Einsicht 02 - Fritz Bauer Institut
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von Überlebenden, die von »Ukrainern« begangene Grausamkeiten<br />
beschreiben. 25 So berichten beispielsweise Überlebende von Treblinka,<br />
betrunkene »Trawnikis« seien nachts in die Schlafbaracken<br />
eingedrungen, hätten willkürlich einige Juden herausgeholt und diese<br />
zum Vergnügen zu Tode gequält. 26<br />
Es gab aber auch Trawniki-Männer, die sich weigerten, die von<br />
ihnen geforderten Dienste zu leisten, und die desertierten. Einige von<br />
ihnen schlossen sich den Partisanen an und kämpften gegen die Deutschen,<br />
andere tauchten unter. Der ehemalige SS-Untersturmführer<br />
und letzte Kommandant von Treblinka, Kurt Franz, der in Treblinka<br />
für die »Trawnikis« zuständig war, sagte nach dem Krieg aus, ein<br />
Trawniki-Mann sei gefl ohen, wieder aufgegriffen und zur Warnung<br />
erschossen worden. 27 Ein ehemaliger SS-Mann, der in Bełżec eingesetzt<br />
war, berichtete, Gottlieb Hering, der zweite Kommandant<br />
von Bełżec, habe eigenhändig zwei »Trawnikis«, die sich mit den<br />
Vorgängen in Bełżec nicht einverstanden zeigten, erschossen. Er ließ<br />
sie zunächst einsperren. Sie mussten Häftlingsanzüge wie die Juden<br />
anziehen und wurden erschossen. 28<br />
Bei den Trawniki-Männern, die ihren Sadismus gegen Juden<br />
auslebten, bleiben die Motive zum Teil unklar. Die Aussage, sie<br />
hätten oftmals schlimmer gewütet als die SS 29 , mag unter anderem<br />
daran liegen, dass die »Trawnikis« diejenigen waren, die die Juden<br />
bei Ghettoräumungen aus den Häusern und in den Vernichtungslagern<br />
aus den Zügen und in die Gaskammern trieben, sie waren<br />
auch zahlenmäßig weit stärker vertreten als die SS und wurden als<br />
mörderische Aktivisten wahrgenommen.<br />
Die ersten Prozesse gegen NS-Verbrecher wurden 1945 von den<br />
Siegermächten geführt und richteten sich wie der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess<br />
gegen nationalsozialistische Prominenz. 30<br />
Hochrangige Funktionäre des Besatzungsregimes und KZ-Personal<br />
wurden an die Nationen ausgeliefert, auf deren Territorium sie tätig<br />
gewesen waren, wie der ehemalige Generalgouverneur Hans Frank<br />
oder der erste Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, die beide<br />
in Polen zum Tod verurteilt und hingerichtet wurden. Unter der<br />
Hoheit der jeweiligen Besatzungsmacht fanden in allen vier Zonen<br />
Deutschlands Verfahren gegen NS-Täter, insbesondere auch gegen<br />
KZ-Wachmannschaften statt. Grundsätzlich galt bis 1949 die Regelung,<br />
dass deutsche Gerichte nur dann Prozesse gegen NS-Verbrecher<br />
führen durften, wenn es sich bei den Opfern um Deutsche handelte.<br />
Anfang der 1950er Jahre wurde die gesamte Strafverfolgung von NS-<br />
25 Aussage Szmajzner, Treblinka-Überlebender, BArch B 162/3832, Bl. 4053.<br />
26 Aussagen Sterdyner und Mendel, BArch, B 162/3838, Bl. 5441, 5447 und 5450.<br />
27 BArch, B 162/3833, Bl. 4409.<br />
28 BArch, B 162/4427, Bl. 480–481.<br />
29 Aussage Szmajzner, Treblinka-Überlebender, BArch B 162/3832, Bl. 4053.<br />
30 Vgl. Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.), Dachauer Hefte 13. Gericht und<br />
Gerechtigkeit, Dachau 1997; Adalbert Rückerl, Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen<br />
1945–1978. Eine Dokumentation, Heidelberg, Karlsruhe 1979.<br />
Verbrechen wieder an die deutsche Justiz übergeben. Tatsächlich war<br />
das Bemühen, NS-Verbrechen aufzuklären, jedoch gering. Insbesondere<br />
Verbrechen, die nicht in die unmittelbare örtliche Zuständigkeit<br />
fi elen, wurden kaum verfolgt. Erst die 1958 eingerichtete Zentrale<br />
Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die die systematische<br />
Erforschung der Gewaltverbrechen im Nationalsozialismus<br />
einleitete, und die dadurch seit Ende der 50er Jahre stattfi ndenden<br />
großen Strafprozesse eröffneten eine neue Dimension im Umgang<br />
der Deutschen mit ihrer Vergangenheit. Die Ludwigsburger Zentralstelle<br />
31 arbeitete enorme Mengen an Dokumenten auf und bediente<br />
sich dabei unter anderem der Hilfe des <strong>Institut</strong>s für Zeitgeschichte.<br />
Mit der Unterstützung von Historikern und dem Zugriff auf Archive<br />
im Ausland (Israel, Polen, Sowjetunion) mündeten viele Ermittlungsverfahren<br />
in Strafprozesse und führten zu Verurteilungen.<br />
Der Fall John (Iwan) Demjanjuk wird vermutlich der letzte<br />
Prozess gegen einen Naziverbrecher sein. Und die deutsche und<br />
internationale Öffentlichkeit erwartet kritisch und mit geteilter<br />
Meinung das Urteil gegen einen Mann, der tatsächlich direkt am<br />
Betrieb des Massenmords beteiligt war. Der Freispruch im Prozess<br />
gegen Karl Streibel und seine Mitangeklagten macht deutlich, wie<br />
groß der Spagat zwischen moralischer Bewertung und juristischer<br />
Argumentation sein kann: Der Vorwurf der Heimtücke wurde fallen<br />
gelassen, Streibel habe nicht wissen müssen, wofür er die Männer<br />
ausbildete. Die Gerüchte, die er von zurückkehrenden Trawniki-<br />
Männern gehört habe, habe er nicht glauben müssen, da es sich<br />
nicht um offi zielle Informationen handelte. Andererseits wurde<br />
der Vorwurf des heimtückischen Mords an den Juden abgemildert,<br />
wobei die Argumentation lautete: Die Juden haben per Hörensagen<br />
bereits von ihrer bevorstehenden Ermordung gewusst, seien also<br />
nicht unwissend gewesen. Das war formell korrekte Rechtsprechung,<br />
die ethisch schwer nachvollziehbar ist.<br />
Der Prozess gegen John (Iwan) Demjanjuk macht die Problematik<br />
der Schuldzuweisung und Beweisführung erneut deutlich:<br />
Demjanjuk gehört zu denen, die aktiv am Massenmord beteiligt<br />
waren, die selbst Opfer deutscher Gewaltherrschaft wurden und<br />
dann auf die Seite der Täter wechselten.<br />
31 Vgl. hierzu die Studie von Annette Weinke, Eine Gesellschaft ermittelt gegen<br />
sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle in Ludwigsburg 1958–2008,<br />
Darmstadt 2008.<br />
Wehrmachtsfeindliches Apriori?<br />
Kritische Anmerkungen zu<br />
apologetischer Literatur über<br />
den militärischen Widerstand<br />
von Christian Streit<br />
Christian Streit, Jahrgang 1942,<br />
Studium der Geschichte und Anglistik<br />
in Heidelberg und am Dartmouth<br />
College, Hanover, New Hampshire,<br />
USA. 1977 Promotion.<br />
Veröffentlichungen: Keine Kameraden.<br />
Die Wehrmacht und die sowjetischen<br />
Kriegsgefangenen 1941–1945,<br />
Stuttgart 1978, 4. Aufl . Bonn 1997;<br />
»Ostkrieg, Antibolschewismus und<br />
›Endlösung‹«, in: Geschichte und<br />
Gesellschaft, 17. Jg. (1991),<br />
S. 242–255; »Das Schicksal der<br />
verwundeten sowjetischen Kriegsgefangenen«,<br />
in: Hannes Heer, Klaus<br />
Naumann (Hrsg.), Vernichtungskrieg.<br />
Verbrechen der Wehrmacht 1941–<br />
1944, Hamburg 1995, S. 78–91;<br />
»General der Infanterie Hermann<br />
Reinecke«, in: Gerd R. Ueberschär<br />
(Hrsg.), Hitlers militärische Elite,<br />
Bd. 1, Darmstadt 1998, S. 203–209;<br />
»Angehörige des militärischen Widerstandes<br />
und der Genozid an den<br />
Juden im Südabschnitt der Ostfront«,<br />
in: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.),<br />
NS-Verbrechen und der militärische<br />
Widerstand gegen Hitler, Darmstadt<br />
2000, S. 90–103.<br />
Die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg im<br />
Osten ist in den letzten 30 Jahren sehr eingehend<br />
untersucht worden. Die Ergebnisse haben auch zu<br />
Diskussionen darüber geführt, inwieweit führende<br />
Vertreter des militärischen Widerstands in den Prozess der Radikalisierung<br />
der Mordpolitik den Juden gegenüber zwischen Juni und<br />
Spätherbst 1941 involviert waren. Dies gilt vor allem für den Befehlshaber<br />
der Panzergruppe 4, Generaloberst Erich Hoepner, den<br />
Ersten Generalstabsoffi zier der Heeresgruppe Mitte, Oberstleutnant<br />
i.G. Henning von Tresckow, und den Oberbefehlshaber der 17. Armee,<br />
General der Infanterie Carl-Heinrich von Stülpnagel. Das <strong>Fritz</strong><br />
<strong>Bauer</strong> <strong>Institut</strong> machte dieses Problem im Mai 1998 zum Thema eines<br />
Symposiums. 1 Neue Aktenfunde haben zu weiterer kritischer<br />
Beschäftigung mit dem Widerstandskreis um von Tresckow und zu<br />
einer ebenso heftigen Abwehr dieser Kritik geführt. 2<br />
Nun hat Barbara Koehn, emeritierte Germanistikprofessorin der<br />
Universität Rennes, einen schmalen Band veröffentlicht, mit dem<br />
sie anstrebt, Stülpnagel »gegen alle Anschuldigungen zu verteidigen<br />
und seinen Ruf rehabilitiert an die Geschichte zurückzugeben«. 3 Man<br />
würde dieses Bändchen als eklatante Apologie einfach ignorieren,<br />
wäre es nicht vom renommierten Wissenschaftsverlag Duncker<br />
& Humblot auf den Markt gebracht worden. Die Verfasserin hat<br />
weder neue Akten erschlossen noch in Archiven recherchiert. Wie<br />
sie erklärt, hat sie lediglich von der Familie von Stülpnagel zur<br />
1 Vgl. Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), NS-Verbrechen und der militärische Widerstand<br />
gegen Hitler, Darmstadt 2000.<br />
2 Vgl. Johannes Hürter, »Auf dem Weg zur Militäropposition«, in: Vierteljahrshefte<br />
für Zeitgeschichte (VfZ), 52. Jg., H. 3 (2004), S. 527–562; Felix Römer, »Das<br />
Heeresgruppenkommando Mitte und der Vernichtungskrieg im Sommer 1941«,<br />
in: VfZ, 53. Jg., H. 3 (2005), S. 451–460. Kritisch z. B. Hermann Graml, »Massenmord<br />
und Militäropposition«, in: VfZ, 54. Jg., H. 1 (2006), S. 1–24.<br />
3 Barbara Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel. Offi zier und Widerstandskämpfer.<br />
Eine Verteidigung, Berlin 2008, Zitat im Klappentext.<br />
36 <strong>Einsicht</strong><br />
<strong>Einsicht</strong> <strong>02</strong> Herbst 2009<br />
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