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Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut

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das später unter der Bezeichnung »Trawniki-Ausweis« bekannt<br />

werden sollte, eine Art Dienstausweis, dem Anschein nach mit<br />

Demjanjuks Namen und Foto, der besagte, dass er in dem SS-<br />

Ausbildungslager Trawniki (Distrikt Lublin) gewesen war. Ich sah,<br />

dass dieser Ausweis seinen Besitzer dem Vernichtungslager Sobibór,<br />

nicht Treblinka, zuordnete, aber Shaked versicherte mir, dass das<br />

kein Problem darstellen würde: Die Identität des Angeklagten stehe<br />

außer Zweifel, sagte er selbstgewiss. Er wollte im Prozess vorwiegend<br />

auf die Geschichte Treblinkas abstellen, unter anderem weil<br />

es nur wenige Überlebende gab, die von Sobibór hätten berichten<br />

können. Der Ukrainer »Iwan«, der die Gaskammern in Treblinka<br />

bedient hatte, war schon im Eichmann-Prozess erwähnt worden.<br />

Soweit ersichtlich, glaubte Shaked wirklich und wahrhaftig, dass<br />

John Demjanjuk »Iwan der Schreckliche« war.<br />

Demjanjuk leugnete die Judenvernichtung in Treblinka nicht. Er<br />

leugnete nur, dort – oder in Sobibór – gewesen zu sein. Er behauptete,<br />

der Trawniki-Ausweis sei eine Fälschung des sowjetischen Geheimdienstes<br />

KGB, und gab damit dem ganzen Prozess eine Wendung:<br />

Statt die Tragödie von Treblinka und die daraus zu ziehenden Lehren<br />

im Mittelpunkt zu belassen, ging es zunehmend um die Identität des<br />

Angeklagten. Das war die Glanzleistung der Verteidigung.<br />

Die Verteidiger kamen aus den USA, angeführt von einem gewissen<br />

Mark O’Connor. Dieser benahm sich im Gerichtssaal so, wie<br />

Rechtsanwälte sich in amerikanischen Gangsterfi lmen aufzuführen<br />

pfl egen. Hin und wieder verhöhnte er das Gericht mit theatralischen<br />

Ehrenbezeugungen. Nicht selten brachte er die Richter zur Weißglut.<br />

Demjanjuks israelischer Verteidiger, Yoram Sheftel, damals 37 Jahre<br />

alt, entstammte einer Familie, die neunzig Angehörige in der Shoah<br />

verloren hatte. Aufgrund seines Temperaments und seiner Weltanschauung<br />

war Sheftel alles zuwider, was nach Establishment roch.<br />

Seine Entscheidung, die Verteidigung mit zu übernehmen, beschrieb<br />

Sheftel folgendermaßen: »Eines Morgens auf dem Weg zum Tel<br />

Aviver Bezirksgericht fragte ich meinen Kompagnon unvermittelt:<br />

›Was hältst du davon, dass ich Demjanjuks Verteidiger werde und<br />

der Regierung den vorgesehenen Schauprozess gründlich verderbe,<br />

damit denen schwarz vor Augen wird und sie den Moment verfl uchen,<br />

in dem sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen haben?‹ Mit<br />

›denen‹ ist natürlich die israelische Justiz und speziell die israelische<br />

Staatsanwaltschaft gemeint.«<br />

In seinem Buch schreibt Sheftel 3 unter anderem, dass er nicht<br />

nur seine Plädoyers, sondern auch seine Körpersprache sorgfältig<br />

einstudiert hatte, um den Gerichtsvorsitzenden Dov Levin auf die<br />

3 Yoram Sheftel, Parashat Demjanjuk (Hebrew), Tel Aviv, Adam, 1993; engl.:<br />

Defending »Ivan the Terrible«. The conspiracy to convict John Demjanjuk.<br />

Washington, DC: Regnery Publ., 1996. – Vgl. auch Tom Teicholz, The trial of<br />

Ivan the Terrible. State of Israel vs. John Demjanjuk. New York: St. Martin’s<br />

Press, 1990.<br />

Palme zu bringen, und tatsächlich verging kaum ein Tag, ohne dass<br />

Richter und Verteidiger sich gegenseitig beleidigten. Ein lautstarker<br />

und medienwirksamer Streit zwischen Sheftel und O’Connor sorgte<br />

für einen weiteren Höhepunkt des Prozesses, und zuweilen schien<br />

es, als könnte Demjanjuk allein wegen der eigenwilligen Auswahl<br />

seiner Verteidiger am Galgen enden.<br />

Eine Zeugin der Verteidigung versuchte Hand an sich zu legen,<br />

nachdem das Kreuzverhör ihre Glaubwürdigkeit schwer erschüttert<br />

hatte, und ein weiterer israelischer Verteidiger sprang aus dem<br />

Fenster und starb. Bei der Beerdigung wurde Sheftel von einer<br />

Person angegriffen, die ihm Säure ins Gesicht schüttete. Nur durch<br />

ein Wunder verlor er nicht das Augenlicht.<br />

Die Verteidigung lud eine Reihe ausländischer Zeugen, die<br />

berichteten, wie sowjetische Stellen unliebsame Personen mittels<br />

gefälschter Papiere in Misskredit zu bringen suchten. Zahlreiche<br />

Sachverständige wurden beigezogen, um den Trawniki-Ausweis als<br />

Fälschung zu entlarven. Wochenlang drehte sich die Verhandlung<br />

um die Papiersorte, das Modell der Schreibmaschine, die Tinte, das<br />

Foto, den Klebstoff, den Stempel. In einem gewissen Stadium des<br />

Prozesses konnte man im Gerichtssaal sogar ein Sachverständigengutachten<br />

über den Gebrauch von Büroklammern vernehmen. Historiker,<br />

die von der Anklagebehörde als Gutachter geladen wurden und<br />

von denen einige eigens aus Deutschland angereist waren, erklärten<br />

demgegenüber, dass Demjanjuk durchaus in Treblinka gedient haben<br />

könnte, auch wenn der Trawniki-Ausweis dieses Lager nicht nennt.<br />

All das dauerte lange, kostete Millionen und verspielte das öffentliche<br />

Interesse, das nur so lange vorhielt, wie es im Prozess um die<br />

Shoah ging. Die Zuschauersitze blieben häufi g fast leer.<br />

Sheftel schrieb in seinem Buch, es sei ein »blamabler Schauprozess«<br />

gewesen, und fügte hinzu: »Die Richter wie die Medien<br />

hatten praktisch den Stab über Demjanjuk gebrochen, längst bevor<br />

sie es formell kraft Gerichtsurteil taten, und deshalb bemühten sie<br />

sich nach Kräften, ihn zu überführen.« 4 Unter anderem ärgerte ihn,<br />

dass die Gerichtsdokumente, darunter auch das Urteil, als Vornamen<br />

des Angeklagten »Iwan« vermerkten, seinen echten Namen, John,<br />

aber bestenfalls in Klammern anfügten.<br />

Der Prozess fand in einem Raum statt, der normalerweise für<br />

Filmvorführungen, nicht als Gerichtssaal diente, und im Gegensatz<br />

zu sonstigen israelischen Gepfl ogenheiten war die Übertragung durch<br />

Rundfunk und Fernsehen zugelassen. Das hatte zur Folge, dass nicht<br />

nur die Anwälte, sondern auch Zeugen, Richter und der Angeklagte,<br />

ja sogar die Zuschauer sich zuweilen selbst darstellten. Die Presse<br />

ignorierte erwartungsgemäß jede Beschränkung, die gemeinhin<br />

für einen laufenden Prozess unter dem Prinzip des sub judice gilt,<br />

und sprach den Angeklagten noch vor Prozessbeginn schuldig. Das<br />

Gericht nahm die Dienste eines Presseoffi ziers in Anspruch, und der<br />

4 Yoram Sheftel, Parashat Demjanjuk, S. 225.<br />

Vorsitzende Richter Levin traf sich gelegentlich mit Journalisten,<br />

um ihnen Prozesshintergründe zu erläutern – wiederum in krassem<br />

Gegensatz zur üblichen Norm. Levin ließ schon in frühen Phasen<br />

des Verfahrens durchblicken, dass er Demjanjuks Identität für geklärt<br />

halte und es nur noch um das Strafmaß gehe.<br />

In dieser Hinsicht war es tatsächlich ein Schauprozess. Ansonsten<br />

verlief jedoch alles rechtmäßig. Der Angeklagte erhielt die<br />

Möglichkeit, sich zu verteidigen. Jedes Wort, das vor Gericht fi el,<br />

wurde simultan ins Ukrainische und auch ins Englische übersetzt. Die<br />

Verteidigung erhielt die nötige technische Unterstützung auf Kosten<br />

des Staates Israel. Demjanjuk saß in Isolationshaft, allerdings unter<br />

bequemen Bedingungen. Seine Zelle war mit einem Radiogerät ausgestattet.<br />

Er lernte etwas Hebräisch, las Zeitung, durfte gelegentlich<br />

mit seiner Familie telefonieren. Wenn er sich unwohl fühlte, bekam<br />

er ärztliche Behandlung.<br />

20 <strong>Einsicht</strong><br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>02</strong> Herbst 2009<br />

21<br />

*<br />

Ein paar Jahre vorher schrieb ich an der Universität Boston meine<br />

Dissertation über die Kommandanten der nationalsozialistischen<br />

Konzentrationslager. 5 Ein oder zwei Mal besuchte ich in New York<br />

Hannah Arendt, die mit meinen Eltern befreundet war. Naturgemäß<br />

sprachen wir über das Buch, das sie zum Eichmann-Prozess verfasst<br />

hatte. 6 Zu meiner Verblüffung erklärte Arendt, das Buch sei nicht<br />

wichtig. Es habe, hauptsächlich wegen seines Untertitels »Ein Bericht<br />

von der Banalität des Bösen«, weltweit Aufsehen erregt, doch die meisten<br />

Leser würden den Sinn dieser Worte völlig verdrehen. Aber sie<br />

müsse doch zugeben, dass Eichmann in Jerusalem ein grundlegendes<br />

Werk sei, versuchte ich dagegenzuhalten, und schließlich konnte ich<br />

ihr das halbherzige Eingeständnis abringen, möglicherweise könne<br />

ein Journalist, der einmal über einen historischen Gerichtsprozess<br />

zu berichten habe, aus ihrem Buch lernen, wie er es anpacken sollte.<br />

Als ich, erst für Koteret Rashit, später für die Tageszeitung Haaretz,<br />

über den Demjanjuk-Prozess berichtete, dachte ich gelegentlich<br />

an Arendts Worte. Ich bemühte mich, mir für den Prozess möglichst<br />

viel einschlägiges historisches Wissen anzueignen. Die Geschichte<br />

ukrainischer Wachmänner in den NS-Vernichtungslagern erwies<br />

sich als sperrig und schwer zu vermitteln. Leser, die den Verhandlungen<br />

im Gerichtssaal folgen wollten, mussten sich viele Namen,<br />

Begriffe und Ereignisse merken, die ihnen zuvor unbekannt gewesen<br />

sein dürften. Der Demjanjuk-Prozess zeigte, wie zuvor schon der<br />

Eichmann-Prozess, dass sich ein Gerichtsverfahren nur sehr begrenzt<br />

5 Tom Segev, Soldiers of Evil. The Commandants of the Nazi Concentration Camps.<br />

New York 1988; dt.: Die Soldaten des Bösen. Zur Geschichte der KZ-Kommandanten.<br />

Aus dem Amerikan. von Bernhard Schmid. Reinbek bei Hamburg 1992.<br />

6 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen.<br />

München 1964; München: Piper Verlag, 2006.<br />

als Medium der Geschichtsvermittlung eignet. Für die meisten Israelis<br />

war der Film SHOAH lehrreicher als der Demjanjuk-Prozess.<br />

Häufi g kamen mir nachts wieder die grauenhaften Zeugenaussagen<br />

in den Sinn, aber sie konnten trotz aller Eindringlichkeit nicht das<br />

unangenehme Gefühl verdrängen, das mich während des Prozesses<br />

begleitete. Die Aussagen von Überlebenden, die mit Fingern auf Demjanjuk<br />

zeigten, warfen die Frage auf, ob man einen Menschen nach so<br />

vielen Jahren wiedererkennen könne, zumal der Betreffende in den<br />

zehn Jahren vor dem Jerusalemer Prozess immer wieder in den Medien<br />

erwähnt und auch im Fernsehen gezeigt worden war. Die polizeilichen<br />

Gegenüberstellungen, die mit dem Angeklagten durchgeführt wurden,<br />

waren in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Unter anderem erschien<br />

fraglich, ob man den Zeugen glauben durfte, dass sie sich vor der Gegenüberstellung<br />

nicht abgesprochen hatten. Einige Zeugen waren schon<br />

in früheren Mordprozessen um das Todeslager Treblinka aufgetreten.<br />

Ihre Aussagen veranschaulichten auch die große Not jener Shoah-<br />

Überlebenden, die durchgekommen waren, weil sie als sogenannte<br />

»Arbeitsjuden« Zwangsarbeit verrichtet hatten, die mit der Vernichtung<br />

zusammenhing, etwa indem sie Toten die Goldzähne herausrissen und<br />

Leichen verbrannten. In Israel hatten sie ständig mit dieser Wahrheit<br />

leben müssen. Und nun kamen öffentliche Stellen des Staates, in dem<br />

sie sich ein neues Leben aufgebaut hatten, und sagten ihnen, man habe<br />

den wahren Mörder gefunden und gebe ihnen die Möglichkeit, mit auf<br />

seine Bestrafung hinzuwirken. Es war ihre letzte Gelegenheit, sich reinzuwaschen<br />

und ihre Verwandten zu rächen. Das war ein guter Grund,<br />

die Zeugenaussagen mit Vorbehalt zu betrachten. Es war schwierig,<br />

man brauchte einigen Mut, um einem Holocaust-Überlebenden ins<br />

Gesicht zu sagen: Deine Zeugenaussage genügt nicht. Außerdem<br />

hatten sich die israelischen Richter die historische Aufgabe gestellt,<br />

die Menschheit an die Shoah zu erinnern. Offenbar fürchteten sie, mit<br />

einem Freispruch Demjanjuks – und sei es auch nur aus Mangel an<br />

Beweisen – könnten sie der antisemitischen und antizionistischen Tendenz,<br />

den Holocaust selbst zu leugnen, Vorschub leisten. Die Richter<br />

konnten und wollten diese Bürde nicht auf sich nehmen.<br />

Das Urteil ist stellenweise in poetischem Stil gehalten, hier und<br />

da sogar in ausgesprochen feierlicher, fast biblischer Sprache. Nach<br />

Aussage der Richter wurde es »in heiliger Ehrfurcht« und »im vollen<br />

Bewusstsein der schweren Verantwortung« – in dieser Reihenfolge<br />

– verfasst. Die Richter erklärten: »In heiliger Ehrfurcht – weil wir<br />

aufgerufen sind, das bittere und schlimme Schicksal des jüdischen<br />

Volkes in seinen Diasporagemeinden in Europa in den fi nsteren Tagen<br />

der grauenhaften Shoah zu untersuchen und den blutigen Weg<br />

der Leiden und des Todes zu beschreiten, der getränkt ist mit den<br />

Tränen von Millionen Menschen (und in unserem Fall denen von<br />

870.000 Männern, Frauen und Kindern), getötet, gemetzelt, erstickt,<br />

verbrannt und vernichtet als Märtyrer von deutschen Mordgesellen<br />

und ihren Gehilfen aus anderen Völkern.« Diese Worte hatten die<br />

Richter nicht dem Gesetzbuch entlehnt, sondern dem Jiskor, dem<br />

Gedenkgebet für die Holocaustopfer. »Im vollen Bewusstsein der

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