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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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"Eine gesetzmäßige Entscheidung ist heute[nur mehr, N.F.] dann richtig, wenn anzunehmenist, daß ein anderer Richter ebensoentschieden hätte. ,Ein anderer Richter, bedeutethier den empirischen Typus des modernen<strong>recht</strong>sgelehrten Juristen." (Gu U,S. 71)112) ,,[D]er andere Richter ist eben dernormale juristisch gebildete Richter; wobeidas Wort ,normal' im quantitativ-durchschnittlichenSinne gebraucht ist; nicht alsBezeichnung eines Idealtypus, nicht qualitativ-teleologisch."(GuU, S. 79)Als positives Argument für seine Auffassungmacht Schmitt zunächst dieTatsache geltend, daß es Kollegialgerichtegäbe, deren Funktion es sei,Besonderheiten in der <strong>recht</strong>lichenAuffassung der einzelnen Richterauszugleichen, weil dadurch dieWahrscheinlichkeit erhöht werde,daß die Entscheidung voraussehbarund berechenbar werde. Dadurchwerde dem Postulat der Einheitlichkeitder Rechtssprechung, welchemZiel auch die Einrichtung des Instanzenzugesdiene, eher entsprochenwerden können. Wenn eineMehrheit von Richtern an der Entscheidungbeteiligt sei, sei es eherplausibel anzunehmen, daß andereRichter ebenso entschieden hätten.Weiters argumentiert Schmitt, daßdie Funktion der Begründung gerichtlicherEntscheidungen nicht ineiner Selbstkontrolle oder in einemErklärungsversuch an die Parteien,sondern ebenfalls darin zu findensei, andere Richter oder den "Typus[, .. ] einers] gelehrten Juristen, der selbstverständlichauch Verständnis für die Fragendes praktischen Lebens hat" (GuU, S. 85),zu überzeugen, die Entscheidung also voraussehbarbzw. - im Nachhinein betrachtet­"im Sinne der juristischen Praxis erklärlich"(GuU S. 86) zu machen.Wenn ein Richter von der herrschendenMeinung abgehe, so habe er dies mit derartigeinleuchtenden Argumenten zu tun, daßseine Abweichung vorhersehbar und berechenbarbleibe. Präjudizien dienten also derVorhersehbarkeit der Entscheidung, beialeatorischen Entscheidungen - als derenBeispiel Schmitt ein wechsel<strong>recht</strong>liches Problemanführt (GuU S. 104-106) - sei wichtig,daß überhaupt entschieden werde, die Frageder inhaltlichen Richtigkeit trete hinter diedurch das Präjudiz geschaffene Rechtsbestimmtheitzurück. Vertreten wird hier alsoein antiindividualistischer Dezisionismus.trifft. Vgl. dazu Arno Pi/gram, Die erste iisterreichischeRückfallsstatistik - ein Mittel zur Evalttation regionalerStrafenpolitik, in: Ö1Z 1991, S. 577 ff; ManfredBurgstaller/Franz Gsaszar, Zur regionalen StrafeIlpraxisin Österreich, in.' Ö1Z 1985, S. 1 f/ und S. 43 ff.;Mml/red Burgstaller/Franz Gsaszar, Ergänzll1lgSlttltersltchungenzur regionalm Strafellpraxis, in: Ö1Z1985, S. 417 ff; Manfred Burgstaller/Franz Gsaszar,Ergänzltngsuntersuchungm Zttr regionalen Strafettpra-Nr 2/95Statt also eine reflektiertere Methodikzum Zwecke einer rationaleren Interpretationnormativer Texte, als dies mit Hilfe derüberkommenen Interpretationsmethodenmöglich ist, zu entwickeln, macht Schmittdas Gesetz überhaupt entbehrlich.Dabei beirrt ihn § 1 GVG ("Die richterlicheGewalt wird durch unabhängige, nurdem Gesetze unterworfene Gerichte ausgeübt.") nicht. IJ3 ) Indem Schmitt nämlichdartut, daß Fälle, in denen eine glatte Subsumptionunter den Gesetzestext möglichwäre, kaum denkbar seien und er anschließend- statt eine entwickeltere Methodikzur Arbeit mit Texten zu erarbeiten -die Suche nach dem Willen des Gesetzesoder des Gesetzgebers (zu Recht) als willkürlichdiskreditiert, glaubt er, das Gesetzesbindungspostulatals inhaltsleere petitioprincipii ignorieren zu können, weshalb manvon diesem "keine Antwort auf die grundlegendeFrage [nach der Richtigkeit einerEntscheidung, N.F.] erwarten [wird] können."(GuU, S. 11).Diese Argumentation hat jedoch natürlichihrerseits eine petitio principii zur Voraussetzung.Denn aus dem Scheitern einerbedeutungsidealistischen, normativen Textennicht ge<strong>recht</strong> werdenden Methodik mitHilfe einer ihrerseits wiederum bedeutungsidealistischen,an gängigen Vorstellungenvon der "Bedeutung des Wortlauts" orientiertenArgumentation den Schluß auf dieBelanglosigkeit eben jener normativen Texxis,in: Straf<strong>recht</strong>liche Pmblt:tttf! di/r Gegellwat11985, S.129-187; Frallz Gsdszar, Kriminalitiit IInr! Strafverfolgungseit dem StGB 1975, in.' Ö./Z /992, S.434-442,hier illsbesondere.· S. 439. Vgl. Zll ii/mlichi/Il lokalen Differenzenitl der delltschen aktuelleIl Stra!zlImessllllgspraxisGhristian Pfeiffer, GlaStlost ill der Stl"ljl/stiz - EmpirischeForschung auf der SI/che l/ach Strafzllmessllllgsge<strong>recht</strong>igkeit,in.' DRiZ 1990, S. 441-445.(12) Im Original eingerückt.JURIDIKUMte zu schließen, um nach dem undcl't~1l Hkh,ter rufen zu können, setzt voraus, was (~1i Ilt',weisen soll: daß Erkenntnis über' I \:xte Jen,seits einer alltagstheoretischen Vorstdlurq,\ihrer Bedeutung nicht möglich ist.Was nach diesem rhetorischen Kunstgriffbleibt, ist die Suche nach einer über ~dlgc,meine, schriftsprachlich verfaßte Normennicht mehr vermittelbaren Einheit. Das Po,stulat, es komme darauf an, so zu entscheiden,wie ein anderer Richter entschieden habenwürde, eliminiert nach Beseitigung derGesetzesbindung in weiterer Folge auehnoch die Zulässigkeit von Differenz unterRichtern.Daß eine juristische Entscheidung richtigsei, wenn ein anderer - muß also heißen: potentielljeder andere - Richter ebenso entschiedenhaben würde, setzt in letzter Konsequenzein verdinglichtes Corpus(<strong>recht</strong>s)politisch gleichgeschalteter Richtervoraus, die statt einer gesetzlichen nur mehrihrer eigenen Kontrolle, die fremdgesteuertwerden kann, unterliegen. Wer anders entscheidet,entscheidet falsch. Es ist nichtweit, bis er endlich zum zersetzenden Feindwird. "Ohne den Grundsatz der Artgleichheitkönnte der nationalsozialistische Staatnicht bestehen und wäre sein Rechtslebennicht denkbar; er wäre mit all seinen Einrichtungenseinen - bald überlegen kritisierenden,bald unterwürfig sich assimilierenden-liberalen oder marxistischen Feindenausgeliefertli.) [ ... ] Bis in die tiefsten, unbewußtestenRegungen des Gemüts, aber auchbis in die kleinste Gehirnfaser hinein, stehtder Mensch in der Wirklichkeit dieser VolksundRassenzugehörigkeit. Objektiv ist nichtjeder, der es sein möchte und der mit subjektivgutem Gewissen glaubt, er habe sichgenug angestrengt, um objektiv zu sein.Ein Artfremder mag sich noch so kritischgebären und noch so scharfsinnig bemühen,mag Bücher lesen und Bücher schreiben, erdenkt und versteht anders, weil er anders geartetist, und bleibt in jedem entscheidendenGedankengang in den existenziellenBedingungen seiner eigenen Art. Das ist dieobjektive Wirklichkeit der ,Objektivität'." (15)Die drei Arten des <strong>recht</strong>s·wissenschaftlichen Denkens"Es kann bei plötzlich eintretenden Änderungendes Rechtslebens, bei einer ,stürmi;chen Entwick­Izmg des Rechtsbewußtsein,{. . .] die Bestimmungdarüber, wie ein anderer Richter entscheiden würde,sehr schnell sich ändern. "(16)(13) Vgl. zur Problematik des § 1 GVG im Nationalsozialismusauch Dieter Simotl, Waren die NS-Richter"unabhängige Richter" im Silllle des § 1 GVG, i1l.· RJ 4(I985), S. 103-116; Niklas LlIhma1lt1, Das Recht derGesellschaft (FrankfIlt1/i1!1ain 1993), S. 82/(14) Garl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk (Hambl/rg1933), S. 45.(15) ebd. S. 48.(16) GlIU, s. 117.Seite 31

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