Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut
Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut
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Prozess Angeklagte Urteil<br />
LG Berlin<br />
8.5.1950 (Sobibór)<br />
LG Frankfurt am Main<br />
25.8.1950 (Sobibór)<br />
LG Frankfurt am Main<br />
3.3.1951 (Treblinka)<br />
LG München I<br />
21.1.1965 (Bełżec)<br />
LG Düsseldorf<br />
3.9.1965 (Treblinka)<br />
LG Hagen<br />
20.12.1966 (Sobibór)<br />
LG Düsseldorf<br />
22.12.1970<br />
(Sobibór – Treblinka)<br />
Erich Hermann <strong>Bauer</strong> Todesurteil, umgewandelt<br />
in lebenslanges<br />
Zuchthaus<br />
Hubert Gomerski<br />
Johann Klier<br />
lebenslanges Zuchthaus,<br />
umgewandelt im Nachfolgeprozess<br />
in 15 Jahre,<br />
nicht bestätigt, dann verhandlungsunfähig<br />
Freispruch<br />
Josef Hirtreiter lebenslanges Zuchthaus<br />
Josef Kaspar Oberhauser 4 Jahre, 6 Monate<br />
Zuchthaus<br />
Kurt Hubert Franz<br />
Heinrich Arthur Matthes<br />
Willi Mentz<br />
August Wilhelm Miete<br />
Gustav Münzberger<br />
Otto Stadie<br />
Franz Suchomel<br />
Erwin Hermann Lambert<br />
Franz Otto Rum<br />
Richard Otto Horn<br />
Karl August Wilhelm<br />
Frenzel<br />
Kurt Bolender<br />
Franz Wolf<br />
<strong>Fritz</strong> Erich Fuchs<br />
Jakob Alfred Ittner<br />
Karl Werner Dubois<br />
Erwin Hermann Lambert<br />
Robert Emil Franz Jührs<br />
Erich Gustav Willi<br />
Lachmann<br />
Hans-Heinz Friedrich<br />
Schütt<br />
Heinrich Unverhau<br />
Ernst Zierke<br />
lebenslanges Zuchthaus<br />
lebenslanges Zuchthaus<br />
lebenslanges Zuchthaus<br />
lebenslanges Zuchthaus<br />
12 Jahre Zuchthaus<br />
7 Jahre Zuchthaus<br />
6 Jahre Zuchthaus<br />
4 Jahre Zuchthaus<br />
3 Jahre Zuchthaus<br />
Freispruch<br />
lebenslanges Zuchthaus,<br />
bestätigt im Nachfolgeprozess<br />
Selbstmord während der<br />
Hauptverhandlung<br />
8 Jahre Zuchthaus<br />
4 Jahre Zuchthaus<br />
4 Jahre Zuchthaus<br />
3 Jahre Zuchthaus<br />
3 Jahre Zuchthaus<br />
Freispruch<br />
Freispruch<br />
Freispruch<br />
Freispruch<br />
Freispruch<br />
Franz Stangl lebenslanges Zuchthaus<br />
16 Monate hin. Ein Angeklagter wurde zu lebenslanger Haft und<br />
fünf zu Freiheitsstrafen von drei bis acht Jahren verurteilt. Fünf Angeklagte<br />
wurden freigesprochen. 12 Kurt Bolender, der zeitweilig für<br />
die Massengräber zuständig gewesen war, beging Selbstmord. Sowohl<br />
im Treblinka- als auch im Sobibór-Prozess nahm die Frage nach<br />
einem möglichen Befehls- oder Putativnotstand der Angeklagten breiten<br />
Raum ein; schließlich hatte sich diese Verteidigungsstrategie im<br />
Bełżec-Verfahren für die Angeklagten als erfolgreich erwiesen.<br />
1969 fand der vierte Prozess gegen den Lagerleiter von Sobibór<br />
und Treblinka, Franz Stangl, statt, der inzwischen in Brasilien aufgespürt<br />
und nach Deutschland ausgeliefert worden war. Nach siebenmonatiger<br />
Hauptverhandlung wurde er in Düsseldorf zu lebenslanger<br />
Haft verurteilt. 13<br />
Zu den Nachfolgeprozessen in den 1970er und 80er Jahren<br />
kam es, nachdem Gomerski und Frenzel die Wiederaufnahme der<br />
Verfahren beantragt hatten. Gomerski wurde auf seinen Antrag hin<br />
zunächst im Dezember 1972 aus der Haft entlassen. In der Hauptverhandlung<br />
von 1973 bis 1977 schaffte er es, seine lebenslange<br />
Haftstrafe auf nur 15 Jahre Freiheitsentzug zu reduzieren. Dagegen<br />
legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, so dass das Verfahren im<br />
Oktober 1981 ein weiteres Mal aufgenommen wurde. Dieses wurde<br />
1983 aber wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten<br />
eingestellt. 14 Im Jahr 1986 erhielt Gomerski, dem von den Opferzeugen<br />
besonderer Sadismus und willkürliche Morde bescheinigt<br />
worden waren, sogar eine Entschädigung von 63.632 DM für die<br />
nach dem zweiten Urteil zu lang abgesessene Freiheitsstrafe zugesprochen.<br />
15 Die lebenslängliche Haftstrafe gegen Frenzel wurde zwar<br />
nach einem erneuten Prozess im Oktober 1985 bestätigt, de facto befand<br />
sich Frenzel zu diesem Zeitpunkt aber bereits auf freiem Fuß. 16<br />
Strafverfolgung und Gerechtigkeit<br />
Hält man sich den Charakter der Vernichtungslager vor Augen, in<br />
denen jeder einzelne Täter seinen Beitrag zum kollektiven Mord an<br />
über anderthalb Millionen Menschen geleistet hatte, bestürzt die<br />
geringe Anzahl der letztlich 19 Verurteilten ebenso wie das geringe<br />
Strafmaß in einzelnen Fällen.<br />
Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Zunächst ist auf die offensichtlichen<br />
Versäumnisse der Justizbehörden in der DDR und in<br />
12 Urteil in: JuNSV, Bd. XXV, S. 52–233; BGH-Urteil, ebd., S. 234–252.<br />
13 Urteil in: JuNSV, Bd. XXXIV, S. 730–833. Vgl. Gitta Sereny, Am Abgrund. Eine<br />
Gewissensforschung. Wien 1980.<br />
14 Aussage v. Gomerski, Hauptverhandlung, 12.11.1973, LA Berlin B Rep. 058,<br />
Nr. 1577.<br />
15 Er starb 13 Jahre später. Staatsanwaltschaft beim OLG Frankfurt an RA von Gomerski,<br />
26.6.1986, HHStA Wiesbaden, Abtl. 461, Nr. 36346, Bd. 20, Bl. 3826.<br />
16 Er kam von 1976 bis 1980 und ab 1982 frei. Aus der lebenslangen Haft entlassen<br />
wurden auch <strong>Bauer</strong> (1971), Hirtreiter (1977), Miete (1985) und Franz (1993).<br />
Matthes, Mentz und Stangl starben in Haft.<br />
Österreich insgesamt sowie in der BRD bis in die 1960er Jahre zu<br />
verweisen. Auch nachdem Ermittlungsverfahren aufgenommen worden<br />
waren, stieß die Ahndung der Verbrechen auf Hindernisse. Es<br />
bestanden große Schwierigkeiten, die Täter zu identifi zieren, da es<br />
weder Personallisten noch Aktenbestände zu den Lagern gab. Nur<br />
wenige Zeitzeugenberichte waren veröffentlicht, und an eine wissenschaftliche<br />
Aufarbeitung war in diesen Jahren auch aufgrund des<br />
gesellschaftspolitischen Klimas noch nicht zu denken.<br />
Gründe für die Freisprüche und das geringe Strafmaß sind – wie<br />
bei allen NS-Prozessen – auch darin zu sehen, dass das Strafrecht nicht<br />
darauf ausgelegt war, die komplexe NS-Tötungsmaschinerie zu ahnden.<br />
Die Verjährung von Totschlag im Jahre 1960, bevor die koordinierten<br />
Ermittlungen zur »Aktion Reinhardt« überhaupt Ergebnisse vorweisen<br />
konnten, grenzte die Handlungsmöglichkeiten der Richter weiter ein.<br />
Da die Lagermorde juristisch als staatliche Auftragsmorde klassifi<br />
ziert worden waren, hatten die Gerichte für eine Verurteilung wegen<br />
gemeinschaftlichen Mords den subjektiven Täterwillen nachzuweisen.<br />
Als Indiz, dass die Täter sich die befohlenen Taten der NS-Führung<br />
zu eigen gemacht hatten, dienten neben der mit einverständlichem Eifer<br />
ausgeübten Befehlsbefolgung auch individuell bewiesene, eigeninitiative<br />
Einzeltötungen. Ohne diesen Nachweis zog die Zugehörigkeit<br />
zum Personal der Todeslager und die funktionelle Mitwirkung an<br />
der Massenvernichtung keine Verurteilung als Mittäter nach sich. Erkannte<br />
das Gericht auf gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen<br />
Mord und lagen keine strafausschließenden Gründe vor, wurden<br />
oftmals milde Strafen verhängt. Erkannte das Gericht wie im Hagener<br />
Sobibór-Prozess darauf, dass die Befehlssituation unter dem »unbarmherzigen<br />
Vorgesetzten« Christian Wirth einen schuldausschließenden,<br />
putativen (vermeintlichen) Nötigungsstand bei den niederen Chargen<br />
erkennen ließ, sprachen die Richter Freisprüche aus.<br />
Die Täter selbst wiederum nutzten diese Handlungsspielräume<br />
des Strafrechts und stilisierten sich in ihren Aussagen als subalterne<br />
Befehlsempfänger ohne Eigenmotivation und persönlichen Antrieb.<br />
Sie bemühten sich, den Massenmord als reines »Fließbandverfahren«,<br />
als perfekt funktionierende Todesmaschine, ohne die Notwendigkeit<br />
der Anwendung von Gewalt, darzustellen. Aus dieser Sicht<br />
gibt es letztlich keine Verantwortung des Einzelnen, wie der Beschuldigte<br />
Heinrich Unverhau anführte: »Die Angehörigen des deutschen<br />
Personals der Vernichtungslager hatten […] an den dortigen Vorgängen<br />
nur einen sehr geringen Anteil. Wirth hat wiederholt, wenn er<br />
in angeregter Stimmung war, sich damit gebrüstet, dass alles so eingespielt<br />
sei, dass er niemanden brauche, er könne alle nach Hause<br />
schicken und würde alles mit seinen Kapos allein machen können.« 17<br />
Die Täter beschrieben sich als »kleines Rad in einer Maschine,<br />
deren Lauf unverständlicherweise von niemandem Einhalt ge-<br />
17 Vernehmung v. Unverhau, 21.7.1960, StA München, Staatsanwaltschaften<br />
33033/4, Bl. 685–689.<br />
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28 <strong>Einsicht</strong><br />
<strong>Einsicht</strong> <strong>02</strong> Herbst 2009 29<br />
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