06Vorhang auf 1189 | Gute Komik – Schlechte Komiksie in ihrer <strong>Theater</strong>gruppe disziplinierteProbenarbeit, gründliches Rollenstudiumund für die Aufführungen festgelegte Rollentexteein. Darüber hinaus setzte sie auffranzösische Autoren wie Molière (1622–1673), dessen Stücke sie in deutscherHochsprache aufführte. In ihrem Strebennach einer Literarisierung des <strong>Theater</strong>sverbannte sie die populäre, komische Jahrmarkts-<strong>Theater</strong>figur«Hans Wurst» symbolischvon der Bühne. «Hans Wurst» wareine derbe, obszöne und körperbetonte<strong>Theater</strong>figur. Seine Hauptthemen warenEssen, Frauen und seine Körperausscheidungen.Seine improvisierten Texte solltendie Handlungen der sogenannten «HauptundStaatsaktionen» auflockern, das Publikumsollte zum Lachen und Schenkelklopfenanimiert werden.Caroline Neubers <strong>Theater</strong>reform setztesich zunächst nur langsam, aber stetigdurch. Der «Hans Wurst» lebte in derAlt-Wiener Volkskomödie noch einigeJahrzehnte als «Kasperl» und «Staberl»weiter. Allerdings schränkten die<strong>Theater</strong>reformen der österreichischenRegenten Maria Theresia (1717–1780)und Josef II. (1741–1790) im Bestreben«ein literarisiertes, vom Staat gesichertesund beaufsichtigtes Nationaltheater alsöffentliche Sittenschule» zu errichten, dieMöglichkeiten der Volkskomödie deutlichein. Im «Hanswurst Streit» wird 1752 dieImprovisation verboten und die Zensureingeführt. Damit wurde die Unterscheidungzwischen guter E-Komik im Sinneeines literarischen <strong>Theater</strong>s und einerminderwertigen, wenn auch populärenU-Komik praktisch manifest. Was für die«Neuberin» noch ein primär ästhetischesAnliegen war, hat inzwischen eine politischeDimension erreicht.Die Komödie als traurige WahrheitIn der Folge der Domestizierung derKomik auf deutschen Bühnen und derzeitgleichen Entstehung einer Bürgerschichtgewinnt das literarische <strong>Theater</strong>Deutungshoheit über das komische <strong>Theater</strong>.Heinrich von Kleists (1777–1811)«Der zerbrochne Krug» gilt als bestesdeutsches Lustspiel der Klassik. Augenscheinlicherfüllt Kleists Lustspiel auchalle Kriterien einer gelungenen Komödie.Das Personal ist weitestgehend von niedrigemStand. Einfache Bauern, die auf denersten Blick dümmlich und tölpelhaft wirken.Man könnte fast von einer ländlichenVolkskomödie sprechen. Sogar der Richterist nur ein Dorfrichter. Noch dazu trägt erZüge eines Hans Wurst. Sein leiblichesWohl, Essen, Trinken und Frauen habenbei ihm oberste Priorität. Aber «Der zerbrochneKrug» ist nicht wirklich komisch,denn der Dorfrichter Adam ist ein Vergewaltiger.Der mutmassliche Vergewaltigervon Eve und der Vergewaltiger des Rechts.Kleist führt die Figuren in eine philosophischeIdentitätskrise. Auf dem Spielsteht nichts weniger als die Unfähigkeitdes Menschen, die Wahrheit zu erkennen.Das Eingeständnis, dass es eine absoluteWahrheit für den Menschen nicht gebenkann. Die Fallhöhe der Figuren ist damitmehr als tragisch. Dass Kleist sein Stückals Lustspiel untertitelte, hat auch mitseiner gesellschaftspolitischen Sprengkraftzu tun. Denn warum soll man sich einerübergeordneten Gerichtsbarkeit unterwerfen,wenn deren Urteile nie objektiv,nie wahrheitsgemäss sind und nicht seinkönnen?Das Lachen der FreiheitMit der Bezeichnung «Lustspiel» fordertKleist sein Publikum gleichsam aufdas Stück mit Distanz und Vernunft zubetrachten. Er folgt darin dem Komödien-Verständnis Friedrich Schillers (1759–1805). Das Ziel der Komödie ist nachSchiller die Freiheit des Individuums,die aus der distanzierten Betrachtungder Dinge entsteht. Das Mittel, mit demdies erreicht wird, ist das Lachen. Dennder Mensch kann nur über etwas lachen,zu dem er einen Abstand hat. FriedrichSchiller erläutert das Ziel der Komödie«ist einerlei dem Höchsten, wonach derMensch zu ringen hat, frei von Leidenschaftzu sein, immer klar, immer ruhigum sich und in sich zu schauen, überallmehr Zufall als Schicksal zu finden undmehr über Ungereimtheit zu lachen alsüber Bosheit zu zürnen oder zu weinen.»«Der zerbrochne Krug» ist also Herrschaftskritik,und mit dieser gesellschaftskritischenDimension eröffnet sich eineweitere Perspektive auf das Wesen vonHumor und Komik auf der Bühne.Im Namen der RoseDas politische Potenzial der Komödiethematisiert auch Umberto Eco in seinemRoman «Der Name der Rose». Darin entwickelter die Theorie, dass der zweite Teilder «Poetik» des Aristoteles, in dem dieserdie Komödie und das Lächerliche behandelt,nicht einfach verloren gegangen
Gute Komik – schlechte Komik | 1189 Vorhang auf 07Thornton Wilders«Bunbury» in derpreisgekröntenInszenierung desBerner StudententheatersBeSt<strong>Theater</strong>tage Aarau2010bild:z-arts.chist, sondern von der katholischen Kircheganz bewusst zurückgehalten und zerstörtwurde. Durch das Lachen und die damiteinhergehende distanzierte Betrachtung– so die Befürchtung der Kirche – emanzipiertsich der Zuschauer einer Komödievon der Herrschaft der Angst. Die Angstaber ist ein wesentlicher Stützpfeiler derMacht aller Mächtigen, nicht nur derKirche. Aus machtpolitischen Interessenist es also notwendig, das öffentliche undgemeinsame Lachen des Publikums, wiees durch das komische <strong>Theater</strong> ermöglichtwird, im Zaum zu halten – sei es durchdas Mittel des Verbots, der Zensur oderdurch die Abwertung des Komischen alsniedere Kunst. Ecos Theorie benenntden zentralen Aspekt. Die Wirkung desGelächters und Funktion des komischen<strong>Theater</strong>s sind grundsätzlich subversiv undmachtkritisch.Komisches <strong>Theater</strong> als politisches <strong>Theater</strong>?Karl Marx (1818–1883) schreibt über dieEntwicklung der Geschichte, dass sichalle Ereignisse wiederholen, «das eine Malals Tragödie, das andere Mal als Farce.»Dass unsere Wirklichkeit häufig nur nochals Farce, als Variante des Komischen zubeschreiben ist, hat sich bei <strong>Theater</strong>machern,Autoren und Regisseuren nach1945 mehr und mehr durchgesetzt. Es istdie kritische Distanz, welche die Künstlerals Potenzial des Komischen erkannthaben und als Mittel der philosophischenund sozialen Kritik einsetzen.Sehr radikal hat das George Tabori (1914–2007) umgesetzt. Immer wieder hat erwie in der Farce «Mein Kampf» die Katastropheaus der komischen Perspektivebeschrieben. «Der kürzeste deutsche Witzheisst Ausschwitz.» Dieser Satz Taboris istmehr als nur eine Provokation, er spiegeltTaboris Grundüberzeugung, dass «derKern jedes Witzes eine Katastrophe ist».Auch bei dem Autor und Regisseur RenePollesch, einem der prominentestenVertreter des postdramatischen <strong>Theater</strong>s,erscheint die Katastrophe häufigim Gewand des Komischen. Für seinGegenwartstheater greift er auf Mittel derScrewball-Comedy, auf die Sit-Com unddas Boulevardtheater zurück. Formal steigertPollesch diese Mittel und füllt sie mitneuem gesellschaftskritischem Inhalt.Wo ist der Hans Wurst geblieben?Damit steht Pollesch durchaus in derTradition von Nestroy (1801–1862) undseiner Figur des «Hans Wurst», bei demder körperliche Ausdruck etwas anderesmitteilt als das gesprochene Wort. Dersich mit seiner Sprache als ehrbar tarnendeBürger soll so als «Hans Wurst»entlarvt werden. Aber was ist aus diesem«Hans Wurst» geworden? Aus dem heutigen<strong>Theater</strong>betrieb ist er als namentlicheFigur genauso verschwunden wie seinkörperliches Spiel. Als überaus populäreErscheinung ist er dennoch durchaus aufder Comedy-Bühne erhalten geblieben.Wenn die Befriedigung der materiellenBedürfnisse, die Fixierung auf Sexualitätund Fäkalhumor Kennzeichen von«Hans Wurst» sind, dann ist Mario Barthein «Hans Wurst» des 21. Jahrhunderts.Ähnlich wie «Hans Wurst» hat auch«Cindy aus Marzahn» die Funktion, dasAusgegrenzte wieder in den Rahmen derGesellschaft zurückzuholen, indem dieBühnenfigur die Erwartungen und Bedürfnissedes Publikums thematisiert. «DieFigur Cindy gibt Hartz-IV-Empfängerneine Stimme. (…) Die Zuschauer findenes gut, wenn einer aus dem Volk auf derBühne steht».Hier hat also das «Hans Wurst»-<strong>Theater</strong>,wenn auch in neuem Gewand, die Bühnewieder betreten. Die Kritik aber ist gleichgeblieben. Diese Art der Unterhaltung istseicht, banal, unsittlich und politisch oftbedenklich. Das Populäre, das Volkstümlichegilt nach wie vor als das Minderwertige.Das gilt auch für die Schwänkeund ländlichen Volkskomödien, wie sie imBereich des Amateurtheaters oft zu findensind.Ein häufiges Argument für diese sogenannte«leichte Unterhaltung» ist dieEntlastungsfunktion der Komik. Die Entlastungdes Publikums von den Anforderungeneines Lebens im Zeitalter der Globalisierung.«Das Publikum will einmal imJahr den Herrn Ingenieur in Unterhosenüber die Bühne joggen sehen.» Ist esnichts weiter als das blosse Amüsement,das die Sorgen des Alltags vergessenmachende Gaudium? Darf darüber gelachtwerden?Für den Moment der Aufführung verliertdas Publikum auch hier die Angst vor demDruck des genormten Lebens. Auch dasentlastete Gelächter des Publikums kannim Grundsatz kritisch und subversiv sein.Denn jede Komik ist ein Verstoss gegendas Übliche, ein Ausbrechen aus derNorm. Hinter jeder komischen Situationsteckt ein Problem, ein kleiner Fehleroder eine Katastrophe. Das ist der Kerndes komischen <strong>Theater</strong>s von Kleist bisPollesch, vom «Hans Wurst» bis zu «Derverkaufte Grossvater» .Die Komödie ist immer eine Störung derherrschenden Ordnung. Es ist ein Verstossgegen das Normative. Daraus entwickeltdas Lachen des Publikums seine anarchischeSprengkraft. Denn das Gelächter istnicht zu kontrollieren.Das ernste Fundament einer jeden komischenSituation muss auch die Grundlageder praktischen <strong>Theater</strong>arbeit sein. Das istkeine Frage von E- und U-Komik, das isteine Frage des künstlerischen Handwerks.Ob das Gelächter über den zitierten«Ingenieur in Unterhosen» einer komischenSituation geschuldet ist oder nureiner privaten Selbstentblössung – dieseEntscheidung, obliegt dem Darsteller undist eine Frage des persönlichen Humors.Ob das dann komisch oder tragisch ist,liegt im Auge des Betrachters.■