Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut
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Verfügung gestellte Dokumente benutzt, darunter solche, die der<br />
ehemalige Direktor des Bundesarchiv-Militärarchivs, Friedrich<br />
Christian Stahl, zusammengestellt hatte, »der alle das AOK 17<br />
betreffenden Akten im Freiburger Archiv eingesehen und die den<br />
General entlastenden Dokumente seinem Sohne Joachim übermittelt<br />
hat«. 4 Es versteht sich von selbst, dass man auf dieser Basis nicht<br />
zu unliebsamen Erkenntnissen kommen kann. Die Literaturbasis ist<br />
äußerst schmal. Eine Auseinandersetzung mit der umfangreichen<br />
Literatur zur Verwicklung der Wehrmacht in die Vernichtungspolitik<br />
im Osten, die Voraussetzung für eine realistische Einschätzung der<br />
Haltung des Generals wäre, hat die Verfasserin vermieden. Dahinter<br />
stecken offenkundig massive ideologische Vorbehalte. Die Historiker,<br />
die sich in den letzten Jahren kritisch mit den Verbrechen der<br />
Wehrmacht beschäftigt haben, sind ihrer Ansicht nach von einem<br />
»wehrmachtfeindlichen Apriori« bestimmt, sie folgen einer »grassierenden<br />
Mode pauschalisierender, gegen Wehrmachtsangehörige<br />
gerichteter Schuldzuweisungen«. 5 Zu dieser Kategorie zählt sie als<br />
»Ankläger« Stülpnagels neben dem Verfasser auch Helmut Krausnick,<br />
Manfred Messerschmidt, Dieter Pohl, Ulrich Herbert, Ahlrich<br />
Meyer und »andere die Wehrmacht mit Vehemenz angreifende<br />
Historiker«. 6 Sie tut so den größten Teil der Literatur zum Ostkrieg<br />
und zum Völkermord an den Juden als irrelevant für die von ihr<br />
beredt beschworene Suche nach der »historischen Wahrheit« ab. Sie<br />
geht von einem schlichten, von der Forschung längst widerlegten<br />
Totalitarismusschema aus: Hitler gab im Frühjahr 1941 den Befehl,<br />
das jüdische Volk auszurotten, Himmler, Heydrich und die SS führten<br />
den Befehl aus. Koehns Sicht der Judenmorde entspricht dem<br />
Forschungsstand von etwa 1970.<br />
Sachliche Fehler und verquere Interpretationen gibt es in dem<br />
Band mehr als genug. Die Ansicht, Akten, die in den Archiven<br />
nicht auffi ndbar seien, hätten nie existiert, ist absurd. Mehrfach<br />
leitet die Verfasserin aus nicht abgesicherten Interpretationen<br />
Vermutungen ab, die in der Folge zu feststehenden Tatsachen<br />
mutieren. Noch schlimmer ist, dass sie zugunsten ihres Zieles,<br />
das »Bild eines sich selbst treu gebliebenen Mannes, seiner Größe<br />
und seines Adels« 7 wiederherzustellen, willkürlich bestimmt, was<br />
4 Ebd., S. [5], Hervorhebung, C.S.<br />
5 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 60, S. 13.<br />
6 Ebd., S. 13, S. 89 f. Vgl. Christian Streit, »Angehörige des militärischen Widerstands<br />
und der Genozid«, in: Ueberschär (Hrsg.), NS-Verbrechen, S. 90–103; Helmut<br />
Krausnick, Hans-Heinrich Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrieges,<br />
Stuttgart 1981; Manfred Messerschmidt, »Motive der militärischen Verschwörer«,<br />
in: Ueberschär (Hrsg.), NS-Verbrechen, S. 107–118; Dieter Pohl, Nationalsozialistische<br />
Judenverfolgung in Ostgalizien 1941–1944, München 1996;<br />
Ulrich Herbert, »Die deutsche Militärverwaltung in Paris und die Deportation der<br />
französischen Juden«, in: ders. (Hrsg.), Nationalsozialistische Vernichtungspolitik<br />
1939–1945, Frankfurt am Main 1998, S. 170–208; Ahlrich Meyer, Die deutsche<br />
Besatzung in Frankreich 1940–1944, Darmstadt 2000.<br />
7 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 130.<br />
sie als Quelle akzeptieren will, und aus Quellen das herauspickt,<br />
was ihr passt, den Rest aber ignoriert. Diese Arbeitsmethode soll<br />
an ihrer Interpretation der in diesem Zusammenhang wichtigsten<br />
Quellen verdeutlicht werden.<br />
Koehn wendet sich vehement gegen die Feststellung, Stülpnagel<br />
sei Antisemit und in die Anfänge der Judenmorde verwickelt<br />
gewesen. Nun ist gerade in diesem Punkt die Quellenlage eindeutig.<br />
Nach einer Meldung der Einsatzgruppe B (später Einsatzgruppe<br />
C) hatte AOK 17 »angeregt«, antijüdisch und antikommunistisch<br />
eingestellte Polen zu »Selbstreinigungsaktionen« – das heißt Pogromen<br />
– zu benutzen. 8 Die Verfasserin unterschlägt, dass diese<br />
Meldung durch Heydrichs »Einsatzbefehl Nr. 2« vom 1. Juli 1941<br />
bestätigt wird, der die Unterstützung ebensolcher »Reinigungsaktionen«<br />
und die besondere Unterrichtung des dem AOK 17 zugeteilten<br />
Sonderkommandos 4b anordnete, da sich »für diesen Bereich das<br />
AOK. anher [d.h. an das RSHA] gewandt« habe. 9 Heydrichs Befehl<br />
war bei der Armee bekannt, da ihn auch das OKH erhalten und an<br />
AOK 17 weitergeleitet hatte. 10 Koehn postuliert, die – als Geheime<br />
Reichssache eingestuften – »Ereignismeldungen UdSSR« seien<br />
keine glaubwürdigen Quellen, da es sich um »SS-Propagandatexte«<br />
handele. 11 Für Heydrichs Mitteilung, die Armee habe sich an das<br />
RSHA gewandt – sie kennt sie nur als isoliertes Zitat, nicht aus<br />
dem Zusammenhang des Einsatzbefehls Nr. 2 –, konstruiert sie die<br />
wahrhaft abenteuerliche Erklärung, Stülpnagels Armee habe dies<br />
getan, um die Unterstützung des SD [sic!] bei der Beendigung des in<br />
Lemberg tobenden Pogroms zu erreichen, 12 eine These, die sogleich<br />
zum Faktum wird. In den Akten der 17. Armee sei kein Schreiben an<br />
das RSHA erhalten, beweiskräftig sei nur »ein vom General stammender<br />
oder unterzeichneter Text, der den Begriff ›Selbstreinigung<br />
der eroberten Gebiete‹ enthielte«. 13<br />
Stülpnagels antisemitische Überzeugungen gehen eindeutig aus<br />
seinem Schreiben an die Heeresgruppe Süd vom 12. August 1941<br />
hervor: Die Erfahrungen im Kampf gegen die Sowjetunion zeigten die<br />
Notwendigkeit eines »vermehrte[n] Kampf[es] gegen den Bolschewismus<br />
und das vor allem in seinem Sinne wirkende internationale<br />
Judentum«. Da »drakonische Maßnahmen gegen Juden bei einzelnen<br />
Bevölkerungskreisen Mitleid und Sympathie für sie erzeugt« hätten,<br />
sei eine »nachdrückliche Aufklärung über das Judentum« unter der<br />
Bevölkerung der Ukraine notwendig, um zu verhindern, »daß die<br />
Juden über kurz oder lang unter der Hand wieder Einfl uß gewinnen<br />
auf das Wirtschaftsleben, vor allem im freien Handel, oder sich als<br />
8 Ereignismeldungen UdSSR Nr. 10, 2.7.1941, Bundesarchiv (BArch) R 58/ R 214.<br />
9 BArch R 70/SU 32.<br />
10 Vgl. Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht, München 2008, S. 156 f.<br />
11 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 18.<br />
12 Vgl. ebd., S. 35, S. 42.<br />
13 Ebd., S. 18.<br />
Zentren einer Widerstandsbewegung betätigen können«. 14 Ähnliche<br />
Formulierungen fi nden sich in Zitaten aus einem Schreiben<br />
Stülpnagels vom 21. August 1941 in einer internen Aktennotiz der<br />
Abteilung Wehrmachtpropaganda im OKW. 15 Bei Koehn wird aus<br />
der internen Aktennotiz eine »Publikation«, eine »Veröffentlichung«,<br />
später spricht sie einfach von einer »Fälschung« – es habe »einen<br />
solchen Brief Stülpnagels an die Abteilung Wehrmachtpropaganda<br />
14 Bundesarchiv/Militärarchiv (BArch/MA) RH 20-17/280 – abgedruckt in: Ueberschär<br />
(Hrsg.), NS-Verbrechen, S. 179–181, Hervorhebung im Original.<br />
15 [OKW/WPr/] AP 7 v. 16.8.1942, BArch/MA RW 4/v. 257.<br />
Carl-Heinrich von Stülpnagel<br />
Foto: Ullstein Bild<br />
Sowjetische Kriegsgefangene in einem deutschen Sammellager,<br />
Uman-Miropol im Juli 1941.<br />
Foto: bpk / Arthur Grimm<br />
Zubereiten einer Mahlzeit,<br />
Kriegsgefangenenlager Uman-Miropol im Juli 1941.<br />
Foto: bpk / Arthur Grimm<br />
im OKW nicht gegeben«. 16 Weshalb dies nicht der Fall gewesen<br />
sein kann, begründet sie nicht, sie schließt dies lediglich aus ihrer<br />
Überzeugung, dass Stülpnagel die zitierten Wendungen nicht gebraucht<br />
haben könne.<br />
Da das Schreiben vom 12. August 1941 zweifelsfrei Stülpnagel<br />
direkt zuzuordnen ist, versucht sie mit einer angestrengten Kasuistik<br />
zu beweisen, dass er nicht antisemitisch argumentiert habe. Er<br />
spreche »nicht von den Juden schlechthin, sondern nur von den<br />
kommunistischen (›internationales Judentum‹)«, er setze diese also<br />
16 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 72, Hervorhebung so bei der Verfasserin.<br />
38 <strong>Einsicht</strong><br />
<strong>Einsicht</strong> <strong>02</strong> Herbst 2009<br />
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