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Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut

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NS-Raubkunst im Kunsthandel<br />

Stefan Koldehoff<br />

Die Bilder sind unter uns.<br />

Das Geschäft mit der NS-Raubkunst<br />

Frankfurt am Main: Eichborn Verlag,<br />

2009, 288 S., € 22,95<br />

Vor über einem Jahrzehnt einigten sich<br />

44 Staaten in Washington D.C. auf einen<br />

Katalog von elf Prinzipien bezüglich der Aufklärung des Verbleibs<br />

von Vermögenswerten aus der Zeit des Holocaust. Hierbei ging<br />

es besonders auch um die Ermittlung der Provenienz enteigneter<br />

Kunstwerke. Zu diesem Treffen hatten das U.S. Department of State<br />

und das United States Holocaust Memorial Museum eingeladen.<br />

Heute, zehn Jahre später und nur wenige Monate nachdem die Washingtoner<br />

Prinzipien auf einer Nachfolgekonferenz in Prag erneut<br />

bekräftigt worden sind, scheint es dennoch Versäumnisse in der Umsetzung<br />

zu geben. Kunstwerke, deren Herkunftsgeschichte für die<br />

Zeit des »Dritten Reichs« erhebliche Lücken aufweist, sind noch<br />

immer auf dem Kunstmarkt.<br />

Der Kölner Journalist und Raubkunstexperte Stefan Koldehoff<br />

thematisiert in seiner neuesten Publikation den Nachkriegshandel<br />

mit NS-Raubkunst sowie die personelle Kontinuität im<br />

Kunsthandel seit den Jahren des »Dritten Reichs«. Es werden<br />

prominente Fälle der letzten Jahre aufgegriffen, etwa die viel<br />

diskutierte Restitution eines Kirchner-Gemäldes aus dem Berliner<br />

Brücke Museum an die Erben des Erfurter Sammlers<br />

Alfred Hess oder der Skandal um den Inhalt eines Schweizer Banksafes,<br />

der auf den NS-Kunsträuber Bruno Lohse zurückgeführt werden<br />

konnte. 1<br />

Eingangs veranschaulicht eine krimireife Szene in einem<br />

Parkhaus, wie noch Ende der 1970er Jahre der ehemalige NS-<br />

Rüstungsminister Albert Speer einen Bestand von 20 bis 30 Gemälden<br />

über ein Kölner Auktionshaus absetzen konnte, ohne dass<br />

die Herkunft der Werke infrage gestellt wurde. Ob bei solchen<br />

zwielichtigen Handelsgeschäften, im Angebot anerkannter Auktionshäuser<br />

oder als repräsentativer Schmuck deutscher Amtsstuben,<br />

auch heute noch wird immer wieder das Schicksal einzelner<br />

Raubkunstwerke publik, die in der Nachkriegszeit im boomenden<br />

Kunsthandel den Besitzer wechselten. Selbst in der Sammlung des<br />

1 Vgl. Melissa Müller, Monika Tatzkow, Verlorene Bilder, verlorene Leben.<br />

Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde, München 2009.<br />

ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer wurden Arbeiten identifi<br />

ziert, die in der NS-Zeit verfolgungsbedingt jüdischen Besitzern<br />

entzogen worden waren. Provenienzangaben begannen teils<br />

erst weit nach Ende des Krieges, zudem konnte der Verweis auf<br />

eine prominente Sammlung, in der sich ein Kunstwerk befunden<br />

hatte, den Marktwert eher erheblich steigern, als dass die Kontinuität<br />

der Besitzverhältnisse suspekt geworden wäre. Die Namen<br />

und Schicksale einst bedeutender jüdischer Sammler wie Alfred<br />

Hess, Paul Westheim, Samuel Fischer oder Ismar Littmann gerieten<br />

schlichtweg in Vergessenheit oder wurden kaum mehr beachtet.<br />

Im Fall Westheim etwa bereicherte sich sogar eine frühere<br />

Freundin und verkaufte in den Vereinigten Staaten nach dem<br />

Krieg Gemälde, die sie für den Sammler aufbewahrt hatte. Auch<br />

konnten während der NS-Zeit tätige Kunsthändler weitestgehend<br />

nach dem Krieg ihre Geschäfte fortsetzen und aus Depots schöpfen,<br />

die sie zwischen 1933 und 1945 auf nicht immer moralisch<br />

unbedenkliche Weise mit Kunstwerken gefüllt hatten. Darunter<br />

waren auch jene Händler und deren Erben, die im Auftrag der<br />

Nazis die sogenannte »Entartete Kunst« verkauft hatten. Besonders<br />

überraschend ist hierbei Koldehoffs Verweis auf bisher unpubliziertes<br />

Quellenmaterial. Ein fast unerschöpfl iches Angebot<br />

an Handels- und Tauschware war bei den maßlosen Kunst-Raubzügen<br />

der Nazis in Frankreich und den Niederlanden zusammengetragen<br />

worden und teils für Hitlers geplantes »Führer-Museum«<br />

in Linz vorgesehen, teils in den deutschen Kunsthandel eingespeist<br />

worden. NS-Kulturfunktionäre und Kollaborateure zogen<br />

sich nach Kriegsende aus der Verantwortung, indem sie den Alliierten<br />

ihre Hilfe bei der Zuordnung der Vorbesitzer wieder aufgefundener<br />

Kunstwerke andienten. Der Kunsthandel schöpfte nach<br />

dem Krieg aus Sammlungen, die während der NS-Zeit zusammengetragen<br />

worden waren, und profi tierte auch von dem Wissen<br />

und den Sammlerkontakten ehemaliger NS-Kulturfunktionäre,<br />

die bereits in den 30er und 40er Jahren tätig waren. Besonders<br />

gefragt war im Nachkriegsdeutschland die moderne Kunst, die in<br />

den beiden vorausgegangenen Jahrzehnten als »Entartete Kunst«<br />

massiv angefeindet worden war. Roman Ketterer machte die Moderne<br />

in seinem Stuttgarter Kunstkabinett wieder salonfähig und<br />

löste in den 50er Jahren eine enorme Wertsteigerung in diesem<br />

Bereich aus. Dass sich diese Werke zuvor oft in jüdischen Sammlungen<br />

befunden hatten, spielte vorerst eine unbedeutende Rolle.<br />

Kunstwerke, die während der NS-Zeit ihren damaligen Besitzern<br />

geraubt wurden, befanden sich also durchaus noch nach dem<br />

Krieg im Kunsthandel!<br />

Im Zusammenhang mit der Restitution des Berliner Kirchner-Gemäldes<br />

begann in Deutschland erneut die Debatte, einen<br />

Schlussstrich zu ziehen und Restitutionsansprüche heute, mehr als<br />

60 Jahre nach Kriegsende ruhen zu lassen. Dieser Forderung aus<br />

den Reihen des Kunsthandels, die aber auch im Ausland aufgegriffen<br />

wurde, steht das Hauptprinzip der Washingtoner Erklärung nach<br />

einer gerechten und fairen Lösung bei dem Verdacht eines Restitutionsanspruchs<br />

entgegen. 2<br />

Generell stellt Koldehoff einen Mangel an Bereitschaft zur<br />

Provenienzforschung besonders im Kunsthandel fest, dessen Vergangenheit<br />

bisher mit wenigen Ausnahmen kaum systematisch aufgearbeitet<br />

wurde. Vehement appelliert er auch an Museen, sich<br />

mit der Provenienz ihrer seit 1933 erworbenen Sammlungsbestände<br />

auseinanderzusetzen und die moralische Verpfl ichtung zu erkennen.<br />

Diese Publikation kann und will den Anspruch der Vollständigkeit<br />

nicht erfüllen. Sie macht jedoch die großen Lücken in der Forschung<br />

in diesem Bereich erneut deutlich und unterstreicht anhand<br />

ausgewählter Beispiele die Notwendigkeit fundierter Recherchearbeit.<br />

Mit Sicherheit wird hierdurch die Diskussion zum Thema<br />

Provenienzforschung erneut entfacht.<br />

Marie-Luise Tapfer<br />

Bad Homburg<br />

Ein Unternehmer im Widerstand<br />

zum NS-Regime<br />

Knut Kühn-Leitz (Hrsg.)<br />

Ernst Leitz. Ein Unternehmer<br />

mit Zivilcourage in der Zeit des<br />

Nationalsozialismus<br />

Hanau: CoCon-Verlag, 2007, 127 S.,<br />

€ 12,50<br />

Suchen wir im Augenblick die bisher vergessenen<br />

Helden des Widerstands gegen<br />

den Nationalsozialismus? Auffällig ist schon, dass nach dem Boom<br />

über Unternehmen und ihre Verstrickung in das NS-Regime momentan<br />

eine Reihe von Büchern erscheint, die den Widerstand von lange<br />

Zeit vergessenen Industriellen gegen die Diktatur zum Gegenstand<br />

haben. Nicht nur John Rabe, sondern auch Ernst Leitz ist in<br />

diese Phalanx einzureihen. Um die wahre Größenordnung nicht aus<br />

den Augen zu verlieren, sei jedoch betont, dass es leider nur wenige<br />

Industrielle gab, die im Dritten Reich offen gegen den Herrschafts-<br />

2 Vgl. Norman Rosenthal, »The time has come for a statute of limitations«, in: The<br />

Art Newspaper, Nr. 197, Dezember 2008.<br />

apparat und seine Organe Stellung bezogen und damit auch negative<br />

Konsequenzen für sich und ihr Unternehmen in Kauf nahmen.<br />

Der Mehrheit der deutschen Industriellen fehlte jedoch ein solches<br />

Maß an Zivilcourage. Sie waren eher bereit, sich mit dem Regime<br />

zu arrangieren, mit seinen Entscheidungsträgern enge Allianzen zu<br />

schmieden und sich sogar an den Verbrechen zu beteiligen. Die neuere<br />

intensive Forschung zur Rolle von Unternehmen im Nationalsozialismus<br />

hat dies allzu deutlich herausgearbeitet.<br />

Ernst Leitz gehörte sicherlich zu den rühmlichen Ausnahmen,<br />

die sich von Beginn an gegen Willkür und Unrecht des Regimes zur<br />

Wehr setzten. Er opponierte gegen Machenschaften der NSDAP und<br />

ihrer Organisationen und versuchte, zahlreiche jüdische Mitbürger<br />

vor der Deportation und dem sicheren Tod in einem der Vernichtungslager<br />

in den besetzten Ostgebieten zu bewahren. Daher ist es<br />

mehr als gerechtfertigt, wenn nun mit einem schmalen Bändchen,<br />

herausgegeben von einem seiner Nachfahren, an den Unternehmer,<br />

aber auch an den Widerständler Ernst Leitz erinnert wird.<br />

Der Band umfasst sechs Aufsätze von fünf Autoren, inklusive<br />

Gruß- und Vorwort. Herausragend ist dabei der Beitrag von Frank<br />

Dabba Smith, der allein auf 65 Seiten die verschiedenen Facetten<br />

von Opposition und Widerstand bei Ernst Leitz ausleuchtet. Als<br />

überzeugter Demokrat war Leitz das NS-System verhasst, so dass<br />

er sich seit 1933 gegen dessen Übergriffe zur Wehr setzte. Smith beschreibt<br />

sehr detailliert die einzelnen Hilfsaktionen von Leitz, durch<br />

die insgesamt 70 Personen jüdischer Herkunft gerettet werden konnten.<br />

Leitz setzte sich vehement dafür ein, dass sie aus der Gestapo-<br />

Haft entlassen wurden, zum Teil ausreisen und sich damit ein neues<br />

Leben im Ausland aufbauen konnten. Seine Aktionen zur Rettung<br />

jüdischer Mitbürger waren nur möglich, da das Reichswirtschaftsministerium<br />

an dem hohen Devisenaufkommen des von Leitz geleiteten<br />

Unternehmens interessiert war, es also keinerlei gezielte Eingriffe<br />

in die Unternehmensführung und keine Repressalien gegen<br />

Leitz unterstützte. Dennoch ist es überraschend, dass sich Leitz immer<br />

wieder so massiv gegen die Unrechtspolitik des NS-Regimes<br />

einsetzen konnte. Offenbar bestanden auch in der Gauleitung und<br />

in Teilen der NS-Bürokratie große Bedenken, gegen ihn vorzugehen,<br />

was unter Umständen Proteste und Unruhen der Leitz-Mitarbeiter<br />

ausgelöst hätte, wie Bernd Lindenthal in seinem ersten Beitrag<br />

in diesem Band vermutet. In seinem zweiten Aufsatz geht der<br />

Autor nochmals auf einige Hilfsaktionen ein und vertieft dabei die<br />

bereits von Smith angesprochenen Aspekte.<br />

Eingeleitet wird der Band durch zwei biografi sche Skizzen von<br />

Günter Osterloh über Ernst Leitz als Erfi nder der Leica-Kamera und<br />

als einen der Wegbereiter der modernen Mikroskopie sowie über<br />

seinen gleichnamigen Sohn, der das Werk des Vaters fortsetzte und<br />

vertiefte. Vervollständigt wird der Band durch zwei kurze Beiträge<br />

des Herausgebers. In einem Aufsatz thematisiert er die zentrale<br />

Rolle des Hafens New York als Anlaufstelle für die zahlreichen<br />

Emigranten aus Deutschland und seine symbolhafte Bedeutung als<br />

76 Rezensionen<br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>02</strong> Herbst 2009 77

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