Recht & GesellschaftGRENZENLOSE KONTROLLlERßARKEITFeste SchengenDer RücktriH von ErnstEugen Veselsky als Vorsitzenderdes österreichischenDatenschutzrateswurde .kaum beachtet.Dieser SchriH war maßgeblichvom geplantenBeitriH zu den SchengenerAbkommen motiviert.Schengen? Datenschutz? -Nickelsdorf!Der scheinbare Einzelfall Nickelsdorf vom12.3.1995, ein Megastau an der österreichisch-ungarischenGrenze infolge verschärfterGrenzkontrollen, wurde nicht zufälligmit den Schengener Abkommen(Schengen I vom 14.6.1985 und Schengen IIvom 19.6.1990 = Durchführungsabkommenzum Sch'el:lgener Abkommen) in Zusammenhanggebracht. Diese Abkommen geltenals flankierende Maßnahmen zum 1985 beschlossenenEU-Binnenmarkt, der den freienPersonen- und Warenverkehr ermöglichensoll. Schon im Vorfeld des Inkrafttretensder "Einheitlichen Europäischen Akte"am 1.1.1993 kam es zu großen Fusionen undFirmenaufkäufen, die einerseits eine starkeMarktposition nicht nur im Binnenmarktsondern auch am Weltmarkt sichern sollten,andererseits aber gemäß der betriebswirtschaftlichenRationalität zu massiven Entlassungenführten. Die damit entstehenden sozialenSpannungen zwischen ArbeitsplatzbesitzerInnenund Arbeits-, Wohnungs- undBildungslosen wurden schon früh der Justizund der Exekutive als Problemfelder zugeordnet.Die wirtschaftlichen Deregulationenund die damit einhergehenden Spar- undBelastungsbudgets der EU-Regierungen beigleichzeitiger Senkung von Kapitalsteuernführen sowohl zu einer stetig wachsendenMasse von Arbeitslosen als auch zu einerbreiteren Verelendung in Europa. Diese abgedrängtenMenschen leben in unsicherenArbeitsverhältnissen, bedroht von nichtmehr finanzierbaren Krankheiten, Wohnungsverlustund Halblegalität. Ihre Würdeist ihnen genommen, die Werthaltungenwerden korrumpiert, ihre Perspektiven lösensich auf. Der Schritt in die Illegalität ist hierkeine freie Entscheidung mehr, sondern eineForm der Existenzfristung.Die politische Vorwegnahme dieser Entwicklungwaren und sind die SchengenerAbkommen. Diese bedeuten die Abschottungdes EU-Arbeitsmarktes gegen außen,gegen AsylwerberInnen, gegen ArbeitsmigrantInnen.Sie werden durch die verschärftenGesetze von vornherein zu Objekten derPolizei und der Justiz, d.h. kriminalisiert.Aber auch nach innen werden durch denAusbau von Informatik, Überwachung undFahndung bei Verdacht mit hohem Budgetaufwandbei gleichzeitigem SozialabbauMenschen ausgegrenzt und kriminalisiert.Auch sie sind für die Regierungen und dieWirtschaft überflüssig geworden.Die bewußt ungenau gehaltenen Definitionenvon Organisierter Kriminalität, Drogenkonsumund Terrorismus sollen einerflächendeckenden Kontrolle dienen, dieselegitimieren, jede Menge an polizeilichenDatensystemen ermöglichen - deren Mißbrauchder Brauch sein wird - und Formeneines künftig zu erwartenden, sozialen Widerstandesdesavouieren. Denn die EUStaaten sparen nach den zu erfüllendenKonvergenzkriterien der Wirtschafts- undWährungsunion gerne bei den Menschen,nicht jedQch bei deren Kontrolle. Dies dürftein ihrer Bucjgetrechnung weder zu teuerfür den Staat noch zu inflationstreibend fürdie Wirtschaft sein.Die im Dunkeln •••\\ienn man bei den Menschen spart, undnicht an deren Kontrolle, hat man auch einehöhere Bonität bei den Banken und an denBörsen, so scheint es, folgt man den Medienberichten.Und mit Hilfe medialer Verbreitungder von der Politik lancierten Feindbildernehmen wir einen ständigen Abbau vonBürgerlnnenrech'ten hin und legitimieren einezunehmende Kontrolle von uns allen. InSpanien bedarf es keines richterlichen Hausdurchsuchungsbescheidesmehr. (In Österreichheißt das: Bei Gefahr im Verzug, dessenAuslegung der Polizei vorbehalten ist.)Unter den neuen Mafiagesetzen Italiens istjede/r SizilianerIn verdächtig und damit dempolizeilichen Zugriff ausgeliefert. Schondurch den jetzt laufenden Datenaustauschzwischen den Staaten ist eine gut dokumentierteAnzahl von Durchschnittsmenschenangehalten, verhaftet und verhört worden,ohne daß nach deren Enthaftung auf Grundihrer Unschuld geklärt werden konnte, obihre Daten wen~gstens danach aus denFahndungscomputern entfernt wurden. Aus-kunfts<strong>recht</strong>e sind so vage formuliert, daß siede facto nicht existieren. So wird nur dannAuskunft erteilt, wenn dies die Sicherheitdes betreffenden Staates nicht verletzt, womitder Datenschutz für Staaten gegen gefährlichneugierige BürgerInnen gewährleistetist. Denn schließlich sind wir nach Artikel99 des Schengener Zusatzabkommens alleverdächtig. Denn jede/r könnte eine Straftatbegehen, also ... könnte jede Auskunftdie Staatsicherheit gefährden.Und so ist in den Abkommen die Zusammenarbeitin Asyl- und Grenzkontroll<strong>recht</strong>en,bei der Kriminalpolizei und beimSchengener Informationssystem (SIS) inStraßburg festgeschrieben, damit die Binnengrenzkontrollenaufgehoben werdenkönnen. Im zweiten Abkommen wurde dieangestrebte gemeinsame Asyl-, AntiterrorundDrogenpolitik weiter harmonisiert undverschärft, die Trennung von Polizei- undGeheimdienstaufgaben verundeutlicht bisaufgehoben. In das SIS kann durch dieFahndung nach Verdacht jede/r kommen.••• sieht man nichtSchon die Entstehung der Schengener Abkommenals intergouvernementale Vereinbarungenweist daraufhin, daß einer demokratischenÜberprüfung und öffentlichenDiskussion über die Inhalte dieser Verträgeausgewichen werden sollte und soll, solangebis die Gesellschaften dank der Massenmediendie aufgeblasenen Feindbilder verinnerlichenund solcherart die Vorgaben derRegierungen als selbstverständlich annehmen.Auf diesem Wege sind die EU-Regierungenseit 1990 schon weit gekommen.Deshalb wurden auch die Schengener Abkommennicht in das EU-Regelwerk eingebaut,obwohl die Begründerstaaten Frankreich,Deutschland und die Benelux-StaatenEU-Mitglieder sind. Inzwischen sind außerGroßbritanriien, Dänemark, Irland und denneuen Mitgliedern alle dabei. Der freie Personenverkehrdes Binnenmarktes soll nurden Mitgliedern von "Schengenland" offenstehen.Dies, so hoffen die Mitglieder, solldie anderen dazu nötigen mitzumachen, sollfür sie einen "Sachzwang" bedeuten, den sieihren BürgerInnen besser unterjubeln können.Man sieht deutlich den Widerspruchzwischen dem unter EU-Recht entstehendenBinnenmarkt und den ihn flankierenden,aber außerhalb des EU-Rechtes stehendenSchengener Abkommen. Erst nach Beitrittaller und den parlamentarischen Ratifizierungensollen die Abkommen ins EURecht übernommen werden.Diese Abkommen wurden in geheimen,zwischenstaatlichen Gremien entworfen undausgehandelt. Die 1985 gegründete "GruppeSchengen", d.h. zeitgleich mit dem Beschlußder Einheitlichen Europäischen Akte,vulgo Binnenmarkt, arbeitete bis Inkrafttretender Maastrichter Verträge genau!;oklandestin wie die anderen 57 Gremien, Arbeitsgruppenund Komitees, die sich eben-Seite 8JURIDIKUMNr 2/95
falls mit Innerer und Äußerer Sicherheit, Migration,Asyl, Geheimdienste, Terrorismus,Drogen, Organisierter Kriminalität und Datensystemenbeschäftigen. In diesen Netzwerkensitzen die hohen Beamten von Innen-und Justizministerien, nach deren Vorliebenund Vorurteilen sich nicht nur dieSchengener Verträge richten. Jenseits jederdemokratischen Kontrolle, nur den zuständigenMinistern berichtspflichtig, konntenund können diese Beamten ihre Macht undihre Phantasien gestalten. Die dritte Säulevon Maastricht gibt ihnen nun auch eine legaleFassade (Art.K.4), die aber bereits aufihre Vorgaben hin errichtet ist. So könnennun griechische Kriegsdienstverweigerer, diein einem der Schengen-Länder im Exilleben,abgeschoben werden. In Griechenlandgibt es nämlich keinen Zivildienst, Verweigererfallen unter das Straf<strong>recht</strong> und somitunter die Schengener Abkommen.Mit der Ratifizierung der Schengener Abkommendurch die Parlamente tritt ein Teildes im geheimen vorbereiteten EU-Polizeistaatesans Licht der Öffentlichkeit, Österreichnimmt als Beobachter schon seit Juni1994 am Schengener System teil, und hatdurch den fast schon wieder vergessenen,aber nichtsdestotrotz weiterbestehendenBundesheereinsatz an den Grenzen unddurch die Verschärfung der Asyl- und Aufenthaltsgesetzewichtige Vorleistungen erbracht.Schon im Vorlauf zu einem, aberauch nach einem Beitritt wird der Sach- undPersonalaufwand, medial und politisch abgesichert,enorm anwachsen. Aber die Sicherheitist Österreich heilig. Daß die F -BewegungSchengenland sofort und jetzt beitretenwill, ist nach dem oben Erzählten nichtverwunderlich. Ex-Innenminister Löschnakhätte als Krönung seiner vielen Verdiensteum die Sicherheit Österreichs am Freitag,dem 24.3.1995, den Vertrag unterschreibensollen, allerdings hat sich das wieder einmalverzögert. Denn auf Grund des nordischenPaßabkommens sollen zum erstenmal zweiNicht-EU-Staaten, Island und Norwegen,aufgenommen werden. Auch sonst kommt"Schengenland" nicht richtig vom Start:Großbritannien will seine eigenen Kontrollenauf<strong>recht</strong>erhalten, Frankreich wirft denBenelux-Staaten eine zu laxe Drogenpolitikvor, nach wie vor ergeben sich nationaleWiderstände der Sicherheitsbehörden beider grenzüberschreitenden Fahndung undgegenseitiger Unterstützung, ebenso bei derVerwendung des SIS und der Einspeisungder Daten, dann bricht wieder CESIS, derZentralcomputer in Straßburg zusammen;von parlamentarischem Widerstand aber istleider nur wenig zu hören. Tatsächlich aberwerden die inneren Kontrollen ausgebaut:Irgendwo im Schengenland kann jederzeitein Teil einer Straße abgesperrt werden undeinige Stunden werden dann alle Vorbeikommendenkontrolliert, meist wird diesaber doch nahe den Grenzen der Staatenpassieren, soviel zur grenzenlosen Phantasie.Recht & GesellschaftDaß sich Österreich durch einen Probelaufa la Nickelsdorf diplomatische Unannehmlichkeitenmit Ungarn, das den EisernenVorhang als erstes Land durchbrochenhatte, einhandelt, ist nur logisch. Schließlichhat sich Ungarn in Abkommen mit den EULändern schon dazu verpflichtet, selbst dieMigrantInnen und AsylwerberInnen abzufangen,abzuschieben und von den EUGrenzen abzuhalten. Und dann so etwas!Dies ist nur eine simplifizierende Skizzeeines Teils der Geschichte, der Entwicklungenund der Strukturen der Inneren Sicherheitin der EU. Es besteht für Österreichkeine Verpflichtung, diese Abkommen zuunterzeichnen. Die Bundesregierung willdie Unterzeichnung ohne großen Medienrummelüber die Bühne bringen. Deshalbwar ja die Aufmerksamkeit, die durchdie Nickelsdorfer Schikanen hervorgerufenwurde, der Regierung so unangenehm.Eine Handlungsmöglichkeit aber wärees, vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen,und die Diskriminierungen durch dieSchengener Abkommen zu klagen, denn sieverletzen die Einheitliche Europäische Akte,die ja alle vier Freiheiten gewährleistensoll. Aber geht EU-Recht denn auch vorSchengener Verträgen?Lajos Glücksthai ist Redakteur der ZeitschriftIIEuropakardiogramm" - ein Medium für europakritischeInformationen.Weg und ZielAufregende Lokalegibt's genugGeh in'sLange!I~\!I!JJ •~~I~~lF~~~JS ~l' .~STUDENTENBEISL LANGEWien 8, Lange Gasse 29geöffnet täglich 18 00 bis 2 00 UhrBier vom Faß:Puntigamer Pantheraus der Steiermark,Mohrenaus Vorarlberg,Guinnessaus IrlandAuch Stiegl-Bräuaus Salzbul'gGroße Auswahl an Malt-WhisktesProbeheft und Abo:Trattnerhof 2/14,1010 Wien, Tel.: 5336023Seite 9