WaKo Wahrnehmung und Kommunikation - Michael Giesecke
WaKo Wahrnehmung und Kommunikation - Michael Giesecke
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Kapitel 2<br />
Wahrnehmen als Informationsverarbeitung<br />
Referentielle Typologie: Umwelt-, Selbst- <strong>und</strong> Beziehungswahrnehmung<br />
<strong>Wahrnehmung</strong> ist ein überkomplexes Phänomen. Es sind beliebig viele Definitionen<br />
<strong>und</strong> Modellierungen möglich. Man kann sie eingrenzen, indem man<br />
Anwendungsbereiche bestimmt. Wenn man die Funktion der <strong>Wahrnehmung</strong> für die<br />
interpersonelle <strong>Kommunikation</strong> bestimmen will, ist es sinnvoll zunächst zwischen<br />
Umweltwahrnehmung, Selbstwahrnehmung einer Form der <strong>Wahrnehmung</strong> zu<br />
unterscheiden, die die Beziehung zwischen Umweltereignissen oder -objekten <strong>und</strong><br />
der Person des Wahrnehmenden fokussiert. Es handelt sich also um eine Definition,<br />
die von den unterschiedlichen Referenzobjekten der <strong>Wahrnehmung</strong> ausgeht.<br />
Jegliche Face-to-face-<strong>Kommunikation</strong> lebt davon, daß die Kommunikatoren den<br />
Anderen wahrnehmen <strong>und</strong> wahrnehmen, daß sie selbst von diesem wahrgenommen<br />
werden. Letzteres bedeutet immer Beziehungswahrnehmung <strong>und</strong> führt auch zu<br />
relationalen Informationen. Aus der Beobachtung der eigenen Gedanken, Gefühle,<br />
Körpersensationen usf. ergeben sich dann erst intentionale Handlungsimpulse. Die<br />
meisten <strong>Wahrnehmung</strong>stheorien konzentrieren sich entweder auf die<br />
Umweltwahrnehmung oder, wenn es sich um therapeutische Ansätze handelt, dann<br />
stellt man die Selbsterfahrung in den Mittelpunkt. Dabei wird zu wenig unterschieden<br />
zwischen der <strong>Wahrnehmung</strong> der Spannungen zwischen dem Ich <strong>und</strong> der Umwelt<br />
(Beziehungswahrnehmung) <strong>und</strong> dem als abgegrenzt erlebten Selbst. Viele<br />
Emotionen (z.B. Zorn, Haß, Liebe, Furcht, Trauer, Ekel) sind Ergebnis von<br />
Beziehungswahrnehmungen <strong>und</strong> in gewissem Sinne läßt sich in dem relationalen<br />
Bezug überhaupt die Spezifik von Affekten <strong>und</strong> Emotionen sehen. ‚Überraschung’,<br />
die häufig als ‚Basisemotion’ (z.B. von Dreitzel) bezeichnet wird, kann überhaupt nur<br />
dann basal <strong>und</strong> nicht das Produkt vielfältiger abgeleiteter kognitiver Anstrengungen<br />
sein, wenn man eine Unmittelbarkeit von Beziehungswahrnehmungen unterstellt.<br />
Sozialpsychologische Untersuchungen fokussieren ebenfalls schwerpunktmäßig die<br />
Wechselbeziehungen zwischen Fremd- <strong>und</strong> Selbstwahrnehmungen<br />
(‚Einschätzungen’). Andererseits sind alle diese Überlegungen <strong>und</strong><br />
Unterscheidungen letztlich fragwürdig, weil sie alle die komplizierten simultanen <strong>und</strong><br />
sich vielfach überlagernden psychischen, biochemischen <strong>und</strong> neuronalen Prozesse<br />
vereinfachen. Sie rechtfertigen sich dadurch, daß wir eben im Alltag auch zu<br />
derartigen Vereinfachungen greifen müssen.<br />
Eine isolierende Behandlung der drei <strong>Wahrnehmung</strong>sformen empfiehlt sich für die<br />
<strong>Kommunikation</strong>swissenschaft jedenfalls am wenigsten, da dort alle drei Typen der<br />
<strong>Wahrnehmung</strong> zusammenwirken müssen, wenn es denn zur <strong>Kommunikation</strong><br />
kommen soll. Wir starten also mit einem triadischen <strong>Wahrnehmung</strong>sbegriff.<br />
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