12.07.2015 Aufrufe

Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Recht & Gesellschaftlast des Gerichts im Rahmen des Analogieverbotszwar erhöhen, dieses aber nicht inseiner Entscheidung binden kann. (36)In seiner Begründung argumentiert dasGericht, daß eine Beschränkung auf dieWerbung von Mitgliedern und Anhängernim Wortlaut dieser Bestimmung keine Stützefinde. (37 ) Rebmann geht noch weiter, indemer postuliert, daß ,,[d]er Begriff ,Werben'schon nach seinem Wortlaut die Sympathiewerbung[umfaßt]" und unter Benützungvon Meyers, Enzyklopädisches Lexikonzur Gleichsetzung von Werbung mit PublicRelations gelangt.!") Dieses "extensiveVerständnis" hat zu Kritik (39) und zu Versuchen,dem "Werben" engere Konturen zugeben auf Seiten der Lehre I"n) und Praxis 1"1)geführt, während andererseits Gerichte unterHeranziehung der Figur der SympathiewerbungStrafen - auch empfindliche Freiheitsstrafen- verhängten. H2 )Seit 1984 1 '3) gelangt der BGH "im Hinblickauf die umfassende Bedeutung desWortes Werben im allg. Sprachgebrauch" zueiner "restriktiveren Interpretation", weil ernunmehr für eine Strafbarkeit wegen Werbensverlangt, der Text müsse "objektiv geeignetsein, von den im Einzelfall angesprochenenAdressaten als Werbung für die Vereinigungselbst oder als Unterstützung aufgefaßtzu werden. "I"") Sei der Text an jedermanngerichtet, so sei auf das Verständnisdes Durchschnittadressaten abzustellen. InFortführung dieses Kriteriums betonte derBGH, daß bei der Prüfung des Bedeutungsgehaltsfür durchschnittliche Leser auch"ein bei diesen möglicherweise vorhandenesVorverständnis [ ... ] einzubeziehen [ist], dasdavon geprägt sein kann, in welchem Sinnedieselbe oder ähnliche Parolen bisher schonin der Öffentlichkeit gebraucht wordensind. "(45) Dieses Wissen könne sich im Laufeder Zeit ändern. H6 )Auf Grundlage dieser Entwicklung lehntezB das· BayOLG die Eröffnung derHauptverhandlung gegen jene Person ab,die die vor Anm. 17 zitierte Aufschrift in einerUnterführung angebracht hatte, weil derdurchschnittliche Leser sie als vornehmlich(36) Vgl. dazu hier nur Giehri1lg (Aum. 26), hier: S. 300.(37) Bei derartigeJI AbgreJIzltllgsversltchetl wird - lIebenbeibemerkt- Wortlaut als SYllonym für Normtext ulld als Sy-110IIym für Bedeutung des Normtextes äquivalent verwendet,was zu weiterer begrifflicher Verwirrullg führt. Vgl. dazuauch Railler Hegmbarth, Juristische Hermeneutik und linguistischePragmatik (Kbjligstein/Ts. 1982), S.33.(38) Rebma1l11, Inhalt (A1I1n. 12), hier: S. 458.(39) So fordert dieNiedersächsische Kommissi01l zur Reformdes Straf<strong>recht</strong>s lI1Jd des Strafverfahretls<strong>recht</strong>s einstimmig eitleersatz'/ose Streichung der Tatmodalitätetl Werbung ulld U71-terstiitzli1lg wegetl deretJ generalklaltselartigm Weite. Vgl. Peter-AlexisAlb<strong>recht</strong> et al., Straf<strong>recht</strong> - ultima ratio. Empfehltmgender Niedersächsischen Kommission zur Reform desStraf<strong>recht</strong>s li1Id des Strafverfahretls<strong>recht</strong>s (Baden-Badetl1992), hiel:' S. 84/(40) Giehring (AIl1Il. 26); Gössner (Anm. 19), Lenckner(Atlm.15), alle mwN.(41) Vgl. Rebma1l11, Inhalt (A1I1t1. 12).Seite 18humanitäres Anliegen verstehen würde 1",1,während der BGH der dagegen erhobenenBeschwerde stattgab, weil der angefochteneBeschluß nicht beachte, daß die Forderungnach Zusammenlegung "schon häufig alsKampfmittel der 'RAF' und für sie mit derZielrichtung erhoben worden ist, den organisiertenKampf [ ... ] fortzusetzen ", was möglicherweiseauch einer Vielzahl von Durchschnittsadressatenbekannt sei. H8 ) Das OLGhatte sich anläßlich dieses Beschlusses auchmit einem von ihm im Jahr 1981 erlassenenUrteil auseinandersetzen, in dem es das Aufsprühennur der Buchstaben "RAF" als strafbareUnterstützung gewertet hatte. Dazu bemerktedas Gericht: "Dem [der Strafbarkeitdes Aufsprühens der bloßen Buchstabenfolge"RAF" nach § 129a StGB, N. F.] widersprichtdie im vorliegenden Fall vertreteneAuffassung nicht. Durch die bloße Buchstabenfolgewird der Betrachter an die Organisationerinnert, zugleich aber aufgefordert,sich mit ihr zu solidarisieren und ihre Zielegutzuheißen und es wird aufgezeigt, daß sieAnhänger hat und Anklang findet." (49)Wiewohl derartige Formulierungen -auch, weil sie sozialwissenschaftlich nichtoder kaum überprüfbar sind - die Erreichungdes - vorgegebenen - <strong>recht</strong>s politisch motiviertenZiels einer restriktiven Interpretationder Werbung für eine terroristische Vereinigungzumindest wieder gefährden, sind sievon mE hohem theoretischen Interesse.Mit dem Hinweis auf die Leser der inkriminiertenParolen formulieren .9ie Gerichteauf der Ebene der Bewertung von sachverhaltskonstituierendenTexten nämlich einefundamentale Einsicht in das Verstiindnissprachlicher Äußerungen, ohne diese allerdingsau( die Ebene der Normtextinterpretationzu transferieren. Indem der 13GB aufdas Verstiindnis der Adressaten zur Bewertungeiner Äußerung abstellt, indem er alsodie Rezipienten die Bedeutung mitkonstituierenHißt, verHißt er wenigstens vordergl,"Undig- das tradierte merkmalssemantiseheBild von der Intension, die bekannt seiund so als geeignetes Kriterium fUr die"Richtigkeit" von Extensionen fungieren(42) So weist (Jiehrillg (AII/rl. 20), hit,:, S. 297 (AII1I1. 5) aufdie Venl1teilimg zweier Flugb/atlvmeiler z1l18 J1110natenFreiheitsstrafe ohne fllf(Cillltmllg hili.(43) BGHSt 33, S. /6 m IJOfJ, NStZ 1985, S. 21 = StV1984, S. 420.(44) ebd.; vgi. fluch die WllltgleidlCll FliI1l1ulienmgm desOLG Koblellz, StV /989, S. 205 /II1f1 des OLG Schleswig,NJW 1988, S. 352/(45) BGH, NStZ 1987, S. 552/, hieJ~S. 552.(46) ebd., S. 553.(47) BayOLG, StV 1987, S. 392; /illdm noch das OLGHamburg, 2 Ols 3/80, S 45, hierzitim nach Giehring,(Aflm.26), hier: S. 299, wenll das propagiette (humanitäre) Ziel"ifl Wirklichkeit ein Mittel zur Fördertl1lg der Kampfbereitschaftist lttld der Äußemde dies weijJ. " Die Gefangelletl undv.a. ihre Verteidiger, die vor dem BGH ihrerseits eineIl viertägigmSolidaritätshll1lgmtreik abhielten, begriffen die HUIIgerstreiks(auch [?J) als Kampfttlittel gegen die verschärftenHaftbediflgungm. Vgl. dazll PieterH. BakkerSchut, Stamm-JURIDIKUMkönne. Ob ein Zeichen Bedeutung hat, ergibtsich aus einem einer konventional vermitteltenund so zu ermittelnden Praxis, diedas (falsifizierbare) Wissen um eine Regelkonstituiert. Fehlt die Praxis, fehlt die Bedeutung.Das Wissen um die Bedeutung einesTextes befindet sich weder im Kopf desSprechers, noch in jenem des Hörers ISO), sondernist das Ergebnis einer gemeinschaftlichensprachlichen Praxis, deren Regeln sichim Sprach spiel zu konstituieren haben.Indem also das Gericht das Vorliegen vonWerbung iSd § 129a StGB vom Kreis derRezipienten abhängig macht, erkennt es dieBedeutung der Bedeutung von sprachlichenÄußerungen. Je spezialisierter und einschlägiginstruierter die Leser oder Hörer, destoweniger eindeutig braucht eine Äußerung zusein, um verstanden zu werden, weil die dieBedeutung konstituierende Praxis desto gefestigterist. Allerdings entscheiden die Gerichtein den hier zu besprechenden Verfahrenüber die inkriminierten Texte nicht nacheiner - ohnehin nicht möglichen - Betrachtungeines Sprachspiels, sondern nach einersolipsistischen Innenschau, in der sie nachihren Vorstellungen über das Verständnisder einschlägigen Verkehrskreise Ausschauhalten 1 5 11, woraus Beliebigkeit entsteht 1 52 1,weil ein Sachverhaltselement auf den Tatbestandhin "interpretiert" und so je nach politischerKonjunktur verschieden bewertetwerden kann.IV. Zwei Funktionen einesGerichtsurteils"Die linguistische Diskussion bestätigt insoweitauch jenen Ansatz der Strukturierenden Rechtslehre,demzufolge praktische Rechtsarbeit einen Textnicht etwa als substantiellen nur noch entfaltet,sondern, aus strukturellen Gründen des Sprachsystems,seine Bedeutung im Fall erst gestaltet.Rechtstheoretisch gewendet bedeutet dies, daß dementscheidenden Juristen zwar der vom Gesetzgebergeschaffene Normtext als Textformular vorgegebenist, nicht aber schon der Text der Rechtsnorm. "(53)heim. Die notwendige Korrektur der herrschenden Mei1ltl1lg(Kiel 1989), S. 84-91, S.101-103, S.I17-122.(48) BGH, StV 1987, S. 481.(49) BayOLG, StV 1987, S. 392.(50) Vgl. dazu dm beriihmten Aufsatz von Hilary Putnam,The meaning of"meaning", itl: idem, Mitld, Language andReality:Philosophical Papers Volume 2 (Cambridge 1975),S. 215-271, hierv. a.:s. 223-229.(51) Instrllktiv ist hier der Beschluß des OLG Kobleflz, StV1989, S. 205. Es erscheint dem Gericht fraglich, ob eindurchschnittlich iliformierter Leser iiberhaupt in der Lagewar, das mifgespriihte Kiirzel "RZ" als Werbltllgfiir die Revoluti01lärefl'Zellm zu iflterJ?retierell. Grt/nd dieses gerichtlichesZweifels ist, daß sowohl der itl der Vor instanz tätigeAmtsrichter als auch die Staatsanwaltschaft in der Sachemeinten, es werde mif eine terr01istische Vereitligllng Ilamms"Rote" Zellen hingewiesetI.(52) Diese Gefahrsieht at/ch GösSller (AI/m. 19), hier: S. 150.(53) Ftiedrich Miiller, Juristische il1ethodik (5. Auf!. BerlillNr 2/95

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!