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Blickpunkt Ausgabe 2-2011 - DJV Thüringen

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Foto: Lutz Edelhoff<br />

Aktuell Nachrichten Medien Internes Personalien<br />

Kunst und Wirklichkeit: Wandinstallation im Theaterneubau in Erfurt<br />

„Los Angeles Times“, die einen<br />

Korruptionsskandal über Monate<br />

recherchierten und publizierten,<br />

dafür den goldenen Pulitzerpreis<br />

„for public service“, für den<br />

„Dienst an der Öffentlichkeit“<br />

erhalten. Der „journalist“ berichtet<br />

über „Eine unendliche Geschichte“,<br />

recherchiert und aufgeschrieben<br />

von Reportern der<br />

„Berliner Morgenpost“. Der so<br />

aufgedeckte Skandal über Kindesmissbrauch<br />

am Berliner Canisius-<br />

Kolleg erschüttert die katholische<br />

Kirche und die Öffentlichkeit.<br />

Die Kollegen werden mit dem<br />

„Wächterpreis der deutschen<br />

Tagespresse“ ausgezeichnet.<br />

(Anm. der Red.: Siehe S. 20 f.)<br />

Die Jury des Henri-Nannen-<br />

Preises sorgt Mitte Mai für einen<br />

Eklat. Sie entzieht dem „Spiegel“-<br />

Reporter René Pfi ster den zuvor<br />

vergebenen Preis für die beste<br />

Reportage des Jahres. Der hatte<br />

ausgeplaudert, eine detailliert<br />

geschilderte Szene in seiner<br />

Reportage über Horst Seehofer<br />

nicht selbst erlebt zu haben.<br />

Sollten Leser und Juroren hier bewusst<br />

veräppelt werden? Die Jury<br />

entschied mit Stimmenmehrheit,<br />

Pfi ster den Preis abzuerkennen,<br />

ein Beleg dafür, dass die Minderheit,<br />

andere Maßstäbe anlegend,<br />

solches Gebaren toleriert.<br />

Qualität von Journalismus heißt<br />

für mich, mit wachen Sinnen<br />

den Alltag und das Leben der<br />

Menschen zu erkunden. Dazu<br />

gehören Recherchen in der analogen<br />

Welt, Gespräche von Angesicht<br />

zu Angesicht, die eigene<br />

Beobachtung des Geschehens,<br />

ein Netz von Kontakten zu Menschen<br />

in allen Lebensbereichen.<br />

Am Ende der Recherche steht in<br />

der Regel nicht die Skandalgeschichte,<br />

aber ein informativer,<br />

handwerklich guter Text mit einer<br />

Halbwertzeit, die vielleicht über<br />

die Stunde oder den Tag reicht.<br />

Vielfalt und Einfalt<br />

In Erfurt treffen sich Ende Mai<br />

mehrere Hundert Theatermenschen<br />

aus der ganzen Republik.<br />

Sie schlagen sich mit vergleichbaren<br />

Problemen wie Journalisten<br />

und Medienmenschen<br />

herum. Angeblich wirtschaftliche<br />

Probleme, das Publikum kommt<br />

immer spärlicher und bringt immer<br />

weniger Vorwissen mit über<br />

das, was auf der Bühne passiert.<br />

Die aufl agenstärkste Thüringer<br />

Tageszeitung führt ein Interview<br />

mit dem Präsidenten des Deutschen<br />

Bühnenvereins. Wagen die<br />

Theater heutzutage nicht genug?<br />

In seiner Antwort zitiert Klaus Zehelein<br />

den einstigen Theaterprinzipal<br />

August Everding: Wenn du<br />

den Zuschauern hinterherläufst,<br />

siehst du nur ihre Hintern. Was<br />

hat das mit Qualitätsjournalismus<br />

zu tun? Alles und nichts.<br />

Im Foyer des Theaterneubaus<br />

in Erfurt, wo sich Intendanten,<br />

Direktoren, Regisseure, Kulturpolitiker<br />

und Journalisten begegnen,<br />

hängt eine Wandinstallation.<br />

Kunstwerke haben ja nur vermittelt<br />

mit der Wirklichkeit zu<br />

tun. Das Foto auf dieser Seite<br />

zeigt und zitiert alles. Vielfalt<br />

ist für mich ein Markenkern<br />

von Qualität in der Zeitungs-,<br />

Rundfunk- und überhaupt Medienlandschaft,<br />

soweit Journalisten<br />

und nicht Kabarettisten<br />

das Sagen haben. Aber die<br />

Vielfalt verschwindet, die Einfalt<br />

gewinnt immer mehr Raum.<br />

Seit Jahren nimmt der wirtschaftliche<br />

Druck auf Redaktionen und<br />

Redakteure, auf festangestellte<br />

und freie Journalisten zu. Zeitungen<br />

und Sendungen müssen<br />

immer schneller und billiger<br />

produziert, mehrfach über alle<br />

möglichen Vertriebskanäle verwertet,<br />

Zeitungsseiten und Texte<br />

in verschiedenen Lokalausgaben<br />

gedruckt werden. Da werden<br />

schon mal ganze Zeitungsseiten<br />

in aufeinanderfolgenden<br />

<strong>Ausgabe</strong>n mehrfach publiziert.<br />

Immer weniger professionelle<br />

Journalisten sollen immer mehr<br />

schreiben, senden und produzieren.<br />

Immer mehr sogenannte<br />

Leserreporter, Bürgerjournalisten<br />

oder einfach nur Leser<br />

erhalten immer mehr redaktionellen<br />

Raum, vor allem in<br />

klassischen Printmedien. Sieht<br />

so die Zukunft des Journalismus<br />

und der Journalisten aus?<br />

Jetzt gibt es Nachrichtentische,<br />

<strong>Thüringen</strong>tische, Entscheidertische<br />

in der Redaktion, es gibt<br />

Reporter und Blattmacher. Wie<br />

nehmen die Kolleginnen und<br />

Kollegen an den Tischen noch<br />

die Menschen und die Verhältnisse<br />

draußen im Land wahr?<br />

Über die Computerbildschirme?<br />

Wie können sie sich an den<br />

Tischen noch ein kompetentes<br />

Urteil über Texte, Töne und Filme<br />

von Reportern erlauben, deren<br />

analoge Welt da draußen sie<br />

immer weniger wahrnehmen?<br />

Deshalb meine Bitte an diejenigen<br />

Kolleginnen und Kollegen,<br />

die andere, neue Formen journalistischer<br />

Arbeit praktizieren:<br />

Schreibt das auf, was Euch<br />

bewegt, aufregt oder gelassen<br />

macht! So ein Traumtänzer<br />

und Alleinkämpfer wie ich ist<br />

neugierig, wie Kolleginnen<br />

und Kollegen ganz modern,<br />

digital, individuell und kollektiv<br />

an der Zukunft von Journalismus<br />

und Qualität arbeiten.<br />

Michael Plote<br />

2/<strong>2011</strong> 29

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