02.12.2012 Aufrufe

Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut

Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut

Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

dieser Personen waren den aufgezwungenen Funktionen notgedrungen<br />

nachgegangen, doch manche hatten grausam gehandelt. Die<br />

israelische Polizei sah sich einer Schwemme von Anzeigen gegen<br />

diese Kollaborateure gegenüber, war aber machtlos, weil es in Israel<br />

keine Rechtsgrundlage gab, um gegen sie vorzugehen. Deshalb<br />

forderte die Polizei ein Gesetz gegen »jüdische Kriegsverbrecher«,<br />

wie sie genannt wurden.<br />

Das war ein außerordentlich heikles und peinliches Thema. Die<br />

israelische Regierung packte es nur zögernd an, aber schließlich<br />

kam es zu einer schmerzhaften ethischen Grundsatzdebatte in der<br />

Knesset. So kam 1950 das Gesetz zur Bestrafung von Nazis und<br />

ihren Gehilfen zustande. Das Gesetz unterscheidet dezidiert zwischen<br />

Naziverbrechen und sonstigen Straftaten. Es wahrt die elementaren<br />

Grundrechte des Angeklagten, verlangt im Unterschied zur regulären<br />

Strafprozessordnung jedoch ein spezielles Richtergremium und lässt<br />

Beweisführungen zu, die in normalen Strafprozessen unzulässig<br />

sind, zum Beispiel Zeugnisse vom Hörensagen und einschlägige<br />

Kenntnisse über historische Hintergründe.<br />

Bei Erlass des Gesetzes glaubte kein Mensch, dass Israel deutscher<br />

Naziverbrecher habhaft werden könnte. Es sollte einfach eine<br />

Rechtsgrundlage geschaffen werden, um jüdische Kollaborateure,<br />

die in Israel wohnhaft waren, bestrafen zu können. Ein paar Dutzend<br />

wurden vor Gericht gestellt, einer sogar zum Tod verurteilt, doch<br />

er starb, ohne dass die Strafe vollstreckt worden wäre. Die meisten<br />

dieser Prozesse fanden abseits der Öffentlichkeit statt. Die israelische<br />

Presse schwieg sie weitgehend tot.<br />

Das Gesetz zur Bestrafung von Nazis und ihren Gehilfen förderte<br />

kaum die aktive Fahndung nach NS-Verbrechern. Israel war<br />

damals zukunftsgerichtet. Die Geheimdienste des jungen Staates<br />

kümmerten sich vorrangig um dessen Sicherheit und bemühten<br />

sich nicht groß, Nazitäter aufzuspüren. Daher ignorierten sie 1953<br />

Simon Wiesenthals Mitteilung, dass Adolf Eichmann in Argentinien<br />

wohne. Vier Jahre später erhielt Israel ähnliche Informationen vom<br />

hessischen Generalstaatsanwalt <strong>Fritz</strong> <strong>Bauer</strong>, aber erst nach Ablauf<br />

dreier weiterer Jahre und auf <strong>Bauer</strong>s Drängen nahmen israelische<br />

Agenten Eichmann in Argentinien gefangen und brachten ihn nach<br />

Israel, damit er in Jerusalem vor Gericht gestellt werden konnte.<br />

Eichmann wurde zum Tod verurteilt und im Mai 1962 hingerichtet. 2<br />

Als Demjanjuk an Israel ausgeliefert wurde, erwartete man<br />

naturgemäß eine Wiederholung des Eichmann-Prozesses, aber so<br />

lief es nicht. Der Demjanjuk-Prozess fand unter gänzlich anderen<br />

Voraussetzungen statt. Eichmann hatte agiert, bevor Israel und<br />

seine Gesetze bestanden, und das im Rahmen der damals geltenden<br />

Rechtsordnung. Ehe man ihn in Israel vor Gericht stellen konnte,<br />

2 Zu Eichmann siehe die Studie von David Cesarani, Adolf Eichmann. Bürokrat<br />

und Massenmörder. Aus dem Engl. von Klaus-Dieter Schmidt. Berlin: Propyläen<br />

Verlag, 2004.<br />

musste daher erst eine Reihe gewichtiger Grundsatzentscheidungen<br />

getroffen werden, die zahlreiche Juristen in aller Welt bis heute<br />

kritisieren. Im Vorfeld des Demjanjuk-Prozesses brauchte Israels<br />

Rechtsbefugnis dagegen nicht erneut geklärt zu werden.<br />

Bis zum Eichmann-Prozess hatten sich die Israelis nicht besonders<br />

intensiv mit der Shoah auseinandergesetzt, darüber herrschte<br />

Stillschweigen: Eltern erzählten ihren Kindern nicht, was sie<br />

durchgemacht hatten, Kinder wagten nicht zu fragen. Der Prozess<br />

wirkte wie eine Art Therapie für die ganze Nation. Fünfundzwanzig<br />

Jahre später war die Shoah bereits ein wesentlicher Bestandteil der<br />

israelischen Identität, und die meisten jungen Israelis wussten mehr<br />

darüber als ihre Altersgenossen zur Zeit des Eichmann-Prozesses.<br />

Der Eichmann-Prozess stand im Schatten der Nürnberger Prozesse.<br />

Dort war die Shoah vorwiegend im Rahmen der Naziverbrechen<br />

gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit vorgekommen,<br />

hatte aber nicht im Mittelpunkt gestanden. Die Grundlage der<br />

Verhandlungen bildeten vor allem historische Dokumente, und das<br />

Hauptaugenmerk war auf die Verbrecher gerichtet gewesen.<br />

Der Eichmann-Prozess konzentrierte sich dagegen auf die<br />

Shoah, und insofern stellte er ein Novum dar. Die Anklage legte nicht<br />

wenige Dokumente vor, stützte sich aber vor allem auf die Aussagen<br />

der Überlebenden. Im Zentrum stand nicht der Angeklagte, sondern<br />

das Leiden der Opfer. Viele der Geretteten waren noch am Leben,<br />

die Shoah bildete einen Teil ihrer Biografi e. In den 1980er Jahren<br />

betrachteten viele Israelis die Shoah als Teil ihrer Geschichte.<br />

Auch im Demjanjuk-Prozess stellte die Anklage das Leiden<br />

der Opfer in den Mittelpunkt und bemühte sich, vorwiegend auf<br />

die haarsträubenden Aussagen der Zeugen abzuheben. Wie im<br />

Eichmann-Prozess rollte die Anklage die ganze Geschichte der Shoah<br />

auf, mit Schwerpunkt auf der Geschichte des Todeslagers Treblinka.<br />

Aber das Verfahren entwickelte weit weniger Anziehungskraft als<br />

der Eichmann-Prozess. Im Gegensatz zu Eichmann hatte Demjanjuk<br />

nicht an Entscheidungen mitgewirkt, die vor der Judenvernichtung<br />

gefallen waren, und er war auch kein Deutscher. Als ungebildeter,<br />

grobschlächtiger, glatzköpfi ger Ukrainer mit Donnerstimme erinnerte<br />

er eher an die Protagonisten antisemitischer Pogrome im Osteuropa<br />

des 19. Jahrhunderts als an das klassische Bild des Elite-Offi ziers<br />

der SS. Kein Mensch hatte Mühe, ihn als Schurken einzuordnen,<br />

aber da er kein deutscher Nazi war, blieb ihm nur eine Nebenrolle.<br />

*<br />

Einige Monate vor Prozessbeginn lud ich mich selbst zu einem<br />

Informationsgespräch bei dem zuständigen Staatsanwalt, Michael<br />

Shaked, ein. Shaked, ein goldgelockter junger Mann, klug, engagiert<br />

und sympathisch, ging diesen Prozess in jenem Gefühl historischer<br />

Verantwortung an, das auch der Ankläger im Eichmann-Prozess<br />

angesprochen hatte: Mit ihm würden sechs Millionen Ankläger im<br />

Gerichtssaal stehen, glaubte er. Shaked zeigte mir das Schriftstück,<br />

John Demjanjuk wird nach seiner Anhörung im<br />

Jerusalemer Russian Compound in Handschellen<br />

zu einem Polizeifahrzeug geführt, 2. März 1986.<br />

Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/<br />

Harnik Nati<br />

Der Holocaust-Überlebende Pinchas Epstein im<br />

Zeugenstand im Prozess gegen John Demjanjuk,<br />

Jerusalem International Convention Center<br />

(Binyanei Hauma), 23. Februar 1987.<br />

Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/<br />

Sa‘ar Ya‘acov<br />

Staatsanwalt Michael Shaked bei der Vernehmung<br />

Demjanjuks, Binyanei Hauma, 4. August 1987.<br />

Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/<br />

Ayalon Maggi<br />

18 <strong>Einsicht</strong><br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>02</strong> Herbst 2009<br />

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!