Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut
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dieser Personen waren den aufgezwungenen Funktionen notgedrungen<br />
nachgegangen, doch manche hatten grausam gehandelt. Die<br />
israelische Polizei sah sich einer Schwemme von Anzeigen gegen<br />
diese Kollaborateure gegenüber, war aber machtlos, weil es in Israel<br />
keine Rechtsgrundlage gab, um gegen sie vorzugehen. Deshalb<br />
forderte die Polizei ein Gesetz gegen »jüdische Kriegsverbrecher«,<br />
wie sie genannt wurden.<br />
Das war ein außerordentlich heikles und peinliches Thema. Die<br />
israelische Regierung packte es nur zögernd an, aber schließlich<br />
kam es zu einer schmerzhaften ethischen Grundsatzdebatte in der<br />
Knesset. So kam 1950 das Gesetz zur Bestrafung von Nazis und<br />
ihren Gehilfen zustande. Das Gesetz unterscheidet dezidiert zwischen<br />
Naziverbrechen und sonstigen Straftaten. Es wahrt die elementaren<br />
Grundrechte des Angeklagten, verlangt im Unterschied zur regulären<br />
Strafprozessordnung jedoch ein spezielles Richtergremium und lässt<br />
Beweisführungen zu, die in normalen Strafprozessen unzulässig<br />
sind, zum Beispiel Zeugnisse vom Hörensagen und einschlägige<br />
Kenntnisse über historische Hintergründe.<br />
Bei Erlass des Gesetzes glaubte kein Mensch, dass Israel deutscher<br />
Naziverbrecher habhaft werden könnte. Es sollte einfach eine<br />
Rechtsgrundlage geschaffen werden, um jüdische Kollaborateure,<br />
die in Israel wohnhaft waren, bestrafen zu können. Ein paar Dutzend<br />
wurden vor Gericht gestellt, einer sogar zum Tod verurteilt, doch<br />
er starb, ohne dass die Strafe vollstreckt worden wäre. Die meisten<br />
dieser Prozesse fanden abseits der Öffentlichkeit statt. Die israelische<br />
Presse schwieg sie weitgehend tot.<br />
Das Gesetz zur Bestrafung von Nazis und ihren Gehilfen förderte<br />
kaum die aktive Fahndung nach NS-Verbrechern. Israel war<br />
damals zukunftsgerichtet. Die Geheimdienste des jungen Staates<br />
kümmerten sich vorrangig um dessen Sicherheit und bemühten<br />
sich nicht groß, Nazitäter aufzuspüren. Daher ignorierten sie 1953<br />
Simon Wiesenthals Mitteilung, dass Adolf Eichmann in Argentinien<br />
wohne. Vier Jahre später erhielt Israel ähnliche Informationen vom<br />
hessischen Generalstaatsanwalt <strong>Fritz</strong> <strong>Bauer</strong>, aber erst nach Ablauf<br />
dreier weiterer Jahre und auf <strong>Bauer</strong>s Drängen nahmen israelische<br />
Agenten Eichmann in Argentinien gefangen und brachten ihn nach<br />
Israel, damit er in Jerusalem vor Gericht gestellt werden konnte.<br />
Eichmann wurde zum Tod verurteilt und im Mai 1962 hingerichtet. 2<br />
Als Demjanjuk an Israel ausgeliefert wurde, erwartete man<br />
naturgemäß eine Wiederholung des Eichmann-Prozesses, aber so<br />
lief es nicht. Der Demjanjuk-Prozess fand unter gänzlich anderen<br />
Voraussetzungen statt. Eichmann hatte agiert, bevor Israel und<br />
seine Gesetze bestanden, und das im Rahmen der damals geltenden<br />
Rechtsordnung. Ehe man ihn in Israel vor Gericht stellen konnte,<br />
2 Zu Eichmann siehe die Studie von David Cesarani, Adolf Eichmann. Bürokrat<br />
und Massenmörder. Aus dem Engl. von Klaus-Dieter Schmidt. Berlin: Propyläen<br />
Verlag, 2004.<br />
musste daher erst eine Reihe gewichtiger Grundsatzentscheidungen<br />
getroffen werden, die zahlreiche Juristen in aller Welt bis heute<br />
kritisieren. Im Vorfeld des Demjanjuk-Prozesses brauchte Israels<br />
Rechtsbefugnis dagegen nicht erneut geklärt zu werden.<br />
Bis zum Eichmann-Prozess hatten sich die Israelis nicht besonders<br />
intensiv mit der Shoah auseinandergesetzt, darüber herrschte<br />
Stillschweigen: Eltern erzählten ihren Kindern nicht, was sie<br />
durchgemacht hatten, Kinder wagten nicht zu fragen. Der Prozess<br />
wirkte wie eine Art Therapie für die ganze Nation. Fünfundzwanzig<br />
Jahre später war die Shoah bereits ein wesentlicher Bestandteil der<br />
israelischen Identität, und die meisten jungen Israelis wussten mehr<br />
darüber als ihre Altersgenossen zur Zeit des Eichmann-Prozesses.<br />
Der Eichmann-Prozess stand im Schatten der Nürnberger Prozesse.<br />
Dort war die Shoah vorwiegend im Rahmen der Naziverbrechen<br />
gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit vorgekommen,<br />
hatte aber nicht im Mittelpunkt gestanden. Die Grundlage der<br />
Verhandlungen bildeten vor allem historische Dokumente, und das<br />
Hauptaugenmerk war auf die Verbrecher gerichtet gewesen.<br />
Der Eichmann-Prozess konzentrierte sich dagegen auf die<br />
Shoah, und insofern stellte er ein Novum dar. Die Anklage legte nicht<br />
wenige Dokumente vor, stützte sich aber vor allem auf die Aussagen<br />
der Überlebenden. Im Zentrum stand nicht der Angeklagte, sondern<br />
das Leiden der Opfer. Viele der Geretteten waren noch am Leben,<br />
die Shoah bildete einen Teil ihrer Biografi e. In den 1980er Jahren<br />
betrachteten viele Israelis die Shoah als Teil ihrer Geschichte.<br />
Auch im Demjanjuk-Prozess stellte die Anklage das Leiden<br />
der Opfer in den Mittelpunkt und bemühte sich, vorwiegend auf<br />
die haarsträubenden Aussagen der Zeugen abzuheben. Wie im<br />
Eichmann-Prozess rollte die Anklage die ganze Geschichte der Shoah<br />
auf, mit Schwerpunkt auf der Geschichte des Todeslagers Treblinka.<br />
Aber das Verfahren entwickelte weit weniger Anziehungskraft als<br />
der Eichmann-Prozess. Im Gegensatz zu Eichmann hatte Demjanjuk<br />
nicht an Entscheidungen mitgewirkt, die vor der Judenvernichtung<br />
gefallen waren, und er war auch kein Deutscher. Als ungebildeter,<br />
grobschlächtiger, glatzköpfi ger Ukrainer mit Donnerstimme erinnerte<br />
er eher an die Protagonisten antisemitischer Pogrome im Osteuropa<br />
des 19. Jahrhunderts als an das klassische Bild des Elite-Offi ziers<br />
der SS. Kein Mensch hatte Mühe, ihn als Schurken einzuordnen,<br />
aber da er kein deutscher Nazi war, blieb ihm nur eine Nebenrolle.<br />
*<br />
Einige Monate vor Prozessbeginn lud ich mich selbst zu einem<br />
Informationsgespräch bei dem zuständigen Staatsanwalt, Michael<br />
Shaked, ein. Shaked, ein goldgelockter junger Mann, klug, engagiert<br />
und sympathisch, ging diesen Prozess in jenem Gefühl historischer<br />
Verantwortung an, das auch der Ankläger im Eichmann-Prozess<br />
angesprochen hatte: Mit ihm würden sechs Millionen Ankläger im<br />
Gerichtssaal stehen, glaubte er. Shaked zeigte mir das Schriftstück,<br />
John Demjanjuk wird nach seiner Anhörung im<br />
Jerusalemer Russian Compound in Handschellen<br />
zu einem Polizeifahrzeug geführt, 2. März 1986.<br />
Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/<br />
Harnik Nati<br />
Der Holocaust-Überlebende Pinchas Epstein im<br />
Zeugenstand im Prozess gegen John Demjanjuk,<br />
Jerusalem International Convention Center<br />
(Binyanei Hauma), 23. Februar 1987.<br />
Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/<br />
Sa‘ar Ya‘acov<br />
Staatsanwalt Michael Shaked bei der Vernehmung<br />
Demjanjuks, Binyanei Hauma, 4. August 1987.<br />
Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/<br />
Ayalon Maggi<br />
18 <strong>Einsicht</strong><br />
<strong>Einsicht</strong> <strong>02</strong> Herbst 2009<br />
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