Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und ... - dullophob
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Auslese <strong>und</strong> Geisteskrankheiten. 19<br />
gesprochene Hysterie entschieden häufiger bei Russen als bei<br />
Franzosen. Hier dürfte ein ähnlicher Gedankengang wie hin-<br />
sichtlich <strong>der</strong> Schizophrenie am Platze sein. „Die Intensifizierung<br />
<strong>und</strong> Tempobeschleunigung des mo<strong>der</strong>nen Arbeitsprozesses, <strong>der</strong><br />
Lärm, die Hast <strong>und</strong> die erhöhte Verantwortung, all dies bringt<br />
zahllose Nerven auch in nie<strong>der</strong>en Volksschichten, im Arbeiter-<br />
stande, zu Fall'' (Rüdin). Man kann wohl sagen, daß die na-<br />
türliche Auslese um so mehr auf eine Abnahme <strong>der</strong> nervösen Veranlagung<br />
hinwirkt, je mehr die äußeren Lebensbedingungen<br />
die Anlagen zur Auslösung bringen.<br />
Wenn uns aus dem Mittelalter von seelischen Massenepidemien, von<br />
Kin<strong>der</strong>kreuzzügen, Flagellantenwesen, Tanzepidemien <strong>und</strong> epidemischer Be-<br />
sessenheit berichtet wird, so sind wir meist geneigt, zu glauben, daß so<br />
etwas in unserem aufgeklärten Zeitalter nicht mehr möglich sei. In Rußland<br />
ist jedenfalls die „Besessenheit" noch recht häufig; es ist dort ganz ge-<br />
wöhnlich, daß sich jemand einbildet, eine Schlange o<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>es Reptil<br />
sei in ihn hineingefahren. Noch in den letzten Jahrhun<strong>der</strong>ten hat Rußland<br />
grausige seelische Epidemien erlebt; Selbstverstümmelung, haufenweise<br />
Selbstverbrennung, Erwürgung von Glaubensgenossen <strong>und</strong> Kindsmord aus<br />
abergläubischen Beweggründen waren bei russischen Sektierern an <strong>der</strong><br />
Tagesordnung. Und wenn wir mit offenen Augen um uns blicken, so<br />
können wii in so manchen seelischen Massenerscheinungen während des<br />
Krieges <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Nachkriegszeit auch bei uns die Auswirkung ganz ähn-<br />
licher Seelenverfassungen erkennen.<br />
Ein recht erheblicher Teil aller Psychopathen geht durch<br />
eigene Hand zugr<strong>und</strong>e. Im Deutschen Reiche wurden vor dem<br />
Kriege jährlich etwa 20 Selbstmorde auf 100 000 Einwohner ge-<br />
zählt. Da außer den von <strong>der</strong> Statistik erfaßten Fällen noch<br />
zahlreiche an<strong>der</strong>e vorkommen, die verheimlicht <strong>und</strong> als Unglücks-<br />
fälle gezählt werden, so dürften bei uns etwa 2— 4 o/o aller<br />
Männer durch eigene Hand enden, während bei Frauen <strong>der</strong><br />
Selbstmord etwa dreimal seltener ist. Obwohl jene Bevölkerungs-<br />
gruppen, in denen die meisten Selbstmorde vorkommen, sich<br />
durch höhere Intelligenz auszeichnen (höhere Schüler, Akademiker,<br />
Künstler), ist die Auslesewirkung dieser durch die mo-<br />
<strong>der</strong>nen Lebensverhältnisse wesentlich mitbedingten Erscheinung<br />
insgesamt sicher doch überwiegend günstig. Beson<strong>der</strong>s Anlagen<br />
zu manisch-melancholischen Seelenstörungen, zu Epilepsie, zu<br />
Neurasthenie <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Psychopathien werden dadurch aus-<br />
gemerzt. Die Auslese durch den Selbstmord liegt daher<br />
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