<strong>Die</strong> <strong>Rosenburg</strong>109(2) Wiederaufbau der JustizArtikel 4 des Kontrollratsgesetzes Nr. 4 vom 20. Oktober 1945 zur„Umgestaltung des Deutschen Gerichtswesens“ sah vor, dassalle aktiven Mitglieder der NSDAP nicht weiter als Richter oderStaatsanwalt tätig sein durften. 124 Das Problem war jedoch, dassder Wiederaufbau der Justiz ohne die ehemaligen NSDAP-Mitglieder nicht zu verwirklichen war. So lag beispielsweise inHamburg der Anteil der NSDAP-Mitglieder im höheren Justizdienst1945 bei fast 90 %. 125 Soweit Zahlen für andere OLG-Bezirkeveröffentlicht sind, liegt der Anteil der Parteigenossen unter denJustizjuristen in den 1940er Jahren regelmäßig zwischen 80 und90 %. 126 Hinzu kam, dass 1945 sämtliche Gerichte unterbesetzt waren.Bereits im Mai 1940 lag der durchschnittliche Beschäftigungsstandbei ca. zwei Dritteln der vorhandenen Planstellen im richterlichen<strong>Die</strong>nst und sank bis zum Kriegsende auf ca. 40 %, wobei vonden im Krieg als Richter tätigen Juristen etliche bereits pensioniert124Kontrollratsgesetz Nr. 4 Umgestaltung des Deutschen Gerichtswesens vom 20. Oktober1945, Art. 4 (http://www.verfassungen.de/de/de45-49/kr-gesetz4.htm):„Zwecks Durchführung der Umgestaltung des deutschen Gerichtswesens müssenalle früheren Mitglieder der Nazipartei, die sich aktiv für deren Tätigkeit eingesetzthaben, und alle anderen Personen, die an den Strafmethoden des Hitlerregimesdirekten Anteil hatten, ihres Amtes als Richter oder Staatsanwälte enthoben werdenund dürfen nicht zu solchen Ämtern zugelassen werden.“125Rottleuthner (Anm. 3), S. 231. <strong>Die</strong> Mitgliedschaft in der Partei war zwar erst abAugust 1942 eine zwingende Voraussetzung für die Beförderung, jedoch konnteeine aktive politische Betätigung in der Partei oder ihren Gliederungen für eineBeförderung sehr hilfreich sein; dazu Moritz von Köckritz, <strong>Die</strong> deutschen Oberlandesgerichtspräsidentenim Nationalsozialismus (1933–1945), 2011, S. 509 ff. mwN.126Hans-Eckhard Niermann, <strong>Die</strong> Durchsetzung politischer und politisierter Strafjustizim Dritten Reich, Ihre Entwicklung aufgezeigt am Beispiel des OLG-Bezirks Hamm,1995, S. 376 gibt für 1945 die Parteimitgliedschaft der Richter mit 77,6 % unddiejenige der Staatsanwälte mit über 90 % an. Ulrich Hamann, Das OberlandesgerichtCelle im Dritten Reich – Justizverwaltung und Personalwesen, Festschrift zum275jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle, 1986, S. 143, 199 f. kommt aufeine Quote der Parteimitgliedschaft im richterlichen <strong>Die</strong>nst von über 80 %. Unterden Strafrichtern von zehn ausgewählten OLG-Bezirken (Bamberg, Celle, Dresden,Düsseldorf, Frankfurt a.M., Hamburg, Hamm, Köln, München, Nürnberg) waren imJuni 1941 77,65 % Parteimitglieder (1390 von 1790 Strafrichtern; 15 hatten die Mitgliedschaftbeantragt, 298 gehörten der SA, 61 dem NSKK, 18 der SS, 17 der HJ und5 dem NSFK an; 19 waren Fördernde Mitglieder der SS; nicht berücksichtigt sinddabei die Richter an den OLG-Strafsenaten). Dazu Gruchmann (Anm. 22), S. 220. Vgl.weiter von Köckritz (Anm. 125), S. 504 f.; Weinke (Anm. 113), S. 35.
110 <strong>Die</strong> <strong>Rosenburg</strong>waren oder kurz vor Erreichen der Altersgrenze standen. 127Von Konrad Adenauer ist das Sprichwort überliefert, „Man schüttetkein schmutziges Wasser aus, ehe man reines hat.“ 128Richtig ist sicher, dass der Wiederaufbau einer funktionstüchtigenRechtspflege mit den wenigen unbelasteten Juristen kaummöglich gewesen wäre. <strong>Die</strong>ser Umstand entbindet uns aber nichtvon der Frage, welche Folgen die damals weitgehend ungebrocheneFortschreibung von Karrieren für den Rechtsstaat hatte.Doch bevor dieser Frage unter Ziff. (3) nachgegangen wird, ist zunächstauf die Kontinuitätsquote einzugehen, die den Anteil der Justizjuristennach 1945 wiedergibt, die schon vor 1945 eine Stelle in der Justizinne hatten. <strong>Die</strong>se ist durch das DFG-geförderte Projekt von HubertRottleuthner inzwischen für alle OLG-Bezirke und die Bundesgerichteerschlossen: In den OLG-Bezirken lag die Kontinuitätsquote im Jahr1953 im Mittel deutlich über 65 %; beim Bundesgerichtshof war dieQuote mit 73 % noch höher; das Bundesverfassungsgericht hatte eineQuote von lediglich 4,8 %. 129 Noch interessanter sind aber die Zahlengut zehn Jahre später (1964), also fast zwei Jahrzehnte nach dem Krieg.An der Spitze stand nun der Bundesgerichtshof mit einer Quote vonimmer noch über 70 % und auch beim Bundesverfassungsgericht lagdie Quote nun bei 40 %. In den OLG-Bezirken machte sich hingegendie personelle Erneuerung durch jüngere Juristen langsam bemerkbar,so dass es hier zu einem Absinken der Kontinuitätsquote kam. 130Innerhalb der einzelnen OLG-Bezirke war die Kontinuitätsquoteumso höher, je höher die Instanz war, d. h. die Kontinuitätsquotewuchs mit dem Instanzenzug: So waren sämtliche Richter des OLG127Gruchmann (Anm. 22), S. 298 f.128Konrad Adenauer, Wortprotokoll der Sitzung vom 23. September 1950, in: Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland,Bd. 1: Adenauer und die Hohen Kommissare 1949–1951, 1989, S. 238, 245.129Rottleuthner (Anm. 3), S. 67 (Diagramm).130Rottleuthner (Anm. 3), S. 69 (Diagramm).