Recht & GesellschaftIm Zuge unserer Menschen<strong>recht</strong>s-Debatte, die nun schon seit Ende1993 währt, hat die Auseinandersetzung zwischen ChristianNeugebauer und Franz Schandl eine eigene Dynamik mitoffenbar eigenen Regeln angenommen. Nach Neugebauersheftiger Attacke gegen Schandls Menschen<strong>recht</strong>s-kritische Positionist nun wieder der Letztere am Wort. Wir hoffen, in den nächstenHeften erneut vorwärts diskutieren zu können.EINE ZUSPITZUNGStalin, Cerberusund die Folgenhristian Neugebauer ist wieder einmalC ausgezuckt. Anstatt sich den Argumentenzu stellen, sich umsichtig und kritischmit ihnen auseinanderzusetzen, ist die Aufgeregtheitgleich in den ersten Zeilen nachzulesen.Was ihm schon in der Debatte mitChristopher Pollmann vorzuwerfen war, daßer sich mit dem Gegenüber nicht einläßt,sondern sich an ihm bloß ausläßt, daran hatsich auch in unserem Fall nichts geändert.Nicht die Schärfe der Polemik ärgert, sonderndie begrifflose Maßlosigkeit der Wortwahl.Aufgeregter AbgesangNeugebauer geht es so weniger um die Diskussion,sondern um die Stigmatisierung.Was ich da nicht alles geheißen werde: Stalinist,Dinosaurier, Dogmatiker, sogar Rassistist aus dem Text herauszulesen. Wäre derStrategie-Taktik-Teil mit der positiven Bezugnahmeauf Clausewitz im Artikel verblieben(er wurde aus Platzgründen eliminiert)hätte ich mich wohl auch noch als Kriegshetzerwiedergefunden, ja und daß er die Aristoteles-Passagenicht glcicheinem I-IegelZitat genommen und mich der Sympathieder antiken Sklavenhalter<strong>gesellschaft</strong> überführthat, darf nur noch verwunden.So steigert sich Neugebauer in eineTheatralik, die zwar aus ihm gewachsen, dcrer selbst aber nicht gewachsen ist. Nur sokann dieses Durchgehen mit sich selbst interpretiertwerden. Bevor er sich jedenfallsüberhaupt auf das inhaltliche Terrain begibt,bekreuzigt er sich und unterstellt dem Kontrahentenalles, was die bürgerlichen "Dividuen"(Anders) so gerne hören. Die haltloseVerdächtigung geht so weit, daß Neugebauerdie ganze Litanei von der "reinen Lehre"über die "absolutistische Einheitstheorie"bis zum "Gulag" bemüht und vor einemwohl jetzt doch von Schandl entsetzten Publikumtief durchatmet und froh ist, daß ichnicht zuviel Macht besitze, denn sonst würdeich sicher "Arbeitsverbote aussprechen"(S. 20). Das ganze stumpfsinnige antikommunistischeKüchenvokabular wird daauf einen losgelassen.Die Neugebauersche Methode ist relativeinfach: Man konstruiert den Kontrahentenneu, indem man ihm diverse Unmöglichkeitenunterschiebt, um ihn dann zu überführen.Da werden Stereotype angepickt,ohne zu fragen, ob sie auch passen. Im Ritualsorgloser Bezichtigung veranstaltet Neugebauerhier einen lärmenden Abgang, woefuch ein leises Davonstehlen angebracht wäre.Nein, bevor er uns vielfach bestätigt -man lese seinen Text abzüglich seiner Erregungen- betätigt er sich als Schlamm werfer.Motto: Es wird schon was hängenbleiben.Zur TaschenspielereiNeugebauer schreibt: "Zweitens behauptetSchandl,wenn man das Recht auf ArbeiteinMenschen<strong>recht</strong> - fordere, meint er damitselbstverständlich Lohnarbeit und Arbeitsplätze.Dies zu fordern, wäre tatsächlich eineArt von Unzurechnungsfahigkeit, wie RobertKurz richtig meint. Auch hier eine verkürzteGleichsetzung, die erst einmal zu beweisenwäre; ( ... )"(S. 21)Was hiermit geschehen soll. Am bestenwir zitieren ihn gleich noch einmal: "Derzeitfinden in Paris Straßenschlachten für dasMenschen<strong>recht</strong> auf Arbeit statt, die sich innaher Zukunft wahrscheinlich auch in London,Berlin oder Wien zutragen werden.Sollte es dazu kommen, wäre es von Vorteilim Bewußtsein der Bevölkerung zu verankern,daß das Recht auf Arbeit und dasRecht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeitein Menschen<strong>recht</strong> darstellt." (I)Was nun also? Wer schwindelt hier? Neugebauergibt uns wieder einmal en passant<strong>recht</strong>, gemeint habe er es ja genau in diesemSinne. Nur in diesem Sinne demonstriereneben seine Tausende nicht, die er hier insFeld führt, sondern eben für ein Recht aufLohnarbeit. Das soll man ihnen individuellauch gar nicht verübeln, ist es doch ihre unmittelbareNotwendigkeit, die hier zum Ausdruckkommt. Was kritisierbar ist und kritisiertwerden muß, ist es, daraus eine strategischeOption abzuleiten. Genau das hat Neugebauergetan, wenngleich er es jetzt wegzaubernwill.Ähnliches gilt für folgende Passage."Schandl wirft Nowak und mir vor", schreibter, "daß wir die Hauptfrage nicht beantwortethaben, ob nun Art. 1 der Menschen<strong>recht</strong>eWunsch oder Feststellung ist? Aus dem bisherGeschriebenen muß klar sein, und ichhalte es für Schandl noch einmal fest, daßbesagter Artikel für mich eine Feststellungdarstellt. Alle Menschen sind für michtatsächlich frei und gleich an Würde undRechten geboren. Grundsätzlich. "(S. 20)Doch was sagen diese Worte, außer daßChristian Neugebauer noch immer nicht verstandenhat, Verschiedenes auseinanderzuhalten.Es gibt eben normative und deskriptiveFeststellungen. Was wir mit ihm normativteilen, können wir freilich deskriptivnicht erkennen oder gar bestätigen. Das Postulatder gleichen Würde verbleibt im Konjunktiv,tatsächlich findet es nicht statt.Neugebauers Feststellung ist so streng betrachtetbloß eine Vorstellung. Aber schließlichhaben wir Neugebauer schon dahingebracht,unsere Frage als richtige zu erkennen- etwas, daß er Pollmannn noch verweigerte(2) -, vielleicht kann er sich auch irgendwannmit unserer Antwort anfreunden.NirgendwoNirgendwo findet sich in unserem Artikel(JuridikuITl, Nr. 5/94) ein Plädoyer, auf Menschen<strong>recht</strong>eund Demokratie zu verzichten,vielmehr findet sich eine Kritik von derenBeschränktheiten und ein Versuch historischerEinordnung: Ihre Grenzen werdenmarkiert, gefragt wird, was nachher kommtund wie eine emanzipatorische strategischeOption aussehen könnte. Es geht in unserenBeiträgen - ganz hegelisch gedacht - um die(Selbst)Aufhebung von Recht, Demokratieund Freiheit, um Synthese, nicht um bloßeNegation.Nirgendwo wurde unsererseits behauptet,daß Demokratie und Menschen<strong>recht</strong>e"nur" zu Bürgerkrieg und Chaos führen(1) Christiatl Neugebauer, Die Zeit der Geset-z/osigkei't;JURID/KUM, Nr. 2/94, S. 19(2) EbendaSeite 12JURIDIKUMNr 2/95
(S. 20). Konkret zeigen die zur Marktwirtschaftsdemokratiehin aufgelösten Systemein Jugoslawien und der Sowjetunion aberdoch Richtung Bürgerkrieg. Aus dieser Feststellunggleich Schand Ische Sympathie fürLi Pengs China abzuleiten, ist typisch Neugebauer.Daß da einer Erkenntnis und Bekenntnisnicht auseinanderhält, wissen wir jaschon. Fragt sich wiederum, ob er nicht willoder nicht kann.Nirgendwo setze ich Befreiungsbewegungenmit Terrorregimes gleich. Es ist aberschon zu fragen, warum nach diversen Revolutionenoder nationalen Befreiungen Entwicklungsdiktaturenfolgten. Warum habenetwa Lenin und Trotzki, Mao und Ho ChiMinh an der Hebeln der Staatsgewalt Menschen<strong>recht</strong>everletzt? Weil sie böse Bubenwaren, diktatorische und kommunistischeSchurken, die den Menschen gern Schlimmesantaten, weil sie einer Heilslehre anhingen,oder was? Auch Cuba verstößt nun seitJahrzehnten gegen die westlich definiertenMenschen<strong>recht</strong>e, noch schlimmer steht esdarum in Vietnam. Schließt das nun konkreteSolidarität mit diesen Ländern aus, odernicht? In der Logik des "Absolut Guten"sehr wohl. Sind Menschen<strong>recht</strong>e die Richtschnuroder bloß doch nur eine Leine der<strong>gesellschaft</strong>lichen Auseinandersetzung? Daranscheiden sich nun die Geister.Andernorts schreibt Neugebauer sogar allenErnstes: "Gewalt soll wieder Gewalt,Un<strong>recht</strong> wieder Un<strong>recht</strong> und Ge<strong>recht</strong>igkeitwieder Ge<strong>recht</strong>igkeit genannt werden können"(.1) Wir halten das schlichtweg für diePropaganda des blanken Idiotismus. Neugebauerplädiert hier für das "Menscheri<strong>recht</strong>"auf Dummheit, die ja nichts anderes ist alsdie Übereinstimmung mit dem äußerenSchein der Welt. Wie es erscheint, so ist es.Wesen und Erscheinung nicht auseinanderzuhalten,wird hier als neues Programm verkauft,die sinnliche Gewißheit gegenüberjedwedem höheren Denken restauriert. Dasist Regression par excellence.Nach wie vor gilt: Keine Gewalt ist sachlichzu reduzieren, jede ist inhaltlich zu hinterfragen:Auch wenn es für das Individuumin der konkreten Situation unerheblich seinmag, wer nun weswegen auf es einschlägt,darf es das in der <strong>gesellschaft</strong>skritischen Betrachtungnie sein. Gewalt ist nicht Gewalt,und daß Ge<strong>recht</strong>igkeit Ge<strong>recht</strong>igkeit ist, istsowieso nur ein Gerücht.Nur weil kommunistische Parteien denEinmarsch in Afghanistan falsch bewerteten,ist nicht gesagt, daß nicht trotzdem dialektische"Verrenkungen" (Neugebauer) notwendigsind. Ist etwa der Überfall NaziDeutschlands auf die Sowjetunion mit demEinmarsch der Roten Armee 1945 gleichzusetzen?Phänomenologisch sehr wohl: Kriegbleibt Krieg und Einmarsch ist Einmarsch,folgen wir dieser neugebauerten Unlogik.Solches Denken will sich von Analyse undReflexion befreien, aufgehen im gesundenMenschenverstand. Wir sollten das in ganzrigider Manier nicht zulassen.Nr 2/95Auf die wirklich elementare Debatte vom<strong>gesellschaft</strong>lichen Charakter der Menschen<strong>recht</strong>e,deren historischer Bedingtheit, aufden Zusammenhang von Kapital und Menschen<strong>recht</strong>en,läßt Neugebauer sich - nunschon in seinem dritten Juridikum-Beitragerstgar nicht ein. Das idealistische Kartäusehenkönnte zusammenbrechen.Die Hauptdifferenz liegt darin, ob Menschen<strong>recht</strong>eontologisch oder historisch zufassen sind, ob es sich dabei um ein Gattungsmerkmaloder um eine <strong>gesellschaft</strong>licheAusformung handelt. Diese Unterscheidungist schwerwiegend, und sollte auchnicht unter den Tisch gekehrt werden. Wirhalten jedenfalls jede absolute Sicht vonRecht, Demokratie oder Freiheit für obsolet,diese Begriffe sind für weitergehendere, d.h.über die bürgerliche Gesellschaft hinausweisendeTransformationsprozesse wenig bisunbrauchbar.Charakter derMenschen RechteDie bei uns verwirklichten und propagiertenMenschen<strong>recht</strong>e sind vordergründig Folgesozialer und politischer Kämpfe, vornehmlichjener der Arbeiterbewegung. Was alsKonzentrat des Klassenkampfes oder andererInteressenskämpfe sich konsolidiert, verweistaber nur auf die Realisierungsebene,nicht auf die Sphäre der Schaffung der MenschenRechte. Auf der tieferen Ebene, vonihren Innereien oder ihrer materialistischenUnterfütterung her, ist ihr Organismus nichtohne Imperialismus, Kolonialismus, Mehrwertabpressung,Kinderarbeit, Kriege undBürgerkriege denkbar. Daß das Gute unddas Böse so zusammenhängen, ja geradewegsauseinander hervorgehen, will vielennicht einleuchten. Die Flucht in ein ideologischesLuftschloß der Werte scheint naheliegender.Menschen<strong>recht</strong>e gehören zur Durchsetzungsgeschichtedes Kapitalismus, auchwenn diese Rechte oftmals gegen den Widerstanddes konstanten Kapitals oder desStaates erkämpft werden mußten, waren sienur kreierbar auf Grundlage sich entwickelnderKapitalverhältnisse. Freiheit, Gleichheit,Ge<strong>recht</strong>igkeit sind Folge formal gleicherWarenbesitzer auf dem Markt. Die Menschen<strong>recht</strong>ealso Ausdruck, ja Abklatsch desKapitalismus? Genau das. Es handelt sichdabei um eine positive Dialektik der Produktivkraftentwicklungauf Basis der Waren<strong>gesellschaft</strong>.Der Menschen Rechte sind so im Konkretenwertvolle und kostbare bürgerlicheGüter, somit quasi kapitalistische Waren. Sieunterliegen dem Wertgesetz und habenihren Kostpreis, der durch c+v erwirtschaftet,durch Kapital und Lohnarbeit gedecktsein muß. Ist Recht das nicht, dann ist esnicht. Das erste Menschen<strong>recht</strong> ist das Geld.Alle anderen verwirklichen sich über diesesMedium. Das ist auch mit ein Grund, warumJURIDIKUMRecht & Gesellschaft"de jure" und "de facto" oft allscinandcrl'allen.Wer Recht jedenfalls auf.krlwlh scinerKonstitutionsbedingungen denkt, denktnicht Recht, sondern ein idealisiertes (;efaseIvon Ge<strong>recht</strong>igkeit.Umgekehrt heißt das aber auch zu sagen:Menschen<strong>recht</strong>e haben ihre Voraussetzunggerade in der kolonialistischen Plünderung,die hier im Norden für die Beschleunigungder ursprünglichen Kapitalakkumulationnotwendig gewesen war. "Bös" ausgedrückt:Menschen<strong>recht</strong>e entspringen und entwachsenaus KindereIend und Sklavenblut, ausRaub und Knechtung. Formulierungen vomAbsolut Guten und Schlechten verwischenhistorische Spuren, sie verklären, woherSubstanz und Wesen der hehren westlicheIdeale rühren. Christian Neugebauer denktdualistisch, nicht dialektisch, er inszenierthistorische Versatzstücke zu Metakategoriendes Daseins.Kapitalismus ist bei Neugebauer immereine moralisch aufgeladene, negative Größe.Er nimmt nirgendwo einen dialektischenBezug auf dessen Entwicklung. Gerade deswegengerät die Diskussion auch auf absurdeGeleise. Neugebauer unterstellt mir nämlichgelegentlich seine dualistische Weitsicht, ummich zu widerlegen. Die Begriffe "bürgerlieh"oder "kapitalistiseh" werden von unsaber nicht denunziatorisch gebraucht, sondernanalytisch, wir bewegen uns nier nichtim Gut-Böse-Spiel des Kontrahenten, auchwenn er uns dafür einspannen will.Wir halten den Kapitalismus für historischnotwendig wie für überwindenswert,Neugebauer hingegen hält ihn für böse, seineWerte aber für bejubelnswert. NeugebauersVerdrehung sieht dann so aus: Aus demKritiker der bürgerlichen Begriffe wird einApologet des Kapitalismus; und aus demApologeten der bürgerlichen Kategorien einKritiker des Kapitals. Schlau gedacht, aberleicht enttarnt. Es läßt sich eben nicht dekonstruieren,was real zusammengehört.Daß Menschen<strong>recht</strong>e und Emanzipationnicht synchron sind, daß Recht als Formprinzipan seine historischen Schrankengerät und daß das kapitalistische Lohnsystemaufgehoben werden muß, das alleswollten wir sagen. Und diese Punkte berührtNeugebauer nicht, abgesehen davon, daß erirgendwo dahererzählt, daß Sehandl "alle Erklärungauf eine Formel reduzieren will -das Lohnsystem " (S. 21). Wie er da draufkommt,ist uns schleierhaft wie so vieles, wasweder nachzulesen noch nachzudichten ist.Linke StrategieDer Unterschied auf den Punkt gebracht:Ich glaube, daß er etwas Falsches sagt, cl'glaubt, daß ich etwas Falsches bin ("Stalinist","Dogmatiker", "Rassist"). Daf.\ CI'mich nach diesen massiven Vorwürfen wiedereingemeinden will ("Die Linke") istzwar nett, zeugt aber doch von mangel liderSeriosität. Da wird wohl hitziger geschriehellals gemeint.Seite 13