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Willi Volka - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV

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_____________________________PROSA______________________________________<br />

Hülse kullern lassen. Aber sie bewegte sich<br />

nicht. Daraufhin schüttelte er die Hülse so‐<br />

lange, bis die Kugel mit einem Zischlaut<br />

herauskam.<br />

Vor Schreck ließ er die Hülse fallen und<br />

wartete, was nun geschehen würde. Jurij,<br />

der das Zischen hörte, bekam Angst und<br />

rannte die Stufen zum Hauseingang hinauf.<br />

Als er kurz vor der Eingangstür war, knallte<br />

es. Ein Granatsplitter traf ihn.<br />

Erst nach Kriegsende kehrten Anna und<br />

ihre Kinder nach Radibor zurück. Es gab<br />

kein Lebenszeichen von ihrem Sohn Jurij. Sie<br />

wusste nicht, wo ihn die Wehrmacht hin‐<br />

gebracht hatte. Nur gut, dass er schon Name<br />

und Adresse wusste. So würde er zurück‐<br />

finden. Immer wieder sagte Anna sich, dass<br />

er bestimmt zurückkommt. So grausam<br />

konnte Gott nicht sein. Er würde ihn ihr<br />

nicht auch noch nehmen wie ihre kleine<br />

Maria, die mit sechs Jahren an Diphtherie in<br />

ihren Armen gestorben war. Wie oft träumte<br />

sie nachts von ihrem kleinen Mädchen. Im<br />

Traum sprach sie mit ihm und war glück‐<br />

lich.<br />

Als Anna eines Tages mit ihren Kindern<br />

Blaubeeren im Wald bei Luppa sammelte,<br />

hörte sie Flüchtlinge erzählen, dass sie im<br />

Großschweidnitzer Krankenhaus elternlose<br />

Kinder gesehen hätten. Das Krankenhaus lag<br />

etwa 35 km von Radibor entfernt.<br />

Nun hielt Anna das Warten zu Hause<br />

nicht mehr aus. Sie entschloss sich, ihren<br />

Jungen zu suchen. Sie würde ihn finden und<br />

nach Hause bringen. Sie richtete einen<br />

kleinen Leiterwagen mit Stroh für den<br />

Transport ihres Sohnes her.<br />

„Du kannst nicht allein losziehen. Das ist<br />

zu gefährlich. Ich komme mit”, sagte ihre<br />

Schwester.<br />

Auch Franz, ihr Ältester, bat so lange, bis<br />

sie ihn mitnahm. Sie wollte nach Groß‐<br />

IGdA‐aktuell, Heft 1 (2009), Seite 11<br />

schweidnitz gehen. Sie wollte auch in allen<br />

Krankenhäusern der Umgebung nach Jurij<br />

fragen. Irgendwo musste er doch geblieben<br />

sein.<br />

An einem kühlen Sommermorgen zogen<br />

Anna, ihre Schwester und ihr Sohn Franz<br />

los. Schweigend legten sie die ersten Kilo‐<br />

meter zurück. Die Schwestern waren in Ge‐<br />

danken versunken. Wo werden sie Jurij<br />

finden? In welcher Verfassung wird er sein?<br />

Franz war ganz aufgeregt. Für ihn hatte ein<br />

Abenteuer begonnen. Alle drei schritten<br />

kräftig aus. Wenn Anna ihren Blick nach<br />

rechts wandte, sah sie im Gras etwas<br />

Schwarzes. Das musste ihr Kater sein. Wie<br />

lange würde er ihnen folgen? Nach einigen<br />

Kilometern bemerkte sie, dass der Kater<br />

nicht mehr da war. Schade! Jurij hatte ihn<br />

geliebt wie alle ihre Tiere. Die Begleitung<br />

des Katers war so beruhigend gewesen,<br />

hatte ihr Hoffnung gegeben.<br />

Unterwegs schaute Anna oft auf Franz. Er<br />

sah blass und müde aus. Er hatte sich sicher<br />

alles einfacher vorgestellt. Sie fragte sich, ob<br />

es richtig war, ihn mitgenommen zu haben.<br />

Aber es war zu spät. Er konnte nicht einfach<br />

zurück wie der Kater.<br />

Nach Stunden war das Krankenhaus in<br />

Großschweidnitz erreicht. Aber Jurij war<br />

nicht dort. Anna, ihre Schwester und Franz<br />

waren am Ende ihrer Kräfte. Sie baten um<br />

Übernachtung. Man hatte nur drei Sessel für<br />

sie.<br />

Unausgeschlafen und enttäuscht zogen<br />

sie am nächsten Morgen weiter. Oft über‐<br />

kam sie Mutlosigkeit. Aber sie konnten nicht<br />

aufgeben. Sie würden ihn finden.<br />

Hoffnung gab ihnen auch eine Kranken‐<br />

schwester, die erzählte, dass im Löbauer<br />

Krankenhaus elternlose Kinder seien.<br />

Anna war müde, so unendlich müde. Sie<br />

hätte gern geschlafen, und wenn sie wieder

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