strong>är von<br />

Reizen mitbestimmt, die von Vorstellungen abhängen. In diesem Sinne ließen sich<br />

Gefühle gemäß der sogenannten ‚Reduktionstheorie’ auf etwas anderes zurückführen.<br />

Diese Alternative zu entscheiden ist in unserem Zusammenhang unwesentlich.<br />

Für jede Gefühlslehre betrachte ich aber folgenden Satz als ausschlaggebend:<br />

‚Gefühle entstehen immer in Beziehung zu anderen Menschen’. Das heißt, modern<br />

ausgedrückt: ‚in einem sozialen Kontext’. Ein Gefühl ist stets, wie sich der russische<br />

Psychologe Rubinstein (Gr<strong>und</strong>lagen der allgemeinen Psychologie, Berlin I973, S.<br />

574) ausdrückt, eine ‚Stellungnahme zur Welt’, das heißt zu ‚dem, was wir erfahren<br />

<strong>und</strong> tun, in Form unmittelbaren Erlebens, sowohl in Abhängigkeit von etwas als auch<br />

in einem Streben nach etwas’. Unseren Gefühlen liegen also immer wechselseitige<br />

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